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Des vorigen Gesichtes Geschichte gab mir Grund, meiner Sache in Gottesfurcht weiter nachzudenken, weil ich gesehen und gehört hatte, wie gar genau auch die geringsten Verbrechen der Menschen gemerkt, erforscht und vergolten werden.
Ich begab mich mit der Landkutsche von Nancy hinein nach Frankreich. Unterwegs las ich in den Reisebeschreibungen von Sincer, Eisenberger, Heymeyer, Steinberger, Henzner, Duchatius, Bertius, Janus, Secundus, Caspar Ens, Andreas Schott, Erpen, Atlas und andern, welche von dieses Königreiches Herrlichkeit und Vorzügen ausführlich geschrieben haben, damit ich wüßte, was in einem und dem andern Orte, insonderheit in der großen Stadt Paris zu sehen und zu beachten wäre, sintemalen diese Stadt von den meisten eine kleine Welt genannt wird. Und in Wahrheit: wer die Welt in einem Saal, in einem Sack, in einem Garten, in einem Garn, beisammen sehen will, der wird es in Paris gewißlich finden.
Solange ich dort verweilte, verging mir der letzte Tag ebenso wie der erste. Jener Schweizer, der zwanzig Jahre in des Königs Leibwache gewesen war und doch noch nicht drei Worte Französisch reden konnte, gab zur Antwort, als er von einem Freunde deshalb gescholten wurde: »Was wollt ihr in zwanzig Jährlein lernen können?« Die Welt läßt sich in so wenig Jahren gar nicht erkennen; eines Menschen Leben ist viel zu kurz dazu, sein Herz ist viel zu träge; wenn er eben anfängt, den Trug und die Eitelkeit zu merken, so ist es auch an dem, daß er selbst ans Ende kommt und bald von hinnen muß. Wie große Lust der Mensch auch oft hat ein Ding zu erwerben, ebenso kleine Freude hat er hernach, wenn er es erworben. Unser Thun ist also: wenn wir Verlangen nach etwas haben, dann bilden wir uns wunderwelche Herrlichkeiten davon ein, haben wir aber unser Begehren erfüllt, so fangen alsbald die vermeintlichen, herrlichen Dinge an, uns Verdruß und Ekel zu erregen. Also ist's mit der Welt: sehen wir ohne weiteres Nachsinnen sie von außen, in ihrer Gestalt, ihrem Aufzug und scheinbarem Thun an, behüte Gott! welch' schöne Dinge bilden wir uns von derselben ein; nichts anderes, als ob sie ein lauteres Paradies, ein Lustgarten voller Herrlichkeit und edelen Wesens wäre, während doch, wenn wir ihr die Maske, den Vorhang nur ein wenig hinwegziehen und den Kern beschauen wollen, uns allem die bloßen Hülsen in den Händen bleiben und wir bekennen müssen, Eitelkeit und Wahn regieren die Welt.
Mit diesen und dergleichen Betrachtungen hatte ich mich derzeit nicht wenig befaßt. (Meine Herberge war damals in der Faubourg Saint Germain, Rue de Seine, die Stadt Straßburg bei Herrn Courtin, neben zwei meißnischen, rechtschaffenen Deutschen von Adel, Herrn Karl von Diskau und Herrn Abraham von Loß; letzterer wurde von einem ehrlosen Wälschen in einem Kampfe als Secundant eines dänischen Adligen in die Brust gestoßen, starb nach zwölf Tagen und wurde nicht ohne Mühe begraben). Solchen Händeln also hatte ich mit einem Eifer nachgesonnen, daß ich, meines Kopfes fast nicht mehr Meister, davon lange Zeit gleichsam in einer Verzückung gelegen habe. Es däuchte mir, als ging ich in dieser großen Stadt oder Welt, um der Menschen Wesen und Wandel hier und da zu sehen und zu erwägen, wie verirrt umher; indem ich von einer Straße zur andern hin und her spazierte, da lachten die Menschen genugsam über mich, als über einen Albernen und Fremden, schalten mich einen langen Spanier, die Kinder liefen mir nach und warfen mich mit Steinen und Koth, und je mehr ich mich beeilte und befliß, den Leuten aus den Augen, aus dem Gespött und der Gefahr zu entkommen, umsomehr gerieth ich, wie man sagt, in die Brühe. Denn da kam ich in eine Gasse, Namens Hadergasse, nahebei der schlechten Bubengasse, die war allenthalben mit Tumult, mit Zanken und Beißen, mit Hauen und Schmeißen, mit Schlagen und Balgen erfüllt, so daß ich mit großer Mühe und Noth nicht ohne blutigen Kopf, den ich zum Zehrgeld davon brachte, hindurchdrang.
Sodann kam ich in eine Straße, die Schwelgerstraße; da wurde ich gewahr, wie alles von Rasseln und Prasseln, von Schreien und Speien, von Fressen und Saufen, von Huren und Buben wimmelte. Dann kam ich durch mehrere andere bekannte Orte, wo es nicht besser als in den genannten herging; darüber verwunderte ich mich und bekümmerte mich zum Theil so sehr, daß ich mich im Ernst gar nicht mehr erholen konnte. Als ich nun wie Bauer Hansels Kuh ganz verblüfft dastand und nicht wußte, ob ich hinter mich oder vor mich gehen sollte (denn je weiter ich vorging, um so mehr, däuchte mir, gerieth ich ins Spiel), da hörte ich, wie mir eine Stimme nachrief:
Abren madon badil cadilin pasin adum loron masaron damis bodi omis!Das ist eine Geheimschrift, welche von Joh. Trithemius in seinem Buche: Polygraphiae libri sex, Frkft. 1550, aufgestellt und entziffert ist. Jedes der obigen Worte bedeutet einen Buchstaben, aus denen sich der Name Moscherosch zusammensetzt.
Ich ging aber dessenungeachtet fort, damit ich nicht etwa, wenn ich antwortete, erkannt würde. Bald aber hörte ich noch stärker rufen:
Amolach bonefar astrafai acalachbchaba melan arabias morison osiel acanasor thombasDas ist eine Geheimschrift, welche von Joh. Trithemius in seinem Buche: Polygraphiae libri sex, Frkft. 1550, aufgestellt und entziffert ist. Jedes der obigen Worte bedeutet einen Buchstaben, aus denen sich der Name Moscherosch zusammensetzt. und als ich auch darauf nicht hören wollte, rief es weiter: »Hörst du nicht, du hebräischer Moyseskopf?« Weil mir nun die Stimme auf den Fersen war und ich mich zur Verhütung größeren Geschreis umkehrte, da sah ich einen ehrbaren alten Mann, der mir mit des Ortes gewohnter Ehrerbietung zusprach. Er war ohne Bart, wie ein alter Mönch, mit einer Pelzkappe auf dem Haupt, bekleidet mit einem Pelzrock, ein Barett in der Hand, einen Degen an der Seite, wie ein alter Rathsherr; seinem Wesen nach war er ehrbar und ernsthaft. In meinen fleischlichen Augen kam er mir vor als Rabbi Poppel Poy,Scheint ein fingirter Name zu sein, womit M. vielleicht auf eine bekannte Person anspielt. insonderheit weil er mir mit hebräischen Namen zugerufen hatte. Wiewohl nun die abgekürzten Worte Exp. Rob.Expertus Robertus = der erfahrene Ruprecht d. i. die personificirte Erfahrung. mit leserlichen Buchstaben auf seinem linken Aermel gestickt waren, was damals Brauch war, als man die Nase noch nicht mit dem Aermel wischte wie jetzt, und ich seinen Namen und Stand daraus unschwer errathen konnte, fragte ich dennoch aus erklärlichen Gründen: Wer seid Ihr, guter Freund? Es scheint, als ob Ihr mich nicht recht kennt und für einen andern haltet; denn obschon ich vor dieser Zeit den hebräischen Doctor Arx-mihi-firma-DeusZu deutsch: Gott ist mir eine feste Burg. Hierunter ist der gelehrte Blankenburg, Professor der hebräischen Sprache zu Straßburg, gest. 1625, gemeint. fünf Jahre lang öffentlich und sehr fleißig gehört habe, so bin ich schließlich doch in dieser Sprache so arm, daß ich schwerlich mit גבא einen Hund vom Ofen locken könnte. Außerdem ist das ein seltsamer Name, den Ihr mir da gegeben habt, dessen ich mich billig wundere. »So sehr nicht, sprach der Alte: denn die Reichskammer mit der RoseDas Reichskammergericht, von Kaiser Maximilian 1495 gestiftet. In den Sitzungssälen war an der Decke eine Rose, das Sinnbild der Verschwiegenheit, angebracht. Der Ausdruck sub rosa, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, ist bekannt. hat dergleichen Namen schon vor etlichen hundert Jahren im Rath gehabt, und derselbe ist nicht erst jetzt von mir erdacht worden, wie in vorliegenden Fällen unwillige Leute gern zu argwöhnen pflegen.« – Das ist wohl wahr, sagte ich hinwiederum; doch es ist bekannt, daß so wunderseltsame Namen allein oftmals einem ehrlichen Manne, und mir selbst schon, an seinem Glück hinderlich gewesen sind, weil viele Menschen der Meinung sind, daß ein seltsamer Name auch einen seltsamen Kopf an sich habe. »Das ist nicht ohne Ursache, sprach der Alte: das macht, weil viele junge Narren, wenn sie kaum das Alpha, Fitta, Gamma lallen können, ihre Namen nicht nur mit dem in lateinischer Sprache gebräuchlichen us oder ius, sondern auch mit ussius, mit igius, inus, anus und asinus mit Griechischem und Hebräischem verbrämen. Es will keiner mehr Roßkopf heißen, sondern Hippocephalus; keiner will mehr Schneider, Schuster, Weber oder Schmied heißen, sondern sartor, sutor, textor; ja dieses ist ihnen auch zu gemein, es muß jetzt sartorius, sutorius, textorius, faber und fabricius, nicht Schütz sondern sagittarius heißen, oftmals zu höchster Schmach und zur Verringerung ihrer selbst. Da aber das Urtheil vieler Menschen ungleich, widersinnig und betrüglich ist, so hast du dich deswegen deines von vielen deiner Voreltern ererbten, ehrlichen Namens nicht zu schämen.«
Mein Name, sprach ich ferner, ist Philander von Sittewald. »Ja, sagte der Alte, so nennst du dich zwar jetzt; dergleichen ist von einem Ehrenmanne in ehrlichen Schriften und Handlungen oft geschehen; in Pasquillen aber und Schmähschriften, die auf das Persönliche und in böser Absicht verfaßt sind, zu thun, ist sträflich verboten. Dein Name ist mir sehr wohl bekannt; erinnere dich nur dessen, was ich vor Jahren mit dir in Deutschland, jenseit des Rheines zu Sittewald, wie du es nennst, an der Kinzig, wo ich dich das erste Mal sah, als du eben mit deinem werthen Freund König den alten GruterusJanus Gruterus, geb. 1560 zu Antwerpen, war Professor und Bibliothekar in Heidelberg. Nach der Eroberung von Heidelberg 1622 wurde ihm seine schöne Bibliothek von den Soldaten zerrissen; er starb 1627. zu Tübingen besuchtest, wohlmeinend gesprochen habe, dann wirst du vor mir nicht viel zu verhehlen haben, sondern dich vor mir mit wahrer Vertraulichkeit und zwar zu deinem Besten gebaren.«
Wie kommt es denn, fragte ich weiter, daß ihr so unlustig, wie mir däucht, ausseht? »Ich weiß wohl, antwortete der Alte, daß du dir nach Art der thörichten Jugend der Welt Unart noch wenig läßt zu Herzen und Gemüth gehen, sondern noch alles auf die leichte Achsel nimmst, mehr auf Kurzweil und Lust als auf den Nutzen siehst.« Ihr Alten seid doch wunderliche Leute, sprach ich; insgesammt könnt ihr nicht gut sehen und leiden, daß junge Leute auch etwas Freude und Kurzweil haben, sondern ihr seid darauf aus, wie ihr dieselbe gar abschaffen oder doch merklich wehren und hindern könnt, während ihr doch selbst, wenn ihr eures Alters und eurer Ehren wegen könntet, ein gleiches und mehreres nicht unterlassen würdet. O wie manchen unter euch verdrießt es manchmal, daß er jetzt nicht mehr so kann wie vordem! Es ist jetzt an dem, daß ihr abscheidend die Welt segnen und aus ihr weg müßt, ich hingegen erst einen oder zwei Schritte in dieselbe gethan habe. Darum laßt mich auch unbekümmert sein, da mir die Welt ebensoviel gilt wie einem andern.
Darauf hub der Alte an zu lächeln und sprach: »Mein Kind, ich will dir weder deine Freude noch die vermeinte Wollust wehren; es ist fürwahr aus lauterem Mitleiden und Erbarmen geschehen, daß ich dich zurückgerufen habe, weil ich zu öfteren Malen gesehen und erfahren habe, wie die unbedachtsame Jugend der guten Zeit so wenig achtet und dieselbe so thöricht läßt vorüber schleichen. Denn, mein Lieber, weißt du auch wohl, was eine Stunde werth ist? Hast du auch jemals bedacht, wie hoch ein Tag zu achten ist? Wie theuer die Zeit zu schätzen ist? Ich glaube sicher, du weißt es nicht, weil du sie so übel anlegst und eine Stunde nach der andern sich unbemerkt verlieren läßt, die nimmermehr kann wiedergebracht werden. O des köstlichen und edlen Schatzes der Zeit! Wie wenig wird ihr Werth in Acht genommen! Hat dir die vergangene Zeit jemals versprochen wiederzukommen, wenn du ihrer bedarfst? Verstehst du wohl schon soviel in französischer Sprache, was das heißt: weißt du wohl das Feuer zu wägen, den Wind zu messen, die verlorenen Tage wieder zurückzurufen? Wahrlich nein; sie gehen und laufen dahin und kommen nicht wieder. Die Zeit ist gleich einer goldenen Kette: ein jeder Tag ist ein Glied, an dessen Ende, statt eines Kleinods, der Tod hängt, dem du vielleicht am nächsten bist, wenn du vermeinst, am weitesten davon zu sein. Denn, in Wahrheit, wie du dein Leben anstellst, daraus ist leicht die Rechnung zu machen, der Tod werde bei dir anklopfen, ehe du seiner magst inne werden. Ein Narr stirbt alle Tage aus Furcht, daß er dermaleinst sterben muß. Ein Gottloser aber lebt alle Tage, als ob er nimmermehr sterben sollte, und fühlt den Tod nicht eher als beim Scheiden, wo denn die Furcht so grausam bei ihm kommt, daß ihm weder an Leib noch an Seele zu helfen ist. Der aber ist weise, welcher alle Tage so lebt, als ob er jede Stunde sterben müßte.«
Ich muß bekennen, daß ich auf solch Einreden des Alten mein Gemüth ermunterte und mich nicht wenig der Eitelkeit schämte, mit der ich bisher umgegangen war. – Aber welches ist euer Vorhaben? fragte ich nunmehr den Alten. »Meine Kleidung, antwortete dieser, und mein Aussehen geben genugsam zu erkennen, wer ich bin, und was ich beginne: nämlich ein ehrlicher Mann, dessen die Welt nicht sonderlich achtet, der aber die Welt lieb hat, und der auch, wenn es von Nöthen ist, die Wahrheit heraussagt. Ich bin der, wie du weißt, welcher an zwölf Jahre in AustrasiaDer alte Name für den Osten des Frankenlandes; hier besonders Elsaß. vielmals mit dir und um dich gewesen ist. Jedermann giebt vor, er liebe und ehre mich; wenn ich aber zu ihnen komme, so ist nichts dahinter als bloße Worte, und das bekümmert mich dann, wie es an meiner ernsthaften Gestalt wohl zu sehen ist. Aber, mein Sohn, hast du Lust die Welt zu schauen, wie ich merke, so komm mit mir, ich will dich die vornehmste Straße führen, in welcher alles das beisammen zu finden ist, was sonst hin und wieder durch die ganze Welt nur stückweise anzutreffen ist. Ich will dir die Welt nicht in einem Spiegel oder Gemälde zeigen, sondern so wie sie in ihrem Wesen ist, denn was du bisher gesehen hast, ist nur die bloße Schale, der bloße Schein von dem, was ich dir fürder zeigen werde.«
Wie heißt denn, oder um deutsch zu reden, wie nennt man denn die vornehmste Straße der Welt? »Sie wird, sprach er, Heuchelstraße genannt; sie ist die größte in der Welt, denn sie geht vom obern Thor bis zum untern, vom AnianDie Anianische Meerenge, welche Asien von Amerika scheidet. bis Magelhaen, von Nowaja Sembla bis Neu-Guinea, von Ormus bis Sevilla, von Grönland bis Sumatra, vom Kap der guten Hoffnung bis Archangel, von China bis Island. Die vornehmsten und kunstreichsten Gebäude darin sind:
1) am Eingang, ein schönes Portal, von zierlichen politischen Griffeln aufgeführt, mit der Ueberschrift:
Male nisi deoDer Staatsmann dient dem Lande schlecht, wenn er nicht Gott vor Augen hat.
2) ein köstliches Haus von herrlichen juristischen Ausflüchten erbaut, mit der Ueberschrift:
Male nisi proximoDer ist ein schlechter Jurist, der nicht auf seines Nächsten Vortheil sieht.
3) weiter hinein ein hohes, von weitem hellscheinendes Gebäude, neben einem Garten mit geistlichen Labyrinthen ausstaffirt, sammt der Ueberschrift:
Male si in foroEin schlechter Geistlicher, der sich in weltliche Händel mischt.
4) nicht weit davon ein niedriges, aber wohlgestaltetes Gebäude mit übertünchter und untermalter Arbeit, mit dieser Ueberschrift:
Sol deoNur Gott zum Dienst – geht auf die Baumeister und Künstler.
endlich ein anderes viel schöneres Portal am Ausgange, mit galenischem Laubwerk, hippokratischen Läufen, äskulapischen Säulen und theophrastischen Grotten geziert, mit der Ueberschrift:
Sibi soliNur sich zum Vortheil – geht auf die Mediciner.
Und es ist niemand unter den Menschenkindern, der nicht eine Wohnung oder doch wenigstens eine Kammer oder einen Aufenthalt in einem derselben hat. Einige wohnen beständig darin, andere zu Zeiten; andere ziehen nur durch ohne Aufenthalt nach Art und Manier der Gäste. Zum Exempel: den du an jener Ecke herkommen siehst mit einem Federbusch, goldener Kette und geschlitztem Kleid, ist ein Erzheuchler, denn er ist ein Pfeffersack, er will ein Junker sein, und sein Vater war ein Schneider; er sollte doch billig seines Herkommens gedenken und nachsinnen, wie er seinen Worten Kraft geben, als wie er den Jungen, der ihm nachfolgt, in sonderbare Farben kleiden möchte; hat kaum soviel im Säckel gehabt, daß er den Adelsbrief bezahlen und einen Stall, mit Gunst zu melden, kaufen konnte; der sich ohngeachtet aller Ehrbarkeit nicht mehr Metzger, nicht mehr Wagner, nicht mehr Müller, nicht mehr Hepp, nicht mehr Frett, nicht mehr Hett, nicht mehr Wett, sondern Herr von Metzger, Herr von Wagner, Junker von der Mühlen, Herr von Heppen, Herr von Fretten, Herr von Hetten, von Wetten will tituliret, titiliret, respectiret, reputiret, reveriret, ceremonisiret wissen, damit er unter die Altgeborenen vom Adel, unter die alte Ritterschaft nicht nur gerechnet, sondern denselben sogar möchte vorgezogen werden.
Sieh' dort einen andern, der sich stellt, als ob er eines großen Fürsten und Potentaten Rath wäre, und doch mit seinem Verstand kaum einen Hund könnte vom Ofen locken. Damit er aber für denjenigen angesehen und gehalten werde, der er sein will, so stellt er sich dem Ansehen nach gar ernsthaft, sieht sauer drein, redet wenig, wiewohl er sonst über alle Maßen schwatzhaft ist wie eine Elster, wirft je zu Zeiten ein italienisches oder spanisches Wort mit unter, daß man meinen sollte, alle diese Völker habe er gefressen, trägt lange Hosen, geht langsam und sozusagen nach dem Schlag, Fuß für Fuß, als ob alle seine Schritte durch Euklid abgemessen wären, besieht sich hinten und vorn, ob er sich noch kenne, ob er noch der sei, der er gewesen, oder ob er der Mann sei, für den er sich jetzt selbst hält. Aber in Wahrheit ist er nur ein Heuchler, will der witzigste sein und andern rathen, während es ihm doch zu öfteren Malen an dem Verstande selbst mangelt. O, es gehört mehr dazu, als Einbildung, wenn man eines Fürsten Rath sein will; es muß großer Eifer und Fleiß da sein, ein unverdrossenes, ernsthaftes Gemüth; ein geschäftiger, fertiger Mann, der treu und verschwiegen ist, der niemand fürchtet als Gott, der nächst Gott niemand ehrt als seinen Herrn, niemand liebt als seinen Nächsten. Er soll in seiner Jugend viel gelesen, viel bereist und sich auch im Kriegswesen versucht haben, in allen Geschichten, sonderlich aber in der seines Herren Land und Leute betreffend, sehr erfahren sein. Wenn das nicht ist, so ist er billiger ein Ja-Herr als ein Rathherr zu nennen, der andern folgen muß in dem, was er selbst weder erfahren hat noch versteht.
Sieh' ein wenig bei Seite und betrachte diese alten Narren dort, die sich, damit sie von allen, insonderheit von den urtheilfällenden Frauenzimmern, jungen Männern gleich geachtet würden, ihre Haare und Bärte mit schwarzer Farbe und bleiernen Kämmen aufstutzen, sich alle Tage die Backen mit dem Scheermesser schaben und schinden lassen. Die Thoren bilden sich ein, dergestalt den Tod zu bereden, als wenn sie noch lange zu leben hätten, wie wenn er die Zahl ihrer Monden nicht sollte wissen.
Sieh' dort gegenüber etliche junge, naseweise Herrchen, die sich stellen, als ob sie bereits die Witze alle gefressen hätten; sie wollen alle durch ihr Aequivociren und Scholasticiren in ein Bockshorn treiben, wissen von nichts als aus Bartolus und Baldus, Galenus und Celsus,Bartolus und Baldus sind zwei der berühmtesten italienischen Rechtsgelehrten des 14ten Jahrhunderts. Claudius Galenus, geb. zu Pergamus 113 n. Chr., ist nach Hippokrates der berühmteste und scharfsinnigste unter den alten Aerzten. Aurelius Cornelius Celsus, ein in allen Gebieten des Wissens erfahrener Römer des 1sten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung; besonders zeichnete er sich in der Arzneikunst aus. von nichts als von Attributis, Reservatis und Casibus conscientiaeVerordnungen, Vorbehalte, Gewissensfälle. zu erzählen, scheuen sich nicht, den erfahrenen Alten vorzumalen, was für Sachen und wie sie diese zur Erhaltung des römischen Reiches Frieden und Freiheit nach der Verfassung anordnen und richten; sie wollen wissen und rathen und wissen nicht, daß senatus von senius juventus von juvenis herkommt. Weislicher handeln diejenigen, welche das Alter wegen seiner Erfahrenheit, die allein einen verständigen Mann macht, lieben und ehren. Es ist eine elende Blindheit der Jugend, wenn sie sich etwas dünkt und ihre Unwissenheit nicht erkennt. Durch großes Prahlen und Aufschneiden wird keiner weise, sondern giebt nur seinen Unverstand den Menschen umsomehr zu erkennen.
Stillschweigen ist der Jugend beste Kunst,
Red', ungefragt, macht Jungen nur Ungunst:
Denn wenig reden und viel denken
Bringt sichere Ruh und wenig Kränken.
Schaue da drüben auf der linken Seite das prahlerische Männchen dort; du glaubst nicht, daß er allein aller Welt Witz gefressen hat? Noch darf er aus Eigenliebe sich dessen öffentlich rühmen; alle Menschen sind ihm Unmenschen, alle Gelehrten sind ihm Thoren und Narren, und es ist kein Stand, den er nicht zierlicher, passender und besser weiß vorzumalen, als je einer vom Anfang der Welt hat thun können: so haben alle Menschen vor ihm nichts verstanden, auch werden sie nach ihm und ohne ihn nichts verstehen können.« Wie so? fragte ich, und durch welche Mittel vermag er so große Dinge? »Vermittelst eines Brillenrohrs, das er la campaLa campa oder auch gampa, ist ein unbekanntes Wort. zu nennen pflegt. Durch dieses Instrument entdeckt er nicht nur die Unvollkommenheit unserer bisher ausgeübten Philosophie, sondern auch die Richtigkeit der edlen Medicin, die Falschheit der herrlichen Jurisprudenz, ja sogar die Ungewißheit unserer unfehlbaren theologischen Glaubenslehren; ja er hat hirnverbrannter Weise auch ersehen, wie alle diese hohen Künste und Wissenschaften mit drei oder vier Buchstaben nicht nur reflexiv,Nicht nur von vorn, sondern auch von hinten. sondern auch archipodialisch einem jeden Phantasten unmerklich einzugießen sind, und er vermag also kraft dieser la campa mehr, als alle Rabbiner mit ihrem SchemhamphoriasIst hebräisch und bedeutet Jehova. Mit diesem Worte glaubten die jüdischen Geheimlehrer sich alle Geister dienstbar machen zu können. je vermocht haben.« Wann hat er denn, fragte ich, so hohe Geheimnisse erlangt? »Er kann, antwortete der Alte, mit dem Gras und den Kräutern reden, von denen hat er alles dieses erlernt.« Das möchte ich auch lernen, sagte ich. »Es ist dir unmöglich, sagte der Alte: Du bist zu hoch und zu weit von der Erde; dieser aber ist nahe beim Boden, darum hört er auch das Gras wachsen und hat so große Einbildungen von sich selbst. Aber so geschieht es eben, wer zuviel von sich selbst hält, von dem halten andere Leute umsoweniger.
Solltest du wohl glauben, daß jener Köstliche dort ein Schneider ist? Gleichwohl ist er ein Schneider und bleibt auch ein Schneider sein Lebelang, obschon er an Kleidung keinem Adligen will etwas nachgeben. Das ist auch ein Erzheuchler. An Sonn- und Festtagen entstellt er sich dergestalt durch Seide, Sammet, Atlas, durch Silber- und Goldflecke und Stücke, Nesteln, Schnüre und Bänder, daß, wenn man alle Ellen in der Welt, alle Scheeren und Nadeln, alle Fingerhüte und Wachsknollen um Rath fragen wollte, wer dieser Esel wäre, sie ihn nicht mehr kennen würden; sein Stand und seine Tracht können sich in Ewigkeit nicht zusammen reimen.
Die lose Heuchelei ist eben eine Seuche unter allen Ständen, auch bei den geringsten Handwerkern, die sich alle in ihrem Wesen selbst schmeicheln und liebkosen, so daß sich keiner mehr selbst recht erkennen kann oder mag. Ein kahler Schuster hält jetzt in seinem Sinn soviel von sich selbst, daß er anstatt seines gebührlichen Namens, ein Fußbekleidungserhalter, ein Herrenschuster zu sein sich träumen läßt. Der Küfer oder Faßbinder dünkt sich auch eines besseren Namens werth zu sein und nennt sich deshalb des Bachus Hofschneider, weil er dem Wein seine Kleidung zurichtet. Der Stallknecht träumt sich ein Stallmeister zu sein, der Kammerdiener ein Hofmeister, der Henker ein Hochrichter, weil er auf der Leiter sitzt, der Gaukler ein Zeitvertreiber, das Zechhaus Rathsstube, der Zöllner ein Schatzmeister, die Schöffen Stadtmeister, die Huren freundliche Jungfrauen, die Kupplerinnen gottesfürchtige Matronen, der Gauch ein geduldiger Hiob, Hurerei Freundschaft, Wucher Häuslichkeit, Betrügerei Geschwindigkeit, Lüge Aufrichtigkeit, Bosheit Wackerkeit; ein BärenhäuterEin Bärenhäuter ist ein feiger, gemeiner, nichtswürdiger Kerl. (Ueber die Entstehung des Wortes s. Simplic. Simplicissim. 3, 895 ff.) ein Friedliebender, ein Tollkühner ein Tapferer, ein Edelknabe ein Ehrenhold, der Lakai ein Trabant, der Schalksnarr ein Höfling, die schmutzigen Vetteln junge Mädchen, ein Esel ein Doctor, ein jeder lang Bemäntelte will ein Herr Candidat, ein jeder Balger ein Herr Kapitän, der da ein gutes Kleid anhat, ein tüchtiger Junker, ein jeder Glöckner Euer Würden, jeder Tintenfresser ein Secretär, jeder Klexer Edel, Ehrenfest und Hochgelehrt titulirt werden. Aber unter diesen allen ist keiner das, was er sein will, keiner will sein, was und wer er ist. Also ist eitle Heuchelei. Lüge und Trug in allen Ständen, und es heißt deswegen: die Welt wird durch den Wahn regiert und mit Titeln benennet.
Wenn ich eben die deutsche Wahrheit reden soll, so haben Zorn, Schwelgerei, Stolz, Geiz, Ueppigkeit, Faulheit, Mord und viele tausend andere Sünden einzig und allein ihren Ursprung in der Heuchelei. Wie grob auch ein Mensch fehlt und irrt, er will doch alles unter dem Vorwande und Schein: er habe es nicht so böse gemeint, er habe es nicht so verstanden, er habe es um des Besten willen gethan, er habe diesmal nicht anders gekonnt, er habe es aus Noth und gezwungener Weise gethan, zu bemänteln und zu entschuldigen sich unterstehen. Aber die Hoffnung der Heuchler wird verloren sein, denn ihre Zuversicht vergeht und ihre Hoffnung ist ein Spinneweb. Denn wer ein Heuchler und Bösewicht ist, wie kann der Hoffnung haben? Wer sich hält und ausgiebt für den, der er nicht ist, wie kann der Hoffnung haben? Der Meißner also ist unter allen Sündern der hochmütigste und trotzigste, denn alle andern Sünder sündigen zwar auch wider Gott, aber ein Heuchler sündigt wider Gott, er sündigt mit Gott, er sündigt in Gott; er stellt sich heilig und ist doch ein Schelm im Herzen. Ob auch in Worten nichts von ihm zu hören ist als: seinem Gott; weiß Gott; unserm Gott; ich will meinen Gott zu Hilfe nehmen; unserm Gott sage ich's; weiß Gott, ich bin des Herrn Diener; Gott weiß, ich meine es gut mit ihm, er traue mir; weiß Gott, ich will ihn nicht betrügen; weiß Gott, ich habe ihm nichts Böses gethan; weiß Gott, ich habe Gutes im Sinne. Das sind heilige und gute Worte bei einem frommen Christen, ein Heuchler aber ist dadurch nicht mehr zu achten, sondern, weiß Gott, er ist ärger als ein Schelm, denn ein großer Schelm kann die Schelmerei gut verbergen, wenn er ein frommer Schelm ist.«
In eifriger Unterredung kamen wir mitten in diese große Straße, worin ich das alles sah, was der Alte mir vorher gesagt hatte; wir begaben uns dann auf einen hochgelegenen Ort, von wo man alles gut beschauen und übersehen konnte. Das erste, was mir zu Gesicht kam, war eine Leiche, die man zu Grabe trug, begleitet von einer großen Menge Verwandter, Schwäger, Vettern, Basen und anderer erbetener Personen, die der Leiche nachfolgten und zu Ehren ihres Freundes, eines Witwers, dessen Weib eben gestorben war, das Geleit gaben. Er, der Leidtragende, war mit einem schwarzen Tuchmantel bis zur Erde verhüllt, hatte eine lange Trauerbinde um den Hut, die herabhing, hielt den Kopf gesenkt, als wollte er die Schlüssel suchen, schritt langsam einher, als ob er vor Mattigkeit erliegen wollte. Vor Bewegung und Mitleid sprach ich: Wie ist der arme Mann zu bedauern und zu betrauern, daß er in so großes Hauskreuz gerathen ist! O das selige Weib, die so innig von ihrem Manne und ihren Freunden beweint wird! O der betrübte Mann, der eines so edlen Weibes beraubt nun leben muß! »Ach, sprach der Alte, mein Sohn, nur gemach, nur gemach! urtheile nicht so schnell, denn das alles, was du da siehst, ist eitle Heuchelei und geschminktes Wesen; alles geschieht in angenommener, gezwungener Weise, es !st nur zum Schein vor den Leuten, es geht nicht von Herzen, ist lauter Scheinsal, und bald wirst du erfahren, wie sehr das innerliche Thun dem äußerlichen so gar nicht gleicht. Lies die Leichengedichte, die der Verstorbenen zu Ehren gemacht sind; höre das Gepränge der Abdankung, worin des Rühmens der Person, der Geburt, Herkunft, der Stammes-, Namens- und Standestitel, der freundlichen Frau, der lieben Frau, der frommen Frau, der trefflichen Haushälterin, des goldenen Herzens, des edlen Schatzes, des Trauerns und Klagens kein Ende ist. Wer wollte nicht meinen und sagen, daß all dieses prächtige Wesen um hoher Ursache willen angestellt und wahrhaftig wahr wäre? Aber wisse, das was in dem Sarg liegt, ist weniger als nichts, denn schon bei seinen Lebzeiten war der Mensch nichts, und dieses Nichts ist durch den Tod noch mehr verringert und noch nichtiger geworden; daher ist auch alle Ehre und Pomp, die man aufwendet, lauter Nichts, und es ist im Tode wie im Leben die unbeständige, flüchtige Eitelkeit das Beste. Gewiß ist es, daß dieses Mannes Weib in Ewigkeit nimmermehr so wäre gelobt worden, wenn sie am Leben geblieben wäre. Auch die scheinbar große Trauer, die die Nachfolgenden sehen lassen, geht weder von Herzen noch zu Herzen, sondern geschieht allein darum, weil es so Brauch und Gewohnheit ist, und weil sie zur letzten Ehre berufen und eingeladen sind. Sie wünschen zum Theil vielleicht lieber aus einer oder der andern ihnen bekanntem Ursache, daß der Teufel die Todte sammt der ganzen Freundschaft hinweg hole. Anstatt daß sie sich in diesem Beispiel spiegeln, sich der Sterblichkeit und ihres Endes erinnern und sich dazu geschickt halten, so fangen sie an, von der Verstorbenen letzten Willen und ihrer Hinterlassenschaft zu erzählen. Der eine sagt, er läge doch in Streit und Mißverständnis mit dem Leidtragenden, zudem sei er ihm doch nicht so nahe verwandt, und es nehme ihn Wunder, warum man ihn zum Begräbnis gerufen habe, da er andere weit wichtigere Geschäfte dadurch versäume, wie Geld einnehmen, Wechselzahlungen, Rathsverrichtungen, gräfliche und fürstliche Bestellungen. Ach, wer weiß, ob's wahr ist! Eine andere sagt, man hätte ihr die gebührende Ehre nicht angethan, sie hätte der Ehre und Verwandtschaft wegen wohl weiter vorn gehen müssen, der Teufel soll also künftig einem Freunde dienen: ich wollt', daß ihn die Hexen ritten. Einem ist die Verstorbene eine stattliche Haushälterin gewesen, einem andern ein unsaubrer Mistkarren.
Der Witwer selbst ist so bekümmert nicht, wie er sich stellt, und wie du ihn ansiehst; er ist meist darum traurig, daß er soviel Unkosten bei dem Begräbnis aufwenden muß, das doch wohl mit minderem Gepränge und zu seinem geringeren Schaden hätte geschehen können. Er sagt bei sich selbst, wenn sein Weib je hat sterben sollen, hätte sie es vor langem thun können, ehe Apotheker und Doctor soviel Kosten aufgeschrieben hätten. So sehr bekümmert ist der gute Mann, daß er sich tausenderlei Gedanken macht. Aber welche? Wie, wo und wann er zum ehesten wieder freien wolle. Da kommen ihm viele schöne und annehmbare Heirathen in den Sinn, viele werden ihm tröstlich angetragen, so daß er nicht weiß, zu welcher er sich entschließen soll. Das große Leid wird also bald in Freude, die Trauer und der Tod in eine neue Auferstehung verwandelt werden.«
Ich stand da und hörte dem Alten so fleißig zu, daß ich meiner selbst darob vergaß und das Maul aufsperrte wie ein Narr. Als ich mich wieder erholt hatte, sprach ich: Ja freilich ist das menschliche Wesen seiner Natur gar nicht gleich; ich will deswegen mich künftighin wohl bedenken ein Urtheil über etwas zu fällen, und die Sachen, die mir am wahrscheinlichsten vorkommen, will ich hinfort für die verdächtigsten und bezüglichsten halten.
Indem erhob sich ein großes Geschrei, als ob man auf acht Stimmen zusammen heulen wollte; wir folgten der Stimme um zu vernehmen, was es bedeutete und fanden in einem Hause eine junge Witwe, deren lieber Mann erst kürzlich vor zwei Tagen gestorben war; sie schrie, heulte, seufzte und kluchzte dermaßen, als ob ihr der letzte Athem ausgehen und sie verzagen wollte. Bald schlug sie die Hände in einander, wand sich hin und her, raufte sich das Haar und ließ zu Zeiten mit verkehrten Augen einen Seufzer so tief aus dem Herzen heraus, als ob sie ihn aus dem Brunnen zu Breisach schöpfen müßte; was doch alles dem Verstorbenen nicht emen Heller nützte. Alle Zimmer und Kammern des Hauses waren ihres Zierrathes beraubt, die leidtragende junge Witwe saß in einem mit Trauertuch behangenen, finsteren Gemach, wo nicht eins das andere sehen konnte, was aber dem mäuseblinden Frauenzimmer zum besonderen Vortheil diente, da man nicht sehen konnte, wie manche Thräne herausgedrückt und herausgezwungen, und wie das Gesicht so scheußlich verstellt wurde, damit sie ihrer Traurigkeit möchte einen Schein und eine Gestalt geben. Eine der Gevatterinnen oder Gespielinnen, welche die Witwe in ihrem Leid nach der Gewohnheit trösten wollte, sprach: »Ach, liebe Frau Gevatterin, all Euer Trauern ist vergebens und umsonst, Ihr könnt das fromme Herz damit doch nicht wieder lebendig machen, schickt darum Euer Herz in Geduld und nehmt Euch ein Beispiel an mir, denn Euer Kreuz geht mir so hart zu Herzen, als ob es mein eigenes wäre.« Eine andere fing mit einem schrecklichen Seufzer an zu sprechen: »Liebe Nachbarin, Ihr solltet Euch nicht so sehr bekümmern, Euer Herr ist ein so guter Herr gewesen, daß ich nicht zweifele, er ist gewiß im Himmel; stillt demnach Euer Weinen, denn bei unmöglichen Dingen ist doch nicht zu helfen.« Eine Dritte sagte: »Liebe Schwester, du kennst den edlen Trost Geduld, Geduld; gieb dein Herz zur Ruhe, Gott wird dich bald wieder erfreuen,« und so wußte eine nach der andern ihren tröstlichen Waidspruch herzusagen. Jemehr die guten Weiber aber der Witwe zusprechen, umsomehr hebt sie an zu jammern und zu klagen und ruft mit halbgebrochener Stimme: »Ach, daß sich Gott erbarme, ich armes, elendes Weib, was soll ich thun? Ach, wer wird mich nun trösten und erfreuen? Wer wird mir nun meine Spindeln haspeln? Wer wird mir jetzt mein Betbuch vom Schrank langen? Hab ich doch keinen Menschen mehr, der am Sonntag bei mir am Zaunthor sitzt! Ach, was soll ich nun anfangen? Wer wird mich jetzt noch wollen? Ach, mein herzallerliebster Schatz, wie ist mir dein Abschied so schmerzlich! Ach, ich arme Witwe, wer wird sich meiner in diesem schweren Kreuz annehmen? Nicht ein Wunder wäre es, wenn ich mich zu ihm ins Grab legen ließ, ich begehre doch nicht länger zu leben, weil ich den verloren habe, den ich lieber hatte als die ganze Welt! O, ich unseliges Weib! O weh mir armen Witwe! Wer wird mich haben wollen! Wer hält mich! Ich springe in den Brunnen!«
Zu diesem Figuralgeschrei kam dann das übrige ganze Chorgeheul, das die andern Weiber alle mit Nasenschnäuzen, Schluchzen, Kluchzen, Schnupfen, Husten, Räuspern, Ritschen, Wischen, Wäschen, Klappern und Pappeln anstimmten, so daß ich kein Wort mehr verstehen konnte. »Dies alles, sprach der Alte, ist der Weiber Ordnung und Weise, und meines Erachtens ihr gewöhnliches Purgier- und Arzneimittel, indem sie die boshaften Feuchtigkeiten und hartnäckigen Flüsse des Hauptes durch die Nasenlöcher und Augen austreiben, wie es bei den Mannsleuten die Tabaksnarren pflegen.« Ich aber erwiderte, daß meines Erachtens die gute Witwe billig zu betrauern wäre, die jetzt von aller Welt verlassen sei, daher auch die heilige Schrift sie allen, insonderheit der Obrigkeit und denen, die Recht und Gesetz zu sprechen haben, so hoch empfiehlt; denn wie reich auch eine Witwe an allen Mitteln sein mag, sie ist doch ein armes, elendes Weib, dessen man sich so lange annimmt und erbarmt, als man von ihr kann Nutzen und Vortheil haben; wenn sie aber der Hilfe am nöthigsten bedarf, so ist niemand, der sich ihrer ohne gesuchten Eigennutz, insonderheit gegen vornehme Herren, von Herzen will annehmen. Denn die Großen will niemand erzürnen, sondern es will jeder bei ihnen ein Gut oder Lehen verdienen, und es bleibt bei ihnen Gewalt für Recht.
Ich bin ein Herr,
Wer sich auch sperr'.
Recht hin, Recht her,
Ein jeder thu, was ich begehr';
Wer das nicht thut,
Den kostet's Ehr' und Gut:
Ich bin das Recht,
Wer mir auch widerfecht't!
Aber wehe denen, die der Witwen Sachen nicht recht in Acht nehmen, noch ihr Recht befördern helfen, so sie anders Recht haben.
»Nun sehe ich wohl, sprach der Alte, daß du auch nach der Weise der eitlen Weltkinder deine Geschicklichkeit willst sehen lassen, und die Leute glauben machen, daß du ein stattlicher Theologe, ein geistlich gelehrter Doctor bist, während du doch warten solltest, bis ich dir die rechte Deutung von allem, was dir noch unbekannt ist, gegeben habe. Aber schwerlich kann ein Mensch, der sich dünkt gelehrt zu sein, soweit innehalten, daß er sich das nicht merken läßt; ein weiser Mann kann besser schweigen. Es ist zu besorgen, wenn sich der Fall mit dieser Witwe nicht gezeigt hätte, daß all deine Geschicklichkeit dir im Leibe verrostet wäre. Was nun die Witwe selbst anbelangt, so ist gewiß, daß sie dem äußeren Ansehen nach scheint, als ob ihr ganzes Herz nichts als Andacht, Traurigkeit und Kyrieleison ist. Aber die Kleider sind nur schwarz, das Herz ist grün und in frischer Hoffnung, bald wieder einen andern Mann am Zaunthor und an der Seite zu haben; ihre Thränen sind erpreßt und erzwungen, ihre äußere Gestalt ist Trügerei. Willst du aber das Herz erforschen, nun so lasse sie allein, daß sie niemanden sieht, dann wirst du den Betrug und die Heuchelei bald erfahren, nämlich wie sie sich so frisch zeigen und eine SarabandeEin spanischer Tanz. singen und springen werde, so geil und rammeligt, wie die Katzen um Lichtmeß immer nur sein mögen. Bald wird auch eine ihrer Vertrauten kommen und nach der Weiber Art unter Thränen lächelnd sagen: »Liebe Gespielin, nur frisch und gutes Muths! Welchen Trost bringt das leidige Trauern? Ihr habt es besser, als Ihr selbst meint; ist auch schon Euer Herr und Mann gestorben, Potz Zipfel! – ich hätt' bald Potz Teufel gesagt –, Ihr seid noch jung und wacker genug, werdet Euresgleichen bald finden, wenn Ihr nur wollt das Leid um Euren Mann lassen; der und der hat schon ein Auge auf Euch geworfen; solltet nur 'mal mit ihm zusammen kommen, Ihr würdet des Verstorbenen bald vergessen. Wenn es mir darum zu thun wäre, o weh, ich würde gleich morgen früh fragen lassen, ob er gut geschlafen hat, ich würde mich bald entschlossen haben.« »Wahrlich, liebe Nachbarin, wird eine andere sagen; wenn's an mir wäre, ich wollte mich bald bedacht haben; einer verloren, zehn wieder gefunden; ich wollte schon dem Rath folgen, den Euch meine Gevatterin da soeben gegeben hat; denn wahrhaftig, der und der hat eine große Neigung zu Euch, man merkt's an allem seinem Thun; er ist ein wackerer Kerl, hat schwarzes Haar, schwarze Augen und ein hübsch schwarzes Bärtchen, ich meine, er könnte einem gefallen; er kann gut tanzen, ist noch jung und stark und Euer wohl werth, es wäre wahrlich immer schade, wenn er Euch nicht bekommen sollte.« Alsdann wird die Witwe mit verkehrten Augen und einem tiefhergeholten Schluchzer fein zimperlich anfangen und sagen: »O weh, was sagt ihr mir da? O weh, wo bin ich? Vergessen? Ja wohl, vergessen. Ach mein lieber Mann, wie kann ich, wie werde ich deiner so bald vergessen! Ja freilich, ach Gott, es ist noch nicht vom Heirathen zu reden; ich möchte mich verschwören, mein Lebtag keinen Mann mehr zu nehmen. Wenn es aber Gottes Wille hat sein sollen, also wollt' ich auch wissen, was ich zu thun hätte. Nun wohlan,
Was Gott bescheert
Bleibt unverwehrt.
Doch ich möchte schier lachen, daß ihr mich also vexiret; ich will darum euren guten Rath nicht gar verachtet haben, ich bedanke mich für eure Fürsorge von Herzen u. s. w.«
»Sieh' mein lieber Sohn, das ist der Weiber allermeistes Wesen; der Mann ist kaum begraben, will ihr Herz schon einem andern nachtraben; ehe der Mann recht erkaltet, hat sie schon einen warmen in den Armen und nimmt den rothen für den todten und sieht, wo ein frischer kommt. Was für ein Mordgeschrei hat sie nicht beim Grabe vollführt, wie hat sie sich gestellt, ist in Ohnmacht gesunken, hat vor Leids Hungers sterben wollen, hat in den Brunnen springen wollen, wenn man sie nicht, auf ihr eigenes Begehren, gehalten hätte! Und nun? Geduld kann alles überwinden: wenn's nicht kann anders sein, gebe ich meinen Willen drein.«
Während der Alte dieses redete, erhob sich ein Geschrei und ein Rufen in der Straße, und als wir uns umsahen, war es ein Scherge ohne Hut und Kragen, mit blutigem Schädel; der verfolgte einen Dieb mit lautem Nachrufen: halt den Dieb! halt den Dieb! Der aber lief davon, als ob ihn der Teufel am Buckel gepackt hätte. Da dachte ich bei mir selbst, dieser Scherge muß doch ein rechtschaffener Mann sein, weil er den Bösewicht so ernstlich verfolgt. Aber der Alte sprach: »Mein Sohn, dieser Dieb ist sonst des Schergen bester Freund, mit dem er hin und wieder in Wirthshäusern und Weinschenken gefressen und gesoffen hat; weil ihm aber der Dieb hat wollen keinen Theil an einer Beute oder einem Diebstahl geben, deshalb ist er so erzürnt und will den armen Schlucker gern an den Galgen bringen, hat auch darum große Stöße von ihm bekommen.« Es muß dann dieser Gesell, sprach ich weiter, gut zu Fuß sein, weil er diesem Schergen, des Henkers Jagdhund, hat entlaufen können. Der Scherge ist also nicht um der Förderung des Rechtes, sondern des eigenen Vortheils willen unter dem scheinbaren Vorwande der Gerichtsbarkeit so eifrig gewesen, sonst würde er den Gesellen wohl unbehelligt haben vorbeistreichen lassen. Denn ein Scherge hat sonst kein anderes Einkommen, als das was ihm für Ruthe, Schwert und Strang zum Voraus gebührt. Mein Rath, der Schergen und ihresgleichen Gesindels in der Welt sich zu entledigen, wäre der, daß die Menschen versuchen sollten ein oder mehrere Jahre nicht zu sündigen, alsdann würde ihr Handwerk erliegen und sie müßten Hungers sterben; wenn sie aber an den Hund wollen, so muß er Leder gefressen haben, obschon er keins je gesehen hat. »Und wäre einer so fromm wie Abel, erwiderte der Alte, dennoch müßte er, da Schreiber und Schergen Schälke sind, den Namen Dieb haben; das ist besonders an einigen Orten in der Welt, wo die Schreiber ohne Gewissen schreiben, zu sehen, indem sie zu öfteren Malen nur dasjenige in eine Zeugenaussage setzen, was ihnen beliebt, das andere aber auslassen; wenn sie aber dem Zeugen die Ansage wiederum vorlesen, so haben sie ein über alle Maßen so stattliches Gedächtnis, daß sie auch nicht um ein Wort fehlen, damit der Zeuge es ja nicht merke. Gleichwie aber die Schreiber die Zeugen vor dem Meineid warnen, und sie mit Eiden beladen, die schlichte Wahrheit auszusagen, so sollte es wahrlich nicht uneben, ja viel nöthiger sein, daß die Zeugen heutiges Tages die Schreiber ebenso des Meineids verwarnen und die schlichte, pure Wahrheit zu schreiben, vorher mit Eiden beladen möchten, damit sie nicht anderes lesen, als geschrieben, nicht anders schreiben, als ausgesagt ist.«
Als wir nun weiter gehen wollten, begegnete uns von Ferne eine ansehnliche Mannsperson, der dem Augenschein nach ein vortrefflicher Herr, als er aber nahte, von innerlichem Stolz dermaßen aufgeblasen war wie ein Frosch. Er ging so richt und stracks wie ein Bolzen und als ob er mit Pallisaden umzäunt wäre, mit langsamen, satten Schritten, sah sauer und gönnte keinem einen Blick, war am Hals von einem großen Kragen umgeben und dermaßen eingespannt, als ob er am Pranger oder im Halseisen stände, kein Glied konnte er bewegen und regen, sondern es schien, als ob ein Scheit Holz mit Kleidern angethan umherging; und hätte es ihn das Leben kosten sollen, er würde doch zur Erhaltung seiner Reputation (wenn ich dieses Wortes gedenke, so jammert es mich, daß es soviele vornehme Leute zu Narren macht und soviele Potentaten, deren ich unten in der Hölle einen großen Haufen gesehen habe, zur Verdammnis treibt) nicht auf die Seite gegangen sein noch an seinen Hut gegriffen haben. Hinter ihm her gingen viele Diener, die auch vermeinten Herren zu sein, unter denen ein Fuchsschwänzer und ein Schalksnarr die nächsten waren; von denen trat einer bisweilen herbei und raunte dem Herrn mit tiefer Reverenz ein Wort in die Ohren. – Ha! was für ein seliger Mann ist das? fing ich an den Alten zu fragen: diesem Herrn mangelt gewiß auf Erden nichts, und der alte Gesetzschreiber Solon, wenn er noch am Leben wäre, hätte sein Urtheil (daß man niemand vor seinem Ende soll glückselig preisen) sicherlich um dieses Mannes willen gern widerrufen und für kraftlos erklärt. Da geht es noch brav her, wo einer sein Geld zu solchen Ehren und so rechtschaffen weiß anzuwenden und zu gebrauchen. Es muß ja ein vortrefflicher Herr sein, der so köstliche Diener hinter sich herzuprangen hat!
»So elend ist es also in deinem Hirn bestellt, sprach der Alte zu mir, daß du nach so vielen Beispielen dennoch den Schein und die Farbe von dem eigentlichen Wesen nicht unterscheiden kannst? Hier ist nichts als Betrug und Falschheit: all diese schimmernde Herrlichkeit ist geliehenes, geborgtes Wesen, das allein auf vergeblicher Hoffnung und auf vielen Verheißungen beruht. Das Hofleben ist gleich einem herrlichen, köstlichen Bau, der aber am Ende einen Krach thut und viel mit sich zu Boden schläft; es ist eine herrliche Musik, die anfangs lieblich klingt, in den Ohren der Hörenden aber endlich auf ein la mijämmerlich. endigt. Und wahrlich, wenn du diesem großen Herrn in das Gewissen und in den Beutel sehen solltest, so würde es sich finden, daß er zur Fortsetzung der scheinbaren, eitlen Pracht, die die Welt Glückseligkeit nennt, zehnmal mehr Mühe und Arbeit, Sorge, Angst, Furcht und Schrecken anwenden und ausstehen muß, als sonst ein armer Tagelöhner um das tägliche Brot. Es ist mit diesem großen Schein beschaffen wie mit einem Zimmetbaum, das Beste an ihm ist die Rinde; das andere ist alles nicht sonderlich zu achten. Die witzigsten unter allen seinen Dienern sind der Schalksnarr und der Fuchsschwänzer; diese beiden haben am Hofe das prae und den Vorzug, sie sagen dem Herrn, was er gern hört, lachen heimlich in die Faust, fressen und saufen das Beste, machen sich zeitig bezahlt und lassen dem Herrn und den übrigen Hofdienern das Nachsehen. Das Hofleben ist gleich dem Almosengeben, bei dem oft ein großer Schelm vor den andern sich vordrängt und dem armen Manne, bei dem es wohl angelegt wäre, das Brot vor dem Munde wegnimmt, dessen er doch gar nicht werth ist; denn wer zu Hofe sich schämen und die Gelegenheit nicht frisch benutzen will, der thut närrisch, weil es nicht alle Tage mit vollen Löffeln bei Hofe hergeht. Daher nimm, wenn es da ist, sonst wenn du dich lange bedenkst, ob du Recht oder Unrecht daran thust, ist der Brei gefressen, und du bist zwischen zwei Stühlen gesessen, wie es dir auch ergehen wird, wenn du bei deiner einfältigen Redlichkeit bei Hofe beharren wolltest. Da ist die beste Regel: nichts bereden, stillschweigen, nicht widersprechen, denn:
Am Hofe die Sanftmuth und das Schweigen
Lauten besser als Harfen und Geigen.
Daher sind große Herren theils recht elende Leute, die einen Lügner, einen Fuchsschwänzer theuer kaufen müssen und eher selbst Noth leiden, als daß ihrer Fuchsschwänzer und Schalksnarren einer Mangel leiden sollte, ja die eher alle ehrlichen Diener in Ungunst abschaffen, ehe sie einen Suppenfresser oder Zeitungsflicker erzürnten. Der arme, verblendete Herr meint wunder welche Treue er von den Halunken zu gewärtigen hat, wie seine Aufnahme überall von ihnen allein abhängt, weil sie ihm vorreden, was er gern hört, zu allem ja und recht sagen, es müsse sonst das Land darüber zu Grunde und scheitern gehen. Sie rühmen und loben ihn, als ob in der Welt er allein ein Ritter und Held wäre und er allein bei den Damen den Dank zu gewärtigen habe. Ist also am Hofe irgend ein Esel zu finden (wie sie denn alle Esel sind), so ist es gewiß der Herr selbst, wenn er diesen Beiden ohne Unterschied folgt. TaubmannusFriedrich Taubmann war ein berühmter Professor der Poesie und Beredsamkeit zu Wittenberg, starb 1613. wurde einstmals gefragt, was die Hofleute seien? Er sagte: Sie sind alle Narren; denn wie witzig und klug sich auch einer dünkt, er findet doch allezeit seinen Mann, der ihn narrt. Gefragt aber, was der Fürst selbst sei? antwortete er: Der ist vortrefflich.Im Text steht: ille est eximius; eximius aber ist zweideutig, es heißt »vortrefflich« und »der ärgste«.
Davon giebt dieser Hofmann hier ein Beispiel. Wer die meiste Sorge, Treue und Arbeit bei Hofe hat, den läßt man sich wohl gar zu Tode arbeiten, er hat aber gemeiniglich den wenigsten Dank: wie die Pferde des Westreiches zwar den Hafer gebaut, fremde Pferde aber, oder auch Esel, ihn gefressen haben.«
Der Alte konnte das Wort kaum ausreden, da kam eine vornehme Dame vom Hofe auf uns zugegangen, der eine Matrone und ein kleiner Lakai nachfolgten. Die Geberden und die Gestalt dieser Dame waren übermenschlich anzusehen, sie ging langsam und wußte im Gehen ihre Glieder so nach der Mode zu kehren und zu wenden, zu renken und zu lenken, daß alle, die sie sahen, gegen sie in plötzlicher, inniger Liebe entzündet wurden und nach ihr, als nach dem Schlaraffenlande, Verlangen trugen. Wen sie einmal zu Gesicht bekam, vor dem verdeckte sie ihr Antlitz nachher; die sie zuvor noch nicht gesehen hatten, denen ließ sie einen oder mehrere Blicke ihrer lebhaften Augen widerfahren dergestalt, als ob die Augen voll hellem, anziehendem, ansteckendem, durchdringendem, überwindendem, verzehrendem Liebesfeuer wären, insonderheit wenn sie that, als wollte sie den Flor oder Krepp, der über ihr Gesicht herab flog, richten. Bald enthüllte sie das Antlitz nur halb, bald stellte sie sich, als ob sie das Halstuch stecken und sich decken wollte und entblößte etwas ihre Brüstlein, die weißer waren als Alabaster und nach Athem schnappten, wie die jungen Mäuschen. Ihre Haare waren zierlich wie ein kunstreiches Kettchen in einander gringelt und kräuselich geschlängelt und flossen über Stirn und Wangen herab; ihr Angesicht war wie der Schnee, lieblich besprengt mit leibesfarbenen Rosen, ihre Lippen wie Korallen, die Nase ein wenig gebogen und der Mund, wie ihn Praxiteles an der Diana bildete; ihre Zähne waren wie Perlen, ihre Hände, die sie alle Augenblicke auf den Haaren erblicken ließ, um den Aufsatz zurechtzurücken, waren dem Elfenbein weit vorzuziehen. Mit einem Wort: alle, die ihrer ansichtig wurden, vergafften sich und waren mit Liebe an sie gefesselt. Ich Narr war von der Gestalt dieser vortrefflichen Dame dermaßen eingenommen, daß ich nicht wußte, wie mir war, und meinte, ich müßte aus den Schuhen springen, und hatte mir fest vorgesetzt ihr nachzuschleichen, es koste, was es wolle; daher sprang ich zu besserer Gewinnung ihres geneigten Willens in der Hitze hurtig bei Seite, und ungeachtet meines redlichen Alten griff ich zu meiner Schreibtafel, wie die närrischen Poeten in solchen Jahren pflegen, um zu sehen, ob ich ihr zu Diensten etwas Löbliches aufschreiben könnte, damit ich keine Gefahr des Korbes wegen zu fürchten hätte. »Wohin? Wohin, du unbesonnener und närrischer junger Mann? Wie? Willst du deine Sünden, deine Reue so theuer erkaufen? O weh, gehe dieses verdammten Spiels müßig! Denn wenn der verliert, der da gewinnt, wie wird es dann dem ergehen, der verliert?
Dem wilden Meer und Jungfrauen
Soll kein verständiger Mensch trauen.«
So rief mir der Alte aus treuer, wohlmeinender Fürsorge zu, als er merkte, daß ich mich so leichtsinniger Weise bethören ließ.
Ich gehe diesem Engel nach, antwortete ich dem Alten: es koste, was es immer wolle; es müßte ja einer ein grausamer Unmensch sein und ein recht steinern Herz haben, der sich durch solche Gestalt und solche Geberden nicht sollte gewinnen lassen. Man redet doch in den Schulen davon, daß
Der ein Gott oder ein Stein ist,
der nicht in jugendlicher Liebe erglüht.
Ist dies nicht ein wahrhaftiger und heiliger Vers, den auch der heilige Lehrer Hieronymus zu machen sich nicht gescheut hätte? O selig der, dem das Glück so wohl wollte und der eines so edlen Geschöpfes könnte theilhaftig werden! Was mangelt dem an Lust und Heil, der ohne Scheu und Furcht ein so liebes Bild genießen kann? Meinestheils wollte ich gern auf alles andere, was in der Welt mag herrlich genannt werden, ja auf alle Schätze der amerikanischen Länder verzichten, wenn allein mir dergleichen Lustgebilde gedeihen möchten. Welche durchdringenden und bezwingenden Blicke ihrer strahlenfunkelnden Augen! Wie fassen und gewinnen sie eines Menschen Herz so leicht! Wie und wer wollte einer solch übermenschlichen Gewalt widerstehen können? Hat man auch je etwas Schöneres gesehen als ihre Augenbrauen, die schwärzer sind als Ebenholz? Nimmermehr wird der Kristall so weiß erscheinen als ihre gewölbte Stirn; Milch und Blut können sich nicht so schön vereinigen als ihre Wangen. Rubinen und Perlen lassen sich nimmer so zierlich sehen als ihre Lippen und Zähne. O dürfte ich sie nur umfassen und drücken! Es ist wohl ein herrlicher Spruch:
Gott im Herzen, die Liebste im Arm,
Vertreibet viel Schmerzen und machet fein warm.
Sie ist ein rechtes Meisterstück der Natur, das man in Ewigkeit nicht genug loben und rühmen kann, und an welchem alles das zu finden ist, was ein Mensch wünschen und begehren mag. O wie weiß die meiste Welt so gar nicht, wo die rechte Wollust zu suchen ist! Mancher sucht sie im Feuer, wie die närrischen Goldmacher; mancher auf und in dem Wasser, wie die vermögenden Kaufleute und armen Fischer; mancher in der Erde, wie die nachgrübelnden Bergleute und arbeitsamen Ackerleute; mancher in der Luft, wie die Vogelfänger und Falkner. Aber wie weise giebt der Studenten-CorneliusIst wahrscheinlich ein Spaßbüchlein jener Zeit, das nicht auf uns gekommen. seinen Ausschlag hierin, wenn er sagt:
O ihr Thoren alle vier,
Was ihr sucht, das find't ihr hier! –
Als ich in meiner lieblichen Thorheit und thörichten Lieblichkeit, in meiner inbrünstigen Zuneigung und zuneiglichen Inbrünstigkeit noch weiter fortfahren wollte, nahm mich der Alte beim Arm und schüttelte mich ziemlichermaßen. »Wie? sprach er, bist nun gar zum Thoren geworden? Weißt du in deiner Narrheit noch ein Ende zu finden? Ich höre aus deinem Buhlengeschwätz sehr wohl, daß du öfter den Studenten-Cornelius, als deine Compendien und Institutionen gesehen, gehört und gelesen, und den oben angeführten vermeintlich schönen, heiligen Vers, den AventinusAventinus, eigentlich Turmayr, Verfasser der bairischen Chronik. Fkft. 1522. dem Hieronymus zuschreibt, gewiß besser von der Schule her behalten hast, als den Thomas Scotus,Thomas Scotus, ein namhafter Theologe, den a. 1557 Paul IV. zum Generalcommissär der Inquisition zu Rom bestellte. SuarezFranciscus Suarez, ein spanischer Jesuit, lehrte Philosophie und Theologie, starb 1617 zu Lissabon. und andere; meines Erachtens deshalb, weil dir jene Thorheit besser eingeflogen ist als die gespitzten Grillen oder Grillenspitzen dieser. So geht's, wenn einer hinaus in die Fremde zieht, ehe er seinen völligen Verstand hat. Dann lernt ihr thörichten jungen Leute einen Narrenspossen als etwas ganz Besonderes, haltet einen lächerlichen Vers höher als alle Künste und übt euch in der närrischen Thorheit mit allen Sinnen. Wenn es denn ja hoch kommt, so kann es euch eurer Meinung nach nicht fehlen, die ihr
Den SchneideweinSchneidewein war ein großer Rechtsgelehrter, geb. 1519 zu Stolberg, gest. 1568, wurde von Luther erzogen, später Professor des Rechts. beim Zapfen,
Den ClarusClarus, geb. 1525 zu Alessandro, starb 1575, auch ein bedeutender Jurist. Die Anspielung geht auf Clarett, lauterer Wein. im Keller,
Den BalduinBalduin (Bald Win, Wein), ein Rechtsgelehrter, geb. 1520 zu Arras, gest. 1573 zu Paris. im Glas,
Den Valdus im Pastetenhaus
gelesen und nunmehr
Die Institutionen bei den Ohren haltet,
Die Paratitla bei den Brüsten,
Den Codex de ventre inspiciendo,
Die Novellen in den Hosen,
Die PandektenInstitutionen, Codex, Novellen, Pandekten sind Theile des Corpus juris, das Justinian 518 und 534 anfertigen ließ; Paratitla ein Theil des Codex des Theodosius.] in den Haaren,
Die ReichsabschiedeReichsabschied, der Inbegriff sämmtlicher Beschlüsse eines deutschen Reichstages. im Säckel,
Die ExtravagantienExtravagantien: ausschweifende Liebesgedanken, zugleich ein Theil des röm. Kirchenrechts. im Hirn und Herzen
habt, mit welchen ihr vagirt, wie die Vaganten alle; und wenn ihr nach Hause kommt, so steht euch das Hirn und der Verstand wie Gallert verdickt, und ihr wisset zu keinem Geschäft etwas zu reden und zu sagen. Dann heißt es wohl:
Gickes und Gäckes ist deine Lehr',
Und ob du auch fährst übers Meer,
Damit die Jugend gehet hin,
Und ziehst du schon nach Genf und Wien,
Nach Bourges und nach Orleans
Und willst sein ein großer Herr Hans:
So ist doch all dein viel Studiren
Nichts als ein üppig Fabuliren;
Und wenn du wieder kommst nach Haus,
Fährst Mist du auf dem Wagen aus.
O bedächtest du jetzt, was dich nachher reuen wird, du würdest dieses gefährliche Nachtraben bald aufgeben; denn du bist mit dem schönen Engel, wie du ihn nennst, häßlich betrogen und wirst über solche Narrheit zu Grunde gehen. Aber Zucht, Ehre und Keuschheit kann alles überwinden; denen gieb dich hin, so wird dir Gott helfen. Wenn du jede Eitelkeit dergestalt mit Worten herausstreichen willst, so wird deines Geschwätzes nimmer ein Ende werden. Ach wie unerfahren bist du doch in dergleichen Fällen! Du machst mehr Worte und Geschwätz um diese Lumpensache, als ein Advocat um eine ganze Grafschaft. Deine große Bewunderung legt es an den Tag, daß du die Welt und ihr Wesen noch nicht recht kennst. Bis jetzt habe ich dich nur für übersichtig gehalten; nun aber sage ich, du bist blind auf beiden Augen und verstockt in deinem Verstande, wie die Thoren alle, und weißt eben noch nicht, warum dir Gott deine Augen gegeben hat und wozu. Deshalb sage ich dir, Gott hat dir die Augen gegeben, damit du sehen sollst. Ueber das innere Wesen eines Dinges aber zu urtheilen, das geht den Verstand an. Du thust gerade das Widerspiel; daher wirst du, wenn du allein nach dem Augenmaß meinen und urtheilen willst, allezeit betrogen werden und oftmals Böses für Gutes, Mäusedreck für Pfeffer ansehen, weil ja das Gesicht häufig durch die Ferne und durch das Dunkel verführt und verhindert wird. Ebenso sollst du auch dieses Weibsbild, deinem Geschwätz nach, in ihrem äußerlichen Wesen nicht mit deinem Verstand, sondern mit den Augen allein ansehen, weil sie dich betrogen hat, und sollst im Sinne anderes von ihr halten, als du thust. Gestern Abend war sie ein häßlicher, ungestalteter Mensch, heute früh hat sie sich mit all dieser entlehnten Schönheit, welche du so lobst, geziert und geschmückt. Wenn du sie in ihrem Wesen recht anschauest und betrachtest, so wirst du nichts als Pflaster und Lumpen an ihr finden. Um sie nur ein wenig zu anatomiren und in Stücke zu zerlegen, so sind erstlich ihre Haare nicht ihre eigenen, sondern sie kommen aus dem Kramladen, vielleicht von einer, der der Schädel abgeschlagen wurde; und dieser elenden, mit Eisen und Zangen gemarterter Haare bedient sie sich, weil ihre eigenen entweder durch die böse französische Luft ausgefallen sind, oder wenn sie noch einige hat, sie dieselben nicht will sehen lassen, aus Furcht, daß sie ihr Alter verrathen könnten. Wenn es keine Schwärze gäbe, so hätte sie auch keine Augenbrauen; wenn keine Schminke wäre, so hätte sie weniger Farbe als ein Jude. Sie ist ein alter Götze, mit destillirtem, gebranntem, mercurialischem, giftigem Wasser verjüngt. Wenn du sie anhauchen oder mit einem feuchten Lappen angehen würdest, so wirst du nichts als eine abscheuliche, fürchterliche Gestalt sehen und sie nicht mehr kennen. Und wenn alles Geschminke, wie Zibet, Bisam, Balsam, Haarpulver, Puder von Cypern, bisamirte Handschuhe, Strümpfe und anderes nicht wären, dann würdest du die Nase bald mit einem Schnupftuch wegen des üblen Geruches verbollwerken müssen. Solltest du sie einmal küssen, du würdest deine Lippen und Wangen mit Fett und Schmutz dermaßen besudeln wie ein Metzger am Bubeneck zu Straßburg oder am Metzgerthor zu Frankfurt. Solltest du sie umfassen und begreifen, du würdest nichts als Kartenpapier, groben Zwillich und Lumpen finden, womit ihre Schnürbrüste, Brusttücher und Röcke gefüllt sind, um dem verstellten, krummen, bucklichen Leib irgend ein Ansehen und eine Gestalt zu geben. Gehet sie dann schlafen, dann läßt sie auf dem Tisch den besten Theil ihres Leibes, nämlich die Kleider, liegen.
Wie sehr ist dein Verstand nun noch verfinstert, indem du dir eine solche Schönheit an diesem elenden Leibe einbilden konntest. Darum magst du dich denn auch vielmehr über deinen Unverstand selbst, als über den Betrug dieses Weibes verwundern.
Um mit einem Worte den Ausschlag zu geben, so wisse, daß der größere Theil der Weiber nichts anderes ist, als mit Stolz bekleidete und mit Falschheit gefütterte Thiere, deren meiste Gedanken dahin stehen, wie sie der Männer Einfalt und Aufrichtigkeit verlachen können; und diejenigen, welche man für die besten hält, machen oft den Männern die meiste Sorge. Insgemein geht es bei ihnen so her, wie bei allen bösen Schuldnern, bei denen, wenn sie zur Rechnung kommen, die Zinsen und Unkosten oftmals das Kapital übertreffen.
Diese weiblichen Schwachheiten mögen dich alle billig abhalten, so unverständig hinein zu plumpsen, und es wird dich endlich gereuen, daß du dich um ein so unvollkommenes Werk so sehr bemüht hast.
Die bösen Weiber mein' ich nur.
Ein fromm Weib ist drum keine Hur'.
Sei's an der Frommen nicht gerochen,
Was einst die Böse hat verbrochen.
Ein Weib, das häuslich, ernsthaft, gehorsam, holdselig, säuberlich,
freundlich, fromm,
Das ist zu loben um und um.