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Elegantes Zimmer in Zwirns Wohnung mit Mittel- und Seitentüren. Im Vordergrunde rechts und links Tische und Stühle
Zwirn
Zwirn (allein, tritt in einem modernen Palmenschlafrock auf) Jetzt bin ich schon über ein Vierteljahr hier in Prag etabliert – ist das ein Leben in dem Prag, wenn der Mensch ein Geld hat! Ich betreib' zwar mein Handwerk auf eine noble Manier, aber es bleibt halt doch Schneiderei, und mich hat die Natur zu etwas Höherem bestimmt, alles zeigt, daß ich nicht zum Schneider geboren bin.
Zwirn, mehrere Bediente und Gesellen
Erster Bedienter (aus der Mitteltüre) Eu'r Gnaden, es ist eine Kundschaft da!
Zwirn Ich bin heut' nicht mehr zu sprechen.
Erster Bedienter Sehr wohl, Eu'r Gnaden. (Ab.)
Zwirn Die Leut' glauben grad, ein Schneider ist nur wegen ihnen auf der Welt.
Erster Gesell (aus der Seitentüre links) Herr von Zwirn!
Zwirn Was gibt's?
Erster Gesell Der Herr von Fidibus hat seinen Konto bezahlt. (Will ihm Geld geben.)
Zwirn (ihn stolz zurückweisend) Das geht den Buchhalter an. (Der Gesell will gehen.)
Zweiter Gesell (ebenfalls von links kommend) Herr Meister –
Zwirn Grobian! Weiß er meinen Titel nicht?
Erster Gesell (leise zum zweiten) »Herr von Zwirn« mußt sagen.
Zwirn Noch einmal das Wort Meister, und du hast ausgerungen.
Zweiter Gesell Herr von Zwirn, der Konto da is nix nutz g'schrieben.
Zwirn Man trage ihn schleunigst noch einmal in die Kopiatur und melde dem Kanzleipersonale meinen Zorn. (Beide Gesellen ab.)
Erster Bedienter (durch die Seitentüre links) Euer Gnaden, es ist Samstag, die Gesellen wollen ihr Geld.
Zwirn Sie sollen zu meinem Kassier geben, ich bekümmere mich nicht um solche Gemeinheiten.
Erster Bedienter Das hab' ich ihnen auch g'sagt, aber sie sagen, sie sei'n überall vom Meister aus'zahlt worden.
Zwirn Zum Kassier, hab' ich g'sagt! Hinaus, Filou! (Erster Bedienter ab.)
Zweiter Bedienter (durch die Mitte) Euer Gnaden, der Maler ist da.
Zwirn Herein mit 'n Maler.
Zweiter Bedienter Sehr wohl. (Ab.)
Zwirn, Maler
Maler (mit vielen Verbeugungen, zur Mitte eintretend) Wenn es gefällig wäre, mir nur noch gütigst auf ein Viertelstündchen die Ansicht Ihrer höchst interessanten Physiognomie zu verstatten. (Richtet seinen Apparat auf dem Tisch.)
Zwirn Na, ein Viertelstündchen hab' ich grade noch Zeit. (Setzt sich.) Aber Sie dalken lang' herum mit mein' Porträt.
Maler Heut' wird der Dalk fertig.
Zwirn Was? – Wie meinen Sie das?
Maler Ich meine meine eigne Wenigkeit – ich werde heute fertig mit Hochdero Porträt.
Zwirn Ah so!
Maler (indem er malt) Dieselben hätten sich aber doch sollen gefälligst in Öl malen lassen.
Zwirn Wegen meiner, wenn wir wo ein gutes Öl kriegen. Schau'n S' nur, daß S' mich gut treffen, es wär' schad' um jeden Zug, der daneben geht.
Maler Ihre Nase ist sehr schwer zu treffen.
Zwirn Meine Nasen? Gar nicht. Schau'n S', mir hat voriges Jahr im Bierhaus einer ein Halbeglas ins G'sicht g'haut, der hat meine Nasen sehr gut getroffen, sag' ich Ihnen.
Die Vorigen; Hackauf
Hackauf (zur Mitteltüre eintretend, im böhmischen Dialekte) Ale Gagramente, was wär' denn das? Sie sein's nit auf zu Haus und sitzen S' da und lassen S' Ihne paladatschete G'fries mal'n?
Zwirn Hinaus!
Hackauf Ah, da muß ich bitten! Ich bin ich Kundschaft, die zahlt gleich! Gleich af der Stell' meßt Er mir ein' Rock an.
Zwirn Hinaus!
Hackauf Was? Ich soll hinaus gehn? – (Er packt Zwirn und drängt ihn auf den Sessel, worauf der Maler das Bild gelegt. – Bediente treten ein und drängen Hackauf zur Mitteltüre hinaus.)
Maler Wo ist denn mein Porträt?
Zwirn Das hat gewiß der Fleischhacker mitgenommen. (Geht an die Türe; das Porträt klebt an seinem Schlafrock.)
Maler An Ihrem Schlafrock klebt's.
Zwirn (besieht sich) Ah, verflucht, jetzt hab' ich mich auf mein Miniaturg'sichtl g'setzt.
Maler Das ist hin, doch es macht nichts, Sie zahlen um fünfzig Dukaten mehr, und ich mach' es Ihnen von neuem.
Zwirn Aber heut' kann ich nicht mehr sitzen, ich bin zu alteriert.
Maler (hat seine Sachen zusammengepackt) So werd' ich morgen die untertänigste Ehre haben. (Mit Verbeugung ab.)
Zwirn (allein, sehr erschöpft) Den Fleischhacker klag' ich – ich muß Satisfaktion haben. Ich arbeit' einmal für keine Kundschaft, die mir meinen Respekt nicht gibt, und wenn s' mich zehnfach bezahlt.
Zwirn, Windwachel, Lüftig
Windwachel Teurer Freund! Hier hab' ich das Vergnügen, dir einen Dutzbruder von mir vorzustellen, Herrn von Lüftig.
Lüftig Herr von Zwirn, ich hatte schon lange den Wunsch, den berühmten Mann kennen zu lernen –
Zwirn (geschmeichelt) Ich bitte, die Ehre ist meinerseits.
Windwachel Mein Freund will sich Verschiedenes bei dir machen lassen.
Zwirn O, ich bitte, mein ganzes Magazin steht zu Befehl. Belieben Sie sich nur nach Gusto auszusuchen.
Lüftig Ich brauche aber ziemlich viel.
Zwirn Je mehr, desto besser.
Lüftig Bin aber für den Augenblick nicht bei Kassa, um gleich bezahlen zu können.
Zwirn Tut nichts, ich hab' Geld genug; übrigens kennt Sie mein Freund Windwachel, und das ist genug. – Spazieren Sie nur in mein Magazin.
Lüftig Ihr untertänigster Diener, Herr von Zwirn. (Im Abgehen zu Windwachel.) Der Schneider kriegt keinen Kreuzer von mir. (Ab.)
Zwirn Jetzt sag' mir, Freund, kommt die Frau von Palpiti?
Windwachel Ich war heute vormittag bei ihr, sie nahm deine Einladung samt ihren beiden Töchtern mit Vergnügen an.
Zwirn Du hast doch nichts merken lassen, daß ich ein Schneider bin?
Windwachel Keine Silbe.
Zwirn Hast g'sagt, daß ich ein Kapitalist bin aus – aus – aus Particulier?
Windwachel Freilich. – Nun hätt' ich aber eine Bitte an dich. In deinem Magazin ist nicht ein Stück, was mir paßt; du mußt schon die Güte haben und mir selbst das Maß nehmen.
Zwirn (sehr bereitwillig) Ja, Freund! Mit dir mach' ich eine Ausnahm'. (Läutet. Erster Bedienter tritt ein.) Johann, geh' Er hinüber und hol' Er mir eine Schneidermaß. (Bedienter ab.)
Windwachel Du wirst finden, daß ich seit einiger Zeit etwas schlanker geworden bin.
Zwirn Es ist wahr, du bist bedeutend mägerer geworden, du brauchst auf ein' Frack jetzt nicht mehr als anderthalb Achtel Kasimir. (Der Bediente hat das Maß gebracht.) Was willst denn haben?
Windwachel Einen modernen Anzug.
Zwirn (ihm Maß nehmend) Was nehmen wir denn für eine Farb'?
Windwachel Ich denke, kastanienbraun.
Zwirn Die Hand halt so, daß wir die Armlänge kriegen. (Nimmt ihm die Länge zu einem Schlepp.) Was nehmen wir denn für einen Kragen?
Windwachel Schwarzblauen Samt.
Zwirn G'fallt mir nicht – Ich glaubet, pomeranzengelb.
Windwachel Ah, was fallt dir ein!
Die Vorigen; Frau von Palpiti, Laura, Camilla treten, von beiden unbemerkt, ein.
Palpiti Wir haben die Ehre –
Zwirn So, jetzt die Mitte.
Palpiti Wir haben die Ehre –
Zwirn (sie bemerkend, wirft das Maß weg) Mich trifft der Schlag!
Palpiti Wir haben gestört –
Zwirn (sehr verlegen) O nein – es war – ich hab' nur –
Windwachel Ein Scherz, weiter nichts.
Zwirn Ja, nur ein G'spaß – wir wollten sehen, wer dicker ist um die Mitte. – Ich bin noch ganz im Negligé. Sie erlauben schon – ich werd' gleich mein Sonntagskleid anleg'n. Windwachel, unterhalte die Damen indes.
(Ab in die Seitentüre rechts.)
Die Vorigen ohne Zwirn
Camilla Ah, das ist ein kurioser Mensch!
Laura (zugleich mit Camilla) Was ist denn das?
Palpiti (zu Windwachel) Sie haben uns gesagt, daß der Herr vom Haus ein gebildeter Weltmann ist. Weh' Ihnen, wenn Sie meine Töchter durch eine ignoble Bekanntschaft blamieren.
Camilla Ich hab' schon geglaubt, Sie haben uns in eine Schneiderwerkstatt geführt.
Windwachel Was fällt Ihnen ein? Der Herr vom Haus ist ein Mensch, der von seinem Geld lebt und viel Geld hat; ist Ihnen das nicht genug?
Laura Freilich, wenn ich an die brillantenen Ohrringe denke –
Windwachel Dann finden Sie, daß er eine scharmante Bildung hat.
Camilla (zu Windwachel) Wir sind Ihnen verbunden für die Connaissance, zu der Sie uns verholfen haben.
Palpiti O, nicht ihm habt ihr das zu danken, sondern nur mir; denn erst seitdem ihr nach meiner Idee euch für Italienerinnen ausgegeben, habt ihr einigen Anwert.
Laura Es liegt doch in unserm interessanten Benehmen, daß man es uns glaubt.
Camilla (zu Laura) Meine wällische Aussprach hat schon manchen irregeführt, bei dir aber wird er sich bald auskennen, daß du nur eine Burkersdorferin bist.
Laura Das könnte wohl bei dir der Fall sein.
Windwachel Nur keinen Streit, meine Damen – da kommt der Herr vom Haus.
Camilla Jetzt will ich gleich Eindruck auf sein Gemüt machen.