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Am 12. Mai 1805 war der Himmel besonders strahlend und der junge Wald duftend, die Blüthen silberweiß, die Aurikeln glänzend in den farbigen Sammetkleidern, und aus der frischen thauigen Wiese schauten hundert und tausend bunte helle Aeuglein heraus und schimmerten wie lichte Seide und Edelgestein.
Aus der Gartenmauer am Budmarschen Gute führte eine kleine Pforte auf eine große Wiese, durch die Wiese hindurch schlängelte sich ein heller Bach, von hohen Rüstern umschattet, bis eine halbe Stunde weiter das Bächlein eine Seitenrichtung nahm und dieser Wiesengrund von grünen Tannenhöhen beschlossen wurde. Nach dieser Höhe wanderte an seinem Hochzeitmorgen das Brautpaar, von hier aus waren die Thürme von Braunhausen, der Garnison des Bräutigams, zu sehen, und von hier aus und zugleich von der Höhe des Glückes, auf die ihr schönster Festtag sie geführt, wollten sie hinabsehen auf ihren künftigen Wohnort und auf die Zukunft, die gar weit und reich vor ihnen lag. So einsamer Spaziergang war ihnen im ganzen Brautstande nicht geworden, das Spazierengehen war noch nicht so recht an der Mode, und noch dazu ein solches Umherlaufen in Feld und Flur, wie es der Oberförster nannte. Aber heute mußte er schon seine Einwilligung dazu geben, er durfte auch nicht schelten über unnütze Zeitverschwendung, denn die Freundinnen und Basen des Hauses hatten ihn versichert, an ihrem Ehrentage dürfe eine Braut nichts schaffen, wenn nicht ihr ganzes Leben voller Unruhe und Sorgen bleiben solle.
Auf der Spitze des Tannenberges saß also feiernd das Brautpaar. Sie sagten sich nicht nur: Ich liebe Dich! und wieder: Ich liebe Dich sehr! und: Wie sehr lieb ich Dich! – nein sie hatten beide die bestimmte Sehnsucht, daß diese Liebe ihnen der Leitstern zu etwas Besserem sein sollte, und wußten auch etwas Besseres zu reden.
Mir klingen heute immer die Worte in der Seele, begann Marie: »Ich habe dich je und je geliebet, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.« Ja, ich fühle es wohl, der Herr will mich durch Güte ziehen, fügte sie hinzu.
Bist Du dessen so gewiß? fragte der Bräutigam lächelnd.
Sie sah ihn mit ihren hellen Augen nachdenklich an. Ja, Fritz, ich weiß was ich an Dir habe, sagte sie, ich weiß auch was der Herr mir mit Dir geben will, und ich muß auch darin des Herrn Willen und Thun deutlich erkennen, es könnte mir sonst bange werben.
Warum bange? fragte der Bräutigam verwundert.
Weil ich nicht recht begreifen kann, warum Du mich lieb hast, und warum Du mich immer lieb haben sollst.
Das läßt sich auch schwerlich vordemonstriren, entgegnete Fritz; ebenso wenig wirst Du mir erklären können, warum Du mir folgen willst in das kleine Häuschen dort unten, das zu klein ist für schimmernde Lust und lautes Vergnügen und doch groß genug zu vielen Sorgen, und warum Du heut das Gebot annehmen willst: Er soll dein Herr sein.
Es ist wirklich seltsam, sagte Marie und freudig leuchteten ihre Augen, daß mir nichts lieber ist als dies Gebot.
Das ist eben das Schöne der Liebe, daß sie sich nicht erklären und nicht verdienen läßt, sagte Fritz.
Du zweifelst aber dennoch nicht an unserer Liebe, nahm Marie lebhaft das Wort.
Ich denke, ich weiß nichts Gewisseres als dies, war des Bräutigams vergnügte Antwort.
Nun ja, ich zweifle auch nicht, fuhr Marie fort, ich habe aber in der letzten Zeit viel darüber nachgedacht, unsere begabten großen Dichter verstehen es schön zu schildern das Wunderbare in der Liebe, sie müssen es zugeben, daß es etwas Unerklärliches ist um den Zug, der Herzen zusammenführt; wenn diese gescheiten Leute das annehmen zwischen zwei armen schwachen Menschenherzen, weil sie es eben an sich erfahren, warum wollen sie ein wunderbares Liebesgeheimniß zwischen dem Herzen Gottes und seinen Kindern nicht annehmen?
Der Bräutigam hörte der Schülerin der guten theuren Tante lächelnd zu, aber er hörte sie gern, und im Grunde seines Herzens fanden diese Worte einen ernsteren Anklang, als er sich augenblicklich bewußt war.
Ich weiß nicht, ich meine, wer nur irgend aufmerksam ist auf die Irrgänge seiner Natur und seines Lebens, fuhr die Braut fort, der müßte leicht auf den Schluß kommen: daß die Auflösung alles Irrens nur in einer Erlösung aus großer Liebe und aus Gnaden sei. Wenn diese Menschen sagen: ich bedarf der Gnade nicht, ich bin ein rechtschaffener Mensch, bin gescheit und vernünftig, kann mir wohl durch eigene Kraft, durch eigenes Verdienst die Liebe Gottes erwerben, wozu bedarf es da erst so wunderbarer und geheimnißvoller Dinge als eines Liebes- und Erlösungsrathes aus Gnaden ganz ohne eigenes Verdienst und eigene Würdigkeit! – es ist ebenso, als wenn ich zu Dir sagen wollte: Du mußt mich lieben, ich bin ein braves rechtschaffenes Mädchen, habe den besten Willen und fühle jugendliche Kraft in mir zu schönen Thaten und zu großem Schaffen; ich habe freilich Fehler, die haben aber alle Menschen, und es wäre sehr ungerecht, wolltest Du mir die anrechnen. Wäre diese Forderung nicht unverschämt und müßte sie nicht gerade Deine Liebe von mir abwenden? Der einzige vernünftige Grund, der sich hören ließe, wäre nur der: Liebe mich doch, weil ich Dich so sehr liebe!
Gewiß ein Grund, der sich gern hören läßt, entgegnete der Bräutigam, das aber will ich auch gern festhalten, daß unsere Ehe im Himmel geschlossen und unsere Liebe der Wille und das Thun des Herrn ist. Es kann mir dann nicht bange werden um Deine Liebe. Und wenn Zeiten kommen, die sicher nicht ausbleiben, wo ich Dir nicht ganz ein rechtschaffener und vernünftiger Herr bin, so bist Du doch vergnügt, weil Du weißt, unsere Ehe ist im Himmel geschlossen, und weil Du weißt, daß es des Herrn Wille ist, daß Du auch einmal einem wunderlichen Herrn folgen sollst. Und wenn dann die wunderlichen Wolken vorüber sind, dann werde ich Dich desto herzlicher lieben. Nun denke Dir, Mariechen, wenn so unsere Liebe immer wächst, wie das sein wird, wenn wir unsere goldene Hochzeit feiern.
Die goldene? fragte die Braut verwundert.
Warum nicht? fuhr der Bräutigam fort, es kann ja wohl des Herrn Wille sein. Fünfzig Jahre? das ist lange! entgegnete die Braut, dann werde ich nicht mehr – sie stockte und lächelte.
So hübsch sein? fragte er. – Sie nickte. – O, das wollen wir abwarten, tröstete er vergnügt, und nun gingen sie heim.
Sie hatten dem Bruder einen Morgenbesuch versprochen, sie mußten ja sehen, wie er ihre Hochzeit feiern ließ. Das alte graue Haus mit den Wappen über den Thüren, den hohen Fenstern und großen Räumen war festlich mit Blumen geschmückt, und sonderbar genug, die guten Nachbarinnen, Frau von Lindeman und Charlottchen, hatten dabei geholfen. Dagegen war ihnen in einer schönen weißen Serviette ein hoher Kuchenberg hinüber geschickt, denn Herr Karl von Budmar ließ es sich angelegen sein, bei dieser Gelegenheit, und wie immer bei ähnlichen, ihnen seine unveränderte Freundschaft zu bezeugen. Er war heute besonders glücklich. Alle Leute im Hofe wurden mit Kuchen, Braten und Wein tractirt. Er versicherte dem Brautpaar ganz ernstlich, er sei so froh, daß er den Bruder so weit habe, und sei noch froher, daß er nicht selber mit Hochzeit feiern müsse.
Mit dem Hochzeitstage an und für sich hatte er nicht ganz Unrecht; es war für das Brautpaar eine Aufgabe, erst des alten Magisters Traurede anzuhören, und sich dann durch ein Heer von Vettern und Muhmen und Basen durchzuschlagen. Die schönste Viertelstunde des ganzen Tages war die, als der Bräutigam in schöner Uniform, den Myrthenstrauß vor der Brust, zur Tante kam, um die geschmückte Braut zu holen. In dem kleinen bekannten Stübchen waren sie einige Minuten vor dem Hochzeiten und Basentrubel gesichert, und der Tante Abschiedsworte und ihr Segen waren dem Brautpaar wohl sehr lieb. Zum Schluß reichte sie ihnen das versprochene Hochzeitslied. Sie las es nicht selbst vor, sie verließ das Zimmer, und das Brautpaar war ganz allein und konnte die schönen Worte recht in das Herz einschließen:
Wohl einem Haus, wo Jesus Christ
Allem das All in Allem ist!
Ja, wenn er nicht darinnen war:
Wie finster wärs, wie arm und leer.
Wohl, wenn ein solches Haus der Welt
Ein Vorbild vor die Augen stellt,
Daß ohne Gottesdienst im Geist
Das äußre Werk nichts ist und heißt.
Wohl, wenn das Rauchwerk im Gebet
Beständig in die Höhe geht,
Und man nichts treibet fort und fort,
Als Gottes Werk und Gottes Wort!
Wohl, wenn im äußerlichen Stand
Mit fleißiger, getreuer Hand
Ein jegliches nach seiner Art
Den Geist der Eintracht offenbart!
Wohl, wenn die Eltern gläubig sind,
Und wenn sie Kind und Kindeskind
Versäumen nicht am ewgen Glück!
Dann bleibet ihrer keins zurück.
So mach ich denn zu dieser Stund
Samt meinem Hause diesen Bund:
Wich alles Volk auch von ihm fern,
Ich und mein Haus stehn bei dem Herrn.
Nachdem die Hochzeit mit aller Freude und Unruhe vorübergegangen, war der Oberförster sehr verstimmt; er wollte es sich nicht gestehen, daß er die Nichte vermisse, und doch war es so. – Es waren einige Monate so vergangen, als er eines Morgens in die Wohnstube trat und ganz verwundert stehen blieb. Ueber dem Sofa hingen in goldenen Rahmen zwei Bilder, o so ähnlich als das Leben selbst. Der Fritz im dunklen Uniform-Oberrock, mit der hohen Stirn, der kühnen feinen Nase und dem sprechenden Munde, und daneben Marie mit den lichten strahlenden Augen, den hellbraunen Locken, im zarten weißseidenen Brautkleid, eine Rose vor der Brust: Der Oberförster stand schweigend davor, und seine Frau, ungesehen, beobachtete mit freudiger Spannung sein Erstaunen. Jetzt wandte er sich, er sah sie und errieth den Zusammenhang. Hast Du das veranstaltet? fragte er mit stockender Stimme. Sie nickte nur. Er setzte sich davor auf einen Stuhl und kämpfte wie ein Kind mit den Thränen. Die größte Freude, die mir noch passiren konnte! sagte er wieder und reichte seiner lieben zartfühlenden und zartsorgenden Frau dankbar die Hand.
Die Bilder hingen hier im Festtagskleide und in Festtagsruhe von einem Jahr zum andern, während das junge Paar dort drüben hinter den Bergen lebte und Freuden und Sorgen viel Raum fanden in dem kleinen Häuschen.