Christian Morgenstern
In Phanta's Schloß
Christian Morgenstern

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Die Versuchung

          Der alte, ehrwürdige Herr
mit dem großen Bart
war heute bei mir.
«Ich habe dich gestern gerettet!»
sagte er freundlich.
«Den Einfall, die Arme
zur Kreuzform zu strecken,
hab ich dir gesteckt.»
Ich schüttelte dankbar
die biedere Rechte.
Er aber drohte mir
mit dem Finger:
«Ein Schelm bleibst du doch!
Ich traue dir nicht.
Doch höre!»
Und er kniff mir den Arm
und zeigte mir rings
die Lande –:
«Dies alles soll dein sein,
wenn du hier hinfällst
und mich anbetest.»
Der Arme, er wußte nicht,
daß Erde und Himmel
durch Phanta längst mein war.
«Nun, willst du nicht?»
rief er halb ängstlich
halb ärgerlich.
Ich aber machte ihm
schnell eine kalte Kompresse
um die erhitzten Schläfen
und führte ihn sorgsam
den Berg hinunter.
Auf halber Höhe
traf ich den großen Pan.
Er wollte gerade
eine Windhosen-Orgel bauen.
Doch ich entriß ihn
dem kühnen Projekte
und stellte ihm
seinen greisen Kollegen vor.
«Alte Bekanntschaft!» rief Pan
und zog die krumme Nase
mißmutig noch krümmer.
«Vielleicht hilft er dir
bei der Windhosen-Orgel!»
schlug ich begütigend vor.
Das leuchtete ein.
Arm in Arm
zogen die beiden ab.
Ich aber stieg,
ein freier, glückseliger Mensch,
singend wieder empor
auf meine herrlichen,
klaren, einsamen Höhen.

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