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Wieder einen Menschen hat die Maschine tot gemacht.
Den Laternenanzünder.
Zuerst ritten die elektrischen Bogenlampen eine Attacke auf sein Gasreich. Aber erobert haben sie es nicht. Sondern das Gasreich machte sich auf die »Strümpfe«, auf die glühenden. Und dann war es ein Kleinkrieg mit wechselndem Erfolg. Und manche Stadt eroberte sich das Gas zurück. Milder blieb sein Machtbereich und traulicher als die kalte Pracht des Elektrolichtes.
Schossen dessen Lichtgarben auf den großen Plätzen und in breiten Parvenüstraßen umher – so blieb der Gaslaterne ihr friedliches Bereich daneben. Und die alten Laternenanzünder bedienten sie nach wie vor.
Jetzt ist auch das vorbei.
Die Laternenanzünder sind tot, obwohl das Gas noch brennt. Man hat die Diener totgemacht, ehe noch das Gas gestorben war.
Ich gehe abends durch die Straßen und sehe keine Menschen mehr mit langen Stangen durch die Gassen eilen. Die Maschine hat sie abgesetzt, über Nacht. Wie das?
Jetzt ist es Dämmer, und ich will neben der Laterne dicht vor meinem Hause stehenbleiben und auf den Gasmann warten, der sie früher flammen ließ.
Ich warte und warte. Kein Gasmann kommt. Ich sehe auf die Uhr. Jetzt ist es eine Minute vor sechs Uhr, und die Dämmerung wird schon dick und schwer. Da – nun schlägt es sechs, und kein Laternenanzündertritt hallt in der stillen Straße. Plötzlich –
Whhuufff! da flammt das Licht der alten Gaslaterne. Flammt ganz von selbst. Hatte keinen Menschen nötig. Braucht keinen langen Zeigefinger mehr aus Holz, an dessen Ende sich das umgitterte Anzündeflämmchen mit Menschenwillen zu ihm neigte, damit die alte Gaslaterne brenne.
Wie ist das möglich?
In der Gaslaterne brennt auch tags ein kleines Dauerflämmchen. So winzig klein, daß es keiner sieht am Tage. Und neben diesem Ewigfünkchen haben sie ein dunkles Uhrgehäuse angebracht. Da drinnen tickt es, tickt es. Und des Abends, wenn es sechs Uhr ist, löst diese Uhr von selbst den Hebel aus, der die Laterne strahlen läßt. Whhuufff!
Später, gegen zwölf Uhr, wenn die braven Bürger in den Betten sind, stupft dieselbe Uhr die Gaslaterne wieder.
Whhiifff! und jede zweite Gaslaterne löscht sich selber aus. –
Die anderen kriegen morgens gegen Frühlicht einen weiteren Stoß von ihren Uhren.
Whhiifff! brennt keine Gaslaterne mehr in der ganzen Stadt.
Ach, der Laternenmann ist tot. Und an seiner Stelle tickt die Uhr.
Ach, der Laternenmann ist tot. Und ein eingestelltes Uhrwerk gibt und nimmt das Licht an seiner Stelle.
Ach, der Laternenmann ist tot. Und zwischen der Laterne und den Dingen, welche sie bestrahlte, ist des Menschen Mittlerhand verdorrt und eingeschrumpft auf Tick und Tack. Es stand ein Liebespaar im Dämmer an der Straßenecke und küßte sich.
»Liebster, bst, gleich wird der Gasmann kommen, wird die Gaslaterne flammen.«
»Liebste, nein, noch sehe ich seine lange Stange nicht, noch nicht.«
Whhuufff! – da flammte jene alte Gaslaterne ganz von selber, und die bösen Leute auf der anderen Straßenseite lachen.
»Pfui, du alte Gaslaterne, daß du noch in deinen alten Tagen hinterlistig wirst.«
»Ach, ihr tut mir unrecht. Ruhig hättet ihr euch küssen können meinetwegen, und ich hätte euch schon warten lassen durch den alten Gasmann – jedoch sie haben mir ein Ticktackwerk in meinen Leib gesetzt, und ich muß zur Sekunde strahlen und verlöschen, wie die Uhr in dem Gehäuse will.«
Ich selber ging um Mitternacht nach Hause mit guten Freunden. Wir stritten über Politik und andre heiße Sachen. Da schleuderte einer von uns fünfen eine kühnliche Behauptung zwischen uns.
»Das ist nicht wahr, oho, oho!«
»Bitte, hier hab' ich den Beweis!« und er zieht aus seiner Tasche den Beweis.
Unter der Laterne stecken wir die Köpfe über seine Schultern.
»Da – lest selbst, so lest doch!«
Whhiifff! ist die Laterne aus. Und wieder ist das schadenfrohe Lachen da.
»Der Teufel hol' das kalte Uhrwerk! Wenn doch der Laternenmann noch wäre. Der wäre nicht so grob gewesen.«
Ja, der Laternenmann.
Wißt ihr noch: Als wir Kinder waren, ist er vor uns hergegangen in den Straßen – hin und her im Zickzack, jetzt sprang der Funken auf der linken Straßenseite auf – und jetzt rechts – dann wieder links – als zöge er ein Gewebe durch die Stadt.
Immer hatte er es ein wenig eilig. Und unsere kleinen Füße kamen oft nicht mit, trotzdem sie geradeaus gingen, während des Laternenmanns Füße Zickzackwege gingen.
Und immer hatte er ein dickes Halstuch um. Und immer war sein Kopf gesenkt. Nur, wenn er mit der langen Stange an den Gashahn unterm Glasgehäuse tippte und dann das Glasscheibchen in die Höhe drückte, sah er in die Höhe. –
Und wir sahen ein unendlich gutmütiges Gesicht, und wir fürchteten uns gar nicht vor seiner langen Stange. Und wir sagten am 1. Januar zu unserem Vater:
»Papa, der Laternenanzünder ist da und will gratulieren«, als wenn wir einen alten lieben Besuch ankündigten. Und hätten zu dem einen Trinkgeldfranken im neuen Jahre gern noch ein Geldstück aus der Sparkasse zugelegt – wenn die nicht ein tönernes Schwein gewesen wäre, aus dessen Schlitz man auch durch Stürzen nichts herausbekam.
Ich habe einen Neffen, der Student ist.
Neulich war er bei uns zum Tee, am Abend, und das Gespräch kam auf allerlei Studentenstreiche.
»Nun«, fragte ich ihn, »löscht ihr auch noch Gaslaternen aus, wie wir es damals taten?«
»Nein«, sagte er verständnislos und sah mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er auch Häuser niederbrenne.
Da sah ich es. Die Laternen von heute mit ihrem Uhrwerk im Leib, die Laternen von heute, die nun ganz Maschine sind, an denen klettert kein fröhlicher Kerl mehr hinauf, die löscht kein übermütiger Bursch mehr aus, ja, deren Scheiben wirft nicht einmal mehr ein Junge ein.
Denn was hätte es für einen Sinn, sich um eine kaltnasige Maschine auch nur im Scherze zu bemühen, um eine Maschine, die den alten, lieben Laternenanzünder totgemacht hat?