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Es war heller Tag, und als ich den Riegel zurückschob, sah ich den Grafen Dietrich, schon völlig angekleidet.
Ihr schlaft wie ein Todter! rief er mir zu. Dreimal schon bin ich hier gewesen; meine Schwester ist gekommen, eilt so schnell Ihr könnt. Auch die Gräfin ist noch nicht auf, Mordoch weckt sie so eben. Jetzt haben wir den Spitzbuben, wissen seine sauberen Pläne. Kommt in den Saal, dort findet Ihr uns.
Ich zog mich schnell an und folgte ihm nach. Mit klopfendem Herzen ging ich an Kriegsheims Thür vorüber. War er entkommen, hatte man seine Absichten entdeckt, oder was war geschehen? Mordoch stand an der Saalthür und grinste mich falsch und unterthänig an; als er das Gemach öffnete, trat so eben die Gräfin Callenberg aus ihrem Zimmer, und aus dem großen Lehnstuhl am Kamin sprang die Gräfin Althan auf und eilte ihr mit offenen Armen entgegen.
Die Gräfin war in einen weiten Pudermantel eingehüllt und sah verdrüßlich kalt aus.
Meine geliebte Helene! rief die Althan ihr entgegen, ich bin zu Dir geeilt, um Dich von einer Schlange zu befreien, die Du an Deiner Brust wärmst. Dieser elende Schelm, der sich Kriegsheim nennt, ist ein Betrüger.
Schweig davon, versetzte die Gräfin verächtlich lächelnd. Du hättest Dir diese Reise sparen können.
Das heißt, Du glaubst mir nicht? fuhr die Althan fort.
Ich kenne Deine Absichten, sagte die Gräfin Gallenberg, aber es kann nichts daraus werden.
Du wirst mir glauben müssen, versetzte ihre Freundin lächelnd, von meinen Absichten wollen wir später sprechen. Rufe diesen Herrn Baron hierher, und höre, was ich ihm zu sagen habe.
Ich will nichts hören! rief die Gräfin Callenberg, und Kriegsheim soll ebenfalls nichts hören. Wer ihn beleidigt, beleidigt mich, und würde am besten thun, mich für immer zu verschonen.
Ich habe Dich zu lieb, sagte die Althan, um mich abschrecken zu lassen, und meine Nachrichten sind zu sicher. Ich weiß, daß die Herzogin von Weißenfels, Deine Schwiegermutter, den Plan gemacht hat, Deine Tochter mit Gewalt entführen zu lassen. In Drehna ist ein Familienrath gehalten worden, dem auch der Graf von Promnitz beiwohnte, darauf hat man einen jungen Cavalier ausgesucht, der zum Hofe der Herzogin gehört, und dieser hat gelobt, die Comtesse Agnes Maria zu befreien. Die Herzogin soll Briefe aus Steinau erhalten haben, worin sie flehentlich gebeten wird, sich ihrer Enkelin anzunehmen, welche sonst umkommen oder katholisch werden müsse, auch schon vor Aerger ein Gallenfieber gehabt habe. Hierauf ist Deine Schwiegermutter, im Verein mit dem Grafen von Promnitz, zunächst nochmals den Grafen Schafgotsch, ihren und Deinen Verwandten, angegangen, daß Deine Tochter ihnen zur Erziehung übergeben werde, und sie haben Deinen Lebenswandel mit den schwärzesten Farben geschildert; da aber Graf Schafgotsch es abgeschlagen, sich weiter in diese Sache zu mischen, so ist jener artige Cavalier, reichlich ausgestattet und mit Geld wohl versehen, in einer Kutsche der Herzogin wirklich abgegangen, hat drei entschlossene Bediente aus Drehna mitgenommen, und sich den Namen eines Baron Kriegsheim aus dem sächsischen Voigtlande beigelegt.
Während die Gräfin Althan dies berichtete, und zum Theil aus einem Briefe, den sie hervorzog, ablas, kämpften Glaube und Unglaube, Mißtrauen und Hohn im Gesichte der Gräfin Callenberg. Einigemale lief eine brennend rothe Gluth plötzlich über ihre Stirn, verschwand jedoch eben so schnell wieder. In ihren Augen entzündete sich ein wildes Feuer dabei; sie rollten nach allen Seiten, als suchten sie einen Gegenstand, endlich jedoch schlug die verrathene Frau ein lautes Gelächter auf und fuhr mit ihrer Rechten abwehrend durch die Luft.
Unsinn! rief sie, alberne Märchen! Wer soll diese Fadaisen glauben, von welchen mir gestern schon etwas ins Ohr geflüstert wurde? Rufe meine Tochter her, Mordoch. Sie soll sogleich kommen. Wenn Baron Kriegsheim erwacht ist, mag er sich hierher bemühen. In einer halben Stunde werden wir mit dieser Geschichte fertig sein und dann alle Zeit davor Ruhe haben, denn ich will von solchen Verläumdungen nichts weiter hören.
Nach wenigen Minuten kam Mordoch zurück und berichtete, daß die gnädige Comtesse nicht zu finden sei. Auch habe er an die Thür des Herrn Barons angeklopft, jedoch keine Antwort erhalten.
Meine Tochter nicht zu finden? fragte die Gräfin. Wo ist sie? Wo ist ihre Kammerjungfer?
Auch die Kammerjungfer ist nicht da, sagte Mordoch. Das Stubenmädchen glaubt, sie sei mit der Comtesse in den Garten gegangen.
Sucht sie schnell! schrie die Gräfin leidenschaftlich mit dem Fuße aufstampfend. Es schien sie eine Ahnung zu überkommen, denn sie stürzte nach der Thür, besann sich jedoch und kehrte wieder um. Das triumphirende Lächeln kehrte noch einmal auf ihre Lippen zurück, sie versuchte über die Abwesenheit der jungen Gräfin zu spotten, und sprach dann einige Zeit über mit ihrer Freundin gezwungen ruhig von deren Reise, und von ziemlich gleichgültigen Dingen; aber nun kamen die Hiobsboten Schlag auf Schlag. Mordoch lief athemlos herein und brachte den Schreiber vom Amte mit sammt einem der Dienstleute der Gräfin, einem ihrer Vorreiter.
Verrath! meine gnädigste Gebieterin, Verrath! schrie der Schuft seine Hände faltend und aufhebend; der lutherische Hund, Georgi, der Stallmeister, er ist bestochen, hat auch zu der Brut gehört. Eine Kutsche hat am Parkthore gehalten – vier Pferde davor – heut früh, um fünf Uhr.
Meine Tochter! Wo ist sie? fiel die Gräfin ein.
Fort ist sie, Alle sind fort! keuchte Mordoch.
Sie hörte nicht weiter, sondern lief in ihr Zimmer, dessen Flügelthüren sie so heftig aufstieß, daß sie beide weit zurückflogen. Daneben war ihr Schlafgemach. Die Gräfin Althan folgte ihr mit Bitten und guten Worten, wir blieben auch nicht zurück, aber sie griff schnell nach zwei von den schönen damascirten Pistolen, deren vier über ihrem Bett hingen, drückte an einer Feder in dem Pannelwerk der Wand und verschwand in einem schmalen Gang, der in der dicken Mauer versteckt war. Wohin dieser führte, war für mich kein Geheimniß.
Gleich darauf hörte ich sie:
Mache die Thür auf! mache auf oder Du mußt sterben!
Es rührte sich nichts und ich sah das Pulver aufblitzen, allein es fiel kein Schuß. Sie that einen lauten Schrei, dann stürzte sie wieder herein, schleuderte die Pistolen von sich, rollte ihre Augen wie im Wahnsinn und knirschte mit den Zähnen.
Die Kugeln sind herausgezogen! schrie sie, wer hat das gethan? Brecht die Thür auf! Verrätherei! Brecht die Thür auf!
Der Hausmeister war schon da mit einem Dutzend Bedienten, Jägern und Kutschern. Die Thür wurde aufgebrochen, aber der Baron war fort, seine Mantelsäcke ebenfalls verschwunden. Es blieb kein Zweifel mehr, daß er sich davongemacht hatte.
Bei dieser Gewißheit stand die Gräfin bleich wie eine Todte ohne eine Sylbe zu sagen. Die Gräfin Althan wollte sie trösten und fortführen, doch waren ihre Füße wie festgewurzelt. Plötzlich aber hob sie die krampfhaft verschlungenen Hände auf, und aus ihrer tiefsten Brust kam ein entsetzliches Lachen.
Verloren! schrie sie, ewig verloren! und mit diesen Worten sank sie ohnmächtig zusammen.
Länger als eine Stunde, wohl zwei, dauerte es, ehe sie ihrer Sinne wieder mächtig wurde, denn diese Ohnmacht verwandelte sich in Krämpfe, und wenn es schien, als sei es vorüber, kehrte mit der ersten Erinnerung an die schreckliche Wahrheit auch sogleich das vernichtende Weh zurück. Der Doctor, aus der Stadt schnell herbeigeholt, wandte alle Mittel an, die er wußte; der Justizamtmann, der Pfarrer und die Beamten eilten herbei, denn der Arzt meinte, daß ein Schlagfluß jeden Augenblick eintreten könnte.
Graf Dietrich sammelte inzwischen alle Nachrichten über die Flucht und schien gar nicht so zornig und entsetzt darüber zu sein, wie ich es mir eingebildet hatte. Er verhörte den Schreiber, die Bedienten und die Kutscher, ging mit größter Kaltblütigkeit zu Werke und schickte Leute zu Pferde in die Umgegend aus, um auszukundschaften, welchen Weg die Flüchtlinge eingeschlagen hätten.
Es ergab sich, daß der Schreiber, der von einem Besuch in der Nähe zurückkehrte, die Kutsche am frühen Morgen am Stadtthore halten sah und dabei den Stallmeister Georgi erblickte. Als er ihn grüßte und fragte, wo hinaus? erwiderte Georgi, die Gräfin fahre mit dem Baron nach Oppeln zum Besuch, aber, fügte er geheimnisvoll hinzu, sprich zu Niemandem davon, keiner soll es wissen.
Die vier Pferde vor der Kutsche waren die besten aus dem Stalle der Gräfin, und in der Morgenfrühe hatte der Stallmeister einen Vorreiter geweckt, welcher im Stalle schlief, ihm befohlen, die Pferde zu schirren und anzuspannen, da er auf Befehl der gnädigen Frau nach Oppeln fahren und fremde Gäste abholen sollte, die zur Freundschaft des Baron Kriegsheim gehörten. Der Stallmeister hatte sich selbst auf den Bock gesetzt, und einer der Bedienten des Barons saß bei ihm. Es sollte kein Mensch etwas davon wissen, bis die Gäste da wären, hatte Georgi gesagt, und hatte auch ein Reitpferd mitgenommen, damit er zurückreiten könnte, wenn der Wagen voll wäre.
Das Reitpferd hatte der Schreiber nicht bei der Kutsche gesehen, aber er hörte ein Roß am Park wiehern und glaubte, es sei vom chinesischen Tempel hergekommen. Als man dort nachgesehen, fand sich wirklich die Erde aufgescharrt und Spuren, daß ein Pferd längere Zeit dort gestanden. Die ausgesandten Leute aber kamen mit der Nachricht zurück, daß die Kutsche die Straße nach Brieg eingeschlagen und was die Rosse laufen konnten gefahren sei, auch sollte ein Reiter dabei gewesen sein.
Diese Entdeckungen hatte Graf Dietrich gemacht, als die Gräfin Callenberg sich endlich aufzurichten begann. Die ersten Worte waren:
Warum bin ich nicht gestorben? Warum muß ich diesen Jammer noch länger tragen?!
Dann aber fuhr sie wild auf, und nie sah ich den Ausdruck so entsetzlicher Wuth in eines Weibes Gesicht mehr ausgeprägt.
Wo sind sie? schrie sie auf. Habt Ihr sie? Wo sind sie?
Die Althan theilte ihr mit, was sich ergeben.
Bringt Pferde! fort, fort! antwortete sie. Ich will sie Alle tödten, will selbst dabei sterben; aber ihn, den Elenden, den Verräther, zehnmal, tausendmal!
Sie haben einen Vorsprung von wenigstens sechs oder sieben Stunden, sagte Graf Dietrich. Nur mit unermüdlicher Ausdauer ist es möglich, sie einzuholen, wenn man vom Glück begünstigt wird. Das vermag keine Frau.
Sie sah das ein.
Mordoch! rief sie, nimm die besten unter meinen Leuten, nimm die besten Pferde und halte nicht ein, bis Du sie findest. Tausend Species Ducaten gebe ich Dir, wenn Du sie todt oder lebendig nach Steinau bringst.
Es ist noch besser, fiel Graf Dietrich ein, wenn ein Cavalier sich an die Spitze Eurer Diener stellt, die den Schelmen nachsetzen. Wäre ich körperlich geschickt dazu, nichts sollte mich davon abhalten. Doch hier ist der Freiherr von Schmartau, der einer so schwer beleidigten Dame diesen ritterlichen Dienst mit Freuden leisten wird.
Wollt Ihr das? fragte die Gräfin, indem sie mich flehend und verheißend anblickte; bis an mein Lebensende will ich Euch dafür dankbar sein. Schießt den Elenden nieder, wenn er sich widersetzt; ich übernehme alle Verantwortung. Aber meine Tochter bringt mir lebendig, damit ich selbst Abrechnung mit ihr halten kann.
Sie ballte ihre Hand und ihre Augen funkelten vor Rachelust.
Meine gnädigste Gräfin ist in ihrem Rechte, sagte der Justizamtmann; wo der Verbrecher sich auch finden mag, muß er ihr ausgeliefert werden. Keine Obrigkeit kann sich dessen weigern, denn maleficus hat sein delictum hier begangen und muß von dem Gerichtsamt der hohen Standesherrschaft Steinau auch sein judicium erhalten, wegen raptus hominum, Menschenraub, ausgeführt an dem einzigen Kinde meiner gnädigsten Gräfin, worauf in allen Fällen die peinliche Halsgerichtsordnung den Tod setzt.
Schreibe Er Steckbriefe! rief sie erfreut. Alle Obrigkeiten sollen Hülfe leisten, den Verbrecher in Ketten legen und ihn meinen Leuten überliefern. Dann, sich wieder zu mir wendend, fügte sie hinzu: Handle der Freiherr in meinem Namen. Biete Er alle Mittel auf, ich will Alles, was ich habe, dafür geben.
Wenn ich mich hätte weigern wollen, würde ich ihren Zorn auf mich gelenkt und schlimme Auftritte herbeigeführt haben, in deren Folge ich das Schloß mit Aergernissen meiden mußte. Ich zeigte mich daher bereit, nach ihren Wünschen den Flüchtlingen nachzusetzen, in der Ueberzeugung, diese doch nicht mehr zu erreichen; doch wollte ich nicht wieder zurückkehren, sondern mich nach Breslau begeben. Als ich ihr sagte, daß ich sogleich fortwolle, war sie so entzückt darüber, daß sie auf mich zulief und mich vor Freuden küßte.
Schafft ihn mir, rief sie, und fordert dann was Ihr wollt dafür!
Hierauf brach sie wieder in Wuth und heiße Thränen aus, rang ihre Hände und schlug sich gewaltsam an die Stirn.
O! daß ich ein Mann wäre, klagte sie, daß ich ihm nachkönnte, mir sollte er nicht entkommen! Rächt Euch oder verschafft mir Rache. Fort, fort! Nehmt meine schnellsten Pferde, ich will für Euch beten. Die heilige Jungfrau wird Euch beistehen, den Verräther blenden und betäuben.
Mit solchen Gotteslästerungen entließ sie mich. Graf Dietrich drückte mir vertraulich die Hand und seine Schwester that desgleichen. Die Steckbriefe wurden gebracht, die Pferde vorgeführt. Mordoch, ein Jäger und ein Vorreiter, sammt dem Amtsschreiber, als obrigkeitliche Person, schwangen sich auf; alle waren mit Pistolen und Hirschfängern bewaffnet.
So begann denn diese unglückliche Verfolgung, von der ich mit wenigen Worten nur bemerken will, daß wir den ganzen Tag und selbst die Nacht durch ritten, so schnell es nur immer möglich war und die Pferde es aushalten konnten. Ueberall zogen wir Erkundigungen ein, hörten auch bald von einem Wagen mit vier Pferden bespannt und fanden die Pferde der Gräfin an einem Orte, wo der Stallmeister sie zurückgelassen. Dagegen waren schon Tage vorher vier Courierpferde bestellt worden, und dies wiederholte sich mehrmals, so daß wir wohl einsahen, die Flüchtlinge hatten im Voraus wohlüberlegte Maßregeln genommen.
Die Hoffnung, sie einzuholen, schwand immer mehr, und Mordoch brach endlich in gräuliche Flüche und Verwünschungen aus. Er war von teuflischer Rachgier erfüllt, und seine Genossen wollten ebenfalls nicht inne halten, so lange noch ein Schimmer vorhanden war, die tausend Speciesducaten zu verdienen. Vergebens blieben somit meine Vorstellungen, daß es doch nichts helfe, weiter zu reiten. Mordoch schrie, Gott und die heilige Jungfrau würden ihm beistehen, den nichtswürdigen Schelm zu fangen und seine gnädigste Gräfin von ihrem Gram zu retten. Es blieb mir nichts übrig, als ihnen nachzufolgen, aber ich hatte beschlossen, nicht weiter als bis Neumarkt zu reiten, dort an die Gräfin zu schreiben und mit aller Höflichkeit mich zu empfehlen.
Es sollte jedoch leider anders kommen, denn als wir das Städtchen Neumarkt am Morgen erreichten, fragte Mordoch am Eingange sogleich nach Fremden, wie er sie suchte. Einen Wagen hatte Niemand gesehen, denn dieser hatte, wie sich später fand, einen andern Weg eingeschlagen, aber ein fremder Herr zu Pferde war am Abend ins Wirthshaus gekommen, und weil er schöne Forellen zum Abendessen erhalten, blieb er die Nacht dort, um dergleichen zum Frühstück noch einmal zu essen. –
Der Mann, welcher dies erzählte, war ein Sohn des Gastwirths, und nach einigen Fragen über das Aussehen des Fremden, schrie Mordoch: das ist er! trieb sein Pferd an und sprengte auf das Wirthshaus los, begleitet von dem Schreiber und dem Vorreiter, denn der Jäger blieb schon in der Nacht zurück, da sein Pferd lahm geworden. Auch ich hatte diesem Verhöre nicht beigewohnt, da sie eher an die Stadt gelangten, als ich; wie ich jedoch hörte, was geschehen, eilte ich dem Wirthshause voller Angst und Besorgnisse zu, doch auch voller Unglauben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß Kriegsheim so unbesonnen und leichtsinnig sein könnte, hier zu übernachten, statt seine Flucht unaufhaltsam fortzusetzen.
Aber es war so, und zu welchem schrecklichen Auftritte gelangte ich! Als ich vor dem Wirthshause ankam, hörte ich ein schreckliche Geschrei aus dem offenen oberen Fenster. Eine Stimme, mir nur zu wohl bekannt, schrie laut um Hülfe; dazwischen brüllte Mordoch:
Du lutherischer Hund, warum hast Du die einzige Tochter meiner Frau Gräfin gestohlen?
Der Schreiber kreischte:
Du hast die kaiserliche Landeshoheit verletzt und bist des Todes schuldig!
Der Vorreiter aber, der wie Mordoch groß und breitschultrig war, schrie dazu:
Schlagt ihn todt, den lutherischen Hund, den Dieb, den Schelm! und ich hörte harte Schläge fallen, denen ein Schmerzensgeschrei folgte.
Ich sprang die Treppe hinauf und riß die Thüre auf. Da lag der unglückliche Baron an der Erde, halbbekleidet und sein Gesicht mit Blut bedeckt. Der nichtswürdige Hausmeister und seine beiden Gehülfen schlugen ihn mit Pistolenkolben und Fäusten, und Mordoch schrie:
Ich habe von meiner Gräfin Befehl, Dich entweder todt oder lebendig zu liefern. Gleich fort mit Dir oder ich zerschmettere Dein Gehirn, Du Schelm!
Kriegsheim streckte mir seine Arme entgegen und jammerte:
Helfen Sie mir, Freund. Retten Sie mich vor diesen Unmenschen, die mich ermorden wollen.
Zurück! rief ich dem Hausmeister zu. Laßt ihn los oder Ihr sollt es bereuen.
Der Schelm soll den Augenblick uns folgen, sagte Mordoch. Wer es mit meiner gnädigsten Gräfin gut meint, wird uns nicht daran hindern wollen, ihn zu binden und auf ein Pferd zu legen.
Schlagt den Hund! den lutherischen Hund! schrie der Vorreiter, indem er seine Faust wiederum aufhob, ehe diese jedoch niederfiel, bekam er selbst von mir einen Schlag an den Kopf, daß er zur Seite taumelte. Hierauf spannte ich meine Pistolen und drohte denjenigen sofort niederzuschießen, der sich fernerhin an dem Gefangenen vergreife.
Der Lärm hatte viele Menschen herbeigezogen, welche die Stube anfüllten, und da der Bürgermeister dicht dabei wohnte, kam auch er mit einigen Rathsherren und fragte, was hier vorgehe?
Dieser Schelm, sagte Mordoch, hat die einzige Tochter meiner Frau Gräfin gestohlen. Er muß sie herausgeben und muß uns folgen, um den Lohn für seine Verbrechen zu bekommen.
Meine Herren, erwiderte Kriegsheim, der sich aufgerafft und das Blut abgewischt hatte, ich bin unschuldig, ich weiß von keinem Verbrechen.
Nein, nein! schrieen die Dreie wild durcheinander, dies ist der schelmische Baron. Wir müssen ihn todt oder lebendig unsrer Gräfin bringen.
Um Gotteswillen! bat Kriegsheim, liefert mich ihnen nicht aus. Ich habe die Gräfin nicht entführt, weiß nicht, wo sie ist. Ich bin allein und zu Pferde hierher gekommen und will gleich nach Breslau weiter reisen, wo ich mich vollständig rechtfertigen werde.
Ehrsame, würdige Herren! begann der Schreiber, sich in die Brust werfend, hier habt Ihr die Steckbriefe meines gestrengen Herrn Justizamtmanns. Seht selbst zu, ob dies die richtige darin bezeichnete Person ist; item befragt auch diesen hier anwesenden Herrn Baron – indem er auf mich deutete – ob nicht Alles, was wir sagen, die lauterste Wahrheit enthält.
Der Bürgermeister gerieth in Bestürzung. Er schien ein gutherziger Mann zu sein und ihm mochte der junge, flehentlich bittende Mann eben so leid thun, wie er die Gräfin Callenberg kennen mochte, aber er wagte es nicht, sich den Forderungen des Amtsschreibers zu widersetzen.
Diese Steckbriefe, sagte er, lassen keinen Zweifel übrig, daß der Herr der richtige Mann ist. Somit müssen wir unsere Pflicht thun, wandte er sich an mich, wenn Sie, gnädiger Herr, es bestätigen, daß Alles sich so verhält.
Erbarmt Euch! schrie der Gefangene, indem er sich von Mordoch losriß, der ihn beim Arme gepackt hatte. Und Ihr, mein Herr von Schmartau, nehmt Euch meiner an. Ihr wißt am besten, daß ich ermordet werde, wenn man mich der Gräfin ausliefert.
Sagt die Wahrheit, wer Ihr seid, antwortete ich ihm und was Euch zu Eurem allerdings strafbaren Vergehen bewegte.
Ihr sollt Alles erfahren, versetzte er in größter Angst. Ich heiße nicht Kriegsheim, sondern bin der Chevalier de Fevre, gehöre zu den Cavalieren der Herzogin von Sachsen-Weißenfels-Drehna und bin der Gouverneur ihres Enkels, des jungen Grafen von Promnitz. Die Herzogin hat mich zu der Comtesse Agnes Maria geschickt, um ihr Rath zu ertheilen, wie sie aus den Händen ihrer grausamen Mutter zu ihr gelangen könne. Mit Hülfe des Stallmeisters Georgi hat sie die Reise angetreten und ich habe allerdings dabei mitgewirkt, doch entführt habe ich sie nicht, vielmehr nur ein gutes Werk vollbringen helfen und die Aufträge meiner Gebieterin, der Herzogin, erfüllt. Ihr seht auch, die Comtesse Agnes Maria hat ihren Weg allein verfolgt. Behaltet mich hier in Gewahrsam, wenn Ihr nicht anders wollt. Meine Herzogin wird mich rechtfertigen, oder sendet mich nach Breslau, wo ich mich vertheidigen will und meine Unschuld an den Tag kommen wird.
Nichts da! Nein! schrieen Mordoch und der Schreiber zu gleicher Zeit. Er muß mit uns nach Steinau vor's Gericht; unsere gnädigste Gräfin verlangt ihn ausgeliefert.
Der hochedle Magistrat wußte sich nicht zu helfen. Der Bürgermeister sah mich fragend an und zuckte die Achseln.
Ihr müßt wissen, Ihr Herren, was Ihr zu thun habt, sagte ich. Die Herzogin von Sachsen-Weißenfels ist eine Reichsfürstin; dieser Herr, welcher sich jetzt Herr von Fevre nennt, behauptet, in ihrem Dienste zu sein und in ihrem Auftrage gehandelt zu haben. Ich kenne Eure Rechte und Gesetze nicht, bei uns zu Lande jedoch würde über einen so schweren Fall nur der oberste Gerichtshof oder der König selbst entscheiden.
Der gute Bürgermeister verstand mich.
Allerdings, sagte er zu den Rathsherren, ist hier von einer Reichsfürstin die Rede und der Gefangene ist, wie er sagt, ein Herr von Adel. Sonach muß nach Breslau an das Oberamt berichtet werden und dies mag anordnen, was weiter geschehen soll. Vorläufig nehmen wir den Herrn in Gewahrsam auf dem Rathhause, wo er scharf bewacht werden soll.
Ihr untersteht Euch, die Steckbriefe des Herrschaftsgerichts zu verachten? schrie der Schreiber.
Wir verachten sie durchaus nicht, antwortete der Bürgermeister, aber wir müssen hören, was das Obergericht befiehlt.
Und dabei blieb es, trotz aller Drohungen und allem Toben des Hausmeisters und seiner Gehülfen. Sie hatten die tausend Speciesducaten schon in ihren Taschen gehabt, jetzt waren diese wieder mindestens sehr zweifelhaft geworden, und diesen Schelmen schien es gewiß, daß ich sie darum gebracht hätte. Mordoch sah mich mit schlecht verhehltem Groll an, sprach heimlich mit dem Schreiber und dem Vorreiter, den ich an den Kopf geschlagen, und dann kam er mit seiner schurkischen Unterthänigkeit und fragte mich, was ich weiter zu thun befähle.
Hier ist nichts weiter zu thun, sagte ich, als der Gräfin zu berichten, was sich begeben, und abzuwarten, was das Oberamt in Breslau beschließt. Kehrt daher nach Steinau zurück und laßt den Schreiber hier, der sich um den Gefangenen kümmern kann.
Will mein gnädigster Herr Baron nicht ebenfalls sogleich mit zurückreisen? fragte er.
Ich hatte keine Lust, in Gesellschaft dieser Kerle zu bleiben, sagte daher, daß ich zunächst mich ausruhen und an die Gräfin schreiben würde, daß er aber reisen könne, sobald es ihm beliebe. Er dagegen bat mich höflichst und mit vielen Gründen, doch sogleich nach Steinau zu reisen, wo die Gräfin mich sehnlichst erwarten würde, und ließ lange nicht ab, bis ich ihm entschieden erklärte, daß ich nicht wollte.
Herr von Fevre wurde nun auf das Rathhaus gebracht, und sie hatten dort auf dem Thurm ein festes Gefängniß, aus dem er nicht entkommen konnte. Er war sehr niedergeschlagen, bereute seinen Leichtsinn aufs Bitterlichste, nicht gleich weiter gefahren zu sein, und war noch immer voller Angst und Furcht, daß die Gräfin ihn doch in ihre Gewalt bekommen könnte.
Ich vermittelte es, daß er sogleich an die Herzogin und an den Grafen von Promnitz in Sorau schreiben durfte, denen er schilderte, wie es ihm gegangen, und um Beistand und Befreiung bat; dann redete ich ihm zu, guten Muthes zu sein, und auch der Bürgermeister that es, da die Herzogin und der Graf ihn gewiß nicht verlassen würden, der Graf Schafgotsch deren naher Verwandter sei und das Oberamt sicher nicht darein willigen werde, daß er nach Steinau käme.
Die drei Schufte hatten ihn so übel zugerichtet, daß er ärztlichen Beistand haben mußte; er wurde verbunden und mußte sich ins Bett legen; als ich aber ihn verlassen wollte, faßte er meine Hände und sah mich traurig an.
Erfüllt meine letzte Bitte, sagte er, versucht es, die Gräfin zu bewegen, mich nicht weiter zu verfolgen. Sagt ihr, wie diese Schurken mich zu Boden geworfen, wie ich gemißhandelt wurde und daß ich Eurem Beistande mein Leben danke. Ihre Tochter ist bei der Großmutter, die sie liebt und gut erziehen wird, das ist das Verbrechen, zu welchem ich geholfen habe. Bittet sie, mir zu verzeihen und meiner Befreiung kein Hinderniß in den Weg zu legen. Wenn ich sie täuschte, hat mich Noth dazu gezwungen. Einmal in dies Unternehmen verwickelt, konnte ich nicht mehr zurück, aber, setzte er mit einem tiefen Seufzer hinzu, wollte Gott, ich hätte mich nie damit eingelassen und dennoch, dennoch – danke ich Gott, daß das gequälte Kind nun glücklich gerettet ist!
Ich versprach ihm, zu thun, was er verlangte, und änderte in dieser Stunde meinen Entschluß, nicht wieder nach Steinau zurückzukehren. Es schien mir nicht unmöglich, die Gräfin milder zu stimmen, wenn ich ihr die Leiden des Mannes schilderte, den sie so leidenschaftlich geliebt und sicher trotz seiner Untreue noch liebte. Wenigstens konnte ich es dahin bringen, daß sie von ihrem Verlangen abstand, ihn ausgeliefert zu erhalten und seine Bestrafung dem Oberamte anheim gab, wenn sie gegen den Grafen in Sorau und gegen die Herzogin klagbar werden wollte.
Als ich ins Wirthshaus zurückkehrte, waren Mordoch und seine Kameraden fort, ohne sich bei mir verabschiedet zu haben; doch hörte ich von dem Wirthe, daß sie weidlich auf mich geschimpft, mich einen eben solchen lutherischen Hund genannt, wie der sei, der ihre Gräfin betrogen, und daß ich den Schelm beschützt und es dahin gebracht, daß sie jetzt ohne ihn abziehen müßten. Hätte ich sie begleitet, so würden sie mich gefangen genommen und vor ihre Gebieterin gebracht haben, die jetzt zusehen möge, wie sie sich Genugthuung verschaffe.
Das waren keine tröstlichen Nachrichten, allein allzuviel fragte ich nicht danach. Große Furcht vor Gewaltthaten empfand ich nicht und als Offizier und Edelmann fühlte ich eine gewisse Lust, meine Ehre vor den Berichten dieser drei Schelme zu vertreten; zudem aber dieser Frau noch einmal Auge in Auge gegenüber zu stehen, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Was sonst für sie in meinem Herzen gewesen, damit war es vorbei. Ich empfand Mitleid mit ihr. Die Nacht, in welcher ich an de Fevre's Bett ihre Bekenntnisse gehört, hatte eine Umwandlung in mir bewirkt, aber ihre glühende Leidenschaft und ihre Klagen bewirkten so große Theilnahme und solchen Glauben an den innersten edlen Kern ihres Wesens, daß ich in meinem Entschlusse nicht wankend wurde.
Ich schrieb darauf an meinen Verwandten, den Oberamts- und kaiserlichen Geheimrath von Wolfersdorff in Breslau, machte ihm einen ausführlichen Bericht von Allem, was ich erlebt, schilderte ihm die Verhältnisse in Steinau, die Pläne und Absichten des Grafen Althan und seiner Schwester und das Erscheinen des Baron Kriegsheim im Schlosse. Auch verschwieg ich ihm nicht, daß derselbe eine zärtliche Amour mit der Gräfin angeknüpft, welche sogar ihn heirathen wollte, und fuhr dann fort, darzustellen, welche Verrätherei er vorbereitet und diese auch endlich ausgeführt. Hiermit ließ sich dann die Flucht und die Gefangennehmung des Herrn von Fevre verbinden, wie auch dessen Aussagen in Betreff des Grafen von Promnitz und der Herzogin von Sachsen-Weißenfels und welchen Antheil ich an allen diesen seltsamlichen Historien genommen.
Ich schrieb daran den ganzen Tag und machte es so ausführlich, weil ich voraussah, daß mein Vetter diese Schrift sofort dem Oberamtsdirector Grafen von Schafgotsch mittheilen würde, welcher den Bericht des Magistrats von Neumarkt erhalten mußte. Zugleich bat ich dringend meinen Verwandten, allen seinen Einfluß anzuwenden, um zu verhindern, daß Herr von Fevre der Gräfin ausgeliefert werde, die ihn grausam behandeln und wohl gar tödten lassen würde. Dann schickte ich diesen Brief mit demselben Courier ab, der den Bericht des Magistrates nach Breslau brachte.
Ich verweilte hierauf noch einen Tag in Neumarkt, um Alles, was mir möglich war, für den armen Fevre zu thun, und vielleicht inzwischen eine tröstende Antwort aus Breslau zu empfangen. Diese kam jedoch nicht, und Herr von Fevre lag im Fieber in seinem Gefängniß, in Folge der Mißhandlungen, welche er erduldet, und der Angst, in welcher er sich befand. Es war wenig mit ihm anzustellen. Alles, was er sagte, bezog sich auf seine Furcht, der Gräfin in die Hände zu fallen, und alle seine Bitten richteten sich darauf, daß ich um Gottes willen dies verhindern möge.
Am darauf folgenden Morgen machte ich mich demnach auf den Weg, übereilte mich nicht, übernachtete auf einer Posthalterei, und langte am nächsten Tage in Steinau an. Es war mir seltsamlich zu Muthe, als ich das Schloß erblickte, und ich wappnete mich mit den besten Vorsätzen, mich durch nichts irren zu lassen, sondern allen Stürmen zu trotzen.
Als ich in den Schloßhof einritt, liefen die Leute zusammen und sahen mich verwundert kommen. Mordoch erschien auf der Freitreppe und mochte nicht weniger erstaunt sein; aber er war ein Jesuitenschüler und vollendeter Heuchler, nahm gleich seine gewöhnliche Gleisnerei an, näherte sich demüthig und freute sich unterthänigst den Herrn Baron wohlbehalten wieder hier zu sehen. Seine gnädigste Frau Gräfin, berichtete er mir, erwarte mich sehnlichst und sei in dem großen Gartensaale auf der Terrasse des Schlosses, wohin er mich respectsvoll geleiten werde.
Aus seiner falschen Freundlichkeit konnte ich merken, was mir bevorstand, war jedoch darauf gefaßt, ersuchte ihn voranzugehen und folgte ihm nach. – Durch die Glasthür sah ich die Gräfin an einem Tische sitzen, bei ihr saß Graf Dietrich, und an der anderen Seite des Tisches der Justizamtmann, welcher ihr ein Actenstück vorlas. Als sie uns hörte, drehte sie sich um, und sogleich war sie auf den Füßen und ihre Augen funkelten mich zornig an, während ihr Gesicht sich röthete.
Er ist es! rief sie mir zu. Er untersteht es sich, hierher zurück zu kommen, nachdem er mir die allerschlimmsten Dienste geleistet hat? Was denkt der Herr Baron? Denkt Er, daß ich seine schöne Aufführung nicht kenne? Meint. Er, mich auch zu betrügen, nachdem er dem elenden, nichtswürdigen Betrüger geholfen und beschützt hat, der in den Händen meiner Diener war? Hätte ich solche Conduite von Ihm geahnet, ich würde mich gehütet haben, Ihm zu trauen; aber Er steckte hier schon mit dem Schurken unter einer Decke, und daß soll Er bereuen. Es ist gut, daß er wieder hier ist.
Ich habe nichts zu bereuen und werde nichts bereuen, erwiderte ich ihr kaltblütig, wer jedoch von mir sagt, ich habe mit diesem Kriegsheim oder Fevre unter einer Decke gesteckt, der lügt wie ein Schelm, was ich ihm beweisen will, wie und wo er es verlangt.
Ich blickte dabei auf den Grafen Dietrich, der sich jedoch nicht rührte, sondern lächelnd an seinem Bisambüchschen roch. Die Gräfin sah auch auf ihn hin und begann dann weniger heftig zu mir:
Kann der Herr es etwa läugnen, daß er sich des Verräthers angenommen und bewirkt, daß der Magistrat in Neumarkt ihn nicht auslieferte?
Ich habe den Herrn von Fevre von den schrecklichen Mißhandlungen der gemeinen Kerle befreit, die ihn so zugerichtet haben, daß er lange daran leiden wird, erwiderte ich ihr, und das werde ich jedesmal thun, wenn ich sehe, daß ein Mensch in den Händen solcher Schufte um Hülfe ruft; um so mehr aber, wenn es einen Edelmann betrifft. Seine Nichtauslieferung dagegen habe ich weder bewirkt, noch die Auslieferung betrieben, weil der Magistrat am besten wissen muß, was Gesetz und Recht ist.
Die elenden Pfalbürger! rief sie. Recht und Gesetz zu verlangen, daß er ausgeliefert werde, und ich will ihn haben, mag es kosten, was es will; ich muß ihn haben! Mein Justizamtmann hat die Schrift an das Oberamt aufgesetzt, gebt her, daß ich unterschreibe. Wenn sie Umstände machen, will ich selbst nach Breslau. Nach Wien will ich, der Kaiser selbst soll mein Recht anerkennen.
Sie sah wild umher und auf den Grafen, der ihr zunickte, dann wieder auf mich, und ihre Augen rollten grimmiger.
Er wußte das Alles, begann sie, und wenn es ihm Ernst gewesen, hätte Er die Dummköpfe wohl dahin bringen können, daß sie zu Kreuze krochen. Aber Er wollte nicht. Er hat ihnen die Ausflucht in den Mund gelegt, daß das Obergericht zu entscheiden habe. Will der Herr mir Flausen vormachen?
Nein, antwortete ich. Mein Wunsch war es allerdings, daß Herr von Fevre nicht ausgeliefert werde.
Sein Wunsch war das! schrie sie. Warum? Das sagt Er mir!
Weil ich der Gräfin von Gallenberg die Versuchung ersparen wollte, sich an einem Schuldigen zu rächen. Dieser Mann, gnädigste Gräfin, hat Ihnen sehr wehe gethan; er hat Ihnen schwere Wunden geschlagen, aber er ist bestraft dafür. Er liegt krank, voller Angst und Reue in einem Gefängniß, das Obergericht wird seine Schuld als parteiloser Richter untersuchen und ahnden. Nicht Ihre Hand darf dies thun, nicht der Mund, welcher ihn segnete, darf ihn jetzt verdammen. Seien Sie großmüthig, Gräfin! Großmüthig gegen ihn, der durch mich um Ihre Verzeihung fleht, demüthig bittet, ihn nicht weiter verfolgen zu wollen.
Sie unterbrach mich mit einem wahrhaft satanischen Gelächter. Vergeben! ich – ihm! schrie sie dann, dem Elenden, der mir meine Seele gestohlen hat. Ich verfluche ihn, ich hasse ihn, ich möchte ihn mit meinen Zähnen zerreißen! Niemals will ich ihm vergeben. Ich will ihn haben, will meine Tochter wieder haben und diesen Schuft, den Georgi, den ich an den höchsten Galgen hängen lassen will.
Dann ist es wahr, sagte ich empört, daß von Euch geliebt zu werden, dasselbe ist, wie eine Tigerin am Halse zu haben.
Sie erstarrte vor meinen Worten, und ich erschrak innerlich vor meiner Unbesonnenheit, die der Augenblick mir eingab, aber statt des Ausbruchs ihrer Wuth, den ich erwartete, lief ein Zittern durch ihren Körper. Ihre Lippen wurden bleich, und ihre Augen zogen sich tief zurück.
Eine Tigerin! dazu haben sie mich gemacht, sagte sie mit hohler Stimme, und jetzt – jetzt ist kein Entrinnen mehr. Gebt Rechenschaft. Wer hat Euch das gesagt? Eine Tigerin bin ich. Reizt mich nicht. Er, der Verfluchte, sagte das. Seine Tigerin will ich sein.
Der Amtmann hatte sich, als sie das Papier unterzeichnet, entfernt, wir waren somit allein und in dieser Bedrängniß wandten sich meine Blicke, Beistand fordernd, dem Grafen Dietrich zu, der noch immer mit seinem Riechbüchschen an der Nase ein unbeweglicher Zuschauer blieb. Er war aber feig genug zu glauben, daß ich am Ende ihn als denjenigen nennen könnte, der mir Dies und allerlei Anderes von ihr erzählt. Gewiß hatte er die größte Lust, Alles abzuläugnen und mir mein Spiel zu verderben, denn mit stolzer boshafter Miene richtete er sich auf; aber indem er dies that änderte sich sein Gesicht.
Da kommt Mordoch, sagte er, und bringt einen Courier mit sich, welcher sicherlich Neuigkeiten für uns hat. –
Und es war so; durch die Glasthür sahen wir den Hausmeister, in dessen Begleitung ich einen Kammerdiener des Grafen Schafgotsch erkannte, den ich in Breslau oft gesehen. Als er hereintrat, händigte er der Gräfin sogleich ein Schreiben seines Herrn ein, für mich aber hatte er ein anderes von meinem Vetter von Wolfersdorff, der mich dringend aufforderte, sogleich mit diesem Courier nach Breslau zu fahren und auf keinen Fall in Steinau länger zu verweilen.
Diese Botschaft und die Ankunft und Gegenwart des Kammerdieners war mir erwünscht; als ich jedoch aufblickte, sah ich sogleich, daß der Inhalt des Briefes vom Grafen Schafgotsch eine ganz andere Wirkung auf die Gräfin hervorbrachte. Ihr Gesicht glühte, und ihre Gefühle waren so heftig, daß sie kaum im Stande schien, Mordoch, zuzuwinken, daß er sich mit dem Courier entferne – dann nahm sie den Brief, zerriß ihn in Fetzen und schleuderte diese wüthend von sich. Ihre Brust flog krampfhaft, als wollte sie ersticken, und ihre dämonischen Augen funkelten grauenhaft.
Um des Himmels willen! rief Graf Dietrich, was ist geschehen? Was hat Graf Schafgotsch geschrieben?
Meine Tochter ist entkommen – Briefe von der Herzogin und dem Vormund – ich soll mich beruhigen, versöhnen – die Herzogin ist eine Reichsfürstin, Niemand kann ihr befehlen, ihre Enkelin herauszugeben; und ihn – den Verräther läßt er nach Breslau bringen, hat dem Magistrat in Neumarkt anbefohlen, ihn mir nicht auszuliefern; droht mir bei Strafe von zweihundert Mark löthigen Goldes, mich aller gewaltthätigen Schritte zu enthalten!
Bei diesen letzten Worten sprang sie wie eine Furie auf und schüttelte in ohnmächtiger Wuth ihre Arme, zum Himmel aufblickend, als wolle sie dort Rache nehmen oder suchen. Es soll nicht geschehen! rief sie wie in Raserei und Verzweiflung, sie sollen nicht über mich triumphiren. Hohn und Schande über mich, Hohn und Schande! – Graf Dietrich, fuhr sie fort, indem sie heftig auf den Grafen zulief und ihn mit beiden Händen faßte, ich willige in Alles; was Ihr thun wollt, ich bin bereit. Reist Eurer Schwester nach, führt Eure Pläne aus, aber schafft mir Rache.
Nur Gerechtigkeit, theuerste Gräfin, antwortete er, diese muß Euch auf jeden Fall werden.
Gerechtigkeit! rief sie mit erbittertem Hohngelächter, was frage ich nach Gerechtigkeit! Vergeltung will ich. Diese Elenden sollen mich nicht betrogen haben. Eilt, verliert keine Zeit, heut noch müßt Ihr fort.
Meine Schwester hat ja erst heut früh Steinau verlassen, erwiderte er. Sie will in Brünn verweilen, wie Ihr wißt; noch ehe sie dort anlangt, hole ich sie ein. Schenkt mir nur wenige Stunden, um meine Anstalten zu treffen.
Die Gräfin Callenberg wandte ich jetzt jetzt zu mir sah mich forschend an, und sagte darauf: Auch der Herr Baron hat einen Brief erhalten.
Von meinem Verwandten, dem kaiserlichen Geheimrath von Wolfersdorff, der mich ersucht, sogleich mit dem Courier nach Breslau zurück zu fahren.
Sie nickte verächtlich.
Er soll Bericht erstatten, thue Er das; male Er mich ab als Tigerin, ich habe nichts dagegen. Sage Er ihnen Alles, was er gehört und gesehen, sage Er aber auch, daß alle ihre Kunststücke nichts helfen sollen. Ich will diese Elenden haben und werde sie mir verschaffen.
Mit diesen Worten gab sie dem Grafen Dietrich ihren Arm, ging einige Schritte stolz an mir vorüber, der Thür zu, kehrte aber dort noch einmal um.
Herr Baron, begann sie langsam sprechend, Er ist ein Offizier und ist ein Mann von Ehre, wie ich glaube. Auch meine ich, Er weiß so viel von dieser Geschichte, daß er sagen muß, ich wurde verrathen und betrogen, wie es ein Weib niemals vergeben kann. Er wird daher gerecht sein; Ihm vergebe ich Alles, was er gegen mich gethan. Sei Er großmüthig, ich bin es nicht, ich kann es nie mehr sein. –
Damit verließ sie mich.