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Der Gießer

Sein Vater war einer von der Gießerei. Dessen Vater wieder. Also steckten sie den kleinen Hans auch dahinein. Das Eisen hat es so an sich. Wen es angezogen hat, den läßt es nicht mehr los. Auch nicht in seinen Kindern. »Seinen« kann hier zweierlei bedeuten, Kind des Vaters, oder Kind des Eisens. Man kann's auch zusammenfassen: Hans, das Eisenkind. Das Eisen schaffte Vater Brot, das Eisen reckte ihm die Arme, sonnte sich in seinem Feierabend, glänzte auf in seinem Auge, als er um die Braut warb, jüngte sich in Neugebornen: »Mein, des Eisens Kindlein bist du, Hänschen – springe eine Weile draußen – tummle dich und freue dich und gräme dich – wenn du müd bist, komme ich und hol' dich wieder heim in meinen Schoß.«

»Hans, bring die Radform her … Hans, sieb den Formsand durch … Hans, streich den Formteil rot an …« Hans Neu ward jung vertraut mit hundert Griffen in der Gießerei.

»Vater, darf ich auch mal gießen?«

Der Vater lächelte: »Ins Allerheiligste kommt man durch sieben Höfe. Den Sandvorhof hast jetzt hinter dir. Den des roten Anstrichs auch. Von morgen ab darfst zusehen, wie der Gußofen beschickt wird.«

»Und dann?«

»Im nächsten Jahre darfst du die Pfanne an den Ofen fahren.«

»Und dann?«

»Dann kommt das Jahr des Pfannenfüllens.«

»Gießen möcht' ich, gießen! Wann endlich darf ich gießen?«

»Wenn's dich ruft, nicht eher«, sagte Vater ernst.

Hans fragte nicht, wer rufen würde. Ein Eisenkind weiß, ihn kann nur das Eisen rufen. Darauf hatte er zu warten. Er wußte, betteln half da nicht. Auch Gebete nicht, zu denen er versucht war, wenn die Funkengarben ihn umsprühten. Das Gesetz der rechten Zeit ist eisern, nicht wächsern. Eine Minute zu früh, und der Guß verdarb.

Geduld ist schwer für einen fixen Jungen. Aber Hans beschied sich. Redlich tat er Dienst in den Vorhöfen des Eisens, bis es ihm in stark gewordenen Gelenken knackte. »Vater, hat das Eisen jetzt gerufen?«

»Solang du fragst, noch nicht.«

Er fragte nicht mehr. Er horchte. Auf das Eisenbrodeln horchte er, auf das Eisenzischen, auf das Eisenspritzen, auf das Eisenseufzen, wenn es ein ins dunkle Gießloch rann: »Freiheit, fahre wohl, zum Gußstück muß ich jetzt erstarren.«

Da starb der Vater.

Gesenkten Kopfs stand Hans am Gießloch eines Werkstücks. »Komm«, gluckte das Eisen.

Hans hob's den Kopf und straffte es den Rücken.

»Komm«, gluckte das Eisen.

Hans zitterte. Wenn er sich verhört hätte? Aber nur nicht fragen! Wer bei den höchsten Dingen erst fragen muß –

»Komm«, sagte das flüssige Eisen zum drittenmal und schlug voll den Silberspiegel seines heißen Auges auf.

»Hans Neu«, sagte der Ingenieur, »wir brauchen neue Leute, Sie rücken von heute ab zum dritten Gußmann vor – heißt das, wenn Sie wollen.«

Ob er wollte!

»Hans«, sagten sie zu Hause, »gestern begruben wir Vater und heute kannst du singen!«

»Habe ich gesungen? Ich dachte, es sang.«

»Wer es? Was es?« sagten sie ungeduldig.

Hans schwieg. Eisen will sein Lied nicht lang und breit besprochen haben.

»So rede doch!«

»Ich – ich kann nicht.«

»Wenn das Vater wüßte, daß du einen Tag nach dem Begräbnis singen kannst!«

»Vater? Vater sänge mit – ich bin dritter Gießmann.«

Von diesem Tag an ward er mit dem Eisen Du auf Du.

Das sind viele. Das ist erst der Auftakt einer Eisenfreundschaft. Zur Eisenfreundschaft selbst ist noch ein langer Weg des Sichversenkens.

Hans versenkte sich nach Feierabend in das Eisenstudium. Vor ihm auf dem Tische lag ein Eisenbruchstück. Es glitzerte geheimnisvoll sein körniges Gefüge. »Was bin ich, Hans was bin ich?«

»Du bist – du bist –«

Flugs verschwand der Schimmer um die Ecke. »Hans, wo bin ich?«

»Du bist – du bist – ich weiß nicht.«

Silbernes Gelächter.

Von diesem Tage an liebte Hans das Eisen.

Das tun viele. Das ist erst der Auftakt. Zur Liebe selbst ist noch ein langer Weg des Sichverschenkens.

Hans verschenkte sich. Die Funken sengten seine Haare. »Fahret hin!« Die Hitze nahm der Haut die Glätte und die Weichheit. »Fahret hin!« Die Gefahren nahmen seinem Blick das Unbekümmerte. »Fahr hin!« Das Studieren nach der Arbeit nahm ihm seinen Schlaf und seine Ruhe. »Fahr hin!«

Die Mutter lächelte zu Hause: »Ich glaube, Kinder, Hans ist gar verliebt.«

»Ja, ins Eisen«, murrten sie.

»Ihr täuscht euch, der Helene bei den Nachbarn sah ich ihn ins Auge schauen – sag doch selbst, Helene, was er dir gestanden hat?«

»Strahliges Gefüge, wie bei unsrem letzten Gusse, sagte er.«

»Sonst nichts?«

»Nicht, daß ich wüßte – er ist ein Eisennarr, nichts weiter.«

Hans stand um diese Zeit vor seinem Vorgesetzten: »Eine Bitte hätt' ich.«

»Schon gut, die Löhne sollten ohnehin im nächsten Monat –«

»Ich meine nicht den Lohn. Ich möchte mehr vom Eisen wissen. Wie es drinnen ausschaut unterm Mikroskop und wie man seine Bruchfläche reden macht.«

»Reden macht?«

»Ja, wenn man Säuren draufgießt.«

»Komischer Kauz – na, wollen einmal sehen.«

Er durchlief ein Stück der Eisenhüttenschule. Als er wiederkam, hörte er den Ingenieur diktieren: »… und bestellen zur sofortigen Lieferung ein Walzenpaar –«

»Herr Ingenieur, könnten wir nicht selbst –«

»Ah, der Neu – na, ausgeochst auf Ihrer Schule? – schön, wir teilten Sie dem Gießmeister als ersten Gußmann zu – Sie können zeigen, ob Sie was gelernt –«

»Ich danke auch, und was das Walzenpaar betrifft –«

»Welches Walzenpaar?«

»Das Sie bestellten, meine ich.«

»Was geht das Sie an?«

»Könnten wir nicht unsere Walzen selber gießen?«

»Unsinn – muß blasenfreier Spezialstahl sein – bestellen seit Menschengedenken bei Riffelmann & Sohn – Fräulein, schreiben Sie …«

Hans Neu hatte es nicht allzugut beim Gießmeister. Der fuhr ihn mehr als einmal an: »Wie ich es sage, wird's gemacht! Ein Klugschnacker sind Sie! Moderner Krimskrams hat hier keinen Platz! Das könnte Ihnen passen, aus andrer Leute Taschen kostspielige Versuche –«

»Es ist kein Versuch, es ist Gewißheit.«

»Larifari! Und wenn's mißlingt, wer zahlt's?«

»Ich. Ich hab Erspartes.«

»Sie sind ein Narr. Aber wenn Sie unbedingt Ihr Geld los sein wollen, meinetwegen …«

Der Radguß schlug fehl. Hans mußte in die Tasche greifen, und der Meister grinste: »Er wird jetzt geheilt sein, denk' ich …«

Er war nicht geheilt. Oft stand er mitten in der Arbeit still und schaute sinnend in die flüssige Glut der Tiegel. »Na, Neu, es juckt Sie wohl der Rest des Sparbuchs?« stichelte der Meister.

Er hörte es gar nicht. In Gedanken stieß er an die Kaffeeschüssel eines Arbeiters. Der Aluminiumlöffel sprang heraus und zischte in den Tiegel. Das Schmelzgut brauste auf, ein paar Bläschen platzten träge –

»Ich hab's – jetzt hab ich's!« rief Hans Neu.

Die Arbeiter lächelten. Der Meister zuckte die Achseln: »Er ist verrückt. Meinetwegen, wenn's nichts kostet –«

Hans wagte nach der Feierstunde nochmals einen Probeguß …

Spät abends klopfte es an die Stadtwohnung des Ingenieurs.

»Herein – Sie, Neu? – geschäftlich? – na, da hätten Sie auch morgen früh –«

»Ich – ich möchte Ihnen was vorreiten.«

»Schön, reiten Sie.«

»Einen auf den ersten Guß völlig blasenreinen Radkranz.«

»Gibt's nicht.«

»Wenn Sie noch zur Hütte kommen wollten?«

»Heute abend?«

»Ich dachte, es sei besser, erst mal ohne Zeugen …«

Eine Stunde später funkelten zwei Augen: »Mensch, wie machten Sie das möglich?«

»Zufall – ein wenig Aluminiumzusatz – große Hitze – dünnflüssig – Blasen steigen ganz von selbst …«

Der Ingenieur glitzerte: »Nicht übel – gar nicht übel – und da Sie dieses Ding gewissermaßen unter meiner – meiner Leitung schmissen, haben Sie wohl nichts dagegen, wenn ich das Patent auf meinen Namen –«

Hans hörte kaum hin: »Freilich«, murmelte er, »ob es auch beim schweren Walzenguß gelingt …«

»Na, da sind wir also einig, lieber Gießmeister Neu?«

Hans durchfuhr es freudig: »Meister – Meister?«

»Ja, von jetzt ab.«

»Und – und der andre?«

»Bleibt – Sie kriegen die neue Radkranzabteilung – von morgen ab.«

Hans leuchtete: »Und von – von übermorgen ab darf ich's mit dem Walzenguß probieren?«

»Alles, was Sie wollen. Sie sind unser Mann.«

Nun bekam er freie Hand. Er probierte unermüdlich. Wie hat er den Walzenguß umworben! Der ergab sich nicht. Aber mutlos ward er deshalb keineswegs. Auch die Firma nicht. Man hatte sich hineinverbissen. Wissenschaftler wurden angestellt. Unzählige Zusatzmischungen wurden durchprobiert. »Eine muß es sein«, sagte der Ingenieur, »wenn das bekannt ist, läßt das Ergebnis sich berechnen. Berechenbar ist alles.«

»Nicht alles«, sagte Hans, »der Mensch zum Beispiel –«

»Der Mensch hat freilich eine unberechenbare Seele –«

»Glauben Sie das Eisen nicht?«

»Ei, Hans Neu, Sie wollen gar noch Dichter werden? Lassen Sie's. Im Eisenreich tut Phantasie nicht gut.«

»In einem Lehrbuch las ich, das Atomgefüge eines Eisenstücks sei wie der Zellenstaat des Menschenkörpers. Zu Beginn elastisch, zähe, wird es langsam brüchig, was im Mikroskop erkennbar ist, beim Menschen und beim Eisen. Was aber lange unerkennbar bleiben kann, beim Eisen und beim Menschen, ist das innre Müdewerden in der Seele –«

»Theorien!«

»Der Brückeneinsturz in New York, den keine Prüfung hindern konnte –«

»Zufall!«

»Jetzt sind wir einig: Zufall eben ist ein Stück der Seele, glaub' ich.«

»Glauben Sie nur weiter«, spottete der Ingenieur, »wofern Sie auf dem Glaubenswege unserm Walzenguß begegnen.«

Immer wieder mußte Hans in die glutflüssige Pfanne starren. Schwer und langsam wogte drin das Eisen. Es atmete. Es sah ihn an mit tiefem Silberblick. Wie war ihm denn? Gab's nicht eine Zeit, wo er Zwiesprache mit dem Eisen gehalten hatte, ein Kamerad zum andern? Das war damals, als der Vater ihn als kleinen Buben mitnahm. Andre Kinder sprachen mit den Vögeln, er ward eisensprachekundig. Was hatte er dem Eisen alles vorgebabbelt. Das hatte ihm geduldig zugehört und in seiner Weis' erwidert, mit schwerem Nicken, leichtem Leuchten und heißem Atem. Wie manch Geheimnis aus dem Eisenleben ward ihm da vertraut. Auch das der Eisenfolgsamkeit. Wie war's doch gleich? »Bildet euch nicht ein, ich wäre euer Sklave«, hatte es erzählt, »nur wenn euer Blut in meines einrinnt, seid ihr mein und ich bin euer, und dann, aber auch nur dann, bin ich herzensgern, wie ihr mich haben wollt.«

Hans Neu lächelte. »Märchen aus dem Kinderlande«, murmelte er und stützte sich versonnen auf die Pfanne –

Da stampfte der Kran, es schütterte die Bühne. »Komm«, hörte er es zischen, »deinen kleinen Finger gib mir –«

»Um Gottes willen, Euer Finger!«

Verwundert zog er die gespreizte Hand zurück. Der kleine Finger fehlte. Das Eisen hatte ihn geholt. Geisterhaft ging sein Blick vom Stumpf zum Eisen, vom Eisen zum Stumpf –

»Die Sanitätskolonne!«

»Dummes Zeug. Die Verbandzeugschachtel! So, das genügt.«

»Aber der Doktor! –«

»Kann später kommen – erst der Guß – was soll das Glotzen? – höchste Zeit, den Zapfen stoßt heraus!« …

Da gebar das Werk das erste fehlerfreie Walzenpaar.

Lange stand Hans Neu davor. Zärtlich streichelten die vier Finger seiner Hand darüber. Da war es ihm, als lange aus dem Stahl der fünfte Finger: »Dein Blut rann ein ins meine, ich bin dein und du bist mein – befiehl!«

Und Hans Neu befahl. Walzen rollten aus dem Werk in alle Welt.

Man riß sich um die Marke.

»Und was hast nun du davon, Hans?« fragten ihn zu Haus die Seinen.

Er verstand sie nicht.

Sie schnippten mit den Fingern Geld: »Deinen Anteil meinen wir.«

»Meinen Anteil? Der ist klein. Nicht größer als ein kleiner Finger. Den Hauptanteil hat doch das Eisen.« Und er schickte sich zum Werkgang an.

»Du bist ein Träumer«, sagte die Mutter.

»Nein, ein schlechter Mensch – du sorgst nicht so viel für die Deinen.«

»Die Meinen?« Er sah sie an, als wären sie am Horizonte kleine Punkte. »Die Meinen?«

»Ja, zu denen du gehörst.«

»Ich? Ich gehöre zum Eisen.« Und ging ins Werk.

Fünfunddreißig Jahre lang ging er ins Werk, und das Werk ging in ihn, so daß sie eines Herzens waren, und voll guter Dinge.

Gute Dinge erhalten jung. Zwar, die Haare sengte ihm das Eisen bald schneeweiß.

»Neu scheint alt zu werden«, sagte der neue Direktor. In der Luft hing: Er hat seine Schuldigkeit getan …

»I wo«, sagte der Ingenieur, »nimmt drei Stufen noch auf einmal, sitzt einem nicht mit Lohnaufbesserungen auf dem Hals, kümmert sich den Teufel um Tantiemenkonten –«

»Tantieme? erlauben Sie, wofür?«

»Nu, er hat mal früher immerhin ein paar kleine Verbesserungen aussinniert, unter meiner Leitung selbstverständlich –«

»Na, da wollen wir mal etwas übriges – dort steht er ja – he, Herr Neu, vom nächsten Ersten tragen wir das Krankengeld allein.«

Eine Mütze flog vom weißen Haar. Dankend streckte eine Hand sich aus.

»Die ganze, wenn ich bitten darf, Herr Neu, die ganze Hand!«

»Nicht gut möglich«, lächelte Hans Neu, »den Rest hat das Eisen eingefordert.«

Erschrocken sah der Direktor auf den Fingerstumpf. Aber dann faßte er sich: »Von Ihnen nahm's den Finger, von uns verlangt's das Hirn – es ist alles weise eingerichtet.«

Als an diesem Tage Neu den letzten Guß vor Feierabend machte, ward es ihm sekundenlang vor seinen Augen dunkel. »Komm«, hörte er's im Eisen knistern, »komm!«

»Wohin?« lag's ihm auf der Zunge.

Keine Antwort. Funkengarben sprühten. Das Dunkel wich.

Dann kam ein Tag, da sagte der Ingenieur: »Sie geben's billiger, Herr Neu? Früher nahmen Sie drei Stufen, jetzt sind's nur mehr zwei.«

Hans Neu besann sich: »Es geht mir wie dem Eisen«, sagte er, »müde wird man schließlich, müde.«

»Sie sollten sich mehr schonen.«

»Das hilft wenig. Es hat eben alles seine Zeit, beim Eisen und beim Menschen.«

Eines Tages nahm er eine Stufe nach der andern. Etwas in seinem Innern wurde mürbe. Ihm war, als schuppe sich sein Herz. »Wie beim Eisen vor dem Rotbruch«, ging's ihm durch den Sinn.

»Herr Neu, wir verlangen, daß Sie sich's bequemer machen.«

Er wehrte sich nicht mehr.

»Und lernen Sie den Riffel langsam an.«

»Der kann ja, was er braucht.«

»Die Geheimnisse des Gusses, mein' ich.«

Die alten Augen blitzten jung: »Ans Gießen laß ich keinen hin!«

»Nu, nur nicht gleich so böse, alter Knabe. Da, nehmen Sie den Bogen. Darauf schreiben Sie die Zutat, wenn Sie gießen. Bis ins kleinste, bitte, samt Ihren Erfahrungen – Sie verstehen, fürs Archiv …«

Hans schrieb's und übergab's.

»Es ist alles drauf, was Sie dazutun?«

»Alles.«

»So daß jeder Guß gelingen muß

»Müssen ist was andres. Das Eisen muß nicht immer, sowenig wie der Mensch, wenn –«

»Noch immer diese Eisengrillen? Übrigens, den letzten Guß macht heute Riffel.«

Wieder schoß ihm alte Glut auf: »Ich – ich lasse keinen –«

»Seien Sie vernünftig, Neu – wenn Sie heute krank sind – Gott bewahre, daß ich gleich ans Sterben denke – aber etwa an den Machtspruch eines Doktors: Neu bleibt heut zu Haus – prost Mahlzeit, wer soll nun den Guß besorgen? – Sie wollen doch nicht, daß das Gußwerk Ihretwegen auf der Nase liegt, wenn –«

»Sie haben recht, das Werk geht vor.«

Er lernte Riffel an. Zwischen zwei Güssen legte er im Werkgetös die Hand ans Ohr: »Wie meinen Sie, Riffel?«

»Ich habe nichts gesagt.«

»Mir war, als habe jemand ›Komm!‹ gerufen.«

Es kam der letzte Guß an diesem Tage. Riffel wurde fahrig. »Zusehen will ich wenigstens«, sagte Neu.

»Das taten Sie schon immer, endlich einmal will ich ganz allein –«

Neu ging aus der Halle. Am Tore drehte er sich um. Sein Auge tauschte mit dem Eisenspiegel einen letzten Blick …

Am andren Morgen wütete der Ingenieur: »Der Guß mißlungen!«

»Ich dachte mir's.«

»Neu, Sie haben Riffel was verschwiegen.«

»Ja.«

»Schämen Sie sich, Sie – schlechter Kerl!«

Hans Neu blieb ruhig: »Ist man schlecht, wenn man verschweigt, was doch der andere nicht tun wird?«

»Was ist's, heraus damit!«

»Nicht eben viel, ein Finger nur.« Er wies auf seinen Stumpf.

»Keinen Hokuspokus, bitte! Nach dem letzten Zusatz frag' ich.«

»Wo nicht Blut zu Blut kommt, bleibt die letzte Müh' umsonst.«

»Unsinn!« wandte sich der Ingenieur an Riffel, »der Alte scherzt – na ja, verstehe, woll'n sich eine Gloriole weben, was? – Es wird ein Zufall gewesen sein – Riffel, gießen Sie!«

Der Eisenspiegel blitzte fragend hin auf Neu. Der nickte. Der Guß gelang.

»Nun, wer hatte recht?« triumphierte der Ingenieur, »übrigens, wenn Sie Urlaub wollen, Neu?«

Er sagte nichts. Er blieb. Er sah den Güssen zu. Stumm und leuchtend. Nur dann und wann ein Nicken seines Weißkopfs hin zum Eisenspiegel …

Es kam die stille Zeit, wo die Gießhalle ausgebessert werden mußte. »Na, lieber Neu, Sie können jetzt, wo nicht gegossen wird, ein wenig ins Gebirge …«

Neu ging in die Berge. Gleichgültig wanderte er über die Matten. Erst wo Vulkangestein die nackten Wände hob, ward er lebendig. Liebkosend fuhr er mit vier Fingern über die Fläche: »Kein übler Guß – 's wird Blut vom Herrgott eingeronnen sein …«

Lange ließ es ihm da draußen keine Ruhe. Vor der Zeit ging er in die Stadt zurück. Als er mühsam die Treppe in seine Wohnung hinaufstieg, packte ihn ein Schwindel. Höllisch brannten ihn die alten Eingeweide. Er mußte sich auf die Treppe setzen. Sein Kopf sank nach vorne. Er krümmte sich vor Schmerzen.

»Ist das das Ende?« konnte er noch denken, »lieber Gott, noch nicht! Am nächsten Ersten geht es wieder an, ich habe noch so viel zu – zu gießen –«

Als er in der Klinik erwachte, war er operiert. »Es war höchste Zeit«, sagte der Arzt, »einen Tag später hätten wir Sie nicht mehr flicken können.«

»Ach, Herr Doktor, mit dem Flicken ist es nicht getan.«

»Nun, was hätten wir denn sonst –?«

»Umgießen, Herr Doktor, umgießen – ich weiß das vom Eisen.«

Als sie ihn entließen, fand er zu Hause einen Brief. Der mußte schon lange dagelegen haben. Er enthielt die Kündigung. Einen Augenblick lang ward er bleich. Aber dann lächelte er: »Zum ersten April, aha – ich kenne doch den alten Spaßvogel von Buchhalter – eine Nachschrift?: In Anbetracht Ihres langjährigen – na ja, und so weiter – was? ein Vierteljahr Gehalt extra? – na, hab ich's nicht gewußt?: die werden was umsonst tun – nee, Verehrter, den alten Neu machen Sie noch lange nicht, auch wenn Sie die Direktionsunterschrift noch so zügig nachgefahren haben …«

Am ersten April erschien Hans Neu in der Gießhalle. Auf der Schwelle war er stehen geblieben. Eigentlich sollte er sich erst beim Buchhalter vom Urlaub zurückmelden und ihm sagen, daß er diese dummen Kündigungswitze – »Na, Schulze, rennen Sie mich nicht um, was ist denn los?«

Der Arbeiter sah ihn fast erschrocken an: »Sie, Herr Neu? und wir dachten – dachten –«

»Ihr dachtet, ich fiele auf den dummen Aprilscherz rein, haha – was rennen sie dort vorne so verrückt herum, he?«

»Oh, Herr Neu, wie gut, daß Sie gerade jetzt – schon wieder ist ein Guß mißlungen – und wenn der Ingenieur jetzt kommt und den Riffel – ui, da kommt er –«

Riffel stand vor Neu wie angewurzelt: »Sie? – w–was–w–wollen Sie denn hier?« fuhr er ihn an.

»Ihren Kram in Ordnung bringen!« brach's aus Neu heraus, »Kreling, siehst nicht, daß es braun vom Ofen bläst! – die Pfanne hergefahren! – Das Aluminium geb' ich selbst zu! – was sagst du, Schulze, der Schamottekanal? – schon gut, ich sehe selbst nach –«

»Erlauben Sie«, belehrte Riffel, »Sie haben hier nichts mehr – nichts mehr –«

Neu schob ihn auf die Seite: »Alle vor zum nächsten Guß! – alles hergerichtet! – das hier mach' ich selbst in Ordnung! – Scharrelmann, Sie helfen vorne mit! – in zwei Minuten kommen Sie und fahren mit dem Kran die Pfanne weg! – marsch, voran!«

Sie gehorchten wie ehedem, zogen Riffel mit …

Hans Neu war in den Schamottekanal gestiegen, durch den das Eisen aus dem Ofen in die Pfanne fließen sollte. »Natürlich«, brummte er, »an dieser Ecke muß sich's stauen! – reicht mir einer dort den runden Ziegel her!«

Seine Worte ertranken im Gebraus der Halle.

»Ach so, sind alle vorne! – na, werd' mir selber helfen …«

Er hatte eine Stange ergriffen. Sie hakte irgendwo. Er riß. Sie schnellte los, schlug auf den Ofenschieber. Auf ging der. Feurigflüssig schoß es in den Schamottekanal. Einen Engel sah Hans Neu im Feuer gehn: »Komm heim, Hans Neu, komm heim …«

Nach zwei Minuten kam Scharrelmann an die gefüllte Pfanne. Er wollte auf den elektrischen Knopf des Fahrkrans drücken. Da sah er etwas Weißes auf dem Eisenspiegel blitzen und verschwinden: »Merkwürdig, wie das blendet, sah fast aus wie Knochen – jaja, ich komme schon!«

Ratternd fuhr die Pfanne durch die Halle zur Gußstelle. Riffel fuhr herum: »Wenn der Alte wieder –!«

»Nicht mehr hier – wahrscheinlich im Kontor –«

»Kann mir's denken, sein Vierteljahrsgehalt wird ihn gezogen haben – marsch, gegossen! – wir müssen's herausreißen mit dem zweiten Guß!«

 

Riffel traf den Ingenieur im Kontor: »Der erste Guß ist zwar mißglückt, Herr Ingenieur –«

»Den Teufel auch!«

»Um so tadelloser ist der zweite.«

»Ihr Glück!«

»Der alte Schwinger sagt, so ausgezeichnet sei auch unter Neu kein Guß gelungen –«

»Das hat jetzt so zu bleiben!«

»Was an mir liegt, gerne – niemand sticht den eingebildeten Hansdampf lieber aus – er war bei Ihnen, nicht?«

»Neu? Hab ihn nicht gesehen – weiß schon, 's zog ihn wieder in die Halle –«

»Da – da ver – verschwand er plötzlich«, stotterte Riffel, und sog durchs offne Fenster, das in die Halle gegen den zweiten Gießofen zu ging, mit erschreckt geblähten Nasenflügeln einen süßen Duft. »Ich – ich kann mir nicht erklären – erklären –«

»Gott, er wird eben heimgegangen sein – verstehen Sie: heim! – Mensch, was ist – Sie werden ja kalkweiß! …«


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