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Das Vorläufige und die Vorläufer
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Skeptische Einreden.
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Die großen Philosophen sind selten gerathen. Was sind denn diese Kant, Hegel, Schopenhauer, Spinoza! Wie arm, wie einseitig! Da versteht man, wie ein Künstler sich einbilden kann, mehr als sie zu bedeuten. Die Kenntniß der großen Griechen hat mich erzogen: an Heraclit Empedocles Parmenides Anaxagoras Democrit ist mehr zu verehren, sie sind voller. Das Christenthum hat es auf dem Gewissen, viele volle Menschen verdorben zu haben z. B. Pascal und früher den Meister Eckart. Es verdirbt zuletzt gar noch den Begriff des Künstlers: es hat eine schüchterne Hypocrisie über Raffael gegossen, zuletzt ist auch sein verklärter Christus ein flatterndes schwärmerisches Mönchlein, das er nicht wagt, nackt zu zeigen. Goethe steht gut da.
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“Die Menschen lieben aus Dankgefühl, aus überströmendem Herzen, weil man dem Tode entronnen ist” Lagarde p. 54 gegen die „Humanität”.
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Der Vortheil der Kirche, wie der Rußlands ist: sie können warten.
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Eine Religion, an deren Thür der Ehebruch Gottes steht (bei ihm ist ja kein Ding unmöglich!)
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— den Nächsten, den Feind selber lieben, weil Gott so thut — “er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. “Aber das thut er gar nicht.
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— Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher, Feuerbach, Strauß — alles Theologen.
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— ich bin dazu gedrängt, im Zeitalter des suffrage universel, d. h. wo jeder über jeden und jedes zu Gericht sitzen darf, die Rangordnung wieder herzustellen.
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Bei altgewordenen Völkern große Sinnlichkeit, z. B. Ungarn, Chinesen, Juden, Franzosen (denn die Kelten waren schon ein Culturvolk!) —
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Die ächten Beduinen der Wüste und die alten Wikinger —
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NB. Die bestgeglaubten a priorischen „Wahrheiten” sind für mich — Annahmen bis auf Weiteres z.B. das Gesetz der Causalität sehr gut eingeübte Gewöhnungen des Glaubens, so einverleibt, daß nicht daran glauben das Geschlecht zu Grunde richten würde. Aber sind es deswegen Wahrheiten? Welcher Schluß! Als ob die Wahrheit damit bewiesen würde, daß der Mensch bestehn bleibt!
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Ich muß das schwierigste Ideal des Philosophen aufstellen. Das Lernen thut's nicht! Der Gelehrte ist das Heerdenthier im Reiche der Erkenntniß, welcher forscht, weil es ihm befohlen und vorgemacht worden ist.
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Es giebt an sich keinen Sinn für Wahrheit; aber weil ein starkes Vorurtheil dafür spricht, es sei nützlicher, die Wahrheit zu wissen als sich täuschen zu lassen, wird die Wahrheit gesucht — während in vielen anderen Fällen sie gesucht wird, weil sie vielleicht nützlicher sein könnte — sei es zur Vermehrung der Macht, des Reichthums, der Ehre, des Selbstgefühls.
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Auch hinter den eigentlichen Freunden der Wahrheit, den Philosophen arbeitet eine ihnen oft unbewußte Absichtlichkeit: sie wollen von vorn herein eine gewisse, so und so beschaffene “Wahrheit” — und oft genug haben sie ihre innersten Bedürfnisse verrathen, indem sie ihren Weg zu ihrer „Wahrheit” giengen.
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Der arme Schopenhauer! E. von Hartmann hat ihm die Beine, auf denen er einher gieng, und Richard Wagner gar noch den Kopf abgeschnitten!
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Wir können vom Willen nur das erkennen, was an ihm erkennbar ist — also vorausgesetzt, daß wir uns als Wollende erkennen, muß am Wollen etwas Intellektuales sein.
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Ein Erkenntniß-Apparat, der sich selber erkennen will!! Man sollte doch über diese Absurdität der Aufgabe hinaus sein! (Der Magen, der sich selber aufzehrt! –)
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Wie Winckelmann am Laokoon gleichsam am Ende des Alterthums den Sinn für dasselbe sich erwarb, so R<ichard> W<agner> an der Oper, der schlechtesten aller Kunstgattungen, den Sinn für Stil d. h. Einsicht, daß es nicht möglich ist, Künste zu isoliren.
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— der demagogische Charakter der Kunst Wagners: zuletzt mit der Consequenz, daß er sich vor Luther beugte, um Einfluß zu bekommen.
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— die deutsche Musik steht nicht außerhalb der Cultur-Bewegung: in Mozart ist sehr viel Rococo und jene Zärtlichkeit des 18ten Jahrhunderts. In Beethoven die Luft von Frankreich her, die Schwärmereien, aus denen die Revolution entsprang immer Nachklang, Ausklang. W<agner> und die Romantik.
— wie steht es mit dem Zusammenhang der Musik und der bildenden Kunst? Und der Poesie? Verhältnismäßige Einsamkeit des Musikers, er lebt weniger mit, seine Erregungen sind Nachklänge früherer Gefühle.
Es fehlt immer noch der große Stil in der Musik; und es ist dafür gesorgt, daß er jetzt nicht wächst!
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Alles, was ich über R<ichard> W<agner> gesagt hatte, ist falsch. Ich empfand es 1876 “es ist an ihm Alles unächt; was ächt ist, wird versteckt oder dekorirt. Es ist ein Schauspieler, in jedem schlimmen und guten Sinn des Worts.”
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Sich so fernstellen von den moralischen Phänomenen, wie der Arzt dem Hexenglauben und der Lehre “vom Griff des Teufels” fernsteht.
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Der Schmerz, die Ungewißheit, die Bosheit: zu diesen Dreien stehen die Heerden-Menschen sehr verschieden.
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Die Vortheile in dieser Zeit. “Nichts ist wahr: Alles ist erlaubt.”
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Ich betrachte Verbrecher, gestrafte und nicht gestrafte, als Menschen, an denen man Versuche machen kann. Schutz, nicht Besserung, nicht Strafe!
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— ein Volk, welches sich der Intelligenz eines Luther unterordnet!
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NB. Es sind gute Perspectiven: lauter ganz große Erschütterungen bereiten sich vor. Erwäge ich, was die französische Revolution erregt hat — auch Beethoven ist ohne sie nicht zu denken, ebensowenig Napoleon. So hoffe ich, daß alle Grundprobleme aufgedeckt werden und man gründlich über die Albernheiten des neuen Testaments oder über Hamlet und Faust, die beiden “modernsten Menschen”, hinauskommt.
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Ich habe mich in eine gute helle Höhe gehoben: und Mancher, der mir, als ich jung war, wie ein Stern über mir leuchtete, ist mir nun fern — aber unter mir z. B. Sch<openhauer> W<agner>.
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Man soll nicht bauen, wo es keine Zeit mehr ist. Das jauchzen der großen Bewegung: und ich bin, der sieht, worum es sich handelt: um alles „Gut” und “Böse”.
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R<ichard> W<agner> zu beschreiben — Versuch einer Dictatur. Aber zuletzt strich er sich selber durch, unfähig zu einer eigenen Gesammt-Conception. Die „Entzückungen” des Protestantischen Abendmahls verführten ihn!
Montaigne — — —
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“Welt-Eroberung.” Auf welchem Wege der Mensch sich bisher die Dinge zu unterwerfen suchte:
— die Grenzen, wo er nicht weiter konnte und sich unterwarf (Moira) — ”Gott”. Die “Herrscher” noch einmal als Welt-Herrscher in die Dinge hineingeträumt.
— Tröstungen. Ergebung.
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“Der Frieden als Trugbild.” “Befriedigung”
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Tags ist der untere Intellekt dem Bewußtsein verschlossen. Nachts schläft der höhere Intellekt, der untere tritt ins Bewußtsein (Traum)
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Wie im Traume zum Kanonenschuß die Ursache gesucht wird und der Schuß erst hinterdrein gehört wird (also eine Zeit-Umkehrung stattfindet: diese Zeitumkehrung findet immer statt, auch im Wachen. Die “Ursachen” werden nach der „That” imaginirt; ich meine, unsere Zwecke und Mittel sind Folgen eines Vorganges??)
Wie sicher wir eingeübt sind, nichts ohne Ursache zu glauben, das zeigt das eben erwähnte Phänomen: wir acceptiren den Kanonenschuß erst, wenn wir uns die Möglichkeit ausgedacht haben, wie er entstanden ist, d. h. allem eigentlichen Erleben geht eine Zeit voraus, wo die zu erlebende Thatsache motivirt wird.
— dies könnte in der Bewegung jedes Nervs, jedes Muskels der Fall sein.
Also in jeder sogenannten Sinneswahrnehmung giebt es ein Urtheil, welches den Vorgang, bevor er ins Bewußtsein “eintritt”, bejaht oder verneint
Alles organische Leben ist als sichtbare Bewegung coordinirt einem geistigen Geschehen.
Ein organisches Wesen ist der sichtbare Ausdruck eines Geistes.
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Das Nervensystem und das Gehirn ist ein Leitungssystem und ein Centralisationsapparat zahlloser Individual-Geister von verschiedenem Range. Das Ich-Geistige selber ist mit der Zelle schon gegeben.
Vor der Zelle giebt es keine Ich-Geistigkeit, wohl aber entspricht allem Gesetzmäßigen d. h. dem Relationscharakter alles Geschehens nur ein Denkvorgang (Gedächtniß und Schluß)
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Wo es keinen Irrthum giebt, dies Reich steht höher: das Unorganische als die individualitätslose Geistigkeit. Das organische Geschöpf hat seinen Seh-Winkel vom Egoismus, um erhalten zu bleiben.
— es darf nur soweit denken als es seiner Erhaltung frommt.
— ein Dauerprozeß mit Wachsthum, Zeugung usw.
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Die Gedanken sind Kräfte. Die Natur ergiebt sich als eine Menge von Relationen von Kräften: es sind Gedanken, logisch absolut sichere Prozesse, es fehlt alle Möglichkeit des Irrthums. Unsere Wissenschaft hat den Gang gemacht, überall logische Formeln und nichts weiteres ausfindig zu machen.
— alle diese Bewegungsvorgänge, die wir sehen oder fast sehen (Atome), sind Consequenzen
1. Die unzerstörbare Einerleiheit der Kraft, der Raum mit der Funktion Kraft. Alles Mechanik.
2. Die Mechanik im Grunde Logik.
3. die Logik unableitbar. Wie ist der Irrthum möglich? richtiger: Erhaltungsgesetze für Dauer-Prozesse setzen perspektivische Illusion voraus.
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“der gerechte Mensch” für den Betrachter sehr erquicklich, Ruhe gebend: sich selber aber eine furchtbare Qual
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Kunst — die Freude, sich mitzutheilen (und zu empfangen von einem Reicheren) — durch Gestalten die Seelen formen —
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Dies Bedürfniß, fertig die Erkenntniß um sich zu haben, ist bei einer sehr entschlossenen Natur nicht vorhanden —
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Ich stelle das Problem von der Rangordnung (Plato) des Künstlers neu; zugleich bilde ich den Künstler so hoch ich kann.
Thatsächlich finden wir alle Künstler unterworfen unter große geistige Bewegungen, nicht deren Leiter: oft Vollender z. B. Dante für die katholische Kirche. R<ichard> W<agner> für die romantische Bewegung. Shakespeare für die Freigeisterei Montaigne’s.
Die höheren Formen, wo der Künstler nur ein Theil des Menschen ist — z. B. Plato, Goethe, G<iordano> Bruno. Diese Formen gerathen selten.
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Alle philosophischen Systeme sind überwunden; die Griechen strahlen in größerem Glanze als je, zumal die Griechen vor Socrates.
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Die Umkehrung der Zeit: wir glauben die Außenwelt als Ursache ihrer Wirkung auf uns, aber wir haben ihre thatsächliche und unbewußt verlaufende Wirkung erst zur Außenwelt verwandelt: das, als was sie uns gegenüber steht, ist unser Werk, das nun auf uns zurückwirkt. Es braucht Zeit, bevor sie fertig ist: aber diese Zeit ist so klein.
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Unsere Werthschätzungen stehen im Verhältniß zu unseren geglaubten Lebensbedingungen: verändern sich diese, so verändern sich unsere Werthschätzungen.
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Coordination statt Ursache und Wirkung
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Der Weg zur Weisheit.
Fingerzeige zur Überwindung der Moral.
Der erste Gang. Besser verehren (und gehorchen und lernen) als irgend Einer. Alles Verehrenswerthe in sich sammeln und miteinander kämpfen lassen. Alles Schwere tragen. Asketismus des Geistes — Tapferkeit Zeit der Gemeinschaft.
Der zweite Gang. Das verehrende Herz zerbrechen, (als man am festesten gebunden ist). Der freie Geist. Unabhängigkeit. Zeit der Wüste. Kritik alles Verehrten (Idealisirung des Unverehrten), Versuch umgekehrter Schätzungen.
Der dritte Gang. Große Entscheidung, ob tauglich zur positiven Stellung, zum Bejahen. Kein Gott, kein Mensch mehr über mir! Der Instinkt des Schaffenden, der weiß, wo er die Hand anlegt. Die große Verantwortung und die Unschuld. (Um Freude irgendworan zu haben, muß man Alles gutheißen.) Sich das Recht geben zum Handeln.
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1. Die Überwindung der bösen kleinlichen Neigungen. Das umfängliche Herz, man erobert nur mit Liebe.
(R<ichard> W<agner> warf sich vor einem tiefen liebevollen Herzen nieder, ebenso Schopenhauer. Dies gehört zur ersten Stufe.) Vaterland, Rasse, alles gehört hierher.
2. Die Überwindung auch der guten Neigungen.
unvermerkt solche Naturen wie D<ühring> und W<agner> oder Sch<openhauer> als noch nicht einmal auf dieser Stufe stehend!
3. Jenseits von Gut und Böse. Er nimmt sich der mechachanischen Weltbetrachtung an und fühlt sich nicht gedemüthigt unter dem Schicksal: er ist Schicksal. Er hat das Loos der Menschen in der Hand.
Nur für Wenige: die Meisten werden schon im 2ten Weg zu Grunde gehen. Plato Spinoza? vielleicht gerathen? Sich endlich das Recht geben zum Handeln.
Sich hüten vor Handlungen, die nicht mehr zur erreichten Stufe passen z. B. das Helfen-wollen bei Solchen, die nicht bedeutend genug sind — dies ist falsches Mitleid.
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NB. “Bewußtsein” — in wie fern die vorgestellte Vorstellung, der vorgestellte Wille, das vorgestellte Gefühl (das uns allein bekannte) ganz oberflächlich ist! “Erscheinung” auch unsere innere Welt!
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Maassstab. Wie viel hält Einer von der Wahrheit aus, ohne zu entarten! Und ohne durch Widerspruch und Feindseligkeit und Mißverstehen zur Verzweiflung gebracht zu werden? Auch nicht durch die Dummheit der Liebe derer, die ihn verehren?
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Welches schlimme Schicksal hat Schopenhauer gehabt! Seine Ungerechtigkeiten fanden Übertreiber (Dühring und Richard Wagner), seine Grundeinsicht vom Pessimismus einen Berliner unfreiwilligen Verkleinerer (E. von Hartmann)!
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Wir meinen, unser bewußter Intellekt sei die Ursache aller zweckmäßigen Einrichtungen in uns. Das ist grundfalsch. Nichts ist oberflächlicher als das ganze Setzen von „Zwecken” und “Mitteln” durch das Bewußtsein: es ist ein Apparat der Vereinfachung (wie das Wortreden usw.), ein Mittel der Verständigung, practicabel, nichts mehr — ohne Absicht auf Durchdringung mit Erkenntniß.
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“Zufall” — in großen Geistern Fülle von Conceptionen und Möglichkeiten, gleichsam Spiel von Gestalten, daraus Auswahl und Anpassung an früher Ausgewähltes. — Die Abhängigkeit der niederen Naturen von den erfinderischen ist unsäglich groß — einmal darzustellen, wie sehr alles Nachahmung und Einspielen der angegebenen Werthschätzungen ist, die von großen Einzelnen ausgehen. Z. B. Plato und das Christenthum. Paulus wußte schwerlich, wie sehr alles in ihm nach Plato riecht.
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Capitel. Vom Werthe des menschlichen Erkenntniss-Apparates. Erst langsam stellt sich heraus, was er leisten und nicht leisten kann: namentlich wie weit alle seine Ergebnisse in innerem Zusammenhang stehen oder sich widersprechen.
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Capitel. Wenn man nicht einen bestimmten Standpunkt hat, ist über den Werth von keinem Dinge zu reden: d. h. eine bestimmte Bejahung eines bestimmten Lebens ist die Voraussetzung jedes Schätzens.
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Man lobt und tadelt von sich aus: wer von höheren Gesichtspunkten aus den Lobenden übersieht, findet es unschmeichelhaft, von ihm gelobt zu werden.
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NB. In wiefern es nöthig ist, für den Menschen höchsten Ranges, von den Vertretern einer bestimmten Moral tödtlich gehaßt zu werden. Wer die Welt liebt, den müssen alle Einzelnen verdammen: die Perspektive ihrer Erhaltung fordert, daß es keinen Zerstörer aller Perspectiven giebt.
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NB. Die erste Grenze alles “Sinnes für Wahrheit” ist — auch für alle niederen belebten Geschöpfe — was nicht ihrer Erhaltung dient, geht sie nichts an. Die zweite: die Art und Weise ein Ding zu betrachten, welche ihnen am nützlichsten ist, wird vorgezogen und allmählich erst, durch Vererbung, einverleibt. Dies ist auch durch den Menschen noch keineswegs anders geworden: höchstens könnte man fragen, ob es nicht entartende Rassen gäbe, welche sich so zu den Dingen stellen, wie es der inneren Absichtlichkeit auf Untergang hin gemäß ist — also wider das Leben. Aber das Absterben des Veralteten oder Mißrathenen gehört selber in die Consequenz der Erhaltung des Lebens: weshalb Greise greisenhaft und ächte Christen weltfeindlich urtheilen mögen.
An sich wäre es möglich, daß zur Erhaltung des Lebenden gerade Grund — Irrthümer nöthig wären, und nicht “Grund-Wahrheiten”. Es könnte z. B. ein Dasein gedacht werden, in welchem Erkennen selber unmöglich wäre, weil ein Widerspruch zwischen absolut Flüssigem und der Erkenntniß besteht: in einer solchen Welt müßte ein lebendes Geschöpf erst an Dinge, an Dauer usw. glauben, um existiren zu können: der Irrthum wäre seine Existenz-Bedingung. Vielleicht ist es so.
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In wessen Vorfahren die Liebe eine wichtige Angelegenheit war, der wird es spüren, wenn er verliebt ist und sich, zu seinem Erstaunen vielleicht, so benehmen, wie seine Vorfahren es getrieben haben: es fängt schwerlich Einer eine veritable Passion an — sondern auch Leidenschaften müssen erzogen und angezüchtet werden, die Liebe sogut wie die Herrschsucht und der Egoismus.
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Überall, wo große Zweckmäßigkeit ist, haben wir im Bewußtsein nicht die Zwecke und Mittel. Der Künstler und sein Werk, die Mutter und das Kind — und ebenso mein Kauen, Verdauen, Gehen usw., die Oekonomie der Kräfte am Tage usw. — alles das ist ohne Bewußtsein.
Daß etwas zweckmäßig vor sich geht z. B. der Prozeß des Verdauens, das wird durch die Annahme eines hundertfältig verfeinerten Erkenntnißapparates nach Art des bewußten Intellekts noch keineswegs erklärt: er könnte der Aufgabe, die thatsächlich geleistet wird, nicht angemessen gedacht werden, weil viel zu feine Verhältnisse (in Zahlen) in Betracht kämen. Der zweite Intellekt würde immer noch das Räthsel ungelöst lassen. Wenn man sich nicht durch “groß” und “klein” in zeitlichen Verhältnissen täuschen läßt, ist der Vorgang einer einzelnen Verdauung geradeso reich an einzelnen Vorgängen der Bewegung, wie der ganze Prozeß des Lebendigen überhaupt: und wer für letzteren keinen leitenden Intellekt annimmt, braucht ihn auch für ersteren nicht anzunehmen.
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Der ganze Erkenntniß-Apparat ist ein Abstraktions- und Simplifikations-Apparat — nicht auf Erkenntniß gerichtet, sondern auf Bemächtigung der Dinge: “Zweck” und „Mittel” sind so fern vom Wesen wie die “Begriffe”. Mit “Zweck” und “Mittel” bemächtigt man sich des Prozesses (- man erfindet einen Prozeß, der faßbar ist!), mit Begriffen aber der “Dinge”, welche den Prozeß machen.
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Das Wesen einer Handlung ist unerkennbar: das was wir ihre “Motive” nennen, bewegt Nichts — es ist eine Täuschung, ein Nacheinander als ein Durcheinander aufzufassen.
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Mit der “Freiheit des Willens” fällt die ”Verantwortlichkeit” dahin. Es bleiben aber alle moralischen Fragen übrig: wie steht das Lebendige zur “Wahrheit”? Zu einem anderen Lebendigen? Und wenn aus Irrthum gestraft und belohnt wurde, warum dürfte dann nicht weiter gestraft und belohnt werden? Was ist gegen einen „Willen zur Unwahrheit” einzuwenden? Und woher die Schätzung des Uneigennützigen Gerechten? — Genug, der ganze Thatbestand der bisherigen moralischen Stellung des Lebendigen, 1) der Thatbestand der Schätzungen und 2) die Ursache der Werthschätzungen bliebe noch festzustellen. Wobei sich die Frage ergäbe 3), ob es einen Maaßstab giebt über allen bisherigen Werthschätzungen, eingerechnet die Frage, ob die zwei ersten Probleme ohne dies lösbar sind — und warum ich sie überhaupt stelle.
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Die großen Probleme vom Werth des Werdens gestellt durch Anaximander und Heraclit — also die Entscheidung darüber, ob eine moralische oder eine ästhetische-Schätzung überhaupt erlaubt ist, in Bezug auf das Ganze.
Das große Problem, welchen Antheil der Zwecke — setzende Verstand an allem Werden hat — von Anaxagoras
Das große Problem, ob es ein Sein giebt — von den Eleaten; und was Alles Schein ist.
Alle großen Probleme sind vor Socrates gestellt:
Socrates: die Einsicht als Mittel zur moralischen Besserung, das Unvernünftige in den Leidenschaften, das Unzweckmäßige im Schlecht-sein.
Plato sagt, nein! Die Liebe zum Guten bringt die moralische Besserung mit sich; die Einsicht aber ist nöthig zur Erfassung des Guten.
Socrates sucht nicht die Weisheit, sondern einen Weisen — und findet ihn nicht aber dies Suchen bezeichnet er als sein höchstes Glück. Denn es gäbe nichts Höheres im Leben als immer von Tugend zu sprechen.
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Vielleicht ist das, was wir als das Gewisseste fühlen, am entferntesten vom “Wirklichen”. Im Urtheile steckt ein Glaube “so und so ist es”; wie, wenn gerade das Glauben selber die nächste Thatsache wäre, die wir feststellen können! Wie ist Glauben möglich??
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Pythagoras gründet einen Orden für Vornehme, eine Art Tempelherrn-Orden.
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— Heraclit: die Welt eine absolute Gesetzlichkeit: wie könnte sie eine Welt der Ungerechtigkeit sein! also eine moralische Beurtheilung “die Erfüllung des Gesetzes” ist absolut; der Gegensatz ist eine Täuschung; auch die schlechten Menschen ändern nichts daran, so wie sie sind, erfüllt sich an ihnen die absolute Gesetzlichkeit. Die Nothwendigkeit wird hier moralisch verherrlicht und gefühlt.
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Bisher sind beide Erklärungen des organischen Lebens nicht gelungen, weder die aus der Mechanik, noch die aus dem Geiste. Ich betone letzteres. Der Geist ist oberflächlicher als man glaubt. Die Regierung des Organismus geschieht in einer Weise, für welche sowohl die mechanische Welt, als die geistige nur symbolisch zur Erklärung herangezogen werden kann.
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Der Gedanke, daß das Lebensfähige allein übriggeblieben ist, ist eine Conception ersten Ranges.
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Zuletzt könnte die Unerkennbarkeit des Lebens eben darin liegen, daß alles an sich unerkennbar ist und wir nur begreifen, was wir erst gebaut und gezimmert haben; ich meine auf dem Widerspruche der ersten Funktionen des “Erkennens” mit dem Leben. Je erkennbarer etwas ist, um so ferner vom Sein, um so mehr Begriff.
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Egoismus als das perspektivische Sehen und Beurtheilen aller Dinge zum Zweck der Erhaltung: alles Sehen (daß überhaupt etwas wahrgenommen wird, dies Auswählen) ist schon ein Werthschätzen, ein Acceptiren, im Gegensatze zu einem Zurückweisen und Nicht-sehen-wollen.
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Werthschätzungen stecken in allen Sinnes-Thätigkeiten. Werthschätzungen stecken in allen Funktionen des organischen Wesens.
Daß Lust und Unlust ursprüngliche Formen der Werthschätzung sind, ist eine Hypothese: vielleicht sind sie erst Folgen einer Werthschätzung.
Das “Gute” ist, von zwei verschiedenen Wesen aus gesehen, etwas Verschiedenes.
Es giebt ein Gutes, das die Erhaltung des Einzelnen; ein Gutes, das die Erhaltung seiner Familie oder seiner Gemeinde oder seines Stammes zum Maaße hat — es kann ein Widerstreit im Individuum entstehen, zwei Triebe.
Jeder “Trieb” ist der Trieb zu “etwas Gutem”, von irgend einem Standpunkte aus gesehen; es ist Werthschätzung darin, nur deswegen hat er sich einverleibt.
Jeder Trieb ist angezüchtet worden als zeitweilige Existenz — Bedingung. Er vererbt sich lange, auch nachdem er aufgehört hat, es zu sein.
Ein bestimmter Grad des Triebes im Verhältniß zu anderen Trieben wird, als erhaltungsfähig, immer wieder vererbt; ein entgegengesetzter verschwindet
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Das „Unegoistische”. Die Vielheit der Personen (Masken) in Einem „Ich”.
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Das Gesetz der Causalität a priori — daß es geglaubt wird, kann eine Existenzbedingung unserer Art sein; damit ist es nicht bewiesen.
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Zur Einleitung.
§ 1. Die schwierigste und höchste Gestalt des Menschen wird am seltensten gelingen: so zeigt die Geschichte der Philosophie eine Überfülle von Mißrathenen, von Unglücksfällen, und ein äußerst langsames Schreiten; ganze Jahrtausende fallen dazwischen und erdrücken, was erreicht war, der Zusammenhang hört immer wieder auf. Das ist eine schauerliche Geschichte — die Geschichte des höchsten Menschen, des Weisen. — Am meisten geschädigt ist gerade das Gedächtniß der Großen, denn die Halb-Gerathenen und Mißrathenen verkennen sie und besiegen sie durch “Erfolge”. Jedes Mal, wo „die Wirkung” sich zeigt, tritt eine Masse Pöbel auf den Schauplatz; das Mitreden der Kleinen und der Armen im Geiste ist eine fürchterliche Ohren-Marter für den, der mit Schauder weiß, daß das Schicksal der Menschheit am Gerathen ihres höchsten Typus liegt. –Ich habe von Kindesbeinen an über die Existenz-Bedingungen des Weisen nachgedacht; und will meine frohe Überzeugung nicht verschweigen, daß er jetzt in Europa wieder möglich wird — vielleicht nur für eine kurze Zeit.
§ 2. Was muß im Weisen zusammenkommen? Da begreift man, warum er so leicht mißräth, ganz abgesehen von den äußeren Bedingungen.
§ 3. Die Welt der Meinungen — wie tief das Werthschätzen in die Dinge geht, ist bisher übersehen: wie wir in einer selbstgeschaffenen Welt stecken, und auch in allen unseren Sinnes-Wahrnehmungen noch moralische Werthe liegen. — Beschränktheit des Gesichtskreises des Kantischen Idealismus (zuletzt von ihm selber widerlegt: was geht uns die Wahrheit an, wenn es sich um unsere höchsten Werthschätzungen handelt — ”man muß dann dies und jenes glauben” meinte Kant)
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Es ist ein Problem, ob Lust und Unlust primitivere Thatsachen sind als Urtheil “nützlich” “schädlich” für das Ganze.
26 [77]
Reiz begrifflich abzutrennen von „Lust” und „Unlust”
26 [78]
Schopenhauer bekennt das “besondere Vergnügen”, die praktische Vernunft und den kategorischen Imperativ Kants “als völlig unberechtigte, grundlose und erdichtete Annahmen nachzuweisen und somit die Moral wieder ihrer alten, gänzlichen Rathlosigkeit zu überantworten” (Grundlage der Moral p. 116)
26 [79]
Bedingungen des Weisen.
Man muß sich durch Schuld aller Art aus der Gesellschaft lösen.
26 [80]
Die Entwicklung des Organischen ergiebt eine große Wahrscheinlichkeit, daß der Intellekt aus sehr kleinen Anfängen gewachsen ist, also auch geworden ist: die Sinnesorgane sind nachweisbar entstanden, vor ihnen gab es noch keine „Sinne”. Es fragt sich, was immer dagewesen sein muß: z. B. welche Eigenschaften hat das Embryon, daß sich schließlich auch das Denken im Verlaufe seiner Entwicklung entwickelt? —
26 [81]
Wir haben keine Ahnung bisher von den inneren Bewegungs-gesetzen des organischen Wesens. „Gestalt” ist ein optisches Phänomen: abgesehen von Augen Unsinn.
26 [82]
Hauptsatz: keine rückläufigen Hypothesen! Lieber ein Zustand der epoch! Und möglichst viel Einzel-Beobachtungen! Zuletzt: wir mögen erkennen, was wir wollen, hinter allen unseren Arbeiten steht eine Nützlichkeit oder Unnützlichkeit die wir nicht übersehen. Es giebt darin kein Belieben, sondern alles ist absolut nothwendig: und das Loos der Menschheit ist längst entschieden, weil es schon ewig dagewesen ist. Unsre eifrigste Anstrengung und Vorsicht gehört mit hinein in das fatum aller Dinge; und ebenso jede Dummheit. Wer sich vor diesem Gedanken verkriecht, der ist eben damit auch fatum. Gegen den Gedanken der Nothwendigkeit giebt es keine Zuflucht.
26 [83]
Welches ist der wünschenswertheste nützlichste Glaube? (wenn einmal es nicht auf Wahrheit ankommt) könnte man fragen. Aber da muß man weiter fragen: nützlich wozu?
26 [84]
Kant sagt p. 19 R<osenkranz>, „der moralische Werth einer Handlung liege durchaus nicht in der Absicht, in der sie geschah, sondern in der Maxime, die man befolgte.” „Wogegen (Schopenhauer Grundlage der Moral p. 134) ich zu bedenken gebe, daß die Absicht allein über moralischen Werth oder Unwerth einer That entscheidet, weshalb die selbe That, je nach ihrer Absicht, verwerflich oder lobenswerth sein kann” u s w.
ego: aber was er mit der That wollte, ob dies lobens- oder tadelnswerth ist, hängt doch von der Maxime ab, die der Lobende oder Tadelnde hat, und folglich von der Beurtheilung der Maxime, nach welcher der Handelnde gehandelt hat: ist es nämlich nicht die gleiche, so empört sich der gewöhnliche Mensch gegen den Handelnden, er setzt aber voraus, daß er gleich die Handlungen schätzt. Kant hat Recht, daß weil es verschiedene Maximen giebt, und von verschiedenem moralischen Werthe, der Werth einer Handlung zuletzt immer zur Frage nach dem Werthe der ihr zu Grunde liegenden Maxime zurückführt.
Sch<openhauer> ist ebenso sicher zu wissen, was gut und böse ist, wie Kant — das ist der Humor der Sache.
26 [85]
Das Befehlen und das Gehorchen ist die Grundthatsache: das setzt eine Rang-Ordnung voraus
Sch<openhauer> p. 136 “Das Princip oder der oberste Grundsatz einer Ethik ist der kürzeste und bündigste Ausdruck für die Handlungsweise, die sie vorschreibt oder, wenn sie keine imperative Form hätte, die Handlungsweise welcher sie eigentlichen moralischen Werth zuerkennt, — also das o,ti der Tugend. Das Fundament einer Ethik hingegen ist das dioti der Tugend, der Grund jener Verpflichtung oder Anempfehlung oder Belobung, also das dioti der Tugend. — Das o,ti so leicht, das dioti so entsetzlich schwer.”
“Das Princip, der Grundsatz, über dessen Inhalt alle Ethiker eigentlich einig sind: neminem laede, immo omnes quantum potes juva — das ist eigentlich der Satz, welchen zu begründen alle Sittenlehrer sich abmühen — das eigentliche Fundament der Ethik, welches man wie den Stein der Weisen seit Jahrtausenden sucht.”
Die Schwierigkeit, diesen Satz zu beweisen, ist freilich groß: er ist albern und sklavenhaft-sentimental.
neminem laede warum nicht?
neminem enthält eine Gleichsetzung aller Menschen: da aber die Menschen nicht gleich sind, so ist hierin eine Forderung enthalten, sie als gleich zu setzen. Also — “behandle jeden Menschen als Deinesgleichen” ist Hintergrund dieser Moral. “Nutzen” enthält die Frage “nützlich wozu?” also schon eine Werthschätzung und Ziel. Unter Umständen könnte, um Allen zu nützen, es nöthig sein Vielen zu schaden: also der erste Theil falsch sein. Es ist lächerlich, ein “Wohl- und Wehethun” an sich zu glauben, wenn man Philosoph ist. Ein Schmerz und Verlust bringt uns oft den größten Gewinn, und „es ist sehr gut, schlimme Feinde zu haben”, wenn aus dir etwas Großes werden soll.—
also: erste Frage, ob die Moral praktikabel, ausfühbar ist. Aber wie kann ich “Allen nützen”!
Es giebt Augenblicke in Schopenhauer, wo er der Sentimentalität Kotzebue’s gar nicht fern steht — auch spielte er täglich Flöte: das sagt Etwas.
26 [86]
Schopenhauer hat sich mit Recht lustig gemacht über Kants “Zweck an sich” “absolutes Soll” “absoluter Werth” als über Widersprüche: er hätte das “Ding an sich” hinzuthun sollen.
26 [87]
Wo die Gleichgültigkeit beginnt, bei lebenden Wesen, im Verhältniß zur Außenwelt —
26 [88]
Der Weise am wenigsten durch starre Einförmigkeit des Blicks ausgezeichnet — so lange — — —
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Die ausgezeichneten Geister mißrathen leichter; ihre Leidensgeschichte, ihre Krankheiten, ihre Empörung über das dreiste Tugend-Gequieke aller sittlichen Gänseriche usw. Alles ist gegen sie verschworen, es erbittert sie, überall nicht am Platze zu sein. — Gefahr in demokratischen Zeitaltern. Absolute Verachtung als Sicherheits-Maaßregel.
26 [90]
Was erreicht worden ist in der Erkenntniß, ist Sache des Philosophen, festzustellen; und nicht nur darin, sondern überhaupt! Die Geschichte als die große Versuchs-Anstalt: die bewußte Weisheit vorzubereiten, welche zur Erd-Regierung noththut. Das Zusammen-denken des Erlebten —
26 [91]
Bei einem Überschusse von belebenden ergänzenden Kräften glänzen selbst die Unglücksfälle mit dem Glanze einer Sonne und erzeugen ihre eigene Tröstung: umgekehrt, alle die tiefe Niedergeschlagenheit, die Gewissensbisse, die langen bitteren Nächte treten ein bei geschwächten Leibern (oft wird noch die Nahrung verweigert)
26 [92]
Das Unfreiwillige im Denken.
Der Gedanke taucht auf, oft vermischt und verdunkelt durch ein Gedränge von Gedanken. Wir ziehen ihn heraus, wir reinigen ihn, wir stellen ihn auf seine Füße und sehen, wie er geht — alles sehr geschwinde! Wir sitzen dann über ihn zu Gericht: denken ist eine Art Übung der Gerechtigkeit, bei der es auch Zeugenverhör giebt. Was bedeutet er? fragen wir und rufen andere Gedanken herbei: das heißt: Der Gedanke also wird nicht als unmittelbar gewiß genommen, sondern nur als ein Zeichen, ein Fragezeichen. Daß jeder Gedanke zuerst vieldeutig und schwankend ist, und an sich nur ein Anlaß zu mehrfacher Interpretation und willkürlicher Festsetzung, ist eine Erfahrungssache jedes Beobachters, der nicht an der Oberfläche bleibt. — Der Ursprung des Gedankens ist uns verborgen; es ist eine große Wahrscheinlichkeit, daß er ein Symptom eines umfänglicheren Zustandes ist, gleich jedem Gefühl —: darin daß gerade er kommt und kein anderer, daß er gerade mit dieser größeren oder minderen Helligkeit kommt, mitunter sicher und befehlerisch, mitunter unsicher und einer Stütze bedürftig, im Ganzen immer beunruhigend und aufregend, fragend — für das Bewußtsein ist jeder Gedanke ein Stimulans — in dem Allen drückt sich irgend Etwas von einem Gesammt-Zustand in Zeichen aus. — Ebenso steht es mit jedem Gefühle — es bedeutet uns nicht an sich Etwas; es wird, wenn es kommt, von uns interpretirt, und oft wie seltsam interpretirt! Man erwäge alle die Nöthe der Gedärme, die krankhaften Zustände des nervus sympathicus, und des ganzen sensorium commune —: nur der anatomisch Unterrichtete räth dabei auf die rechte Gattung von Ursachen; jeder Unwissende aber sucht in solchen Schmerzen eine moralische Erklärung und schiebt dem thatsächlichen Anlasse zu Verstimmungen einen falschen Grund unter, indem er im Umkreis seiner Erlebnisse nach unangenehmen Erfahrungen und Befürchtungen, nach einem Grund sucht, sich schlecht zu befinden. — Auf der Folter bekennt sich fast Jemanden schuldig: im Schmerz, dessen Ursache man nicht weiß, fragt sich der Gefolterte so lange und inquisitorisch, bis er sich oder Andere als schuldig findet, wie z. B. die Purit<aner> den ihrer unvernünftigen Lebensweise häufig anhaftenden Spleen sich moralisch, als Gewissensbiß auslegten.
26 [93]
Die Handlung eines höheren Menschen ist unbeschreiblich vielfach in ihrer Motivierung: mit irgend einem solchen Wort, wie „Mitleid”, ist gar nichts gesagt. Das Wesentlichste ist das Gefühl „wer bin ich? wer ist der andere im Verhältniß zu mir — Werthurtheile fortwährend thätig.
26 [94]
Über das Gedächtniß muß man umlernen: es ist die Menge aller Erlebnisse alles organischen Lebens, lebendig, sich ordnend, gegenseitig formend, ringend mit einander, vereinfachend, zusammendrängend und in viele Einheiten verwandelnd. Es muß einen inneren Prozeß geben, der sich verhält wie die Begriffsbildung aus vielen Einzelfällen: das Herausheben und immer neu Unterstreichen des Grundschemas und Weglassen der Neben-Züge. — So lange etwas noch als einzelnes factum zurückgerufen werden kann, ist es noch nicht eingeschmolzen: die jüngsten Erlebnisse schwimmen noch auf der Oberfläche. Gefühle von Neigung Abneigung usw. sind Symptome, daß schon Einheiten gebildet sind; unsre sogenannten „Instinkte” sind solche Bildungen. Gedanken sind das Oberflächlichste: Werthschätzungen, die unbegreiflich kommen und da sind, gehen tiefer — Lust und Unlust sind Wirkungen complizirter von Instinkten geregelter Werthschätzungen.
26 [95]
Da Haß, Neigung, Begierde, Zorn, Herrschsucht usw. noch da sind, kann man vermuthen, daß sie ihre Funktionen der Erhaltung haben. Und “der gute Mensch” — ohne die mächtigen Affekte des Hasses, der Empörung, des Ekels, ohne Feindschaft ist eine Entartung, oder eine Selbst-Betrügerei.
26 [96]
Die plumpe Pedanterie und Kleinstädterei des alten Kant, die groteske Geschmacklosigkeit dieses Chinesen von Königsberg, der aber doch ein Mann der Pflicht und ein preußischer Beamter war: und die innere Zucht- und Heimatlosigkeit Sch<openhauer>'s, der aber für den mitleidigen Biedermann sich begeistern konnte, gleich Kotzebue: und Mitleid für die Thiere kannte, gleich Voltaire.
26 [97]
wer Freude an einem außerordentlichen Geiste hat, muß auch die Bedingungen lieben, unter denen er entsteht — die Nöthigung der Verstellung, Ausweichung, Ausbeutung der Gelegenheit; und das, was geringeren Naturen Widerwillen, im Grunde Furcht einflößt, zumal wenn sie den Geist als solchen hassen —
26 [98]
Grundstellung: der Mangel an Ehrfurcht vor großen Geistern, aus vielen Gründen und auch daraus, daß es an großen Geistern fehlt. Die historische Manier unsrer Zeit ist zu erklären aus dem Glauben, daß Alles dem Urtheile eines jeden freisteht.
Das Merkmal des großen Menschen war die tiefe Einsicht in die moralische Hypocrisie von Jemanden (zugleich als Consequenz des Plebejers, der ein Kostümsucht).
26 [99]
Es ist mein Trost, daß noch alle großen Menschenkenner sagen: „der Mensch ist böse” — und wo es einmal anders lautete, da war dem Einsichtigen sofort deutlich „der Mensch ist dort schwach”.
Die Schwächung des Menschen war die Ursache der Revolutionen — der Sentimentalität.
26 [100]
Was fehlte den Philosophen
Eine Kritik zu machen, ohne alle Ironie und moralische Verurtheilung.
26 [101]
Ein prachtvoller Intellekt ist die Wirkung einer Menge moralischer Qualitäten z. B. Muth, Willenskraft, Billigkeit, Ernst — aber zugleich auch von vieler polutropia, Verstellung, Verwandlung, Erfahrung in Gegensätzen, Muthwille, Verwegenheit, Bosheit, Unbändigkeit.
Damit ein prachtvoller Intellekt entstehe, müssen die Vorfahren eines Menschen in hervorragendem Grade beides gewesen sein, böse und gut, geistig und sinnlich.
26 [102]
Daß ein guter Mensch einen außerordentlichen Geist haben könne, müßte immer erst noch bewiesen werden: die großen Geister waren bisher böse Menschen.
26 [103]
Diese guten friedfertigen fröhlichen Menschen haben keine Vorstellung von der Schwere derer, welche von Neuem die Dinge wägen wollen und zur Wage heranwälzen müssen.
26 [104]
Die Menge der Mißrathenen erschüttert, noch mehr die Behaglichkeit und Sicherheit (der Mangel an Mitgefühl für die ganze Entwicklung „Mensch”) — wie Alles schnell zu Grunde gehen kann!
26 [105]
Es ist nicht zu verwundern, daß ein paar Jahrtausende nöthig sind, um die Anknüpfung wieder zu finden — es liegt wenig an ein paar Jahrtausenden!
26 [106]
Der Erkennende hat Freude an allen seinen schlechten Affekten, Begierden, Handlungen; er benutzt Krankheiten, Demüthigungen, er läßt den Schmerz tief graben und springt dann plötzlich zurück, sobald er seine Erkenntniß hat.
26 [107]
Die Absicht, den guten Menschen darzustellen, hat bisher am meisten der Erkenntniß der Philosophen geschadet. Große Verlogenheit, am größten bei den Moralisten.
26 [108]
Darüber giebt es heute keine wesentliche Verschiedenheit des Urtheils, was gut und was böse ist. Man fragt nur, warum giebt es keine wesentliche Verschiedenheit. Daß es so und so ist, daran zweifelt man nicht. — Socrates fragt “warum?” aber auch, er zweifelt nicht — und es gehört bisher zur Eitelkeit des Menschen, daß er wisse, warum er etwas thue — daß er auf bewußte Motive handle. — Von Plato an glaubte jeder, es genüge “gut” „gerecht” usw. zu definiren, da wisse man's, und nun müsse man darnach handeln.
26 [109]
NB. Werden gute, gerechte Menschen mit Recht gelobt? 1) Hat der Lobende ein Recht, überhaupt zu urtheilen? 2) Ist sein Urtheil richtig — und nach welchem Maaßstabe richtig?
26 [110]
Es ist viel bisher geurtheilt und verurtheilt worden, wo das Wissen fehlte z. B. über Hexen; oder bei der Astrologie. Es hat sich viel “Urtheilen mit bestem Gewissen” als unberechtigt ergeben. Könnte es nicht mit “gut” und “böse” so sein, da die Begründung bisher eigentlich keine Kritik in sich schloß — man stimmte überein.
Auch könnte man fragen: sind die Guten für die Entwicklung neuer und starker Typen nützlicher oder die Bösen? Sind die Guten für die Erkenntniß nützlicher usw. Sind die Guten gesünder und ausdauernder, in Hinsicht auf Erhaltung einer Rasse? — Sind sie im Verhältniß zum Glück heiterer oder trübseliger? — Der äußerst vielfältige, vielspältige Thatbestand erst hinzustellen. Sind sie für die Künste nützlicher? Für die Dauer des menschlichen Geschlechts?
Vor allem: was ist das Merkmal, daß Einer gut oder böse ist? Ist es ein Verhalten in sich? Oder zu Anderen?
26 [111]
Der Weise erschrickt, wenn er dahinter kommt, wie wenig den Allermeisten an der Wahrheit liegt, welche sich für gute Menschen halten — und er wird sich vornehmen, die tiefste Verachtung gegen die ganze moralische Tugend-Sippschaft zu wenden. Der Schlechte ist ihm lieber. — Was hat er für Opfer gebracht! Und nun merkt er, daß die Menschen glauben zustimmen oder nein sagen zu können. — Ein Buch, das “gefällt”!
26 [112]
Ich habe eine tiefe Verachtung gegen alles moralische Urtheilen, Loben und Verurtheilen —
In Bezug auf das gewöhnliche moralische Urtheilen frage ich 1) ist der Urtheilende überhaupt berechtigt zu urtheilen? 2) hat er Recht oder Unrecht, so zu urtheilen?
steht er hoch genug
hat er Einsicht, Phantasie, Erfahrung genug, sich ein Ganzes vorzustellen
26 [113]
NB außerhalb der Städte leben!
26 [114]
Es giebt keine unmittelbaren Thatsachen! Es steht mit Gefühlen und Gedanken ebenso: indem ich mir ihrer bewußt werde, mache ich einen Auszug, eine Vereinfachung, einen Versuch der Gestaltung: das eben ist bewußt werden: ein ganz aktives Zurechtmachen.
Woher weißt du das?—
wir sind uns bewußt der Arbeit, wenn wir einen Gedanken, ein Gefühl scharf fassen wollen — mit Hülfe von Vergleichung (Gedächtniß).
Ein Gedanke und ein Gefühl sind Zeichen irgend welcher Vorgänge: nehme ich sie absolut — setze ich sie als unvermeidlich eindeutig, so setze ich zugleich die Menschen als intellektuell gleich — eine zeitweilig erlaubte Vereinfachung des wahren Thatbestandes.
26 [115]
Wir arbeiten mit allen Kräften, uns von der Unfreiheit zu überzeugen: um uns so frei vor uns selber zu fühlen wie vor der Natur — — Es kostet die äußerste Anstrengung, ein Gefühl dieser Art aufrecht zu erhalten und nicht herauszufallen.
26 [116]
Der “Unwerth“ eines Menschen ist nur ein Unwerth in Hinsicht auf bestimmte Zwecke (der Familie Gemeinde usw.): man soll ihm einen Werth geben und ihn empfinden machen, daß er nützlich ist z. B. der Kranke als Mittel der Erkenntniß; der Verbrecher als Vogelscheuche usw. Die Lasterhaften als Gelegenheiten, an ihnen usw.
26 [117]
Um mich zu erhalten, habe ich meine schirmenden Instinkte, von Verachtung, Ekel, Gleichgültigkeit usw. — sie treiben mich in die Einsamkeit: in der Einsamkeit aber, wo ich alles als nothwendig verbunden fühle, ist mir jedes Wesen göttlich.
NB. um irgend Etwas schätzen und lieben zu können, muß ich es begreifen als absolut nothwendig verbunden mit allem, was ist — also um seinetwillen muß ich alles Das ein gutheißen und dem Zufalle Dank wissen, in dem so kostbare Dinge möglich sind.
Könnten wir die günstigsten Bedingungen voraussehen, unter denen Wesen entstehen vom höchsten Wirthe! Es ist tausend Mal zu complizirt, und die Wahrscheinlichkeit des Mißrathens sehr groß: so begeistert es nicht, danach zu streben! — Scepsis.
— Dagegen: Muth, Einsicht, Härte, Unabhängigkeit, Gefühl der Unverantwortlichkeit können wir steigern, die Feinheit der Wage verfeinern und erwarten, daß günstige Zufälle zu Hülfe kommen. —
26 [118]
— alle Tendenzen haben nur auf einen gewissen Gesichtskreis hin Sinn z. B. es ist werthvoll, wenn die Vernunft verfeinert wird, es ist auch werthvoll, wenn sie vergröbert wird: der Weise begreift die Nothwendigkeit entgegengesetzter Maaßstäbe, er will den buntesten Zufall unter vielen Gegensätzen.
— Um zu leben, muß man schätzen. Etwas schätzen hat als Consequenz alles gutheißen, also auch das Geringgeschätzte, Verabscheute: d. h. zugleich schätzen und nichtschätzen. — Scepsis, also das Recht- und Unrechtschätzen als sich bedingend schätzen.
26 [119]
Einsicht: bei aller Werthschätzung handelt es sich um eine bestimmte Perspective: Erhaltung des Individuums, einer Gemeinde, einer Rasse, eines Staates, einer Kirche, eines Glaubens, einer Cultur
— vermöge des Vergessens, daß es nur ein perspektivisches Schätzen giebt, wimmelt alles von widersprechenden Schätzungen und folglich von widersprechenden Antrieben in Einem Menschen. Dies ist der Ausdruck der Erkrankung am Menschen, im Gegensatz zum Thiere, wo alle vorhandenen Instinkte ganz bestimmten Aufgaben genügen.
— dies widerspruchsvolle Geschöpf hat aber an seinem Wesen eine große Methode der Erkenntniß: er fühlt viele Für und Wider — er erhebt sich zur Gerechtigkeit — zum Begreifen jenseits des Gut- und Böseschätzens.
Der weiseste Mensch wäre der reichste an Widersprüchen, der gleichsam Tastorgane für alle Arten Mensch hat: und zwischeninnen seine großen Augenblicke grandiosen Zusammenklangs — der hohe Zufall auch in uns!
— eine Art planetarischer Bewegung —
26 [120]
Fragen eines Fragwürdigen.
26 [121]
Ich habe ein Mißtrauen gegen alle moralischen Menschen: ihr Mangel an Selbst-Erkenntniß und Selbst-Verachtung macht mich nicht nur gegen ihren Verstand ungeduldig — ihr Anblick beleidigt mich.
26 [122]
Der Mann von hoher Seele ist nicht geneigt zur Bewunderung, denn das Größte ist ihm ja eigen und verwandt, es giebt für ihn nichts Großes. — Die äußeren Güter Reichthum Macht kommen nicht in Betracht, sie sind ja nicht von eigenem Werthe, sondern nur zu Besserem nützlich.
“Der Hohe, dem man die Bewunderung durch nichts Anderes als Verehrung ausdrücken kann, wird durch diese Ehren nicht sonderlich erfreut (weil sie immer zu gering sind, für den Werth
seiner Tugend): aber er wird sie nicht ablehnen, weil die Menschen ihm ja doch nichts Größeres zu geben im Stande sind.”
26 [123]
Spaaß und Scherz dient der Erholung, ist eine Art Heilung, wodurch wir wieder Kraft zu neuer Thätigkeit bekommen. “besser ist das Ernste” — ist Aristotelisch.
26 [124]
Daß ein unbegrenzter Wille zur Erkenntniß eine große Gefahr ist, haben noch Wenige begriffen. Das Zeitalter des suffrage universel lebt unter den gutmüthigen und schwärmerischen Voraussetzungen des vorigen Jahrhunderts.
26 [125]
Es gab noch niemals genug Mißtrauen bei den Denkern. Vielleicht war es eine große Gefahr für die Erkenntniß, daß man Tugend und Erkenntniß zusammen finden wollte. Die Dinge sind über die Maaßen bösartig eingerichtet — im Gleichniß zu reden.
26 [126]
Man arbeitet mit Voraussetzungen z. B. daß Erkenntniß möglich ist.
26 [127]
Von der Vielartigkeit der Erkenntniß. Seine Relation zu vielem Anderen spüren (oder die Relation der Art) — wie sollte das ”Erkenntniß” des Anderen sein! Die Art zu kennen und zu erkennen ist selber schon unter den Existenz-Bedingungen: dabei ist der Schluß, daß es keine anderen Intellekt-Arten geben könnte (für uns selber) als die, welche uns erhält, eine Übereilung: diese thatsächliche Existenz-Bedingung ist vielleicht nur zufällig und vielleicht keineswegs nothwendig.
Unser Erkenntniß-Apparat nicht auf „Erkenntniß” eingerichtet.
26 [128]
Während ich will, geschieht eine veritable Bewegung: sollte diese mir unbekannte Bewegung nicht als causa efficiens zu betrachten sein? Der Willens-Akt ist ja selber der Abschluß eines “Kampfs der Motive” — diese selber aber — — —
Verwerfung der causae finales
Verwerfung der causae efficientes: sie sind ebenfalls nur Versuche, uns einen Vorgang — — —
26 [129]
“Laub und Gras, Glück, Segen und Regen.”
26 [130]
Geschichte der Werthschätzungen.
Vornehm
Hart
26 [131]
causa efficiens causa finalis |
beides nur Mittel der Verständlichung. |
26 [132]
Ich denke mir die bösesten kaltblütigsten erbarmungslosesten Menschen.
26 [133]
Befreiung von der Moral:
1) durch Handlungen
2) — — —
26 [134]
NB. Mit Zweckgemäßheit beweist man den Zweck noch nicht.
Bei der Thatsache, daß überall in Sitte und Recht es einen Zweck giebt, ist nicht gezeigt, daß er bezweckt ist bei der Entstehung und oft ist er unzweckmäßig in Hinsicht auf die Mittel eines solchen Zwecks.
Widerspruch in Mitteln geringer Intelligenz und Zweck höchster Intelligenz.
26 [135]
Die secundären Eigenschaften der Dinge unter dem züchtendem Einflusse des uns Nützlichen und Schädlichen (also nicht “an sich angenehm” „unangenehm”, manche Farben bevorzugt: es entwickeln sich unter Umständen Nerven usw. Sinnesorgane usw. Warm, Schwer usw.).
26 [136]
“Ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit” (nicht grausam) — das ist Unsinn, denn nur in lauter Relationen hat er überhaupt eine Beschaffenheit!
26 [137]
Wie weit auch unser Intellekt eine Folge von Existenzbedingungen ist — wir hätten ihn nicht, wenn wir ihn nicht nöthig hätten und hätten ihn nicht so, wenn wir ihn nicht so nöthig hätten, wenn wir auch anders leben könnten.
26 [138]
Die Anpassung an immer neue Verhältnisse und also das Übergewicht der Vererbung und Dauerfähigkeit auf Seiten der anpassungsfähigsten Wesen, der klügsten berechnendsten Einzelnen.
26 [139]
Jenseits von Gut und Böse.
Versuch einer aussermoralischen
Betrachtung der moralischen Phaenomena.
26 [140]
26 [141]
Auszugehen von dem Individuum als Vielheit (Geist als Magen der Affekte) so auch Gemeinde.
26 [142]
Erhaltung einer Art — und Weiterentwicklung.
— Naturen, in denen sich dieser Begriffsunterschied als Widerspruch verkörpert
Problem
Erfindungen, um Erfahrungen zu ersparen (ein vergangenes Leben abzukürzen in immer kürzere Formeln)
Der Philosoph als Herr, aber nicht in seiner Zeit.
Bei Menschen wie Napoleon ist jedes Absehen von sich eine Gefahr und Einbuße: sie müssen ihr Herz verschlossen halten — ebenso der Philosoph. Zarathustra.
Es geht furchtbar zufällig zu: immer mehr Vernunft hineinbringen! Vorsicht usw.
26 [143]
Die Liebe zu jemandem ist an sich so wenig (und so v<iel>) werthvoll als der Haß oder die Rache. Es giebt in der Liebe so viel Blindheit der Hingebung, so viel Noth und Nöthigung, nämlich durch das Unbehagen im Entbehren der anderen Person, so viel Sklaven-Sinn (im Ertragen aller Art von schlechter Behandlung) — es giebt etwas so Verderbliches und Verderbendes in der Liebe, daß die geliebte Person meistens an Geist und Kraft und Vorsicht durch das Geliebtwerden herunter geht. — Die Mutterliebe an sich nicht werthvoll. — Wie etwas äußerst zweckmäßig sein kann, ohne deshalb auf einen Intellekt zurückzugehn, der deshalb zu verehren wäre: so sind viele Handlungen äußerst nützlich für die Erhaltung der Gesellschaft, oder eines Volkes, aber nicht um dieser Erhaltung willen gethan, noch weniger um ihretwillen entstanden: sie werden irrthümlich verehrt, weil man irrthümlich sie auf die guten Folgen hin abschätzt.
26 [144]
Die Unabhängigen.
26 [145]
Wonach mißt man den Werth (einer Handlung) im Verhältniß zu anderen Handlungen?
der Werth einer Handlung, insofern sie Mittel ist (wie weit wohlgewählt oder zufällig als Mittel)
Hauptproblem: wie weit reicht die Erkennbarkeit einer Handlung?
26 [146]
Wo man kein Mißtrauen haben muß, sich gehen lassen darf, Wohlwollen und Gutmüthigkeit aus Augen und Gebärden redet, wo vielleicht gar unsre Fähigkeiten gern oder mit Bewunderung entgegengenommen werden, da pflegt Mancher sein Behagen in ein Lob solcher Menschen zu verwandeln: er nennt sie gut und möchte gern auch ihrem Urtheilsvermögen eine gute Censur geben — man hat sein Vergnügen dabei, hier sich selber zu täuschen.
26 [147]
Die große Complicirtheit der Mittel zu einem ”Zwecke” giebt immer Anlaß zum Argwohne, ob hier eine freie Vernunft anordnend gewirkt habe.
26 [148]
“Niemand will freiwillig das Schlimme.” Bei Plato ist das Schlimme das, was einem schädlich ist.
26 [149]
Gerechtigkeit, als Funktion einer weit umherschauenden Macht, welche über die kleinen Perspektiven von gut und böse hinaus sieht, also einen weiteren Horizont des Vortheils hat — die Absicht, etwas zu erhalten, was mehr ist als diese und jene Person.
26 [150]
Wenn man das herausschält, was allen Thatsachen gemeinsam ist, die Grundformen der äußersten Abstraktion — kommt man da auf “Wahrheiten”? Es gab bisher diesen Weg zur Wahrheit, die Verallgemeinerung — man entdeckte so nur die Grundphänomene des Intellekts. Wirklich?
26 [151]
Die Fähigkeit eines guten vorurtheilsfreien außermoralischen Sehens und Urtheilens ist auszeichnend selten.
26 [152]
Wissentlich und willentlich lügen ist mehr werth als unwillkürlich das Wahre zu sagen — da hat Plato Recht. Obwohl die gewöhnliche Werthschätzung umgekehrt ist: nämlich man hält es für leicht die Wahrheit zu sagen. Aber das ist nur für die plumpen und oberflächlichen Menschen, die nicht mit feinen Dingen zu thun haben, so einfach
26 [153]
Von der Entstehung des Philosophen.
1. Das tiefe Unbehagen unter den Gutmüthigen — wie unter Wolken — und das Gefühl, bequem und nachlässig zu werden, auch eitel. Es verdirbt. — Will man sich klar machen, wie schlecht und schwach hier das Fundament ist, so reize man sie und höre sie schimpfen.
2. Überwindung der Rachsucht und Vergeltung, aus tiefer Verachtung oder aus Mitleid mit ihrer Dummheit.
3. Verlogenheit als Sicherheits-Maßregel. Und noch besser Flucht in seine Einsamkeit.
26 [154]
Ich habe überall hin geblickt — aber ein “Du sollst” ist nicht mehr zu finden für Menschen wie mich. Es versteht sich, daß in einem bestimmten Falle z. B. bei einer Wanderung durch Wildnisse ich jedem gehorchen würde, welcher die Fähigkeit hätte, hier befehlen zu dürfen, durch größere Erfahrung. Ebenso einem Arzte. Einem höheren Geiste würde ich mich unterwerfen, in Betreff der Werthschätzungen: einstweilen sage ich “ich will”; und warte darauf, daß mir noch einmal ein höherer Geist über den Weg läuft.
26 [155]
Es ist die Zeit der Gelobenden: — freie Treue-Gelübde zu Gunsten irgend einer Tugend: nicht, weil diese Tugend befiehlt, sondern weil ich sie mir befehle.
Der Werth der Tugenden für den Erkennenden.
Der Nachtheil der Tugenden für den Erkennenden. Die Benutzung des Bösen, der Ausgestoßenheit, des Verurtheiltseins. Man wird nicht Führer, wenn man nicht erst gründlich von der Heerde ausgestoßen ist
26 [156]
Der Prozeß des Lebens ist nur dadurch möglich, daß viele Erfahrungen nicht immer wieder gemacht werden müssen, sondern in irgend einer Form einverleibt werden — das eigentliche Problem des Organischen ist: wie ist Erfahrung möglich? Wir haben nur Eine Form des Verständnisses — Begriff, der allgemeinere Fall, in dem der spezielle liegt. In einem Falle das Allgemeine Typische sehen scheint uns zur Erfahrung zu gehören — insofern scheint alles „Lebendige” nur mit einem Intellekte uns denkbar zu werden. Nun giebt es aber die andere Form des Verständnisses — es bleiben nur die Organisationen übrig, welche gegen eine große Menge von Einwirkungen sich zu erhalten und zu wehren wissen.
26 [157]
Zur Entstehung des menschlichen Bewußtseins könnte man die Entstehung des Heerden-Bewußtseins benutzen. Denn zuletzt ist ja der Mensch auch eine Vielheit von Existenzen: sie haben sich diese gemeinsamen Organe, wie Blutcirculation, Concentration der Sinne, Magen usw. nicht zu diesen Zwecken geschaffen, sondern zufällige Bildungen, welche den Nutzen ergaben, besser das Ganze zu erhalten, sind besser entwickelt worden und erhalten geblieben. Das Zusammenwachsen von Organismen, als Mittel, das einzelne Wesen länger zu erhalten —
— wo Annäherung Anpassung am größten sind, ist die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung am größten.
26 [158]
Ich will nicht besorgt sein: der Schutz tiefer Bücher liegt jetzt darin, daß die Meisten keine Zeit haben, sie tief zu nehmen, gesetzt sie hätten selbst die Kraft dazu. Der Mißbrauch der Erkenntniß —
26 [159]
Sch<openhauer> hat es stark und lustig genug gesagt, wie es nicht genug sei, nur mit dem Kopfe Philosoph zu sein.
26 [160]
Die Entstehung des Philosophen ist vielleicht die gefährlichste aller Entstehungen: indem ich hier Einiges davon heraus nehme und “zum Besten gebe”, glaube ich ganz und gar nicht diese Gefährlichkeit zu vermindern: und zuletzt hat alle Mittheilung der Erkennenden eben nur den Sinn, zu verhüten, daß nicht jeder neue Erkennende alle die Erfahrungen erst wieder zu machen habe, die schon gemacht sind.
26 [161]
Man könnte noch so Ungünstiges über die Herkunft der moralischen Werthschätzung nachgewiesen haben: jetzt, wo diese Kräfte da sind, können sie verwendet werden und haben als Kräfte ihren Werth. Ebenso wie eine Herrschaft auf List und Gewalt zurückgehn kann: aber der Werth, den sie hat, liegt darin, daß sie eine Herrschaft ist. — Es wäre denn die Sache so, daß alle Kraft der moralischen Werthschätzungen gebunden wäre an die Rechtmäßigkeit ihrer Herkunft oder überhaupt an einen bestimmten Glauben über deren Herkunft: so daß dann, mit dem Durchschauen eines Irrthums, die Kraft der Überzeugung vom Werthe dahinfiele. Indessen: wir sind in allen Stücken auf optische Irrthümer und Werthschätzungen eingerichtet. Die unzureichende Kenntniß eines Beefsteaks wird Niemanden hindern, es sich schmecken zu lassen.
26 [162]
Die Weiber sind viel sinnlicher als die Männer (obschon die angezüchtete Schamhaftigkeit ihnen selber daraus ein Geheimniß macht): für die es zuletzt wichtigere Funktionen gibt als die geschlechtliche. Aber wenn sich ein schöner Mann einem Weibe nähert — Weiber sind überhaupt unfähig, sich ein Verhältniß zwischen Mann und Weib zu denken, das nicht eine Spannung der Geschlechtlichkeit mit sich brächte.
26 [163]
26 [164]
Die Geschichte der Werthschätzungen und die Entwicklung der Erkennbarkeit der Handlung geht nicht Hand in Hand.
26 [165]
Werth nach dem Erfolge.
Gewöhnlich mißt man den Werth einer Handlung nach einem willkürlichen einzelnen Gesichtspunkte z.B. Werth einer Handlung für mein jetziges oder allgemeines Wohlbefinden
— oder für meine Vergrößerung, Vermehrung von Concentration Selbst-Beherrschung oder Gefühls-Umfänglichkeit (Mehrung der Erkenntniß)
— oder in Hinsicht auf Förderung meines Leibes, meiner Gesundheit Gewandtheit Rüstigkeit
— oder für das Wohl meiner Kinder oder Gemeinde oder Land oder Fürst oder Vorgesetzte oder Amt oder Garten oder Landwirthschaft.
— und jeder Andere kann meine Handlung noch auf sein Wohl usw. ansehn.
auch läßt sich fragen, worauf eine Handlung nicht Einfluß hat
26 [166]
Der Werth einer Handlung liegt in ihrer Alltäglichkeit oder Seltenheit oder Schwierigkeit — Gesichtspunkt der Vergleichung von Handlung mit anderen Handlungen
die Art des Geschehens, wie weit willkürlich oder gehemmt, unterstützt, durch den Zufall vielleicht, als Glied in einer Kette — und wie gut ausgeführt oder wie halb und unklar.
26 [167]
Meine Werthschätzung der Religionen.
Ursprung jener Moral, welche Ausrottung der sinnlichen Triebe und Verachtung des Leibes fordert: eine Nothmaßregel solcher Naturen, welche nicht Maaß zu halten wissen und welche nur die Wahl haben, Wüstlinge und Schweine oder aber Asketen zu werden. Als persönlicher Ausweg wohl zu gestatten; ebenso wie eine christliche oder buddhistische Denkweise bei solchen, welche sich als Ganzes mißrathen fühlen; man muß es ihnen schon nachsehen, daß sie eine Welt verleumden, in der sie schlecht weggekommen sind. — Aber das ist Sache unserer Weisheit, solche Denkweisen und Religionen als große Irren- und Zuchthaus-Anstalten zu beurtheilen.
26 [168]
Der Mensch, ein vielfaches, verlogenes, künstliches und undurchsichtiges Thier, allen anderen Thieren durch Klugheit und List unheimlich und furchteinflößend — gebärdet sich oberflächlich, sobald er moralisirt.
26 [169]
Seht euch vor! Martyrium und Angegriffenheit verdirbt leicht den reinen Sinn zur Wahrheit: ihr werdet halsstarrig und macht euch blind gegen Einwände! Geht auch den Anfeindungen aus dem Wege!
26 [170]
Wissenschaft — Umwandlung der Natur in Begriffe zum Zweck der Beherrschung der Natur — das gehört in die Rubrik “Mittel”
aber der Zweck und Wille des Menschen muß ebenso wachsen, die Absicht in Hinsicht auf das Ganze
26 [171]
Plato und Aristoteles giengen energisch darauf los, das Reich der Begriffe festzustellen — es war ein Mißverständniß
ein Gegen-Reich zu schaffen d. h. eine Statistik und Werthabschätzung.
26 [172]
der höchste Mensch, der die hellsten und schärfsten Augen, die längsten Arme und das härteste entschlossenste Herz hat, der Mensch der bewußtesten weitesten Verantwortlichkeit
26 [173]
Wenn ich mich jetzt nach einer langen freiwilligen Vereinsamung wieder den Menschen zuwende, und wenn ich rufe: wo seid ihr meine Freunde? so geschieht dies um großer Dinge willen.
ich will einen neuen Stand schaffen: einen Ordensbund höherer Menschen, bei denen sich bedrängte Geister und Gewissen Raths erholen können; welche gleich mir nicht nur jenseits der politischen und religiösen Glaubenslehren zu leben wissen, sondern auch die Moral überwunden haben.
26 [174]
Bei allen Fragen nach der Herkunft von Sitten Rechten und Sittlichkeiten muß man sich wohl hüten, die Nützlichkeit, welche eine bestimmte Sitte oder S<ittlichkeit> hat, sei es für die Gemeinde, sei es für den Einzelnen, auch als Grund ihrer Entstehung anzusehn; wie es die Naiven der historischen Forschung machen. Die Nützlichkeit selber nämlich ist etwas Wechselndes, Schwankendes; es wird in alte Formen ein Sinn immer wieder hineingelegt, und der „zunächstliegende Sinn” einer Institution ist oft am letzten erst in sie hinein gebracht. Es steht da wie bei den “Organen” der organischen Welt; auch da glauben die Naiven, daß das Auge um des Sehens willen entstanden sei.
26 [175]
Es ist eine Sache der Ehrlichkeit und zwar einer sehr mäßigen und keineswegs bewunderungswürdigen Ehrlichkeit, vom Glauben an Gott sich rein zu erhalten; und was ehemals z. B. noch zu Pascals Zeiten eine Forderung des intellekt<uellen> Gewissens war, kann heute als- ein Verbot desselben Gewissens in jedem kräftigen Manneskopfe und Mannesherzen gelten. Die gedankenlose Art, ohne Prüfung überlieferte Meinungen anzulernen und verehren zu lernen, ebenso die Verehrung für das, was unsere Väter geglaubt haben und endlich eine Furchtsamkeit vor den Folgen der Gottlosigkeit — das ist die Ursache
26 [176]
Wer den Werth menschlicher Handlungen nur nach den Motiven Absichten mißt, muß auch als Forscher der Entstehung der Moralität darauf bestehen, daß die Moralität der Menschheit so viel werth sei als die Absichten, welche bei den primitiven moralischen Werthschätzungen, bei den Erfindern derselben gewaltet haben. „Warum ist der Uneigennützige gelobt worden?”
26 [177]
Es giebt eine Überzahl von Familien und Geschlechtern, welche eine Art zu schätzen eben nur fortpflanzen und fortvererben: aber man soll die starken prüfenden und selbständigen Naturen nicht übersehen, welche sich einer Werthschätzung erst nach einer Kritik unterwerfen und noch öfter sie negiren und auflösen. Es giebt auch einen fortlaufenden Strom verneinender und prüfender Kräfte in der Entwicklung des moralischen Urtheilens.
26 [178]
Der Fatalismus und seine Beweisbarkeit.
(causa efficiens ebenfalls wie c<ausa> f<inalis> nur eine populäre Auswahl und Vereinfachung)
Die Erkennbarkeit der Handlungen. Das Wesen der Handlungen wird erschlossen aus Zeugen.
Gut und Böse als perspectivisch.
Entstehung des Gefühls „Schuld“. Was ist Strafe?
Die Beurtheilung von “ich” und „Gemeinde”, neuerdings “der Nächste”
26 [179]
“Verantwortlich für etwas” als Freiheit des Willens verstanden (Heerden-Auffassung!)
“Unverantwortlich, sein eigener Herr”
“vor Niemandem sich verantworten müssen” diese Art Freiheit des Willens geht bis Plato, als Erbschaft der noblesse — absolute Unschuld.
“Herr seiner Tugenden, Herr seiner Schuld” wie Manfred
Unschuld wegen der Beherrschtheit durch das fatum ist die Sklavenauffassung. Der Stolz regt sich, wenn der Mensch für seine Verdienste als Urheber gelten will.
— aber Homers Stolz und aller Inspirirten, nicht selber Urheber, sondern Werkzeuge eines Gottes zu sein!
— man wird für den Erfolg bestraft, nicht für die Absicht — als Schadenanstifter. Da giebt es noch nicht “Schuld” im subjektiven Sinne.
26 [180]
Es giebt Grundthatsachen, auf denen überhaupt die Möglichkeit des Urtheilens und Schließens ruht — Grundformen des Intellekts. Damit aber sind es Wahrheiten, — es könnten Irrthümer sein.
26 [181]
Hymnus auf das fatum und das Glück der Unverantwortlichkeit.
26 [182] Verschiedenheit der Moralen
1) vom Gesichtspunkte der Fortentwicklung innerhalb des gleichen Stammes (primitive höhere)
2) vom Gesichtspunkte des gleichzeitigen Nebeneinanderherrschens verschiedener Moralen (z. B. 2 Stände)
Bedingungen des Daseins überhaupt.
Bedingungen der Entwicklung zum Höheren: a) in Hinsicht auf Gemeinden b) in Hinsicht auf Einzelne.
26 [183]
Wie von Alters her der Mensch in tiefer Unbekanntschaft mit seinem Leibe lebt und an einigen Formeln genug hat, um darüber sich mitzutheilen: so steht es mit den Urtheilen über den Werth von Menschen und menschlichen Handlungen. Ein paar ganz äußerliche und nebensächliche Punkte werden festgehalten und übertrieben betont.
26 [184]
Herren-Moral und Sklaven-Moral.
Wie kostspielig sind alle diese Werthschätzungen der Sittlichkeit! Z. B. die Ehe wird jetzt bezahlt durch die tief greifende Verleumdung und innere Verderbniß des anderen Geschlechts-Verkehrs!
Alle Heerden-Werthschätzungen sind ebenso sehr gegen die niedrigen Naturen gerichtet als gegen die Ausnahms-Weisen, Höheren Naturen.
26 [185]
Damit daß Einer verrufen und von der Heerde in Bann gethan ist, ist er auch jener Verlogenheit enthoben, welche zu den ersten Verpflichtungen des Heerden-Gewissens gehört: und steckt Einer voll von bösen Trieben, wie Socrates, nach seinem eignen Zeugnisse, so leidet er wenigstens an dem nicht, was die Jammergeschichte des guten Menschen ausmacht
26 [186]
Capitel über den Einfluß der Werthschätzungen auf die Entwicklung der Affekte.
Zu unterscheiden: warum wird thatsächlich moralisch so und so geurtheilt? Und welchen Werth hat dies Urtheilen?
Die Voraussetzungen alles moralischen Urtheilens: a) die Erkennbarkeit der Handlung (Gleichartigkeit von Handlungen, Möglichkeit einer begrifflichen Bestimmung) b) die Verschiedenheit des moralischen Werths von allen sonstigen Werthen.
Damit aber, daß thatsächlich diese Voraussetzungen von jeher gemacht sind, sind sie nicht bewiesen. Es könnte stehn, wie bei der Astrologie. Dann bliebe noch übrig die Darstellung der bisherigen Art Moral, nebst der Untersuchung ihrer Ursprünge.
26 [187]
Werth des Menschen im Verhältniß zu Thieren oder zu niedersten Wesen.
26 [188]
Ich sah mich um, aber sah bisher keine schlimmere Gefahr für alle Erkenntniß als die moralische Heuchelei: oder, um gar keinen Zweifel zu lassen, jene Heuchelei, welche Moral heißt.
26 [189]
Moral als Heuchelei.
Wenn, bei fortschreitender Verfeinerung der Nerven, gewisse harte und grausame Strafen nicht mehr verhängt oder geradezu abgeschafft werden, so geschieht dies, weil die Vorstellung solcher Strafen den Nerven der Gesellschaft mehr und mehr wehe thut: nicht die wachsende Rücksicht auf den Verbrecher, nicht eine Zunahme der brüderlichen Liebe, sondern eine größere Schwäche beim Anblick von Schmerzen bringt diese Milderung des Strafcodex zu Wege.
26 [190]
Bösartige und verrufene Menschen können der moralischen Erkenntniß ausgezeichnete Dienste leisten, vorausgesetzt daß sie überhaupt Geist und Geistigkeit genug haben, um Lust am Erkennen zu fühlen: während die Schwäche und Folgsamkeit des guten Menschen, sein Mangel an Mißtrauen, sein Hinwegsehenwollen, sein Nicht-genau-sehen-wollen, seine Furcht vor dem Wehethun, das mit allem Seciren von Fleisch und Seele verbunden ist, ebenso viele Gefahren für die moralische Erkenntniß sind. Schon daß einer, durch den Bann, den die Gesellschaft auf ihn legt, sich von der Verlogenheit enthoben fühlt, zu der, als zur ersten Pflicht und Bedingung ihres Daseins, jede Heerde jeden Heerden-Menschen anleitet — — —
26 [191]
Man muß sich zu einer solchen Denkweise (wie die christliche ist) den idealen, ganz zu ihr geschaffenen Menschen denken — Pascal z. B. Denn für den durchschnittlichen Menschen giebt es auch immer nur ein Surrogat-Christenthum, selbst für solche Naturen, wie Luther — er machte sich ein Pöbel- und Bauern-Christenthum zurecht.
26 [192]
Das Leben ist höchst räthselhaft; bisher glaubten alle großen Philosophen durch eine entschlossene Umkehrung des Blicks und der Werthschätzungen eine Lösung zu erzielen. — Ebenso glaubten alle daß für die niedrigen Intellekte ein Surrogat geboten bliebe, z. B. Moral, Glaube an Gott, Unsterblichkeit usw. (Seelenwanderung)
Die Hauptsache ist, daß eine solche Umkehr nicht nur eine Denkweise, sondern eine Gesinnungsweise ist: für Menschen, die einer umwälzenden Gesammt-Werthschätzung nicht fähig sind, — höchster Grad der Selbst-Bestimmung — ist alles gelehrte Wissen um solche Systeme fruchtlos. — Die Fruchtlosigkeit der philosophischen Denkweise, z. B. bei Kant Schopenhauer R. Wagner usw.
26 [193]
Darin, daß die Welt ein göttliches Spiel sei und jenseits von Gut und Böse — habe ich die Vedantaphilos<ophie> und Heraclit zum Vorgänger.
26 [194]
Gebotene und verbotene Werke = gut und böse.
26 [195]
Es liegt in der Art der menschlichen Entwicklung, daß ein formales „Du sollst dies und jenes thun, dies und jenes lassen” uns wohl eingeboren sein mag — ein Gehorsams-Instinct, der nach einem Inhalte begehrt; je mehr einer sklavisch oder weiberhaft ist, um so stärker wird dieser Instinkt sein. Nämlich bei den Anderen, Selteneren wird dieser Instinct durch einen anderen überwogen — einen Willen zu befehlen, voranzugehen, mindestens allein zu sein (dies ist die mildeste Form der befehlerischen Natur –)
Wie weit andere Tugend-Instincte angeboren sein mögen —
26 [196]
Es wird aus dem Bösen (Bös-Empfundenen) etwas „Gutes” (als Gut-Empfundenes); und wiederum kann manches Gute, wenn wir auf eine höhere Stufe steigen, in uns als Böse empfunden werden, z. B. der Fleiss für den vollkommenen Künstler, der Gehorsam für den zum Befehlen Gelangten, die Hingebung und die Gnade für den Vertreter großer persönlicher Ziele (Napoleon) Alle diese edelmüthigen Gefühle, welche der junge N<apoleon> mit seiner Zeit gemein hatte, waren Verführungen und Versuchungen, welche die Ausschließliche Verwendung der Kraft in Einer Richtung schwächen wollten.
26 [197]
Daß man sich Tugenden zulegen und Fehler ablegen könne, ist kein Zweifel: was geschieht da eigentlich?
26 [198]
Die Vergeltung der Werke an dem Thäter — ein Grundgedanke der Vedantaphilos<ophie>. Die ganze Welt selber ist nur die Vergeltung der Werke an dem Thäter — aber sie beruht auf dem Nicht-Wissen.
26 [199]
“Ihn suchen die Brahmanen zu erkennen durch Vedastudium, durch Opfer, durch Almosen, durch Büßen, durch Fasten: die eigenen Mittel der Erkenntniß sind: Gemütsruhe, Bezähmung, Entsagung, Geduld, Sammlung” — Mittel zu einer mystischen Intuition als der höchsten Seligkeit des Menschen.
26 [200]
Nämlich: was ist thatsächlich der höchste Glücks-Zustand des Menschen? Das hat in den verschiedensten Systemen den Maaßstab abgegeben. Haschisch
26 [201]
Daß auch die Empfindung des Schmerzes auf Illusion beruht p. 448
26 [202]
NB. Für wen es nicht mühsam ist, sich den Zustand der gewöhnlichen Menschen vorzustellen, der ist kein höherer Mensch. Aber insofern ein Philosoph es wissen muß, wie der gewöhnliche Mensch beschaffen ist, muß er dieses Studium treiben: da hat mir z. B. Reè genützt, der mit ausgezeichneter Redlichkeit, und ohne das Errathen höherer Zustände, welches Künstler haben, bei allen eine Gemeinheit —
26 [203]
Die Grenzen des Menschen. Der Versuch zu machen, wie hoch und weit man den Menschen treiben kann:
— die Unlust am Menschen verleitete die Brahmanen, Plato usw. nach einer außermenschlichen göttlichen Daseinsform zu trachten — jenseits von Raum Zeit Vielheit usw. Die Unlust bezog sich auf das Inconstante, Täuschende, Wechselnde, “Stinkende” usw. Thatsächlich gab den Anlaß zur Lösung 1) die Ecstase 2) der tiefe Schlaf.
— nun könnte aber auch einmal das Lust- und Machtgefühl des Menschen nach einer weiteren Daseinsform trachten — eine Denkweise suchen, welche auch dem Inconstanten, Täuschenden, Wechselnden usw. sich gewachsen fühlte — die schaffende Lust. Grundsatz dabei: das Unbedingte kann nicht das Schaffende sein. Nur das Bedingte kann bedingen.
— Thatsächlich ist die vorhandene Welt, die uns etwas angeht, von uns geschaffen — von uns d. h. von allen organischen Wesen — sie ist ein Erzeugniß des organischen Prozesses, welcher dabei als produktiv-gestaltend, werthschaffend erscheint. Von ihm als Ganzem aus gesehen: ist alles Gut und Böse nur perspektivisch für Einzelnes oder einzelne Theile des Prozesses; im Ganzen aber ist alles Böse so nothwendig wie das Gute, der Untergang so nothwendig wie das Wachsthum
— die Welt des Unbedingten, wenn es existirte, wäre das Unproduktive.
aber man muß endlich begreifen, daß Existent und Unbedingt widersprechende Prädikate sind.
26 [204]
Die schöpferische Kraft (Gegensätze bindend, synthetisch)
26 [205]
Alle welche etwas repräsentiren z. B. Fürsten Priester usw. müssen so und so zu scheinen suchen, wenn sie nicht so und so sind — das geschieht fortwährend in den kleinsten Verhältnissen, denn im Verkehr mit Menschen repräsentirt jeder immer Etwas, irgend einen Typus — darauf beruht der menschliche Verkehr, daß jeder sich möglichst eindeutig, gleichdeutig benimmt: damit nicht zu viel Mißtrauen nöthig ist (eine Vergeudung geistiger Kraft!)
Man stellt sich in Verhältnisse, wo unsre geistige Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht allzusehr angespannt wird — und schimpft, wenn es anders ist, gegen jeden, der uns dazu zwingt.
Die großen Unruhe- Mißtrauen-stifter, die uns zwingen alle Kräfte zusammenzunehmen, werden furchtbar gehaßt — oder man unterwirft sich ihnen blindlings (es ist dies eine Ausspannung für beunruhigte Seelen —
— um keine solche souveränen Schrecklichen zu haben, erfindet man Democratie, Ostracismus, Parlamentarismus, — aber die Sache liegt in der Natur der Dinge.
Wenn der Abstand der Menschen sehr groß von einander ist — so bilden sich Formen darnach.
Daß die hochbegabten Naturen gehorchen lernen, ist schwer; denn nur höher begabten und vollkommeneren Naturen gehorchen sie, aber wie, wenn es diese nicht giebt!
26 [206]
Wie wir unverstandene körperliche Zustände als moralische Leiden auslegen — an uns, an unseren Mitmenschen uns dafür rächen —
26 [207]
Es entspricht dem Verhalten des Weisen in gewissem Sinn das Verhalten des Organism gegen die Außenwelt, speziell ist der Intellekt prachtvoll als regierende, abhaltende, ordnende Macht, kalt bleibend unter dem Sturm von Eindrücken.
26 [208]
Die tausend Räthsel um uns würden uns nur interessiren, nicht quälen, wenn wir gesund und heiter genug im Herzen wären.
26 [209]
Der uralte Fehlschluß auf eine erste Ursache, auf einen Gott, als Ursache der Welt. Aber unser eigenes Verhalten zur Welt, unser tausendfältig schaffendes Verhalten in jedem Augenblick zeigt richtiger, daß Schaffen zu den unveräußerlichen und beständigen Eigenschaften der Welt selber gehört: — um die Sprache der Mythologen nicht zu verschmähen.
26 [210]
Die Nachahmenden
26 [211]
Den Magen und seine Thätigkeit moralisch beurtheilen: ursprünglich ist alles Geschehen moralisch interpretirt worden. Das Reich des “Wollens und Werthschätzens” immer kleiner geworden.
26 [212]
Man muß wirklich drüber hinaus sein, sich zu ärgern über die Verurtheilung durch kleine niedrige Naturen — es giebt aber viel Affectation dieses “drüber hinaus”
26 [213]
Der Anschein der erreichten Tugend wird uns zur Pflicht gemacht: jeder mäßig Redliche gienge zu Grunde unter allgemeiner Verachtung.
26 [214]
Was das Weib betrifft, so neige ich zur orientalischen Behandlung: die ausnahmsweisen Weiber selber beweisen immer nur das Gleiche — Unfähigkeit zur Gerechtigkeit und unglaublich reizbare Eitelkeit. Man soll nichts an ihnen zu ernst nehmen, ihre Liebe am wenigsten: zum mindesten soll man wissen, daß die treuest und leidenschaftlichst Liebenden gerade eine kleine Untreue zur Erholung nöthig haben, ja zur Ermöglichung der Dauer der Liebe.
26 [215]
Daß man liebt (verzeiht, nachsieht usw.), weil man nicht stark, fest genug ist, feind zu sein, wehe zu thun durch seine Feindschaft — daß man lieber liebt als gerecht-neutral bleibt, weil es uns zu kalt und unheimlich wird, so allein stehn zu bleiben — daß man lieber die Entehrung erträgt als jemandem böse zu sein — sehr weiblich!
26 [216]
Ein Intellekt nicht möglich ohne die Setzung des Unbedingten. Nun giebt es Intellekte und in ihnen das Bewußtsein des Unbedingten. Aber das letztere als Existenz-Bedingung des Intellekts: — jeden Falls kann das Unbedingte dann nichts Intellektuelles sein: das Funktioniren des Intellekts, das Existiren des Intellekts auf eine Bedingung hin spricht gegen die Möglichkeit des Unbedingten als Intellekt.
— Schließlich könnte das Logische möglich sein in Folge eines Grundirrthums, eines fehlerhaften Setzens (Schaffens, Erdichtens eines Absoluten)
26 [217]
Ich sage: der Intellekt ist eine schaffende Kraft: damit er schließen, begründen könne, muß er erst den Begriff des Unbedingten geschaffen haben — er glaubt an das, was er schafft, als wahr: dies das Grundphänomen.
Über die Bedingungen des logischen Denkens:
26 [218]
Daß wir solchen Menschen zu gefallen wünschen, die wir verehren, ist nicht Eitelkeit — gegen Reè.
26 [219]
Zarathustra 1.
Überwindung der Eitelkeit
Ehrfurcht
26 [220]
2. (3.) Zarathustra.
Große kosmische Rede „in bin die Grausamkeit” „ich bin die List” usw. Hohn auf die Scheu, die Schuld auf sich zu nehmen — Hohn des Schaffenden — und alle Leiden — böser als je einer böse war usw. Höchste Form der Zufriedenheit mit seinem Werk — er zerbricht es, um es immer wieder zusammen zu fügen. Buddha p. 44, 46.
neue Überwindung des Todes, des Leides und der Vernichtung
der Gott, der sich klein (eng) macht und sich hindurchdrängt durch die ganze Welt (das Leben immer da) — Spiel, Hohn — als Dämon auch der Vernichtung.
26 [221]
Zu: Theil 2
Aussermoralische Betrachtung
1 wahr | verlogen | |
2 gut und böse | als rein | und unrein Buddha, p. 50 |
3 verehrlich | verächtlich p. 296 | |
4 als vornehm | und niedrig | |
5 nützlich | schädlich | |
6 gut | als sich Los-Lösen von der Welt weltentsagend (nicht “handelndes Gestalten”) p. 50 |
böse = weltlich |
7 geboten | verboten | |
8 unegoistisch | egoistisch | |
9 arm (Ebion) | reich | |
<gut> | elend | glücklich |
10 Umkehrung: besitzend, reich (auch arya im Eranischen, und über gehend ins Slavische.) | ||
rein = glücklich | böse = unglücklich |
die höchste Kraft, im Brahman<ismus> und Christenthum — sich abzuwenden von der Welt. p. 54—
26 [222]
Zarathustra 1. furchtbare Spannung. Zarathustra muß kommen oder alles auf Erden ist verloren.
26 [223]
Zarathustra 3 (2). die große Weihung des neuen Arzt-Priester- Lehrer-Wesens, welches dem Übermenschen vorangeht.
26 [224]
Unegoistische Handlungen sind unmöglich; „unegoistischer Trieb” klingt mir in die Ohren wie ”hölzernes Eisen”. Ich, wollte, daß irgendwer den Versuch Machte, die Möglichkeit solcher Handlungen zu beweisen: daß sie existiren, daran glaubt freilich das Volk und wer ihm gleich steht — etwa wie der, welcher Mutterliebe oder Liebe überhaupt etwas Unegoistisches nennt.
Daß übrigens die Völker die moralische Werthtafel “gut” und „böse” immer als “unegoistisch” und “egoistisch” ausgelet hätten, ist ein historischer Irrthum.
Vielmehr ist gut und böse als „geboten” und „verboten” — ”der Sitte gemäß oder zuwider” — viel älter und allgemeiner.
Daß mit der Einsicht in die Entstehung der moralischen Werthurtheile noch nicht eine Kritik und Werthbestimmung derselben gegeben ist — ebenso wenig eine Qualität durch Kenntniß der quantitativen Bedingungen, unter denen sie entsteht, erklärt ist.
26 [225]
Übung im Gehorsam: die Schüler des Brahmanen. Die Tempelherrn-Gelübde, die Assasinen.
Die Vergöttlichung des Machtgefühls im Brahmanen: interessant daß es in der Krieger-Kaste entstanden und erst übergegangen ist auf die Priester.
26 [226]
Die Erkenntniß ist ihrem Wesen nach etwas Setzendes, Erdichtendes, Fälschendes:
26 [227]
„Wissenschaft” (wie man sie heute übt) ist der Versuch, für alle Erscheinungen eine gemeinsame Zeichensprache zu schaffen, zum Zwecke der leichteren Berechenbarkeit und folglich Beherrschbarkeit der Natur. Diese Zeichensprache, welche alle beobachteten “Gesetze” zusammenbringt, erklärt aber nichts — es ist nur eine Art kürzester (abgekürztester) Beschreibung des Geschehens.
26 [228]
Die ungeheure Masse von Zufälligem Widerspruch Disharmonischem Blödsinnigem in der jetzigen Menschen-Welt weist hin auf die Zukunft: es ist, von der Zukunft aus gesehen, das ihr jetzt nothwendige Arbeits-Feld, wo sie schaffen, organisiren und harmonisiren kann. — Ebenso im Weltall
26 [229]
Von der Augenscheinwelt führen die Brahmanen und Christen ab, weil sie dieselbe für böse halten (fürchten –) aber die Wissenschaftlichen arbeiten im Dienste des Willens zur Überwältigung der Natur.
26 [230]
Über wie viel Zufälliges bin ich Herr geworden! Welch schlechte Luft blies mich an, als ich Kind war! Wann waren die Deutschen dumpfer ängstlicher muckerhafter kriecherischer als in jenen fünfziger Jahren, in denen ich Kind war!
26 [231]
NB. Der bisherige Mensch — gleichsam ein Embryon des Menschen der Zukunft — alle gestaltenden Kräfte, die auf diesen hinzielen, sind in ihm: und weil sie ungeheuer sind, so entsteht für das jetzige Individuum, je mehr es zukunftbestimmend ist, Leiden. Dies ist die tiefste Auffassung des Leidens: die gestaltenden Kräfte stoßen sich.
Die Vereinzelung des Individuums darf nicht täuschen — in Wahrheit fließt etwas fort unter den Individuen. Daß es sich einzeln fühlt, ist der mächtigste Stachel im Prozesse selber nach fernsten Zielen hin: sein Suchen für sein Glück ist das Mittel, welches die gestaltenden Kräfte anderseits zusammenhält und mäßigt, daß sie sich <nicht> selber zerstören.
26 [232]
Nicht “Menschheit”, sondern Übermensch ist das Ziel! Mißverständniß bei Comte
26 [233]
Das Glück höherer Wesen auf Sternen (bei Dühring) eine feinere Ausflucht vor der irdischen Unbefriedigung! Gleich den Hinter- und Überweltlern!
26 [234]
Die Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Menschen — mein Ausweg! Das Ziel, welches die Engländer sehen, macht jede höhere Natur lachen! Es ist nicht begehrenswerth — viel Glückliche geringsten Ranges ist beinahe ein widerlicher Gedanke.
26 [235]
An den Wind Mistral.
Eine Rhapsodie.
26 [236]
Die Erkenntniß wird, bei höherer Art von Wesen, auch neue Formen haben, welche jetzt noch nicht nöthig sind.
26 [237]
“Ohne meine Pfeile wird das Troja der Erkenntniß nicht erobert” — sage ich Philoctet.
26 [238]
Der Philosoph die höhere Species, aber viel mißrathener bisher. Der Künstler die niedere, aber viel schöner und reicher entwickelt!
26 [239]
Zum Plan.
A. Die regulativen Hypothesen | im Vordergrund meine Philosophie: Inhalt des ersten Theils. |
B. Das Experiment | |
C. Die Beschreibung (an Stelle der angeblichen „Erklärung”) |
die zugehörigen Seelen-Zustände als bisherige höchste Errungenschaften (von mir für mich) Philosophie als Ausdruck eines außerordentlich hohen Seelen-Zustandes.
26 [240]
Die Erklärer von Dichtern mißverstehen, daß der Dichter Beides hat, die Realität und die Symbolik. Ebenso den ersten und den zweiten Sinn eines Ganzen. Ebenso Lust an dem Schillernden, Zwei-, Dreideutigen, auch die Kehrseite ist gut.
26 [241]
Erster Theil.
Die neuen Wahrhaftigen.
Überwindung des Dogmatischen und des Dünkels | der zugehörige höhere Seelen-zustand |
Überwindung des Sceptikers der Schwäche.
das neue Macht-Gefühl: der mystische Zustand, und die hellste kühnste Vernünftigkeit als ein Weg dahin
Zweiter Theil.
Jenseits von Gut und Böse.
26 [242]
Galiani meint, der Mensch sei das einzige religiöse Thier. Aber in der Art, wie ein Hund sich vor dem Menschen wälzt, erkenne ich die Art der “Gottseligen” wieder, wenn auch vergröbert.
26 [243]
Die neue Rangordnung.
Vorrede zur Philosophie der ewigen
Wiederkunft.
Immer strenger fragen: für wen noch schreiben? — Für Vieles von mir Gedachte fand ich keinen reif; und Zarathustra ist ein Beweis daß Einer mit der größten Deutlichkeit reden kann, aber von Niemandem gehört wird. — Ich fühle mich im Gegensatz zur Moral der Gleichheit.
Die Ungleichheit der Menschen
(Dionysische Weisheit) Die höchste Kraft, alles Unvollkommene, Leidende als nothwendig (ewig-wiederholenswerth) zu fühlen aus einem Überdrange der schöpferischen Kraft, welche immer wieder zerbrechen muß und die übermüthigsten schwersten Wege wählt (Princip der größtmöglichsten Dummheit, Gott als Teufel und Übermuth-Symbol)
Der bisherige Mensch als Embryon, in dem sich alle gestaltenden Mächte drängen Grund seiner tiefen Unruhe — — —
der schaffendste als der leidendste?
26 [244]
Zur Vorrede.
Zur Ehrfurcht erziehen, in diesem pöbelhaften Zeitalter, welches selber im Huldigen noch pöbelhaft ist, für gewöhnlich aber zudringlich und schamlos (auch mit seinem “Wohlthun” und “Mitleiden”) Eine Vorrede zum Fortscheuchen der Meisten. Ja, ich habe keinen, an den ich denke — es sei denn jene ideale Gemeinde, welche sich Zarathustra auf den glückseligen Inseln erzogen hat.
26 [245]
Der beständige Blick nach dem Vollkommenen hin, und daher Ruhe — was Schopenhauer als aesthetisches Phänomen beschreibt, ist auch das Charakteristische der Gläubigen. Goethe (an Rath Schlosser): wahrhaft hochachten kann man nur, wer sich nicht selbst sucht ... ich muß gestehn, selbstlose Charaktere dieser Art in meinem ganzen Leben nur da gefunden zu haben, wo ich ein festgegründetes religiöses Leben fand, ein Glaubensbekenntniß, das einen unwandelbaren Grund hatte, gleichsam auf sich selbst ruhte, nicht abhieng von der Zeit, ihrem Geiste, ihrer Wissenschaft
(das Orientalische, das Weib macht hier diese Wirkung –)
26 [246]
In diesem Jahrhundert der oberflächlichen und geschwinden Eindrücke ist das gefährlichste Buch nicht gefährlich: es sucht sich die fünf, sechs Geister die tief genug sind. Im übrigen — was schadet es, wenn es diese Zeit zerstören hilft!
26 [247]
Die Amerikaner zu schnell verbraucht — vielleicht nur anscheinend eine zukünftige Weltmacht.
26 [248]
Leibnitz ist interessanter als Kant — typisch deutsch gutmüthig, voll edler Worte, listig, geschmeidig, schmiegsam, ein Vermittler (zwischen Christenthum und der mechanistischen Weltansicht), ungeheuer verwegen für sich, verborgen unter einer Maske und höfisch-zudringlich, anscheinend bescheiden.
26 [249]
Die Franzosen tief artistisch — das Durchdenken ihrer Cultur, die Consequenz im Durchführen des schönen Anscheines — spricht gar nicht gegen ihre Tiefe — — —
26 [250]
Plato dachte: was man befiehlt als von Gott aus, z. B. wenn man die Geschwister-Ehe verbietet als ein Greuel für Gott: er meint, das unbedingte Verbieten sei der genügende Erklärungsgrund für die moralischen Urtheile. Kurzsichtig!
26 [251]
Man bewunderte den Unabhängigen im Alterthum, Niemand klagte über den “Egoismus” des Stoikers.
26 [252]
Jedes Volk hat seine eigene Tartüfferie
26 [253]
“Hier ist die Aussicht frei, der Blick erhoben.”
26 [254]
Das Problem von Freiheit und Unfreiheit des W<illen>s gehört in die Vorhöfe der Philosophie — für mich giebt es keinen Willen. Daß der Glaube an den Willen nothwendig ist, um zu “wollen” — ist Unsinn.
26 [255]
Geringschätzung gegen das jetzige Deutschland, welches nicht Takt genug hat, solche Klatschbasen-Bücher, wie das von Jans<s>en, einfach abzulehnen: wie es sich „den alten und neuen Glauben” des alten, sehr alten und gar nicht neuen Strauß hat aufschwätzen lassen.
26 [256]
Zum Titel: ”Eine Wahrsagung”.
Ich glaube, ich habe Einiges aus der Seele des höchsten Menschen errathen — vielleicht geht jeder zu Grunde, der ihn erräth, aber wer ihn gesehen hat, muß helfen, ihn zu ermöglichen.
Grundgedanke: wir müssen die Zukunft als maaßgebend nehmen für alle unsere Werthschätzung — und nicht hinter uns die Gesetze unseres Handelns suchen!
26 [257]
Complementäre Menschen — wo?
26 [258]
Vorrede:
von der Rangordnung des Geistes
Von der Ungleichheit der Menschen
Von der Ungleichheit der höheren Menschen (nach der Seite der Kraftmenge)
Von der Rangordnung der Werthe-Schaffenden (in Bezug auf das Werthe-setzen)
26 [259]
Philosophie der ewigen Wiederkunft. Ein Versuch der Umwerthung aller Werthe.
26 [260]
In diesem pöbelhaften Zeitalter soll der vornehm geborene Geist jeden Tag mit dem Gedanken der Rangordnung beginnen: hier liegen seine Pflichten, hier seine feinsten Verirrungen
26 [261]
Mißverständnisse im großen Stile z.B. der Ascetism als Mittel der Selbst-Erhaltung für wilde allzu erregliche Naturen. Die la Trappe als “Zuchthaus”, zu dem man sich selber verurtheilt (gerade unter Franzosen begreiflich, wie das Christenthum in der geilen Luft der südeuropäischen Hellenisirung). Der Puritanismus hat als Hintergrund die Überzeugung von der gründlichen eigenen Gemeinheit, vom allgegenwärtigen „inneren Vieh” (ego) — und der düstere trockene Stolz des puritanischen Engländers will, daß mindestens Jeder ebenso schlecht von seinem „inwendigen Menschen” denken soll wie er selber denkt!
Die Sitten und Lebensweisen sind als bewiesene Mittel der Erhaltung gefaßt worden — darin erstes Mißverständniß und Oberflächlichkeit. Zweites Mißverständniß: es sollen nunmehr die einzigen Mittel sein.
Fromme — Bewußtsein eines höheren Zusammenhangs aller Erlebnisse
26 [262]
Mißverständniß des Egoismus: von Seiten der gemeinen Naturen, welche gar nichts von der Eroberungslust und Unersättlichkeit der großen Liebe wissen, ebenso von den ausströmenden Kraft-Gefühlen, welche überwältigen, zu sich zwingen, sich an's Herz legen wollen — der Trieb des Künstlers nach seinem Material. Oft auch nur sucht der Thätigkeits-Sinn nach einem Terrain. — Im gewöhnlichen “Egoismus“ will gerade das “nicht-ego”, das tiefe Durchschnittswesen, der Gattungsmensch seine Erhaltung — das empört, falls es von den Selteneren, Feineren und weniger Durchschnittlichen wahrgenommen wird. Denn diese urtheilen: „wir sind die Edleren! Es liegt mehr an unserer Erhaltung als an der jenes Viehs!”
26 [263]
Alle bisherigen Moralen betrachte ich als aufgebaut auf Hypothesen über Erhaltungs-Mittel eines Typus — aber die Art des bisherigen Geistes war noch zu schwach und ihrer selber zu ungewiß, um eine Hypothese als Hypothese zu fassen und doch als regulativisch zu nehmen — es bedurfte des Glaubens
26 [264]
NB. Wie bisher die Menschen sich höhere Gestalten, als der Mensch ist, vorgestellt haben — —
26 [265]
NB. über die Schreie der Gebärerin wegen all der Unreinheit. Fest der Reinigung für die größten Geister nöthig!
26 [266]
Der Schwächere Zartere als der Edlere.
26 [267]
die ungeheure idealisirende Kraft, welche das Christenthum anwandte, um körperliche Unlust-Zustände und barbarische Unordnungs-Gefühle zu ertragen — sie deutet<e> alles seelisch um.
26 [268]
Die Menschen müssen in dem Maaße gebunden werden, als sie nicht frei von sich aus laufen können. Moral-Revolutionen z.B. während des Christenthums sind 1) gegen entnervte verwüstete greise Völker gerichtet 2) gegen die gräßliche Roheit der Barbaren.
26 [269]
Zarathustra muß seine Jünger zur Erd-Eroberung aufreizen — höchste Gefährlichkeit, höchste Art von Sieg: ihre ganze Moral eine Moral des Kriegs — unbedingt Siegen wollen
26 [270]
An die höheren Menschen.
Herolds-Rufe eines Einsiedlers.
Von
Friedrich Nietzsche.
26 [271]
Die Menschen wollen ihre Handlungen und die Art ihres Handelns
26 [272]
Im organischen Prozeß
26 [273]
26 [274]
Zurückführung der Generation auf den Willen zur Macht er muß also auch in der angeeigneten unorganischen Materie vorhanden sein!): das Auseinandertreten des Protoplasma im Falle, daß eine Form sich gestaltet, wo das Schwergewicht an 2 Stellen gleich vertheilt ist. Von jeder Stelle aus geschieht eine zusammenziehende, zusammenschnürende Kraft: da zerreißt die Zwischen-Masse. Also: die Gleichheit der Machtverhältnisse ist Ursprung der Generation. Vielleicht ist alle Fortentwicklung an solche entstehende Macht-Äquivalenzen gebunden.
26 [275]
Die Lust ist eine Art von Rhythmus in der Aufeinanderfolge von geringeren Schmerzen und deren Grad — Verhältnissen, eine Reizung durch schnelle Folge von Steigerung und Nachlassen, wie bei der Erregung eines Nerven, eines Muskels, und im Ganzen eine aufwärts sich bewegende Curve: Spannung ist wesentlich darin und Ausspannung. Kitzel.
Die Unlust ist ein Gefühl bei einer Hemmung: da aber die Macht ihrer nur bei Hemmungen bewußt werden kann, so ist die Unlust ein nothwendiges Ingrediens aller Thätigkeit (alle Thätigkeit ist gegen etwas gerichtet, das überwunden werden soll) Der Wille zur Macht strebt also nach Widerständen, nach Unlust. Es giebt einen Willen zum Leiden im Grunde alles organischen Lebens (gegen „Glück” als “Ziel”)
26 [276]
Wenn zwei organische Wesen zusammenstoßen, wenn es nur Kampf gebe um das Leben oder die Ernährung: wie? Es muß den Kampf um des Kampfes willen geben: und Herrschen ist das Gegengewicht der schwächeren Kraft ertragen, also eine Art Fortsetzung des Kampfs. Gehorchen ebenso ein Kampf: so viel Kraft eben zum Widerstehen bleibt.
26 [277]
Gegen den Erhaltungs-Trieb als radikalen Trieb: vielmehr will das Lebendige seine Kraft auslassen – es “will” und „muß” (beide Worte wiegen mir gleich!): die Erhaltung ist nur eine Consequenz.
26 [278]
Die Tugendhaften wollen uns (und mitunter auch sich selber) glauben machen, sie hätten das Glück erfunden. Die Wahrheit ist, daß die Tugend von den Glücklichen erfunden worden ist.
26 [279]
Daß in den Folgen der Handlungen schon Lohn und Strafe liegen — dieser Gedanke einer immanenten Gerechtigkeit ist grundfalsch. übrigens steht er im Widerspruch mit der Vorstellung einer „Heils-Ordnung” in den Erlebnissen und Folgen: wonach schlimme Dinge aller Art als besondere Gunstbezeugungen eines Gottes, der unser Bestes will, aufzufassen sind. — Warum Leid auf eine Übelthat folgen soll, ist an sich nicht begreiflich: in praxi läuft es sogar darauf hinaus, daß auf eine Übelthat eine Übelthat folgen solle. — Daß einer, der anders ist als wir, es schlecht haben müsse, ist ein Gedanke der Vertheidigung, eine Nothwehr der herrschenden Caste, ein Mittel der Züchtung, — aber nichts besonders „Edles”. — Alle möglichen solchen Vorstellungen über „immanente Gerechtigkeit”, “Heilsordnung”, ausgleichende „transcendente Gerechtigkeit” gehen jetzt in jedem Kopfe herum — sie bilden das Chaos der modernen Seele mit.
26 [280]
Wir stehen anders zur „Gewißheit”. Weil am längsten die Furcht dem Menschen angezüchtet worden ist, und alles erträgliche Dasein mit dem „Sicherheits-Gefühl” begann, so wirkt das jetzt noch fort bei den Denkern. Aber sobald die äußere „Gefährlichkeit” der Existenz zurückgeht, entsteht eine Lust an der Unsicherheit, Unbegrenztheit der Horizont-Linien. Das Glück der großen Entdecker im Streben nach Gewißheit könnte sich jetzt in das Glück verwandeln, überall die Ungewißheit und das Wagniß nachzuweisen.
Ebenso ist die Ängstlichkeit des früheren Daseins der Grund, weshalb die Philosophen so sehr die Erhaltung (des ego oder der Gattung) betonen und als Princip fassen: während thatsächlich wir fortwährend Lotterie spielen gegen dies Princip. Hieher gehören alle Sätze des Spinoza: d. h. die Grundlage des englischen Utilitarismus. v. das braune Heft.
26 [281]
Die dummen Moralisten haben immer die Veredelung angestrebt ohne zugleich die Basis zu wollen: die leibliche Veradlichung (durch eine “vornehme” Lebensweise otium, Herrschen, Ehrfurcht usw.) durch edel-vornehme Umgebung von Mensch und Natur, endlich sie haben an's Individuum gedacht und nicht an die Fortdauer des Edlen durch Zeugung. Kurzsichtig! Nur für 30 Jahre und nicht länger!
26 [282]
Je nachdem ein Volk fühlt: „bei den Wenigen ist das Recht, die Einsicht, die Gabe der Führung usw.” oder “bei den Vielen” — giebt es ein oligarchisches Regiment oder ein demokratisches.
Das Königthum repräsentirt den Glauben an Einen ganz Überlegenen, einen Führer Retter Halbgott. Die Aristokratie repräsentirt den Glauben an eine Elite-Menschheit und höhere Kaste. Die Demokratie repräsentirt den Unglauben an große Menschen und an Elite-Gesellschaft: “Jeder ist jedem gleich” “Im Grunde sind wir allesamt eigennütziges Vieh und Pöbel”
26 [283]
Um den Gedanken der Wiederkunft zu ertragen:
ist nöthig Freiheit von der Moral,
neue Mittel gegen die Thatsache des Schmerzes (Schmerz begreifen als Werkzeug, als Vater der Lust — es giebt kein summirendes Bewußtsein der Unlust) der Genuß an aller Art Ungewißheit Versuchhaftigkeit, als Gegengewicht gegen jenen extremen Fatalismus Beseitigung des Nothwendigkeitsbegriffs
Beseitigung des „Willens”
Beseitigung der „Erkenntniß an sich”
größte Erhöhung des Kraft-Bewußtseins des Menschen, als dessen, der den Übermenschen schafft.
26 [284]
26 [285]
Von der Heuchelei der Philosophen.
die Griechen: verbergen ihren agonalen Affekt, drapiren sich als „Glücklichste” durch die Tugend, und als Tugendhafteste (zwiefache Heuchelei) (Sokrates, siegreich als der plebejisch Häßliche unter den Schönen und Vornehmen, der Niederredende unter einer Stadt von Rednern, der Besieger seiner Affekte, der gemeine kluge Mann mit dem „Warum?” unter dem Erbadel — verbirgt seinen Pessimismus)
die Brahmanen wollen im Grunde Erlösung von dem müden lauen unlustigen Daseins-Gefühle
Leibnitz Kant Hegel Schopenhauer, ihre deutsche Zwei-Natur
Spinoza und der rachsüchtige Affekt, die Heuchelei der Überwindung der Affekte
Die Heuchelei der “reinen Wissenschaft”, der Erkenntniß um der „Erkenntniß willen”
26 [286]
Ich, wie ein Elephanten-Weibchen, mit einer langen Schwangerschaft behaftet, so daß mich wenige Dinge noch angehn, sogar nicht einmal — pro pudor — das „Kind”
26 [287]
Versteht ihr wohl meine neue Sehnsucht, die nach dem Endlichen? dessen, der den Ring der Wiederkunft schaute —
26 [288]
NB das fortwährende Schöpferische, statt des einmaligen, vergangenen
26 [289]
Zarathustra 3
26 [290]
Bei dem Willen zur Grausamkeit ist es zunächst gleichgültig, ob es die Grausamkeit an uns oder an Anderen ist. Genuß am Leiden lernen — — das Teufelische gehört wie das Göttliche zum Lebendigen und seiner Existenz.
26 [291]
Montaigne I p. 174
“die Gesetze des Gewissens, welche unserem Vorgeben nach aus der Natur entspringen, entspringen vielmehr aus der Gewohnheit. Jeder verehrt in seinem Herzen die in seinem Lande gebilligten und eingeführten Meinungen und Sitten, so daß er sich denselben nicht ohne Gewissensbisse entziehen kann und denselben niemals ohne einiges Vergnügen gemäß handelt.”
26 [292]
26 [293]
Die neue Aufklärung.
Eine Vorbereitung zur “Philosophie der ewigen Wiederkunft”.
26 [294]
Es ist nicht genug, daß du einsiehst, in welcher Unwissenheit Mensch und Thier lebt; du mußt auch noch den Willen zur Unwissenheit haben und hinzulernen. Es ist dir nöthig, zu begreifen, daß ohne diese Art Unwissenheit das Leben selber unmöglich wäre, daß sie eine Bedingung ist, unter welcher das Lebendige allein sich erhält und gedeiht: eine große, feste Glocke von Unwissenheit muß um dich stehn
26 [295]
26 [296]
Beseitigung des Willens, des freien und unfreien.
26 [297]
Jenseits von Gut und Böse.
26 [298]
Die neue Aufklärung.
Ein Vor- und Für-Wort
zur Philosophie der ewigen Wiederkunft.
Vom Aberglauben unter den Philosophen.
Jenseits von Gut und Böse.
Der Philosoph — ein höherer Künstler.
Die neue Rangordnung.
Die Ermöglichung des neuen Philosophen.
Der schwerste Gedanke als Hammer.
26 [299]
Dies ist ein Zeitalter, in dem der Pöbel immer mehr zum Herrn wird und pöbelhafte Gebärden des Leibes und Geistes überall schon Hausrecht erlangt haben, an den Höfen und bei den liebenswürdigsten Frauen —: ich meine sogar nicht nur „an” und „bei”, sondern „innen und drinnen“.
mein Garten, mit seinem vergoldeten Gitterwerk, muß sich nicht nur gegen Diebe und Strolche schützen: seine schlimmsten Gefahren kommen ihm von seinen zudringlichen Bewunderern. “Ich Will meine Einsamkeit haben” — so gelobt sich der Weise, ich will meine Einsamkeit mit den Zähnen festhalten, mit einem goldenen Gitter vergittern —
26 [300]
Die Philosophen eingenommen gegen |
|
von instinktiven Werthbestimmungen geleitet, in denen sich frühere Culturzustände spiegeln — — — | NB. alles Menschliche, noch mehr das Thierische, noch mehr das Stoffliche die absolute Erkenntniß |
sie glauben an | die Erkenntniß um der Erkenntniß willen |
Tugend und Glück im Bunde | |
Erkennbarkeit der menschlichen Handlungen | |
die falschen Gegensätze z. B. Lust und Schmerz gut und böse | |
die Verführungen der Sprache |
26 [301]
Wille zur Wahrheit und Gewißheit entspringen aus Furcht in der Ungewißheit.
26 [302]
26 [303]
Der Muth würde sicher keine Tugend heißen, wenn er zu den häufigen Tatsachen des Menschen gehörte, wie das freiwillige Abgeben von Urin: was, so viel ich verstehe, der liebe Spencer et hoc genus omne, unter die Äußerungen des Altruismus zu rechnen bereit sind.
26 [304]
Die paar guten Bücher, die von diesem Jahrhundert übrig bleiben werden, richtiger: die mit ihren Ästen über dies Jahrhundert hinweg reichen, als Bäume, welche nicht in ihm ihre Wurzeln haben — ich meine das Mémorial von St. Helena und Goethes Gespräche mit Eckermann
26 [305]
Am wenigsten habe ich wohl Lust, meine Meinung auszusprechen über — die Mittheilbarkeit der Meinungen (oder über die “Mittheilbarkeit der Wahrheit”, wie alle tugendhaften Heuchler in diesem Falle sich ausdrücken würden) Daß ich dies eigens hier noch ausspreche, geht beinahe schon über die Grenze hinaus, welche ich mir in dem angegebenen Bereiche gezogen habe.
26 [306]
Es giebt auch jetzt noch viel mehr heitere Dinge auf Erden, als die Pessimisten eingestehen; z. B. E<duard> von H<artmann> selber. Die Laokoon-gruppe, von drei Clown's und ebenso vielen Regenschirmen dargestellt, erheitert mich nicht so, wie dieser Eduard mit seinen Problemen “ringend”.
26 [307]
Deutsche Lyriker, namentlich wenn es Schwaben sind, z.B. Uhland mit den Gefühlen eines Burgfräuleins herausgeputzt, oder Freiligrath als —
Oder Hölderlin — — —
26 [308]
NB. Vollkommen klar darüber, ob man diese Welt der Sinne bejaht und fortsetzen will
26 [309]
Der allerliebste circulus vitiosus: wenn unsere Sinnes-Organe erst Resultate unserer Sinne sind, wären alle Beobachtungen derselben als Ursachen unsinnig falsch!
26 [310]
Über Gesundheit und Krankheit Genie Neurose, Dionysisch.
26 [311]
Endlich — will man seine Meinungen nicht mehr los lassen: man hat eine Ahnung von der Spärlichkeit unseres Gartens bekommen, und erwartet nicht viel Gutes Neues mehr zu erwerben — man entschließt sich zu lieben, was man bereits hat. Und wehe dem, der uns jetzt solche lieb gewollte Meinungen nehmen will!
26 [312]
Die Religion alle starken überraschenden plötzlichen fremdartigen Impulse als von außen kommend interpretirend.
Moralität ist nur als Ein Mittel zur Religion hinzugekommen (ein Mittel zur Vergewaltigung der Götter oder zur Erreichung ekstatischer Zustände)
Mißverständniß des Leibes: der Rausch, die Wollust, die Grausamkeits-Ekstase als Vergöttlichung, als Einswerden mit einem Gotte.
Grunddifferenz des Alterthums: die Geschlechtlichkeit religiös verehrt; und folglich auch die Werkzeuge.
Die Ekstasen sind verschieden bei einem frommen erhabenen edlen Menschen gleich Plato — und bei Kameltreibern, welche Haschisch rauchen und — — —
Grundverwandlung der Religion:
Ersteres ist die vornehme Form, 2) ist die Sklaven-Form.
26 [313]
“Selbst-Erhaltung” nur Nebenfolge, nicht Ziel! Spinoza's Nachwirkung!
26 [314]
Buratti, und sein Einfluß auf Byron.
26 [315]
Das Gefühl im Süden z. B. bei Stendhal „Reise in Frankreich” ausgedrückt — worin besteht es?
26 [316]
NB. Welche Prüfungen fehlen (an Stelle der nur intellektuellen oder fachmäßigen)?
Die richtigen Widerlegungen sind physiologische (leibliche) also Beseitigungen von Denkweisen.
26 [317]
Ich muß orientalischer denken lernen über Philosophie und Erkenntniß. Morgenländischer Überblick über Europa.
26 [318]
26 [319]
Die Europäer bilden sich im Grunde ein, jetzt den höheren Menschen auf der Erde darzustellen.
26 [320]
Die guten Europäer.
Vorschläge zur Züchtung eines neuen Adels.
Von
Friedrich Nietzsche.
26 [321]
Es giebt
26 [322]
Wo für das Volk geschwärmt wird, da horchen immer gleich die Frauen hin, sie fühlen, das ist ihre Sache
26 [323]
Die Gelehrten, und ihre Selbst-Überschätzung. Woher? Es ist auch da eine Emancipation der niederen Art, welche nicht mehr an die höhere glaubt.
26 [324]
Der große Pöbel- und Sklavenaufstand
die kleinen Leute, welche nicht mehr an die Heiligen und großen Tugendhaften glauben (z. B. Christus, Luther usw.
die Bürgerlichen, welche nicht mehr an die höhere Art der herrschenden Kaste glauben (z. B. Revolution)
die wissenschaftlichen Handwerker, welche nicht mehr an die Philosophen glauben
die Weiber, welche nicht mehr an die höhere Art des Mannes glauben.
26 [325]
Jenseits von Gut und Böse.
Vorrede zu einer Philosophie der ewigen Wiederkunft.
Von Friedrich Nietzsche.
26 [326]
Der Sensualismus und der Hedonismus des vorigen Jahrhunderts ist die beste Erbschaft, welche dies Jahrhundert gemacht hat: hinter hundert Klauseln und feinen Mummenschanzen.
Hedonism = Lust als Princip.
Lust als Maaßstab thatsächlich gefunden bei den Utilitariern (Comfort-Engländer).
Lust als regulatives Princip (thatsächlich nicht gefunden) bei den Schopenhauerianern
von Hartmann ein oberflächlicher Querkopf, der den Pessimism durch Teleologie vermanscht und eine Behaglichkeits-Philosophie daraus machen will (nähert sich darin den Engländern an.
Das, was auf den Pessimismus folgt, ist die Lehre von der Sinnlosigkeit des Daseins
daß Lust und Schmerz keinen Sinn haben, daß Hedone kein Princip sein kann
Dies im nächsten Jahrhundert.
Lehre der großen Müdigkeit.
Wozu? Es lohnt sich nichts!
26 [327]
Der Wille wird erschlossen — ist keine unmittelbare Thatsache, wie Schopenhauer will. Ob mit Recht erschlossen, bleibt zu fragen — —
26 [328]
Der Glaube an das “Sein” ist die Grundlage aller Wissenschaft, wie alles Lebens. Damit ist nichts über die Berechtigung zu diesem Glauben ausgemacht Fehlgriffe der Sinne (blau statt roth) sind kein Argument dagegen, daß ein Blatt grün ist. Die Entstehung eines farbenbildenden Sinnes in einer farblosen Welt ist ein Unsinn von Gedanke.
Beschreibung und Feststellung der Thatsachen.
26 [329]
Aus seinen Ursachen läßt sich ein Ding nicht errathen
d. h. ein Ding = seinen Wirkungen. Die Kenntniß der Ursachen eines Dinges giebt keine Kenntniß seiner Wirkungen, d. h. keine Kenntniß des Dinges.
26 [330]
Tief interessirt für Wahrheit — woher? Dem Christenthum verpflichtet — Pascal
26 [331]
die verschiedenen Grade des Genusses für „wahr”
z. B. Kant und Schelling
Macchavell und Seneca
Stendhal und Walter Scott
Plato und Hafis
26 [332]
1 Wozu schwört man sich, erkennen zu wollen? “das Wahre lieber als das Unwahre”
2 Wozu will man (wirklich) erkennen?
3 Wozu soll man erkennen? und es ist wahr?! daß man das Wahre lieber will?
26 [333]
Es giebt heute so viele oberflächliche Denker, welche beruhigt sind, eine Sache auf Gewöhnung und Vererbung zurückgeführt und damit erklärt zu haben. Aber “wie ist Gewohnheit möglich? Wie ist Vererbung möglich?”
26 [334]
Der Glaube an die Wahrheit.
Das Ausschweifende und Krankhafte an Vielem, was sich bisher „Wille zur Wahrheit” nannte.
Mit schreckhaftem Ernste haben die Philosophen vor den Sinnen und dem Trug der Sinne gewarnt. Der tiefe Antagonismus der Philosophen und der Freunde des Trugs, der Künstler, geht durch die griechische Philosophie: “Plato gegen Homer” — ist die Parole der Philosophen!
Aber Keiner hat auch die Kehrseite, die Untauglichkeit der Wahrheit zum Leben und die Bedingtheit des Lebens durch perspektivische Illusion begriffen. — Es ist eine der gefährlichsten Übertreibungen, das Erkennen nicht im Dienste des Lebens, sondern an sich, um jeden Preis, zu wollen: wie der Wollüstling seinen Trieben folgt, an sich, ohne die Controle der heilsamen anderen Instinkte, wenn es nicht eine Dummheit ist, — — —
26 [335]
Kann man sich für dieses deutsche Reich interessiren? Wo ist der neue Gedanke? Ist es nur eine neue Macht-Combination? Um so schlimmer, wenn es nicht weiß, was es will. Frieden und Gewähren-lassen ist gar keine Politik, vor der ich Respekt habe. Herrschen und dem höchsten Gedanken zum Siege zu verhelfen — das Einzige, was mich an Deutschland interessiren könnte. Was geht es mich an, daß Hohenzollern da sind oder nicht da sind? — England's Klein — Geisterei ist die große Gefahr jetzt auf der Erde. Ich sehe mehr Hang zur Größe in den Gefühlen der russischen Nihilisten als in denen der englischen Utilitarier. Ein In-einander-wachsen der deutschen und der slavischen Rasse, — auch bedürfen wir der geschicktesten Geldmenschen, der Juden, unbedingt, um die Herrschaft auf der Erde zu haben.
26 [336]
Ich denke, wir wollen uns weder in christliche noch in amerikanische Perspektiven einengen.
26 [337]
buona femmina e mala femmina vuol bastone (Sacchetti Nov. 86)
26 [338]
hinc mihi quidquid sancti gaudii sumi potest horis omnibus praesto est. Petrarca, famil. XIX 16.
26 [339]
Der Wille, sich nicht täuschen zu lassen und der Wille sich täuschen zu lassen aber der Philosoph? Der Religiöse? Der Künstler?
26 [340]
Giebt es noch Philosophen? In Wahrheit ist viel Philosophisches in unserem Leben, namentlich bei allen wissenschaftlichen Menschen, aber Philosophen selber giebt es so wenig noch, als es ächten Adel giebt. Warum?
26 [341]
Wie die Franzosen die Höflichkeit und den Esprit der französischen Gesellschaft widerspiegeln, so die Deutschen etwas vom tiefen träumerischen Ernst ihrer Mystiker und Musiker und ebenso von ihrer Kinderei. Im Italiäner ist viel republikanische Vornehmheit und Kunst, sich gut und stolz zu geben, ohne Eitelkeit.
26 [342]
Man glaubt nicht mehr an Philosophen, auch unter den Gelehrten; das ist die Scepsis eines demokratischen Zeitalters, das die höhere Art Menschen ablehnt. Die Psychologie des Jahrhunderts ist wesentlich gegen die höheren Naturen gerichtet: man will ihnen ihre Menschlichkeiten nachrechnen.
26 [343]
Pythagoras war der Versuch eines antidemokratischen Ideals, unter den stürmischen Bewegungen zur Volksherrschaft hin.
26 [344]
Der “Richter”. Einem Solchen bleibt es nicht erspart, zu befehlen: sein „du sollst” ist nicht abzuleiten aus der Natur der Dinge, sondern weil er das Höhere sieht, muß er es durchsetzen und erzwingen. Was liegt ihm am Zugrundegehen! Er opfert unbedenklich — Stellung des Künstlers zum Menschen: der große Mensch muß befehlen und die Werthschätzung, die er hat, einführen, auflegen, gebieten. Anders sind alle früheren Werthschätzungen auch nicht entstanden. Aber sie sind alle jetzt unmöglich für uns, ihre Voraussetzungen sind falsch.
26 [345]
“Strafen”: dafür ein Rang-anweisen, ein Herabsetzen im Verhältniß zu unserem Ideal. Nicht aber ein Erhaltenwollen Vieler auf Unkosten Einzelner, überhaupt kein Gesichtspunkt der Gesellschaft!
26 [346]
Mit “Glück” als Ziel ist nichts zu machen, auch mit dem Glücke eines Gemeinwesens nicht. Es handelt sich, eine Vielheit von Idealen zu erreichen, welche im Kampf sein müssen, das ist aber nicht das Wohlbefinden einer Heerde, sondern ein höherer Typus. Dieser aber wird nicht erreicht durch das Wohlbefinden der Heerde! so wenig als der einzelne Mensch auf seine Höhe kommt durch Behaglichkeit und Entgegenkommen.
“Gnade”, „Liebe gegen die Feinde”, “Duldung”, “gleiches” Recht (!) sind alles Principien niederen Ranges. Das Höhere ist der Wille über uns hinweg, durch uns, und sei es durch unseren Untergang schaffen.
26 [347]
Es ist verkannt worden, daß alle moralischen „Du sollst” von einzelnen Menschen geschaffen sind. Man hat einen Gott oder ein Gewissen haben wollen, um sich der Aufgabe zu entziehen, welche Schaffen vom Menschen fordert. Die Schwäche oder die Faulheit ist verborgen hinter der christlich — katholischen Denkweise. — Damit der Mensch aber Ideale schaffen kann, muß er lernen und wissen usw.
26 [348]
Die Schule der “Objektiven” und “Positivisten” zu verspotten. Sie wollen um die Werthschätzungen herum kommen, und nur die facta entdecken und präsentiren. Aber man sehe zu z. B. bei Taine: im Hintergrunde hat er Vorlieben: für die starken expressiven Typen z. B., auch für die Genießenden mehr als für die Puritaner.
26 [349]
Ein böses Buch einmal zu machen, schlimmer als Macchavell und jener sehr deutsche und mild-boshafte unterthänigste Teufel von Mephistopheles!
Seine Eigenschaften: grausam (Lust am Zusehen, wie ein schöner Typus zu Grunde geht)
verführerisch (einladend zur Lehre, daß man das Eine und auch das Andere sein müsse)
spöttisch gegen die Tugenden des Mönchs, des Philosophen, den wichtigthuerischen Künstler usw., auch den guten braven Heerden-Menschen vornehm gegen das Neugierige, Zudringliche, Pöbelhafte der Erkennenden, ebenso gegen das Zopfige, Duckmäuserhafte; kein Lachen, kein Zorn.
26 [350]
Wie solch ein Wort Einem durch das Herz geht!
— „zu allem Land und Meer hat unsere Kühnheit sich den Weg gebrochen, überall sich unvergängliche Denkmale im Guten und Bösen gründend” — sagt Pericles.
26 [351]
Wo, in pöbelhafter Art, Eine Begierde die Oberherrschaft führt (oder überhaupt die Begierden), da giebt es keinen höheren Menschen. Es versteht sich, daß ein Solcher (wie z.B. Augustin oder Luther) auch gar nicht die höheren Probleme kennt, die alle eine viel kühlere Höhe voraussetzen. Das ist Alles rein persönliche Noth bei Augustin und Luther. Es ist die Frage eines Kranken nach einer Kur. Die Religionen mögen wesentlich solche Thierbändigungs-Anstalten oder Irren-Anstalten <sein> für solche, die sich nicht selber beherrschen können. — Es ist komisch, diese Noth um den Geschlechtstrieb z. B. auch in Wagner's Parcival und Tannhäuser.
26 [352]
Ich interessire mich nicht
26 [353]
Gebet um Blindheit
Moral ist vernichtet: factum darstellen! Es bleibt übrig: “ich will”
Neue Rangordnung. Gegen die Gleichheit.
An Stelle des Richters und des Strafenden der Schaffende.
unsere gute Lage, als Erntende
die höchste Verantwortlichkeit — mein Stolz!
Heraufbeschwören des Bösesten.
der Gesetzgeber und Politiker
die Frommen (warum unmöglich?)
erst den Leib hoch bilden: es findet sich da schon die Denkweise. Plato.
bisher, nach langer kosmopolitischer Umschau, der Grieche als Mensch, der es am weitesten brachte. Europa.
26 [354]
die Naivetät Plato's und des Christenthums: sie glaubten, zu wissen, was „gut” ist. Sie hatten den Heerden-Menschen errathen, — nicht den schaffenden Künstler. Schon bei Plato ist der „Heiland”, der zu den Leidenden und Schlechten niedersteigt, erfunden. Er hat keinen Blick für die Vernunft und Nothwendigkeit des Bösen.
26 [355]
Nicht das Gute, sondern der Höhere! Plato ist mehr werth als seine Philosophie! Unsere Instinkte sind besser als ihr Ausdruck in Begriffen. Unser Leib ist weiser als unser Geist! Wenn Plato jener Büste in Neapel glich, so haben wir da die beste Widerlegung alles Christenthums!
26 [356]
Socrates, scheint es, war dahinter gekommen, daß wir moralisch nicht in Folge eines logischen Räsonnements handeln — und er fand selber es nicht. Daß Plato und Alle nach ihm glaubten, sie hätten es, und das Christenthum auf diese platonische niaiserie sich hat taufen lassen, das war bisher der größte Anlaß für die Unfreiheit in Europa.
26 [357]
Socrates, der sagt „ich weiß nicht, was gut und böse ist” war klüger als Plato: der definirt es! Aber Plato stellt es dar, den höheren Menschen.
26 [358]
Das falsche Germanenthum bei R<ichard> W<agner> (und die gründliche psychologische Falschheit dieser höchst „modernen” Mischung von Brutalität und Verzärtelung der Sinne) ist mir ebenso zuwider wie das falsche Römerthum bei David, oder das falsche englische Mittelalter Walter Scotts.
26 [359]
Das Problem der Wahrhaftigkeit. Das Erste. und Wichtigste ist nämlich der Wille zum Schein, die Feststellung der Perspectiven, die „Gesetze” der Optik d. h. das Setzen des Unwahren als wahr usw.
Das Problem der Gerechtigkeit. Das Erste und Mächtigste ist nämlich gerade der Wille und die Kraft zur Übermacht.
Erst der Herrschende stellt nachher „Gerechtigkeit” fest d. h. er mißt die Dinge nach seinem Maaße; wenn er sehr mächtig ist, kann er sehr weit gehen im Gewährenlassen und Anerkennen des versuchenden Individuums
Das Problem des Mitleidens. Erst ein tiefer Instinkt der Grausamkeit, ein Genuß an fremden Leiden, muß großgezüchtet sein. Denn vorerst ist die ungeheure Indifferenz gegen alles “Außer-uns” da. Die Mitempfindung feinerer Art ist eine abgeschwächte Grausamkeit.
Das Problem des guten Menschen. Der Heerden-Mensch, der die Eigenschaften, welche social machen, vorzieht und lobt. Die entgegengesetzten Eigenschaften werden von herrschenden Menschen geschätzt, nämlich an ihrem eigenen Wesen: Härte, kaltes Blut, kalter Blick, kein Entgegenkommen, Thatsachen-Blick, Blick für große Fernen und nicht für das Nächste und den Nächsten usw.
26 [360]
Wie mir die Socialisten lächerlich sind, mit ihrem albernen Optimismus vom “guten Menschen”, der hinter dem Busche wartet, wenn man nur erst die bisherige „Ordnung” abgeschafft hat und alle “natürlichen Triebe” losläßt.
Und die Gegenpartei ist ebenso lächerlich, weil sie die Gewaltthat in dem Gesetz, die Härte und den Egoismus in jeder Art Autorität nicht zugesteht. “Ich und meine Art” will herrschen und übrig bleiben: wer entartet, wird ausgestoßen oder vernichtet — ist Grundgefühl jeder alten Gesetzgebung.
Man haßt die Vorstellung einer höheren Art Menschen, mehr als die Monarchen. Anti-aristokratisch: das nimmt den Monarchen-Haß nur als Maske und — — —
26 [361]
Vermännlichung der Weiber ist der rechte Name für “Emancipation des Weibs”. Das heißt, sie formen sich nach dem Bilde, welches der Mann jetzt abgiebt, und begehren seine Rechte. Ich sehe darin eine Entartung im Instinkte der jetzigen Weiber: sie müßten wissen, daß sie ihre Macht zu Grunde richten, auf diesem Wege. — Sobald sie sich nicht mehr erhalten lassen wollen und ernsthaft Concurrenz mit dem Manne im bürgerlich-politischen Sinne machen, folglich auch auf jene milde und nachsichtig-schonende Behandlungsart verzichten wollen, mit der sie bisher behandelt wurden, so — —
26 [362]
Im Orient und im Athen der besten Jahrhunderte schloß man die Frauen ab, man wollte die Phantasie-Verderbniß des Weibes nicht: das verdirbt die Rasse, mehr als der leibliche Verkehr mit einem Manne.
26 [363]
Auf germanische Ursitte und Urkeuschheit nützt es nicht, sich zu berufen: es giebt keine Germanen mehr, es giebt auch keine Wälder mehr.
26 [364]
Ich bin keinem Menschen begegnet, mit dem ich auf meine Art hätte über Moral reden können: keiner war mir bisher ehrlich und verwegen genug dazu. Daran mag Einiges die Sache des Zufalls sein: z. B. daß ich zu viel unter Deutschen gelebt habe, welche von jeher, in aller Unschuld, moralische Tartüffs gewesen sind, mehr als alles Andere. In der Hauptsache aber glaube ich, daß die Verlogenheit in moralischen Dingen zum Charakter dieses demokratischen Zeitalters gehört. Ein solches Zeitalter nämlich, welches die große Lüge “Gleichheit der Menschen” zum Wahlspruch genommen hat, ist flach, eilig, und auf den Anschein bedacht, daß es mit dein Menschen gut stehe, und daß “gut” und “böse” kein Problem mehr sei.
26 [365]
Moral “du sollst” als falsche Ausdeutung von bestimmten Triebgefühlen.
26 [366]
Die Stärksten an Leib und Seele sind die Besten — Grundsatz für Zarathustra — aus ihnen die höhere Moral, die des Schaffenden: den Menschen nach seinem Bilde umzuschaffen. Das will er, das ist seine Ehrlichkeit.
26 [367]
Zarathustra 5.
Die singende Säule, welche ein Strahl der Morgensonne trifft.
26 [368]
Bei einer außerordentlichen Aufregung wirken heftige Schmerzen (Selbst-Verwundungen) nur als Stimulantia.
26 [369]
Vorausgesetzt, daß man sich von den Naivetäten Kant's frei gemacht hat, welcher dort, wo er Instinkte, im Geistigen und Moralischen, entdeckt, sofort schloß, “das ist nicht von dieser Welt”. Die gleiche Naivetät herrscht noch bei den Engländern den „Instinktiven” und “Intuitiven”.
Aber wo ich bedenklich werde, das ist: alle die physiologisch-historischen Forscher der Moral urtheilen: weil die moralischen Instinkte so und so reden, so sind diese Urtheile in Bezug auf die Erhaltung der Gattung wahr d. h. nützlich: weil sie übrig geblieben sind! Auf gleiche Weise sage ich, daß die unmoralischen Instinkte wahr sein müssen: nur prägt sich darin etwas anderes aus als gerade der Wille zur Erhaltung, nämlich der Wille zum Vorwärts, zum Mehr, zum — — — Ist denn Erhaltung das Einzige, was ein Wesen will?
Und ihr denkt „Erhaltung der Gattung”, ich sehe nur, „Erhaltung einer Heerde, einer Gemeinde”.
26 [370]
Man ist reicher als man denkt, man trägt das Zeug zu mehreren Personen im Leibe, man hält für „Charakter”, was nur zur “Person”, zu Einer unserer Masken, gehört. Die meisten unserer Handlungen kommen nicht aus der Tiefe, sondern sind oberflächlich: wie die meisten vulkanischen Ausbrüche: man muß sich durch den Lärm nicht täuschen lassen. Das Christenthum hat darin Recht: man kann einen neuen Menschen anziehen: freilich, dann noch einen neueren. Man irrt, wenn man einen Menschen nach einzelnen Handlungen beurtheilt: einzelne Handlungen erlauben keine Verallgemeinerung.
26 [371]
Eine Philosophie, welche nicht verspricht, glücklicher und tugendhafter zu machen, die es vielmehr zu verstehen giebt, daß man in ihrem Dienste wahrscheinlich zu Grunde geht, nämlich in seiner Zeit einsam wird, verbrannt und abgebrüht, durch viele Arten von Mißtrauen und Haß hindurch muß, viele Härte gegen sich selber und leider auch gegen Andere nöthig macht: eine solche Philosophie schmeichelt sich niemandem leicht an: man muß für sie geboren sein — und ich fand noch Keinen, der es war (sonst würde ich keine Gründe haben dies zu schreiben) Zum Entgelt verspricht sie einige angenehme Schauder; wie sie dem kommen, der von ganz hohen Bergen aus eine Welt neuer Aspekte sieht; und sie macht nicht am Ende blödsinnig, was die Wirkung des Kantschen Philosophirens war (man ist grausam genug gewesen, neuerdings noch das übrig gebliebene Hauptwerk seines Blödsinns festlich herauszugeben — was ist doch unter Deutschen möglich!)
26 [372]
So wie ich über moralische Dinge denke, bin ich zu langem Stillschweigen verurtheilt gewesen. Meine Schriften enthalten diesen und jenen Wink; ich selber stand kühner dazu; schon in meinem 25. Jahre verfaßte ich für mich ein pro memoria “über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne”. Ich bin sogar mit Menschen umgegangen, welche sich auf ihre Art mit Moral beschäftigten: sie werden mir bezeugen, daß ich nie auf meine Art mit ihnen von Moral gesprochen habe. Jetzt, wo ich einen freieren Überblick über diese Zeit habe, und Vieles mir erlaube, was ich früher für unerlaubt gehalten hätte, sehe ich keine Gründe mehr, hinter dem Berge zu halten. “Daß die ,Wahrheit’ in diesen Dingen schädlich ist”, um mich der Sprache der moralischen Hypokriten zu bedienen, und daß sie Viele zu Grunde richten kann, gebe ich zu: aber “schädlich sein” und „zu Grunde richten” gehört so gut zu den Aufgaben des Philosophen wie „nützlich sein” und „aufbauen”.
26 [373]
Es giebt einen Hang zur Wahrheit: so unwahrscheinlich es klingt: bei einigen Menschen wenigstens. Es giebt auch einen entgegengesetzten Hang z. B. bei den Künstlern. Und wir wollen froh darüber sein, es ist aus Beiden viel Gutes und Schlimmes gewachsen. Im Ganzen ist der zweite Hang wichtiger, es hat gute Gründe daß die Philosophen selten sind, und daß ihr Einfluß stark zurückgedämmt wird.
26 [374]
Aus der Selbstbespiegelung des Geistes ist noch nichts Gutes gewachsen. Erst jetzt, wo man auch über alle geistigen Vorgänge sich am Leitfaden des Leibes zu unterrichten sucht z. B. über Gedächtniß, kommt man von der Stelle.
26 [375]
Der alte Kant stellt einige geistige Instinkte fest, welche vor allem Räsonnement und vor aller Sinnesthätigkeit wirken: ebenso später einen moralischen Instinkt, nämlich den, zu gehorchen. Daß damit eine Brücke geschlagen sei zu „einer anderen Welt”, war eine Übereilung. Selbst wenn festgestellt wäre, daß die Existenz des Menschen an diese Instinkte geknüpft ist, ist über ihre “Wahrheit” nichts ausgemacht. Es ist eben unsere Welt.
26 [376]
Meine Philosophie bringt den siegreichen Gedanken, an welchlem zuletzt jede andere Denkweise zu Grunde geht. Es ist der große züchtende Gedanke: die Rassen, welche ihn nicht ertragen, sind verurtheilt; die, welche ihn als größte Wohlthat empfinden, sind zur Herrschaft ausersehn.
26 [377]
Die intellektuelle Charakterlosigkeit
Als Richard Wagner mir gar von dem Genusse zu sprechen begann, den er dem christlichen Abendmahle (dem protestantischen) abzugewinnen wisse, da war es aus mit meiner Geduld. Er war ein großer Schauspieler: aber ohne Halt, und inwendig die Beute von allen Sachen, welche stark berauschen. Er hat alle Wandlungen durchgemacht, welche die guten Deutschen seit den Tagen der Romantik durchgemacht haben: Wolfsschlucht und Euryanthe, Schauer-Hoffmann, dann “Emancipation des Fleisches” und Durst nach Paris, dann den Geschmack für große Oper, für Meyerbeersche und Bellinische Musik, Volkstribune, später Feuerbach und Hegel — die Musik sollte aus der „Unbewußtheit” heraus, dann die Revolution, dann die Enttäuschung, und Schopenhauer, und eine Annäherung an deutsche Fürsten, dann Huldigungen vor Kaiser und Reich und Heer, dann auch vor dem Christenthum, welches seit dem letzten Kriege und seinen vielen „Todtenopfern” wieder in Deutschland zum guten Geschmack gehört —, mit Verwünschungen gegen die „Wissenschaft”.
26 [378]
Allen seinen natürlichen Hängen zu widerstehen und es zu versuchen, ob nicht auch vom entgegengesetzten Hange Etwas in uns ist: eine nützliche Sache, obwohl sie viel Unbehagen mit sich bringt. Wie wenn ein Mensch aus einer gewohnten trockenen Luft in ein feuchtes Klima versetzt wird. Es verlangt einen unerschütterlichen Willen — und wenn meine Denkweise nichts verlangt als dies, so ist es schon ein Grund, weshalb sie wenige Anhänger haben wird. Ein solcher starker und doch geschmeidiger Wille ist zu selten.
26 [379]
Das Volk von Willensschwachen (wie Sainte-Beuve) hat einen innerlichen Widerwillen vor der entgegengesetzten Rasse z. B. vor Stendhal.
26 [380]
Wie viel viehische Gemeinheit im Engländer, daß er jetzt noch nöthig hat, mit aller Gewalt das utile zu predigen! Es ist sein höchster Gesichtspunkt: sein dulce ist gar zu gering. — Auch die Heils-Armee!
26 [381]
“une croyance presque instinctive chez moi, c’est que tout homme puissant ment, quand il parle, et à plus forte raison, quand il écrit.” préface „Vie de Napoleon” p. XV Stendhal.
26 [382]
Man spricht mir bei Tisch von Eugen Dühring, man „entschuldigt” Vieles, denn, sagt man: er ist blind. Wie? Ich bin's beinahe. Homer war es ganz. Muß man deshalb schlechter Laune sein? Und voller Würmer? Und aussehen, wie ein Tintenfaß? Eugen Dühring hat neuerdings uns sein Leben erzählt: er hat keinen Verdruß vergessen, keine Kränkung von Kindesbeinen an, ich glaube, er kann stundenlang schlechte kleine kleinliche Geschichtchen von seinen Lehrern und Gegnern erzählen, von der Zeit her, wo er noch nicht blind <war>: zum Mindesten macht er ein Gesicht darnach, wenn anders das Bild gut ist, mit dem er sein Buch geschmückt und seine Philosophie widerlegt hat. — Er sagt uns, daß das Bild gut ist.
26 [383]
Nachwirkungen des alten Gottes I) —
So wenig ich mit dem bekannt bin, was heute unter Deutschen philosophirt wird: so bin ich, Dank einigen glücklichen Zufällen, dahinter gekommen, daß in Deutschland jetzt es an der Mode ist, zwar nicht an Schöpfung der Welt, aber doch an einen Anfang zu denken: man wehrt sich gegen eine “Unendlichkeit nach hinten” — Sie verstehen doch meine abgekürzte Formel? Darin stimmen Mainländer, Hartmann, Dühring usw. überein. Den unanständigsten Ausdruck für die entgegengesetzte Ansicht, daß die Welt ewig ist, hat Mainländer gefunden, ein Apostel der unbedingten Keuschheit, gleich Richard Wagner.
Nachwirkungen des alten Gottes 2) ewig neu.
26 [384]
Raum eine Abstraktion: an sich giebt es keinen Raum, namentlich giebt es keinen leeren Raum. Vom Glauben an den „leeren Raum” stammt viel Unsinn. —
26 [385]
Daß wir einen Zeitinstinkt haben, einen Raum-Instinkt, einen Gründe-Instinkt; das hat nichts mit Zeit Raum und Causalität zu thun.
26 [386]
Sieg der antiteleologischen mechanistischen Denkweise als regulativer Hypothese 1) weil mit ihr allein Wissenschaft möglich ist 2) weil sie am wenigsten voraussetzt und unter allen Umständen erst ausprobirt werden muß was ein paar Jahrhunderte braucht 3) — — —
26 [387]
Kampf gegen Plato und Aristoteles.
26 [388]
Hegel's gothische Himmelstürmerei (- Nachzüglerei). Versuch, eine Art von Vernunft in die Entwicklung zu bringen: — ich am entgegengesetzten Punkte, sehe in der Logik selber noch eine Art von Unvernunft und Zufall. Wir bemühen uns <zu begreifen>, wie bei der allergrößten Unvernunft, nämlich ganz ohne Vernunft die Entwicklung bis herauf zum Menschen vor sich gegangen ist.
26 [389]
Gegen den Altruismus: derselbe ist eine Illusion.
Das désintéressement in der Moral (Schopenhauer Comte) in der Erkenntnißlehre (die „Objektiven” — wie Taine), in der Kunst (die ideale Schönheit, an welche z. B. Flaubert glaubt)
26 [390]
Als ich 12 Jahre alt war, erdachte ich mir eine wunderliche Drei-Einigkeit: nämlich Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Teufel. Mein Schluß, war, daß Gott, sich selber denkend, die zweite Person der Gottheit schuf: daß aber, um sich selber denken zu können, er seinen Gegensatz denken mußte, also schaffen mußte. — Damit fieng ich an, zu philosophiren.
26 [391]
Die vielen falschen „Gegensätze” (über die Verwandlung der Affekte, ihre Genealogie usw.
26 [392]
Unzählig viele Einzelne höherer Art gehen jetzt zu Grunde: aber wer davon kommt, ist stark wie der Teufel. Ähnlich wie zur Zeit der Renaissance.
26 [393]
Der Schauspieler.
Der historische Sinn: davon hat Plato und alle Philosophie keinen Begriff. Es ist eine Art von Schauspieler-Kunst, zeitweilig eine fremde Seele anzunehmen: Folge der großen Rassen- und Völker-Mischungen, vermöge deren in jedem ein Stück von Allem ist, das war. Ein Künstler-Sinn, auf dem Gebiete der Erkenntniß. Zugleich ein Zeichen von Schwäche und Mangel der Einheit.
Exotismus, Cosmopolitismus usw. Romantik. Der Sinn hat sich verschärft, z. B. jetzt ist Walter Scott uns nicht mehr möglich. Ebensowenig Richard Wagner.
Rousseau, George Sand, Michelet, Sainte-Beuve — ihre Art von Schauspielerei. Die einen vor dem Volke, andere (wie Voltaire) vor der Gesellschaft.
Ganz andere Schauspieler die Mächtigen, wie Napoleon, Bismarck.
26 [394]
Wissen Sie, was ein Sumpf ist? — Der Zufall erlaubte es mir, wieder alles das bei einander zu sehen, was Richard Wagner und seine Leute zusammen in Worten gepredigt haben: in den übel berufenen Bayreuther Blättern. Sehen Sie, das ist ein Sumpf: Anmaaßung, Unklarheit, Unwissenheit und — Geschmacklosigkeit durcheinander. Wie der Alte singt, so zwitschern die Jungen; darüber wird sich Niemand wundern. Und wäre es nur ein Gesang! Aber es ist ein Gewinsel, die Wichtigthuerei eines alten Oberpriesters, der sich vor nichts mehr fürchtet als vor hellen deutlichen Begriffen. Und das will in Dingen der Philosophie und Historie mitreden! — Il faut être sec, sagt, mir nach dem Herzen, mein Freund Stendhal. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf Bergen wohnen: also sprach mein Sohn Zarathustra.
26 [395]
Es scheint, ich bin etwas von einem Deutschen einer aussterbenden Art. Gut deutsch sein heißt sich entdeutschen — habe ich einmal gesagt: aber das will man mir heute nicht zugeben. Goethe hätte mir vielleicht Recht gegeben.
26 [396]
Pour être bon philosophe, il faut être sec, clair, sans illusion. Un banquier, qui a fait fortune, aune partie du caractère requis pour faire des découvertes en philosophie, c’est-à-dire pour voir clair dans ce qui est. Nicht täuschen wollen — das ist etwas ganz Anderes, das mag moralisch sein. Sich nicht täuschen lassen, namentlich wenn man den größten Hang dazu hat!
26 [397]
Stendhal präcisirt (18. Dezember 1829) die moralischen Probleme.
Was sind die Motive der menschlichen Handlungen: est-ce la recherche du plaisir, comme dit Virgile (trahit sua quemque voluptas) Est-ce la sympathie? Was ist der Gewissensbiß? Kommt er von Gesprächen, die wir gehört haben? ou naît-il dans la cervelle, comme l’idée de becqueter le blé qui vient au jeune poulet?
26 [398]
Die Vergeistigung als Ziel gesetzt: so ist die scharfe Gegensetzung von Gut und Böse, Tugend und Laster ein Zucht-Mittel, den Menschen zum Herrn über sich zu machen, eine Vorbereitung zur Geistigkeit. — Aber wenn nicht Versinnlichung dabei ist, so wird der Geist sehr dünn.
26 [399]
Die Deutschen sind ein gefährliches Volk: sie verstehen sich auf das Berauschen. Gothik, vielleicht auch Rococo (nach Semper), der historische Sinn und Exotismus, Hegel, Richard Wagner — Leibnitz auch heute noch gefährlich — die Bedientenseele (idealisirt als Gelehrten- und Soldatentugend) auch als historischer Sinn. Die Deutschen mögen wohl das gemischteste Volk sein.
“das Volk der Mitte”, die Erfinder des Porzellans und einer chinesenhaften Art von Geheimräthen.
26 [400]
Das tiefe Wohlwollen gegen alle Dinge. Es kostet mich eine Komödie, auf Menschen, die ich kenne, böse zu sein: vorausgesetzt daß ich nicht krank bin.
26 [401]
Auch ein Philosoph muß sich zusprechen, wie jener Diplomat: “mißtrauen wir unseren ersten Regungen: sie sind fast immer gut”.
26 [402]
Bismarck: so fern von der deutschen Philosophie als ein Bauer oder ein Korpsstudent. Mißtrauisch gegen die Gelehrten. Das gefällt mir an ihm. Er hat alles weggeworfen, was ihm die dumme deutsche Bildung (mit Gymnasien und Universitäten) hat beibringen wollen. — Und er liebt ersichtlich eine gute Mahlzeit mit starkem Wein mehr als die deutsche Musik: welche meist nur eine feinere weibsartige Hypokrisie und Vermäntelung für die alte deutsche Manns-Neigung zum Rausche ist. Er hat seine braven Beschränktheiten festgehalten, nämlich die gegen Gott und König: und später noch, wie billig, die Beschränktheit hinzugefügt, welche jeder hat, der etwas geschaffen hat, die Liebe zu seinem Werk (ich meine zum deutschen Reich)
26 [403]
Michelet: schwitzende Sympathie, etwas Pöbelhaftes daran, wie als ob er den Rock auszöge, vor einer Arbeit. Volks-Tribun: er kennt auch die Raubthier-Wuthanfälle des Volks. Alles, was mir gefällt, ist ihm fremd. Montaigne so gut als Napoleon. Seltsam, auch er, der arbeitsame sittenstrenge Mensch, hat die neugierige Geschlechts-Lüsternheit des Galliers.
26 [404]
Sainte-Beuve — stille Wuth aller feineren Franzosen über die „furchtbare Dummheit” —: möchte gern verleugnen, daß ihm alle Philosophie fehlt, ebenso aller Charakter, ja sogar, was nach Beiden nicht Wunder nimmt, aller feste Geschmack in artibus et litteris. Er weiß weder mit den starken Seiten Voltaire’s, noch mit Montaigne, Charron, Chamfort, Larochefoucauld, Stendhal zurecht zu kommen: — Er ärgert sich nämlich, mit einer Art Neid, über die Thatsache, daß diese Menschenkenner alle auch noch einen Willen und Charakter im Leibe haben.
26 [405]
Die Art Hölderlin und Leopardi: ich bin hart genug, um über deren Zugrundegehen zu lachen. Man hat eine falsche Vorstellung davon. Solche Ultra-Platoniker, denen immer die Naivetät abgeht, enden schlecht. Irgend Etwas muß derb und grob sein am Menschen: sonst geht er auf eine lächerliche Weise zu Grunde vor lauter Widersprüchen mit den einfachsten Thatsachen: z. B. mit der Thatsache, daß ein Mann von Zeit zu Zeit ein Weib nöthig hat, wie er von Zeit zu Zeit eine rechtschaffene Mahlzeit nöthig hat. Zuletzt haben die Jesuiten herausgebracht, daß Leop<ardi> — — —
26 [406]
In meiner Jugend, wo ich Vielerlei war, zum Beispiel auch Maler, habe ich einmal ein Bild von Richard Wagner gemalt, unter dem Titel: Richard Wagner in Bayreuth. Einige Jahre später sagte ich mir: “Teufel! es ist gar nicht ähnlich”. Noch ein paar Jahre später antwortete ich „um so besser! um so besser!” – In gewissen Jahren des Lebens hat man ein Recht, Dinge und Menschen falsch zu sehen, — Vergrößerungsgläser, welche die Hoffnung uns giebt.
Als ich 21 Jahre alt war, war ich vielleicht der einzige Mensch in Deutschland, der diese Zwei, der zugleich Richard Wagner und Schopenhauer mit Einer Begeisterung liebte. Einige meiner Freunde wurden angesteckt.
Im Grunde bin ich durch Händel — — —
Als Knabe liebte ich Händel und Beethoven: aber Tristan und Isolde kam, als ich 17 Jahre alt war, hinzu, als eine mir verständliche Welt. Während ich damals den Tannhäuser und Lohengrin als „unterhalb meines Geschmacks” empfand: Knaben sind in Sachen des Geschmacks ganz unverschämt stolz.
26 [407]
Der Gesetzgeber der Zukunft.
Menschen, vor denen das Bild einer ungeheuren Aufgabe aufzudämmern beginnt, suchen ihr zu entrinnen: und man wird die kühnsten und verwegensten Versuche bei großen Menschen finden, irgendwohin zu entschlüpfen, z.B. sich einzureden a) die Aufgabe ist schon gelöst b) oder sie ist unlösbar c) oder ich bin zu schwach für sie d) meine Pflicht, meine Moralität weist sie ab als unmoralisch — e) oder sich fragen: wer muthet mir diese Aufgabe zu? Niemand. Skepsis gegen alle schweren Missionen. — Vielen gelingt es auszuweichen, es giebt ein feines schlechtes Gewissen für solche. Zuletzt ist es eine Frage der Kraft: wie groß fühlt man seine Verantwortlichkeit?
Nachdem ich lange mit dem Worte “Philosoph” einen bestimmten Begriff zu verbinden suchte, fand ich endlich, daß es zwei Arten giebt 1) solche welche irgend einen großen Thatbestand festzustellen suchen 2) solche, welche Gesetzgeber der Werthschätzungen sind. Die Ersten suchen sich der vorhandenen oder vergangenen Welt zu bemächtigen, indem sie das Geschehen in Zeichen zusammenfassen: ihnen liegt daran, übersichtlich, überdenkbar, faßbar, handlich zu machen — sie dienen der Aufgabe des Menschen, alle Dinge zu seinem Nutzen zu verwenden. Die Zweiten aber befehlen und sagen: so soll es sein! sie bestimmen erst den Nutzen, was Nutzen des Menschen ist; sie verfügen über die Vorarbeit der wissenschaftlichen Menschen, aber das Wissen ist ihnen nur ein Mittel zum Schaffen. In der That ist ihre Lage ungeheuer, und sie haben sich oft die Augen zugebunden z. B. Plato, als er einst vermeinte, das Gute nicht festzusetzen, sondern es als etwas Ewiges vorzufinden. Und in gröberen Formen, nämlich bei den Religionsstiftern, ist ihr “Du sollst” ihnen als Befehl ihres Gottes zugekommen: wie im Falle Muhameds, ihre Gesetzgebung der Werthe galt ihnen als eine “Eingebung”, und daß sie sie ausführten, als ein Akt des Gehorsams. —
Sobald nun jene Vorstellungen dahingefallen sind 1) die von Gott 2) die von ewigen Werthen: entsteht die Aufgabe des Gesetzgebers der Werthe in furchtbarer Größe. Die Mittel der Erleichterung, welche man früher hatte, sind dahin. Das Gefühl ist so schrecklich, daß ein solcher Mensch Zuflucht sucht
1) beim absoluten Fatalismus: die Dinge gehn ihren Gang und der Einfluß des Einzelnen ist gleichgültig
2) beim intellektuellen Pessimismus: die Werthe sind Täuschungen, es giebt an sich gar kein „Gut und Böse” usw. Aber der intellektuelle Pessimismus wirft auch den Fatalismus um, er zeigt, daß das Gefühl “Nothwendigkeit” und „Causalität” erst von uns hineingelegt worden ist,
3) bei der absichtlichen Selbst-Verkleinerung.
26 [408]
Es ist sehr gleichgültig, ob nun mein damaliges Bild des Künstlers oder des Philosophen, in Hinsicht auf das vielleicht zufällig mir dargebotene Subjekt (Richard Wagner), falsch ist: vielleicht, daß der Irrthum sogar ins Ungeheuerlichc geht, was liegt daran!
Nach langen Jahren, welche aber nichts weniger waren als lange Unterbrechungen, fahre ich fort, auch öffentlich das wieder zu thun, was ich für mich immer thue und immer gethan habe: nämlich Bilder neuer Ideale an die Wand zu malen.
26 [409]
Wie kommen Menschen zu einer großen Kraft und zu einer großen Aufgabe? — Alle Tugend und Tüchtigkeit am Leibe und an der Seele ist mühsam und im Kleinen erworben worden, durch viel Fleiß, Selbstbezwingung, Beschränkung auf Weniges, durch viel zähe treue Wiederholung der gleichen Arbeiten, der gleichen Entsagungen: aber es giebt Menschen, welche die Erben und Herren dieses langsam erworbenen vielfachen Reichthums an Tugenden und Tüchtigkeiten sind — weil, auf Grund glücklicher und vernünftiger Ehen und auch glücklicher Zufälle, die erworbenen und gehäuften Kräfte vieler Geschlechter nicht verschleudert und versplittert, sondern durch einen festen Ring und Willen zusammengebunden sind. Am Ende nämlich erscheint ein Mensch, ein Ungeheuer von Kraft, welches nach einem Ungeheuer von Aufgabe verlangt. Denn unsere Kraft ist es, welche über uns verfügt: und das erbärmliche geistige Spiel von Zielen und Absichten und Beweggründen nur ein Vordergrund — mögen schwache Augen auch hierin die Sache selber sehen.
26 [410]
Der Glaube an Ursache und Wirkung, und die Strenge darin ist das Auszeichnende für die wissenschaftlichen Naturen, welche darauf aus sind, die Menschen-Welt zu formuliren, das Berechenbare festzustellen. Aber die mechanistisch-atomistische Welt-Betrachtung will Zahlen. Sie hat noch nicht ihren letzten Schritt gethan: der Raum als Maschine, der Raum endlich. — Damit ist aber Bewegung unmöglich: Boscovich — die dynamische Welt-Betrachtung
26 [411]
Daß die mechanistisch-atomistische Entwicklung nur ein System von Zeichen schaffen will: sie verzichtet auf Erklärungen, sie giebt den Begriff „Ursache und Wirkung” auf.
26 [412]
Kant's Ruhm ist heute ins Unbillige hinaufgetrieben, weil die vielen Kritiker eines kritischen Zeitalters ihre Cardinal-Tugend in ihm wiederfanden: sie loben sich, wenn sie vor Kant huldigen. Aber alle bloß kritischen Naturen sind zweiten Ranges, gehalten gegen die großen Synthetiker: an sie streift der unermeßliche Ehrgeiz Hegel's, der deshalb immer noch im Auslande als der größte deutsche Geist empfunden wird.
Schopenhauers Ruhm hängt ebenfalls von der Zeit ab: eine verdrossene hoffnungslose entblätterte Zeit hat seine Denkweise hochgehoben, die 50er Jahre Deutschlands. In Frankreich „blüht” er jetzt. Sein Ruhm ist übertrieben. In ihm ist ein Zug Mystik und Unklarheit mehr als bei Kant: damit verführt er unsere d<eutschen> Jünglinge. — Anderseits bringt er für unsere schlecht erzogene Jugend mancherlei Wissenschaft und interessirt; auch citirt er gute Bücher und leidet, ebenso wenig als Friedrich der Große und Bismarck, an jener niaiserie allemande, die dem Ausländer an unseren besten Köpfen auffällt (selbst an Goethe) Er ist einer der bestgebildeten Deutschen, das will sagen ein Europäer. Ein guter Deutscher — man verzeihe mir's, wenn ich es zehnmal wiederhole — ist kein Deutscher mehr. —
Fichte, Schelling, Hegel Feuerbach Strauß — das stinkt Alles nach Theologen und Kirchenvätern. Davon ist Schopenhauer ziemlich frei, man athmet bessere Luft, man riecht sogar Plato. Kant schnörkelhaft-schwerfällig: man merkt, daß die Griechen noch gar nicht entdeckt waren. Homer und Plato klangen nicht in diese Ohren.
26 [413]
Die Naturwissenschaften haben sich ins Bockshorn jagen lassen mit der Rede von der “Erscheinungswelt”; es waltet da ein ganz mythologischer Begriff “reines Erkennen”, mit dem da gemessen wird. Das ist “hölzernes Eisen” so gut wie ”Ding an sich”. Die bisherigen Philosophen haben als ihr Hauptproblem meistens eine contradictio in adjecto.
26 [414]
Unsere Werthschätzungen bestimmen welche Dinge überhaupt wir acceptiren und wie wir sie acceptiren. Diese Werthschätzungen aber sind eingegeben und regulirt von unserem Willen zur Macht.
26 [415]
“Die Attitüde (Drama) ist das Ziel; die Musik nur ein Mittel zur Verstärkung ihres Eindrucks” — ist die Praxis Richard Wagner's
26 [416]
Daß so etwas wie Spinozas amor dei wieder erlebt werden konnte, ist sein großes Ereigniß. Gegen Teichmüller's Hohn darüber, daß es schon da war! Welch Glück, daß die kostbarsten Dinge zum zweiten Male da sind! — Alle Philosophen! Es sind Menschen, die etwas Außerordentliches erlebt haben
26 [417]
Ich freue mich der militärischen Entwicklung Europa's, auch der inneren anarchistischen Zustände: die Zeit der Ruhe und des Chinesenthums, welche Galiani für dies Jahrhundert voraussagte, ist vorbei. Persönliche männliche Tüchtigkeit, Leibes-Tüchtigkeit bekommt wieder Werth, die Schätzungen werden physischer, die Ernährung fleischlicher. Schöne Männer werden wieder möglich. Die blasse Duckmäuserei (mit Mandarinen an der Spitze, wie Comte es träumte) ist vorbei. Der Barbar ist in jedem von uns bejaht, auch das wilde Thier. Gerade deshalb wird es mehr werden mit den Philosophen. — Kant ist eine Vogelscheuche, irgendwann einmal!
26 [418]
Mérimée sagt von einigen lyrischen Gedichten Pouschkin's ”griechisch durch Wahrheit und Einfachheit, très supérieurs pour la précision et la netteté“.
26 [419]
Wie die Pasta einmal gegen Mérimée bemerkte: „man hat seit Rossini keine Oper gemacht, welche Einheit hätte und wo die Stücke alle zusammenhalten. Das, was Verdi z. B. macht, gleicht alles einer Harlekins-Jacke.”
26 [420]
In Allem, was Goethe gemacht hat, sagt Mérimée, giebt es eine Mischung von Genie und von deutscher niaiserie (gut! das ist deutsch!) “moquirt er sich über sich selber oder über die Anderen?” — Wilhelm Meister: die schönsten Dinge von der Welt abwechselnd mit den lächerlichsten Kindereien.
26 [421]
Après tout, il y a de bons moments, et le souvenir de ces bons moments est plus agréable que le souvenir des mauvais n’est triste. Mérimée.
26 [422]
“Der Einfluß der Frauen, nicht vom Christenthum her, sondern vom Einfluß der nordischen Barbaren auf die römische Gesellschaft. Die Germanen hatten exaltation, sie liebten die Seele. Die Römer liebten nur den Leib. Es ist wahr, daß die Weiber lange Zeit keine Seele hatten. Sie haben sie noch nicht im Orient — schade!” Mérimée.
26 [423]
In der Fremde leben ist für den alten Griechen das größte aller Malheurs. Aber gar darin sterben: es giebt nichts Erschrecklicheres für seine Einbildungskraft. Mérimée.
26 [424]
Der erste Sinnen-Eindruck wird bearbeitet vom Intellekt: vereinfacht, nach früheren Schematen zurechtgemacht, die Vorstellung der Erscheinungswelt ist als Kunstwerk unser Werk. Aber das Material nicht — Kunst ist eben das, was die Hauptlinien unterstreicht, die entscheidenden Züge übrig behält, Vieles wegläßt. Dies absichtliche Umgestalten in etwas Bekanntes, dies Fälschen —
“Historischer Sinn” ist dasselbe: ist den Franzosen gut gelehrt durch Taine, die Hauptthatsachen voran (Rangordnung der facta feststellen ist das Produktive des Historikers). Das Nachfühlen-können, die Impression haben ist freilich die Voraussetzung: deutsch.
26 [425]
Weshalb der Philosoph selten geräth: zu seinen Bedingungen gehören Eigenschaften, die gewöhnlich einen Menschen zu Grunde richten:
26 [426]
Die Philosophen der Zukunft.
Von
Friedrich Nietzsche.
26 [427]
Petronius: hellster Himmel, trockene Luft, presto der Bewegung: kein Gott, der im Miste liegt; nichts Unendliches, nichts Lüstern-Heiliges, nichts vom Schweine des St. Antonius. Wohlwollender Hohn; ächter Epicureismus; — — —
26 [428]
“Wird es überhaupt noch Philosophen geben? Oder sind sie überflüssig? Es ist genug jetzt als Überrest von ihnen in Fleisch und Blut von uns allen. Man wird auch keine Religionsstifter mehr haben: es sterben die größten Thiere aus.” — Dagegen sage ich: — — —
26 [429]
Aus dem Unbedingten kann nichts Bedingtes entstehen. Nun aber ist alles, was wir kennen, bedingt. Folglich giebt es gar kein Unbedingtes, es ist eine überflüssige Annahme.
26 [430]
Kein idealistischer Philosoph läßt sich über sein Mittagessen täuschen, als sei es nur eine perspektivische und von ihm ausgedachte Erscheinung.
26 [431]
Daß „Kraft” und „Raum” nur zwei Ausdrücke und verschiedene Betrachtungsarten derselben Sache sind: daß „leerer Raum” ein Widerspruch ist, ebenso wie „absoluter Zweck” (bei Kant), “Ding an sich” (bei Kant) „unendliche Kraft” “blinder Wille” — — —
26 [432]
Wenn ich an meine philosophische Genealogie denke, so fühle ich mich im Zusammenhang mit der antiteleologischen, d. h. spinozistischen Bewegung unserer Zeit, doch mit dem Unterschied, daß ich auch „den Zweck” und “den Willen” in uns für eine Täuschung halte; ebenso mit der mechanistischen Bewegung (Zurückführung aller moralischen und aesthetischen Fragen auf physiologische, aller physiologischen auf chemische, aller chemischen auf mechanische) doch mit dem Unterschied, daß ich nicht an “Materie” glaube und Boscovich für einen der großen Wendepunkte halte, wie Copernicus; daß ich alles Ausgehen von der Selbstbespiegelung des Geistes für unfruchtbar halte und ohne den Leitfaden des Leibes an keine gute Forschung glaube. Nicht eine Philosophie als Dogma, sondern als vorläufige Regulative der Forschung.
26 [433]
Einem Menschen wie Sie sind, kann diese Philosophie nicht gefährlich sein. Ich glaube überhaupt nicht daran, daß Philosophien gefährlich sind. Die Menschen sind so und so — wozu sollte ich deutlicher reden! — und brauchen Kleiderchen und Masken um sich dennoch schön zu präsentiren: zu diesen Masken gehören die Philosophien.
26 [434]
Eine untergehende Welt ist ein Genuß, nicht nur für den Betrachter (sondern auch für den Vernichtenden). Der Tod ist nicht nur nothwendig, “häßlich” ist nicht genug, es giebt Größe, Erhabenheit aller Art bei untergehenden Welten. Auch Süßigkeiten, auch Hoffnungen und Abendröthen. Europa ist eine untergehende Welt. Demokratie ist die Verfalls — Form des Staates.
26 [435]
Montaigne, als Schriftsteller, ist oft „auf dem Gipfel der Vollkommenheit durch Lebhaftigkeit, Jugend und Kraft. Il a la grâce des jeunes animaux puissants. — L'admirable vivacité et l'étrange énergie de sa langue. Er gleicht Lucrez pour cette jeunesse virile. Un jeune chêne tout plein de sève, d'un bois dur et avec la grâce des premières années”. Doudan.
26 [436]
“ich fange an zu glauben, cette race douce, énergique, méditative et passionnée hat immer nur in den Büchern existirt.” Doudan, über die Deutschen.
26 [437]
Ich halte, mit Doudan, die große Mehrzahl der Musiker für Charlatans und auch für dupes —
chantaient déjà, faute d’idées.
26 [438]
Was soll man von dem französischen Geschmack halten! Doudan sagt: c’est un bruit dans les oreilles et un petit mal de cœur indéfinissable qu'on n'aime pas à sentir.
26 [439]
“Motu quiescunt” — vom Glück der Aktivität, „la volonté désennuie” Doudan.
26 [440]
Nur der echte Philosoph ist ein verwegenes Thier und spricht zu sich wie Turenne: “Carcasse, tu trembles? Tu tremblerais bien davantage, si tu savais où je te mène.”
26 [441]
Die Bewunderung für Cicero: c’est une aimable et noble créature. Le petit parvenu d'Arpinum est tout simplement le plus beau résultat de toute la longue civilisation qui l'avait précédé. Je ne sais rien de plus honorable pour la nature humaine que l’état d’âme et d’esprit de Cicéron. Doudan.
l'habitude d'admirer l'inintelligible au lieu de rester tout simplement dans l'inconnu: was für ravages hat sie in den Geistern der neuen Zeit hervorgebracht! Doudan.
Er hatte zwischen sich und der Natur aucun de ces fantômes imposants, mais informes, qui ravissaient Saint Antoine dans le désert et Saint Ignace de Loyola dans le monde.
“ il y a quelque chose de Cicéron dans Voltaire”
26 [442]
Der deutsche Mystiker
Die großen Selbst-Bewunderungen und die großen Selbst-Verachtungen und –Verkleinerungen gehören zu einander: der Mystiker, der sich bald Gott, bald Wurm fühlt. Was hier fehlt, ist das Selbst-Gefühl. Es scheint mir daß Bescheidenheit und Stolz eng zu einander gehören, und nur Urtheile je nach dem, wohin man blickt. Das Gemeinsame ist: der kalte sichere Blick der Schätzung in beiden Fällen. Es gehört übrigens zur guten Diät, nicht unter Menschen zu leben, mit denen man sich gar nicht vergleichen darf, sei es aus Bescheidenheit, sei es aus Stolz. Diese Diät ist eine aristokratische Diät. Gewählte Gesellschaft — lebende und todte. — Fatum ist ein erhebender Gedanke für den, welcher begreift, daß er dazu gehört.
26 [443]
In Pascal zum ersten Mal in Frankreich la raillerie sinistre et tragique, — „la comédie et la tragédie tout ensemble”. Von den Provinciales.
26 [444]
Von Genua sagt Doudan: On peut porter là les grandes tristesses sans souffrir d'aucun contraste.
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Schleiermacher: die deutschen Philosophen
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Renan, von dem Doudan sagt: „er giebt den Leuten seiner Generation, was sie in allen Sachen wollen, des bonbons, qui sentent l'infini”. “Ce style rêveur, doux, insinuant, tournant autour des questions sans beaucoup les serrer, 'a la manière des petits serpents. C’est aux sons de cette musique-là, qu'on se résigne à tant s'amuser de tout, qu'on supporte des despotismes en rêvassant 'a la liberté”
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Über Taine “mais que cela est rouge, bleu, vert, orange, noir, nacre, opale, iris et pourpre! ... c’est une boutique de marchand de couleurs. Mit Mirabeau le père sagen: quel tapage de couleurs!
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Das Auge, wenn es sieht, thut genau dasselbe, was der Geist thut um zu begreifen. Es vereinfacht das Phänomen, giebt ihm neue Umrisse, ähnelt es früher Gesehenem an, führt es zurück auf Früher-Gesehenes, bildet es um, bis es faßlich, brauchbar wird. Die Sinne thun dasselbe wie der “Geist”: sie bemächtigen sich der Dinge, ganz so wie die Wissenschaft eine Überwältigung der Natur in Begriffen und Zahlen ist. Es giebt nichts darin, was “Objektiv” sein will: sondern eine Art Einverleibung und Anpassung, zum Zweck der Ernährung.
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Ich fand noch keinen Grund zur Entmuthigung. Wer sich einen starken Willen bewahrt und anerzogen hat, zugleich mit einem weiten Geiste, hat günstigere Chancen als je. Denn die Dressirbarkeit der Menschen ist in diesem demokratischen Europa sehr groß geworden; Menschen welche leicht lernen, leicht sich fügen, sind die Regel: das Heerdenthier, sogar höchst intelligent, ist präparirt. Wer befehlen kann, findet die, welche gehorchen müssen — ich denke z. B. an Napoleon und Bismarck. Die Concurrenz mit starkem und unintelligentem Willen, welcher am meisten hindert, ist gering. Wer wirft diese Herren „Objektiven” mit schwachem Willen, wie Ranke oder Renan, nicht um!
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Gelehrte. Diese „Objektiven”, Nur-Wissenschaftlichen sind zuletzt gewissenhaft und lobenswerth und bleiben in den Grenzen ihres Vermögens, von irgend einer hochgeschätzten Sache zu zeigen, daß etwas Widersinniges dahinter ist, <sie> folglich, intellektuell gemessen, weniger Werth hat als man durchschnittlich glaubt. Nämlich, über logische Werthgrade fühlen sie sich allein berechtigt, mitzuurtheilen, mitzureden; sie selber haben keinen anderen Werth als logisch zu sein.
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Man muß zu heftigen Bewunderungen fähig sein, und mit Liebe vielen Sachen ins Herz kriechen: sonst taugt man nicht zum Philosophen. Graue kalte Augen wissen nicht, was die Dinge werth sind; graue kalte Geister wissen nicht, was die Dinge wiegen. Aber freilich: man muß eine Gegenkraft haben: einen Flug in so weite hohe Fernen, daß man auch seine bestbewunderten Dinge tief, tief unter sich sieht, und sehr nahe dem, was man vielleicht verachtete. — Ich habe meine Proben gemacht, als ich mich nicht durch die große politische Bewegung Deutschlands, noch durch die künstlerische Wagners, noch durch die philosophische Schopenhauers von meiner Hauptsache habe abspänstig machen lassen: doch ward es mir schwer, und zeitweilig war ich krank daran.
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Ich will Niemanden zur Philosophie überreden: es ist nothwendig, es ist vielleicht auch wünschenswerth, daß der Philosoph eine seltene Pflanze ist. Nichts ist mir widerlicher als die lehrhafte Anpreisung der Philosophie, wie bei Seneca oder gar Cicero. Philosophie hat wenig mit Tugend zu thun. Es sei mir erlaubt zu sagen: daß auch der wissenschaftliche Mensch etwas Grundverschiedenes vom Philosophen ist. — Was ich wünsche, ist, daß der ächte Begriff des Philosophen in Deutschland nicht ganz und gar zu Grunde gehe. Es giebt so viele halbe Wesen aller Art in Deutschland, welche ihr Mißrathensein gern unter einem so vornehmen Namen verstecken möchten.
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Was die Dinge werth sind abzuschätzen: dazu genügt nicht, daß man sie kennt: ob es schon nöthig ist. Man muß ihnen Werth zugestehen dürfen, geben und nehmen dürfen, genug, man muß Einer sein, der das Recht hat, Werthe zu vergeben. Daher heute die vielen „Objektiven”
sie sind bescheiden und ehrlich, sich das Recht abzustreiten.
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Victor Hugo: reich und überreich an pittoresken Einfällen, mit Maler-Augen auf alles Sichtbare sehend, ohne Geschmack und Zucht, flach und demagogisch, sklavisch vor allen klingenden Worten auf dem Bauch, ein Volks-Schmeichler, mit der Evangelisten-Stimme für alle Niedrigen, Mißrathenen, Unterdrückten, aber ohne eine Ahnung von intellektuellem Gewissen und vornehmer Größe. Sein Geist wirkt auf die Franzosen in der Art eines alkoholischen Getränks, das zugleich berauscht und dumm macht. Die Ohren klingen Einem, wenn sein betäubendes Geschwätz losgeht: und man leidet, wie wenn ein Eisenbahn-Zug uns durch einen dunklen Tunnel fährt.
Flaubert: falsche Gelehrsamkeit. Emphase.
Von Rossini: kein Schauspieler kam ihm gleich, wenn er den Barbier von Sevilla sang. Einer der geistreichsten Menschen.
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“Die großen Worte, die Monstra von Ereignissen — zunehmend. Immer gab es sonst, in barbarischen unwissenden absurden Zeitaltern eine Art Compensation durch einige ganz große Menschen. Jetzt schnelles tiefes nivellement aller Intelligenzen.”
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Daß ein Beefsteak nur eine Erscheinung sein soll, eigentlich aber das Ding an sich, so etwas wie das Absolutum oder der liebe Gott: das glaube, wer — — —
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Bismarck: Bauer, Corps-Student: nicht gemütlich, nicht naiv, Gott sei Dank! Kein Deutscher, wie er “im Buche steht”!
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Was ich lache über Flaubert, mit seiner Wuth über den bourgeois, der sich verkleidet, ich weiß nicht als was! Und Taine, als M. Graindorge, der durchaus Weltmann, Frauenkenner usw. sein will!
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Meine Schulung zum Mißtrauen, zum memnhso apistein — auch etwas zum Auslachen!
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Problem: die Werthe “gut” “böse” „lobenswerth” usw. werden angelernt. Aber “feig” “muthig” „Hallunke” „Geduldig” werden angeboren und einverleibt. In Folge davon ist lernen und lernen etwas Verschiedenes: ein Charakter nimmt entgegen, ein anderer läßt sich etwas aufzwingen, ein dritter giebt nach, macht nach, ist Affe. Es giebt viel Widerstreben bei Anderen, bei mir z. B. viel gutwilliges Sich — Stellen, als ob ich annehme: während ich meine Entscheidung verschob: es war nur „vorläufig” und “zeitweilig”. Für mich allein glaubte ich an nichts davon. Ich habe keinen Menschen kennen gelernt, den ich in den allgemeinsten Urtheilen als Autorität empfunden hätte: während ich ein tiefes Bedürfniß nach einem solchen Menschen hatte.
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Der Unfug Kant's mit „Erscheinung”. Und wo er keine Erklärung findet, ein Vermögen anzusetzen! Dieser Vorgang war's, worauf hin der große Schelling-Schwindel losgieng.
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Eine gute Anzahl höherer und besser ausgestatteter Menschen wird wie ich hoffe, endlich so viel Selbstüberwindung haben, um den schlechten Geschmack für Attitüden und die sentimentale Dunkelheit von sich abzuthun, und gegen Richard Wagner ebenso sehr als gegen Schopenhauer <sich wenden>. Diese Deutschen verderben uns, sie schmeicheln unseren gefährlichsten Eigenschaften. Es liegt in Goethe, Beethoven und Bismarck eine kräftigere Zukunft vorbereitet, als in diesen Abartungen der Rasse. Wir haben noch keine Philosophen gehabt.
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Die Corsen sind nicht liebenswürdig: und wer zur Heerde gehört, ärgert sich darüber.
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Wenn Kant die Philosophie zur „Wissenschaft” reduziren wollte, so war dieser Wille eine deutsche Philisterei: an der mag viel Achtbares sein, aber gewiß noch mehr zum Lachen. Daß die “Positivisten” Frankreichs, oder die „Wirklichkeits-Philosophen” oder die „wissenschaftlichen Philosophen” an den jetzigen deutschen Universitäten ganz in ihrem Rechte sind, wenn sie sich als philosophische Arbeiter, als Gelehrte im Dienste der Philosophie benehmen, ist in schönster Ordnung. Ebenso daß sie nicht über sich selber hinaus sehen können und den Typus “Philosoph” nach ihrem Bilde sich zurechtmachen.
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Mittag und Ewigkeit.
Eine Philosophie der ewigen Wiederkunft.
Von
Friedrich Nietzsche.
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Adventavit asinus
Pulcher et fortissimus.
Mysterium.
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Jenseits von Gut und Böse.
Briefe an einen philosophischen Freund Satis.
“Satis sunt mihi pauci, satis est unus, satis est nullus.”
Von
Friedrich Nietzsche.
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Was ist vornehm?
Gedanken über die Rangordnung von Mensch und Mensch.
Von
Friedrich Nietzsche.
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Aber den — kenne ich nicht. Oft, wahrlich, mochte ich glauben, auch er wäre nur eine schöne Heiligen-Larve