Fritz Müller-Partenkirchen
Kaum genügend
Fritz Müller-Partenkirchen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im neuen Schulhaus

Ich bin durch ein neues Schulhaus der Stadt gegangen. Es sollte morgen eingeweiht werden. Und übermorgen sollten die ersten Kinderfüße durch die Räume laufen. Heute aber war noch alles leer.

Leer? Bitte sehr. Schauen Sie sich mal die Einrichtung an, die verstellbaren Schülerbänke, die dem Organismus angepaßten Tische, die schikanös gebauten Katheder, die rollende Apparatur an den beweglichen Wandtafeln, die strahlenden Lichtquellen. Fürwahr, mit allen Schikanen der Neuzeit war dies Schulhaus ausgerüstet. Wenn ich da an das Schulhaus meiner Jugend denke und an seine alten zerkritzelten Bänke . . .

Und dann, bitte, dieses Kartenmaterial, dieses Anschauungsmaterial in der Botanik, der Zoologie, der Physik, der Chemie.

Wenn ich da an die zwei zerlederten Karten meines alten Schulhauses denke und an den alten ausgestopften Raben, der zusammen mit drei Bildertafeln das ganze Anschauungsmaterial gebildet hat . . .

Und dann, bitte, diese wundervollen hohen Räume des W.C. mit einer funkelnden Steinpracht, mit laufendem kalten und warmen Wasser in vielen Marmorbecken. Wenn ich da an die bürgerlichen Wohnungen unserer Jugend denke, die sich mit diesem W.C. nicht hätten messen können . . .

204 Dann dieses Treppenhaus. In keinem Fürstenhause ist es schöner. Der Riesenturnsaal mit der verwirrenden Menge von Geräten. Die Fresken an den Wänden, die gewaltige Vorderseite, beide von den ersten Künstlerhänden des Landes mit Meisterwerken ausgeschmückt. Wenn ich da an die unscheinbare Rheinlandschaft denke, die überm schmalen Treppenaufgang unserer Schule damals hing . . .

»Ja, ja,« sagte ich zu meinem Führer, »die Schulhäuser sind wunderbar geworden heutzutage –«

»Bitte,« sagte er, »es ist nicht nur das Schulhaus, auch unsere Methoden gegen früher sind gewaltig vorgeschritten.«

»Methoden?« sagte ich, »gibt es denn gleich mehrere. Zu meiner Zeit –«

»Es gibt einen individuellen Unterricht, es gibt einen Anschauungsunterricht, es gibt eine induktive, eine deduktive Lehrmethode, eine direkte und eine indirekte Methode, einen Arbeitsunterricht, eine rhythmische und eine –«

»Um Gottes willen,« sagte ich, »und bei uns damals –«

»Und wir überlassen das nicht mehr etwa dem Belieben des Lehrers, nein, wir bilden Sonderklassen, Vorderklassen, Mittelklassen, wir stellen wissenschaftliche Versuchsreihen mit den Kindern an, wir haben ein nach methodologischen Grundgesetzen aufgestelltes Strafschema –«

»Aha, da werden die Kinder wohl elektrisch verwichst?«

Aber er hörte es nicht mehr. Er hatte sich einer Vorkommission angeschlossen, bestehend aus dem zweiten Bürgermeister, dem Oberschulrat, dem 206 Schulinspektor, den Referenten im Ministerium usw., welche vorbereitend durch die Räume ging.

Ich aber habe mich aus dem neuen Schulpalaste hinausgeschlichen auf die Straße und bin nachdenklich heimgegangen.

»Gott sei Dank,« habe ich gedacht, »daß ich heute nicht mehr in die Schule gehen muß, in diesen Apparaturpalast mit den verwickelten Methoden, die aufs Schulkind losgelassen werden. Gott sei Dank, daß unser alter Lehrer in dem simplen Schulhaus uns gänzlich unmethodisch ins Leben führte, das jetzt überspannt ist von methodologischen –«

Hier hörte ich plötzlich auf zu denken. Und zwar aus dem Grunde, weil mein Hut vom Kopfe fiel. Dies aber war die methodische Ursache eines unmethodischen Schneeballs, den ein kleiner Junge mit wunderbarer Treffsicherheit und Frechheit nach mir gezielt hatte.

»Donnerwetter, besser haben wir es in der vormethodologischen Zeit auch nicht gemacht,« dachte ich und rief hinter dem Jungen her: »Du miserabliger Lausbub, du, paß nur auf, wenn ich dich erwisch . . .!«

Aber ich erwischte ihn nicht. So wenig, wie ich damals selbst erwischt wurde in der vormethodologischen Zeit.

Und so ging ich denn heim, ein Viertel ärgerlich und drei Viertel vergnügt. Denn mein letzter Gedanke war doch der: »Nun, die Jungen sind seit damals doch geblieben wie sie waren – unverwüstlich sind sie – und sie werden auch die Zeit der Palastapparate mit den methodologischen Grundsätzen glücklich überstehen . . .« 207

 


 << zurück weiter >>