Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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II. Das Majestätische und Titanische.

5. Der Schönheitsbegriff des Cinquecento

Man kann die Wandlung, die die italienische Malerei seit dem Erlöschen des leonardesken Einflusses durchmachte, nur verstehen, wenn man von der allgemeinen Geschmackswandlung ausgeht, die sich seit dem Beginn des Cinquecento vollzog. Denn durch alle großen Epochen geht ein künstlerischer Stil, der einheitlich alle Lebensäußerungen durchdringt. Wie die Menschen bauen, wie sie sich bewegen und kleiden, so malen sie auch. Beachtet man das, so versteht man sofort, weshalb die Malerei des späteren Cinquecento gerade das Gegenteil von dem für schön hält, was die des ausgehenden Quattrocento verehrt hatte.

Der »Cortigiano«, das Büchlein vom vollendeten Kavalier, das der Graf Castiglione 1516 erscheinen ließ, belehrt darüber, was im Verkehr damals für gentlemanlike gehalten wurde. Unschicklich, sagt Castiglione, sei es, heftige eckige Bewegungen zu machen; unschicklich, sich an schnellen Tänzen zu beteiligen. Antike gravitas, gehaltener Ernst und hoheitvolle Würde wird als das Wesen des guten Tones bezeichnet.

Dementsprechend kommt eine Tracht in Mode, die in ihrer majestätischen Fülle nur ernste getragene Gebärden gestattet. Das 15. Jahrhundert liebte in der Tracht eine eckige spröde Schlankheit. Sie ist steif, ein wenig pedantisch bei den Frauen, enganliegend bei den Männern. Wie Jan van Eyck in kindlicher Freude alles Bunte, Glänzende, Blinkende in seinen Bildern zusammentrug, liebte die Mode bunte lebhafte Farben, gestickte Borden, glitzernde Ketten, goldene Hauben und glänzenden Perlenschmuck. Wie die Maler ihre Freude hatten am krausen Detail, liebte die Mode das kleinliche Geknitter und eckige Gefältel. Jetzt vermeidet man das zu Gunsten eines großen Linienzuges. Die Form der Gewänder ist von machtvoller Einfachheit, nicht wie früher von zierlichen Details überladen. Während man vorher durch kurze Aermel und enganliegende Tricots die Gelenkigkeit und Schlankheit des Körpers betonte, bekommt das Kostüm jetzt Breite und Feierlichkeit. Die Frauen kleiden sich in schwere rauschende Brokatstoffe, deren gebauschte Oberärmel den Körper breit und majestätisch erscheinen lassen. Das Kleid, früher kurz, erhält eine mächtige Schleppe, die nur getragenen Gang, ein andante maestoso erlaubt. Den Männern giebt das schwarze Barett und der weite faltige Mantel etwas selbstbewußt Ernstes, imposant Ruhiges. Ihre Bewegungen, früher zierlich, sind voll und rund.

Noch in anderer Hinsicht unterscheiden sich die Bildnisse des Cinquecento von denen der früheren Zeit. Schon das ist für die Zeitpsychologie nicht unwichtig, daß die Brustbilder, wie sie vorher ausschließlich Mode waren, nun zu Halbfiguren, die Halbfiguren zu Kniestücken, die Kniestücke zu ganzen Gestalten anwachsen. Für eine so psychische Zeit wie das Quattrocento war nur der Kopf von Wert. Der Mensch des Cinquecento, für den die Noblesse der Bewegung etwas so Wichtiges geworden, läßt womöglich in ganzer Figur sich malen. Während früher, als man die Schlankheit liebte, die Arme eng am Körper anlagen, wird jetzt nach Bewegungsmotiven gesucht, die möglichst breite Haltung gestatten. Infolge des majestätischen Eindrucks, den man anstrebt, wird auch das Beiwerk ein anderes. Noch bei Memling hielten die Männer einen Rosenkranz, die Damen ein Gebetbuch. Perugino gab seinem Francesco dell' Opere einen Schriftzettel »Timete deum«. Jetzt halten die Damen einen Fächer, die Hand der Männer ruht am Schwert. Die Majestät gestattet nicht mehr den demütigen Gedanken ans Jenseits. Sogar das Lebensalter der Dargestellten ist ein anderes. Zu Beginn des Quattrocento, als man gewohnt war, alles mikroskopisch zu sehen, wurden auch von den Porträtmalern Köpfe bevorzugt, die möglichst reich waren an Detail, an Runzeln und Falten, also Matronen und Greise. Später, als die Richtung auf das Zierliche kam, trat das junge Mädchen, der junge Page in den Vordergrund. Selbst wenn Männer dargestellt sind, behalten sie etwas Jugendliches mit ihrer enganliegenden Tracht, ihrem Lockenhaar und glattrasierten Gesicht. Das Cinquecento hat den eckig graziösen Mädchenbüsten, die zu Ausgang des 15. Jahrhunderts entstanden, nichts zur Seite zu stellen. Man mag an die Lavinia, die Dorothea, die Donna velata denken – die Schönheitsgalerie des Cinquecento besteht nur aus reifen, voll entfalteten Frauen. Ebenso sind Bildnisse von Jünglingen selten. Fast nur Männer sind dargestellt, nicht mehr rasiert, sondern das Gesicht von ernstem Vollbart umrahmt. Nur in dem Lebensalter läßt man sich malen, das am meisten den Eindruck der gravità riposata, des Würde- und Machtvollen giebt.

So ernst und machtvoll die Menschen in ihren Bildnissen erscheinen, so groß und mächtig sind die Räume, in denen sie sich bewegen. Früher war frische Grazie und schlanke Eleganz das Ziel, das die Architekten in ihren Bauten verfolgten. Ebenso schlank wie die Menschen in ihren enganliegenden Gewändern, waren die schlanken Säulen der Paläste. Mit ebenso viel zierlichem Ornament wie die Kostüme waren die Wände der Bauwerke geschmückt. Jetzt, wo die Tracht der Menschen einfach feierlich, ihre Bewegung breit und majestätisch geworden, kommt auch in die Baukunst monumentale Wucht und einfache Größe. Alles tändelnde Ornament ist vermieden. Schwer und massig, ernst würdevoll sind die Formen, hoch und weit die Räume, damit sie die majestätische Gebärde nicht beengen.

Die Bilder müssen zu diesen Menschen, zu diesen Räumlichkeiten passen. Ein neues Schönheitsideal hält also in der Kunst seinen Einzug. Es genügt, die Madonnenbilder des Cinquecento mit denen der vorausgegangenen Epoche zu vergleichen. Im Quattrocento waren die Formen hager und zart, herb und knospenhaft. In Leonardos Tagen begann die verschlossene Knospe sich zu öffnen. Jetzt strahlt sie in reifer sommerlicher Pracht. Eine andere Gebärdensprache bildet sich aus. Auf den Bildern Filippinos und Piero Pollajuolos gingen die Gestalten in zierlichem Tanzschritt. Jetzt stehen sie machtvoll fest auf dem Boden. Damals spreizten sie den kleinen Finger und hielten ihre Gewänder in zimperlicher Eleganz. Jetzt kennen sie weder die graziösen Gebärden des Quattrocento noch die weich schmiegsamen der Leonardozeit. Sie kennen nur breite fürstliche Gesten. Was früher still und fein, zierlich oder befangen war, wird groß und mächtig.

Psychologisch ist die Wandlung nicht geringer. Die Menschen, die sich auf ihren Bildnissen nicht mehr mit Gebetbuch und Rosenkranz, sondern mit Schwert und Fächer darstellen ließen, konnten auch keine demütigen Heiligen mehr brauchen, das Göttliche in Knechtsgestalt sich nicht vorstellen. An die Stelle der umiltà, die das Ideal der Savonarolazeit gewesen, tritt also maestà. Deckte damals ein düsterer Matronenschleier Marias Haar, so hüllt sie sich jetzt in fürstliche Gewänder. War sie damals die ergebene Gottesmagd, später bei Correggio die Dame von Welt, so ist sie jetzt die Königin des Himmels. Weder Wehmut noch Zärtlichkeit strahlt aus ihrem Auge. Stolz und vornehm, erhaben unnahbar schaut sie herab. Ein odor di regina strömt von ihr aus. Daß das Motiv der säugenden Madonna, dem die Leonardozeit eine leichte Wendung ins Sinnliche gegeben hatte, jetzt nicht mehr vorkommt, hängt ebenfalls mit diesen Begriffen von Hoheit und fürstlicher Majestät zusammen.

Auch das Format und die Komposition der Bilder werden anders. All die kleinen spitzpinselig ausgeführten Bildchen, die die frühere Zeit geliebt hatte, erschienen kleinlich. Der Eindruck des Hoheitvollen konnte nur durch lebensgroße oder überlebensgroße Figuren erzielt werden. Die Feinmalerei der älteren Epoche findet also keine Fortsetzung. Hinsichtlich der Komposition hatte zwar Leonardo einen entscheidenden Schritt gethan. Nachdem das Quattrocento Einzelheiten aneinander gereiht, war Leonardo dazu übergegangen, auf engem Raum möglichst viel Bewegung zusammen zu pressen. Dieses Bestreben, knapp und ohne Beiwerk in wenigen Figuren die Scene zu entwickeln, blieb auch jetzt vorherrschend. Aber das Raumgefühl Leonardos, sein Konzentrieren auf engen Raum paßte nicht mehr in diese Zeit, die an so weite Räumlichkeiten gewöhnt war. Die große Gebärde des Cinquecento durfte nicht beengt sein. Darum beschränkt man sich immer mehr auf wenige große Figuren, die inmitten einer weiträumigen Architektur frei und breit sich bewegen. Daß die Maler während des Quattrocento oft nebenbei Goldschmiede waren, während sie jetzt Architekten sind, ist bezeichnend. Damals mikroskopisches Sehen und heitere Zierlust, jetzt großes Sehen und monumentales Raumgefühl. Auch die Dreieckskomposition, die Leonardo bevorzugt hatte, erschien dieser Zeit zu eckig. Wie man im Kostüm nicht mehr die glockenförmigen Damenkleider und die schmalen Schultern, sondern die vollen Hüften, die bauschig runden Aermel liebte, baut auch die Komposition der Bilder in weichen runden Linien sich auf. Kreis, Bogen, Kurve und Wellenlinie herrschen vor.

Selbst das landschaftliche Ideal folgt diesem neuen Geschmack. Das 15. Jahrhundert, das die scharfe eckige Linie suchte, liebte in der Landschaft das Zackige, Hartbegrenzte, zeigte sie in der spitzen Kahlheit ihrer Formen. Das 16., das runde Weichheit der Linien erstrebt, bevorzugt auch in der Natur das Runde, Gewellte, zeigt sie immer im Schmucke der Pflanzenwelt, weil dadurch das Schroffe der Formen gemildert wird. Damals liebte man Muskelmänner und legte deshalb auch das Skelett der Landschaft bloß. Jetzt liebt man imposante volle Körper und umkleidet deshalb auch die Landschaft mit Fleisch. Das 15. Jahrhundert, das schlanke Menschen in Tricots malte, bevorzugte von Bäumen Cypressen, Tannen und Fichten, alles schlank Aufsteigende, spitz Zulaufende. Die Cinquecentisten vermeiden diese Bäume, weil nur die volle, abgerundete Gestalt des Laubbaumes zu den majestätischen Menschen mit den breiten Bewegungen paßt, die sich auf den Bildern bewegen. Sogar auf die Blumen trifft die Parallele zu. Das 15. Jahrhundert, das die graziösen Mädchenbilder schuf, sah in der Landschaft vornehmlich den Reiz des Frühlings. Das 16. Jahrhundert, dessen Ideal die voll entwickelte Frau geworden, sieht auch die Natur nur in leuchtender Sommerpracht.

Und die Künstler selber sind so majestätisch wie die Bilder, die sie malen. Zu Castagnos Tagen waren sie wilde Gesellen, trotzig und ungeschliffen wie die Rusticamauern des Palazzo Pitti, in den Tagen des Magnifico überfeinerte Aestheten. Savonarola machte sie zu Klosterbrüdern. Dann stürzten sie sich gierig in den Strudel des Lebens und gingen jung zu Grunde. Jetzt sind sie ernste gesetzte Männer, von jener gravitas, die Castiglione als Merkmal des vollendeten Kavaliers bezeichnet; umstrahlt vom Glanze der Majestät, als Gleiche unter Gleichen mit den Großen der Erde verkehrend.


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