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Buch I
Liang Hui Wang

Abschnitt A

1. Vom Schaden des Nützlichkeitsstandpunkts

Mong Dsï trat vor den König Hui von Liang Liang ist die Hauptstadt von We, einem Staat im Westen des damaligen China, der Heimat des Dschuang Dsï. Der Staat We, der wohl zu unterscheiden ist von dem in den Gesprächen des Konfuzius häufig genannten, chinesisch anders geschriebenen Staate We im Osten, ist entstanden bei der Teilung des Staates Dsin im heutigen Schansi in die Staaten We, Dschau und Han. Der König Hui von We hatte ein Ausschreiben erlassen, um Weise aus allen Ländern an seinen Hof zu ziehen. Diesem Ausschreiben folgte auch Mong Dsï im Jahre 322 v. Chr. (vgl. Sin Lun. Die früher angenommene Zahl 336 ist falsch. Damals konnte Mong unmöglich schon als »alter Mann« angeredet werden)..

Der König sprach: »Alter Mann, tausend Meilen waren Euch nicht zu weit, um herzukommen, da habt Ihr mir wohl auch einen Rat, um meinem Reich zu nützen.«

Mong Dsï erwiderte und sprach: »Warum wollt Ihr durchaus vom Nutzen reden, o König? Es gibt doch auch den Standpunkt, daß man einzig und allein nach Menschlichkeit und Recht fragt. Denn wenn der König spricht: Was dient meinem Reiche zum Nutzen? so sprechen die Adelsgeschlechter: Was dient unserm Hause zum Nutzen? und die Ritter und Leute des Volks sprechen: Was dient unserer Person zum Nutzen? Hoch und Niedrig sucht sich gegenseitig den Nutzen zu entwinden, und das Ergebnis ist, daß das Reich in Gefahr kommt. Wer in einem Reich von zehntausend Kriegswagen 10 000 Kriegswagen standen dem Kaiser zur Verfügung, 1000 den größeren Landesfürsten, 100 den großen Adelsgeschlechtern. Die geschilderten Vorgänge sind alles Beispiele aus der Zelt des Niedergangs der Dschoudynastie. den Fürsten umzubringen wagt, der muß sicher selber über tausend Kriegswagen verfügen. Wer in einem Reich von tausend Kriegswagen den Fürsten umzubringen wagt, der muß sicher selber über hundert Kriegswagen verfügen. Von zehntausend Kriegswagen tausend zu besitzen, von tausend Kriegswagen hundert zu besitzen, das ist an sich schon keine geringe Macht. Aber so man das Recht hintansetzt und den Nutzen voranstellt, ist man nicht befriedigt, es sei denn, daß man den anderen das Ihre wegnehmen kann. Auf der anderen Seite ist es noch nie vorgekommen, daß ein liebevoller Sohn seine Eltern im Stich läßt, oder daß ein pflichttreuer Diener seinen Fürsten vernachlässigt. Darum wollet auch Ihr, o König, Euch auf den Standpunkt stellen: ›Einzig und allein Menschlichkeit und Recht!‹ Warum wollt Ihr durchaus vom Nutzen reden?«

2. Geteilte Freude ist doppelte Freude

Mong Dsï trat vor den König Hui von Liang. Der König stand an seinem Parkweiher und sah den Schwänen und Hirschen zu. Er sprach: »Hat der Weise auch eine Freude an solchen Dingen?«

Mong Dsï erwiderte: »Der Weise erst vermag sich dieser Dinge ganz zu freuen. Ein Unweiser, selbst wenn er sie besitzt, wird ihrer nicht froh. Im Buch der Lieder Das Lied steht im Schï Ging III, 8 und bezieht sich auf den König Wen von Dschou. Die Übersetzung ist nach Viktor v. Strauß gegeben. heißt es:

›Als er den Wunderturm ersonnen,
Ersonnen und den Plan gemacht,
Hat alles Volk sich dran begeben;
Kein Tag – und alles war vollbracht
Anhub er mit: »Nicht hastet euch!«
Doch alles Volk kam, Kindern gleich.
Im Wunderpark der König war,
Wo Hirsche ruhten Paar bei Paar,
Gar fette Hirsche, glatt von Haar,
Und weiße Vögel glänzten klar.
Der König war am Wunderteiche;
Wie wimmelte der Fische Schar!‹

So hat der König Wen durch die Arbeit seines Volks einen Turm und einen Teich gebaut, und das Volk war in heller Freude darüber und nannte seinen Turm den ›Wunderturm‹ und seinen Teich den ›Wunderteich‹ und freute sich dessen, daß er Hirsche und Rehe, Fische und Schildkröten hatte. Die Männer des Altertums freuten sich mit dem Volk gemeinsam; darum konnten sie sich wirklich freuen. Andererseits heißt es im Schwur des Tang Schwur des Tang, vgl. Schu Ging III, 1. 3. Der Tyrann Giä, der letzte Herrscher der Hiadynastie, hatte, als er von der Unzufriedenheit des Volkes hörte, den Ausspruch getan: »Solange die Sonne am Himmel nicht vernichtet wird, solange werde ich auch nicht untergehen.« Das Volk bezieht sich auf diesen Ausspruch und sagt: »Wenn nur diese (schi sonst = Zeit) Sonne untergeht, so sind wir es zufrieden, gemeinsam mit dir (an Giä gerichtet) zugrunde zu gehen.« Eine andere Übersetzung, die in den Zusammenhang des Schu Ging noch besser paßt, faßt die Worte des Volks als Anrede an den Befreier Tang auf: »Diesen Tag muß der große Zusammenbruch kommen, wir wollen mit dir gemeinsam ihn vernichten.« Doch scheint Mong Dsï die andere Auffassung vertreten zu haben., (daß die Untertanen des Tyrannen Giä, der in seinem Hochmut sich der Sonne verglichen, von solchem Haß gegen ihn erfüllt waren, daß sie sprachen:) ›Wenn nur diese Sonne zugrunde geht. Und wenn wir auch mit ihr gemeinsam vernichtet werden‹. Das Volk (des Tyrannen Giä) wollte lieber noch, als daß er am Leben blieb, mit ihm zusammen vernichtet werden. Mochte er Türme und Teiche, Vögel und Tiere besitzen: er konnte ihrer einsam doch nimmermehr froh werden.«

3. Wie kann ein Fürst die Weltherrschaft erlangen?

König Hui von Liang sprach: »Ich gebe mir mit meinem Reiche doch wirklich alle Mühe. Wenn diesseits Der Staat We war ursprünglich auf der Südseite des gelben Flusses. Erst nach seiner Vergrößerung bekam er Land auf der Nordseite (»diesseits«). Da auf der Nordseite in alter Zeit die Reichshauptstadt war, heißt sie »diesseits«, »innerhalb«. des gelben Flusses Mißwachs herrscht, so schaffe ich einen Teil der Leute nach der anderen Seite und schaffe Korn nach dieser Seite. Tritt Mißwachs ein in dem Gebiet jenseits des Flusses, handle ich entsprechend. Wenn man die Regierungsmaßregeln der Nachbarstaaten prüft, so findet man keinen Fürsten, der sich soviel Mühe gäbe wie ich. Und doch wird das Volk der Nachbarstaaten nicht weniger und mein Volk nicht mehr. Wie kommt das?«

Mong Dsï erwiderte: »Ihr, o König, liebt den Krieg. Darf ich ein Gleichnis vom Krieg gebrauchen? Wenn die Trommeln wirbeln Der Trommelschlag war das Zeichen zum Angriff, die Becken (Gongs) gaben das Zeichen zum Rückzug. und die Waffen sich kreuzen, und die Krieger werfen ihre Panzer weg, schleppen die Waffen hinter sich her und laufen davon, so läuft der eine vielleicht hundert Schritte weit und bleibt dann stehen, ein anderer läuft fünfzig Schritte weit und bleibt dann stehen. Wenn nun der, der fünfzig Schritte weit gelaufen ist, den anderen, der hundert Schritte gelaufen ist, verlachen wollte, wie wäre das?«

Der König sprach: »Das geht nicht an. Er lief nur eben nicht gerade hundert Schritte weit, aber weggelaufen ist er auch.«

Mong Dsï sprach: »Wenn Ihr, o König, das einseht, so werdet Ihr nicht mehr erwarten, daß Euer Volk zahlreicher werde als das der Nachbarstaaten. Wenn man die Leute Im folgenden gibt Mong Dsï die Schilderung der idealen Regierung, den »Pfad der Könige«. Mong Dsï unterscheidet sich dadurch von Kung Dsï, daß dieser noch das Recht des herrschenden Hauses Dschou aufrecht erhielt, während für Mong Dsï jeder Territorialfürst die Möglichkeit der Weltherrschaft hatte. Sobald einer es verstünde, die rechten Prinzipien durchzuführen, fiele ihm das ganze Reich zu. Mong ist in dieser Hinsicht durchaus Realpolitiker., während sie auf dem Acker zu tun haben, nicht zu anderen Zwecken beansprucht, so gibt es so viel Korn, daß man es gar nicht alles aufessen kann. Wenn es verboten ist, mit engen Netzen in getrübtem Wasser zu fischen, so gibt es so viel Fische und Schildkröten, daß man sie gar nicht alle aufessen kann. Wenn Axt und Beil nur zur bestimmten Zeit in den Wald kommen, so gibt es soviel Holz und Balken, daß man sie gar nicht alle gebrauchen kann. Wenn man das Korn, die Fische und Schildkröten gar nicht alle aufessen kann, wenn man Holz und Balken gar nicht alle aufbrauchen kann, so schafft man, daß das Volk die Lebenden ernährt, die Toten bestattet und keine Unzufriedenheit aufkommt: Wenn die Lebenden ernährt werden, die Toten bestattet werden und keine Unzufriedenheit aufkommt: das ist der Anfang zur Weltherrschaft.

Wenn jeder Hof von fünf Morgen mit Maulbeerbäumen umpflanzt wird, so können sich die Fünfzigjährigen in Seide kleiden. Wenn bei der Zucht der Hühner, Ferkel, Hunde und Schweine die rechte Zeit beobachtet wird, so haben die Siebzigjährigen Fleisch zu essen. Wenn einem Acker von hundert Morgen nicht die zum Anbau nötige Zeit entzogen wird, so braucht eine Familie von mehreren Köpfen nicht Hunger zu leiden. Wenn man dem Unterricht in den Schulen Beachtung schenkt und dafür sorgt, daß auch die Pflicht der Kindesliebe und Brüderlichkeit gelehrt wird, so werden Grauköpfe und Greise auf den Straßen keine Lasten mehr zu schleppen haben. Wenn die Siebziger in Seide gekleidet sind und Fleisch zu essen haben und das junge Volk nicht hungert noch friert, so ist es ausgeschlossen, daß dem Fürsten dennoch die Weltherrschaft nicht zufällt. Wenn aber Hunde und Schweine den Menschen das Brot wegfressen, ohne daß man daran denkt, dem Einhalt zu tun, wenn auf den Landstraßen Leute Hungers sterben, ohne daß man daran denkt, ihnen aufzuhelfen, und man dann noch angesichts des Aussterbens der Bevölkerung sagt: nicht ich bin schuld daran, sondern das schlechte Jahr, so ist das gerade so, als wenn einer einen Menschen totsticht und sagt: nicht ich hab' es getan, sondern das Schwert. Wenn Ihr, o König, nicht mehr die Schuld sucht bei schlechten Jahren, so wird das Volk des ganzen Reichs Euch zuströmen.«

4. Der rechte Landesvater

König Hui von Liang sprach: »Ich will gelassen Eure Belehrung annehmen.«

Mong Dsï erwiderte: »Ob man Menschen mordet mit einem Knüppel oder einem Messer: ist da ein Unterschied?«

Der König sprach: »Es ist kein Unterschied.«

»Ob man sie mordet mit einem Messer oder durch Regierungsmaßregeln: ist da ein Unterschied?«

Der König sprach: »Es ist kein Unterschied.«

Da hub Mong Dsï an: »In der Hofküche ist fettes Fleisch und in den Ställen fette Pferde; in den Gesichtern der Leute wohnt die Not, auf dem Anger draußen wohnt der Tod: das heißt, die Tiere anleiten, Menschen zu fressen. Die Tiere fressen einander, und die Menschen verabscheuen sie darum. Wenn nun ein Landesvater also die Regierung führt, daß er nicht vermeidet, die Tiere anzuleiten, Menschen zu fressen: Worin besteht da seine Landesvaterschaft? Meister Kung hat einmal gesagt: ›Wer zuerst bewegliche Menschenbilder In alter Zeit gab man den Toten aus Stroh gemachte Puppen mit ins Grab (vgl. Laotse, Das Buch vom Sinn und Leben, Nr. 5, 1. Teil). Kung Dsï spricht hier von Verbesserungen dieser Totengaben, die später aufkamen. Man machte diese Puppen so, daß sie sich bewegen konnten und lebenden Menschen glichen. Er hat diese Sitte verurteilt, weil er fürchtete, sie könne zu Menschenopfern für die Toten führen. Solche Menschenopfer sind dann in späterer Zeit bei fürstlichen Begräbnissen häufig vorgekommen. (Noch zur Mingzeit wurde mit dem Kaiser ein großes Gefolge dem Tode geopfert. Erst die Mandschus hoben diese Unsitte auf. Die Frage, inwieweit in uralter Zeit das Töten von Menschen als Totenopfer üblich war, kann hier außer Betracht bleiben.) fertigte – um sie den Toten mit ins Grab zu geben – gab es für den denn keine Zukunft zu bedenken? Die gewöhnliche Übersetzung ist: »der müsse ohne Nachkommen geblieben sein!« als Fluch gedacht; aber der grammatikalische Zusammenhang führt auf unsere Übersetzung. Darum, daß er das Ebenbild des Menschen zu diesem Zweck mißbrauchte. Was würde er erst gesagt haben von einem, der seine Leute Not leiden und verhungern läßt!«

5. Rüstung zur Rache

König Hui von Liang sprach: »Unser Reich Wörtlich: »Das Reich Dsin.« Dieses Reich, das von den Herren von Dschau, Han und We aufgeteilt wurde, gehörte früher zu den mächtigsten Staaten Chinas. We war von den drei Teilstaaten der bedeutendste, darum legt der König seinem Staate den Gesamtnamen Dsin bei. Tsi kam dem Staate Dschau, der von We angegriffen war, zu Hilfe. In den dabei entstehenden Kämpfen geriet der Kronprinz von We, der das Heer befehligte, in Gefangenschaft von Tsi und starb dort (340 v. Chr.). Tsin war der aufstrebende westliche Staat, in dem ein Fürst unter dem Namen Tsin Schï Huang später das ganze Reich eroberte. Die hier erwähnte Niederlage fällt ins Jahr 361. Tschu war ein halb barbarischer Staat im Süden am Yangtse. Dschau Yang von Tschu griff We um 323 an. war eins der mächtigsten auf Erden, das wißt Ihr ja, o Greis. Doch seitdem es auf meine Schultern kam, wurden wir im Osten besiegt von Tsi, und mein ältester Sohn ist dabei gefallen. Im Westen verloren wir Gebiet an Tsin, siebenhundert Geviertmeilen. Im Süden erlitten wir Schmach durch Tschu. Ich schäme mich darob und möchte um der Toten willen ein für allemal die Schmach reinwaschen, Wie muß ichs machen, daß es mir gelingt?«

Mong Dsï erwiderte: »Und wäre auch ein Land nur hundert Meilen im Geviert Anspielung auf den König Wen von Dschou. Vgl. Buch II, A, 1., man kann damit die Weltherrschaft erringen. Wenn Ihr, o König, ein mildes Regiment führt über Eure Leute, Strafen und Bußen spart, Steuern und Abgaben ermäßigt, so daß die Felder tief gepflügt und ordentlich gejätet werden können, daß die Jugend Zeit hat zur Pflege der Tugenden der Ehrfurcht, Brüderlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Treue, daß sie zu Hause ihren Eltern und Brüdern und im öffentlichen Leben ihren Fürsten und Oberen dienen – dann könnt Ihr ihnen Knüppel in die Hand geben, um damit die starken Panzer und scharfen Waffen der Herren von Tsin und Tschu zu zerschlagen.

Jene Fürsten rauben ihren Leuten die Zeit, daß sie nicht pflügen und jäten können, um Nahrung zu schaffen für ihre Eltern. Die Eltern leiden Frost und Hunger, Brüder, Weib und Kind sind fern voneinander zerstreut. Jene Fürsten treiben ihre Leute in Fallen und ertränken sie. Wenn Ihr, o König, dann hingeht und sie bekämpft, wer wird Euch da feindlich entgegentreten? Darum heißt es: »Der Milde hat keine Feinde«. Ich bitte Euch, o König, zweifelt nicht daran.«

6. Mildes Regiment ist wie Regen auf dürres Land

Mong Dsï trat vor den König Siang Siang war der Sohn und Nachfolger des Königs Hui von We. Das Gespräch fiel in das Jahr 319. Mong war so enttäuscht, daß er unmittelbar darauf We verließ und nach Tsi ging. von Liang.

Als er herauskam, sagte er zu den Leuten: »Ich blickte nach ihm: er sah nicht aus wie ein Fürst. Ich nahte mich ihm: aber ich entdeckte nichts Ehrfurchtgebietendes an ihm. Unvermittelt fragte er: ›Wie kann die Welt gefestigt werden?‹

›Sie wird gefestigt durch Einigung‹, erwiderte ich.

›Wer kann sie einigen?‹

›Wer keine Lust hat am Menschenmord, der kann sie einigen,‹ erwiderte ich.

›Wer kann da mittun?‹

Ich erwiderte: ›Es gibt niemand auf der Welt, der nicht mittun würde. Habt Ihr, o König, schon das sprossende Korn beobachtet? Im Hochsommer Wörtlich: im siebten und achten Monat. Die Zeitrechnung der Dschoudynastie begann das Jahr nach dem Wintersolstiz. Siebter und achter Monat sind daher etwa Juni und Juli, der Anfang der »Regenzeit« für Nordchina. Sie entsprechen dem heutigen fünften und sechsten Monat in China., wenn es trocken ist, da stehen die Saaten welk. Wenn dann am Himmel fette Wolken aufziehen und in Strömen der Regen herniederfällt, so richten sich mit Macht die Saaten wieder auf. Daß es also geschieht, wer kann es hindern? Nun gibt es heute auf der ganzen Welt unter den Hirten der Menschen keinen, der nicht Lust hätte am Menschenmord. Wenn nun einer käme, der nicht Lust hätte am Menschenmord, so würden die Leute auf der ganzen Welt alle die Hälse recken Vielleicht liegt in der Polemik des Dschuang Dsï in Buch X, 3, pag. 71 eine Beziehung auf Mong Dsï und seinen Aufenthalt in We. Vgl. die Stelle: »Heutzutage ist es soweit gekommen, daß die Leute die Hälse recken und sich auf die Zehen stellen und zueinander sprechen: An dem und dem Platz ist ein Weiser ... An all dem trägt die Schuld, daß die Fürsten in falscher Weise Erkenntnis hochschätzen.« und nach ihm ausspähen. Und wenn er wirklich also ist, so fallen die Leute ihm zu, wie das Wasser nach der Tiefe zufließt, in Strömen. Wer kann es hindern?‹«

7. Der Opferstier und die Weltherrschaft

König Süan Es wird von manchen Kommentatoren angenommen, daß Mong Dsï erst in Tsi und dann in We gewesen sei, doch läßt sich auf diese Weise die Chronologie nicht richtigstellen. In Wirklichkeit ging er von We nach Tsi (über seine Heimatstadt Dsou, wo er seine Mutter besuchte). König Süan von Tsi regierte von 320-302 v. Chr. (nicht, wie die gewöhnliche Chronologie will, 342-324). von Tsi fragte: »Kann ich etwas von den Taten der Fürsten Huan von Tsi und Wen von Dsïn Huan von Tsi (684-643) und Wen von Dsin († 628) waren die zwei berühmtesten der fünf Fürsten, die zeitweise die Hegemonie im Reich hatten (vgl. Lim Yü XIV, 16). Mong schätzt sie gering und will daher das Gespräch auf sein beliebtes Thema bringen: die Beherrschung der Welt durch wahrhaft königliche Grundsätze. zu hören bekommen?«

Mong Dsï erwiderte: »Unter den Jüngern des Meister Kung gab es keinen, der über die Taten Huans und Wens redete. Darum ist auf die Nachwelt keine Überlieferung von ihnen gekommen, und ich habe nie etwas von ihnen gehört. Wollen wir nicht statt dessen davon reden, wie man König der Welt wird?«

Der König sprach: »Welche Eigenschaften muß man haben, um König der Welt sein zu können?«

Mong Dsï sprach: »Wer sein Volk schützt, wird König der Welt: niemand kann ihn hindern.«

Der König sprach: »Ja, wäre denn ein Mann wie ich imstande, sein Volk zu schützen?«

Mong Dsï sprach: »Ja.«

Der König sprach: »Woher weißt du, daß ich dazu imstande bin?«

Mong Dsï sprach: »Ich habe von Hu Hai Hu Hai war ein Höfling aus der Umgebung des Königs. erzählen hören, der König habe einst in seinem Saal gesessen, da sei einer, der einen Ochsen führte, unten am Saal vorbeigekommen. Der König habe ihn gesehen und gefragt: ›Wohin mit dem Ochsen?‹ Man habe erwidert: ›Er soll zur Glockenweihe Neu gegossene Glocken wurden mit dem Blut eines Opfertieres bestrichen und dadurch geweiht, daß ihr Schall zum Himmel dringe (vgl. Dschou Li, Tiän Guan). geschlachtet werden.‹ Da habe der König gesagt: ›Laßt ihn laufen. Ich kann es nicht mit ansehen, wie er so ängstlich zittert, wie einer, der unschuldig zum Richtplatz geführt wird.‹ Man habe erwidert: ›Soll dann die Glockenweihe unterbleiben?‹

Der König habe gesagt: ›Sie darf nicht unterbleiben. Nehmt ein Schaf statt seiner.‹ – Ich weiß nicht, ob es so sich zugetragen hat.«

Der König sprach: »Es ist so gewesen.«

Mong Dsï sprach: »Diese Gesinnung genügt, um König der Welt zu werden. Die Leute dachten alle, es sei nur Sparsamkeit von Euch gewesen; aber ich weiß bestimmt, daß Ihr es nicht habt mit ansehen können.«

Der König sprach: »Ach, gibt es wirklich solche Leute? Allein so unbedeutend und gering mein Reich auch ist, ich brauche doch an einem Ochsen nicht zu sparen. Ich habe es wirklich nicht mit ansehen können, daß er so ängstlich zitterte, wie einer, der unschuldig zum Richtplatz geführt wird. Darum habe ich statt seiner ein Schaf nehmen lassen.«

Mong Dsï sprach: »Und doch habt Ihr nicht anders Wir haben grammatikalisch nach dem Wortlaut übersetzt. Die chinesischen Kommentare gehen von der anderen Bedeutung von i = für anders, d. h. sonderbar halten, »sich wundern« aus und konstruieren: »Wundert Euch nicht, o König, daß die Leute Euch für sparsam hielten!« Doch widerspricht dem m. E. das »wu«, das meist die Bedeutung von lateinisch »non«, nicht von »ne« hat. Auch wird der Zusammenhang klarer. gehandelt, als wenn Ihr wirklich nur so sparsam gewesen wäret, wie die Leute meinten. Ihr habt statt eines großen Tieres ein kleines nehmen lassen. Woher hätten jene es besser wissen sollen! Wenn ihr Mitleid hattet mit der Unschuld, die zum Richtplatz geführt wurde: was ist da schließlich für ein Unterschied zwischen einem Ochsen und einem Schaf?«

Der König lächelte und sprach: »Wahrhaftig! Was hab' ich nur dabei gedacht! Ohne daß es mir um den Wert zu tun gewesen wäre, habe ich doch ein Schaf statt des Ochsen nehmen lassen. Da haben die Leute ganz recht, wenn sie sagen, ich sei sparsam.«

Mong Dsï sprach: »Es tut nichts. Es war dennoch ein Zeichen von Milde. Ihr saht den Ochsen, aber hattet das Schaf nicht gesehen. Es geht dem Gebildeten mit den Tieren nun einmal so: wenn er sie lebend gesehen hat, kann er nicht zusehen, wie sie getötet werden, und wenn er sie hat schreien hören, bringt er es nicht über sich, ihr Fleisch zu essen. Das ist ja auch der Grund, warum der Gebildete sich von der Küche fernhält.«

Der König war erfreut und sprach: »Im Buch der Lieder Vgl. Schï Ging II, 4, 4 v. 4. heißt es:

›Anderer Leute Sinn
Vermag ich zu ermessen.‹

Das geht auf Euch, Meister. Obwohl es meine eigne Tat war, habe ich mich dennoch vergeblich darüber besonnen, wie ich es eigentlich gemeint habe. Ihr, Meister, sprecht es aus und habt genau meine innerste Gesinnung getroffen. Inwiefern paßt nun diese Gesinnung dazu, König der Welt zu sein?«

Mong Dsï sprach: »Wenn jemand Euch berichten würde: ›Ich besitze zwar genügend Stärke, um dreißig Zentner zu heben, aber nicht genug, um eine Feder zu heben; ich bin helläugig genug, um die Spitze eines Flaumhaars Wörtlich Herbsthaar. Gemeint ist das im Herbst wachsende Winterhaar der Tiere. Der Ausdruck kommt auch bei Dschuang Dsï vor. zu untersuchen, aber einen Heuwagen sehe ich nicht‹: würdet Ihr das hingehen lassen?«

Der König verneinte.

Mong Dsï fuhr fort: »Nun ist Eure Milde so groß, daß sie sich selbst auf Tiere erstreckt, und doch reicht ihre Wirkung nicht bis zu Eurem Volk. Wie ist denn das nur? Allein, daß jener die Feder nicht aufhebt, kommt davon, daß er seine Stärke nicht ausübt; daß der andere den Heuwagen nicht sieht, kommt daher, daß er seine Scharfsichtigkeit nicht ausübt; daß Eure Leute keines Schutzes genießen, kommt daher, daß Ihr Eure Gnade nicht ausübt. Darum, daß Ihr nicht König der Welt seid, ist Unterlassung, nicht Unfähigkeit.«

Der König sprach: »Wodurch unterscheiden sich Unterlassung und Unfähigkeit in ihrer Äußerung voneinander?«

Mong Dsï sprach: »Wenn einer den Großen Berg Der Große Berg ist der Taischan. Der Taischan ebenso wie das Nordmeer (Golf von Tschili) waren in der Nähe von Tsi. Das Beispiel scheint eine sprichwörtliche Redensart gewesen zu sein. Es kommt auch bei Mo Di vor. unter den Arm nehmen soll und damit übers Nordmeer springen und er sagt, das kann ich nicht, so ist das wirkliche Unfähigkeit; wenn aber einer sich vor Älteren verneigen Die Zeichen heißen wörtlich: »einen Zweig abbrechen«; doch ist diese Bedeutung sinnlos. Die älteren chinesischen Kommentare geben dafür teils die von uns gegebene Erklärung (dschï »Zweig« hier für dschï »Glied, Körper«, dschä »beugen«, den Körper beugen und sich verneigen). soll und er sagt, das kann ich nicht, so ist das Unterlassung, nicht Unfähigkeit. Damit, daß Ihr, o König, auf das Königtum der Welt verzichtet, seid Ihr nicht in der Lage eines Menschen, der mit dem Großen Berg unterm Arm übers Nordmeer springen soll. Damit, daß Ihr, o König, auf das Königtum der Welt verzichtet, seid Ihr in der Lage eines Menschen, der eine Verbeugung machen soll. Behandle ich meine älteren Verwandten wie es dem Alter gebührt, und lasse das auch den Alten der andern zugute kommen; behandle ich meine jüngeren Verwandten wie es der Jugend gebührt, und lasse das auch den Jungen der andern zugute kommen; so kann ich die Welt auf meiner Hand sich drehen lassen Vgl. Lun Yü III, 11..

In dem Buch der Lieder Schï Ging III, 1, 6 v. 2 bezieht sich dort auf den König Wen. heißt es:

›Sein Beispiel leitete die Gattin
Und reichte auf seine Brüder weiter,
Bis es auf Haus und Land wirkte.‹

Mit diesen Worten ist gemeint: Richte dich einfach nach deinem eignen Gefühl und tue den andern darnach. Darum: Güte, die weiter wirkt, reicht aus, die Welt zu schützen, Güte, die nicht weiter wirkt, vermag nicht einmal Weib und Kind zu schützen. Warum die Menschen der alten Zeit den andern Menschen so sehr überlegen sind, ist einzig und allein die Art, wie sie es verstanden, ihre Taten weiter wirken zu lassen. Nun ist Eure Güte groß genug, um sich selbst auf die Tiere zu erstrecken, und doch kommt ihre Wirkung nicht Euren Leuten zugute. Wie ist denn das nur?

Man bedarf einer Wage, um zu erkennen, ob etwas leicht oder schwer ist. Man bedarf eines Maßstabs, um zu erkennen, ob etwas lang oder kurz ist. So ist's mit allen Dingen und mit dem Herzen ganz besonders. Ich bitte Euch, o König, es einmal zu wägen. Panzer und Waffen zu fördern, Ritter und Knechte zu gefährden, Übelwollen Euch zuzuziehen von seiten der Mitfürsten: braucht Ihr das, um froh zu werden in Eurem Herzen?«

Der König sprach: »Nein. Wie sollte ich daran Freude haben! Das alles sind nur Mittel zur Erreichung meines höchsten Wunsches.«

Mong Dsï sprach: »Darf man hören, was Euer höchster Wunsch ist?«

Der König lächelte und sagte nichts.

Mong Dsï sprach: »Ist es etwa, daß Ihr Mangel habt an Fett und Süßigkeiten für Euern Gaumen, an leichtem und warmem Pelzwerk für Euern Leib, oder etwa daß Ihr der bunten Farben nicht genug habt, um die Augen zu ergötzen, an Klängen und Tönen nicht genug habt, um die Ohren zu erfreuen, oder habt Ihr nicht genug Knechte und Mägde, die Eurer Befehle gewärtig vor Euch stehen? Alle Eure Diener, o König, haben genug von diesen Dingen, sie Euch darzubringen; darum kann es Euch also wohl nicht zu tun sein?«

Der König sprach: »Nein, darum ist es mir nicht zu tun.«

Mong Dsï sprach: »O, dann läßt sich erraten, was Euer höchster Wunsch, o König, ist! Euer Wunsch ist es, Euer Land zu erweitern, die Fürsten von Tsin Tsin im Westen und Tschu im Süden waren die mächtigsten Staaten des damaligen China. und Tschu als Vasallen an Euren Hof zu ziehen, das Reich der Mitte zu beherrschen und die Barbarenländer rings umher in die Hand zu bekommen. Diesen Euren Wunsch erfüllen zu wollen mit den Mitteln, die Ihr anwendet, ist aber gerade so, als wollte man auf einen Baum klettern, um Fische zu suchen.«

Der König sprach: »Sollte es so schlimm sein?«

Mong Dsï sprach: »Womöglich noch schlimmer! Klettert man auf einen Baum, um Fische zu suchen, so findet man wohl keine Fische, aber es hat weiter keine üblen Folgen. Aber diesen Euren Wunsch erfüllen zu wollen mit den Mitteln, die Ihr anwendet, das führt, wenn es mit vollem Ernst geschieht, sicher zu üblen Folgen.«

Der König sprach: »Laßt hören!«

Mong Dsï sprach: »Wenn der Kleinstaat Dsou Dsou, die Heimat des Mong, war ein Miniaturstaat in der Nähe von Lu. Heute ist es ein Kreis von Schantung. mit der Großmacht Tschu Krieg führt: Wer, denkt Ihr, wird gewinnen?«

Der König sprach: »Tschu wird gewinnen.«

Mong Dsï sprach: »So steht es also fest, daß der Kleine nicht den Großen angreifen darf, daß die Minderzahl nicht die Mehrzahl angreifen darf, daß der Schwache nicht den Starken angreifen darf. Nun ist das ganze Land innerhalb der vier Meere tausend Geviertmeilen groß, und dem Staate Tsi gehört der neunte Teil. Mit einem Neuntel die übrigen acht unterwerfen zu wollen, wodurch unterscheidet sich das von dem Unterfangen des Kleinstaats Dsou, der die Großmacht Tschu bekämpfen wollte? Wäre es nicht besser, zur wahren Wurzel zurückzukehren? Wenn Ihr, o König, bei der Ausübung der Regierung Milde walten laßt, so daß alle Beamten auf Erden an Eurem Hofe Dienst zu tun begehren, alle Bauern in Euren Ländern zu pflügen begehren, alle Kaufleute in Euren Märkten ihre Waren zu stapeln begehren, alle Wanderer auf Euren Straßen zu gehen begehren, daß alle auf Erden, die etwas gegen ihren Herrscher haben, herbeizueilen und ihn vor Eurer Hoheit anzuklagen begehren: daß es also geschieht, wer kann es hindern?«

Der König sprach: »Ich bin zu unklar, um diesen Weg gehen zu können. Ich wünschte, daß Ihr, Meister, meinem Willen zu Hilfe kommt und mir durch Eure Belehrung Klarheit verschafft. Bin ich auch unfähig, so bitte ich doch, Ihr wollet es einmal versuchen.«

Mong Dsï sprach: »Ohne festen Lebensunterhalt dennoch ein festes Herz zu behalten, das vermag nur ein Gebildeter. Wenn das Volk keinen festen Lebensunterhalt hat, verliert es dadurch auch die Festigkeit des Herzens. Ohne Festigkeit des Herzens aber kommt es zu Zuchtlosigkeit, Gemeinheit, Schlechtigkeit und Leidenschaften aller Art. Wenn die Leute so in Sünden fallen, hinterher sie mit Strafen verfolgen, das heißt dem Volke Fallstricke stellen. Wie kann ein milder Herrscher auf dem Thron sein Volk also verstricken? Darum sorgt ein klarblickender Fürst für eine geordnete Volkswirtschaft, damit die Leute einerseits genug haben, um ihren Eltern zu dienen, und andererseits genug, um Weib und Kind zu ernähren, also daß in guten Jahren jedermann satt zu essen hat und selbst in üblen Jahren niemand Hungers zu sterben braucht. Dann mag man auch mit Ernst an die Hebung des Volkes gehen, denn es ist den Leuten leicht zu folgen. Heutzutage aber ist es so um die Volkswirtschaft bestellt, daß die Leute auf der einen Seite nicht genug haben, um ihren Eltern zu dienen, und auf der anderen Seite nicht genug, um Weib und Kinder zu ernähren. Selbst in einem guten Jahr ist jedermann in Not, und kommt ein übles Jahr, so sind die Leute nicht sicher vor dem Hungertode. Unter solchen Verhältnissen sind sie nur darauf bedacht, ihr Leben zu fristen, besorgt, es möchte ihnen nicht hinausreichen. Da haben sie wahrlich keine Muße, Ordnung und Recht zu pflegen. Wenn Ihr den Wunsch habt, o König, das durchzuführen, so kommt es nur darauf an, zur wahren Wurzel zurückzukehren Wiederholung des Schlußabschnitts von Nr. 3: »Wenn jeder Hof ...« mit einer unwesentlichen Abweichung am Schluß.


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