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Bei seiner Ankunft im Ranchhause von Los Muertos fand Annixter bereits eine kleine Gruppe im Speisezimmer vor. Magnus Derrick im zweireihigen, schwarzen Tuchrock, den er seinen Gästen zu Ehren angelegt hatte, stand mit dem Rücken nach dem Kamin. Nahebei saß Harran in einem Armstuhl, über dessen Seitenlehne er ein Bein hängen ließ. Presley, der seinen Corduroyanzug und hohe Schnürstiefel trug, lehnte in einer Sofaecke und rauchte Zigaretten. Der alte Broderson hatte sich, den Kopf in beide Arme gestützt, an einer Ecke des Eßtisches niedergelassen, und Genslinger, der Chefredakteur und Besitzer des »Bonneviller Merkur«, der verbreitetsten Zeitung im County, stand, Hut und Fahrhandschuhe unter den Arm geklemmt und ein halbgeleertes Glas Whisky und Soda in der Hand, vor Magnus. Annixter hörte bei seinem Eintritt Genslinger sagen: »Ich werde morgen einen Leitartikel im ›Merkur‹ haben, der Sie alle interessieren wird. Man spricht davon, daß in diesem Winter die Preise für Ihr Land festgesetzt werden sollen. Sie werden doch wohl alle kaufen?«
Diese Worte hatten sofort die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Sprecher gerichtet. Annixter brach das jener Aeußerung folgende Stillschweigen: »Allerdings, 's ist allmählich Zeit, daß sie den Preis für ihr Land machten.«
Die Frage, um die es sich bei Genslingers Bemerkung handelte, war für die Ranchbesitzer in der Umgegend von Bonneville und Guadalajara von der allergrößten Wichtigkeit. Weder Magnus Derrick noch Broderson, Annixter und Osterman waren die Eigentümer der Gesamtfläche, die sie bebauten. Der größere Teil dieses Weizenlandes gehörte noch der Pacific- und Southwesterneisenbahn. Zur Erklärung dieses Umstandes mußte man auf die Vorgeschichte des Bahnbaues zurückgehen. Die Regierung der Vereinigten Staaten hatte den Unternehmern die Landsektionen mit ungeraden Nummern zu beiden Seiten der geplanten Bahnlinie in einer Länge von zwanzig Meilen als Prämie für den vollendeten Bau zugesichert. Diese Sektionen gehörten also zweifellos der Pacific- und Southwesterneisenbahn. Die der Regierung verbliebenen Sektionen mit geraden Nummern konnten von ihr veräußert werden und waren auch bald von den Ranchbesitzern erworben worden, – die Eisenbahnsektionen hingegen – oder, wie sie allgemein hießen, die »alternierenden Sektionen« – blieben im Besitz der Bahn.
Dieser Umstand hatte die Farmer jedoch nicht abgehalten, sich im San Joaquin-Distrikt anzusiedeln. Ueberdies hatte die Eisenbahn in über den ganzen Staat verbreiteten Rundschreiben ausdrücklich zur Besiedlung dieser Ländereien aufgefordert. Die Bahn hatte damals noch nicht die von der Regierung auszustellenden formellen Besitztitel in den Händen; sobald diese ausgefertigt waren, wollte die Bahn die Preise, der verschiedenen Bodenbeschaffenheit entsprechend, festsetzen und das Land zum Verkaufe ausbieten; die ersten Siedler sollten das Vorkaufsrecht haben. Der zugrunde zu legende Preis sollte dem von der Regierung für ihre Ländereien geforderten entsprechen und demnach etwa zwei und einen halben Dollar für den Acker Der amerikanische acre = 40½ Ar. betragen.
Infolge des Anbaues und der Verbesserung des Bodens mußte das Land natürlich im Werte steigen. Die Gelegenheit, damit ein gutes Geschäft zu machen, schien außerordentlich günstig. Man riß sich daher um das von der Eisenbahn in der Umgegend von Bonneville ausgebotene Land; Broderson, Annixter, Derrick und Osterman, die sich zuerst gemeldet hatten, konnten sich das beste Land auswählen. Nachdem aber die Besiedlung vor sich gegangen war, schien die Pacific- und Southwesterneisenbahn keine Eile zu haben, den Preis ihrer in den verschiedenen Ranchos gelegenen Sektionen festzustellen, um sie zum Verkauf auszubieten. Die Sache zog sich von Jahr zu Jahr hin, wurde monatelang vergessen und nur dann in Erinnerung gebracht, wenn immer wie diesmal ein Gerücht laut wurde, daß die Bahn sich zur endgültigen Regelung entschlossen hätte.
»Ich bin sofort bereit,« sagte Annixter, »wenn die Bahn das Geschäft wegen ihres Anteils an Quien Sabe mit mir abschließen will. Das Land ist um mehr als das Vierfache im Werte gestiegen. Ich wette, daß ich morgen zu fünfzehn Dollar den Acker verkaufen kann; wenn ich nun von der Bahn für zwei und einen halben Dollar kaufe – vorausgesetzt, daß da nicht irgend 'ne Schweinerei im Spiele ist –, so mach ich 'n verdammt feines Geschäft.«
»Für zwei und 'nen halben Dollar!« rief Genslinger. »Sie glauben doch nicht etwa, daß die Bahn ihr Land für so 'nen Preis hergeben wird? Woher haben Sie nur diese Idee?«
»Aus den Zirkularen und Flugschriften,« antwortete Harran, »die uns die Bahn geschickt hat, als sie das Land ausbot. Sie hat sich dadurch uns gegenüber verpflichtet. Selbst die Pacific- und Southwesterneisenbahn kann ein derartiges Versprechen nicht brechen. Sie sind neu hier im Lande, Herr Genslinger. Sie kennen die Bedingungen nicht, unter denen wir das Land übernahmen.«
»Und unsre Verbesserungen!« rief Annixter. »Magnus und ich haben allein schon fünftausend Dollar in den großen Bewässerungsgraben gesteckt. Ich dächte doch, wir verbessern das Land nicht bloß deshalb, damit es für die Bahn wertvoller wird. Ob wir nun durch unsre Verbesserungen das Land wertvoller machen oder ob es von selbst im Preise steigt, – die Bahn muß bei dem Uebereinkommen bleiben, das auf Zwei fünfzig für den Acker basiert ist. Das ist mal 'n Fall, wo die Bahn nicht alles kriegt, was ihr vor die Augen kommt.«
Genslinger machte ein bedenkliches Gesicht. »Ich bin neu hier im Lande, wie Harran sagt,« entgegnete er, »aber mir scheint, daß diese Auffassung der Billigkeit ermangelt. Der Betrieb der Eisenbahn hat doch ebensoviel zur Wertsteigerung des Landes beigetragen wie Ihre Verbesserungen. Warum sollten Sie allen Nutzen aus dieser Wertsteigerung ziehen und die Bahn keinen?«
»Das geht mich nichts an,« erklärte Annixter. »Die Bahn hat uns zugesichert, nur Zwei fünfzig zu verlangen, und dabei muß sie bleiben.«
»Nun,« murmelte Genslinger, »soviel ich weiß, denkt die Pacific- und Southwesterneisenbahn gar nicht daran, den Acker zu Zwei fünfzig zu verkaufen. Die Direktoren fordern bei diesen schlechten Zeiten für alles den höchsten Preis, den sie kriegen können.«
»Schlechte Zeiten hat die Eisenbahn gerade nicht,« ließ sich der alte Broderson vernehmen. Mit seinen fünfundsechzig Jahren war er der älteste unter den Anwesenden und machte mit seinem weißen Bart und der von harter Arbeit gekrümmten Gestalt einen ehrwürdigen Eindruck. Er war ein Mann von beschränktem Gesichtspunkt und peinlich gewissenhaft in allem, was er sagte, weil er niemand unrecht tun wollte; ein langsamer Denker, vermochte er ein einmal begonnenes Gesprächsthema nicht so bald wieder fallen zu lassen. Er hatte kaum seine Bemerkung über die schlechten Zeiten gemacht, als er sich auch schon veranlaßt fühlte, sie zu begründen.
»Schlechte Zeiten,« wiederholte er mit unsicherem, ängstlichem Ton, »nun, ja – ja. Ich vermute, die Eisenbahn hat auch harte Zeiten, das mag schon sein. Jeder wird davon betroffen – natürlich. Ich meinte das vorhin nicht so ganz. Ich will jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich meine nur, daß wir keine Wahl unter andern Linien haben und ihre Frachtsätze zahlen müssen – gute Jahre und schlechte Jahre, weil sie die einzige Bahn im Staate ist. Das heißt – wenn ich sage die einzige Bahn – nun –, so will ich nicht gerade behaupten, daß sie wirklich die einzige Bahn ist. Natürlich –, es gibt noch andre Bahnen. Da ist die D. P. und M. und die San Francisco und Nord-Pacific, die 'rauf nach Ukiah geht. Ich hab' einen Schwager in Ukiah. Um Ukiah 'rum ist kein besonderer Weizenboden, aber etwas Weizen bauen sie dort auch. Aber ich glaube, es liegt zu weit nördlich. Ja, natürlich, 's ist kein besonderes Getreideland. Vielleicht sechzigtausend Acker im ganzen County – wenn man Gerste und Hafer einrechnet. Genau weiß ich's nicht, – vielleicht sind's auch nur vierzigtausend. Ich kann mich nicht recht entsinnen. Es sind schon viele Jahre her. Ich –«
Annixter, der ungeduldig wurde, wandte sich, dem alten Manne das Wort abschneidend, an Genslinger: »Ach, Blödsinn!« rief er. »Natürlich muß die Bahn zu Zwei fünfzig verkaufen. Wir haben die Kontrakte.«
»Dann halten Sie sich an die, Herr Annixter,« entgegnete Genslinger mit einem vielsagenden Blicke. »Halten Sie sich an die. Sehen Sie zu, daß Sie zu Ihrem Recht kommen!«
Er verabschiedete sich bald darauf, und Derricks Chinese kam herein, um den Tisch zu decken.
»Was glauben Sie wohl, was er gemeint hat?« fragte Broderson, als Genslinger gegangen war.
»O, wegen dem Lande?« sagte Annixter. »Ich weiß es nicht, 's ist ja überhaupt Unsinn! Haben wir nicht ihre Bedingungen, schwarz auf weiß in den gedruckten Zirkularen? Das sind bindende Verpflichtungen uns gegenüber.«
»Ach, bindende Verpflichtungen!« murmelte Broderson. »An so was hat sich die Bahn nie viel gekehrt.«
»Wo ist Osterman?« fragte Annixter, der schnell von etwas anderm sprechen wollte, als ob es sich nicht verlohnte, über die Landangelegenheit zu reden. »Kommt denn der Ziegenbock Osterman heute nicht?«
»Sie haben ihm telefoniert, nicht wahr, Presley?« erkundigte sich Magnus.
Presley hatte Prinzeß Natalie auf den Schoß genommen und streichelte ihr langes, feines Haar. In ihrem Halbschlummer fühlte sich die Angorakatze unendlich behaglich; sie hatte die Augen bis auf zwei feine Ritzen geschlossen und krallte sich abwechselnd mit den Vorderpfoten leicht in den Manchesterstoff von Presleys Beinkleidern.
»Gewiß,« erwiderte Presley. »Er sagte, daß er kommen würde.«
Während er noch sprach, trat Osterman ein. Er war ein noch junger Mann mit einer außerordentlich entwickelten Glatze. Seine großen, roten Ohren standen rechtwinklig vom Kopfe ab, und der ebenfalls große Mund war ein wagerechter, schmaler Schlitz dicht unter der Nase. Sein rotbraunes Gesicht mit den etwas vorstehenden Backenknochen war das eines Komikers, der lustige, lockere Liedchen auf der Bühne singt, nie um eine Antwort verlegen und stets bestrebt ist, die Leute lachen zu machen. Für den Landbau hatte er keine besondere Neigung und ließ daher seine Ranch von Ober- und Unterverwaltern bewirtschaften; er selbst zog es vor, in Bonneville zu wohnen. Osterman war ein Poseur, ein Kleiderstock, der immer irgendeine Rolle spielte und sich bestrebte, Eindruck zu machen und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Seine nicht unbedeutende Tatkraft verzettelte er in dem Bestreben, sich allerlei kleine Fertigkeiten anzueignen; nie aber blieb er lange bei irgendeiner Sache –, immer mußte etwas Neues heran. Bald war Fechten seine Leidenschaft, dann Taschenspielerkunststückchen, dann Bogenschießen. Länger als einen Monat hatte er sich darauf verlegt, zwei Banjos Der banjo ist das gitarrenartige Lieblingsinstrument der Neger mit 5-9 Saiten und einem Tambourin ohne Schellen als Schallkörper. gleichzeitig spielen zu lernen; das gab er auf, weil er plötzlich eine große Leidenschaft für gestanzte Lederarbeit entwickelte. Mit den von ihm verfertigten Geldtäschchen, Tennisgürteln und Hutbändern beschenkte er die jungen Damen seiner Bekanntschaft. Es war Ostermans Grundsatz, sich niemand zum Feinde zu machen. Man hatte ihn gern, ohne ihn besonders hochzuachten. Die Leute sprachen von ihm als »der Ziegenbock Osterman« oder »Osterman, das närrische Kerlchen« und luden ihn zu Tisch ein. Er gehörte zu der Art von Menschen, die man nicht unbeachtet lassen kann, und wurde, schon weil er viel von sich reden machte, in seiner Wichtigtuerei bestärkt. Eine besondere Eigentümlichkeit Ostermans war das beständige Bestreben, die Leute in Erstaunen zu setzen; das gelang ihm auch, indem er die außerordentlichsten Geschichten in Umlauf zu bringen wußte, in denen ausnahmslos er selbst die Hauptrolle spielte. Er hatte eine flinke Zunge und redete wie ein Buch, war gewandt, umsichtig, beweglich, überall dabei, ein Spaßmacher und Erzähler lustiger Geschichten.
Natürlicherweise war er schwer verschuldet; er trug diese Last jedoch mit vollkommenem Gleichmut. S. Behrman, dem im Vorjahre ein volles Drittel von Ostermans Ernte verpfändet war, hatte hohe Zinsen aus ihm herausgepreßt. Trotzdem konnte man die beiden alltäglich Arm in Arm auf der Hauptstraße von Bonneville sehen. Osterman pflegte S. Behrman auf den breiten Rücken zu klopfen und dabei zu erklären: »Sie sind im Grunde genommen doch 'n guter Kerl, alter Wackelwanst, was?«
Als Osterman, der draußen seinen triefenden Kavallerieponcho und Hut an den Kleiderrechen gehängt hatte, von der Veranda hereintrat, erschien gleichzeitig auch Frau Derrick in der Tür, die das Speisezimmer mit dem glasüberdachten Vorraum verband. Osterman begrüßte sie mit übertriebener Wärme und einschmeichlerischer Freundlichkeit.
»Ich habe nicht vor, zu bleiben,« sagte sie liebenswürdig lächelnd und die schönen braunen Augen mit ihrem fragenden, unschuldigen Ausdruck voll auf jeden Anwesenden richtend. »Ich wollte nur sehen, ob irgend etwas fehlte, und Ihnen guten Abend sagen.«
Sie begann mit dem alten Broderson zu reden und erkundigte sich nach seiner Frau, die vor kurzem leidend gewesen war. Osterman begrüßte die Männer, schüttelte jedem die Hand und schwatzte dabei ununterbrochen.
»Hallo, Jungens und Mädels! Hallo, Governor! Das ist wohl 'ne Versammlung der Clans heut abend? Hoho, da ist ja auch der Annixter! Hallo, Buck! Wissen Sie nichts Neues? 's ist 'n bißchen staubig heute draußen.«
Annixter, der sofort einen roten Kopf bekam, zog sich in eine Ecke des Zimmers zurück; durch die Gegenwart von Frau Derrick äußerst verlegen gemacht, verharrte er dort in linkischer, unbeholfener Stellung mit durchgedrückten Knien und ängstlich an die Seiten gepreßten Ellbogen vor dem Glaskasten mit den ausgestopften Vögeln. Dabei murmelte er halblaute Verwünschungen vor sich hin; er war wütend über Osterman, weil der ihn vor Magnus' Gattin »Buck« genannt hatte. Dieser Ziegenbock Osterman! Hatte denn der Dummkopf gar keinen Verstand? Würde er denn nie lernen, sich in Gegenwart eines Femininums anständig zu benehmen? Ihn in Gegenwart von Frau Derrick »Buck« zu nennen! So was täte nicht mal ein Stallbursche; jeder Lohnarbeiter hätte bessere Manieren.
Während des ganzen darauffolgenden Mahles war Annixter schlechter Laune, er aß nichts, weil er das seiner Selbstachtung schuldig zu sein glaubte, und hockte brummig auf seinem Stuhle. Wenn Osterman ihn wieder einmal »Buck« nennen würde, so wollte er ihn scharf zurechtweisen.
Zum Nachtisch gab es einen von dem chinesischen Koch zubereiteten Plumpudding; Annixter, der diese leckere Speise von früheren Gastmählern im Derrickschen Hause kannte, hatte seinen Appetit dafür aufgespart. Er fühlte, daß der Pudding ihn wieder in gute Laune versetzen würde; sein Magen war wohl auch wieder so weit in Ordnung, daß er ihm etwas zumuten konnte.
Unglücklicherweise aber war der Pudding mit einem Beiguß angerichtet, den Annixter verabscheute; es war dies eine dicke, schleimige, farblose Mischung aus Wasser und Zucker. Ehe Annixter sich dagegen verwahren konnte, hatte ihm der Chinese eine Portion davon auf den Teller gelöffelt.
»Pfui!« rief Annixter. »Mir wird schlecht davon. Solch – solch scheußlicher Kleister! Nehmen Sie's weg! Ich möchte meinen Pudding mit ›ohne‹, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Das ist gut für Ihren Magen, Buck,« bemerkte Osterman, »'s geht so hübsch glatt 'runter, wissen Sie das nicht? Kleister, was? 'n hübscher Name dafür!«
»Hören Sie mal, nennen Sie mich nicht Buck! Sie sind wohl nicht recht bei Verstand – und außerdem ist das Zeug nicht gut für meinen Magen! Ich weiß das besser. Was wissen Sie überhaupt von meinem Magen? Wenn ich solchen Kleister nur sehe, wird mir schon schlecht.«
Bald darauf räumte der Chinese ab und brachte Kaffee und Zigarren; auch Whisky und Siphons mit Sodawasser wurden auf den Tisch gestellt. Die Männer machten es sich auf ihren Stühlen bequem, rückten etwas vom Tisch ab, zündeten ihre Zigarren an und begannen vom Eintritt der Regenzeit und den Aussichten auf ein Steigen der Weizenpreise zu reden. Broderson suchte mittels einer verwickelten Kopfrechnung das genaue Datum seines Besuches in Ukiah festzustellen, und Osterman machte Taschenspielerkunststücke mit Brotpillen. Prinzeß Natalie, die Angorakatze, schien sich unbehaglich zu fühlen. Annixter saß nämlich auf dem Stuhle, auf dem sie allabendlich zu schlafen gewohnt war. Sie konnte daher nicht zur Ruhe kommen und blickte Annixter fortwährend an, wobei sie jede seiner Bewegungen mit ihren funkelnden, gelben und wie Bernstein klaren Augen beobachtete. Magnus, der heut an dem Ehrenplatz der Hausfrau saß, rückte jetzt seinen Stuhl wieder an den Tisch heran und begann mit der ihm eignen, würdevollen Haltung: »Meine Herren, ich habe einen wegen des Getreidefrachttarifs gegen die Eisenbahn geführten Prozeß verloren. Ulsteen hat gegen mich entschieden; außerdem ist mir ein Gerücht zu Ohren gekommen; daß die Frachtsätze für Getreide erhöht werden sollen.«
Als Magnus geendet hatte, herrschte vollständige Stille, und jeder der Anwesenden verharrte einen Augenblick in der Haltung gespannter Aufmerksamkeit. Harran sprach zuerst.
»S. Behrman hat die ganze Geschichte manipuliert. Es liegt was in der Luft. Irgendein großer Schlag wird vorbereitet. Wir alle wissen, wer dahinter steckt: S. Behrman natürlich – aber wer steckt hinter ihm? Das ist Shelgrim!«
Shelgrim! Wie eine Bombe fiel der Name in die Gesellschaft. Mit seiner Nennung verband sich sofort der Gedanke an eine furchtbare Macht, die riesengroß, von zermalmender Kraft, düster und drohend wie das unerbittliche Schicksal über jedem schwebte, der in ihr ungeheures Bereich kam. Den Anwesenden sagte dieser Name nichts Neues. Wußte doch jedermann im County, im Staate, im weiten Westen, ja selbst in der gesamten Union, was er bedeutete: eine Riesengestalt unter den Geldgrößen des zu Ende gehenden Jahrhunderts, das ebenso eigenartige wie unvermeidliche Ergebnis zusammenwirkender Umstände, ein Mensch von seine Zeit kennzeichnendem Gepräge, ein Sinnbild unbändiger, zügelloser Gewalten. In der Welt des Geldes und der Geschäfte, wie sie die neueste Zeit gestaltet hatte, in der Neuordnung des Kapitals, der Verschmelzung von den Weltmarkt beherrschenden Mächten und der Gründung neuer, gewaltiger Unternehmen zog er, wie kein andrer, aller Augen auf sich; niemand war mehr gehaßt und gefürchtet, niemand erzwang sich in gleich hohem Grade die widerwillige Bewunderung seines alle überragenden Genies, seines gewaltigen, einen ganzen Kontinent beherrschenden Intellekts wie der Präsident der Pacific- und Südwesteisenbahn.
»Ich glaube annehmen zu dürfen, daß er den Schlag noch nicht geführt hat,« sagte Magnus.
»Dann müssen wir dem Schlage ausweichen, bevor er fällt,« rief Osterman.
»Den Schlag noch nicht geführt!« Ueberlaut lachte Annixter auf. »Gewiß hat er das schon längst getan, ohne daß wir's gemerkt haben.«
»Jedenfalls ist es kaum wahrscheinlich,« sagte Magnus, ohne die Aeußerung Annixters zu beachten, »daß dieser Schlag – oder was es immer sein mag – bereits eine vollendete Tatsache ist. Wenn wir schnell handeln, so dürften wir noch eine Chance haben.«
»Schnell handeln! Wie denn?« fragte Annixter. »Mein Gott, was können wir denn machen? Uns ist der Sattelgurt schon festgezogen. Die ganze Sache kommt darauf hinaus: Wir können gegen die Bahn nicht bocken. Wir haben's versucht und wieder versucht – jedesmal ist's uns schlecht bekommen. Sie selber, Derrick, haben eben Ihren Prozeß verloren. S. Behrman war Ihnen über. Shelgrim macht mit den Gerichten, was er will. Solche Leute wie Ulsteen hat er in der Tasche. Er hat den Gouverneur unsers Staates in der Tasche. Er kann jeden Augenblick 'ne Million Dollar an die Lobby Lobby ist der Vorsaal des gesetzgebenden Körpers. Dort halten sich die lobbyists auf – Leute, die ein Gewerbe daraus machen, die Gesetzgeber zu beeinflussen. wenden, wenn die Legislatur in Sacramento tagt; er hat seine Leute im Senat der Vereinigten Staaten. Wie ein Armeekorps hat er die ganze Bande organisiert. Was wollen Sie denn machen? Er sitzt in seiner Office in San Francisco und zieht die Fäden, und wir müssen tanzen.«
»Aber – ja – aber,« wandte Broderson ein, »da ist doch die Verkehrskommission zwischen Staat und Staat. Den Tarif für lange Fracht könnte sie wenigstens – –«
»Ah, jawohl, die Verkehrskommission zwischen Staat und Staat,« rief Annixter spöttisch, »das ist was Großes, wie? Das größte Marionettentheater auf der Welt! Beinahe so gut wie die Eisenbahnkommission. Niemals hat's 'ne kalifornische Eisenbahnkommission gegeben, und nie wird's eine geben, die nicht im Solde der Pacific- und Südwesteisenbahn stünde.«
»Trotzdem ist die Eisenbahnkommission diejenige Körperschaft, an die sich die Bevölkerung des Staates wegen Vertretung ihrer Interessen wenden muß,« bemerkte Magnus. »Auf sie setzen wir unsre einzige Hoffnung. Man wähle Männer in die Kommission, die es mit dem Volke ehrlich meinen, und das ganze System exorbitanter Frachtsätze muß zusammenfallen.«
»Warum können wir denn nicht unsre eigne Eisenbahnkommission haben?« fragte plötzlich Osterman.
»Weil das nicht zu machen ist,« entgegnete Annixter. »Sie können nicht gegen die Eisenbahn bocken – das sag' ich immer wieder –, und wenn Sie's auch fertig brächten, so können Sie nicht die Farmer im San Joaquin-Tale organisieren. Einmal haben wir's probiert und haben uns den Magen gründlich dran verdorben. Die Bahn kaufte in aller Ruhe durch S. Behrman Delegierte und setzte uns schachmatt.«
»Nun, das ist auch der richtige Schachzug für uns,« erklärte Osterman mit großer Entschiedenheit. »Delegierte müssen wir kaufen.«
»'s ist der einzige Zug, der eine Gewinnchance hat,« gab der in trübes Sinnen versunkene Harran zu.
»Oder der mal gewinnen wird,« rief Osterman, dessen sich eine plötzliche Erregung zu bemächtigen schien. Sein Komikergesicht mit dem großen Schlitz von Mund und den steif abstehenden Ohren wurde mit einem Male dunkelrot. »Unsre Lage wird verzweifelt,« schrie er. »Wir haben uns unsrer Haut gewehrt, uns vor den Gerichten 'rumgestritten, wir haben's mit der Agitation versucht, und S. Behrman hat uns jedesmal untergekriegt. Und jetzt sind Aussichten für eine gute Ernte da. Seit zwei Jahren ist kein Regen gefallen, und der Boden hat sich lange ausruhen können. Haben wir diesen Winter Regen, so wird das ein Bonanzajahr bonanza, spanisch = Reichtum, Glück, figürlich Goldgrube.. Und grade jetzt, wo wir mal 'ne Chance haben sollen – 'ne Chance, unsre Hypotheken abzuzahlen, aus den Schulden 'rauszukommen und was vor uns zu bringen –, gerade jetzt, in diesem Augenblick, trifft Shelgrim Anstalten, uns den Hals zuzuschnüren und die Frachten heraufzusetzen. Und jetzt sind auch die Parteiversammlungen im Gange, und eine neue Eisenbahnkommission kommt ins Amt. Darum hat Shelgrim sich diesen Zeitpunkt für seinen Coup gewählt. Warten wir, bis er ihn ausgeführt hat, so sind wir geliefert, das ist klar. Ich sag' Ihnen, wir sind in einer bösen Lage, wenn wir nicht die Augen aufbehalten. 's ist eine verzweifelte Situation! Magnus hat eben gesagt, daß die Eisenbahnkommission der Schlüssel zu der ganzen Geschichte ist. Warum können wir also nicht unsre eigne Eisenbahnkommission haben? Wie wir sie kriegen, ist egal – die Hauptsache ist, daß wir sie kriegen. Muß sie gekauft werden, so woll'n wir sie kaufen und unsre Leute 'reinsetzen und ihnen einfach diktieren, wie der Tarif sein soll. Sagen wir, die Sache kostet hunderttausend Dollars. Schön, wir kriegen mehr wie das durch die billigen Frachten wieder 'rein.«
»Herr Osterman,« sagte Magnus, den Sprecher mit einem kurzen, scharfen Blicke messend, »Sie schlagen uns einen Plan systematischer Bestechung vor!«
»Einen Plan systematischer Bestechung,« wiederholte Osterman, »schlage ich vor. So ist es.«
»Ein verrückter, abenteuerlicher Plan ist's überdies,« sagte Annixter grob. »Nehmen wir schon mal an, Sie kaufen eine Eisenbahnkommission und setzen den niedrigen Frachttarif durch – was geschieht? Die Pacific- und Südwestbande erwirkt ein gerichtliches Verbot – da sind Ihnen die Hände gebunden.«
»Da binden die sich aber auch die Hände. Der Betrieb zu niedrigen Frachtpreisen ist immer noch besser wie der aufgehobene Betrieb. Der Weizen muß doch fortgeschafft werden.«
»Ach, Blödsinn!« rief Annixter. »Werden Sie denn nie gescheit werden? Wissen Sie denn nicht, daß billige Frachten den Liverpooler Käufern zugute kommen und nicht uns? Kann es nicht in Sie eingetrichtert werden, daß Sie gegen die Eisenbahn nicht bocken können? Wenn Sie die Kommission zu kaufen versuchen, sehen Sie da nicht, daß Sie gegen die Bahn bieten müssen, gegen eine Korporation, die Millionen gegen unsre Tausende ausschaufeln kann? Denken Sie, daß Sie imstande sind, gegen die Pacific- und Südwesteisenbahn zu bieten?«
»Die Bahn braucht doch nicht zu erfahren, daß wir die Hand im Spiel haben, ehe unsre Leute im Amte sind.«
»Und wenn sie im Amte sind, wer kann dann die Bahn hindern, sie über unsre Köpfe weg zu kaufen?«
»Wenn wir die richtigen Leute bekommen, so können sie nicht in dieser Weise von der Bahn gekauft werden,« warf Harran ein. »Ich weiß nicht, aber es scheint was dran zu sein, was Osterman sagt. Wenn wir die Kommissionsmitglieder wählen können, so werden wir eben ehrliche Männer wählen.«
Annixter schlug in heller Verzweiflung mit der Faust auf den Tisch.
»Ehrliche Männer!« schrie er. »Männer, die sich zu so was hergeben, können doch zunächst nicht ehrlich sein.«
Broderson, der unruhig auf seinem Sitze herumrückte und sich verlegen mit den Fingern durch den Bart fuhr, sagte jetzt: »Die Kommission – unsre Kommission hat die Chance, sich an Shelgrim zu verkaufen gegen die Gewißheit, daß er uns unterkriegt. Das ist,« beeilte er sich hinzuzufügen, »beinahe 'ne Gewißheit – es kommt 'ner Gewißheit ziemlich nahe.«
»Natürlich, die Chance wäre da,« rief Osterman aus. »Aber wir sind zu dem Punkt gekommen, wo wir solche Chancen nehmen müssen, wo wir einen großen Einsatz riskieren müssen auf die Möglichkeit eines großen Gewinnes hin – und ein Risiko ist doch besser wie die unabwendbare totale Niederlage.«
»Ich kann mich zur Teilnahme an einem offen eingestandenen Plane systematischer Bestechung und Korruption nicht verstehen,« erklärte Magnus in strengem Tone. »Ich bin überrascht, Herr Osterman, daß Sie etwas derartiges in meiner Gegenwart vorbringen.«
»Es ist überhaupt nicht zu machen,« rief Annixter.
»Ich weiß nicht,« murmelte Harran, »vielleicht ist nur so ein kleiner Funke nötig, um die ganze Mine zum Platzen zu bringen.«
Ueberrascht blickte Magnus nach Harran hin. Er hatte das nicht von dem Sohne erwartet. Seine Liebe für Harran war aber so groß, und er war derartig gewöhnt, auf den Rat des Sohnes zu hören und seinen Ansichten Gewicht beizulegen, daß er, nachdem die erste Ueberraschung und Enttäuschung überwunden war, doch glaubte, dem von ihm als eine Zumutung empfundenen Vorschlage einige Beachtung schenken zu müssen. Nicht als ob er ihn irgendwie gebilligt hätte; er war jeden Augenblick bereit, seine Stimme zu erheben und diesen Plan ebenso wie Osterman, seinen Urheber, aufs schärfste zu verurteilen. Als Gaunerei verächtlichster Art erschien ihm diese Handlungsweise; er war überzeugt, daß die Politiker und Staatsmänner der alten Schule, der anzugehören er stolz war, etwas derartiges nicht kannten. Da aber Harran, wenn auch nur für einen Augenblick, die Sache beachtenswert fand, so wollte der Vater, der seinem Sohne unbedingt vertraute, dasselbe tun – schon deshalb, um dem Plan entgegenzutreten und ihn bereits im Entstehen zu vereiteln. Und jetzt begann eine lebhafte Erörterung des Für und Wider. Vermittels seines Wortschwalls, seiner mit schneidender, eindringlicher Stimme und beweglicher Zunge immer wieder vorgebrachten glaubhaft klingenden Behauptungen und Versicherungen und nicht minder durch die Gewandtheit, mit der er sich, in die Enge getrieben, immer wieder aus der Schlinge zog, gelang es Osterman, den alten Broderson vollkommen für seinen Plan zu gewinnen. Der geschickte, witzige Schwätzer verwirrte den Alten durch seinen in allen Farben schillernden Wortschwall und versetzte ihn durch heraufbeschworene Bilder naher drohender Gefahr und schnell hereinbrechenden Ruins in Angst und Schrecken.
Der streitlustige Annixter, der gegen Osterman sprach, vermochte ihm nichts anzuhaben und verstand es nicht, die eigne Ansicht beweiskräftig zu vertreten. Er nannte Osterman einen Dummkopf, einen Ziegenbock, einen verrückten Esel, ohne jedoch imstande zu sein, zwingende Gründe gegen ihn vorzubringen. Es war, als ob er seinen Gegner dadurch zu widerlegen suchte, daß er ihm Ziegelstücke an den Kopf warf. Grundsätzlich bestritt er alles, was Osterman sagte, stellte einander durchaus widersprechende Behauptungen auf und konnte, wenn Osterman und Harran diese gegen ihn gebrauchten, immer nur ausrufen: »Ja, manchmal ist's so, und dann ist's mal wieder nicht so!«
Mit einem Male kam Osterman auf einen Gedanken, mit dem er seinen Ansichten Geltung zu verschaffen glaubte. »Wenn wir der Bahn das Spiel verderben,« rief er, »so haben wir den alten Wackelwanst da, wo wir ihn haben wollen.«
»Das ist der Mann,« rief jetzt auch Harran, »der uns jedesmal unterkriegt. Wenn's 'ne schmutzige Arbeit gibt, mit der die Bahn nichts zu tun haben will, so besorgt das S. Behrman. Wenn der Frachttarif ›reguliert‹ werden soll, um noch etwas mehr aus uns 'rauszuquetschen, so bestimmt S. Behrman, wieviel wir grade noch aushalten können. Muß ein Richter gekauft werden – S. Behrman macht das Geschäft. Ist 'ne Jury zu bestechen – das Geld dazu geht durch S. Behrmans Hände. Soll 'ne Wahl manipuliert werden, so besorgt das S. Behrman. In allem hat Behrman seine Finger stecken, 's ist Behrman, an dem wir uns den Kopf einrennen, wenn wir uns rühren, 's ist Behrman, der uns im Schraubstock hat und uns nicht losläßt, ehe er uns bis auf die Knochen ausgequetscht hat. Wahrhaftig! wenn ich dran denke, so wundere ich mich immer, daß ich meine Hände von dem Mann halten kann.«
Osterman sprang von seinem Sitze auf; sich halb über den Tisch lehnend, fuchtelte er wild mit den Händen umher. Sein Clowngesicht mit der Glatze darüber und den steif abstehenden roten Ohren wurde purpurrot vor Erregung. Er hatte jetzt das Wort; seine laute, eindringliche Art zu reden und sich wie ein für die Galerie spielender Schauspieler zu gebärden, machte Eindruck und fesselte die Aufmerksamkeit seiner Hörer.
»Ich sage Ihnen, jetzt ist die Gelegenheit, abzurechnen,« donnerte er. »Jetzt oder nie! Sie können diese Gelegenheit ergreifen und sich und ganz Kalifornien vom Untergange retten oder sie vorbeigehen lassen und dann auf Ihren Ranchos vermodern. Buck, ich kenne Sie! Sie fürchten sich vor dem Teufel nicht. Ich weiß, daß Sie ein schneidiger Kerl durch und durch sind, und ich weiß, daß Sie nicht zurückbleiben werden, wenn ich Ihnen zeige, wie wir unser Spiel gewinnen und unsre eigne Kommission ins Amt kriegen können. Governor, Sie sind ein tapferer Mann! Sie kennen den Vorteil schnellen und furchtlosen Handelns. Sie sind keiner, der sich fürchtet, was zu riskieren. Um hohe Einsätze zu spielen, ein ganzes Vermögen auf eine Karte zu setzen – das ist Ihr Fall. Nicht umsonst sind Sie in den Ruf gekommen, der kühnste Pokerspieler von El Dorado County zu sein. Und jetzt können Sie die höchste Partie spielen, die sich Ihnen je geboten hat. Wenn wir wie Männer mit Murr im Leibe forsch drauflosgehen, so werden wir gewinnen. Zögern wir, so sind wir verloren.«
»Ich glaube nicht, Osterman, daß Sie was für Ihre Narrenspossen können,« sagte jetzt Annixter, »aber was denken Sie sich eigentlich? Was sollen wir Ihrer Ansicht nach tun? Ich sage nicht,« fügte er schnell hinzu, »daß mich Ihr Geschwätz irgendwie überzeugt hat. Ich weiß so gut wie Sie, daß wir in 'nem Loche stecken. Aber ich wußte das, ehe ich heut abend hierherkam. Sie haben mich von meiner Ueberzeugung nicht im geringsten abbringen können. Aber was schlagen Sie nun vor? Lassen Sie hören!«
»Also, ich meine, wir müssen uns zunächst an Disbrow 'ranmachen. Er ist der politische Boß boss= Führer einer politischen Clique. der Denver-, Pueblo- und Mojave-Bahn. Mit der politischen Maschinerie müssen wir Fühlung gewinnen, und grade deshalb möchte ich Magnus für uns gewinnen. Auf Politik versteht er sich besser wie irgend einer von uns, und wenn wir nicht wieder den kürzeren ziehen sollen, so müssen wir jemand haben, der es versteht, uns zu dirigieren.«
»Die einzige Politik, auf die ich mich verstehe, Herr Osterman,« entgegnete Magnus streng, »ist eine ehrliche Politik. Sie werden anderswo nach Ihrem politischen Führer suchen müssen. Ich lehne jede Beteiligung rundweg ab. Wenn die Eisenbahnkommission auf streng gesetzlichem Wege ernannt werden, wenn Ihr Abkommen ohne Bestechung getroffen werden kann, so stehe ich Ihnen bis zum letzten Jota meiner Fähigkeiten zur Verfügung.«
»Sie können das, was Sie wollen, nicht bekommen, ohne dafür zu zahlen,« widersprach Annixter.
Broderson wollte eben sprechen, aber Osterman trat ihm auf den Fuß. Er selbst schwieg. Der Schlaukopf war plötzlich auf die Idee gekommen, daß, wenn es gelänge, Magnus und Annixter in eine Auseinandersetzung zu verwickeln, der streitsüchtige Annixter schon aus Neigung zum Widerspruch die Ansicht des Governors bekämpfen und damit zugleich, ohne sich dessen im Augenblicke bewußt zu werden, den Plan Ostermans gutheißen würde.
Das geschah auch tatsächlich. Nach wenigen Augenblicken schon wetterte Annixter drauflos. Er erklärte, daß er, wenn es nicht anders ginge, bereit sei, die ganze Ernte von Quien Sabe zu verpfänden, nur um »S. Behrman in die Luft zu sprengen«. Er hielt es nicht für schwierig, die Wählerversammlung behufs Aufstellung von zwei Kandidaten für die Eisenbahnkommission zu beeinflussen. Mehr als zwei wären gar nicht nötig. Die Sache würde natürlich Geld kosten. Für nichts bekäme man nichts. Ein gut Teil mehr würde es ihnen kosten, wenn sie wie Dummköpfe auf 'nem Klotz säßen und mit Murmeln spielten, während Shelgrim ihnen den Boden unter den Füßen unterminierte. Und dann käme noch was andres hinzu. Der P. und S. W. ginge es jetzt gerade recht knapp. Die beiden letzten schlechten Weizenernten im ganzen Staate hätten die Bahn auch in Mitleidenschaft gezogen. Auf allen ihren Linien beschnitte sie die Ausgaben. Hatte sie nicht eben die Gehälter in allen Branchen herabgesetzt? Dykes Fall bewiese das doch. Die Bahn handle auch nicht immer als Einheit. Es wäre immer eine Partei vorhanden, die gegen zu große Ausgaben opponiere. Er möchte wetten, daß diese Partei gerade jetzt besonders stark wäre. Und er hätte es satt, von S. Behrman getreten zu werden. Hätte dieser Pips sich doch heut auf seiner Ranch eingefunden, um ihn mit unverschämten Zumutungen wegen seines eignen Grenzzaunes zu behelligen. Nächstens würde S. Behrman ihm vorschreiben, wie er sich kleiden sollte. Harran hätte recht. Jemand müßte in die Luft gesprengt werden, und es fiele ihm – Annixter – nicht ein, sich selbst dazu herzugeben.
»Jetzt reden Sie etwas halbwegs Vernünftiges,« sagte Osterman. »Ich dachte mir wohl, daß Sie zu dieser Ansicht kommen würden, wenn Ihnen erst mal meine Idee einleuchtete.«
»Ihre Idee, Ihre Idee!« eiferte Annixter. »Wahrhaftig, ich habe diese Idee schon über drei Jahre gehabt.«
»Was ist's mit Disbrow?« fragte Harran, der sich beeilte, die beiden zu unterbrechen. »Warum müssen wir uns an den 'ranmachen?«
»Disbrow ist der politische Boß für die Denver-, Pueblo- und Mojave-Bahn,« antwortete Osterman, »und die Sache liegt so: Die Mojave-Bahn geht gar nicht durchs San Joaquin Tal. Ihr Endpunkt ist weit südlich von uns, und sie kümmert sich nicht im geringsten um die Frachtsätze für Weizen hier im San Joaquin. Ihr ist's egal, wie eisenbahnfeindlich die Kommission ist, weil die Entscheidungen der Kommission ihr nichts schaden. Aber sie teilt den Verkehr im Süden des Staates mit der P. und S. W. und hat ziemlich viel Einfluß auf diese Bahn. Ich will die Mojave-Bahn durch Disbrow dazu bringen, daß sie der P. und S. W. ein uns genehmes Kommissionsmitglied empfiehlt, und daß dann die P. und S. W. den Betreffenden als ihren Mann aufstellt.«
»Und wer wäre das?«
»Darrell von Los Angeles – kennen Sie ihn nicht?«
»Darrell ist keiner von Disbrows Freunden,« sagte Annixter. »Weshalb sollte sich also Disbrow für ihn interessieren?«
»Wird er, wird er!« rief Osterman. »Das soll sich schon für ihn lohnen. Wir gehen zu ihm und sagen: ›Herr Disbrow, Sie besorgen die politischen Angelegenheiten der Mojave-Bahn, und was Sie sagen, hat bei Ihrer Direktion Gewicht. Wir möchten, daß Sie unsern Kandidaten für die Eisenbahnkommission, den wir im dritten Bezirk aufstellen, unter Ihre Fittiche nehmen. Wieviel verlangen Sie dafür?‹ Ich weiß bestimmt, wir können Disbrow kaufen. Auf diese Weise bekommen wir ein Kommissionsmitglied. Da brauchen wir uns nicht mehr drum zu sorgen. Im ersten Bezirk rühren wir uns absolut nicht. Wir lassen die Macher der P. und S. W. aufstellen, wen sie wollen. Aber dann müssen wir alle unsre Kräfte zusammennehmen, um unsern Mann im zweiten Bezirk durchzubringen. Da wird der große Entscheidungskampf geführt werden müssen.«
»Ich verstehe Sie vollständig, Herr Osterman,« begann jetzt Magnus, »einem Irrtum hinsichtlich meiner Auffassung dürfen Sie sich aber nicht hingeben. Auf mich können Sie bei diesem Unternehmen in keiner Weise rechnen.«
»Nun, angenommen wir gewinnen,« polterte Annixter, der bereits fest entschlossen war, sich an der Sache zu beteiligen, »angenommen wir gewinnen und setzen den niedrigen Frachttarif für Getreide durch. Wie ist's dann mit Ihnen? Brauchen wir dann auch nicht auf Sie zu rechnen? Sie profitieren dann an den niedrigeren Frachtsätzen, ohne das Risiko zu teilen, dem wir uns aussetzen. O nein, und die Kosten auch nicht. Pah, Sie wollen sich die Finger nicht damit schmutzig machen, daß Sie uns die Sache durchdrücken helfen, o nein! Aber wenn Ihnen dann der Profit zugute kommt, da werden Sie nicht so verdammt peinlich sein, wie?«
Sofort erhob sich Magnus zu seiner vollen Höhe; die Nüstern seiner schmalen Adlernase zitterten, und sein glattrasiertes Gesicht wurde bleich.
»Kein Wort mehr, Herr!« rief er aus. »Sie vergessen sich, Herr Annixter! Ich bitte, sich zu merken, daß ich eine Sprache von der Art, die Sie sich eben erlaubten, von niemand hinnehme, selbst von meinem Gast nicht. Ich muß Sie ersuchen, sich zu entschuldigen.«
Im Augenblick beherrschte er die ganze Gesellschaft und flößte ihr eine aus ebensoviel Bewunderung wie Furcht gemischte Hochachtung ein. Wie pflichtvergessene Schulknaben, die Scham und Verwirrung sprachlos macht, duckten sich diese Männer vor ihm. Ihr verlegenes Schweigen zeigte ihn als den Herrn und Meister, der Zucht und Ordnung hält; das Gebäude von Lug und Trug, das so schnell unter ihren Händen entstanden war, wankte in seinen Grundmauern. Derricks Zornausbruch war die letzte Verwahrung, die letzte Anklage der alten Schule gegen die neue Ordnung der Dinge; der Staatsmann bekämpfte den Politiker. Ehrliche Geradheit und unerschütterliche Lauterkeit der Gesinnung siegte hier zum letzten Male über vom Recht abweichende Winkelzüge, Niedrigkeit des Denkens und die schmähliche Selbstsucht einer im Kerne faulen, verderbten Gesellschaft.
Das verlegene Schweigen wurde von Annixter gebrochen, der unruhig in seinem Stuhl sich räkelnd murmelte: »Ich redete in augenblicklicher Gereiztheit. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir meine Worte als ungesprochen ansehen. Ich weiß wirklich nicht, was aus uns werden soll – mir scheint fast, wir werden unser Geschäft aufgeben müssen.«
»Ich kann Magnus' Standpunkt vollkommen begreifen,« begann Osterman wieder. »Er braucht nicht mit uns zu gehen, wenn es gegen sein Gewissen ist. Das ist ganz in Ordnung. Magnus mag sich fernhalten, wenn er will; das wird uns aber nicht verhindern, vorzugehen und zu sehen, was sich machen läßt. Ich möchte nur noch das eine sagen.« Sich von neuem an Magnus wendend, fuhr er höchst ernsthaft und anscheinend aus voller Ueberzeugung redend fort: »Ich habe es von vornherein nicht verhehlt, Governor, daß die Sache auf Bestechung hinausläuft. Aber Sie brauchen nicht zu glauben, daß mir dergleichen persönlich sympathisch ist. Gäbe es irgendein Mittel, auf gesetzmäßigem Wege zum Ziele zu kommen, das wir noch nicht versucht haben, und möchte es noch so aussichtslos sein, so würde ich's versuchen. Aber es gibt keins. Es ist buchstäblich und unumstößlich wahr, daß nichts unversucht gelassen wurde, unser Ziel auf gesetzmäßige Weise zu erreichen. Shelgrim schnürt uns die Kehle zu. Die Getreidefrachten steigen, und anderseits sinkt der Weizenpreis fortwährend. Wenn wir nicht irgend etwas tun, so sind wir ruiniert.«
Osterman machte eine Kunstpause. Nachdem er gerade die richtige Anzahl von Sekunden hatte verstreichen lassen, redete er mit veränderter und leiserer Stimme weiter:
»Ich achte die Grundsätze des Governors. Ich bewundere sie.« Zum Schluß wandte er sich wieder direkt an Magnus: »Ich möchte Sie nur bitten, verehrter Herr, sich selbst zu fragen, ob man in einer derartigen Krisis an das eigne Ich denken, ob man in so verzweifelter Lage rein persönliche Motive berücksichtigen darf? Wir wollen, daß Sie sich uns anschließen, Governor; vielleicht nicht offen, wenn Sie das nicht wünschen, aber wenigstens stillschweigend. Ich will Sie heut abend um keine entscheidende Antwort bitten, aber das eine erbitte ich von Ihnen: Würdigen Sie die Angelegenheit Ihrer Beachtung und denken Sie reiflich darüber nach. Wollen Sie das?«
Osterman hörte jetzt auf zu reden. Sich über den Tisch beugend, sah er Magnus voll ins Gesicht. Niemand sprach. Draußen fiel der Regen ununterbrochen mit einförmigem, gleichmäßigem Geräusch. Stumm und ohne sich zu rühren blickten die Männer unverwandt auf Magnus, der nachdenklich vor sich hin auf die Tischplatte starrte. Und jetzt hob er den Kopf und ließ seinen Blick im Kreise wandern. Die hier Versammelten waren doch schließlich seine Nachbarn, seine Freunde, zu denen er in engen persönlichen Beziehungen stand. Sein prüfender Blick maß einen nach dem andern. Zunächst den ungeschliffenen, mürrischen Annixter, der linkisch und unbehaglich auf seinem Stuhl hockte; sein unschönes Gesicht mit der weit vorgeschobenen Unterlippe und dem breiten, gespaltenen Kinn war vor Erregung gerötet, und ein Büschel des wirren, strohfarbenen Haares stand starr vom Wirbel empor wie die Feder in der Skalplocke eines Indianers. Broderson kam dann an die Reihe; unruhig und verängstigt kraute der alte Mann wie geistesabwesend seinen langen Bart. Auf ihn folgte Osterman mit dem an einen Tingeltangelsänger erinnernden Gesicht, das durch seine Glatze und die großen roten Ohren so komisch wirkte; unbefangen lehnte er in seinem Stuhle und zog derart an den Fingergelenken, daß sie knackten. Zuletzt blickte Magnus auf den dicht neben ihm sitzenden Harran, seinen jugendfrischen, furchtlosen, vielversprechenden Sohn, seine Stütze, seinen vertrauten Genossen, der ihm so ähnlich war und von ihm die aufrechte, stolze Haltung, die schmale Adlernase und das blonde Haar hatte, das die Neigung zeigte, sich an den Schläfen nach vorn zu kräuseln. In seinen blauen Augen, die fest und unverwandt dem Blick des Vaters begegneten, glaubte Magnus etwas wie eine Bitte zu lesen. Deutlicher noch konnte er diesen Ausdruck in den Augen der Genossen sehen. Die erblickten in ihm ihren natürlichen, berufenen Führer, der ihnen den Weg aus bittrer Not und Bedrängnis zeigen sollte, und er wiederum sah in den Männern, die heut in der ersten Regennacht dieses Herbstes an seinem Tisch saßen, die Vertreter all der weizenbauenden Ranchbesitzer und Farmer des weiten San Joaquin-Tales. Ihre Worte waren die Worte eines ganzen Gemeinwesens, ihre Not die Not des gesamten Staates, dessen Bürger bis aufs äußerste gepeinigt, an die Wand gedrückt, vergewaltigt, ausgebeutet und zur Verzweiflung getrieben wurden.
»Ich werde darüber nachdenken,« sagte Magnus. »Doch kann ich Ihnen schon im voraus sagen, daß Sie von mir nichts andres als eine Weigerung erwarten können.«
Ein langes Schweigen folgte seinen Worten. Die Beratung schien für heute abend beendigt zu sein. Presley zündete eine frische Zigarette an dem Stumpf der eben gerauchten an; Prinzeß Natalie, die Katze, war durch die damit verbundene Bewegung und ein Rauchwölkchen, das ihr in die Nase gekommen war, von seinem Schoß aufgestört worden. Sie schlich hinüber zu Annixter und rieb sich, den Schwanz hoch nach oben gestreckt und den Rücken leicht gekrümmt, an seinen Füßen. Die Katze mochte wohl glauben, daß die Zeit zur Nachtruhe gekommen sei; da Annixter keine Miene machte, den Stuhl zu räumen, so wählte sie dieses Mittel, um ihn durch Schmeichelei dazu zu veranlassen. Der aber verabscheute solche Zärtlichkeiten und verstand zudem nicht, was das Tier wollte.
»Marsch, fort!« rief er und zog seine Füße zu der die vorderen Stuhlbeine verbindenden Sprosse empor. »Gott soll mir helfen, aber ich hasse Katzen!«
»Apropos,« bemerkte Osterman, »ich begegnete Genslinger an der Zaunpforte, als ich herkam. Ist er hier gewesen?«
»Gewiß, er war hier,« antwortete Harran, »und –« Annixter fiel ihm jedoch ins Wort: »Er sagt, es wäre die Rede davon, daß die Bahn uns diesen Winter ihre Sektionen verkaufen will.«
»O, das sagte er, sagte er das?« rief Osterman, dessen Aufmerksamkeit sofort erregt wurde. »Woher weiß er denn das?«
»Woher erhält eine im Solde der Bahn stehende Zeitung ihre Neuigkeiten? Ich dächte doch von der Generaldirektion.«
»Ich hoffe, er hat's nicht direkt aus dem Hauptquartier, daß der Preis auf zwanzig Dollar für den Acker festgesetzt werden soll,« murmelte Broderson.
»Was? Wieso?« fragte Osterman. »Zwanzig Dollar! Will mich nicht jemand orientieren? Was soll das heißen? Was hat Genslinger gesagt?«
»O, lassen Sie sich doch nicht ins Bockshorn jagen!« erwiderte Annixter. »Genslinger hat keine Ahnung von irgendwas. Er kennt nicht mal die Vereinbarung, daß der Landpreis nicht erhöht werden soll, sobald die P. und S. W. sich entschließt, an uns zu verkaufen.«
»O,« murmelte Osterman erleichtert. Magnus, der hinüber nach der Office auf der andern Seite des glasüberdachten Vorraums gegangen war, kehrte mit einem langen gelben Briefumschlag in der Hand zurück, der mit Zeitungsausschnitten und dünnen, enggedruckten Flugschriften vollgestopft war. »Hier ist das Zirkular,« sagte er und zog eine der Druckschriften aus dem Umschlag. »Die Bedingungen, zu deren Innehaltung sich die Bahn den Ansiedlern gegenüber verpflichtet, sind durchaus klar.« Rasch überblickte Magnus einige Seiten und las dann vor:
»›Die Gesellschaft ladet Ansiedler ein, sich auf ihren Ländereien niederzulassen, noch ehe Besitztitel von der Regierung ausgestellt sind, und bevor der Bahnbau vollendet ist. In jedem dieser Fälle wird die Gesellschaft beim Verkauf den ersten Ansiedlern vor andern Bietern den Vorzug geben und dabei einen Preis stellen, dem der Wert des Landes ohne Verbesserungen zugrunde liegt,‹ – und hier auf der andern Seite,« unterbrach er sich, »kommen sie wieder darauf zurück: ›Bei der Wertbemessung des Landes sollen Verbesserungen, die ein Ansiedler oder sonst jemand gemacht hat, nicht in Betracht gezogen werden, und findet demzufolge auch keine Preiserhöhung statt ... Die Ansiedler erhalten auf diese Weise neben dem Vorkaufsrecht zu dem festgesetzten Preise auch die Gewähr für die von ihnen gemachten Verbesserungen.‹ – Und hier,« erläuterte er, »in Absatz neun heißt es: ›Der Wert ist nicht ein gleichmäßiger. Das Land wird zu verschiedenen Preisen von 2,5 Dollar an aufwärts pro Acker angeboten. Für mit hochstämmigem Wald bestandenes Land wird im allgemeinen 5 Dollar, für solches mit als Bauholz verwendbarem Nadelholz 10 Dollar verlangt werden. Der größte Teil des Landes ist zu 2,5 Dollar und 5 Dollar verkäuflich.‹«
»Wenn man sich das genau durchliest,« äußerte der alte Broderson in seiner zaghaften Weise, »so – so klingt's nicht so sehr sicher. Das meiste ist zu 2,50 Dollar per Acker verkäuflich, wird darin gesagt. Das heißt nicht ›alles‹, es heißt nur ›ein Teil davon‹. Ich wünschte jetzt, ich hätte damals einen besser gepanzerten Vertrag mit der P. und S. W. gemacht, als ich ihre Sektionen auf meiner Ranch übernahm, und – und Genslinger ist in der Lage, die Absichten der Bahn zu kennen. Er – hat wenigstens immer Fühlung mit ihr. Das haben alle Zeitungsleute. Ich meine solche, die von der Generaldirektion subventioniert sind. Aber vielleicht ist Genslinger gar nicht subventioniert. Ich weiß es nicht. Ich kann's nicht sicher sagen. Mag sein – vielleicht –«
»O, Sie wissen's nicht und dann wollen Sie's mal wieder wissen, und mag sein und vielleicht, und Sie können's nicht sicher sagen,« brauste Annixter auf. »Wie ist's denn damit, daß unsre Verbesserungen keinen Einfluß auf die Normierung des Preises haben? Da ist doch wahrhaftig nichts Unklares dabei, dächt' ich! Das heißt in ebensoviel Worten, daß irgendwelche von uns gemachte Verbesserungen nicht in Betracht kommen sollen, wenn der Preis für das Land festgesetzt wird –, so ist's doch, nicht wahr? Das Land wie es ist, wird mit 2,50 Dollar per Acker bewertet; nur Land mit hochstämmigem Wald hat einen höheren Wert, und hochstämmigen Wald gibt's hier herum nicht viel.«
»Nun, eins nach dem andern,« sagte Harran. »Zunächst müssen wir unsern Einfluß bei der Urwahl und in den Wählerversammlung geltend machen und versuchen, daß wir unsre Leute in die Kommission bekommen.«
»Richtig!« bestätigte Annixter. Er stand auf und dehnte sich mit hoch nach oben gestreckten Armen. »Ich habe mir alle Luft aus den Lungen geredet,« sagte er. »Und jetzt möchte ich mich wohl auf die Strümpfe machen. Es muß beinah Mitternacht sein.«
Als nun Magnus' Gäste an die Heimkehr dachten, bemerkten sie erst, daß der Regen seit Eintritt der Dunkelheit sich an Stärke verdoppelt, ja verdreifacht hatte. Die Wege und Felder hatten sich zu wahrhaften Seen dickflüssigen Schmutzes verwandelt, außerdem war die Nacht stockfinster und durchaus nicht angetan, daß man sich ins Freie wagen konnte. Magnus bestand darauf, daß die drei Ranchbesitzer in Los Muertos übernachteten. Osterman nahm die Einladung sofort an, Annixter ließ sich aber erst nach endlosen Auseinandersetzungen dazu bereden und tat schließlich so, als ob er seinem freundlichen Wirt damit eine besondere Gunst erwiese. Broderson lehnte ab mit der Begründung, daß seine Frau, die nicht wohl wäre, ihn zurückerwartete und sich, wenn er nicht käme, zweifellos sehr beunruhigen würde. Außerdem wohnte er ja auch nicht weit von hier, an der Kreuzung der Countystraße und des Unteren Weges. Er zog einen Sack über Kopf und Schultern, nachdem er sich hartnäckig geweigert hatte, den ihm von Magnus angebotenen Regenschirm und wasserdichten Mantel zu nehmen, und eilte fort. Im Weggehen äußerte er noch, er müsse am nächsten Morgen um fünf Uhr schon auf den Beinen sein, da er keinen Vormann auf seiner Ranch habe und daher die Arbeiter selbst anstellen müsse.
»Narr!« brummte Annixter, als der Alte gegangen war. »Eine so große Ranch ohne Vormann bewirtschaften zu wollen.«
Harran wies Osterman und Annixter ihre Schlafstellen in zwei nebeneinander liegenden Zimmern an. Magnus zog sich bald darauf zurück.
Osterman fand einen Vorwand, zu Bett zu gehen; Annixter und Harran jedoch blieben noch in langem Gespräch in Harrans Zimmer zusammen, das sie mit einer Wolke blauen Tabakrauchs anfüllten. Endlich aber, nachdem sie alles durchgesprochen hatten, stand Annixter auf: »So,« sagte er, »ich gehe in die Klappe. 's ist beinah zwei Uhr.«
Er ging in sein Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Harran öffnete sein Fenster, um den Tabaksrauch hinaus zu lassen, und blickte eine Weile nach Süden hin ins Freie. Die Nacht war stockfinster, und es goß ununterbrochen. Man konnte das sprudelnde Geräusch in den Dachrinnen und das Tropfen im Laub der nahen Bäume hören; gierig und mit leise schlürfendem Geräusch trank die Erde das erquickende Naß. Während Harran noch durch das hochgezogene Schiebfenster hinausblickte, wehte ein plötzlicher Windstoß die mit dem würzigen Duft des vollgesogenen, fruchtbaren Erdreichs erfüllte laue Nachtluft in das Zimmer. Nachdem er das Fenster wieder geschlossen hatte, saß der junge Mann noch einige Minuten, den einen Schuh in der Hand, tief nachdenklich auf dem Rande seines Bettes; er überlegte, ob sein Vater sich wohl an dem heut angeregten Plane beteiligen würde, und war sich schließlich nicht klar darüber, ob er selbst diese Beteiligung wünschen sollte.
Plötzlich hörte er Lärm von Annixters Zimmer her; der unruhige Gast riß die Tür des ihm angewiesenen Zimmers auf und stieß laute Verwünschungen und Schmähungen aus, die in dem ganzen Hause widerhallten.
»O, das ist 'n Spaß, was?« zeterte er. »Auf die eine Art ist's 'n Spaß und auf die andre Art ist's wieder kein Spaß.«
Die Tür wurde zugeschlagen, daß alle Fenster in ihren Rahmen zitterten.
Harran eilte ins Speisezimmer und stieß dort auf Presley und seinen Vater, die ebenfalls von Annixters Lärm aufgeschreckt waren. Osterman war auch da; sein kahler Kopf glänzte im Licht der Lampe, die Magnus in der Hand hielt, wie eine polierte Elfenbeinkugel.
»Was ist denn los?« fragte Osterman. »Was in aller Welt hat denn nur Buck?«
Von Annixters Tür her drang wirrer, wüster Lärm. Man hörte ein langes, zorniges Selbstgespräch, das von lauten Wutanfällen unterbrochen wurde; dazwischen mischte sich ein Poltern und Toben, wie es jemand verursacht, der außer sich ist und es sehr eilig hat. Plötzlich und noch ehe Harran anklopfen konnte, riß Annixter die Tür auf. Sein Gesicht glühte vor Wut, die breite Unterlippe stand noch weiter als gewöhnlich vor, das gelbe starre Haar war verwirrt und das Büschel auf seinem Wirbel hoch aufgerichtet wie das gesträubte Rückenhaar eines bösen Hundes. Augenscheinlich war er Hals über Kopf in seine Kleider gefahren. Zum Anziehen von Rock und Weste hatte er sich keine Zeit gelassen; er trug beide Kleidungsstücke über dem Arm, während er mit der freien Hand seine Hosenträger heraufzog, die immer wieder über die Schultern herabrutschten. Seinem Zorn machte er in einer Flut herausgesprudelter Worte Luft.
»O, ja, Kleister in meinem Bett, aha! Ich weiß, wer das Zeug 'reingetan hat« – mit funkelnden Augen starrte er Osterman an – »und der Kerl ist ein Pips. Kleister! Klebriges, ekelhaftes Zeug! Sie haben's gehört, wie ich sagte, daß es mir unausstehlich ist, als der Chink chink für Chinese. es mir beim Essen reichte – und gerade deshalb tun Sie's in mein Bett – und ich komme mit den Füßen 'rein, gerade wie ich mich hinlege. Das ist 'n Spaß, was? O, 'nen bessern Spaß gibt's gar nicht! An Ihrer Stelle würde ich noch etwas lauter darüber lachen!«
»Aber, Buck,« sagte Harran begütigend, als er den Hut in Annixters Hand bemerkte, »Sie wollen doch nicht nach Hause, bloß weil – –«
Außer sich, brüllte er Harran an: »Weg will ich, sofort! Nicht 'ne Minute länger bleib' ich.«
Er fuhr in Weste und Rock, daß die Nähte knackten; mit vor Wut zitternden Fingern haspelte er an den Knöpfen herum. »Und was weiß ich, ob ich nicht wieder krank werde, wenn ich mich in so 'ner Nacht 'rauswage! Nein, nein, ich bleibe nicht. Manches ist spaßig, und manches ist wieder nicht spaßig. O, jawohl, Kleister! Ja, 's ist schon gut! Ich kann auch spaßig sein, wenn's gewünscht wird. Sie können Ihre dreckige Bestechung auf Ihre eigne, dreckige Weise ausüben. Ich mach' nicht mit. Meine Hände will ich mir nicht damit beschmutzen. 's ist faul und verrückt obendrein, 's ist Dreck von Anfang bis zum Ende, und ihr alle werdet noch im Zuchthaus enden. Ich mach' so was nicht mit!«
»Aber, Buck, so hören Sie doch, Sie verrückter Narr,« rief Harran, »ich weiß nicht, wer das Zeug in Ihr Bett getan hat, aber in solch einem Regen lasse ich Sie nicht nach Quien Sabe fahren.«
»Ich weiß, wer's getan hat,« schrie Annixter, die geballten Fäuste schüttelnd, »und nennen Sie mich nicht Buck, und ich tu' was ich will, und ich will nach Hause. 'raus will ich, fort von hier! Es tut mir leid, daß ich hergekommen bin. Es tut mir leid, daß ich daran dachte, bei einer so gemeinen, niederträchtigen, dreckigen Bestechungsgeschichte mitzumachen. Nicht zehn Cents geb' ich dazu her, nicht einen Penny.«
Taub gegen alle Vorstellungen stürmte er zu der Verandatür hinaus. Harran und Presley, die ihm folgten, suchten ihn vergebens davon abzubringen, in dieser Sturm- und Regennacht den Heimweg anzutreten; Annixter ließ sich nicht beruhigen. Durch fußtiefe Pfützen und vom Regen wie mit Kannen übergossen stürmte er hinüber nach dem Barn, wo sein Pferd und Buggy eingestellt waren; er ließ es nicht einmal zu. daß Presley und Harran ihm beim Anschirren halfen.
Presley machte ihm noch Vorstellungen, als Annixter das Pferd aus dem Stand heraustreten ließ. »Was hat's für 'nen Zweck, sich so zum Narren zu machen? Du benimmst dich wie ein zehnjähriger Junge. Wenn Osterman solche Possen treibt, warum machst du ihm den Spaß, darauf 'reinzufallen?«
»Er ist 'n Pips,« schrie Annixter. »Du kannst das nicht verstehn. Der Abscheu vor allem Klebrigen ist in unsrer Familie. 's ist – 's ist erblich. Wie würde's dir gefallen, wenn du dich um zwei Uhr ins Bett legst und du fährst mit den Füßen in solch scheußliches, klebriges Zeug? O nein, so spaßig ist das nicht. Und merken Sie auf meine Worte, Herr Harran Derrick, merken Sie wohl auf –« er war in das Buggy gestiegen und schüttelte drohend die Peitsche nach Harran hin –, »was wir heut abend besprochen haben – ich mache nicht mit. 's ist 'ne Gemeinheit. Eine niederträchtige Spitzbüberei ist's«.
Er ließ die Peitsche auf den Rücken des Pferdes herabsausen und fuhr hinaus in das Unwetter. Nach wenigen Sekunden schon wurde das Geräusch der Buggyräder von dem dumpfen Brausen des strömenden Regens übertönt.
Harran und Presley schlossen die Barntür und eilten unter dem Schutz einer wasserdichten Wagendecke zurück ins Haus. Osterman, der noch auf war, bekam jetzt von Harran heftige Vorwürfe zu hören. Magnus hatte sich bereits zurückgezogen, und im Hause herrschte wieder Ruhe.
Als Presley auf dem Wege zu seinem im Oberstock gelegenen Schlafzimmer durch das Speisezimmer ging, blieb er, sich umblickend, einen Augenblick stehen. In dem trüben Licht der niedergebrannten Lampen sah die Wandtäfelung von rötlichem Brasilholz wie mit Blut bestrichen aus. Auf der Platte des schweren Eßtisches standen halbgeleerte Gläser und Flaschen, wie die Trinker sie verlassen hatten, in wüster Unordnung umher und spiegelten sich in dem blankpolierten Holz; die Glastüren des Schrankes mit den ausgestopften Vögeln schimmerten in mattem Glanz, und die bunte Navajodecke Die Navajo-Indianer stellen auf primitiven Webstühlen kunstvolle Gewebe mit geschmackvollen bunten Mustern her. auf dem Diwan schien nur ein großer brauner Fleck zu sein.
Im Halbkreise um den Tisch herum standen noch die von den Männern während des Abends eingenommenen Stühle; die leeren Sitze erinnerten an die heutige Versammlung, an deren Bedeutung für eine ereignisvolle Zukunft und erweckten die unbestimmte Vorstellung von allen in der Folge eintretenden guten und schlimmen Möglichkeiten. Es herrschte tiefe Stille. Nichts als das leise, behagliche Schnurren von Prinzeß Natalie, die endlich ihr gewohntes Ruheplätzchen auf dem Kissen von Annixters Stuhl gefunden hatte und dort mit unter die Brust gezogenen Vorderpfoten süß schlummerte, war in dem verlassenen Raum vernehmbar.