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An Bord

Auf der »Dortmund«, einem der neuesten Fischdampfer der Gesellschaft »Nordsee«, herrschte eitel Freude.

Von den südisländischen Gewässern war sie soeben zurückgekehrt. Stramme Kälte hatte dort oben, Anfang Oktober, schon geherrscht; Kostproben der berüchtigten Herbststürme hatte sie genossen. Nun lief sie in den Nordenhamer Hafen ein mit der Aussicht, nach nur zweitägigem Liegen in jene anheimelnden Gewässer zurückzukehren und dort, wie alljährlich, den Kampf mit den winterlichen Orkanen und der beißenden Kälte wieder aufzunehmen. Alles um das bißchen Fisch, der ihrer Besatzung wie ihren Eigentümern das tägliche Brot schaffen muß.

Und da hieß es in Nordenham plötzlich: Die »Dortmund« geht nicht nach Island zurück, sondern nimmt die seit Juni unterbrochene Marokko-Fischerei wieder auf!

Gab das vergnügte Gesichter! Am vergnügtesten schmunzelte Kapitän Gewald (bitte, mit Ton auf der ersten Silbe! Der Brave hat mit Gewalt nichts zu tun). Die Gewässer vor Marokko kannte er seit Jahren und wußte: dort ist mancher gute Fang zu machen, wenn man's nur richtig anfängt. Dabei Aussicht auf ständig gemütliches Wetter, ohne die tollen isländischen Stürme und ohne die verd... Saukälte. – Der freundliche Leser muß nämlich nicht glauben, ein alter Seebär, wie ein Fischdampferkapitän einer sein muß, der sich vor nichts fürchtet – so ein alter Seebär liebe etwa gefährliche Wasser wie die südlich Island. Gott behüte! Der freut sich ehrlich, wenn er seinen Fisch weniger strapaziös und ohne tägliche Lebensgefahr fangen kann. Und so freute sich auch Kapitän Gewald.

Freilich, des Lebens ungemischte Freude ... usw. Das Zitat ist nicht sonderlich originell, aber hier am Platze. Wenigstens vernahm Kapitän Gewald mit recht gemischten Gefühlen, was ihm die Ehre verschaffte, nach Marokko dampfen zu dürfen.

»Also, Gewald,« – Generaldirektor Wr... klopfte ihm freundschaftlich mit beiden Pranken auf beide Schultern – »für Sie habe ich eine besondere Überraschung, eine besondere Freude! Sie kriegen einen Passagier mit! Einen Schriftsteller, der uns ein feines Buch schreiben wird, den Herrn ... (hier folgte mein bescheidener Name samt Vornamen und Titel, mit Betonung und hineingelegter Bedeutung), der ein ganz wundervolles Buch über Island ...« (es sei erlassen, den langen Vers zu zitieren, den der gute Herr Wr... seither noch jedem vordeklamiert hat, wenn auf mich die Rede kam). Und des Herrn Generaldirektors lachende Augen funkelten den Kapitän triumphierend hinter der Intelligenzbrille an.

Gewald kraute sich hinter dem Ohr.

»'n Passascheer, Herr Wr...? Un denn 'n Doktor? Denn ward dat woll so'n verdammich feinen Herrn sin, un den ward dat woll op min Schipp nich so grot gefallen ...«

Doch der Generaldirektor ließ keinen Einwand gelten, und Gewald ergab sich seufzend in sein Schicksal, so einen »feinen« Herrn mitnehmen zu müssen. Freilich hatte er auch sachliche Bedenken.

»Ober wodann is denn dat nu mit den Franzmann, Herr Wr...? Se weten doch, wo den uns op de Pell' seten hätt in 'n Juni vor Marokko! De dach jo, wi smuggelten Waffen for Abdul Krim, und hätt uns dorfor opbrocht. Wenn ick nu mit'n Passascheer kommen do, so holt he den doch bestimmt for'n Spion, un dann nimmt he uns weder mit no Mogador, un denn mutt Ehr Passascheer vollich brummen, statt dat he Böker schrieft.«

Solche Besorgnis hatte ihren guten Grund. Die »Dortmund« und zwei weitere deutsche Dampfer, die bis zum Juni vor Marokko gefischt hatten, waren vom Franzmann tatsächlich aufgebracht und nach Mogador vors Gericht geschleift worden. Die gesamte Besatzung der »Dortmund« war zu Gefängnisstrafen verurteilt worden – wegen Verletzung einer von Franzosen und Spaniern gegen alles Völkerrecht proklamierten Sechs-Meilen-Grenze (statt der international geltenden drei Meilen). Wenngleich man die Abbüßung dieser Strafen ausgesetzt, die Deutschen also wieder freigelassen hatte, so bestand für Kapitän Gewald jetzt doch Grund genug, mißtrauisch zu sein.

Das sah der Generaldirektor ein.

»Schön. Der Passagier wird also nicht als Passagier mit Ihnen fahren, sondern wir werden ihn regelrecht vor dem Seeamte anmustern. Als was aber?«

Der Kapitän lächelte sein verschmitztes Lachen.

»Stüermann oder Maschinist ward he woll nich afgeben können, un Matros' ward he nich spillen wällen. Dor möt wi woll wat anneres utfinden. Vollich so wat Kopmännisches?«

»Richtig, Gewald! Der Mann kann als Zahlmeister fahren.«

»Over ok richtig anmunstern, Herr Wr...! Mit Musterrolle und Seefohrtsbok. Un denn de ›Doktor‹, de mutt wegblieben!« ...

So ward's beschlossen. Gewald sah nun einigermaßen getröstet dem ihm aufoktroyierten Passagier entgegen.

Die Mannschaft war über den Programmwechsel, so unvermutet nach Marokko zu kommen, noch entzückter als der Kapitän. Und als die Leute hörten, es führe noch ein »Zahlmeister« mit, erklärten sie erfreut: » Den haben wir uns schon lange gewünscht! Nun gibt's hoffentlich ein bißchen mehr Zaster.« Noch erfreulicher war ihnen aber zu hören, daß dieser Zahlmeister eigentlich ein Passagier war. »Ah,« hieß es, »da kriegen wir auf dieser Reise besonders gute Verpflegung!«

Es war bei den Gemütern also einigermaßen gut vorgearbeitet, daß sie den neuen Kameraden freundlich aufnehmen würden – und das taten sie auch.

Den Kapitän traf ich am Mittag vor der Abreise am Pier und machte mich ihm bekannt. Der gute Gewald schnitt noch immer ein sauersüßes Gesicht; es versöhnte ihn aber offensichtlich, daß ich von vornherein erklärte: ich will das Leben an Bord kennenlernen und verzichte daher auf jede Extrawurst.

Bekanntschaft mit den neuen Kameraden machte ich am Nachmittage auf dem Seeamte. Dort wurden wir nämlich alle feierlich angemustert, mußten uns in die Musterrolle eintragen, erhielten die Heuerverträge vorgelesen und die Seefahrtsbücher ausgehändigt. Nun war ich also richtiggehender Zahlmeister der »Dortmund«. Bloß die Kasse fehlte – soweit nicht meine eigenen paar Kröten sie darstellen konnten.

Einiges Kopfzerbrechen verursachte mir noch die Frage, wie ich mich ausstaffieren sollte. Zur See war ich oft genug gefahren, aber doch stets als Passagier und nur auf größeren Schiffen. Passagier, wenngleich verkappter, war ich freilich auch hier, hatte also im Ernste keinen Dienst zu leisten. Für Islandreisen braucht man Ölzeug; das wußte ich. Wir aber fuhren doch in die Subtropen. Wie sollte ich also wählen? Ich hätte Kapitän Gewald fragen können, aber der hatte alle Hände voll zu tun. Sollte die »Dortmund« doch neun Monate »unten« bleiben, mußte also eine Menge Ersatzteile mitnehmen; die zusammenzusuchen erforderte Zeit und Aufmerksamkeit. Daher störte ich den guten Gewald jetzt nicht weiter, sondern verließ mich auf mein eigenes Urteil. Auf Ölzeug verzichtete ich. Hingegen kaufte ich einen kanariengelben Anzug, der als Tropenanzug gelten konnte, sich aber bei kühlem Wetter auch über jedem anderen Anzuge als eine Art Schutzfutteral tragen ließ. Er und ein Paar dreiviertelshoher Schaftstiefel mit dicken Holzsohlen, mit denen man auch mal im Wasser umherwaten konnte, bildeten die ganze Ausrüstung. Außerdem besaß ich ein kleines Reisekopfkissen. Auf guten Rat nahm ich im letzten Augenblick noch einen Strohsack und zwei Decken mit. Mit diesen Sachen (und einem Koffer, der das Nötige enthielt, um zurück richtig als Passagier reisen zu können) begab ich mich an Bord.

Da der Leser vermutlich nie auf einem Fischdampfer war, so sei ein solcher Ozeanriese hier erst einmal beschrieben, wenigsten in großen Zügen.

Wenn der Kahn so im Hafen liegt, sieht er recht stattlich aus. Gut 40 m Länge haben wohl alle neueren Fischdampfer, bei 7 bis 8 m Breite. Das Deck liegt kaum 1 m über Wasserlinie; durch die durchgehende fast 1 m hohe Reeling ragt das Schiff scheinbar höher aus dem Wasser heraus, und Aufbauten auf Deck (wie der mächtige Schornstein) täuschen eine Stattlichkeit vor, die in Wahrheit nicht besteht. Draußen auf dem unendlichen Meere sieht man dann so recht, was für ein Liliputdampfer das eigentlich ist, und als Laie und Landratte muß man sich wundern, daß diese nautischen Miniaturausgaben Stürme überstehen, tollstem Seegang standhalten, die viel größeren, aber weniger seetüchtigen Schiffen oft genug zum Verderben wurden.

Wie bei allen Hochseedampfern hat auch auf dem Fischdampfer die Maschine ihren Platz kurz hinter der Mitte gefunden, wo die Bewegungen des Schiffes bei Seegang am kleinsten sind. Die Maschine sitzt tief unten. Ihr Raum ist ein richtiger kleiner Saal, der eine stattliche Höhe aufweist, denn er ragt noch fast 1½ m über Deck hinaus. Vor dem Maschinenhaus liegt der Heizraum, von außen kenntlich durch den gut 10 m hohen Schornstein. Vor dem Schornstein hat der Heizraum einen in Deckhöhe liegenden Vorraum, der seinerseits wieder Ruder- und Kartenhaus trägt. Vor dem Vorraum steht frei an Deck die Dampfwinde. Sie blickt auf einen freien Deckplatz, der während der Zeit des Fischens dazu dient, den Fang zu waschen, zu sortieren, zu schlachten, auszunehmen. Der hohle Schiffsraum unter ihm ist die Eiskammer, wo der verkaufsfertige Fisch auf Eis gelegt wird. Das Vorderteil des Schiffes (die Back) trägt wieder einen Aufbau, 2 m hoch. In ihm finden wir das Mannschaftslogis, etwas Vorratsraum und (eine sehr wichtige Sache) backbordseits das – Pardon! – Örtchen. In puncto dieser unumgänglichen Einrichtung herrschen kommunistische Grundsätze, d. h. sie dient auch den am Heck (wie wir gleich hören werden) untergebrachten »Offizieren«. Geht die See hoch, dann ist es ein kleines Kunststück, von achter nach vorn zu kommen, und es ist wohl eben die Not, die den Menschen auf diesen schlüpfrigen Pfad treibt. Ich fand übrigens, als ich an Bord ging, noch ein besonderes Hindernis auf diesem Wege: Auf dem freien Deckplatz waren fünfzehn Tonnen Kohle aufgeschüttet. In den Bunkern hatten sie nicht mehr Platz gefunden, waren aber wegen der Länge der Reise nötig. Zum Glück genossen wir gerade in den ersten Tagen, bis dieses Hindernis verfeuert war, ruhige See, so daß ich mit dem Schrecken davonkam, den mir der Anblick dieser Kohlenbarrikade im Gedanken an tägliches, unabweisbares Hinüberklettern eingeflößt hatte. – Ist es schon ein Kunststück, bei hoher See die rettende Tür zu erreichen, so ist es ebenso schwierig, wenn man einmal Posto gefaßt hat, sich dort drinnen zu behaupten. Wie leicht einzusehen, ist der Bug der Ort, an dem Seegang am kräftigsten zu spüren ist. Bald taucht der Bug tief hinein in die aufgeregte See, daß schäumende Sturzwellen über ihn hinweggehen, bald wird man hoch emporgehoben, um nicht zu sagen: geschleudert, und man vollführt andauernd Wege im Raum, die, geometrisch genommen, ansehnliche Kreisbögen darstellen. Und dabei soll man sitzen! – Die Erfahrungen, die ich dort gesammelt habe, erstrecken sich natürlich nur über Minuten, aber sie genügten mir, die Mannschaft von Herzen zu bedauern, die nebenan in diesem Bugaufbau ihr Logis hat.

Freilich, uns »Offizieren« ging es in unserer Kajüte hinten im Heck kaum besser. So ein Fischdampfer ist ja überhaupt kein Vergnügungsboot. Er heißt ja auch Fischdampfer – und nicht etwa Menschendampfer, und so braucht sich niemand zu wundern, daß die besten Plätze auf ihm eben dem Fisch eingeräumt sind, und allem Gerät, womit man ihn fängt. Die Menschen mögen sehen, wo sie bleiben!

Siehe Bildunterschrift

Die Anlagen der Bremen-Vegesacker Fischereigesellschaft. Sie ist die größte deutsche Heringsfischerei. vorderst auf dem Bilde eine sehr wichtige Abteilung: die Faßfabrik. Neben ihr ein Stapel von mehr als 6000 neuen Fässern.

Eine Annehmlichkeit hat das Mannschaftslogis vor der Offizierskajüte voraus: es liegt an Deck. Solange der Seegang nicht gar zu toll ist, kann die Tür zu ihm geöffnet bleiben und frische Luft eingelassen werden. Das Reich der Offiziere hingegen ist regelrecht eine Gruft, hinten im Heck, unter Deck. Zwar ragt es mit einem kleinen Oberlichtaufbau etwa ½ m ins Freie. Der besitzt zwei Bullenaugen, die sich bei schönem Wetter öffnen lassen. Aber wie lange ist auf einem Fischdampfer schön Wetter? Zumal am Heck! Jeder Spritzer, der vorn über den Bug hinweggeht, klatscht hinten am Heck an Deck, und sind die Bullenaugen geöffnet, so sprüht das Naß in die Kajüte. Nun mag niemand glauben, die Offiziere wären etwa wasserscheu. Aber von Nässe hat man dort schon durch die feuchte Luft genug; daher mangelt es weder an Schimmel noch an Rost. Zweitens ist das hereinspritzende Wasser stark salzhaltig. Getränke und Eßwaren, die von ihm abbekommen, sind restlos verdorben und ungenießbar. Kein Wunder, wenn die Kajüte ängstlich gegen Wasser abgeschlossen bleibt.

Der Weg hinab ist nicht einfach. Von Deck zunächst durch eine Tür, die in die Rückfront des Maschinenhaus-Aufbaues eingeschnitten ist. Mit einer gefährlich hohen Schwelle, die richtig überklettert sein will – so hoch, auf daß nicht jede über Deck kommende Welle den Weg nach unten finde. Hinter der Tür führt ein Gang ins Maschinenhaus und zur Küche. Aus beiden schlägt dir ein feuchtheißer Brodem entgegen, der nach Maschinenöl wie nach Kohl oder Knochenfett duftet – je nachdem. Gleich zur Linken gähnt eine Treppe, unverschämt steil, eng, mit hohen Stufen. Unten angelangt, wirfst du zunächst einen Blick in ein ganz niedliches Gemach: das Reich des Herrn Ersten Maschinisten. Es sieht ganz sauber bei ihm aus: ein in die Wand gebautes Bett, Spind, Tischchen, Klappstuhl – und dies alles in nett polierten Hölzern. Eine Tür zur Linken bringt dich in die eigentliche Offizierskajüte. Im ersten Augenblick denkst du: Donnerwetter, ein sehr anständiger Raum! Da steht in der Mitte ein solider, mit Wachstuch überzogener Tisch, an drei Seiten von bequemen Holzbänken umgeben, die den Sitzen »dritter Güte« auf der Eisenbahn ähneln. Die Wand dir gegenüber (sie ist zugleich Banklehne) verrät durch flache Türen verschiedene eingebaute Spinde. Die Wände hinter den Bänken rechts und links haben in zwei Drittel ihrer Höhe Schiebetüren. Sie lassen sich seitlich weit öffnen. Schließen vier Räume ab, die für ebenso viele Offiziere die Schlafzimmer bilden, freilich, diese »Zimmer« haben eher das Format eines geräumigen Sarges; stehen läßt sich in ihnen nicht, auch sitzen nicht – nur liegen. Nach oben hin werden sie wegen der zurücktretenden Schiffsaußenwand breiter, geräumiger, und bieten Platz zum Verstauen von Gepäckstücken. Der eigentliche Kajütraum ist, gleich der des Maschinisten, getäfelt und teils poliert, teils gewachst. An der Decke hängen mehrere Glühbirnen, an der einen Wand prunkt ein ordentlicher Spiegel, und in der vierten Ecke öffnet sich dem Blick noch eine Separatstube, die ein schmales Oberlicht besitzt, ein kleines Sofa und eine richtige Waschvorrichtung. Hier haust natürlich der Kapitän. Kurz, das Ganze sieht nicht übel aus.

Siehe Bildunterschrift

Fischdampfer »Dortmund« auf dem Duoro, dicht unterhalb Oportos.
Hier wurde der unter Marokko gefangene Fisch in Lastautos übernommen und in die Stadt hinein zur Fischhalle gefahren.

Siehe Bildunterschrift

Meine Fischfang-Kameraden von »über Deck« wie »unter Deck«, samt »Ägir«, dem Schiffshund.

Aber – es sieht bloß so aus! Läßt man sich von Berufs wegen oder aus Übermut hier einsperren, nimmt man diese scheinbar »netten« Räume ernsthaft in Benutzung, dann stellen sich die Mängel schnell und fühlbar heraus. Deshalb sollen diese Mängel hier gerügt werden, laut und vernehmlich. Nicht, daß uns Schimpfen an sich Vergnügen bereitete. Aber wir hoffen, unsere gerechte Empörung wird diejenigen, die künftig einen Fischdampfer erbauen, zu etwas größerer Umsicht und Überlegung veranlassen. Die Mängel lassen sich nämlich ohne Mehrkosten beheben. Man muß nur wissen, wo sie stecken – und das weiß man erst, wenn man die Einrichtungen praktisch erprobt hat. Jeder, der Pläne für die Inneneinrichtung solcher Schiffe entwirft, sollte verpflichtet sein, selber drei Wochen auf einem Fischdampfer zu reisen. Dann wird er wissen, wo den bedauernswerten Seemann der Schuh drückt. Dann wird er spüren, daß man auf seinen Bänken nicht sitzen kann, weil sie zu hoch sind (wie die meisten Bänke in Deutschland, zumal in öffentlichen Gärten). Er wird fühlen, daß sein Tisch zu hoch ist und unten eine ganz überflüssige, unförmige Leiste trägt, an der man sich die Knie wundwetzt. Und klettert er in sein Bett, dann wird er merken, daß auch hier der Zugang durch die Schiebetür wieder viel zu hoch ist, und daß man Akrobat sein muß, um hinein zu gelangen, ohne sich, bei den meist heftigen Bewegungen des Schiffes, den Schädel einzurennen oder etliche Rippen zu brechen. Noch größere Lust aber wird ihm bereitet werden, wenn er aus seinem Bett wieder heraus will. Zuerst streckt er beide Beine ins Freie, d. h. in den Wohnraum, und schiebt mit dem Körper nach, bis er mit dem bestgepolsterten Körperteil auf den Rand zu sitzen kommt und sich aufrichten kann. Sofort nach dem Aufrichten spürt er: Verd..., die Holzleiste hier, auf der ich sitze, ist oben scharf! Jawohl, weiß Gott, sie drückt sich nachdrücklich ins Fleisch! Das tut weh. Nun will er schleunigst hinab auf die Füße kommen. Er angelt mit den Beinen nach Halt. Die Bank unter ihm ist viel zu tief. Hinabspringen? Bei der ständigen Schaukelei nicht anzuraten, denn man fliegt totsicher in irgendeine Ecke, nach der man bestimmt nicht gezielt hat. So bleibt nur übrig, mit dem Fuß auf dem Tisch (der in erster Linie tisch ist!) Halt zu suchen und sich dieser Art langsam hinabzulassen. – Auch die Inneneinrichtung des Bettsarges läßt viel zu wünschen übrig. Es gäbe da so hübsch Platz für Bretter und Kästen, in denen man dies und jenes ablegen kann, was man beim Wiederaufstehen gleich benötigt. Aber an solchen Luxus hat keiner der Herren Innenarchitekten gedacht. – Das Erbärmlichste hier unten ist, wie bereits erwähnt, die Ventilation. Nicht, daß sie etwa überhaupt nicht vorhanden wäre! So Böses darf hier nicht behauptet werden! Die Herren Schiffsbaumeister haben auch hier (wie zum Maschinenhause und in den Heizraum) für einen Windschacht gesorgt mit der bekannten Haube, die nach der Windrichtung gedreht werden kann, so daß kühle Luft hinab muß. Gewiß, die kommt auch in die Offizierskajüte. Aber nur, um schleunigst und auf geradestem Wege wieder nach oben zu entweichen. Die Herren Baumeister haben den Luftschacht (die »Winddutze«) nämlich unmittelbar neben der Tür münden lassen. Und von hier führt die Treppe nach oben und endigt in dem Gange, durch den vom Maschinenhause und von der Küche ständig warme Luft ins Freie entweicht. Es wirkt dort oben also eine Saugkraft, saugt die Luft von unten her nach oben, und was dieser Kraft am ehesten Folge leistet, ist wegen des töricht ausgesuchten Ortes der Dutze eben die frische Luft, die eigentlich unten bleiben sollte. Daß dieser Kreislauf wirklich besteht, ist von mir durch Ableuchten mit einer offenen Flamme festgestellt worden.

Verpestete Luft ist ekelhafter als Dreck, der schließlich nur auf unserer Außenseite haftet und abgewaschen werden kann. Aber Dreck in Luft-, in Gasform verleiben wir uns ein! Auf Fischdampfern sollte man erst recht auf frische, reine Luft in geschlossenen Räumen sorgen, denn hier sind immer Menschen, die schlafen und ausdünsten – und andere sollen in dieser Luft ihre Mahlzeiten einnehmen! Denke niemand, die »Leute« auf Fischdampfern seien weniger empfindlich als andere Menschen. Wir werden im Gegenteil noch hören, daß sie sich durch Sauberkeit auszeichnen.

Nach dieser Abschweifung ins Hygienische kehren wir an Deck zurück. Nun befinden wir uns am Heck. Dessen Raum ist in der Hauptsache von einer Art Podium eingenommen. Man könnte es auch eine große Bank nennen. Ihre Sitzfläche ist in ein hölzernes Gitterwerk aufgelöst. Sie heißt »die Gräting«. Mitten auf ihr liegt auf Böcken das ansehnliche Rettungsboot. Im Notfalle bietet es Raum für alle. Ausgerüstet ist es mit Schwimmwesten, Lebensmitteln und was Schiffbrüchigen nötig ist. Obgleich es nicht, wie sonst auf Seeschiffen üblich, in Davits hängt, läßt es sich binnen Sekunden außenbords bringen. So versicherte mir wenigstens der Kapitän. Hingegen würde große Mühe bereiten, es dann wieder hereinholen zu wollen. Aber das kommt nie vor. Das Boot wird ja nur in der Stunde der höchsten Gefahr ausgesetzt.

Die Fischdampfer tragen kurzen Vorder- wie Hintermast. Segel werden an denen kaum je aufgezogen. Die Masten dienen vielmehr in erster Reihe zum Tragen von Segelbäumen, an denen die Lasten mit Hilfe der Winde aufgewunden werden.

Manch aufmerksamer Leser wird jetzt gern erfahren wollen, woran man einen Fischdampfer als solchen erkennt. Ein untrügliches Kennzeichen gibt es: vier große eiserne Bügel, die senkrecht, gleich Toren, an der Reeling stehen; je ein Paar: das eine an jeder Schiffsseite kurz hinter der Back, das andere am Ende des Maschinenhauses. Die Bügel ragen wenigstens 2 m über Deck, sind also schon aus größerer Entfernung deutlich erkennbar. Ist der Dampfer unterwegs nach seinem Fangplatz, dann hängt an diesen Bügeln ein Teil des mächtigen, zu einer großen Wurst zusammengerollten Schleppnetzes.

Die in Deutschland gebauten Fischdampfer tragen noch ein Unterscheidungsmerkmal, an dem sie aus allen fremdländischen herauszuerkennen sind: auf dem Bugaufbau rechts und links kleine weiße Türme. In denen leuchten nachts das rote Backbord- und das grüne Steuerbordfeuer. Die Fischdampfer aller anderen Stationen führen diese Lichter rechts und links der Kommandobrücke, also ziemlich mittschiffs.

Ferner müssen alle Fischdampfer gewisse Buchstaben und Nummern tragen, sowohl am Bug wie auf dem Segel. Deutschland wählte das sogenannte »Zwei-Buchstaben-System«, ähnlich wie neuerdings die Bezeichnung der Kraftwagen durchgeführt worden ist. Von den beiden Buchstaben bedeutet im allgemeinen der erste das Land (oder den preußischen Regierungsbezirk), der zweite den Heimathafen. Die Nummer unterscheidet noch innerhalb der mehreren, zu demselben Heimathafen gehörenden Fischereifahrzeugen. Beispiele: HF gleich: Land Hamburg, Hafen Finkenwärder; ON gleich: Land Oldenburg, Hafen Nordenham. Die »Dortmund« ist bezeichnet: ON 86.

Erwähnen wir von unserem Dampfer noch, daß er rund 350 Brutto-Registertonnen groß ist und daß seine Maschinen 400 PS besitzen, so ist alles gesagt, was dem Leser bemerkenswert sein kann.

Dieses Schiff sowie zwölf Mann Besatzung sind dem Kapitän anvertraut. Es mag betont sein: Fischdampferkapitäne – nicht nur deutsche – sind Seeleute, die nach jeder Richtung als solche ausgelernt haben und eine vollwertige Seemannsausbildung besitzen. Navigieren müssen sie können wie ein Admiral. Ich kenne einen Fall (und er trug sich erst jüngst zu) von einem richtigen Seemannsstücklein, das dem Kapitän so leicht keiner nachmachen wird. In der nördlichen Nordsee fischte er mit seinem Dampfer. Sturm zerbrach ihm sein Ruder – so gründlich, daß jeder Versuch einer Ausbesserung mißglückte. Ersatzruder war nicht an Bord. Das Schiff war also steuerlos. Nun bedeutet solche Lage auf der Nordsee zwar keine direkte Gefahr, denn dort findet sich bald ein Dampfer, der den ruderlosen Kollegen in den nächsten Hafen schleppt. Aber kostspielig ist das: sich ins Schlepptau nehmen lassen. Der (gesetzlich bemessene) Bergelohn geht bei wertvollen Schiffen in die Zehntausende. – Die hilflose Lage des ruderlosen Schiffes wurde von anderen Fischdampfern bemerkt, und einer nach dem andern machte sich in seine Nähe in der Hoffnung, um Beistand angegangen zu werden und den fetten Bergelohn zu schnappen. Wie die Geier, die sich um ein Aas sammeln! Doch der wackere »schiffbrüchige« Kapitän ließ sich nicht anfechten. Keinen ging er um Hilfe an, sondern konstruierte sich aus einem seiner Scheerbretter (deren Aussehen und Bedeutung auf Seite 47 erklärt ist) ein Steuermittel (Ruder konnte man es nicht nennen) und brachte nicht nur fertig, auf diese Weise ohne fremde Hilfe bis an die deutsche Küste zu gelangen, sondern lief auch noch in die Weser ein und bugsierte sein Schiff bis in den Wesermünder Fischereihafen – kam also ohne richtiges Ruder über das schwierigste deutsche Wasser hinweg, das die Schiffahrt überhaupt kennt! Seiner Reederei hatte er durch dieses mutige Stücklein und dessen echt seemännische Durchführung einen Schaden von wenigstens 30 000 Mark gespart!

Blicke also niemand auf die Fischereidampfer-Kapitäne hinab, weil sie bloß »Nußschalen« kommandieren! Ihr Beruf stellt weit höhere Anforderungen an sie als an so manchen Frachtdampfer- oder auch Schnelldampferkapitän, der einfach von Hafen zu Hafen reist. Freilich: äußerlich anzusehen sind dem Kapitän des Fischdampfers Tüchtigkeit und Bildung häufig nicht. Er ist Seebär von gutem, altem Schlag, ein bissel Naturbursche, legt keinen Wert auf gerundete Formen im gesellschaftlichen Umgang (den er gern meidet). Auch trägt er keine Uniform mit gleißenden Goldtressen. An Land ist er immer in »Zivil« – und an Bord erst recht, denn dort greift er zu, wo es Arbeit gibt, ohne Angst, Stellung oder Bildung etwas zu vergeben.

Eine lustige Art der Einteilung unterscheidet auf deutschen Fischdampfern »nasse« und »trockene« Kapitäne. Kapitän Gewald gehörte zu den »trockenen«. Dies will sagen: er verschmähte Alkohol für seine Person und duldete auch nicht, daß seine Leute Schnaps und Bier in Mengen auf die Reise mitnahmen. Ein Buddel Korn oder Steinhäger oder sonst ein Feuerwasser, um über den Trennungskummer hinwegzukommen, das war erlaubt. Andere Kapitäne sollen da ein weiteres Herz haben: so 1200 Flaschen Bier für 13 Mann auf eine achtzehntägige Reise kämen wohl vor. Bei dieser Kunde braucht keiner die Nase zu rümpfen. Dienst auf einem Fischdampfer ist keine erheiternde Sache, und neigen dort Menschen dazu, ihre Stimmung mit künstlichen Mitteln zu heben, so ist das begreiflich.

Stellvertreter des Kapitäns ist der »Erste Steuermann«. Neben ihm gibt es noch einen zweiten Steuermann. Meist jüngere Leute, die noch Kapitän werden wollen. Die Mannschaft »an Deck« (zum Unterschied von dem unter Deck arbeitenden technischen Personal) besteht aus vier Matrosen und einem Schiffsjungen, der auf Fischdampfern »Bootsmann« heißt. Der älteste von ihnen ist der Netzmacher; der auf der »Dortmund« war ein solcher von Beruf. Die übrigen waren junge Leute und hatten sich von einer gewissen Abenteuerlust treiben lassen. So hatte der eine als Melker gelernt. Er erklärte mir höchst vergnügt: »Erst ein bißchen die Welt angesehen! Nachher gehe ich in meinen Beruf zurück und werde Oberschweizer!«

Auf diese Kameraden war ich etwas neugierig gewesen. Es wird jeder begreifen: mir war unbehaglich gewesen bei der für eine Landratte selbstverständlichen Erwartung, in ihnen vorzufinden, was man so wohl »rohes Volk« nennt. Die Wahrheit zwingt zu der Feststellung: alle diese Menschen waren weit entfernt von einer Verrohung, trotzdem ihr Beruf schwer und manchmal grausam ist. Samt und sonders zeigten sie sich gutmütig und bemerkenswert höflich. Vernünftige, gar anregende Unterhaltung ließ sich mit ihnen führen. Und sie waren auch nicht etwa Ausnahmen. Gewiß hängt die Güte einer Schiffsmannschaft sehr ab von Art und Charakter des Kapitäns – und mein guter Gewald steht mit Recht in dem Rufe, schlechte Elemente nicht zu dulden. Aber ganz allgemein läßt sich behaupten: wie der deutsche Fabrikarbeiter, gemessen an seinen Kollegen in anderen Ländern, an Intelligenz und Auftreten (sofern er nicht gerade aufgewiegelt ist) eine Sonderklasse bildet, so sind auch diese deutschen Seeleute sehr ordentliche Menschen, und es läßt sich gut mit ihnen umgehen. Wer anderes behaupten will, kennt »Jan Maat« nicht, oder höchstens aus den Hafenstädten. Freilich, dort kann man mit ihm sein blaues Wunder erleben, denn dort »genießt« er sein Leben, und das heißt bei ihm: sich voll und toll besaufen! Beurteilt diese Schwäche ja milde! Leute von einem Fischdampfer, die nur alle drei Wochen auf vierundzwanzig Stunden an Land kommen, haben selbstverständlich viel »nachzuholen«. Begreifen kann das überhaupt nur einer, der das Leben an Bord selber längere Zeit mitgemacht hat: diese äußerste Beschränkung im Raume, dieses Zusammengekettetsein mit Menschen, die einem, richtig gesehen, fremd sind und fremd bleiben, dieser Mangel an allem, was dem Durchschnittsmenschen das Leben behaglich macht: gemütliche Räume, eine ordnende weibliche Hand, Abwechslung in der Kost, Familienleben – aber auch tägliche Zeitung, Stammtisch, Kintopp, Musik. Dies alles entbehren müssen ist die Regel. Und dann kommen diese Männer, meist jüngere, in die mollig warmen, raffiniert abgedämpft beleuchteten Trinkstätten mit den weichen Polstermöbeln und den urgemütlichen Lehnsesseln; und ihnen, die sonst der strenge Blick des Kapitäns regiert, kommt holde Weiblichkeit hier zärtlich und anschmiegend entgegen und macht dem kindlichen »Jan Maat« glauben, er sei in Wahrheit eine höchst anziehende und begehrenswerte Persönlichkeit! Wessen Charakter ist so stark, daß diese Gegensätze ihn nicht erschüttern sollten! Wer ist so erhaben über die Genüsse dieser Welt, daß ihn nicht halbe Verzweiflung packen sollte, wenn dieses kurze Märchen so schnell enden muß und die brutale Wirklichkeit seine Rückkehr fordert! – Als wir noch Soldat waren: was dünkte uns da die einfachste Bauernstube ein Paradies, kamen wir einmal aus dem Schützengraben heraus! Und was graute uns, wenn wir nach kurzen Urlaubstagen an die Front zurück mußten! Seht, so empfindet der Mann vom Fischdampfer jedesmal, wenn er an Land kommt – nur stärker, härter, verzweifelter. Und dann besäuft er sich! Die übrige Zeit ist »Jan Maat« nüchtern und läßt sich um den Finger wickeln.

»Unter« Deck arbeiten die beiden Maschinisten und die beiden Heizer. Die Maschinisten auf Fischdampfern heißen »Meister«. Der ältere (der »Erste«) ist ein solcher zweiter Klasse und rangiert daher über dem Ersten Steuermann. Daß Maschinisten überhaupt zur Arbeiter-Aristokratie gehören, nämlich zu den Werkmeistern, wird jeder wissen. Aber auch die Heizer sind keine Kulis und Tagelöhner, wenngleich der Unkundige sie oft dafür hält. Auch Heizer müssen eine besondere technische Ausbildung durchmachen. Den meisten ist ihre Tätigkeit auch nur ein Übergang zum Berufe des Maschinisten. Wer das nicht weiß, läßt sich wohl durch das beschmutzte Äußere dieser Feuerrüpel täuschen. Die muß man sich ansehen, wenn sie dienstfrei und gewaschen sind! Aber dann hält sie der Unkundige eben nicht für Heizer. Übrigens mag an dieser Stelle gerühmt werden, wie sauber und reinlich an sich selber die ganze Besatzung war. Seine Zahnbürste besaß wohl ein jeder. Freilich, gegen den Dreck, der sich auf einem Fischdampfer entwickelt, kommt auch der größte Reinlichkeitsfanatiker nicht an. Wenn indessen die Unterscheidung richtig ist, die wir im Kriege im Schützengraben lernten, nämlich daß es »dreckigen« Dreck und auch »sauberen« Dreck gibt, so möchte ich hier feststellen: wir hatten an Bord nur »sauberen« Dreck! Bei uns war's Ruß und Kohlenstaub. Beseitigte man sie, so ergänzten sie sich im Handumdrehen. Nun läßt sich nicht vermeiden, daß einige an Bord im Dienst immer fettige, ölige Hände haben. Mit denen halten sie sich wegen des Seeganges bald hier, bald dort fest. Andere fassen naturgemäß auf dieselben Stellen und helfen so, das fettige Element samt dem Kohlenstaub, der sich dort sofort angesiedelt hatte, weiterzuverbreiten. Ich in meinem schönen kanariengelben Tropenanzug sah infolgedessen nach acht Tagen so schmierig aus, daß mich Kapitän Gewald kopfschüttelnd betrachtete und besorgt meinte: »Wenn nu de Franzmann kummt, denn gläuwt de Ihnen ower den ›Zahlmeister‹ nich mehr! Dann holt he Ihnen bestenfalls bloß for'n Heizer!«

Zwölf Köpfe der Besatzung haben wir dem Leser jetzt vorgestellt. Der dreizehnte bildet eine Klasse für sich. Das ist der Koch. In Seegeschichten spielt er meist eine humoristische Figur, wird dort als unreinlich, faul, feige hingestellt, als eine Synthese von Aschenputtel und Harlekin. Ich weiß nicht, ob Schiffsköche je solche Ferkel gewesen sind, weiß bloß, daß ich solche Geschichten als Junge mit Begeisterung verschlang und mich über all diese spitzbübischen, dreckliebenden Köche totlachen wollte. Wenn ein solcher Trottel von Koch sich auf einen deutschen Fischdampfer verirren wollte – sein Stündlein hätte gar bald geschlagen. Denn hier ist der Koch eine höchst wichtige Person. Hoch und mannigfaltig sind die Ansprüche, denen er gerecht werden muß. Peinlich sauber, pünktlich mit den Mahlzeiten fertig zu sein, das ist ihm selbstverständlich. Zumal Pünktlichkeit muß er wahren. Seemannsmägen fangen nämlich auf die Minute zu knurren an, und steht das Essen dann nicht auf dem Tisch, dann knurren nicht bloß die Mägen, auch die Mäuler! – Er muß kochen können, gut kochen: das ist ebenso selbstverständlich. Doch Kochen ist nicht das wichtigste. Aufstellung der Menüs ist viel bedeutungsvoller. Nicht nur muß der Koch verstehen, aus seinen Vorräten »etwas zu machen«; in erster Reihe muß er für Abwechslung sorgen! Da nach Beginn des Fischens täglich dreimal warm gespeist wird, ist das keine Kleinigkeit. Die Sorge für Abwechslung im Essen beginnt schon an Land: die ihm gelieferten Rohstoffe müssen entsprechend sortiert sein. Paßt er nicht auf, so hat er hinterher vielleicht für vierzehn Tage »blauen Heinrich« oder »Kälberzähne« an Bord – wo sie genau so unbeliebt sind, wie sie es schon im Felde waren.

Der Koch auf der »Dortmund« war eine Perle. Keine Perle in "" sondern wirklich eine solche. Blitzsauber! Und kochen konnte der Mann! Das heißt: auch nur solange, wie er etwas Gescheites in seinen Vorräten hatte. Im letzten Drittel der Reise gab's nämlich nur noch Salzfleisch, und aus dem kann auch der gerissenste Koch keine Wildbraten und keine Hammelkeulen machen. Den Geschmack dieses Fleisches vermag ich nicht zu beschreiben. Mir wurde schon beim ersten Bissen sterbensübel; weitere Versuche unterließ ich. Aber solange wir frisches Fleisch an Bord hatten, lebten wir wie die Grafen. Zumal erstaunlich viel Schweinebraten kam auf den Tisch. Riesengroße Portionen! Auf jeden Mann kam ein Stück, so groß wie eine geballte Faust! Rotkohl dazu fehlte nicht, und im Geschmack tadellos. Kurz, der Mann hätte in jeder Hotelküche mit Ehren bestanden. Tafel und Geschirr freilich ließen zu wünschen übrig; aber hierfür konnte der Koch nichts. Schüsseln und Teller an Bord sind Emaille, und mit solchem Gerät, wie mit Blechlöffeln, Stahlgabeln und Messern mit schwarzem Holzgriff lassen sich keine Hochzeitstafeln decken.

So, nun haben wir alle dreizehn Köpfe der Besatzung beieinander. Der vierzehnte war der »Zahlmeister« (auf Gastrolle). Doch noch ein fünfzehnter trieb sich an Bord umher. Den dürfen wir nicht übergehen: Ägir, der Schiffshund! Persönliches Eigentum des Herrn Kapitän, in den Augen seines Besitzers ein Wunder an Stammbaumreinheit. Wir anderen billigten ihm solche zu höchstens neunzig Prozent zu. Mit diesen neunzig Prozent war Ägir deutscher Schäferhund. Ein junges Tier noch, der erklärte Liebling der Besatzung. Auch er liebte alle seine zweibeinigen Kameraden stürmisch, sogar diejenigen, die ihn täglich unter die Dusche nahmen. Worüber er stets wenig begeistert war, denn die Sache ging mit dem Spritzenschlauch vor sich. Fisch fraß er für sein Leben gern. Er wußte auch ganz genau, daß diese Leckerbissen aus dem großen Wasser kommen und im Netz heraufgeholt werden. Kam beim Hieven der spannende Augenblick, da das Netz bis dicht an die Wasseroberfläche emporgezogen ist, so daß man die Größe des Fanges beurteilen kann, dann drängte sich Ägir an die Reeling, stieg hoch und schaute hinab nach der Zappelei im Netz, um sich zu überzeugen, ob der Segen groß war oder nicht. Wer's nicht glaubt, betrachte unser Bild. – Doch begnügte sich Ägir nicht mit bloßem Zuschauen. Im letzten Akt des Hievens muß das Netz mit Menschenkraft über die Reeling an Deck gezogen werden. Dann packte auch Ägir zu, biß sich im Netz fest und zog aus Leibeskräften mit. Ein Hund ist eben wie ein Kind; gleich einem solchen möchte er sich nützlich machen.

Der Zeit nach sind bei einer Fangreise drei Abschnitte zu unterscheiden: Ausreise zum Fangplatz, Tätigkeit am Fangplatz und Reise zum Orte der Fangverwertung. Während des ersten und dritten Abschnittes wird »gedampft«, im zweiten Abschnitt »gefischt«. Auf der Ausreise »dampfte« unsere »Dortmund« neun Tage und sechs Stunden von Nordenham bis zu ihrem Fangplatz, nämlich der uns Deutschen aus der jüngsten Geschichte wohlbekannten Bucht von Agadir.

Für die Mannschaft »unter Deck« gibt's während des Dampfens begreiflicherweise alle Hände voll zu tun, denn die Maschine arbeitet mit voller Kraft, muß geschmiert und betreut werden, und die Feuerung frißt entsprechend viel Kohle auf. Die Deckbesatzung hingegen hat gute Tage. Ihr einziger Dienst besteht darin, daß einer am Ruder stehen muß, immer zwei Stunden. Das geht die Reihe herum. Bei fünf Beteiligten macht das zwischen je zwei Dienstleistungen acht Stunden Ruhe. Der Dienst am Ruder ist nicht schwer, doch erfordert er Aufmerksamkeit. Nicht so einfach, wie der Unkundige wohl meint, ist es, ein Schiff in seinem Kurse zu halten. Selbst bei ruhiger See hat das Schiff die Neigung, aus dem Kurse zu fallen, und muß immer wieder ausgerichtet werden. Daher kommt es, daß kein Schiff auf See in gerader Linie fährt. Der Kurs ist eine Schlangenlinie. Deren Ausbuchtungen sind um so größer, je weniger aufmerksam der Mann am Ruder ist. Die »Dortmund« besaß die Eigentümlichkeit, gerade bei glatter See aus dem Kurse zu geraten. Schönes Wetter herrschte auf der ganzen Reise; so hatte der jeweilige Rudermann gut aufzupassen. Zeit zum »Dösen« blieb ihm nicht.

Was sonst an Bord während des Dampfens getrieben wird, läßt sich nur Beschäftigung nennen. Ein bissel Kohlenschippen, tägliches Deckwaschen (nur mit der Spritze, nicht etwa Scheuern), das war alles. Stopfen, Flicken, Zeugwaschen: das besorgte jeder für sich. Im übrigen freute sich alles des schönen Wetters wie der Wärme, die von Tag zu Tag fühlbar zunahm. Unterhaltung gewährte das Betrachten der Schiffe, die uns begegneten; mehr noch das Beobachten der Frachtdampfer, die mit der »Dortmund« gleichen Kurs liefen, von dieser aber sämtlich überholt wurden. So klein ein Fischdampfer nämlich ist: seine Maschinen sind stark und treiben ihn überraschend schnell voran.

Am zehnten Reisetage war der Fangplatz erreicht. Bei Nacht waren wir eingetroffen. Von Afrika nichts zu erblicken. Wie weit südlich wir gekommen waren, zeigte sich an den Sternbildern. Hoch im Süden – so hoch wie bei uns die Cassiopeia – funkelte der Orion auf uns herab in einer Pracht, wie ich sie zuvor weder in unseren Breiten noch in der Arktis gesehen. Allein waren wir auf weiter »Flur« (der Seemann sagt mit Vorliebe: »Kein Baum und kein Strauch zu sehen«, wenn er konstatieren will, daß der Ozean um ihn her leer von Schiffen ist). Später fanden sich mehr Fischdampfer hier ein, wie wir weiter unten hören werden. Ihre Abwesenheit zwang die »Dortmund«, in dieser Mitternacht mit einer Arbeit zu beginnen, die sich der Fischer am liebsten spart: es mußte eine Leuchtboje ausgesetzt werden. Das ist eine recht mühsame Arbeit, denn sie geht in der Hauptsache außenbords vor sich, so daß die Beteiligten bäuchlings auf der Reeling liegen und sich abzappeln müssen, bis alles in Ordnung ist. An sich ist eine Leuchtboje etwas sehr Einfaches; beschreiben wir sie von unten nach oben, so ruht auf dem Meeresgrunde (in unserem Falle 200 m tief) ein Anker, von dem eine Stahltrosse hinaufführt an die Wasseroberfläche. Hier hält sie eine leere, wasserdicht abgepichte Tonne (den »Treiber«) fest. An der Tonne mit einem anderen, vielleicht 10 m langen Seil befestigt die eigentliche Boje, birnenförmig, mit langem Stil nach oben. Dieser Stil trägt eine Fahne und eine Azetylenlampe von solcher Vorzüglichkeit, daß sie hundert Stunden brennt. Man hat die Boje nicht unmittelbar am Anker befestigt, sondern die Tonne dazwischengeschoben, damit die Boje im Wasser senkrecht steht, auch an ihr nicht von unten her gerissen wird, wie es der Tonne bei stärkerem Seegange ergeht; dies ist leicht einzusehen, denn die Stahltrosse ist eben keine Gummischnur.

Das Aussetzen der Boje mochte sich nötig, um in der Nacht fischen zu können. Die marokkanische Küste (auch die Stadt Agadir) lag wegen des Kriegszustandes in tiefster Dunkelheit. Nicht der leiseste Lichtschimmer war von dort zu sehen. Es fehlte an jedem Anhaltspunkte, nach dem wir uns während des nächtlichen Fischens hätten richten können. Zwar beobachtet der Kapitän auch während des Fischens Kompaß und Uhr und kann daher wegen der bekannten Geschwindigkeit des Schiffes wohl ungefähr den Ort bestimmen, an dem er sich in jedem Augenblick befindet; aber das erfordert eine angestrengte Aufmerksamkeit, die man sich ersparen kann, indem man sich den fehlenden Richtpunkt selber schafft. das ist eben die Leuchtboje. – Die später in dieser Gegend sich anfindenden Dampfer machte sich eine ähnliche Mühe nicht. Sie waren meist Portugiesen, der Rest Spanier, einer ein Italiener. Alle diese romanischen Herrschaften hielten es überhaupt nicht der Mühe für wert, nachts auf Fang zu gehen. Von abends neun bis früh um fünf ließen sie den lieben Gott einen guten Mann sein und zogen vor, sich auszuschlafen. Da diese Fremden bis zu zwanzig Mann an Bord hatten, hätte man annehmen sollen, die Einteilung von Nachtschichten bei ihnen ohne Umstand möglich gewesen, ganz abgesehen davon, das die Menge der zu bezahlenden Köpfe den Kapitän hätte veranlassen sollen, alle Möglichkeiten auszunützen, um einen recht großen Fang zu erzielen, eben unter Zuhilfenahme der Nachtstunden. Aber auch hier zeigte sich, was man so ziemlich in aller Welt beobachten kann, gleich, ob in England oder in den vereinigten Staaten oder auf Island oder in Skandinavien: schuften tut nur der Deutsche! Freilich, werden wir in diesem Buche noch sehen, daß der deutsche Hochseefischer schuften muß, weil sein Beruf schon durch die natürliche Lage Deutschlands gegenüber seinen Konkurrenten im Nachteil ist – wie sich dies ja bei noch vielen anderen Berufen feststellen ließe.

Immerhin war das Leben an Bord trotz der Nachtdienste für einen jeden erträglich. Das Verdienst daran trug in erster Reihe das musterhaft gute Wetter, in zweiter Linie gewisse Erleichterungen in der Arbeit gegenüber denjenigen, die bei Island oder in der Weißen See zu leisten ist. Dort müssen die Fische nämlich geschlachtet und ausgenommen werden; auch wird der Lebertran gleich an Bord gekocht, während diese mühselige Arbeit vor Marroko wegfällt. Die Unterschiede in der Behandlung des Fanges wie das Verfahren des Schleppfanges überhaupt erfährt der Leser am späterem Orte dieses Buches. Hier wollen wir nur noch das eine vorwegnehmen: zehn Tage haben wir an der Küste Südmarokkos ununterbrochen gefischt mit viermaligem Hieven innerhalb je vierundzwanzig Stunden, nämlich immer um sechs und um zwölf Uhr. Alle sechs Stunden mußte die Mannschaft also an Deck. Ausgeschlafen haben wir uns trotzdem alle.


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