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Kohle

Die Menschen waren bequem geworden. Sonnenkraft und Sonnenwärme waren längst herabgestiegen. Alle Arbeit ward durch sie geleistet. Es gab keine Not mehr. Auch keinen Krieg mehr. Gutmütig blinzelten sich Menschen und Völker an: »Wird schon gehen, wird schon gehen …«

Durch Museumssäle führte ein Professor die Studenten, zeigte dies, erklärte dazu, verdeckte jetzt die Tafel über einem Glassturz: »Und hier, meine Herren, eine Seltenheit aus alten Zeiten – weiß jemand, was das ist?«

Die Studenten drängten sich ein wenig um das schwarze Stückchen unter Glas, beäugten es mit mäßiger Begierde: »Vielleicht schwarzer Jaspis? – Oder Erdpech? – Oder verwittertes Ebenholz?«

Der Professor hob die Hand vom Schild.

»Ah, Kohle«, ging es durch die Runde, »natürlich, Kohle.«

»Wir haben dies verschwundene Mineral erst kürzlich in der Kulturgeschichte behandelt. Sie erinnern sich, meine Herren?«

Nicken. Denn Kulturgeschichte zählte dreimal in der Prüfung, nächsten Monat.

Der Professor sah auf die Uhr: »Wir wurden mit dem Rundgang früher fertig als ich dachte, eine volle Viertelstunde früher – die Säle sind fast leer von Menschen – wie wäre es mit einer kleinen Wiederholung?«

Wieder Nicken. Denn, wie gesagt, die Kulturgeschichte zählte dreimal.

»Sie erinnern sich, daß Kohlen Überreste einer versunkenen Pflanzenwelt sind. Ein winziger Prozentbruchteil von Kohlensäure mehr in der Luft genügte damals, Riesengräser bäumehoch in Tropenluft zu treiben. Steter Sommer herrschte, und die Bäume hatten keine Jahresringe. Über diese Treibhauswälder wälzte sich das Erdgeschiebe und verkohlte, was einst blühte. – Sie folgen mir doch, meine Herren?«

Denn in den letzten Reihen war ein unterdrücktes Gähnen: »Gott, das ist schon lange vorbei …«

»Nach Millionen Jahren feierte die Kohle ihre Auferstehung. Keine Ader, wo man ihr nicht nachgegraben hätte. In der Erde Eingeweiden schürften, krabbelten und werkelten die Völker Tag und Nacht. Schlagende Wetter bliesen ihnen Tod und Feuer ins Gesicht – sie gruben weiter nach der schwarzen Sonne – Herr Frick, Sie wissen, was ich meine?«

»Kohle war auf eine rohe Art aufgespeicherte Sonnenwärme«, sagte der Student mechanisch. Auf den Gesichtern stand es: »Gott, was waren das für primitive Menschen!«

»Kohle ward die Quelle ihrer Kraft. Kohle speiste die Maschinen. Kein Ding, keiner ihrer Millionen Gegenstände, in dem die Kohle nicht in irgendeiner Arbeitsform enthalten war! Sie wurde selten. Wettrennen nach der Kohle gingen um die Erde. Kriege wurden drum geführt. Zu denken, daß man morgen keine Kessel mehr heizen, sich die Hände nicht mehr wärmen könnte – die Angst schüttelte das kohlenhungrige Geschlecht.«

Mitleidig überlegen lächelte es in der Runde: Die armen Hascherln!

»Sie hatten Grund dazu. Kesselheizen, Händewärmen war nicht mehr alles, was sich aus der Kohle schälte. Ohne Kohle rann kein Eisen aus den Öfen, schnitt kein Messer, hämmerte kein Hammer, tickte keine Uhr. Ohne Kohle floß kein Strom im Flachlandkabel. Ohne Kohle sanken ihre Glocken in den Gasfabriken, sank die Stadt ins Dunkle. Ohne Kohle schrumpften ihre Ernten auf den Feldern mangels Ammoniak. Ohne Kohle standen ihre Gasmaschinen still und floß kein Teer mehr aus den Retorten. Ohne Kohle schrien die Hupen der Kraftwagen vergeblich nach Benzol. Ohne Kohle schwand ein ganzes Heer von Sprengstoffen und von Wohlgerüchen. Ohne Kohle zuckten Apotheker mit den Achseln und wanden Kranke ungelindert sich in Schmerzen. Ohne Kohle löschten tausend bunte Farben aus und wurde grau die Welt.«

Die Studenten sahen sich an: Na ja, soweit ganz rührsam alles, aber doch nur von historischem Interesse – unbegreiflich, daß er so pathetisch wird, der Herr Professor …

»Kein Wunder also, daß die Kohle ihnen göttlich dünkte, daß sie durch die rauchenden Arbeitsfahnen der Kamine zu Gott im Himmel ihre Hände betend hoben. Kein Wunder auch, daß nach dem großen Völkerkriege, der sie arm machte, erst recht ein Ringen anhob, aus der Kohle ihre letzte Kraft und ihr letztes Geheimnis zu pressen …«

»Wissen wir – ein alter Schnee«, stand's auf den Stirnen der Studenten, »wo er nur hinaus will? – hm, er soll ein Buch geschrieben haben, wo er die Vergangenheit herausstrich – zum Lachen! wenn man vergleicht mit heute, wo wir alle Entdeckungen, die überhaupt zu machen sind, errungen haben – wo es uns gelungen ist, die Sonne selbst in unsern Dienst zu spannen, – wo der Ärmste sich bequem bedienen läßt – nein, ein komischer Professor! wenn wir ihn nicht nötig hätten des Examens wegen –«

Der Lehrer hatte die Glasglocke ein wenig gehoben. Keine Wand war zwischen den Studenten und dem letzten Reste der versunkenen Kohlenzeiten. Des Lehrers Augen glänzten: »Nun, wie wird euch Nachgeborenen –?«

Ein wenig spöttisch zuckt es durch die Hörerreihen.

»– ist euch nicht, als müßtet ihr die Hände auf zu diesem Kohlenstückchen heben: Gott, wenn's möglich wäre, gib uns unsere Kohlenzeit zurück –!«

Einige senkten kichernd die blasierten Köpfe: »Verrückt, wahrhaftig verrückt –«

»Hrrm, Herr Professor«, räusperte sich Student Frick, »nichts für ungut – aber wenn Sie uns nicht beweisen können, was diese – diese armselige Kohlenzeit vor unserer heutigen, bis in den letzten Winkel aufgehellten Zeit voraus gehabt –«

Wieder Kichern: »Hähä, der Frick, der gibt's ihm, was?«

»Was sie vorausgehabt?« richtete sich der alte Lehrer der Kulturgeschichte auf, »wie, das fühlt ihr nicht – das muß ich euch erst sagen?«

»Wenn wir bitten dürften«, kam es kühl zurück.

»Ja, bitten dürft ihr, – bitten sollt ihr – auf den Knien sollt ihr Zufriedenen, ihr Satten bitten, daß es wieder würde, wie es war –!«

»Nun, soviel wir sehen, Herr Professor, war es damals –«

»– eine Lust, zu leben, meine Herren! Ist euch der Sinn dafür denn ganz geschwunden, wie es herrlich war, zu kämpfen und zu ringen – welches Glück für eure Ahnen, streitend zu entdecken – nicht entdeckt zu haben – welcher Lebensüberschwang im Findendürfen – und wie kläglich, nicht mehr finden zu brauchen – euch Armen ist das Leben Spiel geworden – jenen aus der Kohlenzeit war es Arbeit – ihr zwinkert heute müde mit den blanken Äuglein: ›Gott, was ist denn noch der Mühe wert?‹ jene aber in den rauchgeschwärzten Tagen unserer Väter durften Schweiß vergießen, köstlichen Schweiß – durften tasten – durften irren – durften bluten auf dem Schlachtfeld ihrer Arbeit und Gefahren –!«

Betroffen schauten die Studenten. »Herr Professor, aber wir –«

»Ihr? – ihr dürft übermorgen ins Examen steigen, und besteht ihr's: ›Gut‹, besteht ihr's nicht: ›Na, auch gut‹, sagen und euch zublinzeln – denn Nöte habt ihr nicht mehr – was zu tun ist, um es euch behaglich zu gestalten auf der Erde, macht die eingespannte Sonne – und ihr, die ihr besteht, wie dünkt ihr euch so weise – nichts mehr auf der Erde, was ihr nicht schon wüßtet. Keine Ahnung habt ihr mehr von jener Seligkeit des Staunens, wenn in der heißen Kohlenkampfzeit unserer Erde sich ein Zipfelchen des Wundervorhangs der Zusammenhänge lüftete – begreift ihr jetzt, wie arm ihr wurdet?«

Groß wurden da die Augen der Studenten. Aus dem schwarzen Kohlestück vor ihnen stieg ein Lied, ein fernes Lied. Das drang in ihre Adern, kreiste darin und hämmerte mit ihrer Väter Arbeitshämmern: Kinder, wißt ihr noch – wohlan – wohlauf –

Einigen wollte es wie Tränen in die Augen steigen, Tränen der Sehnsucht, wenn nicht Tränen, wenn nicht Sehnsucht längst schon überwunden gewesen wären. Nur der Student Frick versuchte es noch einmal mit Räuspern: »Hrrm, soviel wir wissen, Herr Professor, werden im Examen Tatsachen geprüft, nicht Gefühle, und Tatsache ist, daß –«

»Tatsache ist«, strich sich der Lehrer wie erwachend über die Stirne und blickte nach der Uhr: »Tatsache ist, daß jetzt die Viertelstunde um ist – und was die Gefühle betrifft –

›Wenn Ihr's nicht fühlt
Ihr werdet's nicht erjagen!‹

– Sie wissen doch, wer das gesagt hat, meine Herren?«

»Irgendeiner aus dem Beginn der Kohlenzeit, glaube ich.«

»Goethe war es« – der Museumsdiener rasselte mit den Schlüsseln –, »hm, mit diesen schwarzen Stücken eine lange Nacht zusammen eingeschlossen werden? Das hieltet ihr nicht aus – und auch die Kohle tät mir leid – kommen Sie, meine Herren, kommen Sie …«


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