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Theater

1905

Wer sich mit der Materie einläßt, wird von ihr erschlagen. (Zu R.'s Dekorationskampf.)

*

Es fehlen im Bilde unserer heutigen Kritik nicht die kunstrichtenden, sondern schlechtweg die richtenden Geister.

1906

Kein Dramatiker kann wissen, was ein Schauspieler aus seinen Worten machen wird. Er mag sie so einfach setzen, wie er will – dieser wird sie vielleicht ganz in Leidenschaft tauchen und so gerade ihren feinsten Gehalt verändern; er mag sie so leidenschaftlich gemeint haben, wie er mag, dieser wird vielleicht nie im Leben bis zur Schwelle wahrer innerlicher Hingerissenheit gelangt sein. Der Schauspieler ist der Räuberkünstler par excellence. Aber oft auch ist der Räuber größer als der Beraubte und der Schatz des Wanderers erst wundervoll, wenn, der ihn erschlug, damit zu abenteuern beginnt.

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Wenn ich Schauspieler wäre, würde ich mir für mein Studierzimmer zunächst einen riesigen Spiegel anschaffen. Vor ihm würde ich täglich mindestens zwei Stunden verbringen und meinem Körper eine Geschmeidigkeit anzüchten, die mir später gestattete, auch die leiseste Gemütsbewegung in unwillkürliche Sichtbarkeit umzusetzen. Ich würde mich dabei nicht in malerische oder zeichnerische Ideen verlieren, o nein, ich würde die Seele ganz allein Herr sein lassen und ihr, ihr allein, meine Glieder dienstbar machen. Unmittelbare Übertragung dessen, was mich bewegte, wäre mein Ziel, so daß man nicht einen Körper und einen Geist zu sehen vermeinen sollte, sondern nur eins. Ich würde keinen andern Stil als den wahren Ausdruck meines Innenlebens haben wollen, aber freilich die Art meines Innenlebens wäre bereits der Stil, den ich will. Er wäre, meiner Natur entsprechend, zugleich lebhaft und maßvoll. Er wäre, wie ich hoffen dürfte eindringlich, nicht aufdringlich. (Ich rede hier fast lediglich von der Darstellung moderner Menschen.) Des weiteren würde ich folgendes tun: Ich würde mich nach Empfang meiner Rolle in die darzustellende Person zu verwandeln suchen. Ich würde wochenlang in allen Situationen als sie herumgehen, das heißt in ihrer Kleidung, mit ihrem vermutlichen Gehaben, mit ihrem Charakter, ihren Gewohnheiten. Dazu gehört allerdings eine eiserne Natur, aber des Schauspielers Kunst wird nicht genug bezahlt, daß er sich wie ein Krieger mit allem nur möglichen Raffinement wider das Zerstörende seines Berufes wappnen kann, gesetzt er braucht seine Mittel zum Kampf ums Ziel und nicht zum Behagen. Hätte ich pathologische oder Verbrechernaturen darzustellen, so würde ich, wie Hermann Müller es gelegentlich tut, Irrenhäuser, und wie's Richard Vallentin vor dem Nachtasyl machte, Kaschemmen aufsuchen. Die Moskauer sollen sich wochenlang in Dörfern aufgehalten haben, bevor sie ein Stück mit Bauern spielten. Das nenne ich, auf die Eroberung des Andern, das wir nicht sind, aber der Kunst halber einmal sein wollen, losgehen; das möchte ich vielleicht mit dem Namen praktischer Dualismus bezeichnen.

Mag sein, daß ich nichts von alledem täte, wenn ich Schauspieler wäre, das heißt natürlich auch meiner ganzen Veranlagung nach, nicht nur nominatim, Schauspieler; aber nun, da ich bin, was ich bin, glaube ich, ich würde das tun, wenn ich das wäre.

1907

Man mag das Wort ›Schmiere‹ zu seiner Bildung zum Theaterkritiker brauchen, aber es wird von wahrer Urbanität zeugen, wenn man es später jemals wieder zu brauchen – ablehnt.

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Wenn es einem Kritiker Freude macht, sich einen Schaffenden im Sinne eines Schöpfers zu nennen, so soll man ihm die Freude lassen. Der liebe Gott wird dann schon einmal zu ihm sagen: ›Schaffe eine Maus,‹ – ›O nein,‹ wird der Kritiker antworten, ›so ist nicht die Gabe meines Schaffens. Gib mir ein Nashorn oder ein Känguruh, so will ich dir sagen, was ich daran falsch und was ich daran richtig finde, und auch sonst werde ich noch manches zum Thema sagen, was vielleicht interessanter ist als das ganze Känguruh oder das ganze Nashorn,‹ – ›Ja, ja,‹ wird der liebe Gott sagen, ›das mag wohl sein, aber wenn ich nun so klug gewesen wäre wie du – was hätte ich dann wohl anfangen sollen? Wie hätte ich die Welt wohl aus mir heraussetzen sollen, wenn ich erst etwas bereits Herausgesetztes hätte vorfinden müssen, um mich an ihm herauszusetzen, oder anders ausgedrückt, um daran in deiner Weise schöpferisch zu werden?‹

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Wenn einer vorliest! was denkst, was fühlst du da alles! ... aber weil du (auch) zuhörst, so wirst du ein Zuhörer geheißen. Als ob dich das erschöpfen könnte: "der ›Zuhörer‹ war ganz ergriffen" – O gewiß, aber vielleicht nicht bloß als Zuhörer.

Der Klang der Stimme (z.B.) hatte dich vielmehr an einen Winterabend erinnert, an dem einmal jemand zu dir gesagt hat: ›Das also hast du vor, diesen Weg willst du gehen!‹ .. Aber das kümmert den wenig, der vorliest. Er ›liest vor‹ und du ›hörst‹ zu. Ich möchte, daß du daraus ersiehst, wie armselig es ist, wenn man dich beispielsweise im Theater einfach als ›Zuschauer‹ bezeichnet und behandelt. Jawohl, du schaust freilich (auch) zu, aber daneben – was ist alles daneben noch möglich – was begibt sich alles in dir noch daneben. Wir sollten uns alle wider den Bann solcher Wörter sträuben. Es ist, als bände uns einer eine starre Maske mit nur einem Gesichtsausdruck vor, aber die Maske ist nur suggeriert – erwachen wir doch und erkennen, daß wir auch im Theater nicht Zuschauer allein sondern unendlich viel mehr, nämlich durch keine Bezeichnung zu erschöpfende Wesen sind, und daß wir daher auch im Theater alles erleben dürfen, was ein Mensch nur immer geistig erleben kann, und nicht nur, was ein ›Zuschauer‹ erleben darf. Aber wir sind so über und über im Bann von Bezeichnungen, daß wir aus lauter Pflichtgefühl ihnen zu entsprechen, keinen freien Gedanken mehr zu denken wagen, und nach einem innerlich noch so reichen Theaterabend dennoch von einem verlorenen Abend reden zu müssen glauben, weil wir als ›Zuschauer‹ nicht ganz auf die Kosten gekommen sind. –

1908

Zum Gastspiel des Moskauer Künstlertheaters.

Nicht nur das Volk, auch die Kritiker haben dem Zauber der Russen – und nicht nur Stanislawskis – nicht widerstehen können, warum wohl? Weil von den Russen das ausging, was in den Deutschen heute höchstens als Privatsache, aber nicht als Unterton ihres ganzen nationalen Lebens lebt: Liebe, Liebe zu einander, zu uns, zu ihren Dichtern, wortlose, unausgesprochene, uneingestandene aber selbstverständliche Liebe. Es gibt kein anderes Wort, höchstens daß man noch sagte: innere Religiosität. Hieraus quoll die letzte Schönheit dieser Künstler. Und zu ihr könnten auch wir uns hinankämpfen und hinanleiden, wenn wir nicht mit kaltem Kritizismus, mit Theorien, Wunsch-Luftspiegeleien aufeinander loshackten, sondern verstehend und liebend einander zu fördern, einander zu steigern, einander zu vervollkommnen suchten.

*

Es ist nur sehr viel leichter zu wünschen und von Großem, wie es sein müßte, zu reden, als im Gegebenen sich zu bescheiden und die großen Faktoren sich nutzbar zu machen, die das lebendige Leben um einen herum enthält. Da muß man freilich etwas mehr guten Willen haben und nicht gleich ungeduldig in Bausch und Bogen verwerfen, wenn man nicht just in den Punkten, in denen man gern befriedigt sein möchte, auf seine Rechnung zu kommen scheint. Eines Schauspielers Wert erschöpft sich noch lange nicht im rein Darstellerischen. Ich habe hier in Tirol Gelegenheit, viel in kleine Theater zu kommen: nun, ich ziehe meinen Hut noch tief ab vor allen möglichen Leuten, die der kaltherzige, hochfahrende, einseitige und verbildete Großstadt-Kritiker, dem die Augen fürs innere Leben und Sichfortentwickeln unseres Volkes oft nur zu sehr verschlossen sein mögen, zumeist, weil die persönliche innere Beziehung einfach nicht da ist, nicht da sein kann, vermutlich mit irgend einem Clichéausdruck wie Schmierenkomödianten abtun würde; und ich bin weit entfernt davon, diesen braven, willigen und fröhlich-unermüdlichen Soldaten der Kultur, mögen sie im Leibregiment oder in der verrufensten Garnison dienen, anders als mit einer Hochachtung zu begegnen, die mir fast immer noch irgendwo Dankbarkeit und Freude verstattet. Aber ich vergesse wohl, daß ich ein Gottseidank unverpflichteter Außenseiter bin und daß der Berufsmensch wohl unwillkürlich dem Schicksal des Spezialisten, das ist des Einäugigen, des Monophthalmoden, verfällt. Das Eine Auge starr auf die Bühne gerichtet, sieht er alles nur in der Kunstfläche, während es in Wahrheit bis in den Urgrund der Welt hineinreichende Plastik ist, auch dies, auch diese Bühnenmenschheit da droben.

1909

Wie kann man einem Schauspieler ›die Wahrheit sagen‹ und zugleich den Menschen in ihm respektieren? Einfach, indem man ihn liebt. Man liebt ja Blumen, Steine, Tiere – ist der Mensch der Liebe weniger würdig? Schließt denn Erkenntnis die Liebe aus? Oder ist es nicht vielmehr so: Je mehr Erkennen, desto mehr Liebe? So daß, je mehr einer einen Schauspieler durch und durch sieht, er auch weniger und weniger imstande sein wird, richterlich von ihm zu reden. Man braucht dabei nichts zu opfern, nichts, als seine eigene Unschönheit. Man kann von derselben Leistung fast wie ein Weiser reden und fast wie ein Wilder.

1911

Man kann das Theater (beispielsweise) nicht reformieren, wenn man nicht zugleich den ganzen Geist der Zeit reformiert. Es ist der Irrtum unserer Zeit, daß sie meint, man könne wesentliche Probleme aus dem Zusammenhange herauspflücken und für sich allein lösen.


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