Richard Muther
Geschichte der Malerei. II
Richard Muther

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II. Die germanische Malerei des Reformationszeitalters.

11. Der Anschluß an Italien

Im selben Jahr, als im Schlosse Amboise Leonardo da Vinci sein Auge schloß, starb in Nürnberg Michel Wohlgemuth. In diesen Namen sind zwei Welten enthalten: Renaissance und Mittelalter, freies Künstlertum und zünftiges Handwerk.

Es ist beklagt worden, daß seit dem 16. Jahrhundert die deutschen Künstler nach dem Süden zogen, über Italien, wie die Kaiser des Mittelalters, die Heimat vergaßen. Aber was Italien sie eine Zeit lang vergessen ließ, war auch die erstickende Luft, das kleinliche Kastenwesen des Nordens. Aus spießbürgerlicher Enge waren sie in ein Land der Freiheit, in eine glückliche Zauberwelt versetzt. Aus »Schmarotzern« wurden sie »Herren«. »Hier frieren die Künste,« schrieb Erasmus in dem Geleitbrief, den er Holbein gab. »Nach der Sonne fror« Dürer, als er aus Venedig zurückkam. Das Märchen seines Lebens war zu Ende, und der Käfig des Philistertums nahm ihn wieder auf.

Es ist rührend, die Lebensbeschreibungen der deutschen Künstler des 15. Jahrhunderts zu lesen. Die italienischen Meister wandelten auf den Höhen des Lebens, so wie »der Sänger mit dem König geht«. Der deutsche Maler ist ein armer Kerl, der mit den Sattlern, Glasern und Buchbindern einen Zunftverband bildet. Erst hat er als »Knecht« lange Jahre bei einem Meister gedient. Dann hat er sich eingeheiratet in das Handwerk, indem er eine Malertochter oder Malerwitwe heimführte. Keinen glanzliebenden Hof, keine Aristokratie vornehmer Kenner giebt es. Die »Kunstpflege« liegt in den Händen braver Bürger, die eine Altartafel stiften, um sich in das Himmelreich einzukaufen. Diese Altartafeln samt den Bildschnitzereien werden mit Hilfe der Gesellen schlecht und recht in der Werkstatt erledigt. Und wenn sie bei der Ablieferung als »wohlgestalt« erkannt werden, wird großmütig der Frau Meisterin noch ein Trinkgeld verabreicht.

Von einem »Stil« der deutschen Kunst des 15. Jahrhunderts also läßt sich kaum sprechen. Die Aufgabe ist nur, möglichst deutlich das Thema vorzutragen, den Religionsunterricht stramm zu erteilen. Das haben die Maler mit hanebügener Derbheit gethan. Man braucht gar nicht anzunehmen, daß sie ihr Wissen bei Roger van der Weyden holten. Aus den gleichen Anforderungen ergab sich der gleiche Stil. Es galt, volkstümlich zu sein, drastisch und handgreiflich. Darum tragen sie möglichst dick die Farben auf, schreien statt zu reden, steigern das Natürliche ins Fratzenhafte, um auch vom Dümmsten verstanden zu werden. Gesichter verzerren sich, dicke Thränen und Blutstropfen fließen, fahrige Arme strecken sich aus. Es wird gehauen, gestoßen, getreten, gespuckt. Und mitten in die Scenen, in denen arme Opfer geschunden werden, sind wie in den Passionsspielen Possen eingestreut, damit auch die Lachlust ihre Rechnung findet. Kann man nicht wild sein, ist man nüchtern ehrbar. Kein stummes Sinnen, keine ätherische Grazie giebt es. Alles ist handfest und bieder, von treuherzig hausbackener Moral.

Daß Martin Schongauer, der große Meister von Colmar, mehr durch seine Kupferstiche als durch seine Bilder fortlebt, ist bezeichnend. Da er als Maler nicht die Möglichkeit hatte, sich auszusprechen, machte er die Griffelkunst sich dienstbar. Herb und streng, von knorriger Wucht ist seine Madonna in Colmar. Schlicht und traulich sind die kleineren Marienbilder in München und Wien. Doch sein Bestes legte er in Zeichnungen nieder.

Für die Nürnberger wurde der Holzschnitt von ähnlicher Bedeutung. Indem sie als Illustratoren für die Buchdrucker arbeiteten, erschlossen sie sich ein Schaffensgebiet, in dem sie sich freier bewegten. In ihren Altarwerken arbeiten sie als Bürger für Bürger: solid und rechtschaffen. Bis 1472 hatte Hans Pleydenwurff die größte Werkstatt. Eine Kreuzigung und eine Vermählung der Katharina in München, eine Kreuzigung im germanischen Museum, eine Kreuzabnahme in Paris und ein Altarwerk in Breslau weist ihm die neuere Forschung zu. Dann etablierte sich Wilhelm, sein Sohn, dessen Hauptwerk der Peringsdörffersche Altar von 1488 sein soll. Das Geschäft des alten Pleydenwurff brachte – durch Verheiratung mit der Witwe – Michel Wohlgemuth an sich. In ihm hatten die Deutschen des Quattrocento den Maler, den sie verdienten. Die Zahl seiner Werke ist ungeheuer. In München, Nürnberg, Schwabach, Heilsbronn, Zwickau und vielen anderen Orten kommen sie vor. Doch wer das Bildnis kennt, das Dürer von seinem Lehrmeister malte – jenen Kopf mit der Habichtsnase und dem kalten, stahlharten Blick – kennt auch Wohlgemuths Werke. Mit gesundem Wirklichkeitssinn, mehr Fabrikant als Künstler, trat er stramm und derb der Natur gegenüber, hatte eine handfeste Art, Grün neben Rot, Rot neben Gelb zu setzen. Damit that er den Besten seiner Zeit genug.

Nördlingen, Ulm, Memmingen und Augsburg sind als weitere Stätten deutschen Kunstschaffens zu verzeichnen. In Nördlingen arbeitete Friedrich Herlin von Rothenburg, der in der Werkstatt Rogers Erleuchtung gesucht und wegen seiner technischen Kunstgriffe bewundert wurde. Bartholomäus Zeitblom in Ulm ist der Typus des schwäbischen Pastors. Breit und bedächtig spricht er, jedes Wort abwägend. Wenn er feurig sein will, wird er salbungsvoll. Seine Lyrik ist trockener Hausverstand. Bei Bernhard Strigel von Memmingen geht diese schwerfällige Ruhe in barocke Verwilderung über. Ausfahrend sind die Gesten, bauschig die Gewänder. Es herrscht in seinen Altarwerken dieselbe knitterige Verzwicktheit, in der sich die Architektur der absterbenden Gotik gefiel.

Hans Holbein der Aeltere von Augsburg ist unter diesen Malermeistern der einzige Künstler: beweglich und vielseitig, von Seele und Nerv. Und weil er Künstler war, ließ ihn sein Vaterland verhungern. Seine Jugendwerke, kleine Madonnen des germanischen Museums, weisen in die Zeit des alten Idealismus, in die Tage Lochners zurück. Sie sind schwärmerisch holdselig, minniglich weich. Dann wird er der extremste Führer der neuen naturalistischen Bewegung. Das Affenteuerliche, Naupengeheuerliche ist sein Ziel. Namentlich die Passionsscenen des Kaisheimer und Donaueschinger Altarwerks sind für diese Phase seines Stils bezeichnend. Das gefährlichste Spitzbubengesindel von der Landstraße läßt er Modell sitzen. Aus Zuchthäuslern, Hanswürsten und rappelköpfischen Spitalern setzt sich seine Schönheitsgalerie zusammen. Schließlich folgt die Klärung. In dem Bilde der Paulsbasilika der Augsburger Galerie ist aus dem Stürmer und Dränger, der nur das Scheußliche für schön, nur das Verrückte für wahr hielt, ein ernster Mann geworden, der in ruhiger Sachlichkeit das Leben malt. Alle Figuren sind schlichte Porträts. Besonders berühmt ist die Gruppe, die den Meister selbst mit Ambrosius und Hans, seinen Söhnen, darstellt. Je älter er wird, desto reiner wird sein Geschmack. Eine einfache Schönheit hält ihren jubelnden Einzug. Mit einem klassischen Werk, dem Münchener Sebastiansaltar, beschließt er sein Schaffen. Und das Renaissanceornament, auch die mildleuchtende goldtönige Farbe verrät, was diese letzte Wandlung seines Stils bewirkte: Italien.

Erst durch die Bekanntschaft mit Italien erhielt das Suchen der nordischen Künstler ein festes Ziel. Erst durch die Berührung mit dem Süden wurden sie inne, daß Kunst mehr als handfeste Naturkopie bedeute. Hatten im 15. Jahrhundert die Niederländer, selbst die Deutschen befruchtend auf Italien gewirkt, so zahlt dieses jetzt mit Zinsen zurück, was es Johannes de Alemannia, Roger und Goes verdankte. Nach dem Süden pilgern die jungen Maler, um dort ihren Geschmack zu verfeinern. Hier erwerben sie die theoretischen Kenntnisse, die den Aelteren fehlten. Hier werden sie sich ihres Künstlertums bewußt.

Wohl verzichten sie nicht auf die Dinge, an denen zu Eycks Tagen die nordische Kunst sich freute. Nachdem die Graphiker des 15. Jahrhunderts, Schongauer und der Meister E. S. begonnen hatten, Scenen aus dem Alltagsleben darzustellen, werden jetzt solche Stoffe zum Gegenstand von Bildern gemacht. Nachdem van Eyck jede Blüte, jedes Blättchen gemalt, dann Goes und Memling mit ihren Landschaften gekommen, beginnt nun die Landschaftsmalerei sich als selbständiger Kunstzweig abzusondern. Dazu erobert sich die Kunst noch ein drittes Gebiet. Solange der Geist des Realismus herrschte, malte man nur, was man sah. Alles über die Wirklichkeit Hinausgehende schien verdächtig. Aber als im Gefolge der kirchlichen Reaktion auf die realistische eine metaphysische Strömung folgte, trat sofort das Phantastische hervor. In Italien ersinnt Piero di Cosimo seine Fabelwesen und betrachtet das Sputum kranker Menschen, worin er seltsame Gestaltungen zu sehen glaubt. Leonardo schreibt seine Worte von den Wolken und verwitterten Mauern, in denen man wunderbare Wesen erblicken könne. Da diese Phantastik mehr im nordischen als im italienischen Charakter liegt, erfolgte hier der weitere Ausbau des Gebietes. Die Griffelkunst, die gelenkiger als der Pinsel dem Geist in märchenhafte Reviere folgt, wird von tonangebender Bedeutung. Nachdem Schongauer in seiner Versuchung des Antonius zuerst schüchtern das Gebiet betreten, nehmen die folgenden vom ganzen Reich des Übersinnlichen Besitz.

Andererseits gehen mit diesen intimen und phantastischen Dingen ernste formale Bestrebungen Hand in Hand. Es beginnt im Norden die Forscherarbeit, die Italien ein Menschenalter vorher erledigte. Indem man aus den Werken der »großen Malerei« alles Episodische ausscheidet, sich gleich den Italienern auf die Durchbildung lebensgroßer menschlicher Körper konzentriert, erreicht man eine stilvolle Einfachheit, wie sie dem 15. Jahrhundert noch fremd war. Das Studium des Nackten, bisher wenig betrieben, wird zum künstlerischen Problem erhoben. Statt harter Buntheit herrscht einheitliche Tonskala, statt des breiten Nebeneinanderschiebens festes kompositionelles Gefüge. Das knitterige Modekostüm macht einer einfachen, zeitlosen Gewandung Platz. Statt sich dem Zufall zu überlassen, schafft man nach festen, theoretisch ergründeten Normen.


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