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Eine Dorfgeschichte.
Martin Born saß mit seiner Schwester und mit seiner Tochter in der sonntäglichen reinen Stube. Der Nachmittags-Gottesdienst war vorüber. Martin hatte die große Familienbibel vor sich, aus der er eben den Frauen vorgelesen. Dorothea, die Schwester, saß ihm gegenüber, ihre Aufmerksamkeit auf das Gelesene gerichtet, während Katharine an dem kleinen Fenster, der Straße zu, stand und zerstreut durch die Scheiben sah. Dorothea wandte sich kopfschüttelnd zu ihr.
Da stehst Du nun, Trinchen, und siehst traurig in den Regen, und hast Deine Gedanken darauf gerichtet, daß Du möchtest zu den jungen Mädchen und zu Deinem Sonntagsvergnügen kommen.
Das sorgt mich gerade nicht, sagte Trinchen leise und wurde roth dabei.
Was denn anders? fragte Martin lächelnd.
Ich hatte so allerhand Gedanken, entgegnete die Gefragte verlegen. Ich dachte auch, es könnte zu viel regnen für unser Roggenstück: es steht so dicht und wenns einmal schwer niederfällt, möchts sich nicht wieder heben.
Ei heute ist Sonntag, nahm Martin wieder das Wort, da sorgt man nicht, da feiert man und ist froh in dem Herrn. Wenn es in der Woche heißt: Du sollst im Schweiße deines Angesichts dein Brod essen, – so heißt es des Sonntags: »Alle eure Sorgen werfet auf Ihn.«
Das Mädchen hat aber nicht so Unrecht, erwiderte die Schwester. Sieh mal, wie die dunkeln Wolken über Schneiders Hof liegen, die Luft ist so schwül, das kann noch schlimm werden, die Woche über hats schon genug geregnet, die Erde kann die Nässe nicht lassen.
Von allen Sorgen sind die ums Wetter doch wohl die eitelsten, Dorthe, fiel ihr Martin ins Wort; denn erstens können wir gar nichts darzu thun, und zweitens hat es der liebe Gott bis jetzt immer recht gemacht. Wir Alten habens genugsam erfahren, aber doch heißt es bald: Was soll aus dem vielen Regen werden? wo wills nur hin mit dem vielen Wasser? das Korn muß auf dem Feld verfaulen; bald heißt es: Du Gott, was für eine Hitze; es sengt und brennt da außen alles, das kann gar nicht gut gehen und giebt eine jämmerliche Ernte! Und so klagst Du auch, Dorthe, und klagst jedes Jahr wieder so, und solltest doch endlich wohl zum Glauben gekommen sein, daß der Herr noch nichts versehen hat in seinem Regiment. Freilich giebt er oft reichlich, oft giebt er knapp, aber das thut er, um zu zeigen beides, daß er ein barmherziger Vater und daß er der Herr ist, der Macht hat zu geben und nicht zu geben, und daß wir in Zeiten der Noth sollen an seiner Gnade hangen und von den Gütern nehmen, die er immer für uns bereit hat. Und, Dorthe, denke mal dran, diese Gnadenzeiten waren doch immer segensreicher für unser wahres Heil, als die Zeiten der irdischen Fülle, wo wir beten mußten: Herr, führe uns nicht in Versuchung. Laß uns nur immer an das Ende der irdischen Herrlichkeiten denken, und daß, wenn sie aus sind, wir nicht gar zu arm einst vor den Herrn treten, so wird uns das, was noch Noth thut, von selbst schon zufallen. Der liebe Gott setzte er lächelnd hinzu, läßt uns ja alle drei nicht hungern.
Martin hatte kaum geendet, als ein heftiges Brausen die Luft erfüllte. Die dunkeln schweren Wolken, die auf den Dächern ruhten, wurden durch einen Wirbelwind in Bewegung gesetzt und der Regen stürzte in Strömen nieder. Ziegel flogen von den Dächern, der alte Birnbaum am Fenster beugte die Zweige fast zur Erde nieder und Blätter und Früchte flogen nach allen Seiten. Der Hofhund, der es sich bis jetzt so gemüthlich auf den Kopf regnen ließ, kroch schnell in die Hütte. Hühner und Tauben suchten eilig ein Obdach, und die Gänse und Enten duckten sich und steckten die Schnäbel tief in die Federn.
Herr Gott! ein Wolkenbruch! stöhnte Dorthe. »Herr, erbarme dich unser!
Katharine trat bestürzt einen Schritt zurück und starrte das ungewöhnliche Schauspiel an. Martin aber näherte sich dem Fenster. Schweigend sah er in das wüste Treiben des Unwetters, seine Lippen bewegten sich leise.
Schon nach zehn Minuten ließen Sturm und Regen nach, aber das Wasser strömte durch die Straßen, Steine und Erde und Unrath mit sich führend.
Das giebt für uns eine Prüfungszeit, sagte Martin bewegt.
Dorthe rang krampfhaft die Hände und ihre Thränen flossen reichlich.
Nach und nach hörte der Regen ganz auf, der Himmel ward heller und die stillen Straßen des Dorfes belebten sich. Hier sah ein Kopf durch das Fenster, dort traten die Leute vor die Hofthür, und Verwunderung und Klagen wurden sich von allen Seiten mitgetheilt. Einzelne Hausväter schritten zum Dorfe hinaus, um ihre Felder zu besehen, und auch Martin zog seine großen Stiefel an, nahm Mütze und Stock zur Hand, und ging zur hintern Hofthür nach dem Felde hinaus.
Martin war Kossath im Dorfe Langenfeld, er hatte das kleine Gut vom Vater verschuldet übernommen, und Krankheiten und mancherlei Unglücksfälle machten es ihm unmöglich die Schulden abzutragen. Der Ertrag des Gutes reichte kaum immer hin, die Zinsen des geborgten Kapitals und die Ausgaben seines kleinen Haushaltes zu decken. Eine einzige ganz ausfallende Ernte mußte ihn fast zu Grunde richten; denn die innere Wirthschaft gab nichts her, um ungewöhnliche Ausgaben zu decken. Ein Pferd, zwei Kühe, etliche Schafe und Schweine waren das nöthige Vieh, um den Acker in Stand zu halten; verkaufen konnte er davon nichts, denn Martin war ein ordentlicher Wirth und ließ es nicht gern am Nöthigsten fehlen. Und wenn er, bei seinem frommen Sinn, nicht mit so viel Umsicht und Fleiß gewirthschaftet hätte, wäre er wohl nicht so weit gekommen. Er war im Stande, seine kränkliche Schwester zu sich zu nehmen, seine Frau jahrelang auf dem Krankenbette zu erhalten, und dabei es doch bei der Erziehung seiner Tochter an nichts fehlen zu lassen.
So hatte der liebe Gott ihm sein festes Vertrauen immer gelohnt und ihm in mancherlei Trübsal beigestanden. Aber heute mußte er doch alle seine Seelenkraft zusammen nehmen, um nicht zu verzagen. Draußen im Felde das war ein herzzerreißender Anblick! Das Roggenstück, das er noch gestern Abend in üppiger Kraft und Blüthe gesehen, war völlig vom Wetter zerstört. Flach lag es nieder, das Wasser war darüber hingeflossen und hatte die Halme durch einander gewirbelt. Wie große Hoffnungen hatte er gerade an dies Feld geknüpft! Zwei, ja drei Wispel hätte er davon zum Verkauf bringen können, er hatte schon mit Freude an manche Verbesserungen seines Hofes gedacht, und so arm an irdischem Glück, hatte ihn der ungewöhnliche Segen auf seinem Felde in diesem Jahre nicht unbewegt gelassen. Dorthe, die in ihrem Herzen nicht so fest wie der Bruder war, hatte sogar von allerhand Dingen der Eitelkeit geredet. Durch einen neuen Umhang sollte Martins Bett die Stube schmücken, und Katharine sollte einen modischen Sonntagsanzug haben, denn Dorthe konnte es längst nicht ohne Herzeleid mit ansehen, daß das Mädchen in den geerbten altmodischen Kleidern der Mutter gehen mußte, wenn diese Kleider auch eigentlich noch recht gut waren, und die alten Leute im Dorfe sich immer freuten, Katharinen in der alten Mode zu sehen, die doch ewig viel schmucker läßt, als die neue, meinten sie. Selbst die jungen Burschen fanden Katharinen trotz dieser Tracht das schmuckeste Mädchen des Dorfes. Aber Dorthe war doch nicht damit zufrieden, es war einmal nicht mehr Mode, und wenn andere Kossathentöchter den Aufwand machen konnten, so konnte es Katharine auch, und brauchte sich nicht von den anderen Mädchen darüber aufziehen zu lassen.
Martin hatte die eiteln Reden seiner Schwester ruhig mit angehört, ja er wäre wohl, wenn es mit den zwei Wispeln Ueberschuß seine Richtigkeit hätte, auch darauf eingegangen. Jetzt schämte er sich seiner Thorheit und seines Weltsinnes, und stand tief beschämt vor dem Strafgerichte des Herrn, wie er es in seinem Herzen nannte. Nicht allein das Roggenfeld war verwüstet, auch Hafer und Gerste lagen zerknickt, und nur einzelne Halme noch standen. Und das Flachsstück, über das sich Katharine den ganzen Sommer gefreut, nach dem sie manchen Abend ihren Gang gethan hatte, die Halme gemessen und dann so keck vorausgesagt, wie lang sie noch werden müßten, – es waren kaum noch die Spuren davon zu sehen. Martin stand traurig vor seinem zerstörten Glücke. Aber seine Blicke gingen weiter, er war nicht allein getroffen, die Hälfte der Feldmark von Langenfeld hatte der Wetterzug verwüstet. Sein nächster Nachbar, der Ackermann Bruns, kam eben mit langen Schritten auf ihn zu.
Das ist eine ganz infame Geschichte, Gevatter Born! rief er mit großer Heftigkeit ihm entgegen. Kreuzdonnerwetter! was soll denn daraus werden? Ich glaube, wir beide sind am schlimmsten dran, ich bin total verunglückt; Ihr habt doch wenigstens Euer Kartoffelfeld noch stehen.
Ja, Gott sei Dank! sagte Martin freudig.
Bruns sah erstaunt auf Martins ruhiges, Gott ergebenes Gesicht.
Na, Gevatter Martin, das muß ich sagen, rief er kopfschüttelnd, Ihr seid ein rechter Phlegmatikus, denn mich hat doch das verdammte Wetter noch nicht zu Grunde gerichtet, ich habe allenfalls was zuzusetzen; aber was aus Euch werden will, das weiß ich nicht.
Ich auch nicht! lächelte Martin. In so schwierige Sachen misch ich mich auch nicht.
Wie so denn? fragte Bruns.
Ei, weil der liebe Gott es wohl besser verstehen wird. Er ist der Hüter meines Lebens, er wird mich auch nicht verlassen.
Das muß ich sagen! sagte Bruns mit abermaligem Kopfschütteln.
Seid Ihr anderer Meinung? fragte Martin lächelnd. Jedenfalls verliert man mit solchen Gedanken den Kopf nicht so leicht, und hat sich auch eine schwere Last vom Herzen gewälzt. Ist man erst so recht ruhig in sich, kommen einem noch zuerst die Gedanken, wie man selbst Hand anlegt, sich zu helfen.
Bruns hätte ihm gern eine Antwort gegeben, wie sie seinem Unglauben nahe lag, als z. B.: Ei, wie kann der liebe Gott sich um jedes Ackerstück in allen Dörfern bekümmern! und was hilft da nachher seine Hülfe? Was verregnet ist, ist verregnet! Aber er schämte sich, dem armen alten Manne, der so viel verloren hatte, noch seinen einzigen Trost zu nehmen, und dann war etwas in Martins Wesen, das ihm eine gewisse Scheu einflößte, die er sich selbst nicht erklären mochte. Er sagte, indem er ein hochmüthiges Gesicht machte: Na, ein jeder thuts auf seine Weise; ich wünsche, daß es Euch gut gehn mag. – Mit diesen Worten schritt er in die Furche fort, und Martin schickte sich zum Heimweg an.
Während dessen war Dorthe in großer Unruhe zu Hause, und als diese Unruhe unerträglich wurde, ging sie dem Bruder entgegen, um zu hören, was das Wetter angerichtet.
Als Dorthe das Haus verlassen und Katharine allein darinnen war, stellte sie sich wieder an das kleine Fenster nach der Straße hin, und sah gedankenvoll hinaus. An das Unwetter dachte sie nicht mehr. Sie hatte wohl daran gedacht, und das Herzeleid des Vaters und der Muhme Dorthe ging ihr nahe, aber sie hatte gutes Vertrauen, es mochte nicht so schlimm sein, – wie denn überhaupt die Jugend alles leicht nimmt und meint, schon Rath zu wissen. Katharine fühlte sich gesund und rüstig und wollte allenfalls dem Vater und der Muhme durchhelfen. Jetzt waren ihre Gedanken drüben im großen Ackerhofe gegenüber, ihr Herz hing an Heinrich Scheider, dem einzigen Sohne des reichen Bauern. Sie wußte auch, daß er sie eben so lieb hatte, als sie ihn; aber sie ließen beide nichts laut davon werden, weil sie doch noch nicht auf Glück rechnen konnten. Heinrich war der Sohn eines reichen Vollspänners und Katharine die Tochter eines armen Kossathen, und niemand dachte wohl daran, daß beide ein Paar werden könnten, als sie selber. Heinrichs Vater war ein stolzer Mann, und zugleich stand er unter dem Pantoffel seiner zweiten Frau, Heinrichs Stiefmutter, die noch stolzer und herrschsüchtiger als der Vater war und das ganze Haus regierte. Diese hatte längst über Heinrich bestimmt, daß er die einzige Tochter eines weitläuftigen Anverwandten in Strehlau und somit in einen anderen Hof hinein heirathen sollte. Seine junge Stiefschwester aber sollte in des Vaters Hof bleiben und der Mutter Schwester Sohn, Fritz Wendau, nehmen, der seinem älteren Bruder den väterlichen Hof überlassen mußte und noch ohne Unterkommen war. Heinrichs Vater, so wie die übrigen betheiligten Eltern fanden den Plan viel zu gut, als daß sie etwas daran ausgesetzt hätten. Die meisten reichen Bauern fragen nicht, wenn sie ihre Kinder verheirathen wollen, nach dem Werth der Menschen, und wie sich die Herzen zusammen fügen möchten, sie fragen eifriger nach dem Werth der Güter, und wie sich das Vermögen wohl in einander schicken möge, obgleich sie es oft in Beispielen sehen, daß nur Unsegen aus solchen Ehen kömmt; ja ob sie es selbst erfuhren, sie kehren sich doch nicht daran. Da heißt es: Für meine Tochter ist kein Hof im Dorfe, ich muß mich auswärtig danach umsehen. Anstatt daß ein redlicher Vater sagen würde: Ich weiß keinen Mann im Dorfe, dem ich das Glück meiner Tochter anvertrauen möchte, der ihr ein treuer Führer sei und für ihr zeitliches und besonders für ihr ewiges Heil möchte getreulich Sorge tragen.
Die alten Scheiders meinten auch bei der Versorgung ihrer Kinder: wenn sie nur recht im Vollen sitzen, wird sich das Uebrige schon finden. Und sie wären wohl grimmig gewesen, wenn sie des Sohnes Gedanken gewußt hätten.
Heinrich war diesen Sonntag Nachmittag bei guten Freunden, wohin auch Katharine mit den anderen jungen Mädchen hatte kommen wollen. Bei dem Unwetter dachte Heinrich eher an Martins als an seines Vaters Felder; es war kaum vorüber, da lief er schon hinaus und sah die Zerstörung, ehe Martin sie sah. Ganz bestürzt kam er nach Haus, und seine Eltern konnten seine Betrübniß nicht begreifen, da doch ihre Felder ganz unversehrt geblieben waren. Heinrich dachte nur immer an den Jammer drüben bei Borns und hätte mit seinem Herzblut helfen mögen. Endlich als es dämmerte, lief er, um Katharinen zu sprechen, in das Gäßchen gegenüber, das an Borns Hof entlang nach dem Felde führte. Katharine hatte ihn aus der Hofthür kommen sehen, und machte auch schon das kleine Kammerfenster auf und reichte ihm freudig die Hand.
Heinrich drückte sie bewegt und sagte hastig: Trinchen, sei nicht traurig, ich helfe Euch.
Ists so schlimm? fragte Katharine.
Du weißt noch nicht? Es ist schlimm, ja; aber ich helfe Euch. Dabei drückte er ihr ein ledernes Beutelchen in die Hand. Das gieb Deinem Vater, ich gebs gern, weiß Gott! setzte er noch hinzu, und sein Gesicht leuchtete vor Freuden.
Und Du meinst, ich könnte das Geld geben? sagte Katharine erschrocken.
Heinrich stutzte. Warum denn nicht?
Da möchte er sich wohl wundern, versetzte Katharine und ward feuerroth. Nein, das geht nicht. Ich gebs ihm wahrlich nicht.
Nun wohl, ich kanns ihm selber geben, sagte Heinrich etwas verdrießlich, – ich hatte nicht gleich daran gedacht.
Ja, thus! entgegnete Katharine tröstend. Wenn Du hier den Feldweg entlang gehst, begegnest Du dem Vater und Dorthen. Und Du sollst auch bedankt sein, Heinrich, setzte sie leiser hinzu und reichte ihm die Hand.
Heinrich hielt ihre Hand mit beiden Händen fest. Ich lasse Dich nicht, Trinchen, paß auf! sagte er mit kräftiger Stimme und wandte sich dann eilig von ihr.
Trinchen sah glücklich ihrem treuen Heinrich nach, und bemerkte, in Gedanken vertieft, kaum, als der Vater und Dorthe in die Stube traten.
Martin war schweigsam, Dorthe desto redseliger. Die Gewißheit des Unglücks war ihr erträglicher als die Ungewißheit, und durch Reden mußte sie ihrem Herzen Luft machen.
Das Unglück ist da, Trinchen! sagte sie; aber wir wollens mit dem Herrn tragen. Dein Flachsfeld zu sehen, das ist ein Herzeleid. O ich weiß, was es sagen will, wenn die anderen Mädchen lustig braken und hecheln und ihre Freude an der Arbeit haben, und man hat nichts zu thun.
Trinchen liefen die Thränen über die Backen, aber sich selbst tröstend sagte sie: Haben wir doch noch Flachs-Vorrath, Dorthe, da wollen wir, haben wir nichts anders zu thun, fleißig spinnen, und künftig Frühjahr freut uns dann die große Bleiche.
Es giebt freilich immer was, das einen freuen kann, sagte Dorthe, thut man nur die Augen auf. Ein großes Glück ist, daß wir so viel Kartoffeln ausgepflanzt haben, da essen wir fleißig Kartoffeln, und das Vieh auch. Was aus dem armen Thier wird, aus dem Fuchs, das weiß ich nicht. Hafer giebts ganz und gar nicht. Aber das wird sich auch finden. Und noch eine Freude muß ich Dir sagen, denn es thut doch wohl, wenn man guten Menschen in die Herzen sieht. Eben als wir den Feldweg entlang gingen, kam uns der Heinrich Scheider entgegen, und wollte dem Vater 100 Thaler Gold geben, als ein Anlehn, sagte er, und man sahs ihm an, wie gern er es los gewesen wäre; aber der Martin wollts nicht, und hat auch Recht.
Wollts nicht? fragte Katharine verlegen.
Ei wie durft ers nehmen, von dem jungen Burschen, so hinter dem Rücken der Alten? Denn das mußte der Heinrich wohl gestehen, daß die nichts davon wissen. Er sagt aber, es wäre sein erspartes Geld, und Michaelis wird er volljährig, da kriegt er sein ganzes Mütterliches, und könnte mit schalten und walten. Doch Martin blieb dabei, er wollte nichts Heimliches mit ihm zu schaffen haben. Aber er drückte dem Burschen die Hand, und die Thränen standen ihm in den Augen, als er sagte: Gott behüt dich, Heinrich.
Katharinen standen auch die Thränen im Auge. Das freut mich mehr, als mich unser Unglück jammert, sagte sie hastig.
Dorthe sah sie von der Seite an, und schnell verließ Katharine die Stube, um das verspätete Abendbrot aufzutragen.
Martin betete heute das Tischgebet brünstiger als je, dies war die einzige Veränderung, die an ihm wahrzunehmen war. Nach dem Abendbrot nahm er wieder die große Bibel zur Hand, alle drei setzten sich um den Tisch, und Martin laß Matthäi 6, 24-34, wo es da heißt von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln unter dem Himmel, und wo es da heißt: »Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.« Dorthe und Katharine hörten andächtig zu, und beim Zubettgehen mußten sie sich alle drei gestehen, doch gar nicht so großen Kummer zu empfinden, ja eine feste, freudige Zuversicht hatte sich ihrer Herzen bemeistert.
Es wird besser als wir denken, sagte Martin heiter, denkt an mich, daß ichs gesagt habe.
Es war in der Ernte. Frau Martha Scheider hatte genug zu thun, um die vielen Leute, die auf ihrem Hofe beschäftigt waren, satt zu machen. Sie saß mit Bertha, den vornehmen Namen hatte sie ihrer Tochter gegeben, im kühlen Hausflur, und beide schnitten Brot zur Bier-Kalteschale. Da eben schwankte wieder ein volles Fuder in den Hof herein. Der Herr des Hofes ging nebenher, und als er es bis zur Scheunenlucke geleitet, trat er, sich den Schweiß abwischend, in das Haus.
Das ist eine kannibalische Hitze! stöhnte er. Nun, Bertha, flugs eine Tasse Kaffee. Hitze muß Hitze vertreiben.
Bertha holte aus der Küche die große Kaffeekanne, setzte eine Tasse und Butter und Brot dazu, der Vater zog anstatt des Rockes eine Kattunjacke an und ließ es sich wohl schmecken.
Mit dem Fuder seid ihr gewaltig lange geblieben, sagte Martha verdrießlich. Aber so ists, je mehr Leute, je mehr Faulheit. Das Volk möchte je länger je lieber auf uns los fressen.
Es ist so heiß, sagte Bertha schüchtern, indem sie ihr blasses Gesicht und die stillen braunen Augen zur Mutter wandte.
Halt den Mund, Du verstehst das nicht! rief Martha geschäftig, und sich wieder zu ihrem Mann wendend, der ihr gerade mit vollen Backen gegenüber saß, fuhr sie fort:
Und denn, Andreas, bin ich in allem recht ärgerlich: Heinrich sagte beim vorletzten Fuder: die zwanzig sollten wir uns nur aus dem Sinn schlagen, es ginge nun zu Ende.
Ich dachte, Du könntest Dich zufrieden geben mit unsrer Ernte, fiel ihr Andreas in die Rede; denn alle Welt hat mich angeschrieen, daß wir doch so viel haben. Und richtig ists, wir sind die einzigen, denen das Wetter im Sommer kein Eckchen Feld getroffen hat.
Nun, nun, heute mir, morgen dir, sagts Sprichwort. Das ist nur eben so viel. Aber daß Du mich an das Wetter erinnerst: ich will wetten, unser Heinrich ist bei der Geschichte im Spiel, wo den Borns drüben heimlich ein Fuder Roggen und ein Haufen Flachs auf den Hof geworfen ist. Mich schwant es immer, aber heute erzählte der alte Christian, daß er, wie er dieselbe Nacht ist zum Mähen gegangen, hat den leeren Wagen nach Immecken fahren sehen. Heinrich war vierzehn Tage vorher in Immecken beim Vetter Schnaken, und der ist so ein Bengel, daß er könnte in solche Verrücktheiten eingehen.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagte Andreas wieder ruhig. Und wenn ich das alles glauben wollte, was Du in Deinem Leben ausspekulirt hast, ich wäre nicht aus dem Feuer gekommen.
Du hast freilich im Leben nicht viel spekulirt, warf sie ihm höhnend hin; aber warte nur, ich will die Sache schon ins Reine bringen. Neulich sprach ich mit der alten Dorthe, die that so schmunzelig, ich hätte bersten mögen vor Aerger. Dieses Lumpenvolk denkt am Ende gar, es könnte mit dem Heinrich was werden! Na aber wahrhaftig, Gott soll mir beistehn, ehe ich das leide.
Verschwör dich nicht! sagte Bertha erschrocken; denn wenn es Heinrich doch thäte, und Ihr es zugeben müßtet –
Zugeben? im Leben nicht! fiel ihr der Vater heftig in das Wort, und nahm so seiner Frau die Rede aus dem Munde. So wahr ich Andreas Scheider heiße und weiß, was ich vorzustellen habe.
Dieses Pack! fuhr Martha fort, ich möcht es nicht beim Wege ansehn. Die Jungfer darf hier eben so wenig in das Haus kommen, wie meine Füße mich mein Lebtag nicht in die Butique tragen. Recht muß Recht bleiben.
Hier hielt sie erschrocken inne. Mit festen Schritten trat Heinrich in das Haus. Sie merkte ihm an, daß er ihre Rede mit angehört. Er trat dicht vor sie hin, steckte beide Hände in die Lederhose und sagte sehr ernsthaft: Du weißt doch Mutter, daß ich künftigen 15ten 25 Jahre werde.
Freilich weiß ich das, sagte sie etwas verlegen, aber immer noch schnippisch genug.
Nun, der Zeitpunkt ist da, fuhr er mit etwas unsicherer Stimme fort, meine Meinung zu sagen. Ich wollte erstens Dank sagen für die Liebe und Sorge, die Du an mich gewendet hast, und ich werde Dein dankbarer Sohn bleiben mein Leben lang, das ist richtig. Aber zweitens wollt ich auch sagen, daß ich von jetzt an für mich allein sorgen und keinen anderen Menschen damit belästigen will. Und aus der Heirath mit Gustchen Stillau wird nichts, die schlagt Euch nur aus dem Sinn.
Heinrich holte tief Athem, und es entstand eine Pause. Der Vater setzte die Tasse aus der Hand und machte große Augen, die Mutter wurde blaß und roth, und Bertha war zu Heinrich getreten und sah die Eltern angstvoll an. Doch nur einen Augenblick währte dies. Der Mutter lief die Galle über.
Sagt ichs nicht lange? rief sie zornig: die Person, die Katharine, steckt ihm im Kopfe.
Daß die Mutter den gefürchteten Namen zuerst nannte, und die Art, womit sie es that, machte ihm das Geständniß leichter, als er es gedacht. Gereizt fuhr er auf. Ja, ja, diese Person, diese Katharine, werde ich nehmen, und keine andere. Dann aber setzte er sanfter hinzu: Ich will aber dadurch keinem Menschen zu nahe kommen.
Die Mutter lachte höhnisch. Keinem zu nahe kommen? So albern zu reden! Aber das hörst Du jetzt. Die Katharine darf sich hier nicht einfinden. Entweder ich oder sie.
Davon ist hier nicht die Rede, fiel ihr Heinrich ins Wort, Trinchen soll hier keinen verdrängen; ich denke, Martin Born wird mich in seinen Hof nehmen, und wenn ich mein mütterliches Vermögen dazu nehme, bin ich ganz und gar zufrieden. Ich trachte nicht nach großen Dingen, Bertha behält den Hof, und Ihr könnt damit schalten und walten nach Belieben.
Der Mutter kamen diese Worte zu unerwartet. Sie sah Heinrichen groß an, machte jedoch gleich einen Schlachtplan, um die Sache zu ihrem Vortheil zu leiten. Bertha hatte sich indessen zärtlich an den Bruder, den sie über alles liebte, gelehnt und sagte weinend:
Nein, Heinrich, Du bleibst im Hof, ich mag Dich nicht fortdrängen.
So ein unverständiges Kind! Ueberall muß sie sich zwischen drängen! rief Martha. Schweig Du nur, es wird sich alles finden.
Ja, es wird sich finden, sagte der Vater, indem er nahe vor Heinrich hintrat. Mein einziger Sohn wollte wohl gar in einen Kossathenhof gehen? – Er lachte höhnisch. – Daraus wird nichts.
Wenn ihr Trinchen nun einmal hier nicht haben wollt, so muß ich schon in den Kossathenhof, erwiderte Heinrich. Denn das steht fest, sie wird meine Frau und keine andere.
Der Vater wollte eben etwas derbe antworten, als ihm die Mutter in die Rede fiel.
Nur nicht heftig! damit ist nichts geholfen. Wir wollen die Sache beschlafen, morgen ist Sonntag, da läßt sich das gut besprechen. Heinrich ist ein vernünftiger Junge, wir wollen schon einig werden.
Auch gut! sagte der Vater. Aber das will ich nur sagen, ich setze keinen Fuß drüben in das Haus, merke Dir das, keinen Fuß.
Das wird dann der liebe Gott regieren, entgegnete Heinrich ruhig.
Der liebe Gott kann machen, was er will, und ich kann machen, und ich sage noch einmal, mit der Sippschaft drüben laß ich mich nicht ein, und wenn Du es thust, kannst Du Dir vorstellen, daß Du einen Vater gehabt hast.
O doch, doch, Vater! sagte Heinrich mit weicher Stimme: Du wirst es bleiben.
Heinrich, schweige! fiel die Mutter ein, und er fühlte bei dem Tone dieser Worte, daß er sie auf seiner Seite hatte.
Und so war es. Daß Heinrich auf den Hof verzichtet hatte, war ihr genug, sein Schicksal lag ihr nicht weiter am Herzen, und ihr gekränkter Stolz, Nachbar Borns als so nahe Verwandte zu sehen, wurde durch ihren Geiz besiegt. Sie hatte in Hinsicht des Hofes mit Heinrich immer große Schwierigkeiten gefürchtet; Heinrich hatte einen festen Sinn, und obgleich er immer freundlich und gehorsam gegen sie war, so wußte sie wohl, daß er sich bei einer so wichtigen Sache, wie eine Heirath ist, nicht würde einreden lassen, und daß seine bestimmte Braut ein so reiches Mädchen war, würde ihn auch nicht überreden, denn er hatte absonderliche Grundsätze, und Martha hatte eine geheime Furcht vor Heinrich nicht ganz überwinden können. Nichts konnte ihr erwünschter sein, als nun so leichten Kaufes ihr Ziel zu erreichen.
Am andern Morgen, es war gerade unter der Kirche, saß Martha schmeichelnd Andreas gegenüber. Eine Flasche stand vor ihm, und ein Glas nach dem andern schenkte sie ein. Mit jedem Glase ward er bereitwilliger, in die wohlüberlegten Pläne einzugehn, und war zuletzt mit allem einverstanden. Nur die Bedingung stellte er sich, daß die Sache ihn dem Dorfe gegenüber nichts angehen solle, und daß er mit Borns überhaupt nichts zu thun haben wolle. Von einer Hochzeit kann keine Rede sein! beschloß er diese Bedingung.
Desto größer soll Berthen ihre werden, schmunzelte Martha.
Ich gebe ihm sein Mütterliches und lasse ihn laufen! sagte Andreas mürrisch.
Das war Marthen gerade recht, und sie suchte den Aerger, den Andreas gegen seinen Sohn hatte, gar nicht weiter zu bekämpfen, sie wollte ihn vielmehr benutzen, die Auseinandersetzung für die Tochter so gut als möglich zu machen.
Und so geschah es. Sehr bald darauf wurde alles gerichtlich gemacht und der Tochter das Gut zugeschrieben. Heinrich erhielt außer seinem Gelde noch einen Kossathenhof, der dicht neben dem Bornschen lag, und dessen Wohnhaus an geringe Leute vermiethet war, während die Aecker, Scheunen und Ställe von Andreas in seiner Wirtschaft mit benutzt worden waren. Martha war nie glücklicher und stolzer gewesen, sie hatte alles erreicht und glaubte nun, um das Glück ihres ferneren Lebens nicht mehr sorgen zu dürfen.
Es war wieder ein Jahr um und war derselbe Sonntag, wo im vergangenen Sommer das Unwetter kam. Martin saß mit Dorthen im Gespräch.
Unrecht ist es, sagte er, daß uns die Scheiders nicht zur Hochzeit geladen haben, aber noch mehr Unrecht, wenn Du Dich ärgerst drüber. Wir haben alle Ursache, froh und glücklich zu sein, und dürfen uns keine Stunde unser Leben verbittern.
Das ist wahr, Bruder, antwortete Dorthe, und ich bezwinge mich auch, aber der Mensch ist schwach, und es ist doch zu abscheulich von den Menschen. Wenn ich denke, wie unser Trinchen im Frühjahr Hochzeit hatte, daß Du selbst hingingst und sie eingeladen hast, – und ich kanns schon denken, nur allzu höflich, und wie sie auf diese freundliche Einladung so schnippisch gewesen.
Laß doch das. Wer sagts denn? unterbrach sie Martin ärgerlich.
Bertha selbst hats gesagt. Das gute Kind! sie weinte. Sie hat den Heinrich lieber als ihre Eltern. Wort für Wort erzählte sie die Geschichte, wie ihr Vater auf Deine freundlichen Worte kaum gehört und endlich hochfahrend gesagt: Nun laßts gut sein, Nachbar, macht die Sache im Stillen ab; wir beide haben Abhaltung. Die Martha hat dabei gehohnlächelt und mit den Fingern stillschweigend auf dem Tisch getrommelt. Das nenne ich hochmüthig! Und sie hätten sich der Gesellschaft hier nicht zu schämen brauchen, und zugerichtet hatte ichs gewiß alles, wie man es verlangen kann.
Martin hatte lächelnd zugehört. Siehst Du, Dorthe, sagte er, Du kannst vom Stolz auch nicht lassen, der Hochzeitenaufwand ist Dir doch nahe gegangen.
Alles was sich gehört! antwortete Dorthe etwas verlegen, fuhr aber bald gesammelt wieder fort: Martha ist an allem Schuld, sie hat den Andreas aufgehetzt. Ist das nicht gottlos, seinen einzigen Sohn zu verleugnen? Denn wenn Bertha nicht drauf bestanden wäre, hätten sie auch Trinchen heute nicht zur Hochzeit geladen. Und bei Marthen ists nicht bloß Stolz: denn eigentlich ist sie ja froh, daß sie den Heinrich auf diese Art los ist und ihre Wünsche erreicht hat. Bei Marthen ists Neid, Aerger und Zwietrachtsgeist, sie hat Trinchen das Glück nicht gönnen wollen.
Nun hast Du aber genug gestraft, sagte Martin unwillig. Ich denke, wir haben zu ganz andern Gesprächen Ursache. Denke an voriges Jahr.
Dorthe nickte gerührt, ihr weiches Herz hatte sich schnell den Gedanken des Bruders zugewendet. Dieser fuhr fort: Denke, wie wir da heute saßen, in tiefster Seele betrübt und zerschlagen, es fehlte uns am Nöthigsten und wir hatten keine anderen Gedanken, als wie uns zu helfen wäre. Und wie wir dann mit Jammer und Mühe uns an die Arbeit machten, das Feld zu reinigen von Sand und Unrath, und wie ich der sauren Arbeit unterlag und mich legen mußte, und so lange schwer krank danieder lag. Wir zagten bange, denn wir wußten nicht, wie gut der Herr es meinte, und daß durch all dies Unglück unser Glück nur schneller herbeigezogen wurde. Und so ists auch wahr geworden, was ich da am Tage der größten Sorge hier in meinem Schatzkästlein aufschlug. – Martin nahm ein kleines in Leder gebundenes Buch zur Hand und las:
»Ich will mein gnädiges Wort über euch erwecken, denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr, nämlich Gedanken des Friedens, und nicht des Leides, daß ich euch gebe das Ende, deß ihr wartet. Ihr werdet mich bitten und ich will euch erhören, ihr werdet mich suchen und finden. Ich will euer Gefängniß wenden, denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, hält er gewiß. Denn so er spricht, so geschiehts, so er gebeut, so stehts da. – Wäre in der Noth so leicht zu glauben, daß er wahrhaftig sei, warum gäbe er so viele Verheißungen? Glaubest du es recht, du wirst es auswarten, aber oft schwer genug.
Denn die Hülfe verziehet nicht nur, sondern es folget wohl just das Widerspiel, alles dem Worte entgegen, als wenn nichts mehr wäre. Da denke: Das ist Gottes Weg, sein Wort zu erfüllen, er geht stets per contraria. Er hilft erst im Innern, daß die äußere Hilfe recht gebraucht, selig und also zwiefach sei.
Gottes Wort bleibt ewig stehen;
Was uns Gott verheißen hat,
Muß doch endlich in der That
Pünktlich in Erfüllung gehen.
Da ist fester Grund zu fassen.
Gott kann alles; dieses nicht:
Daß er das, was er verspricht,
Sollte unerfüllt lassen.
Martin legte das Buch fort und sagte dann, indem er die gefalteten Hände in den Schooß legte, mit gerührter Stimme: Dorthe, wenn ich bedenke, welche Wohlthaten mir der Herr nach meinem geringen Leiden geschickt hat, da muß ich sagen: »Herr, ich bin nicht werth aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knechte gethan hast;« denn ich war wohl oft schwach und habe gebangt, und hätte mehr Vertrauen zum lieben Vater im Himmel haben sollen. Wenn ich mir die Stunde vorstelle, wo es schlecht mit mir ging, und ich da im Bett lag und dachte: Du mußt in Noth und Kummer auf einem langen Krankenlager liegen, und wenn du todt bist, was wird aus Dorthen, was wird aus Trinchen, dem armen Kind? wem wird sie in die Hände fallen? und noch mehr solche Gedanken. Und die Fieberangst stieg immer mehr zum Herzen, und ich konnte kaum athmen. Da that sich die Thür auf, – o ich möchte schamroth werden, der liebe Gott schickt mir wie einen Boten, gerade von ihm gesandt, den Heinrich. Schon als ich sein treuherziges Gesicht sah, war es mir ein Trost, und nun grüßt er und nahm meine Hand und sagte warm: Vater Born, ja ich habe Euch längst wie meinen Vater geliebt, und nun seid Ihr alt geworden und Ihr seid schwach, die Last wird Euch zu schwer, nehmt mich auf bei Euch, ich will alle Eure Arbeit verrichten, ich bin gesund und habe die Kräfte. Ja, laßt mich Euren Sohn sein und Trinchen meine Frau. – Ich dachte erst, es wäre ein Traum und sagte: Heinrich, das könnte Dich doch gereuen, Du kommst hier so recht in die Armuth hinein. – Wie er da böse ward und sagte: Ich dachte, Ihr kennt mich besser, was ich einmal überlegt habe, das steht fest, ich bin Trinchen gut, seit sie 14 Jahr alt war, und ich kann sagen, daß ich meine Gesinnung nie gegen sie geändert habe. Hat Trinchen kein irdisch Gut, so hab ichs; ich denke, das paßt sich gut. Und wenn ich denn des himmlischen Segens theilhaftig werde, der auf Eurem Haus ruht, so bin ichs wohl zufrieden, und paßt sich auch so gut. So geben und nehmen wir beide und tauschen unsere Güter aus. Trinchen ist mein Leben und mein Glück. – Da trat Trinchen aus der Ecke her, er reichte ihr die Hand und sah sie mit einem rechten Seelenblick an, aus meinen Augen liefen Thränen, ich nahm seine andere Hand und sagt ihm: Ich dachte nicht, daß der liebe Gott mich wollte so glücklich machen und mir solchen braven, lieben Sohn bescheeren. Wir weinten alle drei, und ich flehte des Herrn Segen auf uns herab, und der Herr hats gehört, er wird nie seine gnädige Hand von uns ziehen und das Glück unserer Herzen stören. Und nun, Dorthe, wenn der Herr uns glücklich gemacht hat, wären wir wohl recht gottlos, sollt es uns härmen, daß wir nicht zur Hochzeit geladen sind. Stachelt Dich Dein gekränkter Stolz, so denke, das ist der Pfahl im Fleische, daß ein jeder Tag seine Plage habe, und laß uns wachen, daß der Feind uns nicht über den Kopf wachse.
Martin sprach noch mehr und hatte Dorthen bald ganz beruhigt. Sie saßen beide in friedlicher Stimmung bei einander, während die Hochzeitsmusik drüben von Scheiders herüberschallte.
Da drüben sah es indessen nicht so ruhig aus. Das Kaffeetrinken war vorüber, die Männer waren zum Bier und andern geistigen Getränken übergegangen; ihre Pfeifen rauchend standen und saßen sie in Gruppen, sprachen und scherzten und übertönten laut das leise Geflüster der Frauen. Aber noch lauter übertönte sie die Musik, nach der im Nebenzimmer die jungen Leute tanzten. Heinrich und Trinchen saßen in der ruhigsten Stube, Heinrich sprach mit einigen älteren Männern, und er und Trinchen hatten nicht große Lust zum Tanzen. Auch Bertha, die Braut, saß in dieser Stube, sie konnte die Lustigkeit der jungen Leute nicht vertragen, bleich und müde saß sie in einer Ecke, als ob der Kranz und die Last des bräutlichen Staates sie erdrücken wolle. Auf den dringenden Wunsch des Bräutigams trug sie Stadtzeug, das veilchenfarbene Seidenkleid war nach der neuesten Mode gemacht, ein weißer Shawl bedeckte den mageren Hals und weiße feine Handschuhe saßen ihr unbequem auf den Händen. Der Bräutigam hatte auch so viel als möglich der dörflichen Mode entsagt. Er war in der Stadt erzogen, hatte mancherlei gelernt, hatte aber zu dieser guten Erziehung Ansichten und Gewohnheiten angenommen, die er den Großstädtern hätte überlassen sollen. Jetzt stand er in der Mitte einiger jungen Bauern, führte das Wort, lachte viel und überlaut, und man merkte, daß ihm der Punsch schon etwas zu Kopfe gestiegen. Die Schwiegermutter Martha sah ihn scharf von der Seite an, es ärgerte sie, daß er einen so schlechten Bräutigam abgab und Berthen immer allein in den Ecken sitzen ließ.
Sie trat zu ihm. Na Fritze, oder Herr Sohn muß ich jetzt wohl sagen, setzte sie freundlich thuend hinzu: bist ja recht vergnügt! thust noch, als ob Du Junggeselle wärest! hast doch nicht vergessen, daß Du in einen andern Stand getreten bist?
Bei diesen Worten sah sie auf Bertha, die gerade der offenen Thür gegenüber saß, und Fritz sowohl wie die Umstehenden erriethen an ihren Worten und am Ton, mit dem sie sprach, ihre Absicht.
Ja, Frau Schwiegermutter, das weiß ich, entgegnete Fritz mit nachgemachter Höflichkeit, und schlenderte in die Stube, wo Bertha saß.
Martha ärgerte sich von neuem, und die jungen Burschen, die in der Nähe standen, reizten sie noch mehr durch ein leises Kichern.
Als Fritz sich eben zu Bertha wenden wollte, entdeckte er ganz in ihrer Nähe Trinchen, die dem Tage zu Ehren noch mal den eignen Brautstaat angelegt hatte, und ausnehmend hübsch, dem Fritz viel besser als seine eigne Frau gefiel.
Ei, Trinchen, da steckst Du? sagte er lustig, habe ich Dich doch wie 'ne Stecknadel gesucht. Nun komm, laß uns einen Tanz zusammen machen.
Trinchen, die seinen angeregten Zustand merkte und sich vor seinen dummen Späßen fürchte, sagte keck: Für diesmal dank ich, Fritze, ich bin schon versagt. Dabei drückte sie Heinrichs Arm.
Ja, Fritze, eben sollts losgehn, sagte Heinrich, indem er aufstand und Trinchens Arm ergriff.
Ei, rief Fritz ärgerlich, du langweilige Präludie, wenn jeder mit seiner eignen Frau tanzen wollte! Holla, daraus wird nichts! Trinchen ist meine Tänzerin.
Heinrich, der Fritzens Zustand fürchtete und einen Zank mit ihm vermeiden wollte, sagte freundlich: Trinchen, er hat heute den Vorzug, er ist der Bräutigam, tanz mit ihm den Ehrentanz.
Trinchen sah auch, daß Nachgeben hier das klügste war, und folgte Fritzen in die Tanzstube. Heinrich setzte sich zu Bertha, diese sah ihn traurig an und drückte ihm die Hand.
Ja, Berthchen, der Tag ist für das Brautpaar immer unruhig, sagte er tröstend, und Du magst das nun vorzüglich nicht; aber es wird schon ruhiger werden.
Das gebe Gott! entgegnete Bertha, und lieber Heinrich, Du wirst mich doch nicht verlassen? fuhr sie fort und Thränen erstickten ihre Stimme, aber sie wandte ihr Gesicht, damit niemand die Bewegung sähe, und nahm sich auch schnell wieder zusammen. Aber Martha, die aufmerksam von einer Stube zur andern ging, hatte gerade diese Unterhaltung mit angesehn. Es ging ihr wie ein Messer durch das Herz, und sie war froh, als sie nach einigen Minuten, wo Heinrich freundlich zur Schwester gesprochen, diese wieder lächeln sah.
Martha hatte heute das Ziel ihrer Wünsche erreicht. Diesen Tag hatte sie seit Jahren ersehnt, ihre Tochter Erbin des großen Gutes, und einem reichen Manne angetraut. Die Ausstattung die seit Jahren ihr Mühe und Sorgen gemacht, lag in zwei großen Kammern den Gästen zur Beschauung da. Seidene und andere Kleider in allen Farben, Umschlagetücher, ein seidener Hut sogar, ein Dutzend Paar Schuhe und viele überflüssige Staatssachen, außer dem unzähligen Leinenzeug und dem kostbarsten Hausgeräth. Die Bauerfrauen der Freundschaft gingen staunend von einem Stück zum andern, und mancher bewundernde und beneidende Blick fiel warm in Marthas hochmüthiges Herz. So hatte sie es sich gedacht und so hatte sie es gewollt, so die Krone der Mütter, die glücklichste Frau der Welt zu sein. – Und war sie es denn? – Sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie es nicht war. Ihr Muttergefühl war unter den Dornen des Reichthums, der Habsucht und des Stolzes nicht ganz erstickt, und mit Gewalt wurde ihr manchmal ein Bild des Lebens vor die Seele geführt, wo sie ihr Kind glücklicher sah. Trinchen drüben im Kossathenhof, einen Mann wie Heinrich zur Seite, ist sie nicht glücklicher? sagte dann eine Stimme. Trinchen, die weder seidene Kleider noch solche Ausstattung hat und deswegen weder beneidet noch bewundert wird? Heinrich hatte oft zu ihr gesagt: Die Menschen und die Herzen und die Liebe machen das Glück aus, nicht ein Bauerhof und andere irdische Güter. Sie hatte dazu gelacht, und als er sie kurz vor dem feierlichen Verlöbniß zwischen Fritz und Berthen nochmals ernstlich gewarnt und von Fritzens Charakter gesprochen, hatte sie heilig und theuer verschworen, daß ihr Fritzens Charakter gerade recht wäre, und daß sie sich glücklich fühle über diesen Schwiegersohn. Ja im Eifer hatte sie sich verschworen, und im Augenblicke darauf mußte sie sich gestehen, daß sie dabei gar nicht an Fritzens Charakter, sondern nur an seine Mitgift gedacht. – Gerade heute lag ihr das Gespräch und das Verschwören wie ein Stein auf dem Herzen, ja wenn sie den Fritzen da umhertaumeln sah, blickte sie sich ängstlich nach Bertha um, und als sie nun gar die Thränen in ihres Kindes Augen sah, wollte es ihr das Herz zuschnüren. Jetzt stand Fritz zwischen den Tanzenden, er hatte Trinchen im Arm, machte Possen und lachte; aber seine Worte verstehen konnte sie nicht, und das war nur gut, denn sie würde sich nicht eben darüber gefreut haben.
Wenn Bertha nur halb so hübsch und lustig wäre, wie Du, Trinchen, sagte er lachend. Es geht einem ordentlich ein Grauen an, wenn man sie da wie ein Häufchen Unglück sitzen sieht.
Trinchen sah ihn ernsthaft an. Fritze, Fritze, ich will nicht glauben, daß das Dein Ernst ist, wenn Du von Grauen sprichst! Du hast gewiß heute schon des Guten zu viel genossen, und weißt nicht, was Du sprichst, denn für so schlecht will ich Dich nicht halten, daß Du könntest vor dem Altar Lügen sagen. Siehst Du und das versichere ich Dich: wenn ich so gut und fromm und sanft wie Bertha wäre, ich wollte mich glücklich schätzen.
Nun ja, da hast Du ebenfalls Recht, erwiderte er: recht gut ist sie, sie schlägt nicht nach ihrer Mutter, denn das ist ein wahrer –
Fritze! fiel ihm Trinchen wieder drohend in die Rede.
Na, Trinchen, wenn Du dagegen was hast, sagte er keck, dann ist das Lügen auf Deiner Seite. Das weiß das ganze Dorf, was sie für eine Xantippe ist. Aber ich will sie uns beiden schon vom Leibe halten, ich will sie Mores lehren. Du mußt nicht weiter darüber schwatzen, Dich gehts eben so nahe an wie mich.
Ich würde mich der Sünde schämen, so zu reden! entgegnete Katharine heftig. »Du sollst Vater und Mutter ehren!« Jetzt ist es unsere Mutter, so gut wie es Heinrichs und Berthens Mutter ist. Von Heinrich hast Du gewiß noch kein unehrerbietig Wort gehört, und ich bin ganz auf seiner Seite, und ich denke, Du wirst Dich was Besseren besinnen und nicht Zank und Streit in die Familie bringen. Denn wenn Du über jemandes Benehmen klagst, thust aber absichtlich eben so, bist Du noch viel verwerflicher als der andere, der wohl in der Hastigkeit so handelte.
Fritz lachte. Ei, was Du großmüthig sprechen kannst! Du sollst mal hören, wie die Mutter über Dich losgeigen kann. Noch neulich Abend, – es war ihr ein Stachel im Leibe, daß Du heute dabei sein mußtest, und ich habe erst noch einen Trumpf darauf gesetzt, daß sie Dich einladen mußte. Da gab sie nach. Sie tröstet sich aber, sie will ihre Mucken schon anderwärts gegen Euch auslassen. Euer Haus betritt sie nimmermehr, und der Vater darf auch nicht hin, der muß tanzen, wie sie pfeift.
Das ist meine Schuld nicht, und was meine Schuld nicht ist, das sorgt mich nicht, sagte Katharine.
Aber ärgern muß es Euch doch, daß sie Euch solche Schande macht.
Schande? fragte Katharine verwundert. Wenn mich einer schlecht und unrecht behandelt, auf welcher Seite ist die Schande?
Du drehst das freilich recht pfiffig um.
Das ist so meine Ansicht, und wenn Du willst gerathen sein, machs eben so. Sieh Du auch auf Deinen Handel und Wandel, daß Dich der nicht verunehrt; dann kannst Du andere Leute pfeifen und tanzen lassen nach Gefallen, das sorgt Dich dann weiter nicht.
Naseweis kannst Du aber gehörig sein, unterbrach sie Fritz.
In aller Freundschaft! entgegnete Trinchen lachend und machte einen Spaß aus der Sache. Komm, laß uns tanzen und allen Aerger vergessen.
Sie drängten sich jetzt zwischen die Reihen, aber Trinchen war froh, als der Tanz vorbei war und sie sich in die andere Stube zurückziehen konnte. Sie redete auch Heinrich zu, daß sie nicht die Nacht hindurch blieben, es wurde beiden ganz unheimlich zwischen dem wilden Treiben. Fritz und noch ein paar rohe junge Bursche gaben den Ton an, und die andern ließen sich denn verführen, wie es einmal in der Schwachheit der menschlichen Natur liegt. Böse Beispiele verderben gute Sitten. Die Jugend des Dorfes war schon oft vergnügt, aber sittsam bei einander gewesen. Erst Trinchens Hochzeit hatten sie gar schön zusammen gefeiert, da gab Heinrich bei der Jugend den Ton an und Martin bei den Alten. Heute konnten Heinrich und Trinchen ihre Bekanntschaft kaum wieder erkennen, so toll und laut ging alles durcheinander. Selbst die Väter waren über alle Maaßen ausgelassen und konnten wenig Respekt dadurch bei der Jugend erwecken. Der alte Andreas holte eine Weinflasche nach der andern, er schenkte ein wo er leere Gläser sah, aber er trank auch mit, und als Heinrich kam und ihn leise und bescheiden zur Vorsicht mahnte rief er lachend: Heinrich, laß gut sein! heute ist Hochzeit, und was hat man vom Leben, wenn mans nicht genießt? Aber, setzte er flüsternd hinzu, ich will für Deinen Alten da drüben auch ein Paar Flaschen hinstellen, kannst sie nachher unter den Rock nehmen.
Ich danke schön, versetzte Heinrich wehmüthig lächelnd: Vater Martin macht sich nichts aus Wein.
Darum ists auch wohl auf Eurer Hochzeit so knapp hergegangen? spottete Andreas.
Morgen früh wollen wir uns mal wieder sprechen, fuhr Heinrich ruhig fort. Martin wird fröhlich und guten Muthes sein, und ihr werdet euch erbärmlich fühlen und den Wein verwünschen.
Am andern Morgen war der Himmel hell und klar, die Sonne warf ihr goldnes Licht über Felder und Wälder, der Thau blitzte wie Diamanten an den Halmen und an den Blumenkelchen. Heinrich, die rüstigen Pferde führend, stand auf einem Leiterwagen, Martin saß neben ihm und beide sangen mit heller Stimme: »Wach auf mein Herz und singe.« Dabei war Friede und Freude in ihrer Brust und Bewunderung für die herrlichen Werke des Herrn.
Nachdem sie zu singen geendet, sagte Heinrich: Wenn ich noch an gestern Abend denke, so denk ich, es war ein wüster Traum. Das Tanzen und Springen in den Stuben, das Trinken und Toben dabei, das Aufwühlen von Staub, darauf die umgestürzten Flaschen und Gläser, – nein, das war kein festlicher Ort. Da sieht es hier in des lieben Gottes Haus festlicher aus, alles so rein und blank, und so still und friedlich, und doch dabei so lustig. Sich die vielen Blumen, wie sie in der Sonne schön aussehen und wie die Vögel vergnügt singen. Nein, ich will hundertmal lieber hier an mein Tagewerk gehen, als solche wüsten Feste feiern.
Martin hörte ihn freundlich an. Ja, mein lieber Sohn, sagte er, nachdem Heinrich geendet, Du hast ganz Recht, und daß Du schon so jung zu der Einsicht gekommen, ist eine Gnade Gottes. Du kannst nun Dein Leben herrlich genießen. Es ist freilich immer die Rede, daß wir armen Leute nichts als Last und Plage und keine Freude auf der Welt haben, das ist aber nicht so. Ein rechtschaffener reicher Mann, hat gerade so viel Arbeit und Mühe, als ein rechtschaffener armer Mann, und eigentlich mehr; denn ein armer Mann kann seine Pflichten bald übersehen, der liebe Gott hat ihm nicht so viel auferlegt, aber der Reiche hat mehr zu bedenken, um mit den Pfunden, die er vom Herrn erhalten, wohl Haus zu halten, und seine Verantwortung und Rechenschaft ist mehr als unsere. Darum heißts: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ein Reicher wird schwerlich ins Himmelreich kommen.« Es ist ein schwerer Stand, der Versuchung des Reichthums zu widerstehen und nicht hoffärtig, lieblos und geizig zu werden, und es wird in der Art einem armen Mann immer leichter, in den Himmel einzugehen. Und ich meine, daß ein armer Mann, wenn er rechtschaffen ist, wohl hier auf Erden schon recht glücklich sein kann. Arbeit ist kein Unglück, nein, ich nenne das ein Vergnügen, des Tages über rüstig und tapfer arbeiten und des Abends mit einem guten Gewissen und fröhlichen Herzen in dem Herrn sich zur Ruhe legen. Und ist die Woche so hingegangen, da thut der Sonntag wohl, man ruht und feiert und sammelt Kraft für die kommende Woche. Wie ein stiller, freundlicher Sonnenblick muß ein jeder Sonntag leuchten. Ein Sonntag reiht sich an den andern, und war jede Woche auch voll Mühe und Arbeit, so liegt doch der lichte Sonnenschein drüber hin. Und dieser Schein, das ist der Geist des Herrn, seine Liebe, seine Furcht, seine Gnade und sein Frieden. O so ein Tag des Herrn, in seinem Geiste verlebt, füllet das Herz, und mitten in den Zerstreuungen des irdischen Berufs fühlen wir noch seine Kraft, und sein Frieden verläßt uns nicht! Und jeder Sonntag, auf dem dieser Schein nicht liegt, ist ein Nichts, er gehet mit der Zeit dahin, es ist kein Halt im Leben, zersplittert und unruhvoll geht es dahin.
Unter solchen und ähnlichen Gesprächen war der Morgen zwischen Arbeiten und Ausruhen hingegangen, und Martin und Heinrich rüsteten sich zum Heimweg.
Es war aber auch Zeit, Trinchen war schon von ihrer Bleiche aufgestanden und ein Ende über den Anger hin ihnen entgegen gegangen. Und auch Dorthe trat jetzt aus der Hofthür.
Na, Trinchen, die Männer bleiben heute lange, rief sie dieser zu, es hat schon längst angeschlagen, und die sauern Kartoffeln werden hart.
Dorthe besorgte nämlich nach wie vor den Haushalt, und Trinchen war zu gut und nachgebend, ihr das Regiment zu nehmen, obgleich sie als Hausfrau jetzt das Recht dazu hatte. Trinchen, wenn es ihr auch manchmal nicht recht war, daß sie sich immer noch in Dorthens Anordnungen fügen sollte, fügte sich doch. Sie dachte, wie der Herr sie doch so glücklich gemacht, und wie er dafür so kleine Opfer der Liebe und des Nachgebens wohl von ihr verlangen könne. Sie hatte doch ihre Geschäfte, sie bleichte das Leinen, das sie und Dorthe im vergangenen Herbst so fleißig gesponnen, sie besorgte den Garten, ging auch mit auf das Feld und half Dorthen in der Wirthschaft. Eben so fügten Heinrich und Martin sich in Liebe zu einander, und wer es gesehen hätte, wie sie beide da den Angerweg entlang kamen, wie sie erst von Trinchen und dann von Dorthen freundlich begrüßt wurden, wie Trinchen darauf an Heinrichs Hand in das Haus und in die reinliche freundliche Stube hinein ging, wie die Familie fröhlich und gottesfürchtig am Tische saß, der würde sich überzeugt haben, daß Liebe und Friede und stille Glückseligkeit hier zu Hause seien.
Bei Scheiders drüben sah es indessen anders aus. Der helle, freundliche Sonnenschein fiel in die wüsten Stuben, Staub und Schmutz lag auf Tischen und Stühlen, manch zerbrochenes Glas, auch Kuchenstückchen, weggeworfene andere Brocken lagen an der Erde, Dienstboten und Herrschaften hatten die Zeit verschlafen, Martha stand mit wüstem Kopf in der einen Kammer und suchte die Reste des Festes mit geizigen Blicken zusammen. Denn es war gestern über und drüber gegangen; so war ihrem Herzen heut schon angst, und dachte jetzt desto mehr zu sparen. Da trat Fritz mit bleichem Gesichte und gläsernen Augen in die Kammer.
I, Mutter, was bemühen Sie sich denn hier bei uns noch? sagte er in einem Ton, der die Spitzfindigkeit nicht recht verbergen konnte. Ich dachte, Sie wären schon gestern in Ihr Altentheil gezogen?
Dachtest Du das? dann hast Du Dich geirrt! erwiderte sie eben so spitz.
Fritz biß sich auf die Lippen. Er merkte wohl, daß es nicht leicht sein würde, diese Schwiegermutter unter zu kriegen.
Was das hier für 'ne Wirthschaft ist! fuhr er ärgerlich fort. Als ich heute Morgen erwache, liegt der Vater in meiner Kammer.
Ja das möcht ich auch wohl wissen, unterbrach ihn Martha. Wie ist denn das die Nacht zugegangen? Wie seid ihr beide in die Kammer auf die Betten gekommen, daß ich Berthen mußte mit in das Altentheil nehmen?
Fritz sah verlegen nieder und sagte kleinlaut: Bei solcher Gelegenheit – da passirt wohl manches.
Und vergeht einem Hören und Sehen! lachte Martha. Ich dachte nur, daß die Verwunderung über solche Wirthschaft auf meiner Seite ist. Mach nur jetzt und kämme und wasche Dich. Du siehst aus, wie ein Gespenst. Wenn Dich Bertha sieht, fürchtet sie sich vor Dir.
Wir haben uns beide nichts vorzuwerfen! platzte er heraus und verließ die Kammer, indem er die Thüre heftig hinter sich zuwarf.
Martha stand zitternd vor Zorn, – einen Augenblick nur, dann lief sie ihm nach; aber er war in seine Kammer gegangen, und sie scheute sich doch, vor den Leuten laut zu sprechen. So entging er einer gewaltigen Strafpredigt. Desto heftiger aber ergoß sich diese über Andreas, der eben das Bett verlassen hatte und jetzt im Lehnstuhl in der Wohnstube saß. Ein recht wehmüthiger Anblick, ein alter Mann mit weisem Haar und den unwürdigen Spuren des Trunkes in der ganzen Gestalt.
Pfui, schäme Dich, alter Sünder! sagte Martha. Die ganze Nacht gejubelt, und kannst jetzt auf keinem Beine stehen. Da sollte man den Tod von haben! Zwei solche lodderige Mannsleute im Hause!
Andreas fühlte seine Schuld, aber auf solche rohe Weise sollte sie ihm nicht vorgeführt werden. Und leider gehts nun mal bei den gottlosen Menschen: Wie du mir, so ich dir, – und gegenseitig treiben sie sich durch ihren Zorn immer weiter in den Sündenpfuhl hinein.
Halts Maul, rief Andreas, und gieb Kaffee her, Du alte Xantippe.
Ja, daß ich wollte einen Schritt thun! Vor Gram möcht ich bersten. Da der Herr Schwiegersohn, hier der Herr Schwiegervater, beides eine Sorte. Nein, diese Schande. Wie sie da umher liegen! Aber mich soll dieser und jener holen, wenn das nicht anders wird.
Ei du infame Hexe, wenn Du Dein gottloses Maul nicht hältst. – Mit diesen Worten trat Andreas vor Martha, die von dem meist so geduldigen Manne diesen Widerstand nicht erwartet hatte und erschrocken aufgestanden war, als Bertha eintrat.
Bertha, bleicher als gewöhnlich, eilte auf die Eltern zu. Um Gottes Willen! flehte sie: ich möchte lieber sterben, sollt ich so was sehen.
Beide Eltern sahen auf das blasse, fromme Kind, und sie schämten sich. Andreas nahm seinen Platz im Lehnstuhl wieder ein, Martha verließ die Stube.
Bertha trug den Kaffee auf, bequem stellte sie alles dem Vater hin und war so freundlich und liebreich, daß er seine Sünde und sein Unglück drüber vergaß und voll Freude auf sein Kind schaute.
Auch Fritz trat jetzt ein. Guten Morgen, Fritz, sagte Bertha freundlich: nun setze Dich, ich habe den Vater eingeladen, bei uns noch mal Kaffee zu trinken, weil alles noch in Unordnung ist. Das ist nicht anders nach solcher Unruhe, wir wollen schon bald wieder in Ordnung kommen.
Dabei reichte sie Fritzen alles was er nur wünschen konnte, und suchte durch ihr Wesen und ihre Worte die Schuld beider Männer zu verdecken und sie guter Laune zu machen. Fehlenden ist eher mit Milde als mit Zorn zu helfen. Auch Fritz hatte seine Schuld recht gut gefühlt, aber dem Betragen seiner Schwiegermutter gegenüber sah er sie sehr geringe an. Berthas Sanftmuth rührte ihn, und war er beim Hereinkommen unfreundlich und wortkarg gewesen, so ward er jetzt freundlich und gesprächig gegen sie, und als sie ihn später aufforderte, ihr beim Ordnen des Haushaltes behilflich zu sein, folgte er willig.
So war im jungen Haushalt der Friede augenblicklich wieder hergestellt. Nicht so im alten. Martha war Gift und Galle, sie hatte sich in ihre Stube eingeschlossen, und Andreas, wenn er nicht hungern wollte oder Skandal machen, mußte sich den Tag bei den Kindern zu Gaste bitten.
Zwei Jahre waren wieder vergangen. Martha, bleicher und magerer geworden, saß mit Andreas in der Wohnstube des Altentheils. Sie las eifrig in einem Dokument, und Andreas saß ihr gegenüber und schlürfte wohlgefällig aus einem Spitzglas betäubenden Likör.
Dieser Mensch ist im Stande und jagt uns vom eignen Haus und Hof. Es ist himmelschreiend! Andreas, mache, daß das Ding anders wird, Bertha muß geschieden sein, die Verschreibung darf nichts gelten.
Ja, mache mal! sagte Andreas verdrießlich. Das ist bald gesagt. Ich denke eben dran: ich trank aus demselben Spitzglas, als Du mir zusetztest, ich sollte die Verschreibung machen, der arme Heinrich mußte fort in den Kossathenhof und der Taugenichts zu unserem Unglück hierher. Nun hast Du den Hof Deinem lieben Schwestersohn an den Hals geworfen, und wir können unser Bündel schnüren oder uns todt ärgern, nach Belieben.
Martha schwieg einen Augenblick. Ja sie fühlte ihr Unrecht wohl. Mit abscheulichen Mitteln hatte sie ihren Zweck erreicht, dessen Ende nun ihr eigner Jammer war: jetzt sollte dasselbe Mittel sie von diesem Jammer wieder befreien.
Fritz, der schon früher im Stillen dem Trunke gefröhnt, hatte sich ihm ganz ergeben, die innere Zwietracht und Uneinigkeit im Haus hatte ihn noch mehr dazu gebracht; denn wenn Bertha im Anfang alles that, um Frieden zu erhalten, so verdarb Martha durch ihr Dazwischentreten das gute Werk. Als Martha es zuletzt dahin gebracht hatte, das sie Fritzens Haus nicht mehr betreten durfte, war auch Berthas Kraft zu schwach, um über den jetzt immer tiefer Gesunkenen noch etwas zu vermögen. Bertha war nun das Opferlamm, das Habsucht und Eitelkeit der Eltern dahingegeben. Der Tochter Leiden und Unglück zu sehen, war für Martha eine zu harte Strafe, sie wollte sich jetzt mit Gewalt davon befreien. Bertha sollte sich scheiden lassen, und Fritz mit dem Eingebrachten wieder nach seiner Heimath ziehen. Marthas Klugheit aber scheiterte an Fritzens Willen und an dem Willen seiner Verwandtschaft. Die Mutter von Fritz selbst war mit Martha, ihrer einzigen Schwester, deswegen verfeindet: sie dachte, Bertha könne ohnehin nicht mehr lange leben und wollte ihren einzigen Sohn, dem doch einmal das Gut rechtmäßig zugeschrieben war, nicht darum verkürzt sehen.
Martha wußte wohl, wie die Sachen standen, aber in dem Eifer, womit sie wünschte, hoffte sie auch Mittel zur Erfüllung ihres Wunsches zu finden.
Du fährst morgen nach dem Justizcommissar, sagte sie schmeichelnd zu Andreas und schenkte ihm wieder das Gläschen voll, um den schon halb vertrunkenen Verstand des Mannes wieder zu erfrischen und zum Entschluß zu bewegen. Die Kerls sind aller Ränke voll, und es wird sich wohl ein Mittelchen finden lassen, diese Kreatur da drüben, diesen Unmenschen, los zu werden. Er oder wir! so kommts, das kannst Du glauben. Und die Schande könntest Du doch nicht erleben, selber bettelarm, unser schönes Hab und Gut verprassen zu sehen. – Andreas lachte Beifall, indem er noch ein Gläschen einschenkte. – Ich packe eine schöne Kiepe voll, die giebst Du dem Herrn im voraus. Kannst ihm auch einen Louisdor in die Hand drücken.
Hier wurde sie durch einen heftigen Schrei unterbrochen.
Herr Je! Bertha schreit, der Fritze schlägt sie! rief sie jammernd und rannte über den Hof nach dem großen Haus hin.
Sie fand Bertha in einer Ecke der Wohnstube stehend. Zitternd hielt sie ihre Arme vor, um sich gegen Fritz, der ihr ziemlich nahe stand, zu schützen.
Nun noch einmal sprich von Scheidung! lallte er mit schwerer Zunge, indem er sie mit stieren Augen anglotzte; dann weißt Du, was drauf folgt.
Er hat Dich geschlagen! schrie Martha, die an Berthas einer glühenden Wange die Spuren des Schlages deutlich sah. Er hat Dich geschlagen, Bertha! das scheidet Dich! Warte nur Du Unmensch, das bricht Dir den Hals! – Dabei stürzte sie auf Bertha zu, um sie aus der verhängnißvollen Lage zu befreien.
Fritz wandte sich zu ihr. Er war vollgetrunken, aber nahm sich zusammen.
Was? ich Berthen geschlagen? lachte er frech. Wer will das bezeugen?
Bezeugen? versetzte Martha wüthend, brennt die Backe nicht wie Feuer? Bertha, sag mein Kind, nicht wahr, er hat Dich geschlagen?
Laß nur, Mutter, laß nur! sagte Bertha.
Nein, nein! fiel ihr Martha noch wüthender in das Wort. Das Maaß seiner Sünde und Schande ist voll –
Fritz trat mit geballter Faust vor sie hin, daß ihr die Worte im Munde stecken blieben.
Ei Du böses Maul, wer hat denn gesagt, daß Du hier herüber kommen sollst? – Dabei rückte er ihr mit der Faust immer näher in das Gesicht, Bertha jammerte jetzt laut, und Martha schrie nach Hilfe. Da im Augenblick der höchsten Bedrängniß öffnete sich die Thür, und Heinrich trat ein. Fritz ließ unwillkührlich den Arm sinken und taumelte einige Schritte fort. Heinrich mit kräftigem Schritt und festem Blick ging auf ihn zu.
Fritz! Fritz! sagte er drohend: Du wärest werth – aber freilich Dein Zustand ist Strafe genug. – Mit Abscheu wandte er sich von ihm.
Komm, Bertha, komm, Mutter, von hier fort – wandte er sich jetzt zu beiden Frauen.
Ja, packt Euch nur, – die ganze Gesellschaft! lallte der Betrunkene. Ich schwörs, die alte Hexe darf sich auf meinem Hof nicht wieder sehen lassen. Und den alten Esel will ich auch nicht mehr füttern! wandte er sich zu Andreas, der eben in die Stubenthür trat.
Andreas war, durch das Hilfegeschrei erschüttert, plötzlich zur Besinnung gekommen. – Es war ein Lichtblick seines verdunkelten Gemüthes, und als er da die bebende Martha, die bleiche hingewelkte Tochter sah, und dazu Fritzens Worte hörte, fühlte er mit einem Mal die ganze Macht seines Elends.
Herr Gott! Herr Gott! seufzte er und Thränen rannen über seine Backen.
Heinrich nahm ihn tröstend beim Arm und führte ihn aus der Stube.
Heinrich, ja Heinrich, der so frisch und kräftig und treuherzig ihm zur Seite stand, war ja noch sein einziges Glück, seine einzige Freude. Wie gern hätte er jetzt dies Haus des Unglücks verlassen und drüben bei Heinrich Ruhe und Frieden gefunden; aber seine Verwünschungen und Versicherungen, Heinrichs Kossathenhof nie zu betreten, fielen ihm lebhafter ein als je. Und Marthen ging es eben so. Heinrich war noch ihr und Berthas einziger Schutz den Drohungen und Mißhandlungen Fritzens gegenüber, und für Bertha hatte sie mehr Angst und Sorge als für sich, wie gern hätte sie sich mit ihr zu Heinrich geflüchtet, denn auch in ihrer Wohnung waren sie vor Fritzens Toben nicht sicher; aber ihre früheren gottlosen und hoffärthigen Reden standen jetzt wie Flammenworte vor ihrer Seele.
Heinrich las deutlich diese Gedanken auf ihrem Gesichte, er fühlte tiefes Mitleiden mit den Unglücklichen. Er machte ihnen den Vorschlag, mit ihm zu gehen, bis Fritz wieder zu sich gekommen wäre, und Trinchen die eben in die Hofthür trat und Heinrichs Worte hörte, bat eben so freundlich, sie möchten sich doch drüben vom Schrecken erholen.
Andreas sah auf Martha, und diese auf ihre unglückliche Tochter, die kaum noch Kraft hatte sich aufrecht zu erhalten und angstvoll nach den offenen Fenstern blickte, aus denen Fritzens Schmähworte noch immer laut heraus schallten.
Martha nickte Ja, und ging mit zerschlagenem und geknicktem Muth und Herzen hinüber in den Kossathenhof, in die Bettelhütte, in die Lumperei, wie sie wohl früher zu sagen pflegte.
Der alte Martin hatte sie alle von der Stube aus über den Hof kommen sehen, er ging ihnen entgegen, begrüßte sie liebreich und geleitete sie in die Wohnung der jungen Leute.
Vater Martin! nahm jetzt Heinrich feierlich das Wort: Ihr seid es doch wohl zufrieden, wenn meine Eltern fürs erste hier in unserer Wohnung bleiben, und ich und Trinchen bei Euch in die große Kammer ziehen? Es ist Sommer und wir können uns wohl alle behelfen. Friede und Ruhe ist doch die Hauptsache, und die soll Euch, liebe Eltern, hier reichlich werden. Und so viel in unseren Kräften steht, wollen wir Euch das Leben leicht und angenehm machen und Euch zu trösten suchen über Euer Unglück.
Während er sprach, hatte ihn Bertha flehentlich angesehen. Und mich, lieber Bruder, wirst Du nicht verstoßen? sagte sie darauf, und kaum hatte sie geendet, als sie besinnungslos ihren Kopf auf Marthas Schultern legte. Ihre schwachen Kräfte konnten so vieler Aufregung nicht widerstehen.
Bertha, mein Kind, stirb nicht! jammerte Martha und weinte bitterlich.
Sie stirbt ja nicht, sie ist nur in Ohnmacht gefallen! tröstete Trinchen und beeilte sich, mit Heinrichs und Andreas Hülfe, die Kranke auf ihr eignes Bett zu legen. Bertha öffnete zum Troste der unglücklichen Mutter bald die Augen wieder, und als sie so viele freundliche und theilnehmende Worte hörte und versichert war, sie sollte hier in Ruhe bleiben, da faltete sie die Hände und ein seliger Friede kam über sie.
Die Stunden des Tages vergingen mit Einrichtungen. Andreas und Martha ließen es sich gern gefallen, Heinrichs Wohnung zu beziehen, und so dem Aerger und Kummer, den sie seit zwei Jahren drüben erleiden mußten, aus dem Wege zu gehen. Die nöthigsten Sachen zu ihrer Bequemlichkeit wurden vom Scheiderschen Hofe geholt, Berthas Bett wurde in die Wohnstube gestellt, die Eltern schliefen daneben in der Kammer.
O daß ich nun hier so ruhig sterben kann! flüsterte Bertha zu Trinchen, die, nachdem sie ihr alles freundlich und bequem gemacht, theilnehmend vor ihrem Bette stand.
Am Abend saßen Martin, Dorthe, Heinrich und Trinchen wie gewöhnlich um den großen Tisch in Martins Stube, um die Andacht mit einander zu halten.
Martin schlug in seinem Gebetbuche auf und las:
»Verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde. Bewahre meine Seele und errette mich; laß mich nicht zu Schanden werden, denn ich traue auf dich. Schlecht und recht, das behüte mich: denn ich harre dein. – Göttliche Antwort: Höret mir zu, die ihr von mir im Leibe getragen werdet, und mir in der Mutter lieget; ja ich will euch tragen bis ins Alter, und bis ihr grau werdet, ich will es thun, ich will heben, tragen und erretten. Wer ist jemals zu Schanden worden, der auf Gott gehoffet hat? – O Trost, was darf ich fürchten?
Mich hast du auf Adlers Flügeln
Oft getragen väterlich.
In den Thälern auf den Hügeln
Wunderbar errettet mich;
Wenn schien alles zu zerrinnen.
Ward doch deiner Hilf ich innen:
Tausend, tausendmal sei dir;
Großer König, Dank dafür.«
»Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft: denn er ist mein Hort, meine Hilfe und mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist. Darum hoffet auf ihn allezeit, lieben Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus. Gott ist unsere Zuversicht. Und wären unserer Sünden mehr als der Sand am Meer, seine Gnade ist dennoch größer, und wenn wir sprechen müssen: Meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer worden, so spricht der Herr: Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt, und: Siehe, ich habe deine Sünde von dir genommen.
Mein Heiland nimmt die Sünder an.
Die unter ihrer Last der Sünde
Kein Mensch, kein Engel trösten kann.
Die nirgends Ruh und Rettung finden,
Den'n selbst die weite Welt zu klein.
Die sich und Gott ein Gräuel sein,
Den'n Moses schon den Stab gebrochen.
Und sie der Hölle zugesprochen.
Wird diese Freiheit zugethan;
Mein Heiland nimmt die Sünder an.«
Schon während Martin las, ward es Heinrich immer enger um das Herz, Thränen rannen über seine Backen, Trinchen sah ihn theilnehmend an, sie hatte ihn noch nicht weinen sehen. Als nun Martin geendet, da konnte Heinrich seine Bewegung nicht länger zurückhalten, er legte beide Hände vor die Augen und schluchzte laut.
Alle schwiegen. Nach einer Pause nahm Martin tröstend das Wort:
Lieber Heinrich, das Unglück ist groß, aber der Herr kann helfen.
O Vater, ich weine nicht vor Kummer, entgegnete Heinrich bewegt; ich sehe heute so deutlich, daß der Herr helfen will, und das rührt mich zu Thränen. Es sind meine Eltern, sollt ich sie elend und verloren sehen? Ich hätte sie retten mögen und hatte doch keine Hilfe. Da dacht ich: Herr, so hilf du! Und das habe ich fest geglaubt, so von ganzem Herzen, wenn ich auch nicht wußte, wie er helfen sollte. Aber Wege hat er allewege, und seine Güte und Gnade ist so groß. Ja er wird den armen verlornen Eltern beistehen, ich durchschaue jetzt seine gnädige Fürsorge. Durch leibliche Trübsal hat er ihr Herz und ihren Sinn zerschlagen, die Lasten der eigenen Sünde ruhen schwer darauf, aber sie werden sie erkennen, und Gott wird ferner gnädig sein. Nicht wahr, Vater Martin? er allein kann erlösen? Er kann Sünde vergeben, und Gewissensangst und Sündenpein von uns nehmen. Er thut es gern, wenn wir nur kommen.
»Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, spricht der Herr!« So entgegnete Martin mit gerührter Stimme.
Aber daß sie kommen, ja daß sie kommen, gebe der Herr! schluchzte Heinrich. Betet mit mir, daß Er sein Werk vollende, er hat ja gesagt, daß er uns erhören will. – Er konnte nicht weiter, Thränen erstickten seine Stimme, er kniete nieder und alle folgten ihm. Martin nahm das Wort und sprach:
Ja, du lieber Heiland, komm mit deinem Segen, komm mit deiner Kraft, erfülle alle unsere Herzen, besonders deiner Trostbedürftigsten, heile die kranken Herzen: du kannst es, wenn du willst, es ist dir ein Kleines, und warum wolltest du es nicht? Du kannst ja den Bitten deiner Kinder nicht widerstehen. Hilf, hilf, Herr, nimm dich der armen Sünder an, sende Licht in die dunkele Nacht der Herzen, erbarme dich über uns alle. O du lieber, lieber Heiland, wir sind ja deine Kinder, nichts weiter wollen wir sein, in dir ruhen, in dir bleiben, du sollst unser Leben führen, du führst uns in die Trübsale und wirst uns davon erlösen. Herr, du hast uns erhört, es senkt sich dein heiliger Geist auf unsere stille Hütte. Dank dir, Dank dir für deine Treue. O Herr, hilf immer weiter bis hin zur Ewigkeit!
Martin, Heinrich, alle blickten freudig auf. Der Herr hatte ihr Gebet erhört, keiner zweifelte daran.
Ja er hatte es, sein Geist senkte sich auf die stille Hütte.
Drüben im Nebenhäuschen saßen Andreas und Martha schweigend an Berthas Bett, den leisen fieberhaften Schlaf der Kranken in Obacht habend. In der einen Ecke der Stube stand eine Wiege, worin Trinchens anderthalbjähriges kleines Mädchen im süßen Schlafe ruhte. Auf Berthas und der Großmutter Verlangen ließ Trinchen das Kind hier wohnen bleiben, beider größte Freude war es längst, und besonders hatte sich das Kind in das Herz der Großmutter eingeschmeichelt und darin eine Quelle der Gegenliebe erweckt, die diesem armen, liebeleeren, harten Herzen sehr zu gönnen war. Bertha erwachte jetzt aus ihrem leichten Schlummer.
Ihr seid noch hier? fragte sie liebevoll. So geht doch auch zur Ruhe.
Andreas seufzte. Ach, ich kann doch nicht schlafen! entgegnete er. Ich fühle heute eine Last auf meinem Herzen, die mich nicht ruhen läßt.
Martha schwieg, aber ihre Last war wohl nicht leichter.
Bertha, fuhr Andreas fort, unser Unglück ist groß, aber wir haben es verdient, – ja wir beide, Martha und ich. Wir hätten den armen Heinrich nicht von Haus und Hof treiben sollen.
O das ist meine größte Schuld, unterbrach ihn Bertha, ich habe ihn vertrieben, und darum trifft mich des Himmels Fluch. Aber das ists nicht allein, fuhr sie in der Fieberhitze hastig fort: o mein ganzes Leben war sündhaft. Von Kindheit an dachte ich, ich wäre mehr als andere Leute, ich war stolz, und ich habe oft die Armuth vergessen, ich habe die Dienstboten lieblos behandelt, ich habe nur an meine Kleider, an Essen und Trinken gedacht, und den Herrn drüber vergessen, ja ich habe wohl über andere fromme Leute gespottet und gelacht. Und darum muß ich büßen, so hart büßen, und ein so trauriges Leben führen.
Bertha! rief Martha kläglich, aber weiter vermochte sie nicht zu sagen. War sie es denn nicht, die das Elend der Tochter verschuldet? hatte sie ihr nicht von Jugend auf geboten, so zu thun? ja hatte sie ihr nicht ein gottloses, sündiges Beispiel gegeben? Nein, Bertha war unschuldig, und unschuldig mußte sie so schweres Unglück treffen. Das konnte ihr Mutterherz kaum tragen. Wie marterten sie Berthas Selbstanklagen! Aber ihr hartes Herz konnte sich nicht entschließen, Geständnisse der eigenen Schuld zu machen. Nur durch den Angstruf suchte sie sich zu erleichtern.
Bertha las jeden Gedanken in ihrer Mutter Seele. Sie reichte ihr die Hand und sagte tröstend: Mutter, wir sind alle schuldig. Die Erinnerung an unser vergangenes Leben drückt uns schwer darnieder, die Erinnerung an unsere Sündenschuld, und wir sind voll Unruhe und wissen nicht, wo aus noch ein. Nicht wahr? sagte sie dringend und sah Vater und Mutter fragend an.
Ja, ja! sprach Andreas. Martha seufzte, und das Geständniß war in ihren Zügen zu lesen.
Nun denkt Euch mal, wir drei sind nun so mühselig und zerschlagen, und können die Last, die auf uns ruht, kaum durch das Leben tragen. Und es tritt ein Mann freundlich zu uns und spricht: Gebt mir nur die Last, ich will alles für euch tragen, ihr sollt frei sein, und der Weg eures Lebens soll leicht und süß sein. – Aber wir kennen dich ja nicht, Herr! sagen wir erschrocken, wir haben dir nie etwas Gutes gethan, nie dich gespeiset, getränket und gekleidet, und auch deinen Freunden nie Liebe gezeigt. Und du wolltest so liebevoll und barmherzig gegen uns sein? – Und wir würden den Muth nicht haben, das anzunehmen, wir fühlen uns so unwürdig, und wir wissen nicht, wie wir es ihm wohl vergüten könnten. – Aber der Herr redet immer freundlicher, und tritt uns liebreich immer näher, das helle Licht seiner Liebesblicke fällt so warm in unser Herz. Nur lieben sollt ihr mich, sagt er huldreich. – Nichts weiter als dich lieben? stammeln wir, – o wer möchte dich nicht lieben! Wir fallen hin zu seinen Füßen, wir thun die Arme weit auf: Herr, Herr, hier sind wir, o du lieber, freundlicher, Huldreicher Herr, hier hast du unser Herz und unsern Sinn! Deine Liebe will unser Elend von uns nehmen, deine Liebe will uns das Leben, das unglücksschwere Leben leicht und süß machen. Hier sind wir, dein in alle Ewigkeit! – O lieber Vater, wandte sie sich zu Andreas, unser kurzer Lebensweg soll wohl noch ein recht freudiger sein nach der Trübsal.
Während Bertha so sprach, sah Andreas bange zu ihr hin und nickte leise mit dem Kopf. Martha aber saß starr und schweigend an ihrer Seite.
Mutter, willst Du denn nicht mit uns gehen? fragte Bertha sanft.
Martha regte sich nicht.
O Mutter, Du darfst nicht allein den dunklen Weg wallen, wenn ich da hinan zum lichten Himmel gehe. O Mutter, Dich in Ewigkeit nicht wieder sehen: nein, nein, ich trage das nicht; denke doch: ewig nicht wieder sehen, Du kannst doch Dein einzig Kind nicht von Dir stoßen? Nein, Mutter, ohne Dich kann ich ja auch nicht selig sein.
Martha war erschüttert. Wie ein milder Thau fielen diese Liebesworte in den Feuerbrand ihres Herzens. Sie kniete vor Berthas Bett.
Wenn ich nur könnte, ich möchte wohl, stammelte sie.
O, wenn Du nur möchtest, so ists ja schon geschehen, schluchzte Bertha und nahm mit selger Freude der Mutter Hand und dann auch des Vaters Hand, und sie zum Himmel emporstreckend sagte sie brünstig:
Hier, lieber Heiland, hier sind wir alle drei. Nun halte uns nur fest, wir sind gar so schwach und wissen wahrlich nicht, wie wir ohne Dich könnten weiter kommen. O gieb uns Kraft, unsere Augen wollen dir wohl folgen. Fort Welt, Geld, Gut und irdisch Glück, es war uns gar so bitter worden; jetzt bist du unser Trost und unsere Hilfe, und dein Himmel ist unsere einzige Hoffnung, du wirst uns aufnehmen, bei dir werden wir alles Leid vergessen und selig sein. Ja, Herr, wir kommen, – und ich komme bald! setzte sie leiser, aber mit seliger Stimme hinzu.
Bertha, Du darfst nicht sterben! weinte Martha bitterlich.
Sterben? was ist Sterben? entgegnete Bertha. Denk doch, wir haben hier eine mühevolle Reise zusammen nach der Heimath, wo wir in ewiger Seligkeit zusammen leben werden. Eure Reise wird nicht gar lang mehr sein, und komme ich nun etwas eher dort an, und werde der Sorge und Mühe überhoben, so mögt ihrs mir wohl gönnen.
Ja, ja, ich gönne es Dir, sagte Martha immer noch weinend; aber ich kann ohne Dich den rechten Weg nicht finden.
Ich lasse Dich nicht, wenn ich auch nicht mehr leiblich bei Dir bin, sagte Bertha dringlich. Meine Seele ist bei Dir und schwebt Dir immer vor, und wenn Du strauchelst und den rechten Weg nicht weißt, da wink ich Dir, und strecke Dir meine Arme entgegen: Mutter, liebe Mutter, komm zu mir! rufe ich Dir zu, und wenn die Schätze der ganzen Welt Dich verführen wollten, Du folgst doch meiner Stimme, Du liebe Mutter kommst zu Deinem Kinde.
Ich komme, ich komme, flüsterte Martha. Ein heller, warmer Strahl fiel jetzt in ihre Seele, ja sie fühlte, sie könnte die ganze Welt dahin geben und dem Liebesrufe ihres Kindes alles opfern. Dies Gefühl gab ihrem verzagten Herzen Muth, sie wagte zum ersten Mal ihren Blick dem Himmel zuzuwenden.
Aber Du darfst so bald nicht sterben, – fuhr sie fort: ich muß Dich gesund pflegen, ich muß wieder gut machen, was ich an Deinem Glück verschuldet. Wenn Du nicht auf der Welt wärest, hätte ich gar nichts mehr zu thun.
Du sollst etwas Besseres thun, als ein so welkes Blümlein pflegen, an dem nichts mehr zu gewinnen ist, lächelte Bertha. Sieh da! – sie zeigte nach dem schlafenden Kind in der Wiege, – sieh da, die kleine Bertha, dies Blümlein sollst Du pflegen, sollst es für den Himmel erziehen und dem Herrn zuführen, Du sollst ihm Deine Erfahrung sagen, wie bitter und unruhevoll die Welt, und wie freundlich und mild der Herr ist, und wie er allein uns Friede und Freude in des Lebens Mühen, und Licht in unsere Dunkelheit uns geben kann.
Bertha hielt erschöpft einen Augenblick inne. Jetzt laßt uns ruhen, sagte sie leise, aber vergeßt nicht zu beten, beten des Abends, des Morgens, und beten bei allem, was wir thun, damit wir immer bei Ihm und er bei uns sein möge.
Andreas und Martha suchten die Ruhe.
Am andern Morgen sagte Bertha: Was mag nur drüben bei Fritzen sein? Noch in der Nacht hört ich das Hofthor aufgehn und Menschen schritten hin und her, und zwei Wagen hört ich schon fahren.
Martha wußte keinen Bescheid zu geben. Da trat Heinrich ein.
Ich will es Euch nicht länger verhehlen, wie es drüben aussieht, – sagte er ernsthaft. Die Nacht holte mich der Knecht zu Fritzen hin, er lag noch wie gestern auf dem Sofa, und ich will Euch nicht weiter schildern, wie er aussah. Ich dachte, daß sein Zustand bedenklich wäre, und ließ seine Mutter und den Doctor holen. Die Mutter weint und ist ganz in Verzweiflung, der Doctor giebt Fritzen nicht viel Zeit mehr, der Schlag hat ihn gerührt, eine Seite ist ihm lahm und auch die Zunge. Jetzt Mutter, wollt ich Dich fragen, fuhr er bittend fort, ob Du nicht möchtest hingehen zu Deiner Schwester, um sie trösten zu helfen, und wenns zum Schlimmsten kommt, ihr freundlich beizustehen.
Marthas Augen sahen ihn scharf an. Zu der soll ich gehen? rief sie heftig; die mich vertrieben aus Haus und Hof, die so schändlich gegen uns gehandelt?
Heinrich blickte sie traurig an.
Mutter, sagte Bertha flehend, wir wollen ja vergessen, was hinter uns ist, für uns und für andere. – Sie reichte ihr zärtlich beide Hände und sagte leise: Geh, liebe Mutter.
Martha kämpfte. Sie dachte an gestern Abend und ging mit schwerem Herzen.
Mit ganz anderen Gefühlen überschritt sie die Schwelle ihres alten Wohnhauses, als da sie es verlassen hatte. Damals erfüllten Wuth, Zorn und Rache ihr Herz; jetzt war sie im Begriff ein großmüthiges Werk zu thun. O wie viel wohler that ihr dies, sie fühlte von neuem, daß gut und fromm sein weit süßer und angenehmer ist, als seinen Leidenschaften fröhnen. Mit sanften Empfindungen trat sie in die Stube. Fritz, halb einer Leiche ähnlich, lag auf dem Bett, seine Mutter, mit verweinten Augen und die Hände ringend, saß neben ihm.
Martha war erschüttert. Als sie das letzte Mal die Schwester sah, war diese triumphirend, stolz und spitzfindig, – keine Macht der Welt sollte ihren Fritz aus dem Hofe bringen; aber sie dachte nicht daran, daß der Herr Gott es könne. Jetzt saß sie bei den Trümmern ihrer Hoffnungen. Ja, sie ist unglücklicher als ich, dachte Martha: ich habe doch einen Engel auf dem Krankenlager, und sie ein verlorenes Kind.
Guten Tag, Marie, sagte Martha sanft, indem sie zu der Weinenden trat, laß uns vergessen, was hinter uns liegt, und uns gegenseitig trösten.
Die Schwester, die mit einem schwachen Charakter sich eben so leicht dem Bösen wie dem Guten hingab, ward durch Marthas unerwartete Großmuth tief gerührt.
Ach du lieber Gott! schluchzte sie, wie soll ich Dir das danken? Ich habe so viel an Dir verschuldet.
Martha fühlte wieder ein seliges Gefühl in ihrem Herzen. O wie süß ist Verzeihen, diese Süßigkeit hatte sie noch nie gekannt. Sie reichte der Schwester die Hand und sprach noch mehr versöhnende Worte. Auch Andreas und Heinrich kamen dazu, und alle drei standen der unglücklichen Mutter tröstend zur Seite, als Fritz gegen Abend den Geist aufgab.
Nun wäre ja alles beim Alten gewesen, Andreas und Martha hätten mit Bertha den Hof beziehen können, – aber alle drei wollten sie nicht. Bertha wollte den Platz nicht verlassen, wo sie so süßen Frieden gefunden, wo sie mit den Eltern so selige Stunden verlebt. Martha fügte sich in Berthas Wünsche. Und Andreas wollte sein Unrecht an Heinrich so schnell als möglich gut machen. Sie blieben im kleinen Kossathengute, Heinrich und Trinchen zogen in den großen Hof und erfüllten ihn bald mit dem stillen frommen Geiste, der drüben das kleine Haus beseelte.
Andreas schlaffer Körper, der bis jetzt nur durch Wein und Schnaps sich aufrecht erhalten, unterlag bald, als er mit gutem Willen und unter strenger Aufsicht sich vom Trunk entwöhnte. Er starb, und wenn auch sein vom Trunk geschwächter Geist nie wieder mit rechter Kraft überlegen lernte, so hatte er doch in der Todesstunde den Glauben, mit seinen Kindern dort oben zusammen und selig zu sein. Bertha, selbst auf dem Krankenbett, hatte treu in dem Herrn sich des Vaters mit unermüdlicher Liebe angenommen, sie suchte ihn zu belehren und aufzurichten bis an sein Ende.
Marthan war kein so kurzer Lebensweg beschieden, und es ward ihr nicht so leicht als Andreas, den neuen Weg zu wandeln, ihr Herz und ihr Sinn hatten sich in der Sünde verhärtet. Aber der Herr verließ sie nicht. Durch ein langjähriges Leiden an Berthas Siechbette hielt er sie am Zügel, und Bertha starb endlich mit der festen Zuversicht, der Herr werde das Herz der Mutter völlig heilen; wenn nicht hier auf dieser Welt, doch dort oben in seiner himmlischen Schule.