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8. Nach dem Ball.

Am späten Morgen stand sie auf, aber doch nicht frisch, – einen Tag nach dem Ball ist das nicht zu verlangen, da ist man abgespannt und hat zu nichts Lust. Die Tanten kamen mit teilnehmenden Erkundigungen nach der geliebten Nichte, und es ward der leidige Ball ganz gegen der Mutter Wunsch wieder gründlich besprochen. Elisabeth lachte über den wunderlichen Herrn von Kadden und über Laura, und fragte Tante Paula neckend, ob sie noch nichts von einem Duell gehört. Tante Wina aber wollte wieder mit hochweisen Belehrungen der Nichte nützlich werden und begann feierlich: Wenn Du wieder auf einem Ball erscheinst –

Bitte, Tante, bemühe Dich nicht, unterbrach sie Elisabeth, ich gehe nie wieder auf einen Ball.

In dem Augenblick wurden zwei Herren gemeldet,. Herr von Bauer und sein Vetter, Herr von Stottenheim. Der Frau Geheimeräthin war das gar nicht recht, aber die Tochter war auf einem Ball erschienen, man nahm mit gutem Recht an, daß die Eltern nun auch ihrerseits einen geben mußten, und die Tänzer machten im voraus Visite, bei der passenden Gelegenheit, sich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen.

Elise eilte zu ihrem Mann, um ihn zur Hilfe zu holen. Sie hatte ihm schon gestern Abend ihr Herz ausgeschüttet, und that es jetzt mit einigen Klagen und Seufzern über diese Visite. Mein Kind, sagte der Geheimerath lächelnd, dem ersten Schritte folgen andere, und wir müssen sie geduldig und anständig mitthun. Das wird aber vorübergehen, und wir werden uns künftig gleich vor dem ersten Schritte mehr in Acht nehmen müssen. Wenn Dich die Sache so aufregt, werde ich Dich sicher nie wieder auf einen Ball bringen.

Sie traten jetzt in das Wohnzimmer. Paula fragte eben Herrn von Stottenheim nach seiner Rückreise in die Garnison. Dieser entgegnete, daß, obgleich ihr Urlaub bis zum Abend reiche, sie doch bei Zeiten aufzubrechen dachten; fügte aber daran eine blühende Schilderung, wie einer seiner Kameraden, Herr von Kadden, nach dem Balle noch vier Stunden im Thiergarten herumgestürzt sei, und jetzt schlafe wie ein Bär. Wenn er aber beabsichtigt, auch den Mittagszug zu verschlafen, fuhr er fort, so werde ich ihn seinem Schicksal überlassen; ich habe nicht Lust, mit dem Abendzuge zu fahren, und dann bei diesem schauderhaften Wetter einen nächtlichen Ritt von beinahe einer Stunde zu machen.

Paula und Wina begannen ihr Herz auszuschütten über diesen sonderbaren jungen Mann, und Herr von Stottenheim erklärte, daß er dem Auftrage seines Onkels, einige flotte Tänzer mitzubringen, nicht besser habe genügen können, als wenn er Kadden brachte, denn Doctors Lauras würde sicher nicht so viel getanzt haben ohne diesen liebenswürdigen Tänzer. – Der Geheimerath hörte bei dieser Gelegenheit von der Geschichte mit Laura, welche die Tanten mit der vorgefaßten Meinung als unbestrittene Bosheit hinstellten. Herr von Stottenheim vertheidigte den Kameraden eifrig. Das ist bloße Gutmütigkeit, theilweise Großmuth und theilweise harmloser Uebermuth, versicherte er. Eines wundert mich nur: warum er sich auf Fräulein Laura beschränkte. Ich erinnere mich, daß er auf einem Ball die lächerliche Idee faßte, nur immer mit den Damen zu tanzen, die sitzen geblieben waren, und er hat es zu unser aller Spaß durchgeführt.. – Der Geheimerath fand das allerliebst und sehr amüsant, und hörte mit Interesse weiter von ihm reden, daß er nicht allein ein flotter Tänzer, sondern auch ein geschickter Schläger und ein toller Reiter sei. Kein Pferd sei ihm zu wild, versicherte Herr von Stottenheim, er bändigt es; er ist im höchsten Grad tollkühn und man muß sich nur wundern, daß er noch nicht zerschmettert ist. – Mutter und Tochter sprachen kein Wort, die Mutter hörte mit Spannung auf das Urtheil ihres Mannes, der dies ganz unbefangen sehr gute Eigenschaften eines Soldaten nannte und dann über andere Dinge sprach, bis die Herren sich entfernten.

Als Elisabeth allein war, versuchte sie wieder allerhand vorzunehmen, aber es ging nicht. Sie hatte die Arbeit in der Hand, oder ein Buch, oder saß am Clavier, immer war ein Bild ihr zur Seite. Nach Tisch sollte sie ruhen, die Mutter hatte ihr das Kabinet angewiesen. Schlafen konnte sie nicht, sie war es nicht gewohnt am Tage. Sie lag mit offenen Augen und mit geschlossenen Augen, und immer stand das eine Bild ihr zur Seite. Da richtete sie sich plötzlich auf, warf den Kopf in die Höhe und dachte entschieden: Ich will nicht an ihn denken! Sind es Versuchungen mich zu beunruhigen? So will ich sie überwinden, ich will nicht so thörichten Gedanken und Bildern folgen. Sie stand auf, nahm ein Arbeitszeug zur Hand, ging in die Kinderstube und versuchte dort fleißig und fröhlich zu sein, und wirklich das Bild verließ sie dort und die Mutter stärkte sich an Elisabeths Frohsinn. Mädchen, die von Jugend auf in der herkömmlichen Welt leben, hören von Bällen, von den Ereignissen dort, von Verlieben und Verloben oft früh genug, als etwas sich von selbst verstehendem. Sie gehen dann selbst auf Bälle, und beabsichtigen natürlich sich zu verlieben und zu verloben. Es kommt auch selten ein Mädchen von ihrem ersten Ball zurück, daß nicht ihr Herz, oder wenigstens ihre Fantasie mehr oder weniger mit einem Bilde beschäftigt ist. Daß es nicht recht ist, solchen Fantasien nachhängen, ist ihr nie gesagt; es ist nur der Lauf der Welt so, und ist auch sehr angenehm, das Herz beschäftigt zu haben. Diese erste Neigung wird oft sogar sehr ernst und heilig gehalten, sie ist ja hoffentlich für die Ewigkeit. Aber glücklicher Weise wechseln die Bälle und wechseln die Herren, das Herz muß sich an den Wechsel gewöhnen, das Herz muß immer oberflächlicher lieben lernen, und so veroberflächlicht macht es auf keine besonderen Eigenthümlichkeiten bei dem Gegenstande seiner Liebe mehr Anspruch. Es wählt, wenn es irgend angeht, liebt dann auch, wie es in Romanen beschrieben ist, bis diese Liebe in einer ganz oberflächlichen armseligen Ehe ihr Ende findet. Da machen entweder Gewohnheit oder Gutmüthigkeit das Leben erträglich, oder Aerger und Unfrieden eine Hölle daraus. Daß sich zwei Leute nach fünfundzwanzig Jahren nur schöner finden sollen, und daß die Liebe immer wundersamer und mächtiger und verklärter werden soll, klingt der Welt wie Schwärmerei. Ja eine Liebe, die der Erde angehört, verblüht mit der irdischen Gestalt; eine Liebe, die der Seele angehört, wächst mit dieser immer seliger zum Himmel hinauf.

Elisabeth hatte von den Tanten allerdings manchen Unsinn gehört, der auch in ihrem beweglichen Herzen Nahrung gesucht, aber der Mutter ernste Grundsätze und der Verkehr mit der lieben theuren und so jugendlich fühlenden Großmama hatten immer dagegen gewirkt. Die Großmama, die jetzt mehr Zeit hatte, mit der Enkelin, als die arme Stadtmutter mit ihrer Tochter zu verkehren, hatte vor nicht langer Zeit erst gesagt: Liebe Elisabeth, wenn Dein Herz einmal thut, als ob es nicht ganz ruhig wäre, so bemühe Dich es ruhig zu machen, halte es für eine Sünde gleich solchen Fantasien und Gedanken nachzuhängen. Die Gewalt, die Du darüber übst, wird ein Prüfstein sein, ob die Sache Thorheit ist, oder ob sie vom Herrn ist. Dieser Ermahnung eingedenk sollte Elisabeths Herz ruhig sein. Ein solcher leichtfertiger Mensch, ein solcher Spötter, ich möchte gar nicht an ihn denken! – sagte sie sich ernsthaft: – es ist nur dies wunderliche Zusammensein auf dem Ball, was mich beunruhigt, und das ist eine Strafe! Warum bin ich hingegangen! Wenn ich es nicht bald überwinden kann, dann reise ich zur Großmama und erzähle ihr alles, – dann es ist doch eigentlich nur ein Unsinn, setzte sie kühn hinzu.

Ihrem Vorsatz getreu, der ihr eben das Stillsitzen und Träumen verbot, ging sie um 4 Uhr nach der englischen Stunde. Da der Weg nicht nahe war und es früh dämmrig wurde, sollte sie Fritz um 5 Uhr abholen. Sie schritt rüstig durch die Straßen, ihr Ziel war eine Gegend, wo die Häuser unansehnlich und die Läden klein sind, wo selten elegante Leute und Wagen zu finden sind, aber viel Kinder auf den Straßen spielen trotz des Schmutzes. Sie schritt durch einen Thorweg, dann in einen engen dunkelen Gang, eine schmale Treppe hinauf, die durch eine kleine Oellampe erleuchtet wurde. Hier war die Klingel und die Thür, die sie zu ihrer englischen Lehrerin führte. Wenn du hier in dieser engen, düsteren Welt leben müßtest, würde dir das Herz brechen! dachte sie. Dabei wurde es ihr so wunderbar warm im Herzen, als hätte es einen großen Reichthum zu verbergen. Was ist denn? dachte sie plötzlich. Dann hielt sie ihre Hand nachdenklich und traurig vor die Stirn und trat ein.

Die Engländerin war ein Mädchen, nicht mehr jung, sie war in verschiedenen Häusern Gouvernante gewesen und erfreute sich jetzt eines kleinen eigenen Haushaltes und der lang ersehnten Ruhe. Sie wohnte in einem Stadttheil, wo die Miethen billiger sind, wo eben eine Menge anständiger Leute wohnen, die weder Geschäfte noch Neigung in belebtere Straßen ziehen. Ihre kleine Wohnung war sehr comfortabel eingerichtet, mit Teppichen und schönen Blattpflanzen und Bildern und Büchern, meistens Geschenke ihrer gewesenen Zöglinge. Sie selbst war darinnen die Seele, sie war fein und liebenswürdig und eine aufrichtige Christin.

Die anderen Schülerinnen waren noch nicht da, Elisabeth hatte es in ihrer Unruhe etwas früher hergetrieben. Es war ihr auch ganz recht, sie hatte die gute Miß herzlich lieb, und eben so war es von der andern Seite; ja wenn Elisabeth die Sprechstunden aufgegeben hätte des theuren Geldes wegen, sie hätte jedenfalls als Freundin kommen müssen.

Ich habe eben einen herrlichen Choral entdeckt, sagte die Miß nach der gewöhnlichen Begrüßung, und nachdem Elisabeth sich traulich zu ihr gesetzt hatte. Er war mir früher ganz unbekannt. Dabei leuchteten ihre Augen sehr glücklich, und sie nahm ein Buch, das vor ihr aufgeschlagen lag, und begann zu lesen:

Mein schönste Zier und Kleinod bist
Auf Erden Du, Herr Jesu Christ!
Dich will ich lassen walten,
Und allezeit
In Lieb und Leid
Im Herzen Dich behalten.

Dein Lieb und Treu für alles geht,
Kein Ding auf Erd so fest besteht:
Solchs muß man frei bekennen;
Drum soll nicht Tod,
Nicht Angst und Noth
Von Deiner Lieb mich trennen.

Elisabeth schwieg. – Sie sind ja so nachdenklich, und sagen kein Wort, begann die freundliche Miß: was haben Sie denn? finden Sie es nicht schön?

O doch, sagte Elisabeth lächelnd, es gefällt mir sehr gut, und soll ich Ihnen sagen, was mich beschäftigte? – Die Miß nickte. – Als ich hier über den düsteren Flur ging und hier an Ihr einsames Leben dachte, da ward es mir ordentlich bange, und nun ich Sie sehe, und so glücklich und freudig sehe, da schäme ich mich.

Liebe Elisabeth, sagte die Miß, Sie werden das vielleicht schwärmerisch finden, wenn ich Ihnen sage, daß ich mein Glück und meine Seligkeit oft nicht beschreiben kann. Ich möchte mit keinem jungen Mädchen tauschen, deren Leben noch weit ausgebreitet vor ihr liegt; ich bin in einem sichern Hafen eingelaufen, und mich kann kein Sturm mehr erschüttern. Ich bitte meinen Herrn und Heiland nur um einen sanften Tod, wenn er mich wird in seinen schönen Himmel rufen.

Ja Sie sind sehr glücklich, das weiß ich wohl, entgegnete Elisabeth.

Ihnen, fuhr die Miß fort, wird der Herr keinen so einsamen Weg bestimmt haben; aber wie der Weg auch sein mag, der Herr wird mit Ihnen gehen, das weiß ich, Sie werden ihn nicht lassen.

Elisabeth sah in das Buch und sprach: »Dein Lieb und Treu für alles geht.« – Wissen Sie denn, liebe Miß, daß ich gestern auf einem Ball gewesen bin? fuhr sie fort, und da habe ich ein böses Gewissen.

Ein Ball, sagte die Miß freundlich, ist wohl nicht unter jeder Bedingung eine Sünde, meiner lieben Comtesse Adelheid wurde es sogar zu einer Tugend gerechnet, daß sie so ungern ging und es doch auf Befehl des Vaters willig und ohne Widerspruch that.

Der wird es auch nie geschadet haben, unterbrach sie Elisabeth schnell; aber ich ging aus eigentlicher Lust an Vergnügen, es ist mir zuweilen zu eng im Haus, ich muß etwas erleben, es muß wundervoll um mich herum sein, und nach herrlicher Musik in einem schönen Aschenbrödel-Kleide mit einem Prinzen tanzen, das hatte ich mir schön gedacht.

Und war es nicht schön?

Nein, sagte Elisabeth, es war erst etwas zauberisch, aber dann wüst und bange, ich weiß selbst nicht, – ich gehe nie wieder auf einen solchen Ball!

Die Ankunft der andern Schülerinnen unterbrach diese Unterhaltung, die englische Conversation nahm ihren Anfang. Es wurde von lauter gleichgiltigen Dingen gesprochen, Elisabeth fing an sich zu langweilen. Ja wenn sie mit der Miß hätte länger allein sein können, sie hätte, ohne ihre eigentliche Noth zu berühren, doch ihr Herz aussprechen können; so ward es ihr immer schwerer, sie konnte dieselben Gefühle, die sie beim Kommen hatte, nicht überwinden.

Sie sah auf die einsame Straße, auf den trüben Himmel und auf ein kleines bleiches Mädchen, das in einer vertragenen schwarzen Sanmetjacke in einer Hausthür stand, eine Puppe im Arm und die frierenden Hände in eine Schürze gewickelt. Du armes Kind! dachte sie, du bist nicht froh, das Leben scheint dir gewiß nicht wundervoll, es giebt auch mehr Unglück in der Welt als Glück, und mir ist heute auch traurig zu Sinne. – Sie athmete tief auf, als Fritz kam, und rüstete sich schnell um ihren Mitschülerinnen zuvorzukommen.

Das Geschwisterpaar war schon durch einige kleinere Straßen gegangen, als sie in die lange Kochstraße einbogen, die in Nebel, Dämmerung und Schmutz eben nichts einladendes hatte. Sieh nur, Fritz! sagte Elisabeth, wie öde eine solche Straße aussieht, die Häuser alle so todt und unheimlich. Wenn es einmal eine Stadt ist, muß auch Leben und Licht darin sein. Ich weiß nicht, in diesen Straßen bekomme ich immer Heimweh und Herzweh.

Das macht, weil Du niemand Bekanntes hier hast, entgegnete Fritz ruhig.

Sie gingen schweigend und schnell neben einander, als ihnen eine hohe Figur entgegen kam, fest in einen militärischen Mantel gehüllt, eine weiße Mütze tief in die Stirn gedrückt. Elisabeth erschrak. Dann dachte sie: du bist eine Thörin, du wirst nun hinter jedem Militär den furchtbaren Mann erblicken. – Er kam aber näher und war es wirklich. Er sah auf, er stutzte, dann flog es wie Sonnenschein über seine Züge. Sie sahen sich beide an, ohne zu überlegen, wie sie sich wohl ansehen müßten; er überlegte auch nicht, was hinter Elisabeths Verlegenheit und Verwirrung verborgen war. Sie wollte grüßend an ihm vorüber, das war ihm aber unmöglich, er dachte in seinem Glücke gar nicht daran. – Wo kommen Sie hier her? fragte er ganz erstaunt.

Aus der englischen Stunde, war Elisabeths Antwort.

Er wandte sich um und ging nun langsam neben ihnen her. Ich habe in diesem trostlosen Stadttheil eine alte Tante aufgesucht, begann er, es war mir im Gasthofe so unerträglich, und ich sehnte mich nach einer Menschenseele, an deren Theilnahme ich ein Recht habe. Aber können Sie sich eine alte Dame denken, fuhr er aufgeregt fort, die, als ich ihr meine Noth geklagt habe, sagen kann: »Ja so einsam habe ich mich oft gefühlt, man gewöhnt sich nach und nach daran, ich habe auch niemand, der mich lieb hat, ich habe aber Umgang, denn ohne Umgang würde das Leben sehr einförmig sein. Ich habe sogar viel Umgang, doch zweifle ich, ob mich meine Freundinnen lieb haben, sie sind zu unausstehlich; die einzigen Wesen, die mich aufrichtig lieb haben, (und ihre Stimme wurde dabei ganz gerührt) das sind diese lieben Geschöpfe, diese drei Hunde. Komm Diana, sieh, das ist mein Neffe Otto! den mußt Du sehr lieb haben. Und hier, Du süßer Joli, Du ahnest nicht, wen Du hier vor Dir siehst! Ja lieber Otto, sagte sie zu mir, wenn ich sterbe, werde ich Deiner Liebe dies holde Geschöpf vermachen, er müßte in dieser liebeleeren Welt sich todt grämen. Die Diana und Bella hoffe ich zu überleben.« In dem Styl ging es weiter, ich konnte es nicht anhören, es trieb mich fort, und wie ich durch die Straßen ging, dachte ich: hier zu leben wäre doch unmöglich, die Gedanken können an nichts anknüpfen, ein Haus sieht so fremd und so traurig aus wie das andere. – Als er das sprach, sah er wirklich ernsthaft und traurig aus.

Elisabeth hat eben dasselbe bemerkt, begann Fritz bedächtig, die Ursache ist aber nur, weil hier wenig Bekannte wohnen, und es liegt nicht an diesen Häusern, es liegt an uns selbst.

Herr von Kadden gab ihm Recht, er fand es jetzt nicht mehr einsam hier, und es war wunderbar, daß er gleiche Empfindungen mit Elisabeth gehabt. – Elisabeth war verlegen und begann hastig: Nein, es liegt nicht nur an den Häusern, und es wohnen auch nicht nur alte Damen hier, die sich mit ihren Hunden trösten; meine Engländerin lebt hier so glücklich und froh, sie möchte mit keinem Menschen tauschen.

Und lebt sie ganz allein? fragte Herr von Kadden theilnehmend.

Ganz allein, entgegnete Elisabeth, ihre wenigen Verwandten, sind in England; – aber sie ist fromm, fügte sie zagend hinzu.

Sie ist fromm, wiederholte ihr Nachbar leise.

Sie sah ihn forschend an, er hatte die Augen gesenkt und sah ernst aus, die langen dunkelen Augenwimpern ruhten wie tiefe Schatten unter den geschlossenen Augen. Dazu bemerkte Elisabeth jetzt erst, daß er sehr bleich war. – Sind Sie krank? fragte sie schnell und ohne zu überlegen.

Augenblicklich nicht, sagte er ruhig und sah sie mit den großen Augen theilnehmend an, aber traurig sah er dabei doch aus.

Sie wollen heute Abend abreisen? fragte sie ebenso schnell.

Das muß ich, war seine Antwort.

Herr von Stottenheim, fuhr sie fort, hat uns heute Morgen erzählt, Sie würden sich nicht vor einem gefährlichen Nachtritt fürchten, weil Sie stets tollkühn wären.

Auf einem Pferde fürchte ich mich nicht, entgegnete er ruhig.

Er sagte aber, es wäre ein Wunder, daß Sie noch nicht zerschmettert wären, fuhr Elisabeth fort.

Das hoffe ich doch nicht, entgegnete er lächelnd.

Sie verlassen sich auf Ihre Geschicklichkeit? fragte sie.

Das thue ich freilich, war seine Antwort, aber ich habe auch schon erfahren, daß sich der liebe Gott um mich bekümmert. – Elisabeth sah ihn verwundert an. – Ich bin ja kein Gottesleugner, sägte er gutmüthig.

Soldaten müssen ja wohl in die Kirche gehen? forschte sie neugierig.

Freilich, wir selbst müssen unsere Leute hinführen, war seine Antwort. Man ginge auch gern hin, wenn wir einen anderen Pastor hätten, fügte er hinzu.

Wie ist er denn? fragte Elisabeth weiter.

Er ist zu wunderlich, er spricht nur immer von der Hölle und von der Verdammniß.

Und das wollen Sie nicht hören, sagte Elisabeth bedächtig.

Ein jeder schafft sich seinen Himmel und seine Hölle selbst in seinem Innern, ein jeder hat sich nur vor Schlechtigkeiten zu hüten, und das kann ich mit einem guten festen Willen, sagte Herr von Kadden ernsthaft.

Elisabeth sagte nichts. Wie konnte sie auch zu einem fremden Menschen von ihrem Glauben reden? Fritz aber mußte diese Gelegenheit benutzen und auch einmal etwas sagen. Mit diesen Ansichten ist Ihnen wenig geholfen, wenn Sie auch kein Gottesleugner sind, versicherte er kühn.

Elisabeth erschrak fast, sie fürchtete Herr von Kadden möchte das übel aufnehmen, und fügte schnell hinzu: Mit diesen Ansichten, glaube ich, kann man nur glücklich sein, so lange man jung und gesund und vergnügt ist; wenn man aber alt wird und wird krank und der Tod rückt immer näher?

Das sind traurige Gedanken, sagte er treuherzig, die muß man gar nicht herankommen lassen.

Da zieh ich doch einen Glauben vor, unterbrach sie ihn, der mir in allen Fällen Trost ist, ja mehr als Trost!

Er sah sie ungläubig und lächelnd an. Lieben Sie Mährchen? fragte er plötzlich!

Ja freilich.

Da ist von goldnen Schlössern und schönen Prinzessinnen und Wünschelruthen und Zaubergärten die Rede, fuhr er fort, und als Kind hat man das alles geglaubt und das war schön.

Elisabeth schwieg, sie wußte wohl, was er damit sagen wollte.

Sie waren jetzt in eine belebtere Straße gebogen, und konnten nicht drei neben einander gehen, Fritz ging gedankenlos voran, und ließ die Schwester mit ihrem hohen Begleiter folgen. Als sie jetzt schweigend neben einander gingen, dachte Elisabeth plötzlich: Jetzt weiß ich, warum es so dunkel und schwer wie ein Unglück auf meiner Seele liegt: er wird in der dunkeln Nacht unvorsichtig sein und verunglücken, und es wird mich schrecklich kümmern, ich werde immer denken, wie er so gottvergessen dahin muß. Aber es giebt so viele ungläubige Männer, Herr von Bauer und Herr von Stottenheim sie sind eben so, und ich kann sie doch nicht bekehren. Sie sind auch nicht in der Gefahr, in dieser Nacht zu verunglücken; ich muß ihn wenigstens ermahnen, nicht tollkühn zu sein.

Es war seltsam, als ob er ihre Gedanken errathen hätte. Wie hat der Nebel in den wenigen Minuten zugenommen, nahm er das Wort, man sieht kaum die einzelnen Lichter auftauchen.

Sie zwang sich zum Scherz und sagte: Die Nacht wird herrlich dunkel werden, eine gute Gelegenheit zum Zerschmettern.

O ich werde mich hüten, sagte er ebenso scherzend ich werde so vorsichtig reiten, daß mein gutes Pferd gar nicht wissen wird, wen es trägt und mein Bursche ganz bedenklich sein wird, ob er seinen Herrn abgeholt hat. Er wird freilich auch einen andern Herrn nach Hause bringen. Mir ist es heute, als ob ich wieder an Mährchen glauben sollte, sagte er etwas leiser, zuweilen, als ob es ein sehr frohes, und dann, als ob es ein trauriges wäre.

Elisabeth sagte hastig und verlegen: Ja, es wird sehr dunkel werden, und jetzt will ich mir hier Bleifedern kaufen.

Sie wünschen mir vorher noch eine glückliche Reise, bat er, indem er vor ihr stand und sie so vertrauend ansah, als ob sie längst Bekannte wären.

Das thue ich, sagte sie, und hätte gern einen Scherz hinzugefügt, aber es fiel ihr nichts ein.

Ohne zu wissen, was er that, reichte er ihr die Hand; erst als er sah, wie sie ihm nur die Fingerspitzen zögernd reichte, erschrak er und eilte fort.

Um nicht zu lügen muß ich mir hier Bleifedern kaufen, sagte Elisabeth zum Bruder, aber ich konnte nicht anders von ihm fortkommen.

Warum denn auch? fragte Fritz.

Ich glaube, es schickt sich nicht, sagte die Schwester.

Heute Morgen aber sah ich Herrn von Bauer eine ganze Weile neben Fräulein von Wedell gehen, entgegnete Fritz.

Denke Dir, wenn die Tanten mich neben dem gefürchteten Mann hätten gehen sehen, scherzte Elisabeth.

Ich finde ihn gar nicht so fürchterlich, versicherte Fritz. Daß er ein so armer Mann ist und keinen Glauben hat, thut einem leid; es liegt aber wirklich oft nur an der Erziehung, fügte er sachverständig hinzu, sie sind so zu sagen über die Maaßen vernachlässigt.

Elisabeth war damit einverstanden, und das Geschwisterpaar, das seit der Confirmation sich besonders freundschaftlich eingelebt, vertiefte sich in diesen Gegenstand, bis sie ihre Wohnung erreichten.


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