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14. Auf der Höhe des Glücks.

Es war am ersten Mai, der Himmel war bedeckt, leichte Regenschauer fielen zuweilen auf das junge Grün, da saßen die Großeltern in einem Haufen Briefe vertieft, die eben von den entfernten Kindern eingegangen waren. Dem Herrn sei Dank, es sind ja keine großen Sorgen darin! sagte die Großmama; wenn aber der Wilhelm und der Max uns wieder näher kämen, wollt ich mich freuen. Wir schenken ihnen das Reisegeld, sagte der Großpapa, diesen Sommer sollen sie kommen, und im Herbst reisen wir nach Marie und sehen uns das kleinste Enkelchen an. Die Großmama lächelte und lehnte sich in die Sofaecke zurück, sie hatte heute heftig Kopfweh, sie konnte nichts vornehmen und liebte es, hübsch nachdenklich und ungestört zu ruhen. Da plötzlich klopfte es an die Thür und eben so schnell trat herein – Herr von Kadden.

Ach so – sagte der Großpapa und ging dem jungen Manne höflich entgegen.

Es ist heute der erste Mai, sagte Herr von Kadden mit einem tiefen Athemzug, als ob er eine schwere Arbeit hinter sich hatte.

Herr von Budmar sah fragend nach seiner Frau, er schien mit dem Gaste das Zimmer verlassen zu wollen, aber sie kam ihm zuvor mit der Bitte hierzubleiben. Ihr Kopfweh kam gar nicht in Betracht bei dem Interesse, was die Erscheinung des Gastes in ihr erregte.

Ich habe wohl nicht erst zu fragen, warum Sie kommen? begann Herr von Budmar, Ihr Kommen selbst ist Erklärung genug.

Ja, ich hoffe, Sie verlangen nun keine Proben weiter, sagte Herr von Kadden etwas lebhaft, ich sehne mich nach Gewißheit.

Sie haben meine Enkelin seitdem nicht gesehen? fragte Herr von Budmar.

Doch einmal, in Berlin in der Behrenstraße, war die Antwort.

Aber nicht gesprochen? fuhr der Großpapa fort.

Eigentlich nicht, entgegnete der Gefragte, ich schenkte ihr aber einen Veilchenstrauß, den ich gerade in der Hand hatte.

So? sagte Herr von Budmar ernsthaft und schwieg, dann.

Sie halten das nicht für eine Verletzung meines Versprechens? sagte Herr von Kadden hastig und ein hohes Roth flog über seine Züge.

Herr von Budmar nahm sich zusammen, wandte sich zu seiner Frau und sagte lächelnd: Die Entscheidung möchte ich einem andern Gerichtshof überlassen.

Ich hatte es gar nicht beabsichtigt, setzte Herr von Kadden ruhig hinzu, ich war selbst überrascht.

Die Großmama lächelte so gütig, daß von diesem Gerichtshofe nichts zu fürchten war.

Das Begegnen war aber ein Glück, fuhr der junge Mann fort, – es wäre mir sehr schwer geworden, – ich war damals zu voreilig mit meinem Versprechen gewesen.

Ein braver Soldat muß sich auch selbst überwinden können, sagte der Großpapa. Und wenn die Sache wirklich so steht, fügte er hinzu, rathe ich Ihnen vor allen Dingen, uns nicht als Ihre Feinde zu betrachten. Er reichte Herrn von Kadden die Hand und sah ihn freundlich an.

Da verschwand plötzlich die Spannung aus des jungen Mannes Zügen, vertrauend in Blick und Ton sagte er: O dann ist alles gut!

Ich fürchte aber meine Freundschaft wird Ihnen unbequem werden, nahm Herr von Budmar das Wort. – Der andere sah ihn fragend an. – Blieben Sie uns ferne stehen, so hätten Sie mich nur als einen gefälligen Mann sehen sollen; wollen Sie zu uns gehören, so räumen Sie mir Freundes Recht und Freundes Pflicht ein, ich darf Sie nicht in Ruhe lassen, – ja ich versichere Sie, es gehört von Ihrer Seite kein geringer Muth dazu, sich in unsere Familie hinein zu wünschen.

Ich fürchte mich aber nicht, entgegnete Herr von Kadden lächelnd.

Weil Sie die Gefahr nicht kennen, fuhr Herr von Budmar fort: ja ich werde das Recht des Freundes sogleich in Anspruch nehmen und Sie mit einem ernsthaften, Gespräche beunruhigen, welches Sie vielleicht für sehr unnöthig halten.

Ich höre aber gern, entgegnete Herr von Kadden.

Ich knüpfe an unser Gespräch im Winter an, begann der Großpapa: Sie haben mir offen gestanden, Sie können unseren Glauben nicht theilen, Sie halten ihn aber auch nicht für nöthig um glücklich zu sein.

Wenn Elisabeth mich so lieb hat, als ich sie, so denke ich, wir müssen glücklich sein, sagte Herr von Kadden bescheiden.

Einen Punkt haben Sie mir damals schon zugegeben, nahm Herr von Budmar wieder das Wort, daß Ihr Glaube und Ihr Glück über diese Welt nicht hinaus gehen. Sie können sich nicht vorstellen, was nach dem Tode folgen wird, und halten diese Vorstellungen lieber von sich fern, es ist Ihnen dabei unheimlich und unbehaglich zu Sinne. Elisabeth ist von Jugend auf gelehrt und erzogen im Glauben an unsern Heiland, den Herrn Jesus Christ, im Glauben, daß kein Glück, kein Heil außer ihm ist, daß dieses Leben armselig ist, aber auch daß dieser Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit und ewigen Seligkeit des Himmels, sie würde, wenn auch mit schwachem Herzen, doch mit fester Zuversicht sagen können: Ich will hier in diesem kurzen Leben lieber unglücklich sein, wenn ich dort nur mit allen, die mein Herz lieb hat, selig werde.

Alle, die ihr Herz lieb hat, da werden Sie oben an stehen sollen, sagte die Großmama liebreich.

Ich fürchte mich nicht vor diesem Glauben, fiel Herr von Kadden ein, ja ich glaube, daß Sie sehr glücklich darin sind, aber ich kann nicht begreifen, wie man das glauben kann.

Ich fahre fort, sagte der Großvater: wenn Elisabeth, trotz der großen Kluft, die zwischen Ihren gegenseitigen Welt- und Himmelsanschauungen liegt, Ihnen ihr Herz schenken kann, so ist das jedenfalls mit der glücklichen Hoffnung, daß Sie einst mit ihr denselben Glauben, Glück und Seligkeit theilen werden. Es ist aber dies nicht Elisabeths Hoffnung allein, es ist ebenso auch unsere Hoffnung. Wenn jemand ein Glied unserer Familie wird, so kann er sich weder unserer Liebe noch dem wunderbaren Einfluß entziehen, den der heilige Geist einem Familienleben verleiht, das nur von ihm überhaupt Kraft und Leben hat. Auf diese Gefahr wollte ich Sie aufmerksam machen, disputiren und streiten werden wir nicht, aber unsere Liebe wird sie beunruhigen, unsere Gebete werden Sie drängen, und je mehr wir fühlen, daß Sie ein schwaches und hilfsbedürftiges Kind sind, je herzlicher werden wir Sie lieben, je inniger für Sie beten; haben Sie Muth, das alles geduldig über sich ergehen zu lassen? Werden Sie Elisabeth nie in dieser Liebe beirren, nie mit Absicht ihr eigenes junges Glaubensleben angreifen und beunruhigen, sie nie absichtlich zu etwas veranlassen und bereden, was gegen dieses Glaubensleben streitet? Das Versprechen kann ich von Ihnen verlangen.

Der junge Mann reichte ihm entschlossen die Hand.

Welche Macht war es, die in den Worten des guten Großvaters lag und die sein Herz so weich machte? Sie wollen mich aufnehmen und mich wie ihr Kind lieben, das klang ihm so lieblich. – Als er dem Großvater die Hand reichte und sah, wie der alte Herr selbst bewegt und ergriffen war von der eigenen Rede, da zuckte es um seine Lippen, ein ungewohnter Schleier schimmerte vor seinen Augen, und er sagte leise: Ich will mich gern lieben lassen.

Die Großmutter hatte sich aufgerichtet, sie sah ihn theilnehmend an, er nahm ihre Hand und führte sie bewegt an seine Lippen, sie beugte sich über ihn, küßte ihn auf die Stirn und strich ihm liebreich das Haar zur Seite. Er hatte sich nicht aufrichten mögen, er mußte jetzt wirklich weinen, er war ja nicht gewohnt von so lieber sanfter Hand sich liebkosen zu lassen.

Der Großpapa faßte sich zuerst und sagte: Morgen über acht Tage kommt mein Schwiegersohn mit seiner ganzen Familie.

Ich wollte aber nach Berlin, fiel Herr von Kadden ein.

O bitte, sagte die Großmama, wir möchten unsere liebe Elisabeth doch lieber hier haben.

So warte ich noch, entgegnete Herr von Kadden schnell, aber mit einem tiefen Seufzer.

Es wurde nun noch verabredet, daß Herr von Kadden zweimal in dieser Woche kommen dürfe, wo möglich ohne alles Aufsehen. Dann versprach der Großvater, gleich am ersten Abend mit seinen Kindern zu sprechen und sofort Bescheid zu senden. Er erwähnte dabei, daß allerdings sowohl seine Tochter als auch sein Schwiegersohn schon darum wüßten. Auch Elisabeth dürfen wir vorher fragen? fügte er dann hinzu.

Herr von Kadden nickte und lächelte. Hier war er seiner Sache wohl gewiß, und da er die Großeltern für sich hatte, fürchtete er Elisabeths Eltern nicht mehr und ritt sehr getrost davon.

An demselben Nachmittag kam Stottenheim zu ihm. Ich bitte Dich um alles in der Welt! rief er beim Eintreten lachend, was hattest Du heut Mittag vor! Beim heftigsten Platzregen bist Du Schritt vor Schritt durch die Breite Straße geritten, ohne aufzusehen, ich stand mit den jungen Damen bei Bonsaks am Fenster, wir wollten uns halb todt lachen. Adolfine meinte, es sei der erste Mai, Du genössest den Regen um groß zu werden. – Kadden sah ihn verwundert an und schien sich zu besinnen. – Wo warest Du denn gewesen? fügte der Freund hinzu. Bei den Großeltern, war des Gefragten ziemlich zerstreute Antwort.

Bei den Großeltern? fragte Stottenheim verwundert: wo sind denn Deine Großeltern?

Meine nicht, lachte Kadden jetzt und that als ob er gescherzt, es ist aber ein solcher Typus von Großeltern in dem alten Paar, daß ich glaubte, Du hättest es errathen.

Ach so – in Woltheim? sagte Stottenheim. Fällt Dir wieder etwas ein? setzte er lächelnd hinzu.

Mir fällt gar nicht wieder etwas ein, wiederholte Kadden.

Ich hoffe auch nicht, fuhr Stottenheim fort, Du würdest sonst ein junges zartes Herz zur Verzweiflung bringen. – Kadden sah ihn fragend an. – Ich meine Adolfine, sie verfolgt Dein Thun und Treiben mit größter Neugier, sie erkundigte sich neulich erst, ob Fräulein Kühneman wieder in Woltheim sei, und ob Budmars Offiziere bei sich sehen.

Die unausstehliche Person! fuhr Kadden auf.

Ungalanter Mensch! lachte Stottenheim, – wenn ich mir das zu Nutze machen dürfte, wenn ich sie von Deinem kalten Herzen überzeugen dürfte!

Ich erlaube es Dir, war Kaddens Antwort, und das Gespräch ward hiermit abgebrochen.

Die acht Tage waren dem sehnenden und hoffenden Herzen dort hinter den grünen Tannenbergen nicht so schnell vergangen als den Großeltern, aber sie waren doch vergangen. Die guten Schimmel waren nach der Eisenbahn geschickt, um die Frau Geheimeräthin und die Kinder zu holen; der Geheimerath und Fritz und Karl waren zu Fuß gewandert. Noch an demselben Abend conferirten Eltern und Großeltern, das Resultat war einfach. Nach allen Erkundigungen war Herr von Kadden ein solider, rechtschaffener, ja ein besonders zartfühlender und edler Mann, selbst Vermögen hatte er genug um einen Hausstand angemessen führen zu können. Der Geheimerath erinnerte an seine eigne Jugend, er hoffte, daß der Herr auch hier weiter helfen würde. Elise war zwar auch einverstanden, aber mit schwerem Herzen; es war ihr, als ob sie die Folgen dieses Schrittes allein auf ihrem Gewissen tragen müsse. Sie tröstete sich zwar, daß sie nicht allein die jungen Leute zusammengeführt habe, daß es auch der Herr gethan. Wie wunderbar waren ihre Ahnungen, als sie den jungen Mann zuerst erblickte, wie wunderbar war er immer wieder der Tochter begegnet! nein, des Herrn Wille war es jedenfalls – ihr zum Glück oder zum Kreuz, das mußte sie geduldig abwarten. Daß der Unfrieden, der seit so lange an ihrer Seele nagte, zu einer Krisis gekommen, war schon ein großer Segen dieses Winters. Noth treibt zu Gott, Noth macht wachsam.

Die Großmutter schloß die Unterredung mit dem Rathe, sich noch ernsthafter zum Gebete für die Kinder zu vereinen und noch ernsthafter und treuer an sich selbst zu arbeiten, weil der Herr ja den Kindern seiner Frommen Segen verheißen habe.

Elise verließ schnell das Zimmer, sie mußte mit ihren Thränen kämpfen, dort oben in ihrem eigenen einsamen Stübchen stand sie am Fenster und schaute hinauf nach dem Frühlings-Himmel und den glänzenden Sternen. O Herr, strafe meine Kinder nicht mit meinem Schwanken, sprach ihr zitterndes Herz, mit meiner Unsicherheit, mit dem selbstgemachten Unfrieden. Ich bin wie der Knecht, der wohl weiß, was er thun soll, und thut es doch nicht, weil er klüger sein will als sein Herr. Der Herr hat gesagt: Du kannst nicht zweien Herren dienen, nicht Gott und der Welt, und der Knecht sagt: Das werde ich doch erst versuchen müssen, ehe ich es glaube. Habe ich es genug versucht? O gewiß, Herr, – erbarme Dich meines armen Herzens, mache mich doch endlich stark, laß mich nicht fragen nach der Welt Ehre, der Welt Beifall, ich will nicht klug und angesehen sein, ich will eine demüthige und eine treue Mutter sein, Herr segne mich und meine Kinder!

Sie las jetzt die zwei Lieder, die in der letzten Zeit ihre Seele bewegten, die einst ein Kind Gottes in eigner Seelennoth zum eigenen Trost gesungen:

Es kostet viel, ein Christ zu sein
Und nach dem Sinn des reinen Geistes leben:
Denn der Natur geht es gar sauer ein.
Sich immerdar in Christi Tod zu geben;
Und ist hier gleich ein Kampf wohl ausgericht:
Das machts noch nicht.

Man muß hier stets auf Schlangen gehn,
Die ihren Gift in unsre Fersen bringen;
Da kostets Müh, auf seiner Hut zu stehn.
Daß nicht der Gift kann in die Seele dringen.
Wenn mans versucht, so spürt man mit der Zeit
Die Wichtigkeit.

Doch ist es wohl der Mühe werth,
Wenn man mit Ernst die Herrlichkeit erwäget,
Die ewiglich ein solcher Mensch erfährt,
Der sich hier stets aufs Himmlische geleget.
Es hat wohl Müh; die Gnade aber macht,
Daß mans nicht acht.

Auf, auf, mein Geist ermüde nicht
Dich durch die Macht der Finsterniß zu reißen:
Was sorgest du, da dirs an Kraft gebricht?
Bedenke, was für Kraft uns Gott verheißen!
Wie gut wird sichs doch nach der Arbeit ruhn:
Wie wohl wirds thun.

Und das Gegenstück:

Es ist nicht schwer, ein Christ zu sein
Und nach dem Sinn des reinen Geistes leben;
Zwar der Natur geht es gar sauer ein,
Sich immerdar in Christi Tod zu geben:
Doch führt die Gnade selbst zu aller Zeit
Den schweren Streit.

Du darfst ja nur ein Kindlein sein,
Du darfst ja nur die leichte Liebe üben.
O blöder Geist, schau doch, wie gut ers mein!
Das kleinste Kind kann ja die Mutter lieben!
Drum fürchte dich nur ferner nicht so sehr:
Es ist nicht schwer!

Dein Vater fordert nur das Herz,
Daß er es selbst mit reiner Gnade fülle.
Der fromme Gott macht dir gar keinen Schmerz,
Die Unlust schafft in dir dein eigner Wille;
Drum übergieb ihn willig in den Tod.
So hats nicht Noth.

Laß nur dein Herz im Glauben ruhn,
Wenn dich will Nacht und Finsternis bedecken;
Dein Vater wird nichts Schlimmes mit dir thun;
Vor keinem Sturm und Wind darfst du erschrecken.
Ja, siehst du endlich ferner keine Spur,
So glaube nur.

So wird dein Licht aufs neu entstehn,
Und wirst dein Heil in großer Klarheit schauen;
Was du geglaubt, wirst du dann vor dir sehn;
Drum darfst du nur dem frommen Vater trauen,
O Seele, sieh doch, wie ein wahrer Christ
So selig ist.

Auf, auf, mein Geist, was säumest du,
Dich deinem Gott ganz kindlich zu ergeben?
Geh ein, mein Herz, geneuß die süße Ruh!
In Friede sollst du vor dem Vater schweben:
Die Sorg und Last wirf nur getrost und kühn
Allein auf ihn.

Der andere Tag war hold und schön, wie ein Maientag sein muß. Der Geheimerath ging mit seiner Frau in einem kleinen Bosquet auf und ab, die Kinder spielten auf dem grünen Rasen unter blühenden Bäumen, und Elisabeth saß mit den Großeltern im Gartensaal. Sie wußte alles – und es war ihr wundervoll zu Sinne, es konnte keiner holdseligen Prinzessin im allerschönsten Mährchen schöner zu Sinne sein. Es war ihr aber auch, als ob es ein Traum oder ein Mährchen sei, wenn sie dachte, daß er, dessen Bild ja wirklich vom ersten Mal wo sie ihn gesehen, ihr immerfort zur Seite war, und trotz alles Kampfes immer wieder aufgetaucht, daß er sollte nun wirklich ihr eigen sein, es war doch, als ob sie den Gedanken gar nicht fassen könne.

Die Großeltern sahen in ihren verklärten Zügen was in ihrem Innern vorging, sie sahen aber auch die Unruhe und Befangenheit und die wunderbare Spannung, in der sie sich befand. Um eilf Uhr hatte Herr von Kadden die Erlaubniß zu kommen, noch war es nicht ganz so weit, die Großeltern wollten ihr gewiß die Zeit verkürzen, sie sprachen mit ihr, der Großvater aber auf seltsame Weise, halb im Scherz, wie er es liebte, aber er sprach auch ernst wie ein alter Mann heute, dachte Elisabeth, seine Jugend hat er vergessen.

Bilde Dir nur nicht ein, liebes Kind, daß, weil er Dich lieb hat, er nun Dein gehorsamer Diener sein muß, sagte der Großvater; das ist eine Täuschung, an der schon manches Glück gescheitert ist. Er kann Dich sehr lieb haben und hat doch oft einen anderen Willen als Du, Du bist immer diejenige, die nachgeben muß. – Elisabeth sah den Großvater ungläubig an. Wenn du freundlich gegen ihn bist, dachte sie, wird er glücklich sein, nur immer deine Wünsche erforschen zu können. – Und wenn er schon als Bräutigam zuweilen seinen eigenen Willen hat, wundere Dich nicht, sondern freue Dich; er ist aufrichtig und lebhaft, da wird er eben jetzt sein, wie er später ist, Du mußt da schon lernen, fein sanft und artig sein. – Elisabeth lächelte. Der Großvater sprach ja auch nur scherzend. Jetzt dachte sie: Mir zu Liebe wird er nie heftig sein, er hat jetzt schon dagegen gekämpft. – Deine Großmutter war eine liebe, demüthige Seele, fuhr der Großvater fort, sie sagte mir am Hochzeitstage, sie nähme nichts lieberes als das Gebot an: Und er soll Dein Herr sein.

Dein Herr sein? wiederholte Elisabeth verwundert. Großpapa, das ist aber nicht mehr Mode, fügte sie schnell hinzu.

Nicht mehr Mode? fuhr der Großvater fast erschrocken auf, – Elisabeth versuche es nie, auch nur zum Spaß und in der Thorheit Gottes Ordnung umzustoßen, die einzige Hoffnung Deines Glückes beruht darauf, wenn Du diese Worte mit demüthigem Herzen annimmst. Dann wirst Du seine Fehler tragen, immer wieder freundlich und liebreich sein, und das ist der einzige Weg, mit Männern fertig zu werden. Wir können das nicht vertragen, wenn da eine liebe zarte Seele neben uns steht, zankt und schmollt und uns bessern will. Nicht wahr liebe Frau? Du würdest damit nicht weit mit mir gekommen sein?

Die Großmutter lächelte, sie hatte ja von Anfang an zu viel Respekt vor ihm gehabt, die kleinen Versuche, ihrem Eigensinne zu folgen, waren bald so gänzlich mißglückt, daß sie ihn lieber aufgegeben. Elisabeth aber dachte: Was spricht der Großvater für Unsinn! Unfreundlich gegen mich sein, und ich dennoch liebreich und demüthig, und abwarten, bis er wieder freundlich ist: das habe ich kaum gegen Eltern und Großeltern gekonnt, – nein, wenn er wirklich gegen mich heftig ist, so bin ich böse, das kann er dann nicht ertragen und ist die Sache gut. – Der Großvater verstand ihr Schweigen recht gut, sie hatte sich bei harmlosen Gelegenheiten oft genug über diesen Punkt ausgesprochen. Das Schweigen mit dem wegwerfenden kecken Mienenspiel reizte ihn aber noch mehr zu reden, er fuhr fort:

Wenn die Großmama mit mir schon mußte behutsam umgehen, so bedenke, daß ich nicht einmal heftig und aufbrausend bin, wie ein gewisser junger Mann.

Großpapa! er ändert sich ja! sagte Elisabeth leise.

Von dem Wahne wollte ich Dich eben heilen, fiel der Großvater ihr in die Rede, als ob Du von der Liebe alles erwarten, ihr alles bieten könntest, nein Du mußt gewaltig zart mit ihr umgehen. Trotz der allerschönsten und herrlichsten Liebe wird er gelegentlich aufbrausen: willst Du ihm dann Vorwürfe machen?

Elisabeth nickte.

Gut, sagte der Großvater eifrig, dann wird er noch heftiger, dann Du noch unartiger, und Du hast eine Ohrfeige fort, Du weißt nicht wie.

Großvater! rief Elisabeth zürnend und ward feuerroth.

Nun ja, daß Du Dich wehrst, daran zweifle ich nicht! setzte er hinzu.

Die Großmama lächelte und sagte: Nein, das thut sie nicht.

Da möchte ich eher sterben, flüsterte Elisabeth. Großvater, wie kannst Du so etwas von gebildeten Leuten reden, fügte sie zürnend hinzu.

Mein Kind, es giebt weit vornehmere Ehen, wo so etwas vorfällt, warnte der Großvater; die Sünde fragt nicht nach der Bildung.

Elisabeth versuchte zu lächeln, aber der Großvater hatte es doch zu arg gemacht, sie hätte weinen mögen. Als er jetzt an das Fenster trat, legte sie ihre heißen Wangen wieder auf die Hände der Großmama, zu deren Füßen sie saß. Diese flüsterte leise: Liebe Elisabeth, der Großpapa hat doch Recht, Du wirst nie sanftmüthig und nachgebend genug sein können. Wenn Ihr aber beide einmal doch heftig seid, so besinne Dich, eile fort und bete ein Vater Unser für Dich, das ist ein gutes Mittel.

Elisabeth nickte. Aber, dachte sie, sich tröstend: sie kennen ihn beide nicht, sie werden sich wundern, wenn wir sehr glücklich sind. Ich werde nicht unfreundlich und unartig sein, das war nur hier zuweilen gegen Tante Julchen, die mischt sich aber in alle Dinge, die sie nichts angehen. Er wird auch nicht unfreundlich gegen mich sein, und wenn er es wäre, würde es ihm schnell genug leid sein. Sie wollte sich gern besinnen, wie er aussah, wenn er böse war; sie konnte es durchaus nicht, sie sah ihn nur immer, wie er ihr den Veilchenstrauß gab. Das war einer von den Frühlingstagen, die das Herz so sehnsuchtsvoll machen. Die Kinder spielten lustig auf den Straßen im hellen Sonnenschein, viele Fenster waren geöffnet, damit die laue Frühlingsluft ihren Einzug halten könnte, und hoch über den Häusern zogen leichte weiße Wolken am lichtblauen Himmel. Dort über den Tannenbergen ziehen auch die leichten Frühlingswolken und der Sonnenschein liegt darauf, und er wird auch in die Ferne schauen – hatte sie gedacht, als sie durch die Behrenstraße ging. Sie wollte sich eben durch einen Haufen fröhlicher Kinder hindurch winden, da stand er vor ihr. Er gab ihr den Veilchenstrauß, – und so sah sie ihn jetzt noch vor sich. Mit diesem Bilde vergaß sie auch die wunderlichen Worte des wunderlichen Großvaters, es ward ihr wieder so wundervoll zu Sinne, wie einer Mährchen-Prinzessin, die nun das Ende der Geschichte erreicht hat: der schöne Königssohn kommt, die Hochzeit ward in großer Freude gehalten, und sie lebten vergnügt zusammen wie die Haidelerchen in aller Glückseligkeit, so lange es Gott gefiel.

Der Großvater war in die Gartenthür getreten, die Großmutter sah von Zeit zu Zeit nach der Uhr, es war schon über halb zwölf. Da kommt er – zu Fuß – das wundert mich! sagte der Großvater jetzt.

Elisabeth sprang auf. Du willst doch nicht fort? fragte die Großmutter.

Nur in dies Zimmer, sagte Elisabeth hastig und eilte in die offenstehende Wohnstube.

Herr von Kadden trat ein. Zu Fuß? in der Hitze? begrüßte ihn der Großpapa freundlich.

Ich muß es recht zu meiner Beschämung gestehen, ich habe heute einen dummen Streich gemacht! sagte der Eintretende seufzend.

Die Großeltern sahen ihn erstaunt an.

Der Dienst hatte mich länger aufgehalten als ich glaubte, ich wollte die versäumte Zeit mit dem Reiten einbringen, da ist mir das Pferd gestürzt.

O! sagten die Großeltern bedauernd. Aber das arme Pferd, was ist denn aus ihm geworden? fügte der Großpapa hinzu.

Ich habe dabei gestanden, bis mein Bursche mir nachkam, es war auch wieder auf den Beinen, der Bursche hat es hinkend zurückgeführt.

Der Großpapa lächelte, doch hielt er mit jeder Bemerkung zurück und sagte nur, daß er seinen Schwiegersohn und seine Tochter rufen wolle.

Als er den Gartensaal verlassen, saß der junge Mann bei der Großmutter, er küßte ihre Hand und sagte bittend: Heute dürfen Sie mich nicht schelten, Sie müssen mich trösten, ich hatte den Ritt, ich weiß nicht, eigentlich wie ein Orakel angesehen. Als ich mich auf das Pferd setzte, war es mir, als ob mir die ganze Welt gehörte, ich flog, um jeden Umweg zu sparen, über den großen Anger am Thor, ich setzte über den breiten Bach, es sollte kein Hinderniß für mich geben, und vor dem Walde der kleine Graben, wirklich sonst nicht der Rede werth, bringt mein Pferd zum Stürzen und ich habe da bei dem armen Thiere stehen müssen mit der Ungeduld im Herzen.

Lassen Sie es uns nur als eine Vorbedeutung nehmen, nahm die Großmama gütig das Wort, alle Ihre kühnen Steckenpferde werden stürzen, und Sie werden fein demüthig das Ziel erreichen, was Ihnen der Herr bestimmt hat.

Und glücklich sein, fügte er kindlich hinzu.

Und glücklich sein, wiederholte die Großmutter.

Jetzt trat Herr von Budmar mit Elisabeths Eltern ein, Elisabeth wurde auch gerufen, und es erfolgte eine von den feierlichen Scenen, von der nachher niemand den Hergang so recht genau selber weiß. Die Großeltern hatten ja auch vorher mit Braut und Bräutigam gesprochen, sie sagten jetzt nicht viel. Der Geheimerath liebte diese Scenen nicht und kürzte sie so viel wie möglich ab. Elise, die Mutter, die Hauptperson, hatte nicht den Muth sich so zu zeigen, wie es ihr um das Herz war, es fehlte ihr die Freudigkeit.

Die Uebrigen hatten das Zimmer verlassen, sie sollte allein sein mit dem Brautpaar, sie konnte ja einige erbauliche Worte und das schöne Verlobungslied dem Brautpaar mit auf den Weg geben; aber sie konnte sich nicht entschließen. Sie verließ selbst schnell das Zimmer und trocknete ihre Thränen wieder im einsamen Stübchen mit der tröstlichen Hoffnung, sich später gewiß einzuleben mit der lieben Tochter und dem neuen Sohne. Warum aber jetzt nicht gleich entschieden heraustreten mit dem, was ihr Herz erfüllte, jetzt wo die Herzen des Brautpaares so gern bereit waren, etwas Besonderes und Seliges zu hören? Aber sie hatte nicht den Muth, das zu glauben. Sie fürchtete, der junge Mann möchte sie mißverstehen, könnte lächeln zu ihrem Thun, sie wollte ihn erst nach und nach einführen in ihr Familienleben und dann gewiß nicht zurückhalten.

Elisabeth befand sich also plötzlich mit ihrem Bräutigam allein im Wohnzimmer, zagend und glücklich stand sie an seiner Seite. Es war ihr aber doch, als ob bei der Verlobung etwas gefehlt hätte, – sie wußte, wie es bei der Großmutter und bei der Mutter gewesen, – und ihr Herz war so selig und dankbar: wenn sie allein gewesen, würde sie jetzt dem lieben Gott erst recht selig gedankt haben.

Der Bräutigam hatte ihre beiden Hände gefaßt, es war ihm selbst noch wie ein Traum, daß er ihr so gegenüber stehen durfte. Weißt Du, Elisabeth, begann er flüsternd, als wir beide im Winter hier unter diesen Bildern standen? – Elisabeth nickte. – Den Abend habe ich den lieben Gott ordentlich gebeten, daß er Dich mir schenken sollte, fügte er eben so leise hinzu.

Elisabeths große Augen leuchteten hell auf; ja sie sah ihn sehr freudig an: Darum hat er es erhört! sagte sie. Und wir wollen ihn auch immer wieder bitten, fügte sie stockend hinzu.

Ich will es immer besser von Dir lernen, versprach er weich.

Wenn wir auch nicht viel wissen, fuhr sie eben so zagend fort, so können wir nur zusammen ein Vater Unser beten.

Ob ich das wohl noch kann? fragte er seufzend.

Ihre vier Hände noch verschlungen, sahen sie sich schweigend an. Er versuchte leise für sich das Vater Unser, sie sprach es im Herzen auch und folgte mit Spannung seinen Lippen und seinen Zügen. Jetzt ward es licht in diesen Zügen: Ich kann es ganz gut, sagte er bewegt und seine Augen waren feucht. Er nahm Elisabeth zum erstenmal an sein Herz und das war nun erst die rechte Verlobung.

Wenn wir einmal, flüsterte Elisabeth – Aber wie unpassend ist das! fiel ihr ein. Wenn ich einmal, verbesserte sie sich, unfreundlich bin –

Du meinst mich, fiel er lächelnd ein.

Sie schüttelte ernsthaft den Kopf und wiederholte: Wenn ich unfreundlich bin und wir werden es dann beide, und wir können uns nicht gleich helfen, da wollen wir fortgehen und für uns ein Vater Unser beten, das ist sehr gut, das wollen wir uns versprechen, – nicht wahr? bat sie und sah den Bräutigam beinahe demüthig an. –

Und: Ich möchte alles thun was Du wünschest, versicherte er treuherzig; aber das wird gewiß nicht nöthig sein, fügte er noch hinzu.

Der Tag war wunderschön. Natürlich folgte Nachmittag und Abend ein Familienfest, Oberförsters waren dort, und die Gesellschaft war zahlreich an großen und kleinen Leuten. Charlottchen versicherte, sie habe alles vorher gewußt; seit dem Abend, wo Onkel Karl den Kürassier-Offizier herbei gewünscht, da hatte sie wohl sechs Mal ihre selige Mutter im Sarge liegen sehen, das war immer das sicherste Zeichen einer nahen Hochzeit. Onkel Karl rieb sich sehr vergnügt die Hände und sagte Elisabeth im Vertrauen, er habe für Kürassiere eine besondere Vorliebe und er würde in den Lieutenants-Haushalt hinter den Bergen manch Töpfchen und Tröpfchen fließen lassen. Oberförsters Mariechen setzte dem neuen Vetter sehr verständig aus einander, daß es ihr lieb sein würde, wenn er von nun an bei ihren Vorstellungen die Stelle des Herrn Rennicke, des Rechnungsführers, übernehmen möchte, da derselbe sich immer recht ungeschickt anstelle. Der übermüthige kleine Karl aber quälte das kleine Schwesterchen Charlottchen, er erzählte, der große Kürassier hätte Schwester Elisabeth wirklich erobert und würde sie mit sich nehmen, so daß die ältere Schwester Marie ihre Noth hatte, dem Charlottchen auseinanderzusetzen: er sei aber doch Elisabeths Freund und habe sie sehr lieb.

Als Elisabeth am Abend der Großmama Gute Nacht sagte, ließ sie dem Großpapa bestellen, sie hätte sich die Sache überlegt und wollte wirklich so sanftmüthig und liebenswürdig als die Großmama werden.

Der Verlobungstag war ein Sonnabend gewesen und weil der Geheimerath mit seinen Gymnasiasten eigentlich keine Ferien hatte, kehrte er mit ihnen am Sonntag nach Berlin zurück, während Elise mit den übrigen Kindern noch vierzehn Tage bei den Eltern verweilte. Diese vierzehn Tage waren für die ganze Familie ungetrübte, blüthenreiche Maientage. Elisabeth war eine liebliche und sehr glückliche Braut, und der Bräutigam, dessen Sehnsucht sich bis jetzt mit der Tradition des alten Erbkoffers begnügen mußte, konnte es kaum fassen, jetzt der Mittelpunkt so vieler Liebe und so vieles Glückes zu sein. Auch nicht der leiseste Hauch eines Wölkchens trübte den Himmel seiner Laune und seiner Stimmung, und er war auch nur liebreich und aufmerksam und zart gegen seine Braut, er war es gegen alle Familienmitglieder. Elise ward bald mit ihrer Mutter einig, daß er ein sehr liebenswürdiger Mann sei, sie wünschten ihm nur beide mehr Selbständigkeit, besonders gegen Elisabeth, die wie eine kleine Königin ihn beherrschte. Elise hatte ihm freundliche Vorstellungen gemacht, ihr Töchterlein nicht zu sehr zu verwöhnen, er hatte aber doch gebeten, es ihm zu erlauben, da es ihn zu glücklich mache, es sei auch nicht so schlimm als es scheine, da die Verwöhnung ganz gegenseitig wäre.

So war es auch, nur daß es ihm mehr Vergnügen machte seiner kleinen Königin zu dienen, als sie zu regieren, und sie dagegen sehr bereit und ebenso gewandt war zum Herrschen in dem ihr eingeräumten Reiche; beide aber überzeugten sich immer mehr, daß es nur ihrer wunderseligen Liebe bedürfe um glücklich, gut und liebenswürdig zu sein.


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