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Anna hatte kaum die Absicht des Officiers errathen, als dieser auch schon die Stufen der nach dem Quarterdeck hinaufführenden Treppe erstieg und gleich darauf höflich grüßend vor sie hintrat.
Wenn Lieutenant Arthur durch sein ganzes Verfahren bereits sich die Achtung der beiden jungen Leute erworben hatte, so diente seine äußere Erscheinung nicht minder dazu, auf diejenigen, mit welchen er in näheren Verkehr trat, einen günstigen Eindruck auszuüben. Abgesehen von seinem schönen, ungemein kräftigen und hohen Wuchs, zeichnete er sich auch vor seinen Schiffsgenossen durch eine Haltung aus, welche, obwohl frei und ungezwungen, wie sie im Allgemeinen den Seeleuten eigentümlich, doch an militärische Straffheit erinnerte. Seine blaue Uniform war freilich abgetragen und schadhaft, der goldene Streifen an seiner Mütze fast schwarz geworden, dies beeinträchtigte indessen in keiner Weise sein Aeußeres. Im Gegentheil, man fühlte sich angeregt, aus diesen kleinen Mängeln alle die zahlreichen Stürme und Kämpfe herauszulesen, welche er auf den Seewogen mit Glück überstanden hatte.
Wie seine Uniform, trug auch sein wohlgebildetes Gesicht reiche Spuren der Einwirkung von Wetter und Beschwerden; es war stark gebräunt, ohne dadurch seine Jugendfrische eingebüßt zu haben. Dunkelblondes Lockenhaar, entsprechend den tiefblauen Augen, quoll in dichter Fülle unter der Seemannsmütze hervor, während ein röthlich schimmernder Vollbart den unteren Theil seines Gesichtes verbarg und, wenn er die Lippen öffnete, zwei Reihen weißer schöner Zähne durchblicken ließ.
Der übliche Schleppsäbel mit Korb und gelbbeschlagener Scheide hing an seiner Seite; außerdem beschwerte eine leichte Drehpistole seinen Gurt. Letztere Waffe legte er nie ab, weil unter der Bemannung des Revenger Elemente vertreten waren, welche in Disciplin zu halten, zuweilen nur unter Androhung augenblicklich zu vollziehender Todesstrafe gelang.
Als Arthur sich seinen beiden Gästen mit höflichem Gruße näherte, erhoben sich diese, und ihm die Hände reichend, luden sie ihn ein, bei ihnen Platz zu nehmen.
»Aus Ihrer gütigen Erlaubniß erwächst mir ein doppelter Genuß,« antwortete Arthur mit dem ungezwungenen Anstande eines den besten Kreisen angehörenden Mannes, indem er einen Feldsessel für sich heranzog; »einmal die Gelegenheit, mich meiner Muttersprache zu bedienen, und dann die Hoffnung, Sie über Ihre Zukunft gänzlich zu beruhigen.«
»Und dennoch werden wir gewaltsam an der Fortsetzung unserer Reise gehindert,« entgegnete Anna vorwurfsvoll, und ein Lächeln, begleitet von holdseligem Erröthen, schwächte den Vorwurf mehr ab, als sie vielleicht im Grunde beabsichtigte.
»Ich versuche es nicht, zu entschuldigen, daß Sie überhaupt an Bord des Revenger geführt wurden,« versetzte Arthur ernst, »die Fortnahme und Vernichtung des Schiffes, auf welchem Sie die Reise von Europa aus antraten, waren eben durch die herrschenden Kriegszustände geboten. Wäre der Wassernix nur Emigrantenschiff gewesen, würde niemand daran gedacht haben, seine Fahrt zu unterbrechen. Da aber die an seinem Bord befindlichen wenigen Leute nur dazu dienten, die Kriegscontrebande gewissermaßen zu decken, so konnten wir füglich nicht anders handeln. Dafür hingegen, daß Sie auch jetzt noch an der Fortsetzung Ihrer Reise gehindert werden, bin ich Ihnen natürlich noch eine Erklärung schuldig.
Wenn die armen Emigranten dort drüben scharf bewacht werden, so geschieht das nur, um einem möglichen Verrath an uns vorzubeugen. Sie fahren übrigens weit besser dabei, als wollte man sie plötzlich in einem ausgesogenen Lande ihrem Schicksal überlassen. Bei Ihnen genügt freilich das einfache Versprechen des Schweigens gegen unsere Feinde, um uns gegen nachtheilige Folgen gesichert zu wissen. Furcht vor Verrath ist es also nicht, was Ihr längeres Verweilen an Bord des Revenger bedingt; Sie selbst dagegen würden sich in einer ziemlich hülflosen Lage befinden, wollten wir Ihnen anheimstellen, Ihre Reise nach eigenem Ermessen fortzusetzen. Indem man sie, als Deutsche, überall mit Argwohn betrachtete und Ihnen böswillig begegnete, würden Sie auf unüberwindliche Hindernisse stoßen. Der Gefahren, welche Ihnen daraus erwüchsen, daß Sie nirgend die Mittel fänden, von Ort zu Ort zu gelangen, erwähne ich nicht eingehender, ebenso nicht der traurigen Wahrheit, daß sich Marodeure und Guerillabanden in großer Zahl umhertreiben und das vor Ihnen liegende Land und Ihren Weg höchst unsicher machen.«
»Ihre freundliche Theilnahme kann ich nur dankbar anerkennen, Ihre Entscheidung nur billigen,« erwiderte Johannes, indem er nach dem schweren Geschütz hinüber sah, neben welchem in einem besonders dazu eingerichteten offenen Rahmen mehrere Seeleute einen Vorrath mächtiger Geschosse nebeneinander und übereinander schichteten, »und dennoch erfüllt es mich mit großer Besorgniß« – hier warf er einen bezeichnenden Seitenblick auf Anna – »zu beobachten, wie nicht nur drüben in der Stadt, sondern auch hier auf Ihrem Schiffe mit reger Thätigkeit die Vorbereitungen zum Kampfe getroffen werden.«
»Es ist wahr,« gab Arthur zu, doch äußerte sich im Tone seiner Stimme nur ein geringer Grad von Vertrauen, »wir müssen uns vorsehen, um von Sherman, welchem selbst die erbittertsten Feinde der Union ihre Bewunderung nicht versagen, nicht überrascht zu werden. Ihnen gegenüber räume ich offen ein, daß ich die Sache, für welche ich nun schon seit beinahe vier Jahren die Waffen trage, für eine verlorene halte. Die Nordstaaten gebieten über zu colossale Mittel, während bei uns ebensowohl die Kassen, wie die Arsenale und die streitfähige Mannschaft erschöpft sind. Ach, es hätte ganz anders endigen können, die früheren Vereinigten Staaten hätten längst in zwei mächtige Schwesterrepubliken getheil sein müssen, wenn nicht, hier wie drüben, schändlicher Verrath – doch das soll mich nicht entmuthigen, kann ich der Partei, welcher ich mich angeschlossen habe, nicht den Sieg erringen helfen, so kann ich wenigstens, meinem gegebenen Worte treu, bis zum letzten Athemzuge für sie kämpfen und – wenn es so beschlossen sein sollte – für sie fallen.«
»Und Sie glauben, daß es eine gerechte Sache sei, für welche Sie bei einem solchen traurigen Ereigniß Ihr Leben hingegeben hätten?« fragte Johannes schwermüthig, während Anna, die Hände gefaltet, fast regungslos auf das ernste Antlitz ihres gemeinschaftlichen Beschützers schaute.
Arthur sah vor sich nieder und lächelte in beinahe geringschätziger Weise.
»Einsam und unabhängig, wie ich in der Welt dastehe,« begann er nach kurzem Zögern, »habe ich von dem friedlichen Gewerbe eines Seefahrers zu dem eines Seesoldaten gegriffen. Ich bekenne, daß ich eigentlich wider meinen Willen auf ein Kriegsschiff gelangte; doch gleichviel, ich fand Geschmack an dem wild bewegten Leben, so daß ich diesen Wechsel bis jetzt noch nie bereute. Allmälig schloß ich mich sogar inniger an die Sache an, für welche ich zu dem Waffenhandwerk übergegangen war, und zwar in demselben Grade, in welchem ich einen klareren Einblick in die eigentliche Streitfrage gewann.«
»Sie kämpfen also mit Enthusiasmus dafür, daß eine ganze Menschenrace fernerhin Sklavenfesseln tragen soll?« fragte Johannes mit unverkennbarem Bedauern.
»Ich fürchte, wir gelangen mit unserm Gespräch auf ein Feld, auf welchem wir uns nicht einigen werden,« antwortete Arthur, und er verneigte sich leicht gegen Anna, wie deren Verzeihung erbittend; »Sie betrachten die gewaltige Streitfrage von dem Standpunkte eines Philantropen, der, wie der geistigen, so auch der unbedingten körperlichen Freiheit aller Menschen huldigt, während ich wieder mehr die praktische Seite der Frage in's Auge fasse. Auch ich erkläre mich für die Befreiung der Sklaven, jedoch nicht in einer Weise, wie sie im Norden schon wirklich in's Leben getreten ist; ich möchte die Sklaverei aufgehoben wissen, aber nur allmälig und Schritt für Schritt, je nachdem die einzelnen Individuen sich reif für die Freiheit zeigen. Was wären wohl die Folgen, wenn die Millionen der Farbigen, die hinsichtlich ihrer geistigen Ausbildung sich kaum über einen zehnjährigen weißen Knaben erheben, plötzlich losgelassen würden? Es würde sein, als hätte man eine Heerde Wölfe und Hyänen auf die weiße Bevölkerung gehetzt.«
»Sie gehen zu weit,« wendete Johannes ein, »denn wie man bisher dafür Sorge trug, daß die armen Farbigen in ihrer Bildung nicht über den Instinct eines gut geschulten Hausthieres hinausgelangten, so würde man unter den von Ihnen angedeuteten Bedingungen gewiß nicht minder bemüht sein – und zwar mit dem besten Erfolge – daß die unglücklichen Menschen nie ganz reif für die Freiheit würden. Das plötzliche Zersprengen aller Sklavenketten mag seine Schattenseiten haben, wenn auch nicht annähernd solche, wie sie auf einzelnen westindischen Inseln den blutigen Negeraufständen nachfolgten; dagegen läßt sich nicht leugnen, daß die geistige Entwickelung der Farbigen viel schneller und nachhaltiger von Statten geht, sobald sie wissen, daß sie freie Leute sind; es wird mehr und mehr das ernste Bestreben Wurzel in ihnen fassen, sich der ihnen zuerkannten Freiheit würdig zu zeigen, die Vorurtheile, welche man gegen sie hegt, als unhaltbar hinzustellen, und den Anfeindungen, welche sie noch lange zu erdulden haben werden, mit ruhiger Würde zu begegnen. Ich erinnere sie an die kurze und doch so inhaltschwere Geschichte der Vereinigten Staaten, die augenblicklich zwar durch den Bürgerkrieg zerrissen, dennoch das reichste und mächtigste Land der Erde genannt zu werden verdienen, und die aus sich selbst heraus – die jüngsten Kriegsjahre beweisen es ja – eine Kraft zu entwickeln vermögen, von welcher man in früheren Zeiten keine Ahnung hatte. Würde nun das amerikanische Volk im Stande gewesen sein, sich zu einer so hohen Stufe, sowohl auf industriellem, wie auf politischem Felde emporzuschwingen? Würde es haben Gesetze schaffen können, in Befolgung derer diese große Familie von abgesonderten Staaten, trotz der jetzt herrschenden innern Zerwürfnisse, ein einiges mächtiges Ganze bildet? Ich frage Sie, würde dieses Alles haben geschehen können unter dem fortgesetzten Druck, welchen die englische Regierung auf ihre Colonien ausübte, unter einem nichtswürdigen Drucke, welcher endlich einem Washington und seinen Gesinnungsgenossen so unerträglich wurde, daß sie das schwer drückende Joch, die Sklavenketten abschüttelten und sich plötzlich auf einmal als freie Männer und unumschränkte Herren ihres eigenen Willens und der von ihnen im Besitz gehaltenen Ländereien erklärten? Damals wurde der jungen Republik – und ich habe die Geschichte der nordamerikanischen Freistaaten mit großer Vorliebe studirt – ebenfalls kein langes Leben prophezeit; man glaubte, daß sie bald wieder zusammenbrechen müsse, weil ihre Bevölkerung noch nicht reif zu einer Selbstregierung sei, wie die heutigen Farbigen nicht reif für die Freiheit sein sollen; und wie sind jene Prophezeiungen eingetroffen? Die verachtete Republik lernte durch die Praxis; sie bewies, daß nicht nur eine gesunde Lebenskraft in ihr wohnte, sondern sie wuchs auch so schnell, daß sie bald alle europäischen Länder, namentlich aber ihren Mutterstaat, das hochmüthige England, weit überflügelte und letzteres sogar zur See in den Schatten zurückdrängte. Hier auf dem amerikanischen Continent hatte man also die Folgen einer allgemeinen plötzlichen Befreiung vor sich, während man in England – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten – nur den Bevorzugteren des Volkes ein theilweises Mitsprechen bei Regierungsangelegenheiten gestattete. Wohin – ich frage sie – wohin sind die Amerikaner gelangt, und wo sind die Engländer stehen geblieben? In England herrschen noch immer die verrotteten Zustände vergangener Jahrhunderte; es ist dieselbe Nation geblieben: stets im Trüben fischend nach Außen, und nach Innen in zwei Lager gespalten: in eine kleine, aber durch Reichthum mächtige Partei der Aristokratie und deren Schleppenträger, und eine nach vielen Millionen zählende der bittersten Armuth, von der Sie eine Probe dort drüben um die Feuer kauern sehen – doch ich schweife zu weit ab, indem ich der schnellen Befreiung aller Sklaven das Wort zu reden suche, indem ich eine Parallele ziehe zwischen der ersten Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und der Acte des hochherzigen Präsidenten Lincoln, laut deren es auf dem nordamerikanischen Continente keine Sklaven mehr geben soll. Wenn ich Sie recht verstand, gönnen auch Sie den Schwarzen die Freiheit, nur mit dem Unterschiede, daß sie die Freiheit in der von der conföderirten Regierung beliebten Weise empfangen sollen. Wissen sie aber auch ganz genau, daß man im Süden überhaupt an eine Sklavenbefreiung denkt? Können Sie und mit Ihnen viele tausend Streiter nicht sehr leicht getäuscht worden sein, und das nur, um Sie nicht aus der Armee zu verlieren? Das vergangene, wie das gegenwärtige Auftreten der Conföderation spricht wenigstens nicht dafür, daß da, wo vielleicht die Rede von einer Aenderung im System der Sklaverei, es ernstlich gemeint ist.«
»Manches von dem, was sie einwendeten, vermag ich allerdings nicht zu widerlegen,« versetzte Arthur, sobald Johannes, dessen ganzes Antlitz vor enthusiastischer Erregung glühte, schwieg, »überhaupt würde ein näheres Eingehen auf die waltende Streitfrage uns zu weit führen, uns möglicher Weise sogar ein Tadel von Fräulein Werth zuziehen. Nur auf eins erlaube ich mir zu antworten: Sie sprachen von Täuschungen, welchen ich unterworfen sein könnte; wähnen Sie etwa, daß man im Norden nicht ebenfalls zu Täuschungen seine Zuflucht nimmt? Oder wie wollen Sie es nennen, wenn man heute für die Farbigen das Schwert zieht, und morgen sich scheut, in der Kirche neben einem Schwarzen zu knieen und dem Schöpfer seine Verehrung zu zollen . . .«
»Auch diese Vorurtheile werden schwinden,« fiel Johannes eifrig ein, »ja, sie werden schwinden, – wenn auch erst nach manchem Hader, – sobald man einsehen gelernt hat, daß die geistigen Anlagen den farbigen Menschen vollkommen berechtigen, seinen Platz neben dem weißen zu suchen und nicht unter ihm. Und dennoch, wären die geistigen Befähigungen allein maßgebend, existirten keine Gesetze der Humanität und der Nächstenliebe, dann, fürchte ich, müßten leider recht, recht viele weiße Menschen, selbst in unserm theuren deutschen Vaterlande in Sklavenfesseln geschlagen werden, und zwar nicht allein da, wo Armuth und Noth ihre Heimath aufgeschlagen haben, sondern vorzugsweise da, wo man sich durch Anstammung eines hochtönenden Namens dazu berechtigt glaubt, in mittelalterliche Verdumpfung zu versinken und den darbenden Mitmenschen hohnlachend mit Füßen zu treten.«
»Sie dringen recht scharf auf mich ein,« bemerkte Arthur lachend, offenbar mit der Absicht, das Gespräch auf andere Gegenstände überzulenken, »so daß ich beinahe gezwungen bin, mein Glaubensbekenntniß vor Ihnen abzulegen, obwohl ich in diesem Augenblick nicht einmal genau wüßte, in welche Formen ich es zu kleiden hätte. Gewiß ist nur, daß ich ein Kriegsknecht bin, der durch Wort und Handschlag verbunden ist, seiner einmal gewählten Fahne treu zu bleiben. Daß im Süden Manches nicht nach meinem Geschmack ist, räume ich ein; ebenso bezweifle ich aber auch nicht, daß es im Norden recht viele Verhältnisse giebt, mit welchen ich mich schwer würde aussöhnen können; ich erinnere an die siebentägige Schlacht von Richmond, in welcher der Befehlshaber der nördlichen Streitkräfte Tausende und aber Tausende von Menschenleben opferte, um dafür weiter nichts zu ernten, als ein Mißtrauensvotum des ganzen Landes, welches sich von ihm – ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich unerörtert – für verrathen hielt. Freilich, der Schein ist gegen Mac-Clellan – doch gleichviel, ich komme darauf zurück, daß, wenn jeder einzelne Soldat sich, außer mit seiner Muskete, auch noch mit Politik befassen wollte, es mit der Disciplin eines Heeres ein trauriges Ende nehmen würde. Ich habe mich dem Kriegshandwerk zugewendet nicht aus Neigung, noch weniger bin ich durch die Streitfrage selbst sehr begeistert worden. Als deutscher Abenteurer fülle ich indessen meine Stelle aus, und ob nun im Norden, wo unsere Landsleute in so reichem Maße vertreten sind, oder im Süden, wohin ich zuerst verschlagen wurde, ich werde bis zum letzten Athemzuge für meine Flagge kämpfen und nur mit deren gänzlichem Daniedersinken mich als meines Wortes entbunden betrachten.«
Hier begegneten seine Blicke denen Anna's welche ihn, so lange er sprach, mit einer seltsamen Mischung von freundlicher Theilnahme und innigem Bedauern betrachtet hatte. Schnell wendete er sich dem jungen Mädchen ganz zu, und das leichtfertige Wesen eines unabhängigen Soldaten erheuchelnd, rief er aus:
»Da thun wir Männer, als ob wir allein an Bord des Revenger wären, und bei uns sitzt eine junge Dame, welche durch alle nur denkbaren Reize und Vorzüge berechtigt ist, von uns zu erwarten, daß wir über sie die ganze übrige Welt vergessen. Verzeihen Sie uns diesen Verstoß, mein Fräulein, und gestatten Sie mir, Ihnen, als eine Art Sühne für unser Vergehen, das letzte und entscheidende Wort in der von uns so rücksichtslos behandelten Streitfrage einzuräumen: Pflichten Sie mir nicht bei, wenn ich behaupte, daß drüben in Europa, oder sagen wir gleich, in unserm gemeinsamen Vaterlande, viele Tausende von Menschen leben, welche, im Elend geboren und groß geworden, gern mit den sorglos in den Tag hineinlebenden und gut gehaltenen Sklaven tauschen möchten?«
Als Arthur sich entschuldigend an Anna wendete, breitet es sich wie ein liebliches, den schönsten Frühlingstag verheißendes Morgenroth über ihre erregten Züge aus. Die ihr gezollte höfliche Rücksicht erfreute sie offenbar. Sobald aber die an sie gestellte Frage nachfolgte, erhielt ihr Antlitz einen ernsten, ruhig überlegenden Ausdruck.
»Ich wünsche wirklich, mein Urtheil wäre entscheidend,« erwiderte sie, und offen und ehrlich, wie ein Sonnenblick aus lichten Höhen heftete sie ihre Augen auf die des jungen Officiers, »der verheerende Bruderkrieg würde dann gewiß sehr bald sein Ende erreichen. Uebrigens pflichte ich Ihnen vollkommen bei: drüben in unserm Vaterlande giebt es Menschen genug, welche gewiß gern so leben möchten, wie die Mehrzahl der hiesigen Sklaven; ob sie aber ihre Freiheit für ein sorgloses Leben hingeben, ob sie für ein solches Zeuge sein möchten, wie man ihre Kinder von ihnen risse und verkaufte und schließlich sie selbst unter den Hammer des Versteigerers brächte, das muß ich dennoch bezweifeln. Empfinde ich doch selbst in diesem Augenblick bitter, was es heißt, wenn auch nur auf kurze Zeit, der Freiheit des Willens und der Bewegung beraubt zu sein.«
Diese Antwort schien Arthur nicht erwartet zuhaben, denn indem er flüchtig auf seinen über die Oberlippe in den Mund hineinragenden Schnurrbart biß, erhielten seine gebräunten Gesichtszüge eine tiefere Farbe. Gleich darauf aber kehrte der sorglose Ausdruck wieder zurück, und beinahe unwillkürlich ergriff er Anna's Hand in freundschaftlicher Weise.
»Auf dem Revenger soll Ihre Stimme wenigstens entscheidend sein,« sprach er freundlich und seine Finger schlossen sich fester um die zarte Hand, »ich räume daher vor allen Dingen ein, daß ich in meiner Behauptung zu weit ging und ordne meine Ansichten den Ihrigen freudig unter. Zugleich komme ich aber auf den Punkt zurück, von welchem wir beim Beginn unseres Gespräches ausgingen, ich meine, auf die Vorbereitungen zum Kampfe und auf die Möglichkeit, daß Sie Zeuge desselben sein könnten.«
Hier zog Anna, von Furcht erfüllt, ihre Hand zurück, und Arthur fuhr nunmehr wieder ernster fort:
»Ja, wir treffen Vorkehrungen zum Empfange des genialen Sherman, obwohl es noch ungewiß ist, daß er seinen Weg gerade hierher nimmt. Bei dem undurchdringlichen Geheimniß, in welches der kühne Heerführer seine Pläne und Bewegungen hüllt, ist natürlich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß er in geringer Entfernung von hier den Savannah plötzlich überschreitet und sich nordwärts wendet, um vereinigt mit der Unionsflotte einen Angriff auf Charleston und später auf Wilmington zu unternehmen. In einem solchen Falle würde es allerdings vor Savannah zu keinem Zusammenstoße kommen. Erscheint ein solcher dagegen unvermeidlich, wofür namentlich die Verstärkung des Blockadegeschwaders spricht – der Commodore Dahlgreen soll eingetroffen sein – so erfülle ich mein Ihnen ertheiltes Versprechen: Sie noch vor dem Beginn des Kampfes so weit fortzuschaffen, daß höchstens der Kanonendonner zu Ihren Ohren dringt. Die Bestimmungen betreffs Ihrer Entfernung von hier sind bereits getroffen – freilich würden Sie nicht so sicher und bequem reisen, als wenn Sie an Bord des Revenger blieben, bis sich Ihnen eine passendere Gelegenheit böte. Dies ist dann nämlich Ihre Straße,« fuhr er fort, auf den breiten Spiegel des Savannah weisend, »ein Boot, bemannt mit kräftigen Ruderern, wird Sie schnell stromaufwärts bringen; bis zur nächsten Biegung rudern Sie meine eigenen Leute, dort aber finden Sie – wenn mein Plan nicht scheitert – einige Hände von dem Wassernix, über welche deren alter Kapitän gewiß recht gern das Commando übernimmt.«
Die letzten Worte richtete er an den gefangenen Kapitän, der eben nach dem Quarterdeck hinaufgestiegen war, um den Einbruch des Abends im Freien zu erwarten.
Dieser nun, ein langer dünner Mann mit wetterzerrissenem Gesicht, kleinen schwarzen, blinzelnden Augen und einem langen, wohlgepflegten Kinnbarte, ein Mann, welchen man ebenso gut für einen Landspeculanten, Banquier, Holzfäller, Handwerker oder Advokaten, wie für einen Seemann halten konnte, verzerrte bei der an ihn gerichteten indirecten Aufforderung sein Gesicht zu einem heiteren Grinsen, während er die Zähne so fest auf einander biß, daß man glaubte, die Glasur von denselben absplittern zu hören.
»Verdammt gutes Fahrwasser stromaufwärts,« bemerkte er darauf, und als sei seine lange scharfe Nase eine geladene Flinte gewesen, zielte er mit dem linken Auge über dieselbe fort auf die bezeichnete Flußbiegung; »ja, verdammt gut, wenn nicht einige Torpedos und sonstiges unterseeisches, feuerspeiendes Ungeziefer die Straße etwas unsicher machen.«
Arthur wechselte einen flüchtigen Blick mit Johannes und Anna, wie um sie zu ermahnen, sich durch die Befürchtungen des Kapitän Iron nicht einschüchtern zu lassen, und dann wendete er sich diesem wieder zu.
»Stromaufwärts liegen keine Torpedos,« sprach er in belehrendem Tone, »denn von dorther haben wir keine feindlichen Kanonenboote zu erwarten; übernehmt daher getrost die Führung der zu Eurer Verfügung gestellten Jolle. Ihr erlangt dadurch eure Freiheit, wofür Ihr weiter nichts zu leisten braucht, als diese beiden Herrschaften zu begleiten.«
Kapitän Iron blinzelte Anna mit beinahe zärtlicher Freundlichkeit zu, was indessen nicht hinderte, daß seine Zähne wieder so hart auf einander knirschten, als hätte der ganze Revenger, sammt allen Geschützen, Kanonieren und Matrosen sich zwischen denselben befunden.
»Also weiter wird nichts von mir verlangt?« fragte er achselzuckend, »'s ist freilich nicht viel, allein immer genug, um beim Zusammentreffen mit einigen umherstreifenden Rebellenhunden etwas höher aufgehißt zu werden, als es für eine gesunde Windpfeife angenehm und zuträglich ist – also keine Torpedos stromaufwärts?« verfiel er plötzlich in einen spöttischen Ton, unbekümmert um das Entsetzen, welches sich in den Zügen des sonst von ihm verhätschelten, jungen Mädchens spiegelte, »gut, mein bester Maat, wie nennt Ihr aber zum Beispiel die Tonne, welche dort, wie 'ne Haifischflosse, aus dem Wasser ragt?«
»Eine einfache Boje, dorthin gelegt, um schwere Fahrzeuge vor dem Aufrennen zu bewahren,« antwortete Arthur gleichgültig.
»Und die da?« fragte Iron weiter, indem er sich kurz umkehrte und stromabwärts wies, wo mehrere derartige Tonnen zu bemerken waren.
»Ebenfalls Bojen,« lautete die Antwort, »aber Kapitän, seid Ihr denn ein solcher Neuling zur See, daß Ihr nicht einmal eine Boje von einem Torpedo zu unterscheiden versteht?«
»Habe, bei Gott, in meinem Leben noch keinen Torpedo gesehen, aber um so viel mehr davon gehört. Calculire, diese Höllenmaschinen sind an die Bojen befestigt.«
»Damit Jeder sie sehen und ihnen aus dem Wege fahren kann?« erwiderte Arthur lachend, »o, mein lieber Kapitän, Ihr seid zwar ein Mann des Friedens, obwohl Ihr ganz gut Kriegscontrebande einzuschmuggeln versteht, allein so viel könntet Ihr uns Südländern wohl zutrauen, daß wir nicht höflich genug sind, den angreifenden Kanonenbooten zu verrathen, wo die Höllenmaschinen liegen.«
»Aber zum Teufel, Maat, wie macht Ihr's selber, um nicht in die Wolken geblasen zu werden?«
»Nun, Kapitän, wir haben unsere bestimmten Kanäle; blickt gefälligst einmal stromabwärts und sagt mir, ob auch nur eine Nußschale zwischen zwei der dort geankerten schwarzen Bojen hindurchfährt; wagte sie es aber dennoch, dann würdet Ihr euch wundern, wie schnell sie von der Oberfläche des Wassers verschwunden wäre.«
»Gut ausgedacht, verdammt gut ausgedacht, Maat, nur 'n Bischen gefährlich, calculire ich. – Hm, Goddam! hätte wirklich Lust, 'mal beizuwohnen, wenn so 'nen Monitor der Teufel holt, und wäre er von Ericson selber zusammengenietet und mit den besten Händen bemannt, die je unter dem Sternenbanner zwei Tauenden zusammensplißten. Also zwischen den schwarzen Bojen? Richtig, da zwischen den rothen kriechen sie hindurch, wie die Katzen – hm, 'ne gute Einrichtung, aber Maat – 'n Bischen gefährlich, und darum traue ich auch dem Frieden stromaufwärts nicht; calculire, ich lasse die beiden jungen Leute allein abreisen und warte bessere Zeiten an Bord dieses schuftigen Revenger ab.«
»Ganz nach Euerm Belieben,« versetzte Arthur wiederum mit einer Geberde der Entschuldigung gegen Anna und Johannes, die längst an das wunderliche Wesen des Amerikaners gewöhnt waren; »dagegen erlaube ich mir, zu bemerken, daß Euch später keine so günstige Gelegenheit zur Heimreise geboten werden dürfte. Ihr habt indessen Zeit zu überlegen, bevor Ihr einen Entschluß faßt.«
Das Schiff hob und senkte sich leise unter der doppelten Wirkung der zurückkehrenden Fluth und der draußen auf dem Ocean Wasserberge zusammenwehenden und heranwälzenden Kühlte. Zwischen den Ufern des Savannah, den Schutz gewährenden Waldstreifen und Baulichkeiten empfand man in geringerem Grade den Einfluß der heftigen Luftströmung. Nur stoßweise und dann immer aus veränderter Richtung fand der Wind seinen Weg auf das Verdeck des Revenger; hoch oben aber am Himmel zogen die Wolken mit ungestümer Hast einher, als sei auch zwischen ihnen im fernen Süden der Bürgerkrieg ausgebrochen und eine Schlacht geschlagen worden, in Folge dessen sich ganze Wolkenheere auf der Flucht befanden, um im eisigen Norden Schutz gegen ihre eben so flinken Verfolger zu suchen.
Das Wasser plätscherte gegen die schwarzen Schiffswände. Weiße Möven, wie erschöpft nach mühevollem Umherschweifen auf sturmbewegtem Meere, strichen trägen Flügelschlages über die mit salzigen Bestandtheilen gemischten Fluthen des Stromes dahin. Näher rückte der Abend und fast unmerklich ging das trübe Tageslicht in leichte Dämmerung über. In der Umgebung der Stadt, so weit dieselbe vom Verdeck des Revenger aus sichtbar war, herrschte noch immer rege Thätigkeit; man schien die Nacht durcharbeiten zu wollen. Da wurden Balken geschleppt und Pallisaden eingerammt, da prüfte man die Lage der Geschütze und die Beweglichkeit der Lafetten; da trug man Schießbedarf von Ort zu Ort, ergänzte man Schanzen und verstärkte man Schießscharten durch übereinandergestapelte Baumwollenballen und gefüllte Sandsäcke, während größere Militärabtheilungen die Verbindung zwischen den verschiedenen befestigten Punkten herstellten, kleinere Streifpatrouillen sich aus dem Bereich der Stadt entfernten und andere wieder zurückkehrten. Alles deutete auf Kampf; wie erbittert derselbe aber werden würde, war ausgedrückt in der unheimlichen Geräuschlosigkeit, mit welcher die Vertheidigungsmaßregeln getroffen wurden. Nirgend vernahm man die sonst gewöhnlichen und namentlich den Soldaten eigenthümlichen Ausbrüche leichtfertiger Heiterkeit; eine gewisse düstere Entschlossenheit lag in allen Bewegungen und selbst in den Kommandos, die zwar von heftigen Flüchen begleitet, jedoch mit dem Ernste der tiefsten Erbitterung ertheilt wurden.
Schaudernd hüllte Anna sich in ihren Plaid, theils um sich der empfindlichen Kälte zu erwehren, theils weil sie sich durch das, was in ihrer weiteren Umgebung vorging, in so hohem Grade beängstigt fühlte.
Johannes bemerkte die Bewegung und forderte sie in seiner treuen, fürsorglichen Weise auf, in die Kajüte hinabzusteigen.
»Die Nacht ist noch so sehr lang,« antwortete Anna, indem sie mit schwesterlicher Zärtlichkeit die über Johannes' Kniee ausgebreitete Decke ordnete, »und wenn Dir selbst die rauhe Luft nicht unangenehm ist, bleibe ich gern noch ein Stündchen hier.«
»Im Gegentheil,« versetzte Johannes schnell, »ich befinde mich im Freien wohler, als in den engen, abgeschlossenen Schiffsräumen; es gehört eben eine Seemannsnatur dazu, sich dort unten heimisch zu fühlen.«
Die letzten Worte waren halb an Arthur gerichtet, der Anna's liebliches Antlitz so lange schweigend und mit einer unendlich wehmüthigen Theilnahme betrachtet hatte.
»Gewiß bedarf es der Gewohnheit,« versetzte er schnell auf die mittelbare Aufforderung, sich an dem Gespräch zu betheiligen, »und sogar langjähriger Gewohnheit, sich in den Kajüten, und sind sie noch so geräumig und bequem eingerichtet, auch nur annähernd so heimisch zu fühlen, wie in einem luftigen Hause. Und dennoch hat die Erfahrung vielfach gelehrt, daß gerade die größten Unbequemlichkeiten in der Erinnerung einen gewissen romantischen Reiz erhalten. So werden auch Sie, wenn Sie erst wohlbehalten Ihr Ziel erreicht haben, bei weitem nicht mit so großem Widerwillen an Ihre Seereise zurückdenken, wie es Ihnen jetzt vielleicht erscheint – freilich, auf den unglücklichen Wassernix fallen dabei die freundlichen Rückerinnerungen, während der Revenger sich nicht rühmen kann, Ihre Erinnerung um andere, als recht traurige Bilder bereichert zu haben.«
»Die einzelnen Bilder und Scenen werden gewiß nie ihren trüben, an Kampf und Blutvergießen mahnenden Charakter verlieren,« gab Anna zu, »um so heller leben dafür diejenigen in unserem Gedächtniß fort, von welchen wir so viele Beweise der aufopferndsten Theilnahme empfingen.«
»Ihre gütigen Worte sollen meiner armen, gänzlich unschuldigen Person gelten,« entgegnete Arthur heiter, »und ich wieder bin mehr als zu gern geneigt, sie auf mich zu beziehen. Ist es mir wirklich gelungen, in Ihrer Erinnerung eine kleine Stätte zu finden, so will ich glücklich und zufrieden sein, denn Sie glauben nicht, theuerstes Fräulein, Sie ahnen nicht, wie wohlthätig, wie segensreich es auf einen abenteuernden Krieger einwirkt, auf seiner dornenvollen Bahn Menschen zu begegnen und Erfahrungen zu sammeln, die er mit Blumen vergleichen möchte, mit welchen ein freundliches Geschick seinen einsamen, öden Lebensweg schmückt, damit dieselben einst in seiner letzten Stunde, gleichviel, wo und wann er sie findet, sich wie theure Angehörige um ihn schaaren und ihm tröstend zur Seite stehen.«
»Sprechen Sie nicht so, o sprechen Sie nicht in dieser Weise,« bat Anna sichtbar gerührt, »mir ist sonst, als fühlte ich die beruhigende Hoffnung schwinden, daß Sie, dem wir in so hohem Grade verpflichtet sind, wohlbehalten aus den schrecklichen Kriegswirren hervorgehen.«
Ein dankbares Lächeln spielte auf den gebräunten Zügen des jungen Mannes; seine Augen leuchteten schwärmerisch, als ob ein süßer Traum durch seine Seele gezogen wäre, und wie um eine verlockende Vision zu verscheuchen, strich er mit der Hand über seine weiße Stirne. Nur Sekunden dauerte diese Regung; dann wiederum ein wetterwendisches Kriegsglück als seine Vorsehung betrachtend, kehrte er sich mit einem gewissen herzlichen Wesen Anna zu.
»Warum sollte ich nicht wohlbehalten das Ende dieses furchtbaren Krieges erleben?« rief er gleichmütig aus, »freilich, viele Tausende, welche jetzt die blutgetränkte Erde oder der Ocean deckt, haben vielleicht ebenso gesprochen; derartig ist aber das Loos des Soldaten, und wohl Demjenigen, der, wenn er dem Tode die Stirne bietet, hoffen darf, daß seinem Falle eine Thräne der Trauer und des Mitleids geweint wird – doch wir gelangen ja plötzlich zu lauter wehmüthigen Betrachtungen!« unterbrach er sich selbst wieder heiterer, »zu Betrachtungen, welche wenig geeignet sind, Sie zu Ihrer bevorstehenden Reise zu ermuthigen« – hier sandte er einen forschenden Blick nach den Außenwerken der Stadt hinüber – »und täusche ich mich nicht, so werden Sie bald gezwungen sein, Ihren Platz auf dem trotzigen Revenger mit einem weniger bequemen Sitz in einem leichten Wallfischboot zu vertauschen. St. Louis ist Ihr nächstes Ziel?«
»Der Seeweg nach New-York, wo wir erwartet wurden, ist uns abgeschnitten,« antwortete Johannes, an welchen die Frage gerichtet gewesen, »es bleibt uns daher nur übrig, zu versuchen, von hier auf dem Landwege St. Louis zu erreichen. Doch gestatten Sie mir eine Gegenfrage: Warum riethen Sie uns, nachdem wir Sie von dem Zweck unserer Reise in Kenntniß gesetzt hatten, den Namen des Mannes nicht zu nennen, in dessen Hause wir Aufnahme finden werden?«
Arthur spähte scharf nach den in Dämmerung gehüllten Batterien hinüber, als hätte er dort etwas gehört. Erst nach einer längeren Pause wendete er sich seinen Gästen wieder zu. Dieselben bemerkten nicht, daß seine Gesichtsfarbe sich verändert hatte, wohl aber fiel ihnen der Ernst auf, mit welchem er nunmehr die Unterhaltung fortsetzte.
»Als Sie zu uns an Bord kamen,« hob er an, »beseelte mich der einzige Wunsch, Ihnen, so viel nur in meinen Kräften stand, die gezwungene Lage zu erleichtern. Ihre Ungeübtheit in der englischen Sprache führte uns bald näher zusammen, und bei den mir übertragenen Nachforschungen erfuhr ich, daß Sie sich auf dem Wege zu einem Herrn Braun in St. Louis befanden. Ich selbst kenne den Herrn Braun nicht, dagegen wurde mir einst durch meine Kameraden, namentlich durch meinen Kommandanten mitgetheilt, daß gerade jener Braun, über dessen Person kein Irrthum möglich, zu den erbittertsten Gegnern der Conföderation gehöre. Es ließ sich also voraussetzen, daß Freunde und Bekannte desselben sich gerade keiner sehr rücksichtsvollen Behandlung an Bord des Revenger zu erfreuen haben würden. Man wäre vielleicht gar auf den unedlen Gedanken gerathen, Sie genauer über Ihr Verhältniß zu dem Herrn Braun auszuforschen und je nach Maßgabe desselben – der Krieg entschuldigt ja Manches – eine nicht unbeträchtliche Auslösungssumme von ihm für Ihre Freigebung zu verlangen. Die feindliche Gesinnung, welche man in hiesiger Gegend dem wegen seines Reichthums bekannten Manne nachträgt, stammen aus den ersten Kriegsjahren her. Er besaß nämlich nicht weit von Savannah eine Plantage und forderte den Haß und die Rachsucht im ganzen Lande dadurch heraus, daß er seine Sklaven frei erklärte und auf diese Weise in seiner Nachbarschaft Veranlassung zu gefährlichen Zusammenrottungen der Farbigen gab. Ich glaube, er entging mit genauer Noth dem schrecklichen Schicksal, ein Opfer der Volksjustiz zu werden.«
»Herr Braun, der eine so unbegrenzte Menschenfreundlichkeit besitzt, kann unmöglich aus Haß oder Trotz seinen Sklaven die Freiheit geschenkt haben,« bemerkte Anna mit warmen Eifer, sobald Arthur schwieg.
»Mögen die Gründe, welche sein Verfahren bestimmten, die edelsten gewesen sein,« entgegnete Arthur kalt, »seine früheren Freunde und Nachbarn erblickten in demselben einen schwer zu sühnenden Eingriff in ihre Rechte, und von ihrem Standpunkte aus ist ihr Zorn gewiß nicht tadelnswerth.«
»Dann theilen Sie wohl gar deren Mißstimmung gegen unsern Freund?« fragte Anna ängstlich weiter.
»Ich theile weder deren Mißstimmung, noch unterwerfe ich Herrn Brauns Verfahren einer eingehenderen Kritik,« versetzte Arthur, dem die Wendung des Gesprächs keine angenehme zu sein schien, »ich kenne den Herrn Braun überhaupt nicht und sehne mich noch weniger nach seiner Bekanntschaft.«
»Jedenfalls haben Sie einen dankbaren Freund in ihm dadurch gewonnen, daß Sie seinen Liebling so treu beschützten,« bemerkte Johannes freundlich.
»Pah, was kümmert sich ein Millionär um einen armen Schiffslieutenant, der weiter nichts gethan hat, als seine Schuldigkeit?« rief Arthur bitter aus, »gewiß nicht mehr, als ich Gewicht auf die Freundschaft eines Millionärs lege!«
»Das würde Sie doch nicht hindern, zu gelegener Zeit in seinem Hause Diejenigen wiederzusehen, die Ihnen zu unendlichem Danke verpflichtet sind?« lenkte Johannes wieder begütigend ein, »und denken Sie nicht an sich selbst, so sollten Sie nicht vergessen, wie sehr wir uns freuen würden, Sie wiederzusehen; habe ich Recht, Anna?«
Wie aus einem Traume aufgestört, erschrak die plötzlich Angeredete.
»Gewiß,« sagte sie dann befangen, »Sie müssen uns auf alle Fälle besuchen, und ist der Herr Braun in St. Louis nur im Entferntesten seinem Bruder ähnlich, dann werden Sie ihn sogar lieb gewinnen. Nicht wahr, Herr Arthur, ich habe Ihr Versprechen?«
»Wer weiß, wie lange der Krieg mich noch an mein gutes Schiff fesselt,« versetzte Arthur harsch, dann erhob er sich hastig, und nach der andern Seite des Quarterdecks hinüberschreitend, warf er einen prüfenden Blick zuerst seitwärts auf den durch den Andrang der Fluth plätschernden Wasserspiegel und demnächst über das ganze Schiff.
Nachdem er einige kurze Befehle nach dem Vorderdeck hinübergerufen hatte, blieb er noch eine Weile grübelnd stehen. Mit der rechten Hand hatte er eine lose zwischen den Wanten des Hintermastes hängende Kette ergriffen, während er sich mit der linken auf seinen Säbel stützte.
Anna und Johannes sahen befremdet zu ihm hinüber. Zu seltsam erschien es ihnen, daß er, der ihnen so viele Beweise seiner edlen Gesinnungen gegeben, sich sträubte, einem hoch geachteten Manne nur deshalb, weil er ein Nordländer war, ein freundliches Wort zu zollen.
Da hob sich der Revenger schwerfällig unter der andringenden Fluth, um sich gleich darauf wieder zu senken; indem Arthurs Oberkörper aber leicht schwankte, klirrte die Kette, an welcher er sich hielt.
Anna horchte hoch auf. Noch einmal wiederholte sich das Klirren, dann war es still.
Das Schweigen schien Anna drückend zu werden. »Lieutenant Arthur!« rief sie dem sinnend Dastehenden zu, »wenn Sie mir eine große Freude bereiten wollen, dann bewegen Sie die Kette noch einmal ganz leicht!«
»Diese Kette?« fragte Arthur, sich umkehrend und dadurch das Klirren erneuernd.
»Die Kette, welche Sie in der Hand halten,« bestätigte Anna in ihrer lieben, kindlichen Weise, »Sie ahnen nicht, wie wunderbar melodisch gerade dieser einfache Ton meine Erinnerung berührt.«
Arthur schüttelte die Kette leicht und gesellte sich dann mit erzwungenem Lachen den beiden jungen Leuten wieder zu.
»Darf ich nun aber auch wissen, was das für mein Gehör eben nicht sehr melodische Rasseln für Sie bedeutet?« fragte er, seinen alten Platz wieder einnehmend.
»Sie dürfen es wissen,« erwiderte Anna lebhaft, »und ich bin bereit, es Ihnen aufs Genaueste zu erklären, und auch Dir, Johannes, dem es alsdann unstreitig nicht minder heimathlich klingt. Dieses eigenthümliche Geräusch erinnert mich nämlich an den letzten Abend meines Aufenthalts in dem Hause eines theuern väterlichen Freundes und einer eben so theuern mütterlichen Freundin; es waren freilich keine Millionäre, sondern nur einfache Kärrnersleute, die ich aber so unbeschreiblich liebe und verehre, als ob sie meine wirklichen Eltern wären. Doch es interessirt Sie wohl nicht, weil ich im Begriff stehe, von dem leiblichen Bruder des Millionärs zu sprechen, für welchen Sie keine sehr warme Freundschaft zu hegen scheinen?« wendete sie sich halb scherzend an Arthur, der, beide Hände auf das Säbelgefäß gestützt, seitwärts über die Gallerie hinausschaute.
»Es interessirt mich sehr,« entgegnete dieser mit seltsamer Hast, ohne seine Stellung zu verändern; dagegen schrammte die Säbelscheide scharf auf den glatten Deckplanken, als hätte er plötzlich krampfhaft in das Gefäß der Waffe gegriffen, »erzählen Sie nur weiter, wenn ich bitten darf, ich höre es sehr gern – von dem Kärrner und seiner Frau, welche Sie so herzlich lieben – Sie sehen, ich habe keins Ihrer Worte überhört.«
»Gut denn,« fuhr Anna alsbald mit unverkennbarer Freude fort, und ihre Augen suchten in der zunehmenden Dämmerung das ihr zugekehrte Profil des jungen Officiers zu unterscheiden, »es war also am letzten Abend meines Aufenthalts unter dem Dache meiner Freunde und ich hatte den guten Braun zu seinen Pferden begleitet, um auch von diesen Abschied zu nehmen, als ich plötzlich auf den Einfall gerieth, dem alten großen Frachtwagen Lebewohl zu sagen – Sie kennen solche Wagen? Aus der Ferne machten sie auf mich stets den Eindruck mächtiger weißer Elephanten.«
»Ich kenne sie, o ja, ich kenne sie,« antwortete Arthur, und sich weiter über seinen Säbel hinneigend, spähte er so scharf auf die sich verdunkelnde Wasserfläche, als hätte er auf den Boden der Savannah zu sehen vermocht.
»Ja, der prächtige alte Frachtwagen, ich mußte ihm also Lebewohl sagen,« nahm Anna mit rührendem Eifer ihre Erzählung wieder auf, »und als ich dem guten Braun meine Absicht zu erkennen gab, da war er gleich bereit, und von dem Pferdestall begaben wir uns zu jenem, und rund um den rastenden Wagen schritten wir herum, und jeden einzelnen Theil desselben besichtigte ich sehr aufmerksam beim Schein der Laterne. Dann aber klirrte ich mit den niederhängenden Ketten, um eine Erinnerung mehr an meine zweite theure Heimath zu besitzen, welche durch einen geringfügigen Umstand recht lebhaft wach gerufen werden könne. Und ich sagte nicht zu viel, Herr Arthur, denn als Sie dort drüben standen und die Kette in Ihren Händen zufällig klirrte, da fühlte ich mich plötzlich, wie durch Zauber, in jene traute Heimath zurückversetzt. Ich meinte wirklich, die Ketten an dem alten Wagen klingen, rasseln und mich begrüßen zu hören, und wiederum wie durch Zauber, sah ich alle die theuren Gestalten und Gegenstände, von welchen ich damals in meiner Einfalt glaubte, daß sich Alles, selbst das schwarze Tönnchen unterhalb des Wagens nicht ausgenommen, die Augen um mich ausweinen müßte. Da sah ich zuerst, und im Geiste sehe ich ihn noch vor mir, den guten, getreuen Braun, der mich über Alles liebt, und den ich ebenfalls über Alles liebe; ich sehe ihn deutlich in seinem blauen Staubkittel, mit den breiten Schultern, und den mächtigen Fäusten, mit dem prachtvollen, rothen, echt altdeutschen und ihn so außerordentlich wohl kleidenden Bart und den guten freundlichen Augen, von welchen er gewöhnlich eins schließt, indem sonst zu viel Güte und Biederkeit von ihnen ausströmen würde; ferner mit dem fürchterlich großen lackirten Hute, welchen ich scherzweise Tresorkasten zu nennen pflegte, und endlich mit den blaugestreiften Gamaschen, an welchen sein Hund – Hechsel heißt er – mit seiner Doppelnase festgewachsen zu sein scheint; denn das Thier ist so treu, daß man seine Häßlichkeit darüber vergißt. Ja, so sehe ich den lieben guten Braun im Geiste vor mir, und ich höre das muntere Knallen seiner Peitsche, mit welchem er seinen drei Pferden – echte, wunderschöne Holsteiner – die Zeit vertreibt – er schlägt sie nämlich nie – und dann dringt vernehmbar zu meinen Ohren sein »successive«, ein Lieblingswort von ihm, welches er zuweilen scherzweise absichtlich da anbringt, wo es nicht recht paßt, und jetzt höre ich wieder sein »Schätzchen«, so nannte er mich stets, wie Du mir bezeugen wirst, lieber Johannes, und es war wirklich mitunter, als ob wir ein Liebespärchen gewesen wären, so tändelten wir miteinander und scherzten wir. Ja, ich möchte wohl, daß der Herr Millionär Braun nur halb so gut wäre, wie mein geliebter Kärrner Braun, und ich wollte nicht klagen.
»Wenn ich mir aber meinen väterlichen Freund vergegenwärtigte, als ich das Klirren vernahm, so ist für mich in der Erinnerung unzertrennlich von ihm die Gestalt seiner Frau, allgemein bekannt unter dem Namen »Frau Kathrin«. Um diese nun würdig zu schildern, Herr Arthur, müßte ich die ganze Nacht hindurch erzählen – aber ich kann mir kaum denken, daß Ihnen, einem vielerfahrenen Krieger, solche Schilderungen große Unterhaltung gewähren?«
Arthur antwortete nicht, er blickte noch immer auf die gurgelnde und murmelnde Wasserfläche, wie zwischen den kleinen Wellen suchend nach entschwundenen phantastischen Jugendträumen und goldigen Luftschlössern.
»Soll ich fortfahren?« fragte Anna in einer Weise, als wäre ihr mehr darum zu thun gewesen, sich den Schilderungen vergangener Zeiten und geliebter Personen ungestört hinzugeben, als einen fremden Officier zu unterhalten, der obenein noch ziemlich theilnahmlos seitwärts in die von zahlreichen, nahen und fernen Lichtern geschmückte Nacht hinausblickte.
Arthur fuhr bei dieser Frage, wie aus tiefem Schlafe erwachend, empor.
»Ich höre Alles, ich höre Alles,« sagte er mit seltsamer Hast, »ich bitte dringend, unterbrechen Sie sich nicht – denken Sie, was Ihnen das Klirren der Kette, das seien mir die mich heimisch anwehenden Schilderungen – auch ich habe meine Vergangenheit, meine Rückerinnerungen, auch ich hatte einst eine Heimath.«
Obgleich Arthurs Worte, scheinbar in der Zerstreuung gesprochen, Anna nicht überzeugten, nahm sie doch, ihre Zufriedenheit über seine Aeußerung gleichsam bekundend, ungesäumt ihre Mittheilungen wieder auf.
»Die gute Frau Kathrin, um sie so zu schätzen und zu achten, wie sie es verdient, muß man sie längere Zeit gesehen und näher mit ihr verkehrt haben. Hegte ich selbst doch anfänglich eine gewisse Scheu vor der ernsten Frau, die für nichts Anderes Sinn und Gedanken zu haben schien, als für ihre Handarbeit. Und dennoch, was ist sie mir geworden, nachdem ich erst ein Weilchen in ihrem Hause gelebt, nachdem ich gelernt hatte, in ihren schönen, großen, blauen Augen zu lesen! Ach, und was stand Alles in diesen Augen geschrieben! Da las ich die zärtlichste Zuneigung, welche sich vergeblich hinter einen kalten, theilnahmlosen Ernst zu verbergen suchte; da las ich das innige, unerschütterliche Bestreben, Zufriedenheit und Segen in ihrer Umgebung zu verbreiten; da las ich die unermüdliche Fürsorge für Andere, vor welcher das eigene Ich immer weit zurückstehen mußte. Aber auch Thränen sah ich in den treuen Augen, heiße, bittere Thränen des namenlosesten Kummers, welchen sie sogar noch vor dem guten Braun zu verheimlichen suchte, Thränen, wie sie nur eine Mutter um ihr verlorenes Kind, um ihre ganze Herzensfreude –«
Immer leiser und mit bewegterer Stimme hatte Anna gesprochen, die Blicke gesenkt, als ob sie sich ihren wehmüthigen Betrachtungen so recht aus voller Seele hingegeben hätte. Sie gewahrte daher nicht, daß Arthur allmälig seine Theilnahme für den dunkeln Wasserspiegel verlor, zuerst den Kopf nach ihr umwendete, und dann den Oberkörper ihr zuneigte, mehr und mehr, als seien die gesenkten und von der Dunkelheit verschleierten Augen ein Meer der Wonne gewesen, in welches er sich hätte stürzen mögen bei den lieblich gedämpften Tönen, welche sich den jugendlich frischen Lippen entwanden und so träumerisch erklangen, wie eine Kunde aus längst verschollenen Zeiten, und doch wieder so einfach, so rührend, so ergreifend. Selbst Johannes bemerkte nicht, daß der fremde Officier seine Stellung veränderte, in so hohem Grade hatten Anna's Schilderungen sich vor seinem Geiste hinter den matt geschlossenen Augen verkörpert und die Formen und Farben der Wirklichkeit angenommen. Erst Anna's Schweigen führte ihn wieder in die Gegenwart zurück und mahnte ihn harsch an seine Umgebung.
»Was ist das?« rief Anna erstaunt aus, und dann lauschte sie gespannt.
Johannes und Arthur lauschten ebenfalls aufmerksam, ohne gleich zu verstehen, worauf der Ausruf sich bezog.
Die Fluth plätscherte fort und fort eintönig gegen die eisernen Schiffswände, weiter abwärts ertönte der Schlag eilfertig geführter Ruder; aus dem Innern des Schiffes, aus der Offizierskajüte schallten die muntern Stimmen zechender Kameraden herauf. Einige derselben hatten gesungen und ließen eine Pause eintreten, bevor sie einen neuen Vers ihres Liedes begannen.
»Tell me the tale, that I once loved to hear,
Long, long ago, long, long ago,«
drang es wieder, durch die Entfernung gedämpft, jedoch deutlich nach dem Quarterdeck herauf.
»Nein, ich täuschte mich nicht, es ist das Lied, welches ich am letzten Abend vorspielte,« fand Anna endlich Worte für ihr freudiges Erstaunen, »wie seltsam, daß die Melodie, welche mir in Europa gewissermaßen das Geleite gab, die erste ist, der ich hier begegne.«
»Das Lied ist aus dem Englischen in's Deutsche übersetzt worden und scheint viel Anklang in unserer Heimath zu finden,« bemerkte Arthur kalt, als sei ihm die Störung durch den Gesang höchst unwillkommen gewesen; »man hört das »long ago« vielfach vor Lagerfeuern und auf Schiffen – es liegt etwas ungemein Ergreifendes in dieser schwermüthigen Weise, in diesem sich stets wiederholenden: lang' ist's her; Sie spielten also diese Melodie am letzten Abend den – wie nannten Sie die guten Leute?«
»Brauns, Herr Arthur.«
»Sie spielten sie den Brauns vor. Wie fanden diese aber die Musik? – O, liebes Fräulein, erzählen Sie weiter, ich bitte Sie darum – zu gern höre ich von Augenzeugen –«
»Revenger ahoi!« erschallte es in geringer Entfernung von dem Wasserspiegel herauf.
Arthur war aufgesprungen und an die Brüstung getreten.
»Boot ahoi!« hieß es von der Deckwache zurück.
Das Wasser plätscherte gegen die eisernen Schiffswände; am Himmel zertheilten sich die Wolken, um durch die entstandenen Risse einige Sterne hindurchfunkeln zu lassen. Die friedlichen Bilder, welche auf dem Quarterdeck vor die erregte Phantasie hingezaubert worden waren, zerstoben; aus dem Innern des Schiffes tönte es hervor wie ein Geistergruß: