Richard Muther
Geschichte der Malerei. III
Richard Muther

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4. Correggio

Bei Correggio, dem Leonardo von Parma, tritt wieder eine andere Nuance der Erotik hervor. Bei allen andren Künstlern der Epoche richtete sich die Sinnlichkeit nach außen. Für Giorgione ist seine Cecilia alles. Welcher Art die Sinnlichkeit Antonio Bazzis war, ist durch seinen Beinamen Sodoma angedeutet. Bei Correggio wissen wir von solchen Dingen nichts. »Schüchtern, zur Träumerei und Melancholie geneigt«, schildert Vasari den Knaben. Obwohl er in den verschiedensten Kunststädten war, tritt er doch keinem seiner Genossen näher, sondern betrachtet nur ihre Bilder, umkreist sie scheu wie eine Katze, ohne daß jemand von seiner Anwesenheit weiß. Ohne jeden Skandal ist sein Aufenthalt in dem lockeren Parma verlaufen. Auch ein Porträt hat er niemals gemalt. Er blickte den Leuten nicht gern ins Auge, fühlte sich am wohlsten, wenn er allein war, träumte nur, was die anderen erlebten. Das unterscheidet seine Bilder von denen Giorgiones. Des Venetianers Venus hat das Müde, das Ausruhen nach wilder Umarmung. Bei Correggio ist ein ewiges nervöses Zittern. Seine Wesen sind Traumgestalten, wie sie geheimnisvoll lachend dem Schläfer erscheinen, Märchenvorstellungen eines infamen Menschen, der zärtlicher Empfindung voll, doch nie nach außen sie bethätigt. Dem entspricht die Farbe. Während Giorgione seine Gestalten in die volle Wirklichkeit setzt, leben die Correggios in einem Traumland, von Dämmerlicht verschleiert, das sie in die weite Ferne entrückt. Die Macht, unter deren Berührung sie erzittern, ist kein warmer Körper, sondern – eine Wolke.

Correggios Vater war Gewürzkrämer. Stunden und Tage verbringt er in dem kleinen Laden, dessen würzige Düfte so stimulierend auf die Nerven wirken. Hinter dem Ladentisch liest er die Bibel. Nicht die Bücher Mosis um das Drama der Passion, sondern das Hohelied Salomonis und die zärtliche Erzählung von der Liebe der Magdalena zum Heiland. Die ganze Heilige Schrift verwandelt sich ihm in ein erotisches Buch. Auch mit den Liebesgeschichten der antiken Legende wird er vertraut. Denn sein Heimatstädtchen war durch Veronika Gambara ein Sitz des Humanismus geworden. Und Veronika fand Gefallen an dem scheuen Knaben. Seine Locken streichelnd, ihn zärtlich an sich ziehend, übersetzte sie ihm Stücke aus Ovid, erzählte ihm die Liebesgeschichten der alten Götter. Pochenden Herzens hört er von den verliebten Abenteuern des Jupiter, von all den schönen Sterblichen, die er bethörte, von Io und Danae, von Antiope und Leda. An diese Dinge denkt er in fiebernder Erregung, wenn er die Augen schließt, und sie verfolgen ihn wie Phantome im Traume. Das ist's, was in seinem Geiste lebt, was er malen wollte, und was er gemalt hat.

Freilich nur auf Umwegen gelangte er zu seinem Ziel, mußte sehr viele Werke schaffen, die gegen den Strich seines Temperamentes gingen.

Die Quellen seiner Kunst weisen nach Mantua. Hier, wohin er mit Veronika 1511 gekommen, erhielt er als Künstler die ersten Eindrücke seines Lebens. Mantegna, der noch immer unsichtbar über Mantua schwebte, wurde sein erster Führer. Lange träumte er im Castello di Corte vor den Werken des großen Meisters – wie ein Kind träumt, das zu Füßen einer Broncestatue sitzt. Der Geist des ehernen Heros, alles was der Realist, der Gelehrte Mantegna geschaffen, war ihm eine verschlossene Welt. Aber ein Bild zog ihn an, das einzige, das heiter wirkt unter Mantegnas Werken. Jene nackten Putten, die an der Decke der Camera degli Sposi spielen, gefielen ihm, weil sie so neckisch waren, so beweglich und lustig. Auch das Porträt der Isabella von Este und andere Zeichnungen Leonardos lernte er in Mantua kennen. Und als er ein Werk gesehen, zog ihn der große Zauberer magnetisch nach Mailand. Es hat Reiz, sich den jungen Correggio vorzustellen, wie er in Mailand weilt, zur selben Zeit, als sein angestauntes Ideal wieder in die Stadt gekommen, und wie er doch nicht wagt, ihm seine Verehrung zu sagen, nur scheu und träumerisch vor den Bildern des Meisters sitzt. Hier sah er jenes weiche Sfumato, das so wirkungsvoll die sinnlich vibrierende Stimmung verstärkt. Hier sah er jene Köpfe, wie sie dem Knaben vorgeschwebt in seinen Träumereien: Weiber, die wonnetrunken zittern, Kinder, die verschämt erröten, wenn schöne heilige Frauen und verliebte Backfischengel sie zärtlich betrachten.

Seine frühen Werke lassen verfolgen, wie der Einfluß Mantegnas von dem Leonardos abgelöst wird und schließlich der selbständige Correggio sich formt. Namentlich die Madonna des heiligen Franz enthält die Quintessenz dessen, was er von außen aufgenommen, und die Verlobung der heiligen Katharina zeigt, was er Neues hinzubringt. Leonardos Frauenideal ist mehr ins Niedliche, in den Typus des Tanagrafigürchens übergeleitet. Eine krankhafte Zartheit und Ueberfeinerung trennt ihn von den anderen Cinquencentisten ebenso sehr, wie sie ihn den Rokokomalern nähert. In den Händen namentlich, nervösen feinen Händen, deren weiche Berührung vibrieren macht, liegt der ganze Correggio. Alle jene weißen, schmalen, schlanken Prinzessinnenhände, wie sie Parmeggianino und viele andere später malten, gehen auf dieses Bildchen Correggios zurück.

Das nächste Jahr (1518) bezeichnete den Wendepunkt seines Lebens, und das Werk, das er im Auftrag der chevaleresken Oberin des Nonnenklosters von San Paolo in Parma schuf, ist nicht nur für ihn selbst, auch für die Zeit bezeichnend. Früher ließen die Nonnen ihre Schutzheilige malen, vor deren Bild sie ihr Gebet verrichteten. Donna Giovanna denkt hellenisch. Diana, die durch ihre Eigenschaft als Göttin der Keuschheit sich doch nicht abhalten ließ, zu Endymion herniederzusteigen, ist die Patronin, deren Halbmond sie in ihrem Wappenschild trägt. Und Correggio bemüht sich nicht, gleich anderen Meistern der Renaissance eine große gedankenvolle Komposition zu ersinnen, sondern beschränkt sich auf launig anmutige Causerie. Die Putten der Camera degli Sposi und die Laubarchitektur der Madonna della Vittoria werden in seiner Erinnerung lebendig, und das Ergebnis sind die delikaten kleinen Wesen, die sich so heiter graziös inmitten des Weinlaubes tummeln.

Nun ein jäher Scenenwechsel, und man steht vor den riesigen Kuppelbildern, mit denen er die Kirche San Giovanni Evangelista und die Kathedrale von Parma dekorierte. Stieg Melozzo da Forli, stieg Michelangelo ihm zu Kopf? Aus dem stillen Correggio ist ein raffinierter Virtuos geworden, der Haare flattern, Gewänder sich bauschen läßt. Riesige Körper winden sich, werfen die Arme in die Luft, verdrehen die Köpfe. Engel überschlagen sich und stürmen durch das Luftmeer daher. Namentlich das Bild der Domkuppel enthält schon den ganzen Himmel, wie er in der Phantasie der Barockmaler lebte. Es ist erstaunlich, wie er aller Schwierigkeiten spottet; erstaunlich, mit welcher Sicherheit er den Weg betritt, der von der Renaissance zum Pater Pozzo führt. Und doch wie dürftig ist das Thema, das sich hinter der rauschenden Instrumentierung birgt! Alles kraftlos, Form ohne Inhalt, Denkerstirnen ohne Gedanken, mächtige Gebärden ohne Sinn und Zweck. Nur in Einzelheiten erkennt man den Correggio von früher. Allerliebst sind die Engel, die in heiterem Leben das Ganze umspielen. Selbst die Evangelistensymbole in San Giovanni werden zu verliebten Wesen. Der Engel des Matthäus umarmt den Adler des Johannes, der Löwe des Markus schäkert mit dem Kalb des Lukas.

Correggios Skala war klein. Und da er nach den Erfolgen seiner Kuppelfresken der Meinung war, alles leisten zu können, hat er eine ganze Reihe von Werken gemalt, die ihn nur von seiner unangenehmen, nicht von der liebenswürdigen Seite zeigen.

So oft er sich auf das Gebiet des Pathetischen wagte, die großen Momente der Passion zu schildern suchte, sind seine Bilder so erlogen, wie nur je ein Kirchenbild, das zur Zeit Bouchers entstand. Aber auch die Gabe, ruhige Männlichkeit zu schildern, war ihm wie den Rokokomalern versagt. Seine Menschen sind schön, solange sie jung sind, aber fad, wenn sie altern. Denn da sie in ihrer Jugend nichts gethan, als gelächelt, zeigt sich nun, wie leer es in ihrem Kopfe ist. Oft fühlt man, daß sein Instinkt ihn warnte. Sein ganzes Wesen spricht sich aus, wenn er bei der Darstellung der Beweinung Christi die männlichen Freunde des Heilandes ausscheidet und nur Frauen als Leidtragende einführt, oder wenn er im »Ecce homo« allem Brauch zuwider statt der Kriegsknechte Maria und Magdalena beifügt: selbstverständlich nicht die verhärmte Mutter und die reuige Büßerin, sondern schöne Damen mit schwarz umränderten Augen, die verzückt einen weichlichen jungen Mann betrachten. Aber fast noch häufiger sind Werke, bei denen Männer gar nicht nötig waren, durch die Einführung hohlköpfiger Riesen verdorben. Gerade weil sein ganzes Empfinden weiblich war, setzte er sich in den Kopf, den Mann zu markieren. Und das Ergebnis war das gleiche wie bei dem zarten Elegiker van Dyck, als er in seiner ersten Zeit Rubens imitierte. Hohle Kraftmeierei tritt an die Stelle kraftvoller Größe. Durch theatralisch hünenhafte Gestalten, die er aufdringlich in den Vordergrund setzt, nimmt er seinen besten Bildern die Stimmung. Oder er verdirbt sie durch virtuose Parforcetouren, die für Kuppelfresken, nicht für Tafelbilder sich eigneten. Selbst in die »heilige Nacht« ragt sein beliebtes Froschschenkelragout herein und nimmt einer Scene, die ruhig stimmungsvoll sein könnte, ihren Zauber.

Correggio ist nur gut, wenn es sich nicht um Kraft, sondern um sanfte weiche Empfindungen, nicht um Pathos, sondern um harmloses Spiel, um lächelnde Heiterkeit handelt, nur wo er keine Männer, sondern Frauen und Kinder malt, wo er der Maler der Grazien bleibt, in den Grenzen eines anmutigen Rokoko sich hält. Allegri – in diesem Namen liegt seine Kunst beschlossen.

Freilich, selbst bei diesen Madonnenbildern darf man nicht Worte wie bei denen Botticellis, Bellinis oder Peruginos brauchen. Als diese Meister lebten, gab es noch eine ernste große religiöse Kunst. Sie haben die Zartheit der alten Legenden in ihrem ganzen mystischen Zauber begriffen, haben gelehrt, was Ausdrucksqualitäten bedeuten. Correggio erscheint neben ihnen affektiert und leer. Wo er nicht pathetisch sein kann, wird er süßlich. Alles, was dort gläubige Hingabe war, ist ins Irdischgalante übersetzt, ein Zwiegespräch von schmachtenden Blicken und verständisvollem Lächeln. Es ist bezeichnend, daß Joseph sich bei diesen Scenen nicht mehr wohl fühlt. Er verschwindet, um seine Gattin mit ihren Hausfreunden nicht zu stören. Und diese selbst sind sehr weitherzig. Es genügt ihnen nicht, mit Maria zu liebäugeln. Während diese einem von ihnen zulächelt, benutzt der andere die Gelegenheit, mit einer schönen Dame zu kokettieren, die vielleicht vor dem Bilde steht. Es beginnt jenes Blickewechseln mit dem Betrachter, das von Correggio auf die Barockmalerei überging. Wenn irgend einer, ist Correggio der echte Maler jener Zeit, die von allen Lehren des Christentums nur noch eine, fast allzuwörtlich befolgte: Kindlein, liebet euch untereinander. Und schließlich liegt eine Halbheit darin, wenn man Liebesscenen malen will, dazu die Figuren Marias und der Heiligen zu mißbrauchen.

Das fühlte Correggio. Soweit es nur möglich war, übersetzte er die Figuren ins Heidnische. Sebastian, auf der Verlobung der Katharina, könnte statt eines Pfeiles eine Traube halten und Bacchus heißen. Johannes wird Adonis, Georg ein römischer Feldherr. Aber sein Lebenswerk war mit dieser Transponierung so wenig gethan wie das Mantegnas, bevor er den Triumph Cäsars geschaffen. All jene erotischen Visionen, die er in seiner Jugend gehabt, als Veronica Gambara ihm den Ovid übersetzte, waren Träume geblieben. Sie mußten Körper bekommen. So siedelt er am Schlusse seines Lebens endlich über in seine wahre Domäne. Dieselbe Frau, die einst Mantegna beschäftigte, Isabella Gonzaga, gab auch Correggio Gelegenheit, die Ideale seiner Kindheit zu verwirklichen. Das letzte Bild, das Mantegna für sie malte, schilderte die Vertreibung der Laster. Jetzt kehren all die Wesen, die Savonarola ins Exil geschickt, im Triumph zurück. Und erst diese Bilder, in denen er, vom Christentum sich abwendend, nur noch die Macht der Liebe besang, bedeuten den eigentlichen Correggio. Hier hat er die Maske abgeworfen. Die Dissonanz, die dort zwischen dem Thema und der Auffassung herrschte, ist geschwunden. Am Kreuze hängt nicht mehr das abgehärmte Bild des Erlösers, sondern es streckt, wie auf der Radierung von Rops, ein Weiberkörper sich aus, fein wie verdichtetes Licht. Statt der Buchstaben INRI steht das Wort Eros darüber.

In dem Londoner Bild, der Schule des Amor, stellt er das Grundthema fest. Die Antiope des Louvre, die Danae der Borghesegalerie und die Leda in Berlin, von den Gonzagas als Geschenke für Karl V. bestimmt, sind die weltberühmten Bilder, an die man vorzugsweise denkt, wenn Correggios Name genannt wird. Das ganze Leben dieses Mannes, der nach außen so scheu und verschlossen lebte, war ein Liebestraum gewesen, von schönen Frauen und lächelnden Eroten umschwebt. Darum hat er die sinnlichsten Bilder des Cinquecento geschaffen – so wie Watteau das Parfüm des Rokoko am zartesten gab, weil der kranke einsame Mann auch nie Reales, nur Träume malte. Und nicht zufällig hat das 18. Jahrhundert so für Correggio geschwärmt, ihn zum Fürsten des Rokoko ernannt. Sensitiv und geschwächt, nervös und verzärtelt, entsprach er dem Ideal dieser überfeinerten Zeit. Correggio, älter geworden, heißt Boucher.

Die Wiener Io namentlich bezeichnet den Höhepunkt jener Zeit, als auf die Abtötung der Sinne, wie Savonarola sie gepredigt, der Triumph der Sinnlichkeit gefolgt war. Hier ist das Wort gesprochen, das schon Leonardo auf den Lippen lag, als er dem keusch entsagungsvollen Frauenideal der Savonarolazeit seine erotisch glühenden, sinnlich vibrierenden Weiber gegenüberstellte. Correggio verschafft ihrer Sehnsucht Befriedigung. Auf diesem Wege war kein Schritt mehr möglich. So beginnt jetzt die große Reaktion. Alle diese Meister, die in direktem Gegensatz zur vorausgegangenen Epoche standen, vermochten nicht ohne Sinnlichkeit Nacktes zu empfinden. Von den Folgenden wird es aus der Sphäre der Sinnlichlichkeit herausgezogen und zum künstlerischen Problem erhoben. Die Verse Michelangelos:

»Weh jedem, der vermessen und verblendet
Die Schönheit nieder zu den Sinnen reißt«

beziehen sich zwar nicht auf Correggio, von dem der römische Titan nichts wußte, aber sie beziehen sich auf Correggios Ahn, auf Michelangelos großen Gegner Leonardo. Sie beziehen sich auf die Kunst, die von Leonardo bis Correggio in Italien herrschte. Auf die Epoche der weichen Erotik, der begehrenden Sinnlichkeit folgt die der unnahbaren Majestät.


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