Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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7. Tizians Zeitgenossen

Innerhalb der venetianischen Kunst bedeutet Tizian das Centrum, wie in der mailändischen Leonardo, in der deutschen Dürer. Auch die folgenden sind selbständige Meister, von denen jeder das Reich des Schönen um eine neue Provinz bereichert. Nur reicht an allumfassender Kraft keiner an den Riesen von Pieve heran.

Bei Palma vecchio geht die weiche Ruhe der venetianischen Kunst fast in temperamentlose Langweile über. Palma malte ziemlich dasselbe wie Tizian: jene Breitbilder, auf denen die Madonna von Heiligen umgeben in einer abendlichen Landschaft sitzt. Und da er seine Thätigkeit sehr früh begann, fällt ihm, wie es scheint, sogar eine stilistische Neuerung zu. Er als Erster hat an die Stelle der Halbfiguren, wie sie in Cimas Tagen in solchen Bildern beliebt waren, ganze Gestalten gesetzt. Auch die Landschaften sind sehr schön, äußerlich kaum von denen Tizians verschieden. Der ganze heitere Friede, die liebliche Anmut seines Heimatortes Serinalta ist darüber ausgegossen. Man sieht üppige fruchtbare Thäler, braune Abhänge und blaue Fernen, sieht die Sonne, die ihr leuchtendes Abendrot über dunkle Bergketten breitet. In vielen Bildern – etwa dem Dresdener »Ruth und Boas« – ist etwas traulich Ländliches, wie es Tizian nur in einigen Holzschnitten hat. Ueber diese freundliche Sinnigkeit, ein gewisses Mittelmaß aber kommt er selten hinaus. Giorgione war in der schwülen Ebene geboren, auch seine Kunst hat etwas Sinnliches, Schwüles. Tizian stammte aus dem großartigen Hochgebirge, auch seine Kunst ist machtvoll und erhaben. Serinalta, Palmas Geburtsort, ist nicht mehr Ebene und noch nicht Hochgebirge. So ist auch seine Kunst weder träumerisch noch erhaben. Sie ist anmutig, aber oberflächlich und glatt, die Farbe sympathisch, aber ohne Feuer. Nirgends Temperament, kein Ton spontaner Empfindung. So viele Bilder er gemalt hat, es ist eigentlich immer ein Bild. Mag Maria oder Barbara, Ottilia oder Theresa dargestellt sein – das bedeutet so wenig, als wenn Vinea heute unter seine Frauenköpfe das eine Mal Ninetta, das andere Mal Lisa oder Giulietta setzt. Derselbe Kopf, dasselbe leere Formenideal kehrt immer wieder. Und wenn die Dame zur Abwechslung nicht in Gewändern, sondern unbekleidet auftritt, ändert das ebenfalls nichts. Steht sie, heißt sie Eva; liegt sie, heißt sie Venus. In Dresden hängt eines dieser Venusbilder in der Nähe des Wunderwerkes von Giorgione. Es ist eine Kluft, groß wie die Welt. Was bei Giorgione ein Liebesrausch, ein trunkenes Lied von Umarmungen gewesen, ist bei Palma das idealisierte Conterfey einer langweiligen Schönen, die auf dem Bette liegend die runde Linienrhythmik ihrer Gestalt zeigt.

Selbst seine Bildnisse, die ihn zum gesuchten Modemaler Venedigs machten, leiden schon an idealistischen Retouchen. Gewiß, majestätisch sind diese Weiber. Sie sind imposant in der Fülle ihres gewellten üppigen Haares, mit ihrem Perlenschmuck, den schwellenden Formen und den seidenen Puffärmeln, die so starr und feierlich sind, als sei ein Drahtgestell darunter befestigt. In runder Gebärde heben sie ihr goldblondes Haar empor, oder sie sind im Begriff, sich zu pudern, oder sie thun gar nichts, legen nur die Hand ums Haupt und schauen uns an mit einem Blick, der verführerisch sein könnte, wenn er nicht gar so geistlos wäre. Die Frage ist: Kommt dieses Geistlose auf Rechnung der Venetianerinnen oder auf Rechnung Palmas? Weiber mit blaustrümpfigen Anwandlungen wie Cassandra Fedeli und Caterina Cornaro hat es sicher in Venedig wenig gegeben. Vielleicht überhaupt wenige, deren geistiger Horizont über die Puderbüchse hinausreichte. Aber auch die Toilette hat ihre Poesie. Das haben die Rokokomaler, das hat Rossetti gezeigt. Unter Palmas Händen geht Grazie und Delikatesse, Feuer und Sanftmut der Augen, Zärtlichkeit und spöttisches Lachen in dieselbe fade Majestät über. Alle Speisen der Welt verwandeln sich in kalten Kalbsbraten.

Nach Palmas Tode übernahm Paris Bordone seine Erbschaft. Auch er wie Palma hat das Verschiedenste gemalt. Die Mehrzahl seiner Arbeiten gehört jenem Genre an, das Gentile Bellini in Venedig aufgebracht: Darstellungen aus der venetianischen Geschichte, die sich in reichen architektonischen Scenerien abspielen. Der Unterschied ist, der Zeit entsprechend, nur der, daß die Architektur jetzt den Stil der Hochrenaissance trägt und die Menschen nicht mehr steif, sondern in breiter Würde sich bewegen. Doch hauptsächlich kennt man ihn wie Palma als den Maler der Venetianerin. Fast jede Galerie besitzt das Porträt einer rothaarigen Schönheit in schillerndem, pfirsichfarbenem Kleid. Und Bordone wirkt vornehmer als Palma. Nicht nur Sammet und Seide weiß er ebenso virtuos wie dieser schillern zu lassen. Nicht nur die Nuancen des roten Haares und den weichen Schimmer gepuderter Haut hat er ebenso verständnisvoll wiedergegeben. Auch eine gebietende Hoheit, eine Noblesse der Haltung, so große fürstliche Bewegungen haben seine Frauen, daß Palmas ganze Kunst daneben kleinlich erscheint. Zwischen ihm und Palma steht eben die Riesengestalt des Tizian. Diesem seinem Lehrer dankt Bordone seinen großen Stil.

Die Bonifacii und Bassani spielen in der Geschichte des Sittenbildes eine Rolle. Die einen haben die religiösen Stoffe wie Scenen aus dem venetianischen Patrizierleben, die anderen wie Scenen aus dem Bauernleben behandelt. Irgend welches religiöse Empfinden darf bei den Bonifacii nicht gesucht werden. Weltliche Pracht, weltliches Genießen strahlt aus allen ihren Werken. Festliche Bauwerke erheben sich, reichgekleidete Menschen kommen und gehen. Das Dämmerlicht, das sie besonders bevorzugen, bringt koloristische Einheitlichkeit in das bunte Durcheinander. Man weiß gar nicht, ob Bonifacio Veronese, als er sein »Gastmahl des Reichen« malte, an die Bibel gedacht hat. Was das Bild schildert, ist lediglich das Privatleben des venetianischen Patriziers. Der Nobile sitzt nach beendetem Mahl mit Frau und Töchtern im Garten. Die eine spielt die Laute, die andere träumt. Nichts Großes hat seine Kunst, sie ist nur niedlich und nett. Aber weil das 16. Jahrhundert in seinem Streben nach dem Monumentalen sonst dem Sittenbildlichen aus dem Wege ging, sind die Bilder der Bonifacii als Vorläufer der Genremalerei des nächsten Jahrhunderts wichtig.

Die Bassani erhielten ihre Anregung durch die bäuerischen Idyllen, die Tizian in einigen seiner Holzschnitte gegeben hatte. Sie gingen aufs Land, zeichneten Hütten, Ochsen, Wagen und übertrugen das auf biblisch-legendarische Stoffe, die sie mit reicher landschaftlicher Scenerie ausstatteten. Das Hausgerät und die Haustiere, die sie in ihren Bildern anbringen, sind ihnen mehr wert als das biblische Thema. So brachten sie in die religiöse Malerei der Italiener einen bäurisch-ländlichen Zug. Die Tiermalerei des nächsten Jahrhunderts zeigt sich im Hintergrund.

Parallel mit diesen Künstlern von Venedig gehen die Maler von Brescia. Romanino hat in seiner Bewegtheit und faustfertigen Bravour mit dem Venetianer Pordenone viel Ähnlichkeit. Moretto, einer der edelsten, die Italien hervorgebracht, gab dem Altarbild eine grandios feierliche Ausprägung. Cinquecentist in der machtvollen Einfachheit seiner Bilder, bewahrt er doch die weihevolle Innerlichkeit der älteren Zeit. Zugleich schlägt er als Kolorist seltsam moderne Accorde an. Während die Venetianer volle rauschende Töne lieben, ist bei Moretto alles auf feines Silbergrau gestimmt. Am wohlsten fühlt er sich, wenn er die weißen Kutten der Benediktiner malen kann, die dann die Grundnote für die farbige Haltung des Ganzen geben. Auch in der Natur herrschen kalte, graublaue Töne vor. Weiß ist das Wasser. Die Wolken schimmern in hellem Grau. Das Abendrot, bei den Venetianern tiefpurpurn, ist bei ihm fahlgrau oder zitrongelb. Ein schönes Altarbild in Berlin, die heilige Justina in Wien, eine Madonna in Frankfurt und eine Himmelfahrt der Maria in der Brera sind die bedeutendsten Altarwerke, die man außerhalb Brescias von ihm sieht. Sonst ist er hauptsächlich durch Porträts vertreten: venetianisch in ihrem großen Wurf, beinahe nordisch in der intimen Art, wie er die Menschen in ihrer gewohnten Umgebung, in der Luft, die sie atmen, darstellt.

Auf dieses Gebiet folgte ihm sein Schüler Morone, der später in Bergamo arbeitete und dessen »Schneider« zu den markantesten Beispielen cinquecentistischer Porträtkunst zählt. Nichts ist aufdringliche Pose, nichts erkünstelt. Aber repräsentierende Feierlichkeit, monumentaler Schwung ist dermaßen die Note der Zeit, daß aus einem schlichten Handwerker ein Adelsmensch wird, sogar ein Bildnis als Erzeugnis großen historischen Stils sich darstellt.

Savoldo ist der interessanteste der Gruppe. Da er wie Melzi und Boltraffio aus adligem Hause stammte und nur als Amateur die Kunst betrieb, konnte er in höherem Grade als die Berufsmaler persönlichen Neigungen nachgehen. Diese galten der Landschaft. Die herkömmlichen religiösen Darstellungen verwandeln sich ihm in Beleuchtungsstudien und landschaftliche Stimmungsbilder. Die große Altartafel, die Tizian 1522 für Brescia geliefert, und worin er die Auferstehung Christi in die Dämmerung des Abends verlegt hatte, scheint der Ausgangspunkt für Savoldos Schaffen gewesen zu sein. Mit Vorliebe geht er dunkeln, magischen Stimmungen nach. Auf dem Bilde der Verklärung erfüllt mystisches, vom Gottessohn ausstrahlendes Licht die Luft. Die Klage um den Leichnam Christi geht in melancholischer Abendbeleuchtung vor sich. Die Anbetung der Hirten giebt Gelegenheit, den Zauber einer Mondnacht zu schildern. Selbst in seine Bildnisse führt er Lichteffekte ein, besonders den weichen Schimmer der Abendröte, die zum Fenster eindringend Zimmer und Personen überflutet. Und da dies Lichtleben die Hauptsache für ihn war, that er den weiteren Schritt, solche Beleuchtungseffekte auf ganz einfache Figuren aus dem Alltagsleben zu projicieren. Die schalkhafte Mädchenfigur des Berliner Museums ist besonders berühmt. Den braunseidenen Mantel über den Kopf gezogen, gleitet sie mit flüchtig beobachtendem Blick vorbei. Der Abend sinkt herab. Nur noch ein verspäteter Sonnenstrahl trifft ihr blasses, feines Gesichtchen. Mit Bildern der Art eilte Savoldo der Entwicklung der zünftigen Kunst um Jahrzehnte voraus.

Sebastiano del Piombo, acht Jahre jünger als Tizian, darf nur in seinen Jugendwerken als Venetianer gelten. Namentlich das Altargemälde der Kirche San Giovanni Crisostomo gehört zu den feinsten Blüten venetianischer Kunst. Die Frauengestalten, die den Thron des Heiligen umgeben, sind von einem herben Ernst, einer feierlichen Größe, die an Feuerbach mahnt. Auch einen Sinn für tiefe, leuchtende Farben hatte er, wie kaum ein zweiter in Venedig. Doch nachdem er, einer Einladung Agostino Chigis folgend, seinen Wohnsitz in Rom genommen, wurde aus dem Venetianer ein Römer. Schon seine Frauenbildnisse kündigen die Wandlung an: das mächtig heroische Weib der Uffiziengalerie mit der breiten römischen Büste und die Dorothea des Berliner Museums, die mit dem Blick der Venus victrix so hoheitvoll unnahbar uns anschaut. Später zeigt sich der Sohn des byzantinischen Venedig nur noch darin, daß er auch im heidnischen Rom Scenen aus der Leidensgeschichte – Darstellungen der Geißelung, der Kreuztragung, der Grablegung – malt. Aber der Stil der Werke ist römisch: statt des venetianischen Kolorismus düster bleigraue Farbe, statt des Ruhigen machtvoll wuchtige Bewegung. Zeugnis ist hauptsächlich das Bild des Heilandes, der mit gewaltiger Gebärde den herkulischen Lazarus aus dem Grabe ruft. Michelangelo, der römische Titan, war der Heros geworden, vor dem er bewundernd die Kniee beugte.


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