Richard Muther
Geschichte der Malerei. II
Richard Muther

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16. Elsaß und Schwaben

Matthias Grünewald, dessen »Bekehrung des Mauritius« in München neben der Lukrezia Cranachs hängt, führt wieder auf südlichen Boden zurück. Es ist nicht falsch, wenn Sandrart, der feine Kenner, ihn den deutschen Correggio nennt. Zwar in der Empfindung hat er wenig mit dem Maler von Parma gemein. Sein grausiger Naturalismus, seine Schmerzenswollust und dämonische Phantastik haben kein Gegenstück weder bei Correggio noch bei anderen Meistern Italiens. Aber koloristisch trifft die Bezeichnung zu. Grünewald verhält sich zur Dürerschule ähnlich wie Correggio zur Schule von Rom. Schon darin, daß weder Holzschnitte noch Kupferstiche von ihm vorhanden sind, spricht sich der Unterschied aus. Alle anderen deutschen Meister führen den Grabstichel lieber als den Pinsel, geben ihren Bildern den Charakter des Konturholzschnittes mit farbiger Füllung. Grünewald dachte malerisch, fühlte seine Kraft nur, wenn er glühend leuchtende Töne zu rauschenden Accorden verband. Bei ihm giebt es keine zeichnerischen Umrisse, keinen architektonischen Aufbau. Verschwimmende Massen sieht man, magisches Helldunkel, das mit Märchenzauber die Scenen umwebt. Und ist er als Pathetiker urdeutsch, weit kühner als die Romanen – gewisse Empfindungsnuancen klingen ebenfalls an Correggio an. Ein Zug zum Traumseligen, zum sinnlich Lieblichen giebt seiner Kolmarer Madonna ein fast oberitalienisches Gepräge.

Wenn Sandrart ihn als deutschen Correggio bezeichnet, hat er, ohne es zu ahnen, richtig die künstlerische Herkunft Grünewalds bestimmt. Correggio und Grünewald gehen auf dieselbe Quelle zurück. Leonardo ist ihr geistiger Vater. Freilich – man weiß nicht, daß er in Italien war. Nun, auch heute wird manche Reise, die ein junger Künstler macht, nicht sofort von einem Reporter gebucht. Grünewald hat immer heraldische Spätgotik, nie antike Ornamente, Säulen und Pilaster in seinen Bildern verwendet, wie er es gethan haben würde, hätte er den Süden gesehen. Nun, es hat ihn in Italien nicht die Architektur, sondern anderes gefesselt. Für Dürer standen, als er nach Italien kam, zeichnerische Probleme, die der Eurhythmie und des Nackten, im Vordergrund. Auch auf Grünewald wirkte, wie sein Münchener Mauritiusbild zeigt, die monumentale Einfachheit der italienischen Kunst, der machtvolle Schwung der Gestalten, die breite Noblesse der Gewandung. Aber mehr noch zog ihn ein anderes an: er blickte staunend in die farbige Wunderwelt, in die Welt des Stimmungszaubers, die Leonardo erschlossen. Leonardesk sind die Lichtwirkungen seiner Bilder. Leonardesk ist das Lächeln, das die Lippen seiner Maria umspielt, leonardesk das weiche, gewellte Haar, das ihr Gesicht umflutet. Die Felsgrottenmadonna ist die ältere Schwester der Madonna von Kolmar. Selbst die Landschaften sind andere, als er in Deutschland sah. Er malt nie wie Altdorfer und Cranach das grüne junge Laub deutscher Wälder. Er malt eine sinnlich saftige Natur, die an die Riveria gemahnt. Alle Pflanzen sind üppig und farbenprächtig, scheinen unter übermächtiger Fülle von Lebenssaft zu ersticken. Jeder Baum macht den Eindruck schnellen, durch tropische Hitze geil emporgetriebenen Wachstums. Saftige Schmarotzerpflanzen winden sich von Stamm zu Stamm; Guirlanden von Schlinggewächsen durchranken wuchernd die Aeste. Rotglühende Rosen leuchten aus dunkelm Laube hervor. Es ist seltsam, daß sogar als Stifter von Grünewalds Hauptwerk ein Italiener, der Präceptor Guido Guersi genannt wird; seltsam, daß manches Leonardeske schon bei einem älteren Mainzer, dem Meister des Amsterdamer Kabinetts sich findet.

Grünewalds Hauptwerk, der berühmte Isenheimer Altar im Museum zu Kolmar, ist an malerischen und geistigen Qualitäten das Erstaunlichste, was die deutsche Kunst des 16. Jahrhunderts hervorbrachte. Ein intimer Künstler wie Cranach und Altdorfer ist er nicht. Deutsche Gemütlichkeit darf man nicht bei ihm suchen. Aber durch die ganze Skala der Empfindungen reißt er fort: von verzückter Sinnlichkeit bis zu grauser Tragik, von seligem Taumel zu düster gespenstischem Satanismus. Ein ganzer Hexensabbat ist auf dem Bild entfesselt, das die Versuchung des heiligen Antonius darstellt. Aus den Schluchten, aus den Felsspalten kriechen scheußliche Ungeheuer, nicht die zahmen Teufelchen Schongauers, sondern wilddämonische Wesen heraus. Dann ein Scenenwechsel, und der Himmel thut sich auf. Engel kommen herniedergeschwebt. Ein goldener Tempel aus üppigen Schlinggewächsen, aus Weinlaub und Blumen wächst wie auf Zauberwort aus der Landschaft empor. Hier lassen die Cherubim sich nieder, musizieren und singen, in stürmischem Jubel Maria verehrend. Und wieder öffnet sich ein Flügelpaar – ein wilder Schmerzensschrei klingt schrill entgegen. Christus hat ausgelitten. Der Querbalken des Kreuzes beugt sich unter der Last des fahlen Leichnams. Noch bluten die Wunden, die die Geißel dem Körper schlug. Krampfhaft sind Finger und Zehen gespreizt, angeschwollen die Füße. Der Kopf, von wahnsinnigem Schmerz verzerrt, sinkt schwer wie der eines Gehenkten zur Seite. Magdalena schreit auf. Maria sinkt totenstarr zusammen. Das Auferstehungsbild enthält das Großartigste, was Grünewald als Lichtmaler leistete. Der nächtliche Sternenhimmel hat sich aufgethan; die Wolken zerreißen. Während die Erde im Dunkel bleibt, überflutet das Licht wie ein flirrender Nebel den Heiland. Nicht körperlich wirkt die Gestalt, sondern wie ein Schemen. Eine Lichterscheinung scheint sich verdichtet zu haben, um plötzlich wieder in Nebel zu zerrinnen. Das ist nicht nur ein koloristischer Effekt, es ist eine neue Art zu denken. Dem Linienstil der anderen setzt Grünewald einen rein malerischen Stil, den Kampf von Licht und Dunkel, entgegen. Eine merkwürdige Perspektive eröffnet sich. Sandrart schreibt, der Maler Philipp Uffenbach, ein Schüler von Grünewalds Schüler Hans Grimmer, hätte ihm in Frankfurt oft von dem seltsamen Meister erzählt, der in Mainz »ein so melancholisches Leben geführt«. Dieser Uffenbach war Lehrmeister des Adam Elsheimer, Elsheimer der Anreger des Pieter Lastmann und Lastmann der Lehrer Rembrandts. So reichen über die Jahrhunderte hinaus die beiden größten Phantasten des Nordens sich die Hand.

Unmittelbar übte Grünewald auf die deutsche Kunst keinen Einfluß. Denn Hans Baldung einen Nachfolger Grünewalds nennen, würde zu wenig dem Stil dieses Meisters entsprechen. Wohl that es ihm, als er 1512 das Isenheimer Altarbild kennen lernte, Grünewalds Zug zum Träumerischen, zum farbig Sinnlichen an. Wüßte man nichts von Grünewald, so wäre der Altar des Freiburger Münsters als größte koloristische Leistung des 16. Jahrhunderts zu feiern. Das strahlende Licht, die tropische Landschaft mit den üppigen Palmen, in deren Blattwerk Engel sich schaukeln, sind ähnlich wie auf Grünewalds Werk. Aber das Instinktive dieses elementaren Geistes fehlt ihm. Sein Kolorismus bleibt durch zeichnerische Straffheit gezähmt.

Von den späteren Bildern, die er in Straßburg schuf, stehen die Allegorien und die Todesdarstellungen dem Gefühlsleben der Gegenwart am nächsten. Baldung zeigt hier für den sinnlichen Reiz üppiger Frauenkörper ein feines Auge. Weiber, Musik und Katzen sind auf einem Nürnberger Bilde vereint. Aber auch der satanische Zug mancher Werke ist seltsam. Man denkt an die Sünde von Stuck vor diesem begehrlichen Weib, zu dessen Füßen sich die Schlange windet. Man denkt an Rops vor den Allegorien des Baseler Museums, auf denen der Tod wie ein Wärwolf sich auf jugendliche Frauen stürzt und in elbischer, vampyrhafter Lust sein fleischloses Gebiß an ihre blühenden Lippen preßt.

Wie für Grünewald Leonardo war für die schwäbischen Meister Giovanni Bellini der Mentor. Gedankenvolle Phantastik, deutsche Traulichkeit, wilde Leidenschaft kennen sie nicht. Sie sind schmiegsam, anmutig, gefällig: in ihrem weichen Empfinden, dem melodischen Linienfluß, der tonigen Farbe. Früher als den fränkischen und bayrischen Meistern hatte sich ihnen der Formenschatz der italienischen Renaissance erschlossen. Mit diesen Ornamenten tändeln sie, wie die Italiener ein Jahrhundert vorher es mit denen der Antike gethan. Man sieht Prachtsäle mit kassettierten Decken, die auf korinthischen Säulen ruhen, mächtige Kirchennischen mit offenen Hallen, Renaissancebrunnen und vergoldete Throne. Inmitten dieser reichen Architektur spielen, wie auf venetianischen Bildern, freundlich milde, ruhige Vorgänge sich ab.

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In Ulm lenkte Martin Schaffner als erster in diese Bahn. Statt des salbungsvollen Pastorentones, den Zeitblom, sein älterer Landsmann, anschlug, herrscht bei ihm weltliche Causerie. Nichts Herbes, Knorriges giebt es. Alles ist von flüssiger Eleganz. Reiches gotisches Laubwerk verbindet sich auf seinem Hauptwerk – den Orgelthüren des Reichsstiftes Wettenhausen, die heute in München hängen – mit Amoretten und Delphinen, dem lustigen Formenvorrat der Renaissance. Bunte Marmorsäulen mit goldenen Kapitälen erheben sich. In freiem Schwung fließen die Gewänder. Nicht in ihrem Bette, wie auf älteren deutschen Bildern, stirbt Maria. In einer feierlichen Kirchenhalle, im Kreise der Apostel sinkt sie hin. Denn Schaffner ist auch schon vom repräsentierenden Geist des Cinquecento berührt, der das häuslich Genrehafte der älteren Kunst als ordinär empfindet.

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Augsburg war das Klein-Paris jener Jahre: nicht altfränkisch abgeschlossen wie Nürnberg, sondern von großstädtischem Leben durchwogt. Noch heute, trotz der nivellierenden Zeit, bewahren beide Städte ihren Gegensatz. In Nürnberg gotische Dome, krausverzierte Sakramentshäuschen und winklige Enge. Hier breite Straßen, mächtige Renaissancepaläste, Brunnen mit Statuen. Der Augustusbrunnen namentlich ist das Wahrzeichen der Stadt, der stolze Hinweis auf den römischen Ursprung der Augusta Vindelicorum. Und nicht nur als römische Kolonie fühlte sich Augsburg. Auch durch seine Handelsbeziehungen zu Venedig war es bestimmt, eine italienische Enklave auf deutschem Boden zu sein. Venedig war die hohe Schule der Augsburger Kaufleute. Dort im Fondaco der Deutschen brachten alle Fugger ihre Studienjahre zu.

Auch die Maler sind die Venetianer des Nordens. Ulrich Apt allein macht in seiner Augsburger Kreuzigung, dem Münchener Universitätsaltar und der Beweinung Christi einen nordisch niederländischen Eindruck. Die Bilder der anderen weisen nach dem Süden. Hans Burgkmair ging zwar aus der Schule Schongauers hervor. Aber wenn 1501 ein Venetianer, Kaspar Straffo, als Lehrling bei ihm eintritt, wenn den Hintergrund seines Helldunkelblattes »Der Tod als Würger« ein Kanal mit Gondeln bildet, so ist dadurch auch die Verbindung mit Venedig erwiesen. Besondere psychische Feinheiten darf man nicht bei ihm suchen. Wenn er in seinen Holzschnitten Stoffe wie die Passion oder die Apokalypse behandelt, erreicht er nur kunstgewerbliche Wirkung, beschränkt sich darauf, Erfindungen, die er anderen entlehnt, in anmutige Umrahmungen zu setzen. Aber schwungvoll elegant, wertvolle Dokumente für Tracht- und Waffenkunde sind die Blätter, die er für Maximilian zeichnete. Und dieser Sinn für Wohllaut – der Form und der Farbe – ist auch das Kennzeichen seiner Bilder. Venetianisch ist die Renaissancearchitektur, die sich in machtvoller Großräumigkeit über den Figuren wölbt; venetianisch die Art, wie er den Thron Marias mitten in die Landschaft setzt. Auch die Köpfe seiner Madonnen mit dem regelmäßigen Oval und der losen Flechte, die das Gesicht umrahmt, haben südliches Gepräge. Durch eine kapriciöse, schiefe Mundstellung sucht er ihnen bellinesken Anflug, etwas von der träumerischen Wehmut oberitalienischer Werke zu geben. Venetianisch ist sogar sein landschaftliches Empfinden. Denn er malt die südliche Natur – die Goldrange, die in dunkelm Laube glüht – nie die deutsche, giebt nie in zeichnerischer Schärfe das Einzelne, sondern schummerige Lichtstimmungen, in denen die Einzelformen als dekorative Massen verschwimmen.

Gumpolt Giltlinger, ein wenig schwerfälliger, bietet in seiner Anbetung der Könige eine weitere Variante dieses Stils. Und Christoph Amberger ist überhaupt Venetianer. Die musizierenden Engel und die weichen, vollen Formen seiner Frauen mit dem goldblonden Haar, die prunkvolle Säulenarchitektur und die leuchtende Farbe – alles wirkt, als seien seine Altarwerke nicht am Lech, sondern an den Lagunen gemalt. In der Berliner Galerie sind seine besten Bildnisse, das Karls V. und Sebastian Münsters, die der scharfen Naturbeobachtung der Heimat gleichfalls die freie Noblesse, das harmonische Farbengefühl der Venetianer gesellen. Durch ähnliche Werke hat der letzte Augsburger, Hans Holbein der Jüngere, seinen Weltruhm erworben.


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