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Im Jahre 1545 schrieb Pietro Aretino, der venetianische Litterat, an Michelangelo einen seltsamen Brief. Er mißbillige als Christ die Freiheiten, die sich der Meister bei der Behandlung des Jüngsten Gerichtes genommen. Welcher Skandal, daß ein solches Werk im größten Tempel der Christenheit, auf dem Hauptaltar Jesu stehe, in der heiligsten Kapelle der Welt, täglich vom Stellvertreter Christi betrachtet. Die Heiden selbst hätten eine Diana oder Venus schamhaft dargestellt. Michelangelo halte nicht das für nötig, deshalb passe sein Bild in eine Badestube, nicht in eine Kirche. Es sei eine Blasphemie, den himmlischen Vater als Jupiter, die Heiligen als antike Heroen darzustellen, die Madonna zur Liebesgöttin, die christlichen Märtyrerinnen zu Hetären zu machen.
Daß dieses Schreiben aus Venedig kam, ist bezeichnend. Das alte, starre, byzantinische Venedig schickt sich an, bestimmend in den Entwicklungsgang der italienischen Kunst einzugreifen, auf die Renaissance des Altertums wieder die Renaissance des Mittelalters folgen zu lassen.
Noch immer war die Zeit nicht reif. Wie im 15. Jahrhundert erst Ghirlandajo auftreten mußte, bevor Savonarola erschien, mußte das 16. Jahrhundert bis an die äußerste Grenze in der Verweltlichung des Kirchlichen gehen, bevor die Reaktion einsetzen konnte. Und der Ghirlandajo des 16. Jahrhunderts kam. Ein Fremder, aus Verona nach der Lagunenstadt gekommen, Paolo Cagliari, wurde der Festmaler Venedigs. Der weltliche Geist des Cinquecento feierte in seiner glitzernden Kunst den letzten höchsten Triumph.
Ein alter Schriftsteller beschreibt ein Fest, das der venetianische Senat Heinrich III. gab. 200 der schönsten Gentildonne, ganz in weiß gekleidet, mit Perlen und Diamanten bedeckt, empfingen ihn, so daß der König meinte, in ein Reich von Göttinnen und Feen zu treten. Paolos Malereien im Dogenpalast sind von ähnlich feenhafter Pracht. Da entfaltet sich die ganze Herrlichkeit Venedigs. Abgesandte des Volkes begrüßen den Dogen, schöne Frauen lächeln von Marmorbalustraden hernieder. Kavaliere auf prächtigen Rossen sprengen daher. Auch Allegorien, die Treue, das Glück, die Milde, die Mäßigung, die Wachsamkeit, die Vergeltung soll man sehen. So steht es im Bädeker, aber aus den Bildern sieht man es nicht. Denn Veronese malt nur schöne Frauen. Giebt er der einen ein Lamm, heißt sie Sanftmut. Giebt er der anderen einen Hund, heißt sie Treue.
Vorher hatte er schon die Villa Masèr dekoriert, und auch diese Bilder, trotz ihrer Titel, sind keine frostigen Allegorien. Landschaften zwischen jonischen Säulen ziehen das Auge in die Ferne hinaus. Nackte mächtige Gestalten in kühnen Stellungen füllen Nischen und lagern auf Simsen: Venus, von Grazien und Liebesgöttern umspielt, Bacchus, von fröhlichen, weinlaubbekränzten Faunen umringt. Christliches und Heidnisches, Nacktes und Bekleidetes, mischt sich durcheinander. Amoretten, schöne Frauen, Genien und Bacchanten, Götter und historische Figuren, Prachtgeräte, Geschmeide und glanzvolle Stoffe häuft er zu prunkvollen Stillleben zusammen. Die olympische Heiterkeit des Cinquecento, in nichts angekränkelt von der Blässe des Gedankens, spricht ihr letztes Wort.
Damit ist auch gesagt, was man nicht bei ihm suchen darf. Veronese ist ein geistvoller Dekorateur, ein Improvisator von beneidenswerter Leichtigkeit. Er ist ein Maler von großem Feingefühl. Denn es ist festlich rauschend, dieses Rot, das wie eine Jubelfanfare die silbergrauen Harmonien seiner Bilder durchtönt. Aber man denkt vor seinen Werken nicht, man träumt auch nicht, man sieht nur. Veronese scheint auf die Welt gekommen, um zu beweisen, daß der Maler gar keinen Kopf und kein Herz, sondern lediglich eine Hand, einen Pinsel und einen Farbentopf braucht, um alle Mauern der Welt mit Oelfarbe zu bekleiden. Seine Tafelbilder enthalten die Ergänzung zu dem, was er als Wandmaler leistete. Während bei Carpaccio ein scharfer Unterschied zwischen seinen dekorativen und seinen übrigen Bildern herrscht, wäre es vergeblich, bei Veronese solche Grenzpfähle zu errichten. Da sind Stillleben mit Sammetportièren und knisternden Brokatroben, aus denen ein Frauenkopf auftaucht. Das sind die Damenbildnisse Verones. Oder mächtige Frauenkörper in schwerem, goldig flimmerndem Damast, das blonde Haar mit Diamanten, den Nacken mit funkelnden Ketten geschmückt. Venus oder Europa lautet die Unterschrift. Malt er Katharina, die zarte Braut des Himmels, so ist sie eine animalische Schönheit in rubinbesätem Kleid, Perlen um den weißen Hals und in das blondgefärbte Haar gewunden. Malt er Maria, so ist sie nicht die Gottesmagd, auch nicht die Königin des Himmels, sondern eine Dame von Welt, die mit verbindlichem Lächeln den Huldigungen ihrer Kavaliere lauscht. In leichtem rotseidenem Morgengewand empfängt sie den Engel der Verkündigung und hört ohne Ueberraschung – sie weiß es ja vorher – seine Worte. Bei der Grablegung weint sie nur, um die Dehors zu wahren.
Jene üppig festlichen Soupers, denen er den Titel »Gastmahl bei Levi«, »Hochzeit zu Kana« oder »heiliges Abendmahl« gab, sind besonders berühmt. Eine festliche Tafel ist in prunkvoller Säulenhalle errichtet. Man sieht Freitreppen und Marmorkolonnaden, sieht Kellner mit silbernen Platten und krystallenen Weinkaraffen geschäftig sich bewegen, sieht Musikanten auf festlich geschmückter Balustrade die Tafelmusik besorgen, sieht Damen und Herren Venedigs, berühmte Maler und Fürstlichkeiten in Galakostüm zu einem Zweckessen vereinigt. Veronese war ein glücklicher Mensch. Ueberall, wohin er kommt, ist Glanz und Freude. Ueberall lächeln schöne Frauen, überall ist ein Maître d'hôtel, der die feinsten Dinge bereitet. Keine Not kennt er, nur Reichtum, keine Hütten, nur Paläste, keine Entbehrung, nur Genuß. Selbst ein Jenseits, dem ein Weltgericht vorausgeht, kennt er nicht, sondern steht mit beiden Füßen auf der Erde, kann sich nicht denken, daß das Abendmahl etwas anderes als ein Souper bedeute.
Ganz so hatte 100 Jahre vorher Ghirlandajo gemalt, und die nämliche Reaktion erfolgte. Am 18. Juli 1573 hatte Veronese wegen des Abendmahls, das heute im Louvre hängt, ein schweres Verhör vor dem Inquisitionstribunal zu bestehen. Lotto war noch als Märtyrer gestorben. Jetzt erscholl ein schrilles Signal. Venedig erinnerte sich seiner alten Traditionen. All das, was die eingewanderten Fremden von Giorgione bis auf Veronese geschaffen, war keine venetianische Kunst. Tintoretto – gleich Crivelli und Lotto geborener Venetianer – trat dem heitern Veroneser als der schwarze Ritter des Mittelalters, der dunkle Priester einer düsteren Kunst entgegen.
Jacopo Robusti war zu dieser Rolle, dem finsteren Glaubenspathos der Gegenreformation den ersten Ausdruck zu prägen, durch sein ganzes Wesen berufen. Als ein stürmischer exaltierter Geist, eine feurig leidenschaftliche Natur wird er geschildert. Wenn er Aretino einlädt, in sein Atelier zu kommen und wegen einer Kritik, die er früher geschrieben, ihm die Pistole unter die Nase hält, so zeigt dieser eine Zug den Vorläufer jenes wilden Geschlechtes, dem die Caravaggio und Ribera angehörten. Auch die bekannte Scene, wie er bei Lampenlicht seine tote Tochter zeichnet, kündigt die Zeit an, der Beatrice Cenzi das Gepräge gab. Und sieht man im Hofe des Dogenpalastes seine Büste, jenen Kopf mit der gefurchten Stirn, den hohlen Wangen und den tiefliegenden, starr herausblickenden Augen, so versteht man gleichfalls, wie die verzehrende Leidenschaft, die Morguestimmung seiner Bilder im Wesen dieses Mannes begründet war.
Wie alle anderen Venetianer der Zeit war Tintoretto aus dem Atelier Tizians hervorgegangen und wirkt in seinen frühen Bildern als Meister der Renaissance. Seine Empfindung ist ruhig, leuchtend und goldig die Farbe. Die strahlende Nacktheit junger Frauenleiber malt er, beobachtet das Spiel der Lichtreflexe, die weich einen zarten Rücken umkosen, giebt durch märchenhafte Landschaften den Bildern festlich magischen Glanz. Zu den Werken dieser Zeit gehört die Wiener Susanne, die schlanke Andromeda in Petersburg und die Venus in Florenz. Es gehört dazu das schönste Stück, das wir in Deutschland haben, das Gastmahl der Martha in der Augsburger Galerie. Und seine Darstellung der Fußwaschung bezeichnet in ihrer heiteren Renaissancestimmung wohl den Höhepunkt dessen, was Tintoretto als weltlicher Künstler schuf. Sonne durchflutet den Saal. An mächtigen Säulenreihen vorbei, blickt man auf schimmernde Prachtbauten und den glitzernden Spiegel der Lagunen.
Wie hier mit Veronese, berührt er in seinen Bildnissen sich mit Tizian. Wohl ist er einseitiger als dieser. Während in Tizians Bildnissen die schönsten Frauen Venedigs vorüberziehen, kommen bei Tintoretto wenig Frauen vor, oder wenn er sie malt, sind sie derb und männlich, massig und schwer. Nur seine Dogen- und Prokuratorenbilder – er war offizieller Maler der Signoria – zeigen ihn in seiner Größe. Auch hier unterscheidet er sich von Tizian durch brutale Sachlichkeit. Tizian sucht schöne Posen und schöne Bewegungsmotive, giebt auch dem Hintergrund durch Säule und Vorhang eine festlich dekorative Wirkung. Tintoretto bringt höchstens ein Wappen im Hintergrund an; die schöne Pose ist schon dadurch ausgeschlossen, daß er nie ganze Gestalten, höchstens Kniestücke malt. Selbst die Hände, denen Tizian so viel Aufmerksamkeit schenkte, ordnet er wie Lenbach dem Kopfe unter. Entweder er steckt sie in dänische Handschuhe, oder fertigt sie mit wenigen Strichen ab. Und durch diese Vereinfachung – auch dadurch, daß er nie vorübergehende Züge, nur die Amtsmiene malt – wirkt er noch wuchtiger, noch monumentaler als Tizian. Velasquez hat viel von Tintorettos Senatorenbildnissen gelernt.
Als Vorläufer des Frans Hals erscheint er in den Gruppenbildern. Er als erster malte Bilder, die, für öffentliche Gebäude bestimmt, im Sinne der holländischen Regentenstücke eine Anzahl Amtsgenossen zu einer Gruppe vereinen. Nur stellten die Holländer, um Zusammenhang in die Figuren zu bringen, die Leute schmausend dar, während die Nobili des Tintoretto viel zu stolz wären, sich dem Volk in angeheiterter Stimmung zu zeigen. Ohne Zusammenhang miteinander, ohne aus sich herauszugehen, finster und zugeknöpft stehen sie da, ein Stück spanischen Grandentums auf italienischem Boden.
Doch den eigentlichen Tintoretto, den reisigen Werkmeister der wild fanatischen Kunst, die die nächsten Jahrzehnte beherrschte, lernt man erst in seinen Kirchenbildern kennen. Es ist, als überziehe plötzlich eine schwarze Wolke den hellen Himmel der venetianischen Kunst. Statt der rauschenden Festmusik Veroneses erschallen Leichenmärsche und schrille Trompetenstöße. Statt der lächelnden Frauen sieht man blutige Märtyrer und bleiche Asketen.
Tintoretto hat, um der Maler der Gegenreformation zu sein, eine ganz neue Technik sich geformt. Hatten die anderen Venetianer den nackten Körper nur ruhig dargestellt, so lernte er ihn in den kühnsten Bewegungen beherrschen. Er studierte Michelangelo, erwarb sich am Seciertisch die Kenntnis, welche äußerste Muskelleistung er seinen stürmisch bewegten Figuren zutrauen dürfe. Auch die vollen klassischen Formen des Tizian waren nicht geeignet für diese nackten Körper, die, von Glaubensglut durchflammt, sich wie hektisch krümmen und winden. Kein übermäßiges Fleisch durfte die Menschen phlegmatisch machen, sie im excentrischen Pathos ihrer Gebärden hemmen. Darum bringt er einen neuen, hager langgestreckten Typus in die venetianische Malerei. Namentlich seine Frauen mit den grünlich blassen Zügen und den umränderten Augen, die unheimlich wie aus schwarzer Tiefe herausfunkeln, haben nichts mehr mit dem weichen Formenideal seiner Jugend gemein. Die Farbe verstärkt noch die aufgerüttelte Stimmung. Tintoretto irrte, wenn er über seine Atelierthür schrieb: »Die Zeichnung des Michelangelo, das Kolorit des Tizian«. Denn Tizians Farbe gleicht der eines schönen, ruhigen Herbsttages, wenn alles in saftigen harmonischen Tönen leuchtet, wenn die Sonne, bevor sie untergeht, noch einmal ihr gleichmäßiges warmes Licht über die Erde breitet. Vor Tintorettos Bildern denkt man an keinen Herbsttag, man denkt an eine unheimliche Nacht, wenn die Blitze zucken oder die Flammen lodernder Autodafés rauchend zum Himmel steigen. Da liegen ganze Partien in tiefem Dunkel, dort sind andere durch grünlich bleiche, grelle Lichter gespenstisch erleuchtet. An die Stelle der farbensatten Harmonien der Renaissance hat er die düstere Skala der Barockzeit gesetzt. Die Nacht des Mittelalters tritt der hellen Klarheit hellenischen Geistes gegenüber.
Das berühmte Bild der venetianischen Akademie, wie der heilige Markus einen Sklaven vom Opfertod befreit, ist die erste schrille Fanfare. Eine Scene, wie eine übernatürliche Kraft in den Gang der irdischen Dinge eingreift, das war ein Thema für Tintoretto. Kopfüber stürzt der Heilige herab, um in mächtiger Bewegung den Arm des Henkers zu packen. Magischer Lichtglanz strömt von ihm aus, wirft seine Strahlen auf Einzelnes, läßt anderes in tiefem Schatten. Auch eine symbolische Deutung liegt nahe. Die Päpste selbst in ihrem freigeistigen Heidentum waren die Henker der Kirche. Die Markusrepublik greift ein, die Kirche zu retten.
Dann die Fresken in der Kirche der Madonna dell'Orto: die Anbetung des goldenen Kalbes und das jüngste Gericht. Also ebenfalls der Geist der Gegenreformation, der nach einer Zeit der Abgötterei auf die Schrecken des jüngsten Tages hinweist. In wilder Bewegung, als sei schon zu lange gesäumt worden, stürzen die Engel auf Moses zu, ihm die Gesetzestafeln zu reichen. Alle tektonischen Gesetze sind aufgehoben. Da Wolken und gähnende Leere, dort wild zusammengeballte Massen. Beim Tag des Weltgerichts ist die ganze Natur in Aufruhr. Das Meer tritt aus den Ufern und braust als totbringende Flut dahin. Wenige nur von den Auferstandenen, die zum Himmel streben, finden Gnade. Engel schleudern sie in die Tiefe zurück. Denn die ganze Welt hatte den Götzen des Heidentums geopfert, das Anrecht auf Erlösung verloren.
Die 56 Bilder der Scuola di San Rocco zeigen die ganze Größe und Kühnheit des dämonischen Künstlers. Hatte die Renaissance die Darstellung physischen Leidens vermieden, selbst über Märtyrerbilder lächelnde Ganymedstimmung gebreitet, so hat das Bild Tintorettos, wie der heilige Rochus Kranke heilt, schon jenen grausigen Naturalismus, den die Spanier später in solchen Darstellungen zeigen. Die Verkündigung, die auf dem Bild Veroneses von Maria wie eine gleichgültige Stadtneuigkeit entgegengenommen wird, giebt er mit einer Leidenschaft, als hätte er selbst der Welt die Wiedergeburt des Heilandes zu künden. Für die Kreuzigung findet er, um die Stimmung zu steigern, Effekte, die erst die Panoramamalerei des 19. Jahrhunderts weiter ausbildete. Zwei Welten prallen mit Cagliari und Robusti aneinander. In des Veronesers Bildern klingt die Schönheit, Heiterkeit und Lebenslust des Renaissancegeistes aus. Tintoretto wies durch seine düster machtvollen Werke der Kunst des 17. Jahrhunderts die Bahn.