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IV.
Lorenz der Freigemeindler

Eine Dorfgeschichte.


Es war im Herbst. Dortchen Köhler saß mit ihrer Großmutter in der kleinen freundlichen Stube am Spinnrad, der Widerschein eines goldigrothen Octoberhimmels lag an den weißen Wänden und spielte an den grünen Geranien im Fenster. Seit drei Tagen hatte Dortchen das Rad erst hervorgeholt, sie drehte es mit großem Eifer, es war als ob die fleißigen Hände den Faden nicht schnell genug auf die Rolle bringen könnten. Neben ihr saß ein junger Mann, er hatte seinen Arm auf Dortchens Stuhllehne gelegt und rauchte gemüthlich seine kurze Pfeife.

Dortchen sah ihn lächelnd an. Das Mannsvolk ist eigentlich ein faules Volk, sagte sie. Während wir uns regen und bewegen, sitzen sie und blasen den blauen Rauch in die Luft.

Laß gut sein, Dortchen, entgegnete der Angeredete. Ihr Frauen nehmet kleine Schritte, wir Männer nehmen große, sind darum eher an Ort und Stelle und können uns ruhen. Ja, weil Ihr wißt, daß Ihr doch in der Welt nicht viel vor Euch bringt, könnt Ihrs Herumpusseln nicht lassen, wenn Ihr auch schon an Ort und Stelle seid.

Es entstand jetzt ein etwas leiser geführter Disput zwischen den jungen Leuten, dem die Großmutter, weil ihr Gehör etwas schwach war, nicht gut folgen konnte. Aber mit Freude sah sie auf die jungen Brautleute, denn Christoph war seit Johannis mit Dortchen verlobt, und er war ein Mann, wie es jetzt nicht viel mehr giebt. Er trank keinen Branntwein, führte keine losen Reden, lag des Sonntags nicht auf den Tanzböden, sondern hielt sich zu Gottes Wort, lachte seine leichtfertigen Kameraden aus, wenn sie ihm mit neuer Weisheit kommen wollten, und bedauerte sie, wenn er sie in ihrem verbummelten Leben geistig und leiblich verkommen sah.

Der rothe Himmel war abgeblüht, nur noch ein matter Schein lag an den grauen Nebelwolken, die sich immer tiefer zusammenzogen und immer tiefere Dämmerung in der kleinen Stube verbreiteten.

Wo nur Hinrichs Sofie bleibt? sagte Dortchen, sie wollte in der Dämmerstunde kommen und was erzählen. Was es ist, weiß ich freilich schon, sie freit den Lorenz Wurm doch noch, und in vierzehn Tagen soll die Hochzeit sein. Neulich habe ich ihr Himmel und Hölle heiß gemacht, als sie mich um Rath fragte, denn Lorenz ist ganz herunter, der gehört gar zur freien Gemeinde.

Christoph lächelte über ihren Eifer und sagte spaßend: Dortchen, was machtest Du, wenn ich auch so ein Freigemeindler würde?

Sie warf die Oberlippe in die Höhe und sagte: Et da schlöß ich die Hausthür vor Dir zu und schöb auch den Riegel vor. Hm – fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, aber hier am Fenster wollt ich Dir noch einmal ins Gewissen reden, die Bosheit und Narrheit wollt ich Dir vorstellen, und Du würdest nicht mit dem Haufen laufen.

Jetzt klappte die Hofthür hinten, und da Sofie meistens hinten durch den Garten kam, meinten beide, sie wäre es. Zu gleicher Zeit aber klopfte es an das Fenster, wo die Großmutter saß, diese machte schnell auf und aller Aufmerksamkeit wandte sich dahin. Es war Heinzens Jule, drüben dem Tischler seine Tochter, sie kam eben aus dem nahen Flecken und hatte für den Vater Nägel holen müssen.

Kinder der Welt! was habe ich gesehn! rief sie in die Stube. Hinrichs Sofie sitzt im schwarzen Kasten.

Mein Gott! entgegnete die Großmutter: im Kasten? Daß sie ein lustig Ding war, habe ich wohl gewußt, aber ich dachte immer, sie wäre ein ehrlich Mädchen.

Gestohlen hat sie auch nicht, lachte Jule, aber ihr Bräutigam gehört zur freien Gemeinde, und da werden die Leute nicht in der Kirche aufgeboten, da kommen sie nur auf einen Zettel in den schwarzen Kasten, und hängen da ein paar Wochen, ob Einspruch geschieht.

Ach so? sagte die Großmutter, nu versteh ichs, ich hab schon davon gehört. Das ist ein rechter Schlupfwinkel für alle lüderlichen Dirnen, denn rechtschaffene Leute kucken in den Kasten nicht. Das arme Ding! da wird sie auch wohl nicht mit dem Kranz getraut?

Die werden gar nicht getraut, fuhr Jule fort, die gehen hin zum Kreisrichter, schreiben sich beide in ein Buch, dann sind sie fertig.

Und leben denn wild mit einander hin? rief die Großmutter.

I, das gilt ackurat so viel wie getraut, entgegnete Jule altklug.

Läßt Dus vor'ne Trauung gelten? fragte Dortchen eifrig.

Ne, ich nicht! war die Antwort, aber doch die Freigemeindler und die von der Kirche nichts mehr wissen wollen.

Ja nun, nahm Christoph das Wort, eine Schweinheerde wundert sich auch nicht, wenn ihre Kameraden sich im Dreck wälzen. Ich sage das nur vergleichungsweise. Aber es giebt doch bei uns mehr Christen wie Freigemeindler, und da mögen sie meinetwegen ein Jahr im schwarzen Kasten hängen und nachher bei einem Glas Schnaps ihren Namen in ein Buch schreiben, so sind sie in unsern Augen doch nicht ehrlich getraut.

Hu! sagte Dortchen, ich möchte doch nicht in dem schwarzen Kasten sitzen.

Ich auch nicht! sagte Jule eifrig.

Höre, Jule! drohte Christoph, so ganz sicher bist Du vor einem Freigemeindler nicht.

Habe ich etwa mein Christenthum weggeworfen? entgegnete Jule beleidigt.

Nein, aber Du machst es wie Förster Trippel neulich zu unserm Pastor sagte: ich bin zwar katholisch, aber ich mache keinen Gebrauch davon.

Christoph wandte sich bei diesen Worten nach der Stubenthür, an der etwas polterte. Weil darauf alles ruhig blieb, ging er und machte die Thür auf. Da stand Hinrichs Sofie, sie hatte das ganze Gespräch mit angehört. Verstört und verlegen sagte sie ihren guten Abend, die Großmutter machte das Fenster zu und Dortchen reichte der nachbarlichen Freundin einen Stuhl.

Es entstand eine Pause, Dortchen faßte sich am ersten. Sofie war ihre Jugendgespielin, aber ein schwaches und leichtsinniges Mädchen, und sie hatten eine Zeitlang wenig Verkehr miteinander; doch waren sie zu nahe Nachbarn, um sich ganz aus dem Wege zu gehn. Auch war Sofie gutmüthig genug, zuweilen auf Dortchens guten Rath zu hören, sich von ihr leiten zu lassen, ja Dortchen war ihr in manchen Stücken unentbehrlich geworden.

Du willst also heirathen? sagte Dortchen.

Ja, und ich wollte Euch zur Hochzeit bitten, die ist in vierzehn Tagen, antwortete Sofie schüchtern.

Dortchen schüttelte den Kopf. Wenn Du Dich ehrlich wie andere Mädchen trauen ließest, da wollten wir gerne kommen, so aber nicht, sagte sie.

Denkst Du denn, daß die Leute bei der freien Gemeinde nicht ehrlich sind?

Vielleicht ehrlich in ihrer Weise, aber von Menschen, die sich von Gott und ihrem Heiland lossagen, mag ich nichts wissen.

Ach, sagte Sofie etwas muthiger, da sollst Du mal Lorenzen drüber sprechen hören: an Gott glauben sie auch, wenigstens viele und Lorenz auch, und daß Gott die Welt geschaffen hat. Und sie gehen auch in die schöne Natur und halten da Gottesdienst. Aber freilich an Jesum glauben sie nicht und habens auch nicht nöthig, wie sie sagen, und die Kirche und die Pastoren haben sie auch nicht nöthig, denn sie wissen, was recht und unrecht ist, alleine. Lorenz hat mir das so schön erklärt.

Und Du hörst das ruhig mit an?

Ja freilich, ich wüßte nicht, was ich darauf sagen sollte, ich verstehe doch die Sache nicht.

Du verstehst die Sache wohl! sagte Dortchen kräftig. Glaubst Du, daß ein Gott im Himmel ist, der Himmel und Erde und alle Creatur geschaffen hat?

Ja.

Siehst Du wie dieser starke Gott blitzen und donnern läßt, wie er seine Sonne scheinen läßt und gnädigen Regen giebt, wie er aber auch Dürre und Hungersnoth und Krankheit und Tod schickt? Und glaubst Du, daß der starke Gott Deinen Lorenz mit einem Blick vernichten, ihn in das Grab legen kann und ihn zum Nichts machen, aus dem er ihn hervorgerufen?

Ja freilich, entgegnete Sofie, sieht man doch alle Tage, daß es so kommt.

Und glaubst Du nun, daß Dein Lorenz, diese schwache, sündhafte Creatur, weiser sei und ihm mehr zu trauen ist, als dem starken Gott, dem Herrn der Welt?

Nein, das glaub ich nicht, sagte Sofie.

So, Du machst es ihnen also nur weiß? So macht einer den andern zum Narren. Aber Dein Lorenz und seine ganze Sippschaft, so viel sie sich auch lossagen vom Herrn unserem Gott, von seinem heiligen Sohn und seiner Kirche, so viel sie auch auf ihre eigene Kraft bauen und ihren eigenen Weg anschlagen, des Herrn Arm wird sie doch erreichen. Warte nur! er geht einem jeden nach, das dunkele Grab ist für alle bereit, und dann folgt das Gericht. Dein Lorenz kommt auch dran. Jetzt ist er noch guter Dinge, gesund und frisch, führt ein lustig Leben, verspottet den Himmel und folgt seiner Sünde; aber der Herr kann wie ein Blitz dareinschlagen und sprechen: Bis hieher und nicht weiter! jetzt mußt du sterben. Hu, das Grab ist doch ein schauerlich Ding! er will nicht hinein, aber muß. Wer wird ihm Trost bringen auf dem Sterbelager? Da kommt sein Prediger, sein glatter heuchlerischer Prediger, der sagt: Lieber Freund, ich glaube noch gar nicht, daß es einen Gott und ein ewiges Leben giebt, also fürchte dich nicht, laß dich dein Leben und Sterben nicht ängstigen. Da aber werden dem Kranken die Schuppen von den Augen fallen und er ruft im Zorn: Du gottloser Heuchler, das glaubst du eben so wenig als ich, mein Gewissen und meine Herzensangst sagen mir deutlich, daß es einen Gott, einen Richter, und eine Ewigkeit giebt, und wenn du einst auf dem Sterbebette liegst, werden alle deine Spiegelfechtereien vor deinen Augen verschwinden, und du wirst Höllenangst empfinden wie ich jetzt.

Dortchen war ganz heiß geworden bei ihrer Predigt, sie sagte jetzt etwas ruhiger: Siehst Du, Sofie, bei Eurem lustigen Leben, wenn sie Eurer Sünde schmeicheln, da habt Ihr genug an Euren Predigern, aber in Unglück, Noth und Tod, da stehen sie wie Quälgeister an Eurer Seite, – und wenn es so weit ist, wirst Du auch nicht sagen: ich verstehe die Sache nicht; sondern Dein Gewissen wird Dir sagen, ich wußte und kannte den Willen des Herrn wohl, aber ich hörte lieber die Stimme meiner Verführer.

Sofie weinte. Ach ich möchte nichts lieber, als er gehörte nicht zu der freien Gemeinde. Ich wills ihm noch einmal vorstellen. Ich kanns gar nicht sagen, wie das ist, wenn man in keine Kirche mehr kommen darf.

Bist freilich nicht oft hingegangen, sagte die Großmutter mit sanftem Vorwurf.

Ja, ja, entgegnete Sofie, aber nun sies einem mit Gewalt nehmen wollen, geht man viel lieber hin, und meine Mutter sagt: Sofie! Sofie! bedenke was du thust.

Was sagt denn Dein Vater? fragte Dortchen.

Der sagt: Sie hat mich nicht gefragt, wie sie mit dem Burschen eins geworden ist; ich aber bleibe bei meinem Glauben. Und denn sagt er: Der Lorenz ist reich und ist ein ordentlicher Arbeiter, er hat das schönste Haus im Dorfe, es läßt sich sonst nichts gegen ihn sagen.

Meinst Du, daß das Glück am Gelde hängt? fragte Dortchen und sah auf Christophen, der gar kein Haus hatte und nur ein schlichter Mauergeselle war.

Ach bewahre! Ich könnte aber den Lorenz nicht lassen, wenn er auch arm wäre, und ich denke immer, er wird noch vernünftig. Neulich hat er so räsonnirt über die Geschichte, als die freie Gemeinde aus der Stadt hier durch kam und viele von hier mitliefen nach dem Trautberge. Da haben sie mit dem Mann, der Pastor bei ihnen spielt und den sie Sprecher nennen, ein paar Fässer Bier und Branntwein ausgetrunken. Der Sprecher ist aber den Berg raufgeritten und Dollers Guste, des Klempners seine, ist in der schwarzen Sammtjacke nebenhergegangen und die anderen haben Witze über das Pärchen gemacht. Lorenz hat da zum Pastor gesagt, er solle sich in mehr Respekt bei den Leuten setzen, daß sie sich nicht bei ihm betrinken und sich raufen, fluchen, und lose Rede führen. Der Schlossergeselle, der mit dem langen Bart und den gottlosen Reden immer zu Lorenz kömmt, und noch ein Schneidergeselle haben sich in der Betrunkenheit abgeprügelt, und als der Sprecher will zu gute reden, sagt der Schlosser zu ihm: Hör mal, Bruder, sei man ganz stille, mit dir ist auch nicht viel los. Da ist die ganze Versammlung in ein helles Gelächter ausgebrochen, und nur ein Häufchen und Lorenz sind böse drüber gewesen und haben gesagt: wenn sie es so trieben, würden sich alle ehrlichen Leute davon zurückziehen. Auf dem Rückweg hat der Pastor nicht können auf dem Braunen reiten, er ist schwindlich gewesen vom vielen Bier. Der Schlosser aber rief: Er ist ehrlich besoffen wie wir. Ich sagte zu Lorenz: er wäre ein ehrlicher Mann und sollte von den Leuten lassen, und ich erzählte ihm, was Dortchen neulich von den freien Gemeinden gesagt hat. Da meint er: Nun erst recht! wenn solche Klugmäuler guten Rath geben wollen, bleibe ich dabei. – Ich denke aber immer, er giebt sich noch, denn wenn ich nicht in der Kirche getraut werde, gräme ich mich todt. Lassen kann ich von dem Lorenz doch nicht. Wenn wir aber ordentlich getraut werden, kommt Ihr doch?

Christoph und Dortchen sagten ja, und Sofie ging mit dem festen Entschluß fort, nicht nachzulassen, bis Lorenz drein gewilligt.

Die Zurückgebliebenen sprachen über die Sache weiter. Es war dunkel geworden und die kleine Lampe brannte auf dem Tische. Da klopfte es an die Thür.

Christoph rief: Herein! – Es war Lorenz.

Nehmts nicht übel, wenn ich störe, sagte er trotzig und strich sich dabei den langen Demokraten-Bart.

Im Gegentheil, sagte Christoph ruhig, das ist uns recht lieb, ich habe Dich längst gern mal ordentlich sprechen wollen.

Ich wollte eigentlich Dortchen sprechen, sagte Lorenz.

Ich weiß schon, was Du willst, entgegnete diese; aber es bleibt dabei.

Du machst Sofien mit Deinen Reden aufstützig, das will ich mir verbeten haben.

Wenns nur anschlüge, sagte Dortchen eifrig. Schäm Dich was, Lorenz, bist so ehrlicher Leute Kind und führst jetzt solch Leben.

Was denn für ein Leben? Etwa daß ich mit der Zeit fortgeschritten bin und mehr aufgeklärt denke als Ihr?

Christoph lachte herzlich und sah ihm dann treuherzig mit den großen blauen Augen in das aufgeklärte trotzige Gesicht. Weißt Du, wie weit Ihr seid? Gerade so weit wie die Heiden vor der Geburt unseres Herrn und Heilandes auch waren. Sie freuten sich der schönen Natur, lebten herrlich und in Freuden, und folgten ihren Lüsten und Begierden. Das ist Eure Aufklärung, Ihr schwiemelt, will ich Euch sagen, und von Zeit zu Zeit hat es immer solche Schwiemeler gegeben, der Herr Gott aber bleibt doch der Herr Gott. Euer Firlefanz wird von dem Felsen seiner heiligen Kirche abgleiten wie Spülwasser, Ihr aber und Eure armen Kinder bleibet unten im Drecke sitzen.

Lorenz wußte nichts Rechtes zu erwidern, sein Gewissen schlug ihm heimlich, aber desto trotziger zeigte er sich von außen.

Ein jeder geht seinen eignen Weg, und was ich und Sofie thun, geht Euch nichts an! sagte er.

Lorenz! nahm jetzt die Großmutter freundlich das Wort, setze Dich mal her. Sie zog ihn neben sich auf den Stuhl. Als Dein Vater dort drüben den Giebel ausbaute, fiel ihm ein Balken auf das Rückgrat, ich stand dabei, als ihn die Leute Deiner Mutter in das Haus brachten, er hatte viel Schmerzen, sah bleich aus wie der Tod, aber hielt die Hände gefaltet. Als der Doctor sagte, hier ist keine Rettung, da sagte Dein Vater: Des Herrn Wille geschehe! Dabei schaute er zum Himmel auf. Würdest Du das auch können?

Lorenz schwieg, es war ihm unbehaglich zu Sinne.

Dein Vater, fuhr die Alte fort, hatte seinen Herrn und Heiland lieb gehabt, und der erfüllte in seiner qualvollen Stunde sein Herz mit Kraft und Trost. O wenn er jetzt sehen muß, wie sein Sohn ein Widersacher seines Herrn ist. Armer Junge, wenn Du ihn nicht so früh verloren hättest, wäre es nicht so weit mit Dir gekommen. Lorenz! wenn Du wüßtest, was zu Deinem Frieden dient, Du würdest nicht mit dem leichtsinnigen Haufen laufen.

Sie schwieg. Lorenz aber stand auf und versicherte noch einmal: ein jeder hätte für sich selber zu sorgen und er würde das auch thun.


Vierzehn Tage waren vergangen und der Sonntag, an dem Sofie mit Lorenz zusammengegeben werden sollte, herangekommen. Sie stand nachdenkend am kleinen Fenster ihrer Schlafkammer. Der Himmel war kristallklar und blau, die Sonne stieg eben dort über den Hügel herauf, und schmückte mit ihren goldenen Strahlen die herbstliche Natur. Der Rasen auf dem Kirchhofe schimmerte frühlingsgrün im Contrast mit dem dunkeln Grün des alten Eibenbaumes am Thurmgiebel. Verspätete Rittersporn und Todtenblumen blühten auf den Gräbern, und die wenigen Früchte an den Pflaumenbäumen leuchteten blau und roth gegen den blauen Hintergrund. Die Glocken läuteten zum erstenmal, noch war es still im Dorfe. Sofie stand traurig, eine Thräne nach der andern rann über ihre Wangen. Sie dachte was Dortchen ihr neulich gesagt: Du wirst keinen Hochzeitstag, sondern einen Jammertag haben, dich rufen nicht die Glocken zum heiligen Haus, geschmückte Kinder stehen nicht auf dem Kirchenweg und streuen Blumen der glücklichen Braut, kein Diener des Herrn hält eine erbauliche Rede und segnet das Paar, da ist kein heiliger Schauer, keine Bedeutung in dem Tag. Ohne Religion wird der Ehestand angefangen, eben so fortgesetzt. – Was war das gestern für ein Polterabend? dachte Sofie weiter: Nichts als Saufen und Toben, und der den Pastor vorstellt, mitten drunter. Er machte wohl mitunter schöne Redensarten, mit »lieben Brüder« und »edelm Menschen-Dasein;« aber die meisten haben sich doch wieder betrunken, und hätte Lorenz den Schlossergesellen nicht früh genug fortgebracht, so hätte er Prügelei angefangen. Und solche Gesellschaft soll euch zusammen geben? So ganz auf ihre eigene Hand? Nein, nein! schluchzte Sofie, das ist kein Trauen, das sind Spiegelfechtereien, Dortchen hat Recht.

Jetzt trat Lorenz aus der Hofthür, er sah Sofien oben am Fenster. – Ein schöner Hochzeitstag, guten Morgen auch! rief er lustig hinauf.

Sofie schüttelte den Kopf, dazu liefen ihr die Thränen von den Wangen.

Himmel! Wetter! das geht wieder von neuem los! murmelte Lorenz und ging zurück in das Haus.

Sofie aber war die Treppe herunter gekommen, nahm Lorenzen bei der Hand und führte ihn in die Wohnstube. Der alte Hinrichs suchte eben Karten von der Erde auf, und seine Frau setzte Kuchen und Kaffee auf den Tisch.

Ich kanns doch nicht, Vater und Mutter, sagte Sofie weinend, ich will eine ehrliche Hochzeit haben und eine Trauung, und nicht bloß Narrenspossen.

Die Eltern sahen sie starr an. Das hättest Du eher sagen sollen, entgegnete der Vater, ich hab Euch jungem Volke gleich gesagt: thut was Ihr wollt, ich aber bleibe bei meinem Glauben.

Ach Du Herr Gott! seufzte die Mutter, mir ist die Sache immer unheimlich gewesen.

Zum Kuckuk auch! rief Lorenz, wenn Ihr mir noch viel Umstände macht, wird aus der Sache gar nichts.

Die Worte waren ein Schrecken für die Eltern und für Sofien, denn Lorenz war heftig und stolz, und konnts wohl wahr machen.

Sofie, hast Du einmal A gesagt, mußt Du auch B sagen! rief der Vater.

Ach was soll daraus werden! seufzte die Mutter.

Nun denn, sagte Sofie weinend, bin ich Dir in allen Stücken zu Willen gewesen, so thue mir den Gefallen und laß uns jetzt gleich nach Schmetten zum Kreisrichter gehen, jetzt wo uns noch kein Mensch sieht.

Meinetwegen! entgegnete Lorenz: denn ist die Sache abgemacht.

Nach einer halben Stunde gingen beide mit den Eltern durch das Dorf und zehn Minuten weiter nach Schmetten. Manch neugieriges Gesicht ließ sich, trotz dem es noch früh war, am Fenster sehen; aber selbst die so ziemlich mit Lorenz einer Gesinnung waren, schüttelten den Kopf und wollten von der Art Trauung nichts wissen. Auch Lorenz fühlte sich unbehaglich, soviel er sich von außen ein ruhiges Ansehn gab. Sofie hat recht, eine ehrliche Hochzeit ist es nicht! sagte sein Gewissen, und die Redensarten, die über seinen Polterabend im Dorfe herumgingen und ihm zu Ohren gekommen waren, hatten seinen Stolz tief beleidigt. Er schämte sich seiner freien Gemeinde und seiner Freunde aus der Stadt, er hätte gewünscht, sie wären heut nicht wieder gekommen, aber manche waren gar nicht fortgegangen, und der Schlosser lag jetzt noch auf dem Heuboden und schlief seinen Rausch aus.

Der Kreisrichter war ein alter rechtschaffener frommer Mann, er hatte schon vor vierzehn Tagen weitläufig mit Lorenz gesprochen und suchte ihn zu einer Trauung in der Kirche zu bewegen, aber vergebens. Als er heut das Brautpaar eintreten sah, klappte er ruhig seine Bibel, über die er eben noch beim Morgenspruche saß, zu und machte alles bereit, was zum Geschäft gehörte.

Sofien kam von neuem der Jammer über das Herz. Können wir denn nicht wenigstens ein Vaterunser beten? schluchzte sie laut. Der Kreisrichter sah sie mitleidig an, auch die Mutter weinte; aber Lorenz, selbst verlegen, drängte Sofien an den Tisch, die Sache ward abgemacht. Als sie zurück kamen, standen Christoph und Dortchen am Gartenzaune. Lorenz und Sofie schlugen die Augen nieder.

Am Nachmittag kam die freie Gemeinde mit dem Prediger an der Spitze nach dem Niederanger, ein Platz am Dorfe, der jährlich von der Saale überschwemmt wird. Hier wollten sie sich erbauen und unterhalten, der Prediger that das in der Absicht, wie er es neulich auf dem Trautenberge gethan, um Anhänger zu gewinnen und auch in Barnedorf eine freie Gemeinde zu stiften. Bis jetzt hatte er auf dem Lande nicht viel guten Boden zu seinem Vorhaben gefunden, die Leute waren noch nicht so verdorben, so geist- und herzlos, als in den Städten. Auch von Barnedorf war neulich eine Menge Neugieriger nach dem Trautberge gelaufen, aber selbst die Leichtfertigen sagten: Fürs erste bleiben wir bei unserm Glauben, denn das ist doch ein Loddervolk.

Lorenz war im Dorfe der einzige, der sich öffentlich zur freien Gemeinde erklärt hatte, obgleich er sonst ein geachteter und angesehener Mann war. Er hatte fromme Eltern gehabt, manche gute Gewohnheit, manch frommer Spruch hing ihm aus der Jugend an. Nur die Jahre, wo er allein stand, und besonders die letzten vier Jahre, wo er als Tischlergeselle gewandert war, hatten so bösen Einfluß auf ihn geübt. Er war mit vielen Halbgebildeten umgegangen, die mit hochtrabenden und klugklingenden Redensarten unverdorbene aber schwache Herzen verführen. Lorenz wollte aufgeklärt und gebildet sein, er machte alles mit, was die Zeit Böses hervorbrachte, und ging zuletzt gar zur freien Gemeinde über. In seiner ersten Begeisterung meinte er, wenn er nach seinem Dorfe komme, müsse das Licht, das er dort aufstecke, gleich ein großes Feuer anzünden, und war höchst verwundert, als er hier so viele bedenkliche Gesichter fand. Das schlimmste aber war, daß er sich selbst gestehen mußte, wie diese ganze neue Lehre eigentlich nichts als ein Schanzkorb sei, dahinter sich alle schlechte Gesellschaft verkroch: Eitelkeit, Verschrobenheit, schlechter Name, Lüderlichkeit, Soff, und wie es so weiter hinunter geht, und mit Schmerz mußte er sehen, daß die meisten Mitglieder nur heruntergekommene Leute waren, und der bessere Theil sich nach und nach von der Gemeinde zurückzuziehen suchte. Aber die Sache aufgeben konnte er nicht, er war stolz und eingebildet, und hatte zu viel und zu sicher davon gesprochen. Vielleicht konnte er der Sache noch einen andern Schwung geben, dachte er in seiner Eitelkeit.

Was aber faul ist, bleibt faul, wo Sünde und Gottlosigkeit gesäet wird, ist Schande und Elend die Ernte.

Der Sprecher traute das Paar in Hinrichs Wohnstube. Lorenz hatte nur wenige von den Freunden eingelassen und ihnen angedeutet: wenn sie sich nicht anständig und ordentlich verhielten, würden sie hinausgeschmissen. Der Schlosser war auch noch nüchtern, und begnügte sich, mit einer Cigarre im Munde in der Stubenthür zu stehen.

Sofie weinte. Nicht aus Rührung über des Sprechers Worte, sondern aus Scham und Aerger. Die Magd und eine Arbeitsfrau hatten zu despektirlich von der Hochzeit gesprochen, Heinzens Jule hatte kichernd in das Fenster gesehen, und die ganze Jugend war vor der Thür versammelt. Lorenz war verlegen und wünschte nur die Sache so schnell als möglich abgemacht. Nach der Trauung zog die Gesellschaft nach dem Niederanger, wo schon die freie Gemeinde aus der Stadt und viele Neugierige aus Barnedorf versammelt waren. Lorenz hatte längst versprochen, an seinem Hochzeitstag ein Faß Bier zu spendiren, er mußte es auch halten. Der Jubel am Bierfaß war die Vorfeier zur Andacht, dann hielt der Sprecher seine Rede. Er sagte unter anderem, daß doch die freie Natur ein weit schöneres Gotteshaus sei als eine Kirche, daß Gott auch weit eher hier zu finden sei, und wo die Vöglein sängen, brauche man keine Orgel. Wir Menschen sind freie, gut geschaffene Wesen, sagte er, die Freuden der Natur und der Welt mögen wir ohne Furcht genießen, denn dazu sind wir geschaffen, und können deshalb unbekümmert hingehen unseren Lebensweg bis an das Ende. Unser Herz sage uns schon das Rechte, dem sollte man nur folgen. Das übrige wäre Pfaffen-Erfindung; die sich aber des sogenannten Glaubens rühmten, die hätten keine Liebe. Die Liebe mache sich und andern das Leben leicht. Die dunkeln gesetzplagenden Zeiten seien vorüber und man gehe schönen lichten freien Zeiten entgegen. Es klang ganz hübsch, was er sagte, wie eine Schlange von weitem glitzert und bunt aussieht und doch Gift und Tod in sich hat.

Als er geendet, stellte sich plötzlich Christoph zu ihm auf den kleinen Hügel. Lorenz hatte ihn schon längst unter den Zuhörern bemerkt und war nicht wenig verwundert darüber.

Mit Verlaub – eine Frage, – sagte er ruhig, aber mit lauter Stimme. Hält denn die freie Gemeinde noch auf die zehn Gebote?

Ei freilich, mein lieber Freund, entgegnete der Sprecher, wir halten überhaupt an der ganzen christlichen Moral fest, wir wollen nur von allem Uebernatürlichen und Wunderbaren nichts wissen.

Als Christoph etwas entgegnen wollte, entstand ein großer Lärm; die freie Gemeinde wollte nichts von ihm wissen, die Barnedorfer aber wollten ihn gerade hören, und zuletzt mußten sich auch die übrigen dareingeben.

Also Ihr haltet noch auf die zehn Gebote? begann er.

Ne, ne! schrie jetzt der Schlosser mit frecher Stimme, der Herr Sprecher heuchelt nur noch ein bischen christliche Moral. Die Sache ist anders, und ich glaube, daß im Grunde er und alle meine Freunde hier mit mir einer Meinung sind. Wir denken so von den zehn Geboten. Das erste heißt ja wohl: »Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.« Wo ist aber Gott? ich sehe keinen. Ich aber bin das edelste Geschöpf auf der Welt, also bin ich Gott und soll mich über alle Dinge lieben, das wollen wir auch rechtschaffen. Das zweite heißt: »Du sollst nicht schwören und fluchen,« glaube ich. Das ist aber Unsinn. Denn wenn mich ein Schockschwerenöther Esel schimpft, dann sage ich: Du verfluchter Lumpenhund! Nicht wahr? das ist natürlich und die Stimme in unserem Herzen räth uns dazu.

Er wandte sich bei diesen Worten triumphirend zum Kreise der Zuhörer. Lautes Gelächter war die Antwort. Es entstand aber auch ein Gegenlärm, viele von der freien Gemeinde wollten sich durch den Angetrunkenen nicht beschimpfen lassen, aber die meisten amüsirten sich über die losen Reden, und er gewann wieder das Wort.

Das dritte Gebot heißt: »Du sollst den Feiertag feiern.« Für jetzt: ja; wir hoffen aber auf bessere Zeiten, wo wir auch die Woche durchfeiern – Beifallsgelächter. – Das vierte: »Du sollst Vater und Mutter ehren,« – natürlich, wenn die Alten vernünftig sind und hübsch mit dem Besten rausrücken, wie sie schuldig sind. Das fünfte: »Du sollst nicht tödten.« Unter Umständen bedenklich. Darüber sind unsere Gelehrten noch nicht einig. Die Zeit muß lehren, was hierin eines freien Mannes Pflicht ist. »Du sollst nicht ehebrechen.« Davon ist keine Rede, bald hört das Hochzeiten auf und ist eine Schwesterschaft und Brüderschaft. – Neues Gelächter. – Sehen Sie, Sofiechen, wandte er sich zu Sofien, die ihm ganz nahe stand, das ist der Hauptprofit bei uns Freien, sind wir unserer Ehehälfte satt, lassen wir sie laufen und nehmen uns eine andere. – Laute Bravos und allgemeine Heiterkeit. – »Du sollst nicht stehlen.« Das versteht sich von selbst, wenn erst alles ein Ei und ein Kuchen ist. Wer die stärkste Faust hat, kriegt das Größte, und wer das größte Maul hat, säuft das meiste, und kräht kein Huhn noch Hahn danach. Ich denke, ich will nicht schlecht bei wegkommen. – Dabei ballte er die Faust und sah mit seinem versoffenen Gesicht ganz scheußlich aus.

Der Lärm aber war so groß geworden und die Mißbilligung der Vernünftigen soweit oben aufgekommen, daß der Schlosser schweigen mußte. Da hub Christoph an: Alles was der angetrunkene Schlosser da etwas grob, aber offenherzig, über sich und seine Kameraden gesagt, das ist auch meine Meinung von ihnen. So denken auch die Republikaner und die Freien über die zehn Gebote; privilegirte Spitzbuben, Sabbathschänder, Gottesleugner wollen sie sein, wenn auch manche die Sache nach außen hin etwas zuzustutzen wissen. So habe ich nichts weiter drüber zu sagen, als daß wir Barnedorfer eigentlich das ganze fremde Gesindel müßten aus unserem Revier treiben, aber wir wollen uns nicht damit besudeln, wir gehen fort und lassen sie sich allein ihre Ohren verpesten. Wer ehrlich und rechtschaffen denkt, geht mit. Die Barnedorfer schlossen sich ihm fast alle an, ja als der Schlosser mit einem Haufen Angetrunkener anband, zogen sich auch viele Städter zurück. Lorenz, der schon lange wie auf Kohlen stand, wollte den Haufen zur Ruhe bringen, goß aber nur Oel ins Feuer, und seine Schwiegereltern und Sofie und sonstige Freunde waren froh, als sie ihn aus dem wüthenden Knäuel glücklich heraus und auf den Heimweg gebracht hatten.

Christoph aber konnte heut noch nicht schweigen. Er führte beim Nachhausegehen das Wort. Er war der Sprache eigentlich nicht sehr mächtig, aber heute gings doch. Siehst Du, sagte er zu einem Schneider, der ihm entgegen hielt, daß der Sprecher eigentlich gar nicht übel gesprochen hätte: Siehst Du, wenn Du das meinst, so ists ein Zeichen, daß Dir unser Herr Gott – wenn Du auch kein Widersacher bist – aber daß er Dir gleichgiltig ist. (Bei diesen Worten war er stehen geblieben und der ganze Zug stand mit still, wie sie die lauten Worte hörten.) Und wehe Dir, wenn er über kurz oder lang Deine arme Seele vor Gericht fordert! Ich sage aber: der Mensch hat sehr übel gesprochen. Disputirt nur Himmel und Hölle fort; aber der Herr bleibt doch der starke Gott, er wird, die ihn lieb haben, zu finden wissen, und wird seinen Spöttern den verdienten Lohn geben. Es ist recht schön in der freien Natur, und ich höre auch gern die Vögel singen und erbaue mich auch an allen den Schönheiten, wenn ich im Schweiße meines Angesichts mein Brot verdiene, oder wenn ich feiern darf. Aber wir, die wir an einen Himmel glauben, wollen auch hier auf Erden schon einen Ort haben, der dem Himmel geweiht ist, wo wir die Erde und alles, was darauf ist, vergessen und nur denken an das, was droben ist. Und wenn die Vögel noch so schön singen, so ists doch ein anders, wenn die Glocken läuten und wenn die Orgel klingt, das ist Musik nur dem Herrn und dem Himmel geweiht. Ja wer nie an einen Teufel und an sein Reich geglaubt hätte, müßt es jetzt wohl. Denn ein lügnerischer Teufel spricht aus dem Munde, der da sagt: Geht nur ohne Sorgen euren Weg, und folgt der Stimme eures Herzens, und dem was natürlich ist. Natürlich ists, daß, wenn uns dürstet, wir trinken; aber hunderte, die ihrem Durst gefolgt, sind um Geld und Ehre und Gesundheit und Frieden gekommen und so eigentlich dem Teufel in die Arme gelaufen. Natürlich ists, daß, wenn uns einer schimpft, schimpfen wir wieder; wie es aber Raufbolden geht, wissen wir auch. Seht nur den Schlosser an, jeder Rechtschaffene geht ihm aus dem Wege. Natürlich ist, zu sagen: Ruhen ist besser wie Arbeiten, und hast du Hunger und hast nichts für den Schnabel, so nimm dir was! und das ist der Anfang für alle Diebe und Mörder, und sie laufen dem Teufel erst recht in die Hände, der ihnen den guten Rath gegeben hat: Folge immer deiner natürlichen Herzenseingebung. So ists in allen Stücken, und es steht fest: unser natürliches Herz ist verderbt und nur ein durch unsern Erlöser erneuertes Herz kann dem Verderben entgehen. »Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.« Wer in seinem Herzen dem Herrn noch getreu ist, und das Treiben des Schlossers und Konsorten verabscheut, und dem mit allen Kräften steuern will, nehme jetzt die Mütze ab und halte die Hand in die Höhe! rief Christoph mit erhöhter Stimme.

Alle Mützen waren herunter, alle Hände in die Höhe.

Die Hallunken sollen uns nicht wieder in den Kram kommen! – Unsern Glauben wollen wir behalten! – Alles was Recht ist, aber das war zu toll! So gingen alle Stimmen beifällig durcheinander; und selbst die sonst nicht sehr feste waren und eher locker standen, mußten mit, die einfachen kräftigen Worte hattens über die allgemeine Stimmung davongetragen.

Lorenz saß mit Sofien in seiner Eltern Hause, der Mond schien hell durch die Fenster, aber in beider Seelen war es trüb. Sofie klagte: Das war doch heut kein Hochzeitstag, und ehe ich nicht getraut bin, halte ich mich für keine ehrliche Frau. Lorenz suchte sie mit harten und mit tröstenden Worten zu beruhigen, aber sein Gewissen schlug ihm doch, und als er im Vorübergehen Christophs Rede mit angehört, sagte sein Gewissen: Der hat recht und ist ein Ehrenmann und ein glücklicher Mann, daß er sich von dem Treiben und von der Schande fern gehalten.


Es vergingen Monate. Lorenz hatte sich jeden ferneren Besuch der freien Gemeinde verbeten, auch hielt er sich ganz davon entfernt seit dem Hochzeitstage, an dem er wohl inne geworden war, daß er auch nichts bei ihnen ausrichten würde. Aber auch von der Kirche hielt er sich fern, weil sein Hochmuth sich nicht entschließen konnte, seine Schuld zu gestehen. Sofie aber grämte sich und holte sich von Dortchen Trost und Rath.

Mit unsrer Macht ist nichts gethan, sagte Dortchen, Du mußt den Herrn bitten, daß er Lorenzens Herz wende und es mit seinem heiligen Geist erfülle. Was wir im Glauben von ihm bitten, will er uns gewähren. Dabei sei sanft und liebreich gegen ihn, und zeige ihm Deine Liebe, und wie Du möchtest, daß er Frieden erlange.

Sofie befolgte den Rath getreulich. Sie war seit ihrer Verheirathung ganz umgewandelt. Wie ihr schwaches, weiches Herz früher so leicht der Verführung zum Leichtsinn gefolgt war, so folgte es jetzt der Stimme Dortchens, die sie für den Frieden Gottes warb.

Ob der Herr helfen wird? fragte sie wohl noch oft. Ja er wird! fügte sie aber mit der Zeit immer sicherer hinzu. Er wird! wiederholte Dortchen, und wenn er auch zögert, so findet er doch endlich seinen Weg. Und er hatte ihn schon gefunden.

Ende Februar bekam Sofie eine böse Grippe, von welcher ein heftiger Husten und viele Brustschmerzen zurückblieben. Schon als Mädchen hatten ihr ältere Bekannte gesagt: Sofie, nimm dich in Acht, du siehst ackurat aus wie die Schwestern deines Vaters, und die sind beide an der Schwindsucht gestorben; aber Sofie war jung, sie hatte rothe Backen und lachte dazu. Jetzt aber ward es bedenklich. Sie erwartete im Sommer ihre Niederkunft, und war matt und abgezehrt und bleich geworden. Lorenz selbst sahe sie zuweilen voller Schrecken an. Sie war ihm recht an das Herz gewachsen, denn sie war freundlich und sanft, eine treue Hausfrau, und zeigte ihm bei jeder Gelegenheit, wie lieb sie ihn hatte. Neulich Sonntags, als es zur Kirche läutete und er unwillkürlich vor den vorübergehenden Kirchengängern vom Fenster zurücktrat, sah er Sofien am Ofen sitzen und weinen. Sofie! sagte er da freundlich, ich habe nichts dawider, wenn Du in die Kirche gehen willst, Du sollst kein unfreundlich Wort von mir drüber hören; aber laß mich.

Nein ich lasse Dich nicht, sagte sie sanft und reichte ihm die Hand. Diese Nacht träumte mir, Du nähmest mein Kind von meinem Arm und sagtest: Sofie, Du mußt alleine reisen. Da weint ich so, und Du sagtest: ich komme aber nach. Da küßt ich Euch beide und war ruhiger im Herzen, aber ich wollte doch nicht gern fort, und wachte drüber auf. Lorenz, ehe ich sterbe, lassen wir uns hier in der Kirche trauen, und unser Kind läßt Du doch auch da taufen und bekennst Dich wieder zur Christengemeinde. Lorenz aber schüttelte mit dem Kopf und seufzte. Erst kürzlich hatte ein Spaßvogel zu ihm gesagt: Lorenz, ich wette, über kurz oder lang kriechst du doch zu Kreuze.


Es war Palmsonntag, ein milder lichter Frühlingstag begrüßte die sprossende Erde. Sofie stand im kleinen Garten hinter dem Haus und pflückte Schneeglöckchen und Immergrün. Ihre jüngste Schwester Hannchen wurde heut eingesegnet: der trug sie den Strauß hin. Sie trat zu den Eltern in die Stube. Diese kriegten immer einen Schrecken, wenn sie Sofien sahen, sie hatten ja ihr Kind elend gemacht; weil ihnen selbst ihr Glaube nicht theuer und werth war, da hatten sie es ruhig mit angesehen, daß ihre Tochter leichtsinnig sich davon los gesagt. Hannchen im weißen Kleide, wie ein frommer, sanfter Engel, reichte der Schwester die Hand.

Hier hast Du einen Strauß, sagte Sofie, den hebe zum Andenken auf an diesen Tag, daß Du nicht meineidig wirst und Deinen Glauben verleugnest.

Hannchen rannen die Thränen von den Augen, sie war fromm und gut, und fühlte der Schwester Elend.

Uebers Jahr, fuhr diese fort, dann hole aus Lorenzens Garten auch Schneeglöckchen und Immergrün und trag es auf mein Grab, und wenn mein Kind leben sollte, gieb ihm den Strauß in das Händchen, da will ich mich im Himmel darüber freuen.

Die Eltern weinten, und die Schwester weinte, und Sofie fuhr fort: Ja im Himmel! denkt nicht, daß ich da hinausgestoßen werde. Ich bin wieder zurückgekehrt zu meinem Herrn und Heilande, ich fühle wieder seinen Frieden, ich habe meinen Glauben wieder, und keine Macht der Welt soll mir den nehmen. Und bald will ich ihn auch vor der Welt nicht mehr verleugnen. Komm Hannchen, wir wollen ein Vaterunser zusammen beten, und beten: Herr segne und behüte uns.

Die Schwestern setzten sich in das Fenster und beteten leise, und beide Eltern beteten mit.


So war Pfingsten herangekommen. Acht kummervolle Wochen hatte Sofie wieder verlebt. Sie hatte immer gehofft, Lorenzen zum Rücktritt zur Kirche zu bewegen, ja sie wußte, daß er im Herzen nichts dagegen hatte, aber sein Hochmuth hatte das Herz immer wieder schwach gemacht, es fürchtete den Spott der Menschen. Heute aber, ja sie fühlte es, der Herr hatte sie erhört, eben so gewiß als sie ihren nahen Tod fühlte. Sie stand im Garten, sie sah nach der Kirche und dem blühenden Kirchhof. Sie hatte ihr Brautkleid an und war festlich geschmückt, aber sehr blaß und abgemagert sah sie aus. In der Hand hielt sie ein Gesangbuch und einen Blumenstrauß. Da kam der Küster, schloß die Kirchenthüren auf und bald tönte das Festgeläut über das Dorf und über Flur und Wald. Es ward erst vorgeleutet. Aber dort trat der Prediger im Ornat aus seinem Garten und gegenüber kamen ihre Eltern mit Hannchen durch die Kirchhofspforte. Sofie ging schnell zurück in das Haus, Lorenz saß in der Werkstatt, nicht um zu arbeiten, das hatte er nie des Sonntags gethan, denn über der Thür stand von seinem seligen Vater noch eingegraben: »Sechs Tage sollst du arbeiten, den siebenten aber sollst du ruhen.« Sofie ging auf Lorenz zu, reichte ihm die Hand und sah ihn mit ihrem bleichen Gesicht und matten Augen ernsthaft an. Lorenz, ich werde bald sterben, sagte sie leise.

Lorenz seufzte, es kam ihm auch so vor, und die Hebamme hatte noch neulich die Achsel gezuckt und von Auszehrung gesprochen.

An Sterben denken alle Frauen in Deiner Lage, sagte er tröstend.

Sie aber legte ihren Kopf an seine Schulter, faßte seine beiden Hände und flüsterte leise: Wenn ich todt bin und Du hast meinen letzten Wunsch nicht erfüllt, wirst Du keine Ruhe auf Erden und ich keine im Grabe haben. Komm, – es ist alles still auf dem Kirchhof, kein Mensch in der Kirche, ich muß getraut sein.

Sofie!

Lorenz! – ihre Lippen zitterten und wurden immer bleicher.

Ja ja sie stirbt, flüsterte er leise und gedankenlos.

Ja, – ja, fügte sie hinzu, und ich fürchte mich auch nicht, ich habe meinen Gott und seinen Frieden wiedergefunden. O Lorenz, ich habe den Herrn gebeten, er möchte Dein Herz rühren, daß Du meinen letzten Wunsch nicht abschlägst, und ich wußte, Du wirst ihn erfüllen. Lorenz! wie wird mir sein, wenn wir beide getraut sind! Komm, der Pastor und meine Eltern sind schon in der Kirche.

Lorenzen gingen die Augen über, er konnte kein Wort sprechen, ging zum Schrank, nahm die Mütze und die weißen Handschuh und schritt mit Sofien zum Hause hinaus.

Sie traten in die Kirche. Blumenduft erfüllte den Raum, grüne Kränze hingen an den Chören, gelbe Blumen und frisches Gras war auf den Boden gestreut. Herr Gott! Herr Gott! darf ich dein Heiligthum wieder betreten? dachte Lorenz. Der Herr rüttelte gewaltig an seinem Herzen. Als er da kniete vor dem Altar, als der Prediger mit bewegter Stimme den Segen des Herrn für ihn und Sofien erflehte, als er seine Eltern im Geiste vor sich sah, da ward es ihm wunderbar zu Muth, er fühlte die Seligkeit des zurückkehrenden Glaubens. Hier bin ich, Herr! stammelte seine Seele, nimm mich wieder zu Gnaden an. Ach, gegen diese Seligkeit, die ich jetzt empfinde, nehme ich den ganzen Spott der Welt auf mich.

Sie verließen die Kirche. Vor der Thüre blieb der Prediger stehen, Sofie und Lorenz auch, er faßte beider Hände und sah ihnen recht herzlich theilnehmend in die Augen. Und Sonnenschein und blühende Gräber und heilige Stille waren rundum. O wie ganz anders! dachte Lorenz. Ja ja, es giebt einen heiligen Glauben, der dem Menschen die Seligkeit aufschließt. Leugnet nur, ihr Abtrünnigen, es hilft euch nichts, ebensowenig als ihr euer Elend ableugnen könnt.

Die Eltern gingen heim, Sofie und Lorenz traten in den Garten. – Sofie, sprach Lorenz bewegt, jetzt darfst Du nicht sterben.

O wie gern möcht ich jetzt leben, entgegnete diese und sah dabei traurig auf die abgezehrten Hände und zurück auf den Kirchhof, sie schauerte zusammen und Lorenz mit. Aber sie sahe weiter hinauf über die Gräber hinweg in den lichten blauen Himmel. Da lächelte ihr bleicher Mund. Lorenz, der Himmel ist unser, sagte sie, der Herr ist mein Licht, meine Freude, mein Erlöser, ich fürchte den Tod nicht, ich werde Dich dann beschützen und bewachen, daß Dein Herz stark bleibt, daß Du vor Gott wandelst und Dir niemand Deinen Glauben, Deinen Frieden nimmt. – Aber Lorenz drückte Sofien an sein Herz, und es war ihr selig und friedlich im Herzen, sie hätte gleich sterben mögen.


Es war wieder Palmsonntag, Hannchen pflückte Schneeglöckchen und Immergrün in Lorenzens Garten, er selbst trat aus der Hausthür mit einem Kind auf dem Arme. Hannchen reichte dem Kinde den Strauß in das Händchen und alle drei gingen nach Sofiens Grab. Das Kind jauchzte fröhlich auf des Vaters Arm und Hannchen legte bewegt den Strauß auf das Grab. Sie wird sich im Himmel drüber freuen, sagte sie leise. –


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