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In Mühlau sitzen die Bauern seit Jahrhunderten auf der gleichen Scholle. Das macht eigenbrötlerisch.
Jeder seinen eignen Grund, jeder unter seinem eignen Dach, das versteht zur Not ein Städter, der, wie ich, sich eingeredet hat, er sei jetzt auch mit seinem Häusel ein Mühlauer.
»Ein Mühlauer will er sein, dersell?« hat man dann beim Altwirt über mich entschieden, »zum Lachen ist's – ein Eing'hockter is er.«
Ich habe ihnen sagen lassen, ich sei keiner jener Sommerfremden, ich sei auch im Winter da, und es sei jetzt schon ein ganzes Jahr, daß ich –
»Ein Jahr? Daß i net lach – was is a Jahr? – a Flohstich is's!«
Wie viele Flohstiche da wohl nötig wären, daß man angewachsen, daß man ein Mühlauer wäre?
»O mei', dir kann ma des net sag'n, des müßt amal der Enkel von dei'm Enkel fragen.«
»Was nicht hindert«, lachte ich, »daß ich jetzt euch was fragen möchte.«
»Frag'!«
»Wie kommt es, daß weitum ein jeder seine eigne Wasserleitung hat?«
Sie sahen mich verdutzt an. Ich hätte sie auch fragen können, wie es komme, daß ein jeder seinen eignen Schnaufer habe.
Ich ließ nicht luck. Hier war ich ihnen überlegen: Wann habe es zum letztenmal gebrannt? – Beim Jackel vor zwei Jahren. – Was gerettet worden sei? – Nix, koa Feserl – hoaßt des: Beim Traminer ein Kanarienvogel und beim Jäckel eine alte Nähmaschin'. – Und bei den früheren Bränden? – Auch so gut wie nix – a Feuer is a Feuer und frißt all's z'samm'. – In der Stadt sei's umgekehrt: ein Kanarienvogel käme um und eine alte Nähmaschine, alles andre werde meistenteils gerettet. – Ob ich lüge? – Nein, die Wahrheit sei es. – Also, wie das komme? – Sie hätten keine Hochdruckwasserleitung. – Sie kratzten sich am Hinterkopf. Das käme ihnen doch zu teuer, eine Hochdruckwasserleitung für jeden einzelnen von ihnen. – Nein, für alle eine. – Das Gestreit, mei' Lieber! – Es gäbe keinen Streit, alle Quellen auf dem Berg vereinigt, gäbe überreichlich Wasser. – Also guat probieren wir's, wenn's nix kost'. – Was nichts koste, sei nichts wert. – Das wäre auch wahr, und ich sollte es in meine Hände nehmen.
Ich war stolz und nahm es in die Hand. Schrieb ein Dutzend Briefe – besuchte – ward besucht – und, Wunder in Mühlau: Mit allem war man einverstanden.
Nur der Traminer setzte seine große Brille auf und suchte auf dem Plane des Regierungsingenieurs herum: Was der Strich da sei? – Der Hauptstrang. – Und die zwei kleinen Striche? – Der eine sei die Leitung für das Innendorf, der andre für die weitverstreuten Höfe. – Und wo man sehen könne, daß das Wasser auch ins Haus hineingeht? – Hier. – Und ob ein jedes Haus auch einen Brunnen auf dem Hofe draußen habe? – Freilich, jedes, sogar mit einem blitzenden Messinghahn daran. – Messinghahn? für was?
Hier war's, daß alle ihre schweren Bauernköpfe hoben.
Wofür? ei, daß man das Wasser absperren könne.
Totenstille. Dann ein Wiegen aller Köpfe: A Wasserleitung, wo man's Wasser absperrt? Wir woll'n a Wasserleitung, wo das Wasser lauft!
Überlegen lächelte der Staatsbeamte: Es liefe schon; nur wenn man's grad' nicht brauche, drehe man den Hahn natürlich zu. – Was natürlich? nix natürlich! unser Wasser is zum Laufen da und net zum Zusperrn! – Aber immer könne man das Wasser doch nicht laufen lassen! – Bei mei'm Vatter is 's glaufen, solang auf unsre Höf wer ghaust hat, is a Brunnen draußen glaufen; wenn i heimkomm von der Arbeit: 's erste, was i hör, 's Wasser lauft; wenn i aufwach in der Nacht, hör i 's draußen laufen, wie's seit dauset Jahr is gronnen, und i weiß, mei Hof, der steht no, wenn des nimmer laufet Tag und Nacht und Nacht und Tag, nimmer arbeiten möchtet i und nimmer schlafen könnt i – is 's net a so, Leut, sagt's!
Die Köpfe senkten sich, die Köpfe hoben sich: »So is 's, Traminer!«
»Aber Leute«, sagte der Regierungsingenieur, »bedenkt doch, daß es Hochdruck sein soll; wenn aber immer alle Hähne offen stünden, woher soll der Druck –«
»Wenn's nur rinnt, was brauchen wir ein' Druck?«
»Fürs Löschen, Leute, wenn es brennen sollte, deshalb baut ihr doch die Leitung. Wir brauchen gut sechs Atmosphären –«
»Uns is a rinnets Wasser lieber wie die Ammosferi – und brennen werd's net auch glei übermorg'n – und wenn's brennen sollt, mir werd'n 's schon in die Höh treib'n, d' Ammosferi – und jetzt soll amal der Brüala reden, der die ganze Gschicht uns einbrockt hat.«
Der Brüala war ich. Zum Brüala, heißt's auf meinem Haus.
Ich war bei der Rede des Traminer besinnlich geworden. An eigne Jugendwanderungen dachte ich, wenn wir Wanderbrüder spät in einer Herberge waren, wach im Bett und ohne Schlaf vor Übermüdung. Trübes Denken schlich uns an. Es würde eine Freinacht werden. Rasch das Fenster auf und Luft herein. Horche der Brunnen draußen, wie der traulich plätschert, immerzu und immerzu. Alles Trübe hat er fortgeplätschert, in den Schlaf hat er uns eingesungen, in den tiefen, süßen Schlaf der Jugend. Und ist unsern großen Denkern nicht oft Wundervolles mit dem Brunnenrauschen zugeflossen? Hat nicht Goethe – hat nicht Nietzsche – hat nicht einst ein Heraklit …
Ich vergaß, daß ich in Mühlau war: »Meine Herren, Goethe saß an einem Brunnen, als er schrieb:
Des Menschen Seele
gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
zum Himmel steigt es,
und wieder nieder
zur Erde muß es.
Meine Herren, solches schreibt man nicht an Brunnen, welche Messinghähne haben. Ewiges kann nur aus Brunnen, die da ewig fließen, kommen. Und hat nicht Nietzsche geschrieben:
Nacht ist es: nun werden lauter alle springenden Brunnen.
Und hat nicht selbst ein Heraklit von dieser Welt behauptet: Alles fließt …«
Lange muß ich noch gesprochen haben. Still haben es die Bauernköpfe aufgenommen. Der Ingenieur nur hat gelächelt.
Als ich fertig war, stand der Traminer auf: »Jetzt habts es von eahm selber ghört. Von ei'n Nitschi hab i nix g'wußt – 's muß einer gwesen sei, der wo si auskennt. Von ei'm Gette hat der Lehrer in der Schul uns was verzählt, i han's vergessen – 's muß einer gwesn sei, der si aufs Wasser aa verstanden hat. Und was den Hariklet betrifft, allen Respekt vor eahm: Alles fließt – mit zwoa Wörterln hat er's troffen. Und daß i also alles z'sammpack, den Gette und den Nitschi, den Hariklet und unser Leitung – entweder ohne Hahnderln oder gar net, Herr Regierungsingenieur!«
Daß ich's also auch zusammenpacke: Die Mühlauer bekamen ihre Wasserleitung ohne jeden Hahn.
Nicht lange drauf: Feuer beim Hechenrainer.
Die Hydranten auf, die Schläuche angeschraubt – es ging alles wie am Schnürchen.
Beim Hechenrainer war der Salvermoser mit dem Schlauchmund an der Leiter hochgeklettert. Über sich in den Dachstuhl, wo das Feuer angefangen hatte, richtete er das Mundstück: »Los!«
Kein Wasser kam.
»Los sag ich, los!«
Ein dünnes Strählchen stieg heraus, einen Meter oder zwei, dann fiel es matt zu Boden.
»Als wenn a Büaberl bieseln taat!« höhnte der Jackel.
»Die Sauwasserleitung, hab i 's net g'sagt!« schrie der Salvermoser.
»Stopft die Röhren zu im Dorf!« schrie ich.
»Des hilft aa nix mehr«, jammerte der Hechenrainer, der mit hängenden Armen vor seinem brennenden Dachstuhl stand und dem die Zähren über das Gesicht herunterliefen, ohne daß er's wußte.
»Helfen oder nicht – die Röhren zugestopft im Dorf!«
Einige mußten es getan haben – der Strahl ward etwas stärker.
»Als wenn unsereiner bieseln taat!« höhnte der Jackel.
Es war für die Katz', ich sah es ein und schüttelte den Kopf: »Solang der lange Strang in die Gehöfte weit hinaus allen Druck abzieht –«
»Botschaft müßte man zu denen schicken«, sagte jemand.
»Was hast d' gsagt?« Der Traminer stand neben mir. Bleich und stammelnd: »I bin schuld, i woaß –«
»Wir sind alle schuld.«
»Nix da, wenn i damals net so gegen alle Hahnderln g'red't hätt' – was hast d' gsagt – der lange Strang – wo geht er an – aha, beim anderen Hydranten –«
Mit ein paar Sätzen war er drüben. Mit gewaltiger Kraft riß er am Hydranten. Der gab nach. Eine Grube tat sich auf. Ein Rohr lag bloß. Das Rohr, das die Gehöfte weit hinaus versorgte.
»Derweil steht vom Hechenrainerhof kein Pfosten mehr«, sagte ich schlaff, »ja, wenn einer jenen ganzen Strang verstopfen könnte –«
Mächtig quoll es aus dem abgebrochenen Rohr. Der Strahl auf der Leiter droben sank zusammen.
»Ausbieselt is 's!« höhnte der Jackel, »aus is 's!«
»An geht's!« schrie der Traminer in der Wassergrube, »einen Prügel her!«
Sie reichten ihm ein Holzstück. Er schob es ins wasserzischende Rohr. Es schoß wieder heraus.
»Lumpen her und Stroh – was 's habts!«
Sie brachten Stroh und Lumpen. Er stopfte es hinein.
»Mehr Lumpen!«
»Ham koane mehr.«
»D' Joppen awa, d' Hemmada herunter!«
Sie rissen und sie gaben, was er wollte. Er stopfte, stopfte, stopfte.
Es hielt dem Druck nicht stand. Es fing an herauszuquellen. Da streifte der Traminer seinen Ärmel auf. Seine Riesenmuskeln sah ich spielen. Hinein ins Rohr fuhr der sehnige Bauernarm. Grimmig lachte drüber ein Gesicht zu mir herauf: »Der bleibt drin – der kimmt nimmer raus, bis daß – bis daß –«
»Ihr seid toll, sechs Atmosphären haltet Ihr nicht aus!«
»I 'leicht net – mei Arm da scho' – geht's nur hera, Deifis-Ammosferi!«
Sie gingen her. Der Arm ging hin. Sie hielten sich die Waage.
»Hurra!« schrie es von der Leiter, »– steigt scho'!«
Tiefer preßte der Traminerarm das Lumpenbündel in die Röhre. Blaurot schwoll's ihm im Gesicht.
»Hurra, höcher, höcher – hurra!«
Zischend kam es aus dem Schlauchmund. Zischend fuhr es ins Gebälk des Dachstocks. Zischend übergoß es jetzt die Flammen. Prasselnd spielte sich dort droben fast der gleiche Kampf ab, wie da unten. Nur, daß das Wasser dort das Feuer übermannte, und der Arm hier unten überwältigte das Wasser.
Der Hechenrainer stand noch immer mit Hängearmen. Doch das Feuer sank.
»Halt aus, Traminer, halt aus!«
Des Traminers stummverbissenes Antlitz wurde dunkel. Er schien zu schwanken.
»Halt aus – a bissel no, a bisserl – Traminer, wennst d' net aushaltst, waar alles umasinscht!«
Er hielt aus.
Als im Dachstuhl droben die letzte Glut gelöscht war, fiel der Traminer um. Matt rutschte aus dem Rohr der Arm. Der Arm nur, keine Hand mehr, die war fort. Nein, nicht fort – jetzt sie hinterher, für sich allein. Nein, nicht für sich allein – zusammen mit den Lumpen und den Wasserwogen spie die Röhre des Traminers Hand aus.