|
Sanfter Mondsegen über den Landen.
Schlafstumm Berge, Wälder, Tale.
In den Hütten erstorben die Herde;
an den Herden eingenickte Großmütter,
zu deren Knieen offne Enkel-Mäulerchen
unter verhängten Auglein atmen.
Auf Daunen und Strohsack
schnarchendes Laster, schnarchende Tugend.
Wachend allein: Diebe, Dichter,
Wächter der Nacht, und auf Gassen, in Gärten
und in verschwiegenen Kammern
lispelnde Liebe.
Sanfter Mond! du segnest,
weil du nichts andres kannst.
Aber am Herzen
zehren dir Neid und Groll,
weil die Menschen dich also mißachten,
daß sie zu Bett gehn, wenn du kommst.
Ärgerlich ziehn sie die Vorhänge zu:
und du stehst draußen
und – segnest milde deine Verächter.
Sanfter Mond! manchmal auch
lugen Herrschergelüste gefährlich vor
unter deiner Demut.
Dann rufst du in verträumte Gehirne:
«Auf! auf!
Ich bin die Sonne!
Kommt: es ist Tag!»
Und der blöden Schläfer
glaubt es dir mancher
und steigt ernsthaft
aus seinen Kissen
und geht gravitätisch
über die Dächer.
Scheel sehen die Kater ihn an.
Er aber wandelt und klettert,
als hätt ihm sein Arzt
die Alpen verschrieben.
Wie? Freundchen!
Hätt ich dich heut gar ertappt?
Mir dünkt, da unten
käm solch ein Wandler!
Armer Fremdling,
– besser: Hemdling –,
wer bist du?
Welchem Bette entflohst du?
Opferlamm
mondlicher Lüsternheit,
meilenweit mußt du gewandert sein!
Redet er nicht im Schlaf? horch!
«Wer ich bin? . . .
Eine lebendige Litfaß-Säule
Etikettiert von oben bis unten: –
Staatsbürger,
Gemeindemitglied,
Protestant,
Hausbesitzer,
Ehemann,
Familienvater,
Vereinsvorstand,
Reserveleutnant,
Agrarier,
Christlicher Germane,
Antisemit,
Deutschbündler,
Sozialmonarchist,
Bimetallist,
Wagnerianer,
Antinaturalist,
Spiritist,
Kneippianer,
Temperenzler –»
«Wie!» ruf ich,
«und nie Mensch?»
Aber da reißt
der Schläfer die Augen auf,
und – «Mensch?»
von verzerrten Lippen heulend,
stürzt er,
fehltretend,
die Felswand hinab,
von Zacke zu Zacke
im Bogen geschleudert.
Ich aber,
ich «Mörder»,
muß unbändig lachen.
Ich kann nicht anders –
Gott helfe dem Armen!
Amen! |