Theodor Mommsen
Römische Geschichte
Theodor Mommsen

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5. Kapitel

Die Völker des Nordens

Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen, die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen.

Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt wardWenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt.. Einen ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der ArvernerIn der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von Clermont., und es erscheint danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend – die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war. Flaccus' Angriff traf indes zunächst nicht auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme), ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang Calvinus' Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig Betuhus, jenes Luerius' Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer. Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben, daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestelltDie Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben muß als die gegen die Arverner allein..

Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung, die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand eine römische Ortschaft, die "Bäder des Sextius", Aquae Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes LagerAquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten – so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die Kelten gegründet, ward als "Marsstadt" römische Bürgerkolonie und der gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz Narbo.

Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen. Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.

Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1)..

Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen, gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen gewesen sein mögen"Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie "jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor Poseidonios' Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte "boische Einöde", den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten – vermutlich die tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.

Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.

Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden.

Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die TauriskerGalli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor.; er überstieg, der erste unter den Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen worden wären.

Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden BarbarenDer Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch stehende römische Besatzung erfordert.. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsendenIst Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze. Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 110-107), der die Waffen längs der MorawaDa nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. trug und die Skordisker nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der DonauVon dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen.

Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit längerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem nördlichen Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen. Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumtDenn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu entscheiden. und kann auch durch keine Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen, barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer – galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war –, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern, darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.

Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich niederlassen könnten – eine Bitte, die sich allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert. Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden, stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) den JuraDie gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7, 293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung, völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf ungefähre Richtigkeit. und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische Besatzung in Fesseln schlug.

Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren – ein erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre 649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis. Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn Mann entkommen sein – so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürztHierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.. Die neuen Werbungen stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die Pyrenäen.

Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen – nur entlud freilich über den Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645 (109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stürzen.

Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und – was seit den Krisen, in denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war – sein Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen (650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu rettenDie Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus' Antrag auf Niedersetzung einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, 30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche, sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über Saturninus' zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus übertragen worden sein.

Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.

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Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität, aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.

Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen, die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte Schanzarbeiten – insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte – die Soldaten für die ernstere Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen warenDiese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande, entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102).

So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den PoMan hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.) und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona., ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag – es war der 30. Juli 653 (101) – und das Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.

Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien – seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius' Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus' blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution?


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