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In ganz anderer Weise hat auf Botticelli die Savonarola-Tragödie gewirkt. Ja, im Angesicht seiner Jugendwerke scheint es, als sei die Bewegung nicht auf den Mönch von San Marco, sondern auf den Maler Botticelli zurückzuführen. Was Savonarola predigte – Botticelli malte es schon vorher.
Seine Jugend fiel noch in die Zeit, die nicht mehr träumen, nur forschen und beobachten wollte. Fra Filippo, der lustige Karmeliter, der seine Geliebte als Madonna malte, war sein erster Lehrer. Dann, als dieser Florenz verließ, schloß er an die großen Techniker Verrocchio und Pollajuolo sich an, lernte mit Farben umgehen, lernte Anatomie und Perspektive. Doch schon seine frühen Werke zeigen, wie er die von seinen Lehrern entlehnten Formen zu Trägern eines ganz anderen Empfindens macht. Inmitten einer Zeit, die keinen übersinnlichen Zug mehr hatte, dringt Botticelli von neuem ein in die unergründlichen Tiefen religiösen Gefühlslebens. Inmitten einer Gruppe von Realisten steht er als mystischer Schwärmer, eine fest abgeschlossene Welt für sich. Der Naturfreude, dem lachenden Optimismus der anderen, setzt er schon damals die feierliche Kirchlichkeit des Mittelalters gegenüber, Bilder, die wie der Protest eines träumerischen, zart empfindenden Menschen gegen die ringsum herrschende poesielose Sachlichkeit wirken. Bei den Aelteren ein verstandesmäßiges, nüchtern klares Schaffen, hier Stimmungsschwelgerei und Träumen, eine Romantik, die sich in der Sehnsucht nach einem Heimatland der Seele wieder ins glaubensstarke Mittelalter flüchtet und es mit allen Reizen der Mystik umwebt.
Drei Bilder der Uffizien – eine Fortezza, die kleine Judith und die Auffindung des Holofernes – dann der Sebastian in Berlin lassen verfolgen, wie er als Schüler Pollajuolos beginnt und doch durch einen leise wehmütigen Zug sich von ihm unterscheidet. Ebenso hält er sich in mehreren Madonnen streng an die Typen seiner Lehrer, trennt sich aber von ihnen dadurch, daß er keine genrehaft gemütlichen Scenen giebt, sondern den Bildern symbolische Gedanken unterlegt. Entweder blickt die Madonna sinnend auf Dornenkranz und Nägel, die das Kind ahnungslos hält, oder ein lockiger Engel bietet ihr Trauben und Aehren, das Symbol des Todesopfers Christi. An die Stelle der frischen Weltlichkeit Fra Filippos ist bei Botticelli das leise Hereinragen des mystisch Uebersinnlichen, das Ernste, sakramental Feierliche getreten. Während die Realisten in ihren Madonnen das Mutterglück schildern, kennen die Botticellis keinen Frohsinn. Düster und in sich versunken sitzt Maria da, als ob ahnungsvolles Vorgefühl kommenden Leides, selbst wenn sie das Kind an sich preßt, ihre Seele umschatte.
Doch für gewöhnlich entrückt er die Madonna überhaupt in überirdische Sphären und wirkt noch feierlicher, wenn er das mittelalterliche Thema der Himmelskönigin Maria neu aufnimmt. Entweder heilige Männer, herb und ernst wie Dürers vier Apostel, haben sich gleich Hütern des heiligen Graal um den Thron Marias geschart, oder Engel schlagen einen Baldachin zurück und setzen dem königlichen Weib die Krone aufs Haupt. In diesen Bildern, die in ihrer weihevollen Andachtsstimmung gänzlich verschieden sind von der heiter prosaischen Art seines Lehrers, sind auch in der Formgebung alle Reminiscenzen verschwunden. Ein neuer Madonnentypus, von Botticelli selbständig geschaffen, hält in der Kunst seinen Einzug. Maria ist nicht mehr die Mutter, sondern ein bleiches, gedankenvolles Mädchen, das nur dazusein scheint, als unaufgegangene Knospe zu verkümmern, von einer stillen Schwermut, als ob man am Ende der Schöpfung stehe. Keine Lebensfreude, kein Sonnenschein, keine Hoffnung. Blaß und bebend die Lippen, ein müder, weltschmerzlicher Zug um den Mund. Auch in den Augen des Christkindes dämmert ein Geheimnis, als ob es ahnte, wozu es auserkoren. Kein Kind, das spielt, sondern der Heiland der Welt, der feierlich den Segen erteilt oder wie in einer Inspiration gedankenvoll aufblickt. Selbst die Engel, bei Fra Filippo mutwillige Jungen, verrichten bei Botticelli ihr Amt in andachtsvollem Ernst, keine Gespielen, die mit einem kleinen Kinde tändeln, sondern prophetisch ahnungsvolle Wesen, die aus innigem Mitleid auf »Schmerzensreich« blicken, in sehnsuchtsvoller Hingabe und scheuer Zurückhaltung dem Gottessohn ihre Dienste weihen.
Auch in der Art, wie er das Kostüm behandelt und Blumen zur Steigerung der Stimmung verwendet, hat er mehr mit den Trecentisten als mit seinen realistischen Zeitgenossen gemein. Statt der Madonna das modische Zeitkostüm anzuziehen, hüllt er sie in blumengeschmückte, mit Gold und Stickereien verzierte Mäntel, die allein schon den Eindruck preciöser Feierlichkeit geben. Für die Kleidung der Engel greift er auf den griechischen Chiton zurück, dem er noch Stücke der altbyzantinischen Kirchentracht, Alba, Stola und Amictus beifügt. Ganze Stillleben von Früchten und Blumen, kunstvolle, aus Cypressenzweigen und dicken Palmblättern errichtete Laubnischen bauen neben und hinter den Gestalten sich auf. Mit Rosenkränzen und Vasen, Kerzen und Lilienzweigen drängen sich die Engel heran. Er braucht nur den Pinsel anzusetzen, und man befindet sich in einem weiten, hohen Dom, wo der Duft des Weihrauchs zum Himmel steigt und tausend große, weiße Wachskerzen flimmern. Man sieht feierliche Prozessionen mit blumengeschmückten Baldachinen über rosenbestreuten Boden wallen, hört silberne Kinderstimmen das Lob des Unendlichen singen.
Das Magnificat, das Tausenden zu still andächtigem Genuß jetzt in einem Ehrensaal der Uffizien hängt und die Palmenmadonna des Berliner Museums sind die bezeichnendsten Beispiele. Das Florentiner Bild hat einen so unsagbaren Charakter von Größe und Feierlichkeit, daß man glaubt, die ernsten mächtigen Töne der Orgel mit Engelchören vermischt zu hören. Das Wort Magnificat, das die Madonna schreibt, durchklingt das Ganze. Das Berliner Bild dankt seinem Blumenschmuck die festlich weihevolle Wirkung. Eine Palmlaube, aus deren dunklen Blättern weißblühende Myrten schimmern, wölbt sich über der blassen, mädchenhaft zarten Maria, während es rings von Rosen und Lilien, von unzähligen Blumen duftet. Die ganze Psychologie des Blumenduftes, die wir so gern für das 19. Jahrhundert in Anspruch nehmen – Botticelli hat sie schon vorgeahnt. Alle jene rosenbekränzten Engel, die sich mit brennenden, blumenumwundenen Kerzen der Himmlischen nahen, oder lange Lilienstengel hieratisch steif in ihren weißen zitternden Händen halten – wir bewundern sie in den Bildern des Burne Jones, aber vergessen oft, daß sie von Botticelli stammen.
Selbst ein Fresko, das damals entstand, der heilige Augustin der Kirche Ognisanti, zeigt, daß er mit anderen Sorgen als die Realisten sich trug. Während Ghirlandajo in dem Gegenstück des heiligen Hieronymus einen alten Herrn als Heiligen drapierte, starrt Botticellis Augustin mit den Augen des Visionärs ins Weite, die Hand auf die Brust gepreßt, wie um seiner Erregung Herr zu bleiben über die Offenbarung, die ihm plötzlich zu teil wird. Seine Fresken der sixtinischen Kapelle sind keine Bilder, sondern gelehrte Traktate, Interpretationen theologischer Weisheit, wie sie in strengerem Dogmatismus kaum die Dominikanermaler des 14. Jahrhunderts schufen. Inmitten einer Kunst, die alles Symbolische haßte, die keine Gedankenreihen, sondern Thatsachen geben, nicht erfinden, sondern beobachten und erzählen wollte, steht Botticelli als ein Denker, der ebensoviel mit der ideenreichen Kunst des Trecento wie mit der gedankenvollen Schwere des Cornelius gemein hat.
Daß im übrigen ein so sensibler erregbarer Geist auch von der antiken Herrlichkeit nicht unberührt blieb, versteht sich von selbst. So wenig er stilistisch von der Antike beeinflußt wurde – denn es giebt nichts weniger Antikes als diese mageren Formen, diese unruhigen, gefältelten, gebauschten Draperien – so verraten doch die Hintergründe seiner Bilder, mit welcher Begeisterung er die Reste des Altertums betrachtete. Altrömische Bauwerke, Skulpturen oder Gemmen kehren nun häufig in seinen Werken wieder. Auf einem seiner Fresken der Sixtinischen Kapelle malt er den Konstantinbogen, im Hintergrunde eines anderen Bildes die Dioskurengruppe des Quirinal. Das junge Mädchen des Frankfurter Museums trägt als Collier eine antike Gemme mit Apollo und Marsyas. Jeder heidnische Tempel, jeder Triumphbogen hatte damals noch seine Legende. Seltsame Wundergeschichten raunte man sich zu. Und gerade dieses Mysterium, das die Antike umfloß, zog den Träumer, den Grübler Botticelli an.
Als er nach Florenz zurückkehrte, war unterdessen auch dort die Saat des Humanismus aufgegangen. Er trat in den Kreis der Aestheten, die um den Magnifico sich scharten, war mehrere Jahre Gast in Lorenzos Hause und speiste an seinem Tisch. Für die Villa Careggi waren die meisten seiner antiken Bilder bestimmt. An die Werke, die er für den Mediceer malte, denkt man hauptsächlich, wenn der Name Botticelli genannt wird. Jeder weiß, daß von diesen bestrickenden Bildern ein Duft von Jugend, Reinheit und Grazie ausströmt, der Botticelli selbst identifiziert mit jenem Frühling, den er in seinem Hauptwerk verherrlichte. In der »Pallas« ist der Kopf der Göttin mit seinen weichen, vollen Formen und dem langwallenden Haar von so strahlender Schönheit, so abweichend von dem herben Simonettatypus, der sonst bei ihm wiederkehrt, daß man einen Hauch schon von der überirdischen Süßigkeit Leonardo da Vincis zu spüren meint. In den Gestalten der übrigen Bilder herrscht die Grazie der Magerkeit, zugleich etwas Traumverlorenes, Verklärtes, Visionäres, das den geheimnisvollen Zauber erhöht. Dreißig Jahre später hätten die geschickten Dekorateure von Rom und Venedig, um die »Geburt der Venus« zu schildern, Genien in den Lüften schweben lassen, Götter auf Wolken gebettet, den ganzen Olymp in Bewegung gesetzt, und es wäre ein Bild wie Rafaels »Triumph der Galatea« entstanden. Bei Botticelli entwickelt sich die Stimmung aus der Landschaft, jenem endlos weiten Ocean, auf dessen leise plätschernden Wellen Kypris wie ein holdes Traumgebilde herbeischwebt. In der Luft klingt, singt und rauscht es. Sehnsüchtig träumerische Stimmung ist über die Erde gebreitet. – Ein Sommernachtstraum hat in der »Primavera« Gestalt genommen, jenen nixenhaften graziösen Wesen, die wie eine Vorahnung Böcklins wirken. Botticelli war der erste, der die Elfen tanzen sah. Schlanke Dryaden, die im Dickicht der Wälder neben rieselnden Quellen hausen, sind herbeigekommen, sich im Frühlingstanze zu drehen.
Wunderbar ist, wie er auch in diesen Bildern Blumen zur Steigerung der Stimmung verwendet. Oelzweige umranken die »Pallas« und bekränzen ihr Haupt. Auf dem Venusbild ist der Mantel der Hore mit Frühlingsblumen übergossen, Windgötter streuen Rosen in die Luft. Auf dem Frühlingsbild leuchten Orangen und Myrten; goldene Früchte und weiße Blüten strahlen aus dunklem Laube hervor. Wie ein Dornröschen ist Primavera von wilden Rosen umwuchert, Wiesenblumen umschließen ihren Hals, blaue Cyanen und weiße Primeln winden sich durch das blonde Haar. Blüten, die der Lenz gewoben, Anemonen, Nelken, Narcissen, streut sie tändelnd zur Erde. Als ganz reizender Manierist erscheint er in der Art, wie er die Draperien behandelt, diese durchsichtigen Schleier und flatternden Bänder. Keiner vor ihm kannte so seine Florgewände, die, eng an die Glieder geschmiegt, deutlich die knospenhaften Formen zeigen.
Gleichwohl, so zauberhaft schön die Bilder sind – die herrlichsten Dokumente jener glorreichen Zeit, die Griechenlands Götter aus dem Exil zurückrief –, es bleibt ein unaufgelöster Rest, eine Dissonanz zwischen den heiteren Märchen, die er schildert, und der Art, wie er es thut. Sowohl die Poesie Lorenzo Magnificos wie die Polizians, die die Anregung für die Werke gab, ist eine Poesie der Genußfreudigkeit und epikureischen Frohsinns, eine Poesie sinnlicher, arkadisch gestimmter Seelen, die ganz vergessen haben, daß sie Christen sind. Botticellis Werke haben nichts von dieser bukolischen Ruhe, nichts von der Märchenlust und schalkhaften Anmut, die durch Piero di Cosimos Bilder geht. Daß er nicht lachen kann, zeigt sich deutlich, wo er sich zwingt, es zu thun. »Mars und Venus« in London ist ganz besonders bezeichnend. Eine schöne Frau, ein nackter Jüngling, Amoretten, südliche Landschaft, dünne Gewänder, glänzender Schmuck, das sind die Elemente des Bildes, und doch vermitteln diese Worte nicht den Eindruck. Mars gleicht einem gekreuzigten Heiland. Schmerzvoll ist der Mund verzerrt. Er schläft nicht, sondern atmet schwer, wie von einem Alp gedrückt. Ebenso unerfreut, mit einem kalten, männermordenden Blick, wie Salome in der Klingerschen Büste, schaut Venus auf den Schlafenden hin. Ist das die Glückseligkeit, die unsterbliche Götter in himmlischer Ruhe genießen? Ist das die Liebesgöttin der Hellenen? Selbst wenn Botticelli es wagt, sie nackt zu malen, hat sie etwas Gespenstisches, mag sie mit grünen Nixenaugen ins Unendliche starren, oder ein wehmütiges Lächeln ihre bebenden Lippen umspielen. Nicht als die lustige Maitresse des Mars kennt er die schöne Olympierin. Sie ähnelt der rothaarigen Teufelin des Mittelalters, die auf ihrem Zug ins Exil an dem Kreuz, an das der Menschensohn geheftet war, vorbei wallte. Da eine müde Träumerei, dort resignierte Schwermut ist allen Gestalten eigen. Es ist, als würden diese Weiber noch ins Kloster gehen, um dort für die Sünden des Fleisches zu büßen. Die klassische Klarheit heidnischer Mythologie verbindet sich mit katholischem Mysticismus. Ein Hauch mönchischer Askese dämpft die Freude.
Botticelli fühlte sich nicht wohl im Venusberg. Es ist, als habe ihn der Gedanke an eine reinere Geliebte, an die keusche Maria verfolgt, der er seine ersten Hymnen gedichtet. Mit allen Fasern seiner Seele im Mittelalter wurzelnd, empfand er Grauen vor dem heidnischen Enthusiasmus, der eine Zeit lang wie ein Delirium seine Seele benebelte. Wie mit Zögern, als hätte eine unsichtbare Hand ihn abgehalten, scheinen seine Bilder aus der Antike gemalt. Aus dem letzten, der »Verleumdung des Apelles«, klingt ein schriller Schrei der Verzweiflung. Maßlose stürmische Bewegung, Unruhe der flatternden Gewänder, ein unheimlicher, wilder, grauenhafter Ausdruck der Köpfe ist an die Stelle stiller Linienschönheit und verhaltener Wehmut getreten. Man fühlt, daß ein von seelischem Unfrieden durchschüttelter Mensch das fast wahnsinnige Bild gemalt hat. Am entsetzlichsten ist die Gestalt der Reue, diese magere, vergrämte, in zerrissene Trauergewänder gehüllte Alte mit den blutlosen Spinnenfingern, die tastend, zitternd, unsicheren Schrittes dahinwankt. Botticelli bereute, daß er im Venusberg war. Doch welche Macht konnte ihn zurückführen in die Gemeinschaft der Reinen, ihn, den Christen, der fremden Göttern geopfert! Ausgestoßen, das Paradies verloren! Aus dieser Stimmung heraus malte er das Bild der Ausgestoßenen, jenes Werk, das einzig dasteht in der ganzen Kunst des Jahrhunderts, nur entstehen konnte, weil untröstlicher Jammer mit elementarer Kraft aus einem Künstlerherzen nach Ausdruck rang. Vor dem verschlossenen Thor eines Renaissancepalastes sitzt dürftig bekleidet ein Mädchen. Auch sie war im Venusberg, und nun da der Morgen graut und sie zurückkehren will in das Haus des Vaters, ist das Thor verschlossen. Zitternd vor Frost, bitterlich schluchzend vergräbt sie das Gesicht in den Händen. In tiefstem Weh windet sich ihr Körper, doch alle Klagen vermögen nicht das verschlossene Thor zu öffnen.
Botticelli selbst fand noch wie Tannhäuser die Erlösung. Savonarola war es, der ihm die Pforte des Heiles wieder öffnete. Die Donnerstimme des Propheten, die die anderen erschreckte, sagte ihm nur, was er als Jüngling gefühlt. All seine Jugendträume, seine geheimsten Seelenregungen waren in Worte umgesetzt. Jene Zeit, der seine erste romantische Neigung gegolten, leibhaftig schien sie heraufzuziehen. So nimmt, gehalten und gestützt von Savonarola, Botticellis Kunst einen gewaltigen Aufschwung. Venus, die Hexe, ist für immer vergessen. Mit einer Inbrunst, die desto glühender, desto stürmischer ist, weil sie mit Reue verbunden, sinkt er seiner Jugendliebe, Maria der Gottesmutter, zu Füßen. Die drei Horen, die im »Frühling« mit verschlungenen Händen den Reigen bilden, verwandeln sich in die theologischen Tugenden, die in jubelndem Tanz den Siegeswagen der Kirche begleiten. Erst in diesen Werken ist die ganze Kraft des Meisters entbunden. Savonarola hat ihm die Lippen geöffnet, und der scheue, zaghafte, träumerische Botticelli wird selbst zum Propheten, der mit glühender Begeisterung und lautem Pathos die Rückkehr zur Askese, zu den Heilslehren des Christentums predigt. Nicht mehr wehmütig bittend blicken seine Gestalten uns an. Zu beschwören scheinen sie, zu warnen.
Der Unterschied seiner späten Madonnenbilder von den früheren liegt darin, daß noch weit mehr der düster-feierliche Charakter des Andachtsbildes betont wird. Wie sich die jungfräuliche, still-sinnende Gottesmutter in die gedankenvolle Sibylle verwandelt, deren prophetischem Blick die Zukunft offen liegt, werden die Engel zu tiefernsten, müd traurigen Wesen, die mit weiten Augen wie in einen Abgrund starren. Entweder umarmt Maria das Kind mit einer stürmischen Innigkeit, einer jähen heißen Leidenschaft, als ob sie plötzlich aus schreckhaftem Traum erwache. Oder sie schreitet, in Gedanken versunken, wie eine Nachtwandlerin dahin, das Kind mechanisch im Arm, das ebenso gramversunken sich zu Johannes neigt. Wie die Mutter von Herzeleid und stummem Weh durchbebt ist, fühlt das Kind die ganze Schwere eines unentrinnbaren Verhängnisses auf sich lasten. Auf Savonarolas Einfluß geht ferner zurück, daß er in anderen Altarwerken noch mehr den magdhaften, schüchternen Charakter der Madonna betont. Die kostbarsten Dinge, glänzende Stoffe, leuchtender Marmor, grauer Granit sind aufgehäuft. Menschen mit allem Gepränge irdischen Glanzes haben sich als Ehrenwache um prunkvoll verzierte Throne geschart. Und auf diesem Thron sitzt ein bleiches, zaghaftes, sinnend kindliches Mädchen, das gar nicht ahnt, was um sie vorgeht, barfuß, in schwarzem Matronengewand. Nur Burne Jones hat in seinem »König Kophetua« eine ähnliche Kontrastwirkung gleich raffiniert verwendet.
Aber auch noch lautere, eindringlichere Töne schlug Botticelli jetzt an. Während er vorher nur in weichen Träumen lebte, wird in seinen letzten Werken die ganze Skala der Empfindungen durchlaufen. Auf der einen Seite die jubelnde Dithyrambik der Engel, die auf seinem Bild der Krönung Marias durch die Lüfte tanzen und fliegen, flattern und sausen, das Lob des Allmächtigen preisend und Rosen hernieder streuend. Auf der anderen die klagende Pathetik, die in seinen Bildern der Grablegung herrscht. Jene Karfreitagspredigt, die Savonarola 1494 dem atemlosen, zu Thränen gerührten Volke hielt – in dem düster schluchzenden Pathos Botticellis klingt sie aus. Man sieht Weiber ohnmächtig zusammenbrechen und in wahnsinnigem Schmerz vergehen, Männer in lautem Stöhnen sich winden. Aus dem Maler der Venus ist der Jeremias der Renaissance geworden. Statt im Flüsterton spricht er in Donnerlauten, mit dem schnaubenden Fanatismus des Convertiten, kämpft, als gelte es einen Schatz zu verteidigen, arbeitet mit einer Hast, als fürchte er gar nicht aussprechen zu können, was er zu sagen hat. Mehr als zwei Drittel seiner Werke sind in diesen Jahren des theokratischen Regiments entstanden.
Dann fast nichts mehr. Das Martyrium Savonarolas war das künstlerische Leichenbegängnis Botticellis. Die große Gestalt des Propheten hatte ihn über Wasser gehalten. Der Sturz seines Helden raubte ihm die Kraft. Nachdem er in der Londoner »Anbetung der Könige« noch das Andenken des Märtyrers gefeiert, legte er den Pinsel aus der Hand, kaum fünfzig Jahre alt und ein gebrochener Mann. Die Dante-Illustrationen sind aus seinem letzten Jahrzehnt die einzigen Zeugnisse, daß er überhaupt noch lebte. »Als ein Mann von tiefen Gedanken,« erzählt Vasari, »kommentierte Botticelli einen Teil Dantes, illustrierte das Inferno und ließ es drucken; und da er auf diese Dinge viel Zeit verwandte und nichts anderes mehr arbeitete, folgten daraus für sein Leben Unordnungen ohne Ende.« Mit anderen Worten: Der Romantiker des Mittelalters flüchtete sich in seine geistige Heimat. In der mystisch transcendentalen Poesie Dantes, des großen mittelalterlichen Genius, sucht er einen Halt für die arme Seele. Er vertieft sich in die fern liegendsten ideologischen Spekulationen, nur um möglichst die unfromme Gegenwart zu vergessen, sucht Dinge in der Sprache der Kunst zu sagen, die jeder künstlerischen Wiedergabe spotten, hofft in dem gewaltigen Epos vom Jenseits die weltstille Ruhe zu finden, die er so flehentlich, so hoffnungslos sucht. Doch auch diese Arbeit wirft er mutlos beiseite. Grüblerisch, nur seinen Träumereien hingegeben, einsam und in sich gekehrt, lebt er dahin. »Elend und Armut stellten sich ein. Er mußte auf Krücken gehen und wäre Hungers gestorben, hätten nicht die Medici noch zuweilen seiner gedacht.«