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Am nächsten Tage um die Mittagszeit kam der Fürst und hielt unter dem begeisterten Jubel der Königswalder seinen Einzug durch die Ehrenpforte; wer aber noch niemals einen Fürsten gesehen hatte, wurde aufs Aeußerste getäuscht, und deren waren nicht wenige. Die guten Leute in dem abgelegenen Waldgebiet hatten sich eingebildet, solch Herr sei nicht allein immer in Purpur und Hermelin gekleidet und trage eine dicke Krone auf dem Kopfe, wenn andere Leute sich eine Nachtmütze aufsetzen, sondern um ihn her wimmle es auch von Generalen und Ministern, von Garden und Trabanten und von Mohren und Heiducken.
Statt aller dieser Herrlichkeit kam ein einziger Wagen mitten in einer mächtigen Staubwolke, voran ein Dutzend Reiter, die der alte Forstmeister führte, hinterher aber statt der Garden eine Anzahl Landleute, Weiber und Buben mit nackten Beinen, die mitliefen, um beim Einzuge nicht zu spät zu kommen. Der Wagen war gelblackirt, alt und unscheinbar, noch unscheinbarer wie der Wagen des Steinsuchers, der gestern die Ehrenpforte einweihte. Rechts in der Ecke saß ein alter Herr, eingehüllt in einen grauen abgetragenen Mantel, die Feldmütze tief in die Stirn gezogen; in der anderen Ecke aber saß ein Offizier mit großen Epauletten und hinten im Coupé zwei Diener in dunkelblauen unscheinbaren Kleidern.
Wäre der Forstmeister mit seinen Jägern nicht vor dem Wagen gewesen, so würden die allermeisten Königswalder sicherlich nicht geglaubt haben, daß der mächtige Fürst darin sitze; inzwischen standen sie offenen Mundes, rissen die Hüte ab, starrten den alten Herrn an und schrieen endlich Hurrah! und Vivat! weil der Bürgermeister, der Apotheker, der Doctor und der Amtsrath so zu schreien anfingen. Der alte Herr legte häufig die Finger an seine Mütze, um zu grüßen; seine Augen waren klar und mild, doch veränderte sich kein Zug in seinem ernsthaften Gesicht.
Als der Wagen durch die Ehrenpforte rollte, dort anhielt, und die Hurrahs ein Ende nahmen, nahten sich die zwölf weißgekleideten Mädchen, Töchter der königswalder Nobili. Bürgermeisters Amanda hielt das Atlaskissen mit dem Lorbeerkranze und zitterte am ganzen Leibe. Der erste Lehrer an der Stadtschule, berühmter Poet, hatte ein sinnvolles Gedicht von acht Versen gemacht, das Amanda unter seiner Aufsicht binnen acht Tagen vorwärts und rückwärts auswendig lernte, wie ein Staar; aber in diesem entscheidenden Augenblicke hatte das unselige Kind Alles vergessen.
Es war vergebens, daß ihr Vater ihr liebevoll die Knöchel in die Seite drückte, sie verlor nur dadurch das Gleichgewicht, und wäre um ein Haar vornüber gegen den Wagenschlag gefallen. Ihre Gefährten hielten sie, das Kissen und den Kranz, aber der Bürgermeister selbst war so erschrocken über das Unglück und Ungeschick seiner Erstgeborenen, daß er den zwei Fuß langen Schlüssel, den er am Morgen mühsam mit Mützenpulver versilbert hatte, aus der Hand fallen ließ, und wie er ihn stürzen, klirren und darauf herum treten hörte, verlor er den Rest seiner Geistesgegenwart.
Während dessen herrschte eine vollkommene Stille. Der Fürst saß erwartungsvoll da, als er jedoch bemerkte, daß die weißgekleideten Mädchen sämmtlich an zu weinen fingen, sagte er in seiner klugen Weise:
Dummes Zeug! hergeben, danke für den Kranz. Weiß wohl, daß Alles gut gemeint ist.
In diesem Augenblick faßten der Oberprediger und der Rector, beide zugleich mit dem Bürgermeister, ein und denselben energischen und verzweiflungsvollen Entschluß. Der Bürgermeister hatte den versilberten Schlüssel wieder aufgerafft, ergriff ihn beim Bart mit beiden Händen und hielt den Ring hoch an den Wagen in die Höhe, während er sich tief verbeugte; der Oberprediger faltete seine Hände, streckte sie empor und verneigte sich eben so tief, der Rector endlich umklammerte zwischen seinen Fingern eine Rolle Papier, die mit einem breiten rosenrothen Atlasbande gebunden war, welches seine Tochter letzten Winter als Schärpe auf den Stadtbällen getragen hatte, schwang diese so hoch er konnte, und bückte sich nicht minder so tief er es vermochte.
Da diese drei eifrigen und getreuen Unterthanen aber von verschiedenen Seiten sich bückten, so geschah es, daß ihre Köpfe dabei in eine unangenehme Nähe geriethen. Der Rector links und der Bürgermeister rechts, stießen an das Haupt des Oberpredigers, welches sich in der Mitte befand, und prallten davon ab, wie von der siebenfacherznen Bundeslade Jehovas.
So ernsthaft der Fürst war, so blieb es doch auch für ihn unmöglich, seine selten zu erschütternde Gravität länger zu bewahren. Die Gesichter der drei Gratulanten, welche sich voller Verwirrung und Schmerz aufrichteten, um sich mit zornigem Abscheu anzustarren, wirkten so überwältigend, daß der alte Herr herzlich auflachte. Sein erhabenes Beispiel hatte ansteckende Folgen. In der nächsten Minute widerhallte der ganze Markt von ausbrechender, sündiger Lustigkeit des großen Haufens, der sich freilich sogleich besann, als das Gesicht des Fürsten seinen Ernst zurückerhielt; allein über den Ehrentag der Stadt hatte dieser unglückliche Zufall rettungslos den Stab gebrochen. –
Der hohe Herr neigte sich aus dem Wagen und sagte noch immer mit seiner inneren Lust kämpfend: Danke Ihnen für den Empfang, meine Herren. Sie haben sich viele Mühe gegeben, mir eine frohe Stunde zu bereiten. Bleibe dafür in Ihrer Schuld und sage Ihnen ein freundliches Lebewohl!
Der Adjutant winkte den Postillonen zu, der Wagen ruckte an, die Reiter sprengten vor, die Räder rollten, man sah nur noch, wie der Fürst sich in die Ecke legte und huldreich mit der Hand winkte. Die vorn standen, bemerkten, daß er seinen grauen Mantel über sein Gesicht zog und sein Körper hin und her wankte. Der Adjutant hielt sich die Hand vor den Mund, die Bedienten aber gaben sich diese Mühe nicht, sie lachten, so viel es sich für sie schickte.
So endete der von so vielen Erwartungen begleitete Besuch und ließ die gute Stadt Königswalde voll Verwirrung, Scham und Traurigkeit und voller Vorwürfe und Zank. Es gab schadenfrohe Bösewichte genug, die das allgemeine Unglück noch verhöhnen und verspotten konnten, Andere die Oel ins Feuer gossen und bald für den bald für jenen Partei nahmen.
Der Bürgermeister fuhr auf den Oberprediger los, der Oberprediger auf den Rector, der würdige Rector warf die Schuld auf beide zurück. Der Bürgermeister hatte eine geschwollene Stirn, der Oberprediger behauptete sein Schädel sei plattgedrückt, der Rector mußte Umschläge um sein Nasenbein machen. Kaum gelang es dem frechlachenden Pöbel gegenüber, der überall derselbe ist, die äußere Würde zu behaupten und in anständiger Weise den offenen Markt zu räumen; aber welche Auftritte folgten nun in dem geweihten Dunkel der Familienkreise. Die Frauen mischten sich hinein, Bürgermeisters Amanda wurde ein Opfer des väterlichen Zorns; doch von allen Seiten richtete sich dieser, wie es immer der Zorn der Gekränkten und Heimgesuchten thut, mit gesteigerter Heftigkeit gegen die Glücklichen, mögen diese auch noch so schuldlos sein. –
Der Forstmeister und sein Haus wurden nun erst recht der Gegenstand des Neides, des Hasses und der Anklage. Alles wäre anders gekommen, wenn dieser alte Jäger nicht der Stadt den Streich gespielt hätte, eine Viertelstunde von ihrer verfallenen Mauer zu wohnen. Der Fürst würde verweilt, gefrühstückt, mit seiner Gnade Alle beglückt, Dosen, Ringe, Busennadeln und Orden – ach Orden! ausgetheilt haben; jetzt waren Bürgermeister, Amtsrath, Oberprediger, Rector, Alle darum geprellt; Alles war mißglückt, Alles verloren, und Niemand hatte daran Schuld, als dieser sündhafte alte Mann und seine hochmüthige Enkelin.
Während dies so ziemlich in allen betheiligten Familien mehr oder minder das Schlußergebniß aller Untersuchungen blieb, verweilte der Fürst mehrere Stunden lang bei dem Forstmeister, länger als es dieser selbst erwartet hatte, obwohl dem gebietenden Herrn keine sonderlichen Festlichkeiten dort bereitet waren.
Das Forsthaus stand seitab vom großen Wege auf einer Bodenerhebung, die nach einer Seite sich zu einem Waldsee niedersenkte, nach der anderen eine weite Aussicht über das grüne Wiesenland und über die Stadt gewährte. Im Rücken lag ein prächtiger Buchen- und Eichenwald, der einzelne riesenhafte Bäume, wie Grenadiere auf der Wacht, bis dicht an das Haus vorschob, welches sie in ihren knorrigen Armen hielten. Behauptete der Amtsrath, daß das Amt auf den Mauern des weiland churfürstlichen Jagdschlosses stehe, so konnte das Forsthaus noch jetzt wohl dafür gelten, denn es war ein Haus mit runden Ecken und starken Mauern, es hatte ein hohes achtkantig zugespitztes Schieferdach, auf der höchsten Spitze eine Thurmfahne mit einem Knopf und ein gewölbtes Thor. Groß war es nicht, allein es besaß doppelte Stockwerke, kühle, hohe Zimmer, einen Garten, der es rings umgab, und eine breite Vortreppe mit Steinstufen.
Auf der letzten Stufe dieser Treppe stand Rosa von Bruchen ganz allein, als der Wagen des Fürsten anlangte und die Reiter ihm voraussprengten. Die hohen Waldbäume hüllten Haus und Grasplatz in kühle Schatten, doch durch das Geblätter fielen zahllose kleine Sonnenlichter und sammelten sich auf dem Gesicht und der Gestalt des jungen Mädchens, welches schweigend und wartend stand, ohne sich zu bewegen. Sie war nicht weiß gekleidet, nicht geschmückt, nicht in Gold strahlend, und weder Kranz noch Blumen in ihren Händen, aber ihre Erscheinung war so lieblich, und die dunklen Locken, welche auf den schönen, stolzen Nacken fielen, waren so eigenthümlich reizend, daß der alte Fürst, der sehr gute Augen hatte, ihren sittsamen Gruß, mit welchem sie die Arme über ihrer Brust kreuzte, sehr freundlich erwiederte.
Der Forstmeister schwang sich mit jugendlicher Hast von seinem Pferde, und ehe ihm Jemand zuvorkommen konnte, öffnete er selbst den Wagenschlag und half beim Aussteigen.
Mein allergnädigster Herr, sagte er, das soll kein Anderer thun, als ich allein; denn das ist mein Recht, wenn mein geliebter Herr an meinem Hause hält, das ich durch seine Gnade besitze.
Der Fürst lächelte, indem er die Hülfe des getreuen Dieners annahm, und sich auf dessen Arm stützte. –
Und dort, sagte er, das Fräulein anblickend, wer ist das?
Meine Enkelin! erwiederte der Forstmeister, der ganze Rest meiner Familie und meines Glückes.
Der Fürst betrachtete die schöne junge Dame mit vermehrtem Wohlgefallen. Er bot ihr die Hand, als sie aber sich tief neigte, zog er diese zurück und küßte sie auf die Stirn.
Nun, sagte er dann scherzend, Sie erwarten mich zwar an der Schwelle Ihres Hauses, doch ich will von Ihnen selbst auch hören, ob ich Ihnen aufrichtig willkommen bin und welchen Empfang Sie mir bereitet haben.
Gnädigster Herr, antwortete sie unerschrocken, wir bringen uns selbst Ew. Majestät entgegen, als das Beste was wir haben. Unser armes Haus enthält weder Schätze noch Köstlichkeiten, doch treuere und ergebenere Herzen können nirgend gefunden werden.
Dem Fürsten schien diese Antwort sehr zu gefallen. Er bot dem schönen Fräulein den Arm, und Rosa leitete ihn die Treppe hinauf in den Saal. Dieser war mit Blumen und Kränzen verziert, und der Herr setzte sich, nahm das Glas duftenden Rheinwein an, welches die heitere, jugendliche Wirthin reichte, und setzte sein Gespräch mit ihr fort, das ihm stets mehr behagte, je länger es dauerte.
Der Saal war kühl und goldige liebliche Stille darin; die Hoheit fiel von dem mächtigen Gebieter ab; er lehnte sich in die weichen Kissen und ließ sich von der jungen blühenden Gestalt ihre kleinen Lebensschicksale erzählen. Es war Geist und Leben in ihr, sie wußte zu sprechen und zu schildern, wußte zu rühren und zu erfreuen. Sie erzählte von dem Tode ihrer Eltern, von der Liebe und Güte ihres Großvaters, von ihrer Erziehung in der Residenz und von ihrer Rückkehr in dies einsame Haus und seine Freuden. Ihre Augen glänzten, ihr Gesicht drückte ihre Empfindungen aus, sie war natürlich und einfach, doch kein Naturkind, im Gegentheil, sie hatte Mancherlei gelernt und gelesen, sie hatte Neigungen und Gedanken, die sie zu beherrschen und zu verbergen wußte.
Der Fürst wurde angenehm von allen ihren Mittheilungen angezogen; er freute sich heimlich, daß sie durch seine Fragen und scherzenden Worte nicht verlegen wurde, sondern immer sogleich und ohne Stocken zu antworten wußte, und daß es oft etwas Pikantes und Ueberraschendes war. Als er sich endlich zu dem eintretenden Forstmeister wandte, geschah es mit einem Glückwunsch zum Lobe einer so schönen und klugen Enkelin, die in Wahrheit einer blühenden Rose gleiche und der, wie der hohe Herr mit einem Fingerdrohen hinzufügte, gewiß auch nicht die nöthigen Stacheln fehlten.
Der Forstmeister war von diesem Lobe und dieser Theilnahme beseligt. Er pries seine Rosa als aller Schönheit und Tugend Krone, dann mußte er sich zu dem Fürsten setzen und über sich und sein Wohl Auskunft geben, auch auf mancherlei Fragen antworten, welche die Landes-, die Dienst- und die öffentlichen Verhältnisse betrafen. Der Fürst unterrichtete sich gern in dieser Weise und liebte es, wenn ihm freimüthig und offenherzig Bescheid gegeben wurde. Daran ließ es der Forstmeister nicht fehlen. In aller Ehrfurcht beklagte und beschwerte er sich über das, was ihm nicht gefiel, sagte was ihm gut dünkte und schilderte die Verhältnisse, wie er sie kannte.
Der Fürst war alt und sein Diener war ihm noch um einige Jahre voraus; sie hatten sich beide gekannt wie sie jung waren, ihre Gespräche wandten sich daher bald der Vergangenheit zu, von welcher der Forstmeister vielerlei Erinnerungen aufzuwecken wußte, die den Herrn anregten und froh stimmten. So geschah es, daß wohl eine Stunde hinging, leichter und schneller, wie dem großmächtigen Fürsten eine seit langer Zeit vergangen war.
Draußen sammelten sich inzwischen mancherlei Leute, die auf ein gnädiges Wort warteten. Der Gerichtsdirector kam aus der Stadt nebst einigen anderen Personen, endlich kam auch der invalide Major Essenbach, der seinen Neffen mitbrachte, und alle wurden zuletzt dem Fürsten vorgestellt, welcher sie durch seine Freundlichkeit entzückte.
Der Fürst hatte immer ein außerordentliches Gedächtniß gehabt, dies war ihm auch im Alter geblieben. Wen er einmal gesehen, den kannte er nach vielen Jahren noch wieder. Er erinnerte sich des Gerichtsdirectors, den er vor langer Zeit in einem ganz anderen Landestheile als Richter angetroffen, und erinnerte sich noch besser des invaliden Majors, welcher im Felde als Capitain sich ausgezeichnet und einen Orden der Tapferkeit erhalten hatte. Der alte Soldat war begeistert von der Gewißheit, daß sein Fürst, der so viel zu denken hatte, dem zahllose Namen und Menschen vorübergingen, seinen Namen und seine Lebensbegebnisse so treu bewahrte. In seiner Freude stampfte er mit dem lahmen Fuß auf, daß es dröhnte, und vergaß vollständig, daß er häufig gehörig darüber geflucht, zurückgesetzt und nicht besser belohnt worden zu sein, als durch eine mäßige Pension. Jetzt sagte er mit stolzer Heftigkeit, daß er hundert Füße zu haben wünschte, die sämmtlich lahm geschossen wären für einen so großmüthigen und vortrefflichen Herrn. Der Fürst drückte ihm die Hand dafür, aber ehe er sich zu einem anderen der Wartenden wandte, begann der Major:
Allergnädigster Herr, darf ich allerunterthänigst um eine Gnade bitten?
Der Fürst nickte ihm Gewährung zu, allein er that es mit einem Blicke, in welchem zu lesen war: Fordere nichts, was ich nicht bewilligen könnte. Doch der Ernst seines Gesichtes schmolz sogleich wieder in Güte, als der alte Soldat fortfuhr:
Meine unterthänigste Bitte ist die, Ew. Majestät meinen Neffen vorstellen zu dürfen, damit er das Glück hat, sein ganzes Leben über diesen Tag zu preisen. Bei diesen Worten sah er sich um, winkte den jungen Mann herbei, der bescheiden in der Ferne stand, stellte ihn neben sich und fuhr dann fort: Dies ist mein Neffe, Majestät, meiner Schwester Sohn, Richard Steinau. Ich habe ihn erziehen lassen, so gut es anging, denn Eltern hat er nicht mehr. Er ist ein Bergmann geworden und kommt so eben aus Mexico zurück, wo er im Auftrage einer englischen Compagnie nach Kupfer und Silber gesucht hat. Es ist aber mehr werth, als alle Gold- und Silberminen auf der ganzen Erde, daß er eben jetzt hier anlangte, um seinen angestammten und angebeteten Landesherrn von Angesicht zu Angesicht zu sehen. –
Der Fürst richtete an den jungen Bergmann mehrere theilnehmende Fragen, und dessen ganze Erscheinung wie sein Benehmen waren wohl geeignet Interesse für ihn zu erwecken. Es war ein mächtig großer, mehr schlank und zart, als kräftig gebauter junger Mann, auch sein Gesicht war von sanftem Ausdruck und feinen wohlgeformten Linien, die beinahe etwas mädchenhaft Weiches hatten. Nur seine gebräunte Gesichtsfarbe sprach dafür, daß er Anstrengungen ertragen konnte, und in seinen klaren Augen lag etwas Feuriges und Unerschrockenes. Ihr fester, ruhiger Blick wurde auch durch die Nähe des Herrschers nicht eingeschüchtert.
Nachdem diese Vorstellungen vorüber waren, geleitete der Forstmeister seinen hohen Gast in das anstoßende Speisezimmer, und dort verweilte der Fürst mehrere Stunden, obwohl das Mahl kein eben köstliches und ausgezeichnetes genannt werden konnte. Allein entweder wollte er an dem heißen Tage die Kühlung abwarten, um seine Reise fortzusetzen, oder es gefiel ihm wirklich in diesem einsamen, ländlichen Hause, unter dem Schatten der Bäume und im Kreise dieser geringen Leute, die ihn mit Verehrung und Liebe und doch mit einer gewissen Freimüthigkeit umringten.
Auch Fürsten haben ihre idyllischen Tage und Stunden und diese mochten den alten Herrn überschleichen, als er ausruhend dem Waldhornconcert zuhörte, das zuweilen von draußen hereinhallte, und mit welchem der Gesang einiger Dutzend junger Mädchen und Bauernburschen aus dem am Hügel liegenden Weiler abwechselte, die in ihrem besten Feierstaat sich eingefunden hatten und auf der Flur vor dem Saale sangen.
Der Gerichtsdirector theilte dem Fürsten mit, daß Fräulein Rosa eine Singschule gestiftet habe und darin selbst den jungen Leuten Unterricht ertheile, was dem alten Herrn abermals Gelegenheit gab, dem schönen Mädchen seinen Dank auszusprechen, die frischen Stimmen zu loben und es für ein edles und wohlthätiges Werk zu erklären, wenn Menschenliebe herunterstiege zu den Armen und Verlassenen, diese um sich sammle, aufrichte und belehre und durch Lieder und Gesänge ihre Gemüther für das Gute empfänglich mache.
Ja die Guten, die Guten! sagte er am Schluß, die müssen überall auf Erden zusammenhalten, und müssen sich helfen! wobei er die Hand des Fräuleins lächelnd hielt und es gewinnend ansah.
Dann ließ er die jungen Sänger kommen und beschenkte jeden mit einem großen blanken Geldstück; draußen auf dem Vorplatze hatten sich inzwischen viele Landleute aus der Nähe und Ferne versammelt. Eine Schaar kecker Knaben steckte auf den Bäumen, kletterte affenartig in den Zweigen umher, um durch die Fenster in den Saal zu schauen, wo die Vornehmen saßen und aßen; die Buben lachten dabei auch vor der Hand über den zornigen, großen Forstinspector, der das Concert leitete, jetzt aber unten mit der Peitsche umherging und die jungen Vagabonden aufforderte sofort herunterzukommen, was sie natürlich bleiben ließen. Der Adjutant sammelte inzwischen Bittschriften und Gesuche ein, an denen es nicht fehlte, und einige Male, als die Tafel beendet war, trat der Fürst an ein Fenster, grüßte freundlich, nickte und winkte, was jedesmal von einem unermeßlichen Freudengeschrei beantwortet wurde.
Endlich nahm der erlauchte Gast Abschied.
Ich erinnere mich nicht, sagte er zu dem Forstmeister, seit langer Zeit so zufriedene Stunden verlebt zu haben. Haben Sie Dank dafür, mein lieber Bruchen; nun aber sagen Sie mir, was ich für Sie thun kann.
Der Forstmeister war von dieser Gnade tief gerührt. Allergnädigster Herr, sagte er, und seine Stimme zitterte, Sie haben mir so viel gewährt, daß ich keinen Wunsch habe als den, mir Ihre höchste Huld bis ans Ende meiner Tage zu erhalten.
Sie haben keinen Wunsch? fragte der Fürst lächelnd.
Nein, antwortete der Forstmeister. Ich bin alt, ich bin abgefunden. Ich bin zufrieden mit dem, was ich besitze.
Er sah dabei seine Enkelin zärtlich an, welche neben ihm stand, und der Fürst legte die Hand auf seine Schultern und sprach:
Sie sind ein glücklicher Mann, was kann ich da noch thun?
Dann wandte er sich an die junge Dame und sagte zu ihr:
Schützen Sie mir diesen alten Stamm, daß er lange noch seine kräftigen Wurzeln treibe. Eine junge Rose, die mit ihren weichen Armen und schönen Blüthen ihn umwindet, vermag wohl ihm von ihrer Jugend und Liebe mitzutheilen; wenn Ihnen aber etwas geschieht, wo ich helfen kann, so kommen Sie zu mir. Ich bin Ihr Freund und will es Ihnen beweisen.
In gnädiger Weise sagte er dann auch den Uebrigen Lebewohl und so stieg er in den Wagen und ließ überglückliche Menschen zurück, deren Segenswünsche ihn begleiteten.
Der Forstmeister und der Major umarmten sich voll Seligkeit.
Giebt es noch einen solchen Herrn in der ganzen Welt?! schrie der alte Jäger.
Es ist Alles Lumperei; alle Anderen sind nichts! antwortete der alte Soldat. Kreuz Bataillon! wir kennen ihn.
Und er kennt uns, Major! Er kennt uns! Kennt den Gerichtsdirector, den er vor dreißig Jahren gesehen hat.
Der blasse, grauhaarige Gerichtsdirector lächelte, und seine stechenden Augen blitzten unter den buschigen Augenbrauen. Er sagte nichts, aber der junge Steinau begegnete seinem Blicke und seinem Lächeln, und er murmelte halblaut vor sich hin:
Wie leicht ist es doch die Menschen zu gewinnen, wie wohlfeil ist ihre Liebe und ihre Begeisterung, und wie wenig bedarf ein Fürst, um sich getreue und ergebene, zu jedem Opfer bereite Herzen zu verschaffen!
Nun aber, schrie der Forstmeister, müssen wir die Nachfeier halten. Ich habe allen meinen Leuten und allen meinen Freunden und Nachbarn ein Fest versprochen. Die in der Stadt haben ihre Dummheiten noch nicht überwunden, sie sitzen zu Haus und schämen sich. Wir aber, die wir beisammen sind, wollen uns dessen nicht anfechten lassen. Räumt den großen Saal aus, es muß getanzt werden; Major, ich denke, Ihr Neffe da soll seine Künste zeigen, Rosa wird sie ihm abfragen. Was vorhanden ist an guten Dingen zum Essen und zum Trinken, das soll bereit stehen, und Jeder soll willkommen sein, der dabei helfen will. Zunächst aber muß er trinken auf langes Leben und Heil und jedwede Freude für unseren theueren, geliebten Herrn!
So geschah es denn im Forsthause, und bis an den hellen Morgen wimmelte es darin von lachenden und erhitzten Gästen.