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Einleitung

Unter den Vertretern der Lehre des Kung Dsï ist weitaus der berühmteste Mong Ko (meist Mong Dsï = Philosoph Mong genannt, woraus in Analogie zu der latinisierten Form Konfuzius der heute in Europa übliche Name Menzius geformt wurde). Obwohl zeitlich von dem Meister entfernt, so daß er in keine persönliche Berührung mit ihm kam, hat er dessen Lehren in Zeiten des Niedergangs mit großer Energie durchgesetzt. Man kann sein Verhältnis zu Kung mit dem des Paulus zu Jesus vergleichen. In diesem Vergleich liegt zugleich eine Wertung, die von der in Europa häufig üblichen abweicht. Mong Dsï ist Epigone, aber eben deshalb geht er mehr auf Detailfragen ein als Kung Dsï. Er ist rhetorischer, dialektischer. Darum kommt er dem europäischen Geschmack in vielen Dingen näher. So kann es nicht Wunder nehmen, daß er von europäischer Seite vielfach als der Genialere betrachtet worden ist, der noch über Kung zu werten sei. Der englische Missionar Legge, der die Worte des Mong Dsï mit vielem Fleiß ins Englische übersetzt hat, gibt dieser Stimmung mit unübertrefflicher Naivität Ausdruck, indem er Mong Dsï für bewundernswerter als Kung Dsï erklärt – freilich um dann nachträglich ein Stück der Bewunderung nach dem andern wieder abzutragen. Der chinesische Vergleich trifft wohl dem Wesen nach eher das Richtige, der Kung Dsï dem milden, unauffälligen, erst eingehender Betrachtung sich offenbarenden Glanz des Nephrits vergleicht, während Mong Dsï dem klar-durchsichtigen Bergkristall entspreche.

Mong Dsï war der Sohn seiner Zeit. Ein Zeitgenosse des Dschuang Dsï, mit dem er auch an literarischem Besitz vieles gemeinsam hat, hat er auf anderen Wegen als jener weltflüchtige Mystiker nach Rettung für die Menschheit gesucht. Während Dschuang Dsï diese Rettung in gänzlichem Verzicht auf die Kultur sieht, sucht Mong Dsï sie in der Reform und der Wiederherstellung der echten Kultur, wie sie durch Kungs Arbeiten aus dem Altertum gerettet war. In diesem Streben übernahm er den von Kung geschaffenen Beruf des Lehrers der Fürsten. Aber die Zeiten waren inzwischen andere geworden. So machte sich auch in des Mong Dsï Handlungsweise eine Änderung nötig.

Zu Kungs Zeiten waren die staatlichen Verhältnisse noch so weit in Ordnung, daß jedermann ohne weiteres sein geregeltes Einkommen hatte. Obwohl daher Kung auf seinen Wanderungen manche Schwierigkeiten und Nöte zu bestehen hatte, war die Frage seines Lebensunterhalts nie in die Erscheinung getreten. Er hatte sein gesichertes Einkommen, von dem er und seine Schüler lebten. Das war später anders geworden. Der Privatbesitz hatte sich mehr entwickelt. Nur die Beamten und die Untertanen der einzelnen Staaten hatten mehr oder weniger feste Einkünfte. Der freie Beruf des Lehrers der Fürsten, dem Mong Dsï ebenso wie viele sophistische Zeitgenossen huldigte, war auf Gaben und Geschenke freigebiger Mäzene unter den Fürsten angewiesen. Mong Dsï empfand diese Abhängigkeit äußerst drückend und tat, was in seinen Kräften stand, um seine Würde zu wahren und Abstand zu halten von den Wanderphilosophen, die gegen Geld die Höfe zu unterhalten wußten.

Aus diesen Verhältnissen erklärt sich manche herbe Seite in Mong Dsïs Wesen. Je schwieriger es war, diesen Abstand zu halten, desto mehr mußte er Äußerlichkeiten betonen, und so kam er oft in Situationen, wo sein Stolz fast die Form der Wunderlichkeit annimmt.

Ein anderer Zug hängt damit zusammen. Während Kungs ganze Art sich durch eine feine Zurückhaltung und bescheidene Güte auszeichnet, die ihn so liebenswert machen, ist Mong Dsï seiner ganzen Stellung nach auf den Kampf angewiesen. Daher das Pathetisch-rhetorische in seinen Reden, die Disputationen mit Andersdenkenden, die selbstbewußten Äußerungen, die Schärfe und Härte, mit der er seine Feinde verurteilt und brandmarkt, aber auch die durchsichtige Klarheit und Ausführlichkeit, die nichts für sich zurückbehält, sondern alles ausspricht, was zur Stützung und Darlegung der eigenen Lehren dient. Daher ferner auch die opportunistische Anpassung an die Situation, die unter Umständen die höchsten Maßstäbe aus dem Auge läßt, um das praktisch Erreichbare zu erreichen.

So ist er vernünftig und klar, dialektisch gewandt, oft nicht ohne Humor, immer bereit mit Zitaten aus der »heiligen Schrift«, mit Gleichnissen und erläuternden Geschichten, so daß man – das Interesse für seine Probleme vorausgesetzt – immer angeregt wird. Freilich die ästhetischen Höhen des Kung Dsï erreicht er dabei nicht. Während Kung nach Anhören der alten Musik so hingerissen war, daß er Essen und Trinken darüber vergaß, läßt sich Mong Dsï gelegentlich zu dem Ausspruch hinreißen, die alte und die leichte neue Musik kämen aufs gleiche hinaus; beide belebten ja die sozialen Seiten des menschlichen Gemüts. In solchen und ähnlichen Situationen hat die Philosophie des Mong Dsï etwas Robustes an sich, etwas vom gesunden Menschenverstand. Aber trotz alledem hat er sich auf moralischem Gebiet niemals eine Konzession zuschulden kommen lassen. Hier ist er echt und ganz und darf sich würdig seinem Meister zur Seite stellen.

Über sein Leben sind wir nicht so gut unterrichtet, wie über das des Kung. Die Nachrichten Über die genauere Begründung vgl. Jahrbuch für Chinaforschung Bd. 1. widersprechen sich vielfach. Was wir mit einiger Sicherheit feststellen können, ist folgendes:

Mong Dsï, mit dem Vornamen Ko, ist in dem kleinen Staate Dsou im Jahre 372 geboren. Er stammt aus dem bekannten Adelsgeschlecht Mong Sun, das zur Zeit des Kung Dsï im Staate Lu zu den drei herrschenden Familien gehörte. Das Geschlecht hatte jedoch mit der Zeit an Einfluß verloren, und es hatte sich ein Zweig der Familie in dem südlich von Lu liegenden Dsou niedergelassen. In früher Jugend schon verlor er den Vater. Doch war seine Erziehung bei seiner edlen Mutter in den denkbar besten Händen. Die Geschichten, wie sie zweimal den Wohnplatz gewechselt, um eine Umgebung zu finden, die den Spielen des Sohnes ein gutes Vorbild zeige, und wie sie das Gewebe auf dem Webstuhl zerschnitten, als ihr Junge einst in der Schule keine Fortschritte gemacht, sind in China bis auf den heutigen Tag allbekannt. Daß Mong Ko den Unterricht des Enkels von Kung, Dsï Sï, genossen, ist schon wegen des zeitlichen Abstandes ausgeschlossen. Möglich ist die Angabe Mong Dsï Wai Schu., daß er beim Sohne des Dsï Sï gelernt habe. Küfu, der Heimatort der Familie Kung, ist ja von Mongs Geburtsort Dsou nicht weit entfernt Eine Quelle weiß zu berichten, daß Mong als ganz kleiner Junge mit Dsï Sï zusammengetroffen sei, der seine Bedeutung sofort erkannt und seinen Sohn auf ihn aufmerksam gemacht habe..

In seinem Eheleben scheint er – ähnlich übrigens wie Kung Dsï – wenig gute Erfahrungen gemacht zu haben. Das geht aus der Geschichte hervor Liä Nü Dschuan., daß er einst, im Begriff in sein Zimmer zu treten, seine Frau nackt habe darin sitzen sehen. Davon war er so unangenehm berührt, daß er sich von ihr scheiden lassen wollte. Seine Mutter verstand es übrigens, die Sache wieder ins Reine zu bringen, indem sie ihm zu Gemüte führte, daß der eigentliche Fehler auf seiner Seite liege, da er – entgegen den Vorschriften guter Sitte – ohne sich vorher bemerklich zu machen, ins Haus eingetreten sei, so daß seine Frau keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen, gehabt habe.

Als er seine Ausbildung vollendet hatte, bekam er bald auch selbst Schüler. Der erste, von dem berichtet wird, ist Yo Dschong Ko, den sein neunzigjähriger Großvater ihm zusandte, damit er von den mancherlei Gaben der Jünger Kungs vielleicht das eine oder andere sich aneignen könne. Einer Überlieferung Mong Dsï Wal Schu. nach kam Mong einst mit seinen Jüngern durch Gü, wo eine Lehrhalle des Jüngers von Kung, Dsong Schen, noch zu sehen war. Er stieg empor und spielte die Zither und sang. Und seine Jünger stimmten ein, also daß die alten Leute von Gü sagten: »Schon lange haben wir nicht mehr solche Töne gehört; das ist wirklich ein Jünger des Heiligen.«

Doch war es nicht die Absicht des Mong Dsï, sich auf diese Lehrtätigkeit zu beschränken. Er fühlte vielmehr das Bedürfnis, tätig einzugreifen in den Weltlauf. Gerade da ihm sein Selbstbewußtsein Vgl. Mong Dsï II A, 14. 2, wo Mong Dsï es seinem Jünger Gung-Sun Tschou gegenüber zwar bescheiden ablehnt, als Heiliger bezeichnet zu werden – unter Berufung übrigens auf Kung, der das auch getan habe –, aber es sich energisch verbittet, mit Guan Dschung, dem berühmten Staatsmann von Tsi, auch nur verglichen zu werden. Auf die Frage, welchem der bedeutendsten Jünger Kungs er sich gleichstelle, bricht er das heikle Thema ab, ohne anzudeuten, daß er sich etwa weniger fühle als die Jünger Kungs. sagte, daß er die wichtige Aufgabe zu erfüllen habe, die Lehren seines verehrten Vorgängers Kung Dsï in die Welt einzuführen, mußte ihm besonders viel daran liegen, einen Weg zu finden, um, sei es auch nur indirekt als Ratgeber eines Fürsten, zu Macht und Einfluß zu gelangen. Er sah die Zeit für besonders günstig an, um eine neue Ordnung der Dinge durchzuführen. Die alte Dynastie der Dschou, die Kung Dsï immer noch zu stützen gesucht hatte, war unwiederbringlich zusammengebrochen. Ein neues Geschlecht mußte an ihre Stelle treten. Im Vergleich mit den Schwierigkeiten, die Wen, der Begründer des Kaiserthrons der Dschou, gehabt hatte, schien die Gründung eines neuen Reiches leicht. König Wen hatte sich der geschlossenen Macht des alten Kaiserhauses gegenüber gesehen, er selbst gestützt nur auf eine kleine, zwar wohl verwaltete, aber abgelegene und unbedeutende Hausmacht. Auf Seiten der alten Kaisermacht stand noch die Autorität bedeutender Ahnen, die noch nicht weit zurücklagen, und guter Diener, die auch dem Tyrannen Dschou-Sin noch zur Seite standen. Mong Dsï sah, daß zu seiner Zeit die Verhältnisse weit günstiger lagen. Es gab eine Reihe wohl abgerundeter, militärisch mächtiger Staaten, die eine weit bessere Unterlage für eine Universalmacht abgegeben hätten als der kleine Staat, auf den die Dschou sich einstens stützen konnten. Andererseits lag die Zentralregierung vollkommen ohnmächtig zu Boden. Keinerlei Autorität stützte sie mehr. Lange Zeit war vergangen, seit der letzte Heilige auf dem Thron ins Grab gesunken war. Was die Fürsten trieben, war seit Jahrhunderten nur Gewaltpolitik gewesen, auf Kosten der eigenen und fremden Untertanen. Da mußte es leicht sein, die alten heiligen Grundsätze, die Frieden auf Erden gaben, wieder durchzuführen. Ein Hungriger ist leicht zu sättigen. Seit langem hungerte und dürstete alles Volk auf Erden nach einem gütigen Fürsten. Trat einer auf, so mußte es den Leuten zumute sein, wie einem, der an den Fersen aufgehängt ist, wenn man ihn befreit. Alles Volk würde ihm zuströmen, niemand würde es hindern können. Es galt nur den Versuch. War erst ein Fürst gefunden, der auf seine Worte hörte, so kam alles andere mit Notwendigkeit von selbst.

So trat Mong Dsï in den zweiten Abschnitt seines Lebens ein: die Wanderzeit. Es ward ihm nicht so leicht, wie die Verhältnisse es hatten scheinen lassen. Denn woran es fehlte, das war eben ein Fürst, wie er ihn brauchte. Die Fürsten der Zeit waren alle in ganz anderen Richtungen begriffen. Wie es Sï-Ma Tsiän berichtet: der Militarismus und ein kompliziertes System von Bündnissen und Gegenbündnissen war an der Tagesordnung. Es strebten alle nach Macht. Wohl ließ man sich die Lehren des Altertums als Verzierung des Lebens gerne gefallen. Wie in der Renaissancezeit Italiens gehörte es auch damals in China mit zum notwendigen Bestand eines angesehenen Staates, daß man sich einen Stab von Gelehrten hielt, die durch ihre anregenden Gespräche, durch ihre gegenseitigen Widerlegungen und Redekämpfe, wobei es an sophistischen Wortspielereien nicht fehlte, den Hof zu unterhalten wußten. Diese Weisen zogen von Hof zu Hof, je nachdem es Zeit und Umstände günstig erscheinen ließen. Eine sehr bittere, aber anschauliche Schilderung dieser Zustände gibt Dschuang Dsï X, 3:

»Heutzutage ist es soweit gekommen, daß die Leute die Hälse recken und sich auf die Zehen stellen und zueinander sprechen: ›An dem und dem Platz ist ein Weiser.‹ Sie nehmen Reisezehrung auf den Weg und eilen hin, indem sie ihre Familien und den Dienst ihrer Herren im Stiche lassen. Fußspuren führen über die Grenzen der verschiedenen Länder, und Wagengeleise ziehen sich über Tausende von Meilen hin. An all dem trägt die Schuld, daß die Fürsten die Erkenntnis hochschätzen ... So geht es nun seit Anbeginn der Weltgeschichte: man vernachlässigt das einfache, arbeitsame Volk und ergötzt sich am Geschwätz unruhiger Köpfe. Man wendet sich ab vom anspruchslosen Nichthandeln und ergötzt sich an gleißenden Ideen. Durch diese Gleißnerei kommt die Welt in Unordnung.«

Es war eine Zeit von ungemein bewegtem geistigen Leben, voll von Vorurteilslosigkeit. Ungebunden von jeglicher Tradition wurden die Probleme aufgenommen und gelöst. In vieler Hinsicht findet man verwandte Züge mit der gleichzeitigen griechischen Sophistik. Aber nicht nur philosophische Spekulationen pflegten diese Wanderphilosophen, sondern man trieb auch praktische Philosophie. Man machte die Anwendung seiner Theorien auf die Regierung und die Politik. Oft glückte einem Philosophen, der den nötigen gesunden Menschenverstand hatte, ein Rat. Er wurde reich belohnt und vertauschte den Beruf des Weisen mit dem des Staatsmanns. Su Tsin und Dschang J, die beiden berühmtesten Politiker der damaligen Zeit, die Begründer der beiden großen Bündnissysteme, die wie im modernen Europa die Staaten zu einer nord-südlichen und einer ost-westlichen Gruppe zusammenschlössen, waren beide Schüler des Meisters vom Dämonental (Gui Gu Dsï), dem sie ihre Weisheit verdankten. Alles in allem wird man aber wohl sagen können, daß selten der Dilettantismus einen solchen Einfluß auf die Politik gehabt hat – zum mindesten, was den äußeren Schein betrifft – als in dem China der damaligen Zeit.

Mong Dsï war gesonnen, aktiv in diese Bewegungen einzutreten. Allerdings mit dem stolzen Selbstbewußtsein, daß er der Welt etwas anderes zu bringen habe als scharfsinnige Gedankenkunststücke. Er wollte nichts geringeres als die Wiederherstellung des alten Ideals: »Friede auf Erden« durchsetzen. Nach seiner Überzeugung war dieses Ideal ohne weiteres zu verwirklichen, wenn man die Methoden der Heiligen der Vorzeit, wie sie zuletzt Kung Dsï zusammengefaßt und begründet hatte, anzuwenden entschlossen war. Es gab daher für ihn im Prinzip keine Konzession. Den Grundsatz, einen Fußbreit krumm zu machen, um hundert Fuß gerade zu machen, hat er nicht anerkannt.

Bald gab sich Gelegenheit zur Anwendung seiner Grundsätze. Im Jahre 322 nämlich hatte der König Hui von We ein Ausschreiben erlassen, das in sehr ehrerbietigen Ausdrücken und unter Verheißung großer Belohnung Weise an seinen Hof zu ziehen suchte. Der Staat We war einer der drei Staaten, in die sich der alte Staat Dsin aufgelöst hatte. Die Zersplitterung des Staates Dsin in die drei Teilstaaten Dschau, Han und We fand mit kaiserlicher Genehmigung im Jahre 403 statt. Damit begann eine neue Periode in der chinesischen Geschichte, die Zeit der streitenden Reiche, die bekanntlich mit der Aufsaugung der übrigen durch den halbbarbarischen Staat Tsin endigte. In jener Kampfzeit hatte der Staat We, nach seiner Hauptstadt auch Liang genannt, viel zu leiden. Unter dem Fürsten Hui, der nach Vereinbarung mit dem Staate Tsi den Königstitel angenommen hatte, erlitt der Staat mehrere große Niederlagen, bei denen der Kronprinz in Gefangenschaft geriet, der Feldherr getötet wurde und große Gebiete abgetrennt wurden. Das war der Grund für jenes Ausschreiben des Königs, dem außer Mong Dsï auch noch einige andere Philosophen folgten. Die Gespräche, die Mong Dsï mit dem König, dem guter Rat teuer war, geführt hat, sind im ersten Buch der Werke des Mong Dsï reproduziert. Andere Quellen geben eine zum Teil abweichende Darstellung. So wird zum Beispiel von einer Seite Sin Lun. Das ist textkritisch von Bedeutung, weil die drei Kapitel I B 13. 14. 15 bei Mong Dsï den Zusammenhang unterbrechen. Das Wahrscheinlichste ist, daß Kap. 15 sich ursprünglich auf Liang bezog – die Einleitung ist im jetzigen Zustand nichtssagend – während 13 und 14, auf Tong bezüglich, ursprünglich an anderem Platze (Buch III) standen. Die Ähnlichkeit mit Kap. 15 hat dann einerseits veranlaßt, daß dieses auch den Unterredungen mit Wen von Tong zugewiesen wurde, und andererseits, daß Kap. 13 und 14 mit ihm zusammengestellt wurden, wobei dann die drei so verbundenen Kapitel an den Schluß von I B zwischen die Erlebnisse in Dsou und Lu gestellt wurden. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß das Beispiel des großen Königs, der vor den Barbaren wich, auf die Situation besonders gut paßte. der Inhalt der Gespräche, die nach Mong Dsï I B, 15 mit dem Fürsten Wen von Tong geführt worden sind, ebenfalls als auf den König Hui bezüglich erwähnt. Als er nämlich gefragt habe, was sich tun lasse, da Tsin große Gebiete von We annektiert habe, da habe Mong Dsï erwidert: »Als der große König in Bin wohnte, haben ihn die Di-Barbaren angegriffen. Er brachte ihnen Tribut von Edelsteinen und Seidenstoffen dar, aber es half nichts. Der große König wollte nicht seine Leute zu Schaden kommen lassen, darum verließ er Bin und siedelte sich am Fuß des Berges Gi an. Wollt Ihr, o König, nicht auch Liang verlassen.« Der König Hui war über diese Antwort mißvergnügt.

Kein Wunder, daß der König Hui nichts mit den Ratschlägen des Mong Dsï anzufangen wußte. Das war es nicht, was er gewollt hatte. So gibt er ihm denn mehrfache Gelegenheit, seine Meinung auszusprechen, was dieser denn auch mit aller Schärfe tat. Aber es kam zu keinem Erfolg dieser Reden. Kurz darauf starb der König Hui. Sein Nachfolger Siang war, wie Mong Dsï sich bald überzeugen mußte, nicht von der Art, daß sich etwas von ihm erhoffen ließ. Mong Dsï fällte ein sehr absprechendes Urteil über ihn. Schon nach der ersten oder zweiten Nach »Wai Schu« soll Mong Dsï' noch eine zweite Audienz beim König Siang gehabt haben, in der dieser ihn über den Krieg fragte. Mong Dsï habe erwidert: »Der Krieg ist eine gefährliche Sache; davon verstehe ich nichts« und sei abgereist, ohne auf den Versuch des Königs, ihn durch einen Boten zurückholen zu lassen, weiter zu achten. – Nach Mong Dsï I A, 6 fand nur eine Audienz statt, deren Verlauf aber im wesentlichen übereinstimmend berichtet wird. Audienz gab Mong Dsï die Sache auf und zog sich aus Liang zurück. Der König Siang befürchtete, daß er ähnlich wie manche anderen Wanderphilosophen der Zeit nach einem anderen Staate gehen werde, um dem Staate Liang zu schaden. Das Beispiel des Dschang J, der von We nach Tsin übergegangen war, war noch in frischer Erinnerung. So schickte er ihm denn einen Boten nach, um ihn zurückzuhalten. Mong Dsï ließ sich jedoch von seinem Entschluß nicht abbringen: »Danket dem König in meinem Namen und saget ihm, daß ich die Freundlichkeit, die mir sein Vater erwiesen, niemals vergessen werde.« Mit diesen Worten verneigte er sich zweimal, bestieg den Reisewagen und fuhr davon Wai Schu..

Zu jener Zeit hatte der König Süan von Tsi eben die große Akademie am Dsï Men Dsï Men, wörtlich Korntor. eingerichtet, für die er aus allen Gegenden berühmte Weise zu gewinnen suchte. Dahin wandte sich Mong Dsï. Ober die Persönlichkeit des Königs Süan ist uns nicht viel bekannt. Man kann sich aber aus den Werken des Mong Dsï ein ungefähres Bild von ihm machen. Er hatte etwas Großartiges in seinem Wesen, war nicht ohne edle Regungen. Impulsive Züge eines guten Herzens finden sich bei ihm, wie die Geschichte zeigt, die Mong Dsï gelegentlich erwähnt Buch I A, 7., daß er Mitleid gehabt habe mit einem Ochsen, der zum Opfern geführt wurde. Auch die Vorliebe für die Gelehrten, die er mit wahrhaft mediceischer Freigebigkeit in die Tat umsetzte, zeigt das Vorhandensein eines Strebens nach Höherem; auch wird man sagen dürfen, daß er Mong Dsï während der ganzen Zeit von dessen Anwesenheit in Tsi durchaus liberal behandelt hat. Dennoch war er zu sehr in den Traditionen seines Hauses, das die Herrschaft durch Usurpation errungen hatte, befangen, als daß er weitergehende Gesichtspunkte höherer Art gehabt hätte. Seine Ideale beschränkten sich darauf, es den berühmten Fürsten der letzten Jahrhunderte, einem Huan von Tsi oder Wen von Dsin, gleichzutun. So hatte denn Mong Dsï nicht eben die günstigste Persönlichkeit für seine Zwecke an ihm gefunden. Es wird erzählt Sün Dsï., daß er dreimal zur Audienz beim König war, ohne über Politik zu reden. Er habe geäußert, er müsse erst die falschen Meinungen des Königs durch stillen Einfluß bekämpfen. Er selbst hat bei seinem Weggang von Tsi geäußert, es sei keineswegs seine Absicht gewesen, so lange da zu bleiben Mong Dsï II B, 14.. Vielmehr habe er sich nur gezwungen durch des Königs Entgegenkommen zum Bleiben entschlossen, immer bereit zu gehen, wenn es die Verhältnisse erforderten.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch persönliche Erwägungen mitsprachen, um ihn zum Bleiben in Tsi zu veranlassen. Seine Mutter, die er so sehr verehrte, war hochbetagt. So mußte es für ihn wünschenswert erscheinen, nicht allzu weit von seiner Heimat – Dsou und Tsi sind Nachbarstaaten – seiner Mutter ein gesichertes Auskommen Ob Mong Dsï in Tsi Gehalt bezog oder nicht, ist nicht ganz klar. An verschiedenen Orten finden sich Anspielungen darauf, so in Liä Nü Dschuan und Hau Schï Wai Dschuan, dem die folgenden Ausführungen entnommen sind; doch finden sich bei Mong Dsï selbst mehrere Stellen, in denen er bestreitet, Gehalt bezogen zu haben. bieten zu können. Dennoch hatte er auch für den Staat große Hoffnungen. Seinen Jüngern, die die Hoffnung aussprachen, daß, da er Einfluß in Tsi habe, wohl gar die Zeiten der berühmten Kanzler Guan Dschung, der dem Herzog Huan zur Seite stand, und Yän Ying, der dem Herzog Ging zu Kung Dsïs Zeit die Regierung führte, wiederkehren könnten, erwiderte er: »Gestützt auf Tsi die Herrschaft der Welt zu erlangen, wäre im Handumdrehen möglich.« Die Schüler fragten weiter: »Wenn es also ist, regt Euch das nicht im Innern auf?« »Nein,« sagte Mong Dsï, »seit meinem vierzigsten Jahre habe ich die Ruhe der Seele erreicht.«

Dieser Gemütsruhe bedurfte er in der Folge sehr nötig. Denn es gab manchen Konflikt bei Hofe. Eines Tages hatte er dem König Vorstellungen gemacht, worüber dieser mißvergnügt war. Seinen Jüngern gegenüber äußerte sich Mong Dsï über den Vorfall: »Wenn man heutzutage einem Fürsten Vorstellungen macht: gleich ist er mißvergnügt. Wissen diese Leute denn nicht, daß das Gute gut ist?« Der Schüler machte eine Bemerkung, worauf Mong Dsï fortfuhr: »Wenn Blitz und Donner toben, Bäume zerspellen und den ganzen Erdkreis in Schrecken versetzen, so können sie doch nicht machen, daß ein Tauber auch nur das mindeste hört; wenn Sonne und Mond scheinen und den ganzen Erdkreis erleuchten, so können sie doch nicht machen, daß ein Blinder auch nur das mindeste sieht. Diesen Tauben und Blinden gleichen unsere Fürsten von heute.«

Auch seiner Mutter gegenüber ließ er es einst merken, daß er unter den Verhältnissen litt. Als seine Mutter ihn fragte Vgl. Liä Nü Dschuan., was er habe, brach er los: »Es heißt, ein anständiger Mensch halte darauf, daß er eine seiner Würde entsprechende Stellung inne habe und nicht aus niedriger Habsucht nach Lohn geize. Nun hat man in Tsi kein Bedürfnis nach der Wahrheit, und ich möchte gehen, aber du bist alt, Mutter, so kann ich's um deinetwillen nicht. Das macht mich traurig.« Die Mutter sprach: »Die Sitte will es, daß eine Frau sich keine unbedingte Herrschaft anmaßt, sondern sich zu fügen weiß Wörtlich: »dreifache Unterordnung befolgt«, nämlich als Kind unter die Eltern, verheiratet unter den Gatten, als Witwe unter den Sohn.. Du bist erwachsen, ich bin alt. Tu du, was deine Pflicht ist; ich werde tun, was die Sitte von mir verlangt. Warum traurig sein?«

Noch ehe aber Mong Dsï zu einem Entschluß gekommen war, starb die Mutter. Mong Dsï war untröstlich. Drei Tage lang nahm er nichts zu sich und weinte ununterbrochen. Seine Jünger redeten ihm zu: »Seit alters ist es üblich, daß man mit fünfzig Jahren bei der Trauer auf seine Gesundheit acht hat.« »Was redet ihr von fünfzig Jahren,« fuhr Mong Dsï auf, »meine Mutter ist tot, und ich fühle mich verwaist wie ein Kind.«

Diese aufrichtige Trauer scheint übrigens auf weite Kreise ihres Eindrucks nicht verfehlt zu haben. Ein Anhänger des Mo Di, jenes nüchternen Philanthropen, kam, um sein Beileid zu bezeigen Als er den Mong Dsï in Tränen aufgelöst sah, da nahm er sich's zu Herzen: »Nun weiß ich erst, wie die Art der Heiligen ist.« Er wandte sich von der Schule des Mo Di ab und trat zu der Gemeinde des Kung Dsï über Mong Dsï Wai Schu..

Da die Familie Mong ursprünglich ihren Heimatsitz im Staate Lu hatte, wo auch wohl noch das Erbbegräbnis lag, so begab sich Mong Dsï zur Bestattung seiner Mutter nach diesem Staate. Unter Beihilfe seiner Jünger vollzog er alle Beerdigungsgebräuche mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, ohne Mühe und Kosten zu scheuen. Nach altem Brauche blieb er drei Jahre lang allen Geschäften fern, am Grabe der Mutter der Trauer pflegend. Gegen Ende dieser Zeit, im Jahr 314, kam in Lu ein neuer Fürst auf den Thron, der unter dem Namen Ping bekannt ist. Es scheint, daß es dem Schüler Yo Dschong Ko gelang, eine einflußreiche Stellung bei Hofe zu bekommen. Mong Dsï scheint große Hoffnungen auf dieses Ereignis gesetzt zu haben Buch VI B, 13.. Er konnte vor Freude nicht schlafen, als er die Nachricht hörte. Und in der Tat bemühte sich Yo Dschong Ko auch, den Fürsten von Lu mit Mong Dsï zusammenzubringen. Er redete mit dem Fürsten über Mong Dsï, daß er von sich aus Vgl. Kuang Wen Süan. Dieser Ausdruck fällt gegen eine Unterweisung des Mong Dsï durch Dsï Sï ins Gewicht. sich dem Einfluß des Konfuzius geöffnet habe, so daß er Geisteskraft besitze, um den Zeitgenossen zu helfen, die Bürger zu fördern, und Methoden habe, um die Regierung der Staaten sittlich zu gestalten. Der Fürst ließ sich daraufhin bereit finden, Mong Dsï einen Besuch zu machen. Doch erhoben sich dagegen die niederen Kreaturen, die für ihre Existenz befürchteten, wenn der Fürst sich dem Ernst des Lebens zuwenden würde. Ein Günstling namens Dsang Tsang Mong Dsï I B, 14. wußte die Sache zu hintertreiben. Er redete dem Fürsten vor, daß Mong Dsï seine Mutter viel prächtiger bestattet habe als seinen Vater, und der Fürst ließ sich durch Ihn bestimmen, von dem Besuch bei Mong Dsï abzusehen. Natürlich war es nicht das Gewicht der vorgebrachten Gründe, die an sich sehr fadenscheinig waren, das den Fürsten bestimmte. Viel eher eine Art Beschämung. Der Fürst hatte unter Einwirkung des Yo Dschong Ko halb heimlich einer edlen Regung nachgegeben. Ohne jemand etwas zu sagen, wollte er den Weisen aufsuchen. Da sah er sich nun ertappt von dem Genossen seiner Laster, und dessen Einfluß gewinnt wieder die Oberhand über den sinnlichen Fürsten. Mong Dsï aber sieht in dem Vorfall nicht das kleinliche Spiel von Zufällen, sondern den Willen Gottes. So verläßt er Lu, abermals um eine Hoffnung ärmer.

Neunundfünfzig Jahre alt war er inzwischen geworden, als er seine Schritte nach dem Staate Tsi zurücklenkte. Der König Süan kam ihm abermals sehr freundlich entgegen. Mong Dsï wurde zum Königlichen Ratgeber Die Stelle hatte den Rang eines Ministerialpostens, doch ohne Einfluß auf die Staatsgeschäfte. Es war mehr ein Ehrentitel, verbunden mit einem entsprechenden Einkommen. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß Mong Dsï die Stelle schon bei seinem ersten Aufenthalt in Tsi inne hatte. ernannt. Gerade um jene Zeit waren in Yän, dem nördlichen Nachbarstaat von Tsi, in der heutigen Provinz Tschïli, Unruhen ausgebrochen. Der dortige Fürst, ein törichter Schwächling, war mit seinem Sohne, dem Thronfolger, zerfallen und in die Hände seines Kanzlers geraten, der die Schwäche seines Herrn ausnützte, um ihm die Zügel aus den Händen zu nehmen. Er ließ durch befreundete Wanderlehrer dem Fürsten zureden, daß er das Beispiel der alten heiligen Herrscher befolge, wenn er unter Übergehung seines Erben sein Reich dem Würdigsten, dem Kanzler abtrete. Die Folge dieser Torheit auf der einen und Gemeinheit auf der andern Seite war gänzliche Verwirrung der öffentlichen Verhältnisse.

Der König von Tsi hielt den Zeitpunkt zum Eingreifen in die Angelegenheiten des nördlichen Nachbarstaates für geeignet. Unter der Hand ließ er auch den Mong Dsï um seine Meinung in der Sache fragen. Dieser redete unbedenklich zu: der König von Yän sowohl wie der Minister Dsï Dschï hätten ihre Kompetenzen überschritten bei dieser gesetzwidrigen Übertragung der Staatsgewalt Das Beispiel des heiligen Yau war insofern nicht anwendbar, als der Staat Yän Lehensstaat war, sein Fürst also de jure nicht das souveräne Verfügungsrecht besaß. Außerdem hatten die Heiligen der Vorzeit das Reich »dem Würdigsten« hinterlassen, weil ihre Söhne nicht die Zuneigung des Volkes hatten. Das Gegenteil davon war in Yän der Fall.. Darauf wurde eine kriegerische Aktion eingeleitet. Die Truppen des Königs von Tsi fanden keinerlei nennenswerten Widerstand, so daß in ganz kurzem der König von Tsi im Besitz des Landes war, dessen König und Minister beide Vgl. Dschan Guo Dse. bei dieser Invasion ums Leben kamen.

Abermals zog der König Süan den Mong Dsï zu Rate, als es sich nun um die Frage handelte, ob Yän von Tsi annektiert werden solle. Mong Dsï macht die Entscheidung von der Volksstimmung in Yän abhängig. Das Altertum biete Beispiele für die entgegengesetzten Entschließungen, je nach der in der Bevölkerung vorhandenen Gesinnung. Habe der König das Volk von Yän bei einer Annexion auf seiner Seite, so könne er sie unbedingt wagen. Andernfalls sei davon abzuraten. Der König entschloß sich für die Annexion, und zwar ging es dabei, wie es scheint, nicht ganz ohne Härten ab. Namentlich scheinen die heiligen Geräte auch weggeführt worden zu sein, so daß Yän auch äußerlich in direkte Abhängigkeit von Tsi geriet. Diese Vergrößerung eines einzelnen Staates auf Kosten des Bestandes eines der alten Lehensreiche konnten die übrigen Staaten nicht ohne weiteres mit ansehen. Dschau, Tschu und We machten Miene zugunsten des Staates Yän einzuschreiten. Für Mong Dsï war die Lage inzwischen vollkommen klar geworden. Er riet dringend, die Annexion wieder rückgängig zu machen und in Übereinstimmung mit den Leuten von Yän ihnen einen Fürsten zu setzen. Das sei der einzige Weg, Yän als befreundeten Grenzstaat zu bewahren und kriegerische Verwicklungen größeren Stils zu vermeiden.

Der König konnte sich hierzu nicht entschließen. Die Verwicklungen zogen sich in die Länge, bis nach zwei Jahren in Yän eine Volkserhebung stattfand, in deren Verlauf der Sohn des umgekommenen Fürsten auf den Thron erhoben wurde. Tsi mußte nun der Sache, so unliebsam es war, den Lauf lassen, da ein energisches Eingreifen bei der feindlichen Haltung der Nachbarstaaten ausgeschlossen erscheinen mußte.

Zu spät kam der König zu der Erkenntnis, daß er besser Mong Dsïs Rat befolgt hätte. Es gewährt einen Einblick in die Art der Höflinge seiner Umgebung, wie sofort sich einer findet, der dem König durch eine sophistische Unterredung mit Mong Dsï, durch die dieser ins Unrecht gesetzt werden sollte, seine bessere Einsicht wieder verdunkelt.

Mißvergnügt weist Mong Dsï die Berufung auf den Fürsten von Dschou, das gepriesene Vorbild Kungs, der auch einmal einen politischen Mißgriff gemacht habe, zurück. Selbst wenn die Alten Fehler gemacht, so hätten sie sie zu bessern gewußt. Heutzutage aber lasse man sich gehen, ja man suche seine Fehler obenhin noch zu beschönigen. Mong Dsï erkannte, daß in dieser Umgebung seinem Einfluß dauernde Schranken gezogen sein mußten. Er beklagte sich: »Kein Wunder, daß der König nicht zur Einsicht kommt. Wenn eine Pflanze auch noch so leicht fortkommt, sie kann nicht gedeihen, wenn auf jeden Sonnentag zehn Tage Frost folgen. Ich sehe den Fürsten nur selten. Kaum bin ich weg, so drängen sich die Frostbringer herzu. Wie kann ich ihn da zum Keimen bringen!« Damit nahm er seinen Abschied. Der Fürst machte einen schwachen Versuch, ihn durch Angebot einer Sinekure zu halten, doch ließ sich Mong Dsï begreiflicherweise nicht darauf ein.

Die Erfahrung, die ihn schließlich zum Weggang aus Tsi veranlaßte, war nicht die einzige ihrer Art. Schon die ganze Zeit über hatte Mong Dsï mit Hofschranzen zu kämpfen gehabt. Namentlich einer, namens Wang Huan, ein hochmütiger und arroganter Mensch, scheint ihm sehr auf die Nerven gefallen zu sein, um so mehr, als er amtlich ziemlich viel mit ihm zu tun hatte. Die Stellen in Mong Dsïs Werken, die von ihm handeln – offenbar konnte Mong Dsï die gemachten Erfahrungen auch später noch nicht vergessen – zeigen auf Seiten des Weisen gegenüber dem Minister nur das eben noch zulässige Mindestmaß von Wohlwollen. Zum Abschiedsmahl gab es noch einen Zusammenstoß zwischen den beiden. Der Minister trinkt ihm zu und verlangt ein Abschiedsgedicht von ihm – offenbar ein Akt schlecht verhehlten Hohnes. Mong Dsï zahlt ihm heim mit einem Zitat aus den Gesprächen Kungs, wo dieser sich über den Verkehr mit einem minderwertigen Menschen mit den Worten rechtfertigt: »Heißt es nicht: Was wirklich fest ist, mag gerieben werden, ohne daß es abgenutzt wird? Heißt es nicht: Was wirklich weiß ist, mag angeschwärzt werden, ohne daß es dunkel wird?«

Der Abschied fiel ihm indessen nicht leicht. Er war sich bewußt, daß trotz aller Enttäuschungen, die er in Tsi erlebt hatte, hier noch immer der Platz war, wo am ehesten Hoffnung vorhanden war, seine Gedanken zu verwirklichen. Am Grenzort blieb er dreimal über Nacht, immer in der stillen Hoffnung, der König werde in sich gehen und ihm auf eine befriedigende Weise die Rückkehr ermöglichen. Er äußert zwar einem Jünger gegenüber, der ihn fragt, warum er so lange in Tsi geblieben sei, daß dieser lange Aufenthalt wider seine eigentliche Absicht zustande gekommen sei, worauf der Schüler erwidert, es sei verständlich, daß der Meister sich in Tsi nicht wohl gefühlt habe, denn der Fürst habe sich zwar den Anschein zu geben gewußt, als sei er dem Guten zugetan, ohne doch innerlich eine entsprechende Stellung einzunehmen.

Endlich sieht Mong Dsï, daß keine Aussicht auf Rückkehr mehr vorhanden ist, und nun verläßt er das Land, nicht ohne Äußerungen herber Verbitterung darüber, daß es dem Himmel noch nicht gefallen habe, die Ordnung auf Erden herstellen zu lassen.

In Tsi gingen die Dinge, wie es vorauszusehen war. Der alte König Süan starb noch im selben Jahr, in dem Mong Dsï das Land verließ. Unter seinem Nachfolger mehrten sich die Wirren, und nach manchen Wechselfällen ging er elend zugrunde In jenen Wirren spielte die Stadt Tsimo, die zu dem Staate Tsi gehörte, eine bedeutende Rolle. Sie war eine der zwei Städte, die allein den Feinden zu trotzen vermochten..

Mong Dsï wandte sich zunächst nach Sung. Dort hatte er manche Zusammenkunft mit Fachgenossen, auf die er im Sinne der höchsten Gesichtspunkte einzuwirken versuchte. Auch von Seiten der Regierung wurde er direkt und indirekt um Rat angegangen. Er verhielt sich durchaus zurückhaltend. Der Fürst hatte sich den Titel König angeeignet und machte zunächst vielversprechende Anfänge. Doch traute ihm Mong Dsï offenbar von Anfang an nicht viel Gutes zu. Er behielt mit dieser Beurteilung recht. Wie auch die römische Kaisergeschichte Fälle zeigt, so folgte auf die guten Anfänge ein um so üblerer Fortgang. Der König von Sung verfiel in Zäsarenwahnsinn und fiel als Opfer seines blindwütenden Rasens.

In Sung besuchte den Mong Dsï der Thronfolger von Tong, einem kleinen Ländchen im Inneren Chinas. Der junge Mann, der offenbar schon früher, als Mong Dsï in staatlicher Mission anläßlich eines Trauerfalls von Tsi nach Tong kam, von diesem tiefere Eindrücke erhalten hatte, machte auf einer Reise nach dem Südstaate Tschu – sowohl auf dem Hin- als auf dem Rückweg – einen Abstecher nach Sung, um den Weisen aufzusuchen. Mong Dsï ging im Lauf der Zeit in seine Heimat Dsou zurück, nicht ohne von den Fürsten von Sung und Süo Es war Tiän Ying, der damals in Süo saß. anerkennende Ehrengaben empfangen zu haben. Auch in Dsou wurde er ehrenvoll empfangen. Er hatte einige Audienzen bei seinem Landesvater, ohne daß daraus jedoch weitere Folgen entsprungen wären. Das Gebiet war allzu geringfügig, als daß selbst beim besten Willen durch bloße Tugend des Fürsten ein Weltreich daraus zu machen war. Auch nach Yän, dem nordischen Staate, bekam er einen Ruf, doch leistete er ihm keine Folge. Er trug offenbar kein Verlangen, seine in Tsi gemachten Erfahrungen durch weitere gleichartige zu vermehren vgl. Wai Schu..

Nur einmal noch ließ er sich bewegen, aus seiner Zurückgezogenheit hervorzutreten, als nämlich der Thronfolger von Tong, der ihn in Sung besucht hatte, nach dem Tode seines Vaters auf den Thron kam. Die erste Tat des neuen Fürsten Wen war es, daß er einen Vertrauten zu Mong Dsï schickte, um ihn nach den Beerdigungsgebräuchen fragen zu lassen. Und als Mong Dsï ihm Auskunft zuteil werden ließ, da ging er noch einen Schritt weiter: er setzte die Lehren des Meisters trotz dem Widerstand der routinierten Hofleute, die von solch altväterischen Gewohnheiten nichts wissen wollten, energisch durch und machte sich dadurch einen guten Namen in der ganzen Umgebung. Auf die Bitten dieses Fürsten ging Mong Dsï – wie es scheint für mehrere Jahre – nach Tong und stand ihm mit seinem Rat zur Seite. Sehr viel Wohlwollen scheinen die Höflinge dem Meister nicht entgegengebracht zu haben. Einmal muß er sich sogar gegen den Verdacht wehren, daß einer seiner Schüler einen alten Schuh gestohlen haben könnte.

Trotz dem guten Willen des Fürsten ist es aber auch in Tong zu keinem wirklichen Erfolg gekommen. Der Staat lag zu sehr eingerahmt zwischen den Großstaaten Tschu und Tsin und ihren großpolitischen Systemen. Außerdem scheint der Fürst seine Liberalität auch auf allerlei andere »Weise« ausgedehnt zu haben. Von Süden her drangen damals sehr starke barbarische Einflüsse nach China vor. Jene zynischen Philosophensekten, die unter Berufung auf den Göttlichen Landmann »Schen Nung« Rückkehr zur Natur und Einfachheit predigten, sind deutliche Zeichen der beginnenden Barbarisierung der chinesischen Gesellschaft.

Mong Dsï hat das Aufkommen solcher Sekten in Tong miterlebt und hat sich sehr scharf mit ihnen auseinandergesetzt, nicht ohne deutlichen Hinweis auf ihre kulturelle Minderwertigkeit. Auch der bekannte Freund und Gegner des Dschuang Dsï, der Sophist Hui Dsï, scheint in Tong mit Mong Dsï in Berührung gekommen zu sein. Mong Dsï war offenbar noch in Tong, als der Fürst Wen starb Vgl. Wai Schu., über dessen Beerdigung er Ratschläge erteilt. Höchstwahrscheinlich hat er sich nach dessen Tod nicht mehr länger in Tong aufgehalten, sondern ist nach Dsou zurückgekehrt, um in Gemeinschaft mit seinen Jüngern die Ergebnisse seines Lebens und seiner Arbeiten schriftlich niederzulegen.

Mong Dsï starb am Tag der Wintersonnenwende des Jahres 289. Seine Landsleute haben so um ihn getrauert, daß sie die Feier des Sonnenwendfestes darüber versäumten, eine Unterlassung, die allmählich zur Gewohnheit wurde.


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