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Man sollte keine Bücher schreiben.
Und schreibt man sie, so sollte man sie nicht drucken lassen.
Läßt aber einer doch so ein Buch drucken, dann hüte er sich, seinen Namen darauf zu setzen. Er hat sonst bloß Ärger davon.
Ich spreche aus Erfahrung. Hab' auch ein Buch geschrieben. Über Island. Hab's drucken lassen und mich als Autor bekannt. Was hab' ich davon? Nicht mehr blicken lassen darf ich mich in Island!
Und bin eigentlich ganz unschuldig. Habe über Island geschrieben, wie mir ums Herz (manchmal auch um die Galle) war, und habe Land und Leute so geschildert, wie ich sie gesehen habe und was ich an ihnen gesehen habe. Da es eine objektive Wahrheit nicht gibt, wollte ich wenigstens ein subjektiv wahres Buch schreiben. Es muß mir wohl sehr gelungen sein; wenigstens bin ich nun in den dritten isländischen B. V. gesteckt.
Im niederschmetternden Bewußtsein des großen Frevels, den ich mit besagtem Buche begangen, saß ich, wie es zu dieser Zeit meine Gewohnheit war, im Grand Café in Oslo und dachte nach über meiner Sünden gerüttelt Maß. Nun muß der gütige Leser, der es bisher wahrscheinlich nicht wußte, erfahren, daß dieses Grand Café in Skandinavien eine besondere Rolle spielt – etwa diejenige der Stadt Bitterfeld bei uns; in dem Sinne, in dem es seit Jahrhunderten heißt:
Trifft man sich nicht in dieser Welt,
So trifft man sich in Bitterfeld ...
Denn in Bitterfeld liefen die großen von Norden nach Leipzig führenden Landstraßen zusammen, und hier wurde manch unverhofftes Wiedersehen gefeiert, als die Kaufleute noch mit Pferd und Wagen zur Leipziger Messe strebten. Eine ähnliche Bedeutung hat das »Grand« in Oslo für die reisende Welt der Skandinavier. Hier trifft sich, was vom Norden nach Kopenhagen fährt oder über Bergen von England oder gar Amerika kommt und nach Schweden will. Neuerdings auch, was nach oder von Island unterwegs ist. Dies alles versäumt nicht, im »Grand« einen Kaffee zu genehmigen, denn das Grand ist des Nordens einziges wirkliches Kaffeehaus. Und wer überhaupt im Norden Freundschaften und Bekanntschaften unterhält, kann sicher sein, jeden zweiten Tag hier bekannte Gesichter zu finden, zum wenigsten in der Reisezeit.
Nun, Reisezeit war, als ich an jenem Abend im Grand saß, und Bekannte hatte ich auch schon eine ganze Menge im Laufe der Wochen gesehen, meist Isländer, die nicht schlecht verblüfft waren, den Schilderer ihres Landes und ihrer Sitten hier so harmlos sitzend zu finden, als könne er kein Wässerlein trüben. An diesem Abend aber war das Lokal leer. Ich kam mir recht vereinsamt vor und vertiefte mich in etliche Zeitungsartikel, die dem neuen norwegischen Nationalheros, dem Herrn Amundsen lobhudelten. So etwas kann ich nicht lange lesen. Ich unterbrach die Lektüre, ließ meine Augen im Lokal umherschweifen – und nun kam die große Überraschung, die hinterher auch eine höchst angenehme für mich werden sollte. Ich erblickte nämlich einen jungen Herrn, der langsam zwischen den Tischen schritt und offenbar jemanden suchte. Das war doch Karl-Rudolf Kuhr aus Kiel! Mit dem ich in Reykjavik manche fröhliche Stunde verbracht! Der Island kurz vor mir verlassen hatte, um nach England zu gehen! Karl-Rudolf Kuhr, der das erste Kapitel meines Island-Buches so feierlich eröffnet mit der Schilderung seiner ersten Island-Reise (die ihn aber nicht ans Ziel brachte)! Er war's! Jetzt hatte er auch mich entdeckt. Steuerte auf mich zu, begrüßte mich mit seinem unergründlichen Diplomatenlächeln.
Ich: »Herr Kuhr! Das ist ja eine Überraschung! Wo kommen Sie her?«
Und er, mit Betonung: »Aus Island!«
»So? Sind Sie wieder in Reykjavik?«
Dies war nicht der Fall. Er berichtete, er habe inzwischen seinen Doktor gebaut, eine Anstellung bei einer großen deutschen Fischereigesellschaft gefunden und sei jetzt mit seinem Generaldirektor geschäftlich in Island gewesen und augenblicklich mit diesem hohen Herrn auf der Rückreise nach Deutschland.
»Gratuliere! Das ist ja interessant und erfreulich. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen, lieber Doktor? Wir haben uns doch sicher manches zu erzählen.«
Das ließ er gelten. Doch er müsse sich erst von seinem Generaldirektor beurlauben, der drüben im Speisesaale des Grand Hotel säße. Er verschwand also.
Kaum zwei Minuten, so war er zurück. Wieder mit seinem unergründlichen Diplomatenlächeln.
»Hören Sie, Doktor Mohr, Herr Generaldirektor Wr... läßt Sie einladen, doch mit hinüberzukommen. Er möchte Sie gern kennenlernen.«
Hm. Aus dem gemütlichen Café hinüberwechseln in den steifen Speisesaal? Und sich von einem Generaldirektor einladen lassen? Ich erklärte Kuhr ganz aufrichtig: »Wissen Sie, Doktor, an Bekanntschaft mit Generaldirektoren liegt mir eigentlich verzweifelt wenig. Die sind mir im allgemeinen zu großspurig.«
Doch er beruhigte mich. »Sie – der ist gar nicht so! Im Gegenteil, ein ganz famoser, natürlicher Mensch. Und auch viel jünger als Sie!«
Schön denn! Ich ließ mich also einladen und stelzte in den Speisesaal.
Dort erhob sich bei unserem Eintritte an einem der Tische ein baumlanger Herr, Mitte der Dreißig, dem hinter seiner Intelligenzbrille ein paar helle Augen gar vergnüglich in die Welt lachten. Strahlend vor Freude kam er auf mich zu, reichte mir seine beiden Pranken zu gleicher Zeit, drückte meine Hände, daß sie schmerzten, und versicherte mir, wie er sich freue, mich kennenzulernen.
Der Mann gefiel mir und sein herzliches Wesen erst recht. Aber ich bin im Laufe eines wechselvollen Lebens einigermaßen mißtrauisch geworden. Deshalb hielt ich mich zurück. Der Herr Generaldirektor bestellte eine Pulle Sekt. An deren Vertilgung beteiligte ich mich nicht. Ich fühlte: dies alles bedeutete etwas Besonderes. Da mußte ich klaren Kopf behalten.
Als wir saßen, legte der Herr Generaldirektor los. Er habe mein Island-Buch gelesen und sei begeistert ... und noch vieles andere, was zu wiederholen gar zu unbescheiden wäre. Und mit der »München« sei er jetzt nach Reykjavik gefahren und habe sich amüsiert, wie jeder zweite Reisende an Deck mein Buch gelesen und studiert – und wie in Island alles über mich geschimpft habe und wie er bei einer Pferdereise ins Innere noch im letzten Bauernhofe gefragt worden sei, ob er denn den Doktor M. kenne, der das »schreckliche« Buch über Island geschrieben habe. Und der Herr Generaldirektor wollte sich ausschütten vor Lachen.
Dies alles klang recht schmeichelhaft. Aber klang es nicht vielleicht nur so? Der Mann kam aus Island, hatte zugestandenermaßen dort Geschäfte abgewickelt, besaß also Geschäftsfreunde dort, vielleicht gar persönliche Freunde; wollte er mich durch seine Lobreden sicher machen, mich zu Offenherzigkeiten verleiten, um sie dann brühwarm nach Island zu berichten? Das Feuer, an dem mich die Isländer so gern bei lebendigem Leibe geschmort hätten, zu schüren? Daran lag mir nichts. Also blieb ich erst recht reserviert.
Das hielt den Herrn Generaldirektor nicht ab, nun mit einer besonderen Idee herauszukommen; wie ich geahnt, bewegte ihn eine solche. Er begann also plötzlich: »Wissen Sie, Doktor, einen Mann wie Sie habe ich schon lange gesucht. – Nicht wahr, Kuhr, das habe ich gleich gesagt, als ich das Island-Buch gelesen: der Mann müßte uns mal was über die deutsche Hochseefischerei schreiben. Wissen Sie, so'n bißchen mit spitzer Feder! Solch ein Buch fehlt uns.« Und nun phantasierte er mir vor, wie das Buch beschaffen sein müßte und daß der Stoff grade mir liegen würde. Und die Quintessenz der Rede war: »Doktor, wenn Sie das Buch schreiben wollen – die Kosten der Information tragen wir. Wir zeigen Ihnen alles, Fischerei und Fischindustrie und Fischhandel. Das alles zu sehen soll Ihnen keinen Pfennig kosten.«
Der freundliche Leser mag mir aufs Wort glauben: je eifriger sich der Herr Generaldirektor in seine schönen Gedanken hineinredete, um so weniger nahm ich das Ganze für bare Münze. Gibt's doch Menschen, die beim Glase Wein großzügig werden, phantastische Pläne entwickeln, sich an ihren eigenen Worten berauschen. Am nächsten Morgen gilt das alles bloß als guter Witz. So mochte es auch hier sein.
Um nicht die Stimmung zu morden, ging ich lachend auf das Gerede ein, wie auf eine gelungene Kateridee. Mich hielte der Herr Generaldirektor für den richtigen Mann? Das könne wohl sein. Von Fischerei hätte ich ja sowieso auf meinen Reisen viel gesehen. Eine Fangreise mit einem Fischdampfer müsse ich gleichwohl mitmachen? Selbstverständlich! Wohin? Nach Island? Kenne ich zur Genüge! Nach der Weißen See? Dort bin ich eben erst gewesen. Dann nach Marokko? – Hm, Marokko ließ sich hören. Mir etwas Neues und zudem für die Jahreszeit (Herbst) anlockender als nördliche Meere. Also Marokko! Und die deutschen Fischhäfen? Werden selbstverständlich alle beaugenscheinigt!
So redeten wir (meinem Gefühl nach) wie Kinder, die sich ihre Weihnachtsbescherung ausmalen und einander in der Schilderung künftiger Freuden zu übertrumpfen suchen, trotzdem sie genau wissen, daß nicht ein Viertel der Luftschlösser Wirklichkeit wird. –
Am nächsten Morgen traf ich die Herren nochmals. Der Herr Generaldirektor schüttelte mir abermals mit Vehemenz die Flossen. »Na, haben Sie sich's überlegt?«
Und ich: »Sagen Sie, war das wirklich alles Ihr Ernst, was Sie gestern abend geredet haben?«
»Selbstverständlich! Schlagen Sie nur ein! Ich halte jedes meiner Worte.«
»Gut. Lassen Sie mir vierzehn Tage Bedenkzeit. Ich schreibe Ihnen über die Sache.«
So trennten wir uns.
*
Nach drei Wochen war ich mit mir im Reinen: du sagst zu, falls die Herren sich's nicht inzwischen anders überlegt haben sollten.
Nichts hatten sie sich anders überlegt! Dringende Aufforderung: Kommen Sie bald und richten Sie sich auf zwei Monate ein!
So sagte ich meinem lieben Norwegen Valet und schiffte mich nach Deutschland ein, als Gast der ältesten und größten deutschen Dampffischereigesellschaft, der »Nordsee« in Nordenham an der Unterweser, gegenüber der Zwillingsstadt Wesermünde-Bremerhaven. Ja, dort hielt man Wort! So märchenhaft mir die in Oslo ausgesprochene Einladung erschienen war: die Wirklichkeit war noch viel märchenhafter. Aufgenommen ward ich wie ein Preisboxer in Berlin. Wochenlang stak ich nun mitten im Leben und Treiben der deutschen Hochseefischerei, ward durch unzählige, mit dieser zusammenhängende Industrien geschleppt, mit Bahn und Auto nach allen möglichen Fischereihäfen und Fischmärkten geschafft, und reiste schließlich auf Fang mit aus – tatsächlich nach Marokko, in die subtropischen Gewässer zwischen Afrika und den Kanarischen Inseln, wo Winter (nach unseren Begriffen) unbekannt ist und auch die Dezembersonne um die Mittagszeit heiß vom Himmel brennt.
Was ich auf diesen Fahrten und Reisen sah – und manches, was ich schon früher kennenlernte –, erzählt dieses Buch.