Theodor Mommsen
Römische Geschichte
Theodor Mommsen

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7. Kapitel

Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution

Seitdem mit Pyrrhos' Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte. Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten hatte – ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben; allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, daß sie beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.

Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus – eine ebenso durch ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen weiterzugeben.

Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs, zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr 400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamenDiese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden – nach der richtigen Lesung – 900000 Köpfe gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer, die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab, ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Bürger drei Nichtbürger.. Solange bei einem solchen Verhältnis die Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte – ein Gesetz, das eine große Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eidlichDie Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll, wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich falsch, so gehe es mir übel!"

Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Überschrift 'Eid des Philippus' zu führen scheint) oder im besten Fall aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.

verpflichteten, zusammenzustehen für Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn er auch nicht zu so gefährlichen und in der Tat für einen römischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheißungen geblieben und sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen hin bedenkliche Verbindungen geknüpft worden. Jubelnd vernahm man in Italien, daß Drusus unter Zustimmung der großen Mehrheit des Senats seine ersten Anträge durchgesetzt habe; mit noch größerem Jubel feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des plötzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus' weitere Absichten sich enthüllten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das Hauptgesetz einzubringen; er mußte verschieben, mußte zögern, mußte bald zurückweichen. Man vernahm, daß die Majorität des Senats unsicher werde und von ihrem Führer abzufallen drohe; in rascher Folge lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, daß das durchgebrachte Gesetz kassiert sei, daß die Kapitalisten unumschränkter schalteten als je, daß der Tribun von Mörderhand getroffen, daß er tot sei (Herbst 663 91).

Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten – beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe –, das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor; Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben, bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses; die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia – ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht überstanden.

Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war, ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus' genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen.

Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten ausgeübten Exekutive – es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigtSelbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus. und nur die kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu überschreiten vermocht.

So begann wenige Monate nach Drusus' Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dientenDie Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo die Gallier sehr zahlreich waren., teils durch die Zuzüge der Numidier und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammenWir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemachtDaß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion nennen. und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen, einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien, Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden.

Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung; nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.

Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.

Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus' Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt und sie aufgerieben.

Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine Belagerung verwandelte.

Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte, sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.

So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte, ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan, sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius CaesarDas Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden. durchgebrachtes Gesetz verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen Herren.

So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband. Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen.

Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt. In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben; aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können, hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten Eisen geworfen. An Marius' Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im picenischen Gebiet.

So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierigSchleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwünschungen der "entlaufenen Sklaven" – demnach römische – oder mit der Aufschrift entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" – jene römische, diese italische – finden sieh von jener Zeit her noch jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli. durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.

Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.

Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur – und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung der Italia –, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die "Italia" überwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzenDieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.

Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden, lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee voraussichtlich bald geschehen konnte.

So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft machte.

Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus' Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war, trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert. Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuertDediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein. Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also, was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag, niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54).

Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87) nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden.

. Die Zurücksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die scheinheilige Fürsorge der Regierung für die unbefleckte Reinheit der Wählerschaft jedem Unbefangenen lächerlich erscheinen mußte; all jene Beschränkungen aber waren insofern gefährlich, als sie jeden Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten Forderungen der Neubürger sowohl wie der vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und mißgünstigen Konzessionen ebenso unzulänglich finden mußte wie die Neubürger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermißte sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzüglichen Männer, die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurückzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluß auch richterlicher Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als ein sehr gefährliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die Gemäßigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus unfreiwillig zurückgekommen war, mit dem Bewußtsein, neue Dienste geleistet und dafür neue schwerste Kränkungen empfangen zu haben, mit dem bitteren Gefühle, von den Feinden nicht mehr gefürchtet, sondern geringgeschätzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnährt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den Neubürgern und den Ausgeschlossenen: unfähig und unbehilflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populärer Name in der Hand eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.

Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.

Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen – eine Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch "neue Rechnungsbücher", das heißt durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter, schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.

Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000 Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären; den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten. Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten – so hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb, wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war, und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen, zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen, daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand, durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft ward – womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit, mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen, daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten Gefolge – dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Männern aus der besseren Klasse –, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward – Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt – zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution – noch eine andere Macht in Italien, die nicht übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmännische Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius' eigene Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt.

Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten – es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann – und setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei Legionen in Reih' und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es, zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der Hauptstadt.

Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten bestraft worden sind.

Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfteKlar ist es nicht, was das "Zwölftelgesetz', der Konsuln Sulla und Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr ward.; außerdem wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen konnte.

Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul, Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius' leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte, teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und die Religion.

In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte. Für Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich – ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden – für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein.


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