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Eberhard Braun empfand bald die Wirkung der Wärme und der Einreibungen. Die Schmerzen und die Krampfanfälle hatten ihn fast gänzlich verlassen, so daß er glaubte, am folgenden Morgen in Gesellschaft seiner Retter auf einem Packpferde die Reise fortsetzen zu können. Aufrecht saß er da und ertheilte bereitwillig alle Aufschlüsse, um welche Sans-Bois und Redsteel ihn baten.
Zwei Jahre hatte er in einem nordstaatlichen Regimente gedient, als er in Gefangenschaft gerieth, aus welcher zu entrinnen ihm erst vor kurzer Zeit mit Hülfe einiger ihrer Befreiung sehnsüchtig entgegenharrenden Farbigen gelang, die ihn zugleich, als heimliche Freunde des Nordens, vor dem Hungertode bewahrten.
Am vorhergehenden Tage erst war er wieder in die Hände der Rebellen gefallen, als er sich ihnen, sie für einen Trupp flüchtiger Unionisten und Sklaven ansehend, unvorsichtig näherte. Seinen Irrthum entdeckte er erst, als es zur Fortsetzung seiner Flucht zu spät war und er in den ihn umzingelnden Reitern eine jener verrufenen Banden erkannte, welche ein Gewerbe daraus machten, Farbige einzufangen, sie zu ihren früheren Gebietern zurückzuführen oder sie auch gegen ein entsprechendes Lösegeld frei zu geben. Nebenbei scheuten sich derartige Banden aber auch nicht, wenn die Gelegenheit sich dazu bot, zu plündern, gleichviel, ob bei Unionisten oder Seccessionisten, und da, wo sie vielleicht Verrath fürchteten, sich durch kaltblütigen Mord sicher zu stellen.
»Wie sieht der Schurke aus, der die Bande commandirte?« fragte Sans-Bois plötzlich, und in wie hohem Grade diese Frage die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, bewies die fast athemlose Spannung, mit welcher namentlich die beiden Mulatten zu Eberhard hinüberschauten.
»Er ist ein breitschulteriger Mann mit langem, dichtem und kohlschwarzem Vollbart, eben solchem Haupthaar und Brauen, und einem Paar stechender schwarzer Augen, die wohl dazu geeignet sind, einem in seine Gewalt gefallenen Opfer die letzte Lebenshoffnung zu rauben,« antwortete Eberhard bestimmt.
»Schwarzer Filzhut mit schwarzer Straußenfeder, und kurze blaue Militärjacke?« fragte Sans-Bois weiter.
»Genau so gekleidet,« bekräftigte Eberhard; »unter der Jacke trägt er ein rothes Flanellhemde, dann enge Lederbeinkleider und lange Reitstiefel mit mexikanischen Sporen. Um die Hüften hat er einen breiten Ledergurt geschnallt, in welchem zwei Revolver und ein Bowiemesser stecken, außerdem führt er einen schweren Kavalleriesäbel.«
»John Mullan!« riefen die beiden Mulatten, wie aus einem Munde; »John Mullan,« wiederholte auch Redsteel zuversichtlich.
»Ja, kein anderer,« bekräftigte Sans-Bois, sein mehr durch Drangsale und Entbehrungen, als durch der Jahre Last ergrautes Haupt wiegend. »John Mullan der Mörder, Schänder und Menschenräuber; er ist ein giftiges Reptil, gegen welches es kein anderes Schutzmittel giebt, als ihm den Kopf zu zertreten. Doch sprecht weiter, junger Mann, wer befand sich außer seinen Raubgenossen in seiner Gesellschaft?«
»Die berittene Bande hatte eine Stärke von achtzehn bis zwanzig Mann; begleitet wurde sie von etwa dreißig Farbigen, lauter kräftigen Männern und Jünglingen, die je zu zweien an einer zwischen ihnen hinlaufenden Kette festgeschlossen waren und zu Fuße gingen.«
»Die Schurken!« rief der Pelzjäger mit einer an ihm sonst nicht gewöhnlichen Heftigkeit aus, »sie haben die Unglücklichen eingefangen, wie sich ihnen die Gelegenheit dazu bot: frei Gekaufte, frei Erklärte und frei Geborene, um sie an die Küste zu schleppen und sie dort an Blockadebrecher und Sklavenhändler zum halben Preise abzutreten, von welchen sie wieder nach der Havannah oder nach Brasilien geschmuggelt werden. O, es ist ein einträgliches Geschäft für diejenigen, welche es verstehen, ihre schwarze Waare ohne Anlagekapital auf dem Wege aufzulesen; es ist die letzte Zuflucht der entsittlichten und heruntergekommenen Sklavenbarone, die wenigstens noch einen Theil ihres lebenden Eigenthums zu retten wünschen. Ha, lauter arbeitsfähige Männer und Jünglinge! Sie wissen am besten, daß Greise und Weiber ihre Mühe nicht bezahlt machen würden; und dennoch müssen sich Frauen in Mullans Begleitung befunden haben, und zwar Frauen, welche, obwohl Negerblut in ihren Adern kreist, sich dennoch ihrer Verwandtschaft mit den Vornehmsten der Seccessionisten schämen würden, hätte das Geschick eine solche über sie verhängt gehabt. Besinnt Euch daher genau, junger Mann, bemerktet ihr nicht wenigstens zwei Frauen bei ihnen?«
Eberhard sah eine Weile wie zweifelnd vor sich nieder. »Ich bemerkte deren zwei,« antwortete er endlich, wie im Traume, »eine so weiß, daß es zweifelhaft erscheint, ob auch nur ein Tropfen Negerblut in ihren Adern rollt, die andere eine Mulattin. Beide waren beritten, doch hatten sie, trotz der ihnen gezollten, fast ängstlichen Aufmerksamkeit, viel von den Rohheiten ihrer thierischen Henker zu leiden –«
Eine geräuschvolle Bewegung unterbrach ihn; der eine Mulatte war aufgesprungen und hatte das Messer aus der Scheide gerissen, während der andere zähneknirschend und mit vorgebeugtem Kopfe seinen Mittheilungen lauschte.
»Ist das wahr? Haben sie es gewagt?« riefen sie drohend und mit einer Erregtheit, welche auf ihre näheren Beziehungen zu den gefangenen Frauen hindeutete.
»Ich sagte nicht zu viel,« versetzte Eberhard, sich befremdet dem Pelzjäger zuwendend.
»Der Bruder und der Bräutigam des einen Mädchens,« erklärte dieser, auf Walebone und Willing hinweisend, und nachdem er einen Blick des Einverständnisses mit Redsteel gewechselt hatte, fuhr er fort:
»Es lag ursprünglich nicht in meiner Absicht, Euch mit der Sachlage in ihrem ganzen Umfange vertraut zu machen; nach den jüngsten Aufschlüssen über Euer Verhältniß zu dem alten Braun fällt indessen jeder Grund zur Vorsicht fort, und hindert mich also nichts, frei und offen zu Euch zu sprechen. Euer ehrenwerther Onkel ist also ein reicher Mann, vielleicht weit reicher, als wir Beide ahnen. Außer seinen beständig arbeitenden Kapitalien nennt er bedeutenden Grundbesitz sein Eigenthum, und zwar nicht nur in den nördlichen Staaten, sondern auch im Süden, mitten im Herzen der Conföderation. Letzteres besteht, wie mich unser Freund Redsteel belehrte, in einer großen Plantage, auf welcher er alljährlich einige Monate zuzubringen pflegte. Ob er auf seinem Landsitz viel Freude erlebte, lasse ich dahin gestellt sein. Es wurde nämlich ruchbar, daß er nicht nur einzelnen seiner Sklaven die Freiheit schenkte, sondern auch für deren Belehrung sorgte und Bestimmungen getroffen hatte, laut deren alle ihm angehörigen Farbigen nach seinem Tode ihre Freiheit, und mit dieser sogar noch erhebliche Geldunterstützungen erhalten sollten. Hieraus erklärt es sich, daß er von seinen Nachbaren nicht mit den günstigsten Augen betrachtet wurde und beim Ausbruche des unheilvollen Krieges nur mit genauer Noth den gegen ihn angezettelten Nachstellungen entrann. Er selbst entkam, dagegen vermochte er nur Einzelnen seiner Untergebenen zur Flucht zu verhelfen, ebenso konnte er nicht hindern, daß die Aufständischen seine schöne Plantage mit Allem, was auf derselben lebte, mit Beschlag belegten. Was aus seinen Sklaven, mehreren hunderten an der Zahl, wurde, erfuhr er nie genau; die wenigen, welche ihren Peinigern entflohen und ihren Weg über eine Strecke von Hunderten von Meilen zu ihm, ihrem wohlwollenden und gütigen Gebieter, fanden, wußten nur von den entsetzlichsten Gräueln zu erzählen, die man an der farbigen Bevölkerung, der man nicht traute, verübte.
»Unter den Leuten, welche Euer ehrenwerther Onkel gleich mit sich nahm, befand sich ein junges sechszehnjähriges Mädchen, in welchem eine Farbige zu erkennen, selbst dem ausgezeichnetesten Sklavenzüchter schwer geworden wäre. Diese junge Person, unstreitig dieselbe, die Ihr heute in der Begleitung der Rebellenräuber saht, hatte der alte Braun als Kind auf einem Sklavenmarkte für eine verhältnißmäßig hohe Summe erstanden – so verhielt es sich ja wohl, Mr. Redsteel?«
Der Angeredete, der grübelnd vor sich in die Flammen stierte, erschrak bei der Nennung seines Namens. Als hätte er geträumt, sann er einige Sekunden nach, dann nickte er zustimmend, worauf er seine alte Stellung wieder einnahm.
»Gut also,« fuhr Sans-Bois alsbald wieder fort, nicht beachtend die fieberhafte innere Erregung, welche sich auf Eberhards Zügen spiegelte, »mochte er nun für das Kind bezahlt haben, was er wollte, unzweifelhaft ist, daß er es später für sein ganzes Vermögen nicht wieder fortgegeben hätte, indem es zu einer Jungfrau heranreifte, die vielleicht unter den weißen Frauen des ganzen amerikanischen Continentes ihres Gleichen suchte. Ich kenne sie nicht persönlich, jedenfalls aber wurden die ungewöhnlichen Reize, mit welchen die Natur sie bevorzugt hatte, besonders dadurch erhöht, daß der alte Braun ihr eine Erziehung zu Theil werden ließ, wie man sie namentlich unter den trägen, gefühllosen, verschwenderischen und im allgemeinen nicht sehr gesitteten Weibern der südlichen Gewalthaber nicht zu häufig findet.
»Durch Letzteres hatte er in seiner südlichen Nachbarschaft eine tiefe Abneigung gegen sich selbst hervorgerufen, welche sich zu einem fanatischen Haß gegen seinen Schützling steigerte; und wäre es ihm nicht geglückt, diesen mit sich fortzunehmen, so unterliegt es kaum einem Zweifel, daß man, um die Rachsucht der Rebellenschönen zu befriedigen, die junge Octone geschoren, gebrandmarkt und zu den allerniedrigsten Dienstleistungen, wohl gar zu entehrenden Zwecken verkauft hätte. –
»Die schreckliche Kriegszeit verlebte Magnolia in stiller, friedlicher Zurückgezogenheit im Hause ihres großmüthigen Beschützers, dessen Hauswesen leitend und sich in immer höherem Grade seine Zuneigung erwerbend.
»Drei und ein halbes Jahr waren dahingegangen, als ein Umstand eintrat, der das junge Mädchen auf längere Zeit von St. Louis fortrief. Ihre Abwesenheit sollte nur Wochen, höchstens zwei Monate dauern, doch fügte es ein unheilvolles Geschick, daß sie bis heute noch nicht heimgekehrt ist.«
Bei diesen Worten nickte Sans-Bois den beiden aufmerksam lauschenden Mulatten freundlich ermuthigend zu, worauf er seine Erzählung sogleich wieder aufnahm.
»Den ununterbrochenen Bemühungen Brauns war es nämlich gelungen, die Mutter seines Schützlings zu entdecken. Dieselbe, eben so weiß, wie ihre Tochter, lebte im südlichen Kentucky, wo sie sich durch Führung eines Kosthauses ihren Unterhalt redlich erwarb. Ihre helle Hautfarbe war vielleicht Ursache, daß man sich mehr um ihre gute Küche, als um ihre Abkunft kümmerte, sie daher bei der allgemeinen Ueberwachung und Verfolgung aller Farbigen unbehelligt blieb. Hätten indessen Braun oder Magnolia sich mit ihr, die als frühere Sklavin, weder schreiben noch lesen gelernt hatte, in schriftlichen Verkehr setzen wollen, so wäre die größte Gefahr für die arme Frau heraufbeschworen worden. Es gab also nur den einzigen Ausweg, eine persönliche Zusammenkunft herbeizuführen, und hierzu schien der günstige Zeitpunkt gekommen zu sein, als die Rebellen in Kentucky so weit zurückgedrängt wurden, daß man das erwähnte Städtchen als in nordstaatlichem Gebiet liegend betrachten durfte.
»Gerührt durch die Bitten Magnolia's welche um diese Zeit das neunzehnte Jahr erreicht haben mochte, auch wohl in der Absicht, den erwachenden kindlichen Gefühlen seines Lieblings, der sich so lange elternlos wähnte, Vorschub zu leisten, ertheilte Braun seine Einwilligung zur Reise. Hieran schloß er die Aufforderung, daß Magnolia's Mutter ihr Geschäft auflösen und mit ihrer Tochter in sein Haus einziehen möge, um daselbst die Stellung einer Hausverwalterin zu übernehmen. Um Magnolia die Reise zu erleichtern, gab er ihr eine junge Mulattin zur Begleiterin, deren Bruder und Bräutigam zugleich ihren Schutz bilden sollten.
»Von den freudigsten Hoffnungen beseelt, brach die kleine Gesellschaft auf, und bald erhielt der alte Braun die verbürgte Nachricht von deren glücklichem Eintreffen an Ort und Stelle.
»Doch nichts ist wandelbarer, als das Kriegsglück. Die beiden Freundinnen hatten unter der treuen Führung ihrer gewissenhaften Beschützer kaum ihr Ziel erreicht, als die Rebellen in die zufällig von Militär entblößte Landschaft einbrachen und das Städtchen wieder in Besitz nahmen.
»So fest Walebone und Willing darauf beharrten, – und hier sitzen sie ja als Zeugen – nicht von der Seite der ihrem Schutze anvertrauten Mädchen zu weichen, wurden sie doch gezwungen, um größerem Unglück vorzubeugen, sich von ihnen zu trennen. Sie hegten dabei die berechtigte Hoffnung, daß Magnolia und deren Begleiterin im Hause der Mutter und als deren Mägde die Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen würden, wogegen für Walebone und Willing zu befürchten stand, daß sie im Fall ihres Bleibens, wenn man sie nicht niederschoß, mit Gewalt fortgeschleppt wurden und entweder beim Bau von Befestigungen der übermäßigen Arbeit, dem Hunger und dem Elende erlagen, oder auch als verkaufte Waare nach überseeischen Colonien wanderten.
»Mit genauer Noth entrannen die jungen Leute einem derartigen Schicksal, und bald darauf traf zu aller Beruhigung die glaubwürdige Nachricht ein, daß die beiden Mädchen in ungestörter Ruhe im Hause der alten Frau lebten und vor den Leuten gewöhnliche Mägdedienste verrichteten.
»Bei den Erfolgen, welche die Waffen der Unionisten um diese Zeit Schlag auf Schlag über die Rebellen errangen, ließ sich voraussetzen, daß den sehnsuchtsvoll Erwarteten binnen Kurzem der Heimweg geöffnet werden würde, als ein heilloses Unglück, bevor das Städtchen zurückerobert wurde, diesen Mullan in das Haus der alten Frau führte.
»Mullan, ein früherer Pflanzer und Nachbar Brauns, jedoch durch den Krieg und fanatisches Hinopfern seiner Habe und seiner Ehre für die fluchwürdigen Institutionen des Südens zu einem gemeinen Mörder und Wegelagerer herabgesunken, erkannte natürlich auf den ersten Blick diejenige wieder, die zur Zeit seines Wohlergehens ihm und seinen Gesinnungsgenossen im vollsten Sinne des Wortes ein Stein des Anstoßes gewesen. Wie die unglückliche Mutter erzählte, begrüßte er das wunderbare Zusammentreffen mit einem thierischen Wuthgebrüll, und anstatt mit seinen zügellosen Genossen rastend und brandschatzend zu verweilen, befahl er, die Pferde sogleich zu satteln und sich zum Aufbruch bereit zu halten. Das Haus wurde darauf mit Wachen umstellt, um keinen Neugierigen hineinzulassen, und als er eine halbe Stunde später mit seiner Rotte davon sprengte, da befand sich in ihrer Mitte nicht nur des alten Brauns Schützling, sondern auch unseres Walebone's Schwester; in dem ausgeplünderten Hause aber lag, gräßlich geknebelt, die um den Verlust des kaum wiedergefundenen Kindes jammernde und verzweifelnde Mutter.
»Mullan hatte nur zu genau gewußt, weßhalb er sich so sehr beeilte; denn schon am folgenden Tage strömten die geschlagenen und zersprengten Rebellenschaaren durch das Städtchen, in welchem noch an demselben Abende ein nordstaatliches Regiment Quartier bezog.
»Lange schwebte man in Brauns Hause in folternder Ungewißheit, bis endlich die alte Frau eintraf, und das traurige Loos schilderte, welches ihre Tochter und deren Freundin betroffen hatte.
»Walebone und Willing waren um diese Zeit schon weit fort. Bei der ersten Nachricht von dem Vordringen der Unionisten hatten sie sich schleunigst dahin begeben, wo sie die beiden Mädchen noch vorzufinden hofften, allein sie kamen nur, um das Schrecklichste zu erfahren. Sie erwiesen sich indessen als tüchtige Männer, denn ohne zu zaudern folgten sie den Spuren der frechen Entführer nach, wodurch sie wieder tief in das Rebellengebiet hinein gelangten. Doch was halfen ihnen die reichen Mittel, welche Braun ihnen zur Verfügung stellte, was halfen ihnen die eigenen, im Verlaufe des Krieges gesammelten Erfahrungen, ihre Gewandtheit und Umsicht? Sie waren nur ihrer Zwei, die obenein jederzeit auf ihre eigene Sicherheit bedacht sein mußten, und es schon als ein hohes Glück betrachteten, Mullan mit seinem Raube nicht aus den Augen zu verlieren. An eine unmittelbare Rettung der Gefangenen durften sie gar nicht denken, zu scharf wurden dieselben bewacht; sie gaben die Hoffnung auf einen endlichen Erfolg trotzdem nicht auf, und mit einer Ausdauer, welche ihres Gleichen sucht, folgten sie Mullan auf allen seinen Kreuz- und Querzügen auf Schritt und Tritt durch alle Fährnisse hindurch nach. Derselbe hatte sich zuerst südlich gewendet; doch mußte Shermans kühner Zug auf Atlanta Bedenken in ihm wachgerufen haben, denn er änderte seine Richtung bald wieder, und da ihm weniger am Kämpfen gelegen war, als sich und seine Beute in Sicherheit zu bringen, so zog er sich bis in die Nähe eines südstaatlichen Gefangenendepots zurück, wo er ohne Zweifel auf eine günstige Gelegenheit lauerte, an die Küste zu schlüpfen.
»Wochen, ich glaube beinah zwei Monate blieb Mullan an gedachtem Orte liegen, seinen Gefangenen wohl etwas mehr Freiheit gönnend, sie nebenbei aber scharf bewachend. Diese Zeit nun benutzte Walebone, um nach St. Louis zu eilen, während Willing unter den schrecklichsten Drangsalen sich bis zur Rückkehr seines Freundes in der Nachbarschaft des Depots verborgen hielt, ohne indessen Gelegenheit zu finden, den Gefangenen auch nur seine Nähe kund zu thun. Selbst mit den einzelnen Freunden der Union, welche vielleicht in dem Orte lebten, konnte er sich nicht in Verbindung setzen. –
»Walebone erreichte unterdessen wohlbehalten St. Louis, wo Braun auf seinen Bericht sogleich alles in seinen Kräften Stehende aufbot, die Befreiung der Gefangenen zu bewirken.
»Ich rastete gerade mit meinen alten Jagdgefährten in St. Louis, wo wir unsere Ausrüstung erneuerten, die bei dem schweren Kriegsdienst sehr gelitten hatte und zum Theil unbrauchbar geworden war. Wir dachten an nichts weniger, als unsere Kräfte zu einem Privatunternehmen herzugeben, als eines Tages Redsteel, der eben erst nach einer längeren Abwesenheit zurückgekehrt war, bei uns in den Räumen der Pelzcompagnie erschien und mich im Auftrage Brauns bat, mit meinen Gefährten einen Versuch zur Befreiung der beiden Mädchen zu wagen.
»Obwohl an ein abenteuerliches Leben gewöhnt, ist es mir doch stets willkommen gewesen, mit meinem planlosen Umherstreifen irgend einen bestimmten Zweck zu verbinden. Da es nun zu spät war, mich an Shermans unvergleichlichem Kriegszuge zu betheiligen, mein Mitleid für die beiden Mädchen aber in demselben Maße wuchs, wie mein Haß gegen den Bandenführer Mullan sich steigerte, so entschloß ich mich kurz, und schon nach zwölf Stunden befanden wir uns Alle, wie Ihr uns hier seht, unterwegs, um, geführt von Walebone, Mullan aufzusuchen.
»Trotz der zahlreichen Hindernisse, mit welchen wir in Feindesland fast stündlich kämpften, wurden wir vom Glück begünstigt. Mullan war zwar aufgebrochen, allein Willing hatte sich mit der Geduld und der Ausdauer eines Schweißhundes an seine Ferse geheftet, uns durch bestimmte Zeichen lenkend und auf der richtigen Spur haltend, so daß es uns vor acht Tagen wirklich gelang, ihn einzuholen. Ueber die von Mullan verfolgte Richtung herrscht jetzt kein Zweifel mehr: Er sucht in der Nähe des Rebellennestes Savannah die Küste zu erreichen, und mein Leben setze ich zum Pfande, daß wir ihm seinen Raub abjagen, noch bevor er lange an dem schiffbaren Theile des Savannah-Stromes hingezogen ist.
»Unser Zusammentreffen mit Euch – nebenbei bemerkt, der wunderbarste Zufall, welchen ich je erlebte – betrachte ich als ein gutes Zeichen, um so mehr, als ich darauf rechne, daß Ihr Euch an unserem Unternehmen betheiligt.«
»Hier ist meine Hand!« versetzte Eberhard lebhaft, und aus seinen Augen sprühte ein so schwärmerisches Feuer, daß Redsteel befremdet zu ihm aufschaute, als hätte er in seinen erregten Zügen nach dem Grunde für die plötzlich erwachte große Bereitwilligkeit suchen wollen; »ich folge Euch bis an's Ende der Welt, wenn es sein muß!« rief er noch enthusiastischer aus, »und ist es mir beschieden, auch nur das Geringste zu dem Gelingen Eures Unternehmens beizutragen, so soll mich das –«
Er stockte; die verwunderten Blicke der neuen Gefährten schienen ihn zu verwirren, und wie befürchtend, zu viel gesagt zu haben, wiederholte er in Gedanken seine letzten Worte.
»Ihr seid eine rachsüchtige Natur,« bemerkte Sans-Bois schwermüthig lächelnd; »doch es ist erklärlich, wenn Jemand solche Mißhandlungen erfahren hat, wie Ihr, mag er sich wohl darnach sehnen, mit einer guten Büchse in der Faust seinen Peinigern wieder zu begegnen. Die Rache ist freilich nicht edel; allein in diesem Falle darf man es gewiß entschuldigen, wenn Ihr mit ganzer Seele trachtet, das giftige Gewürm zu zertreten.«
»Weiltet Ihr nicht in dem Depot, in dessen Nähe die beiden Mädchen von Mullan gewaltsam zurückgehalten wurden?« fragte Redsteel, bevor Eberhard auf Sans-Bois' Bemerkung eine Erwiderung ertheilte.
»Vor vier Monaten wurde ich dorthin gebracht,« antwortete Eberhard zögernd, »ob diejenigen, welche Ihr sucht, sich zu derselben Zeit dort befanden, werdet Ihr selbst am sichersten berechnen können.«
»Ja, ja, nach meiner Berechnung habt Ihr, ohne es zu ahnen, beinah sechs Wochen wenigstens in ihrer Nähe geweilt,« bekräftigte Redsteel, »jedenfalls begünstigt Euch das Glück in hohem Grade, indem Ihr Gelegenheit findet, Euch auf die vortheilhafteste Weise bei Eurem Onkel einzuführen.«
Bei der Erinnerung an seinen Onkel erschrak Eberhard sichtbar, und längere Zeit dauerte es, bevor er sich hinlänglich gesammelt hatte, mit äußerer Ruhe zu antworten.
»Wenn ich mit Leib und Seele mich an Euerm Unternehmen betheilige, so geschieht dies am wenigsten materieller Vortheile halber, oder gar um mir die Gunst meines mir noch unbekannten Onkels zu erwerben,« versetzte er, Redsteels forschenden Blicken unwillkürlich ausweichend; »müßte ich befürchten, einen solchen Schein auf mich zu laden, sollte nichts in der Welt mich bewegen, nach glücklicher Erreichung unserer Zwecke die Schwelle von meines Onkels Haus zu betreten.«
»Habt Ihr nicht Euern freien Willen?« rief Redsteel mit erzwungenem Gleichmuthe aus, während das Zucken der beweglichen Nase seinen heimlichen Verdruß verrieth; »geht doch, wohin es Euch beliebt, und mögt Ihr nie bereuen, eines aufrichtigen Freundes Rathschläge nicht beachtet zu haben. Zu den Reichthümern Eures braven Onkels werden sich ja wohl andere Leute einstellen, die freilich weniger berechtigt sein dürften, als Ihr.«
Eberhard blickte träumerisch vor sich in die Flammen; er schien Redsteels Worte nicht zu hören. Dieser dagegen mochte seine Empfindungen ahnen und ihn mit wohlüberlegter Absicht seinen Betrachtungen überlassen, denn er wendete sich Sans-Bois und dessen indianischen Freunden zu, welche Letztere eine seltsam geschmückte Tabackspfeife mit rothem steinernem Kopf angezündet hatten und von Hand zu Hand, oder vielmehr von Mund zu Mund reichten. Die beiden Mulatten saßen abseits; was sie dachten, was sie fühlten und flüsternd besprachen, verrieth sich in den bald trübe darein schauenden, bald in unheimlicher Gluth aufleuchtenden großen schwarzen Augen.
»Werden wir früh aufbrechen?« fragte Redsteel den Pelzjäger, der eben die Pfeife, nachdem er einige Züge aus derselben gethan, an Brise-glace zurückgab.
Der Angeredete blickte zum sternenbesäten Firmament empor und betrachtete den großen Bären eine Weile sinnend.
»Es ist eine Stunde vor Mitternacht,« antwortete er mit überzeugender Entschiedenheit, »wir mögen eben so gut einige Stunden schlafen; wer weiß, welche Forderungen morgen an uns gestellt werden. Sind die Wachen verabredet?« wendete er sich an Brise-glace, der sich in den vollen Schein des mit altem Hausgebälk reich genährten Feuers hingestellt hatte und in seiner rothen Bekleidung und der malerisch um die Schultern geschlungenen rothen Decke an die grell beleuchtete Bühnengestalt des wilden Jägers erinnerte.
»Alles in Ordnung,« antwortete der Jova, und während er noch sprach, verschwanden der Mestize und Soldat-grand nach verschiedenen Richtungen in der Dunkelheit.
Sans-Bois zog eine gestreifte mexikanische Decke über sein Haupt und legte sich zum Schlafen nieder.
Mit über die Fistel hinausgezwängter Stimme rief Brise-glace dem Mestizen einige indianische Worte nach, welche von diesem mit dem zustimmenden »Hau!« beantwortet wurden; dann warf auch er sich, die mit den vom Thau durchnäßten Mokassins bekleideten Füße der trocknenden Gluth zugekehrt, auf den zerstampften, herbstlich gedörrten Rasen; die Büchse lag im Bereiche seiner rechten Hand, die Decke hatte er über das seines Turbans entledigte, schwarz behaarte Haupt gezogen. Walebone und Willing, so wie die beiden Omahas begaben sich ebenfalls zur Ruhe, nachdem sie vorher von dem zerstörten Hause einen ausreichenden Vorrath trockenen Holzes herbeigeschleppt hatten. – – –
»Euer Onkel ist mein Freund, und mehr, als das, er ist in mancher Beziehung mein Wohlthäter,« flüsterte Redsteel Eberhard zu, indem er sich dicht an dessen Seite legte und die Hälfte seiner Decke über ihn hinwarf, »ich dagegen bin sein Geschäftsführer in Angelegenheiten, mit welchen er selbst sich ungern befaßt; es ziemt sich daher wohl, daß ich mein Bett, ärmlich, wie es sein mag, mit Euch theile.«
Eberhard nahm die ihm erwiesene Freundlichkeit schweigend entgegen. Erst nach einer längeren Pause und nachdem die übrigen Mitglieder der Gesellschaft in tiefen Schlaf gesunken waren, wendete er sein Gesicht, welches so lange finster und nachdenklich den Flammen zugekehrt gewesen, jenem zu.
»Herr Redsteel,« hob er in deutscher Sprache an, seine Stimme vorsichtig dämpfend, »noch steht es in meiner Gewalt, mich zurückzuziehen und Ihre in das Gewand der Ueberzeugung gekleideten Muthmaßungen in das Reich der Irrthümer zurückzuweisen. Bevor ich reiflich erwogen habe, will ich indessen keine endgültige Entscheidung treffen; denn auch ich habe, arm und freundlos, wie ich erscheine, schwer wiegende Rücksicht zu nehmen. Beantworten Sie mir daher eine in meiner Lage gewiß gerechtfertigte Frage: Wie soll ich mir erklären, daß Sie in dem unglücklichen und zerlumpten Soldaten auf den ersten Blick den Eberhard Braun erkannten?«
»Bezweifeln Sie etwa, daß Ihr Onkel und namentlich Ihre Eltern in Europa Alles aufgeboten haben, eine Spur von Ihm, dem seit beinah sieben Jahren Verschollenen zu entdecken? Und was lag dabei wohl näher, als daß sie mich mit einer genauen Beschreibung Ihrer Person ausrüsteten, mich, dem bei allen Nachforschungen die Hauptarbeit zufiel?«
»Zugegeben, Sie sind im Besitze eines vollständigen Signalements, so sehen Menschen doch einander oft so ähnlich, daß das Signalement des einen genau auf den andern paßt, obwohl sie nicht näher mit einander verwandt sind, als Sie zum Beispiel mit den schlafenden Indianern dort.«
»Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß ich mich täuschte,« versetzte Redsteel mit einer gewissen Ueberlegenheit; »wer indessen ernstlich Jemand sucht, der darf keine Mühe scheuen. Wo nur immer ich einem etwa fünfundzwanzigjährigen, hoch und kräftig gewachsenen Deutschen begegnete, dessen blaue Augen, dunkelblondes Haar und ganze Gesichtsbildung annähernd mit dem Signalement übereinstimmten, da redete ich ihn jedesmal als Eberhard Braun an, freilich, um in manchen Fällen verlacht zu werden, in andern höflich meinen Irrthum zu bekennen, bis ich endlich heute aus der auf Ihrem Gesicht ausgeprägten Verwirrung ersah, daß ich dennoch an den rechten Mann gekommen sei.«
»So sind Sie fest überzeugt, daß ich der verschollene Eberhard Braun bin?«
»So sicher, wie ich Sie jetzt vor mir sehe, ich kann darauf schwören, meine Zeichen trügen mich nicht. Doch ich ahne, Sie kämpfen noch immer gegen Ihren Hochmuth und drohen, ihm zu unterliegen. Aber schenken Sie mir einige Minuten Gehör, und ich will Erinnerungen in Ihnen erwecken, die vielleicht nachhaltiger auf Sie einwirken, als die Vorstellungen eines Ihnen noch ziemlich fremden Mannes es vermögen.«
Eberhard hob das Haupt empor und sandte einen zweifelnden Blick im Kreise herum.
Die kriegerischen Gestalten des Pelzjägers, der Mulatten und Indianer schliefen; laut knackte das Holz auf dem Wachfeuer. Als feine Eiskrystalle senkte sich der Thau auf die Erde nieder; wie Wärme und Auflösung suchend, schmiegte er sich fest an dürre Halme und geknickte Gräser an; auf die Sättel, auf die Waffen, sogar auf die schwarzen verkohlten Balken lagerte er sich, alle vorragenden Gegenstände, selbst in der Dunkelheit sichtbar, weiß schmückend. Die Sterne funkelten; zwischen dem abgestorbenen Laub der Eichen und Hickorybäume lispelte es, wie Geistergruß. Als schwarze, formlose Punkte zeichneten sich auf der Leiche des Cottonwoodbaumes die beiden Geier vor dem nächtlich erleuchteten Himmel aus. Im Mauerwerk der zerfallenen Gebäude zirpten fort und fort die Heimchen; sie erzählten von besseren Zeiten und von glücklichen Menschen. Aber auch Redsteel erzählte leise, während seine lauernden Augen sich in das theilweise roth beleuchtete Antlitz Eberhards gleichsam einbohrten. Er erzählte von heißen Thränen des Kummers, welche brave Eltern um ihren Sohn weinten, und von den Anstrengungen, welche gemacht wurden, den Verlorenen unter das heimathliche Dach zurückzuführen. Auch von einem Polizeiagenten sprach er, der mit dem Flüchtlinge an Bord eines amerikanischen Segelschiffes zusammengetroffen, und von den Worten, welche dort zwischen den Beiden gewechselt wurden. Dann erzählte er wieder von dem seltsamen Verhältniß, in welchem die beiden Brüder zu einander standen, der Kärrner und der Millionär, und den Kärrner schilderte er so genau, und ebenso dessen Gattin, daß man Beide nach dieser Schilderung hätte malen können; immer wieder kam er darauf zurück, wie dieselben durch die Nachricht von dem Wiedererscheinen ihres Sohnes unter den Lebenden hoch beglückt sein würden, nachdem sie ihn volle sechs Jahre für todt und verschollen gehalten.
Mit wachsender Spannung, als hätte er jedes einzelne Wort doppelt und dreifach seinem Geiste einprägen wollen, lauschte Eberhard; er lauschte so gespannt, daß er nicht bemerkte, wie die beiden Wache haltenden Indianer geräuschlos herbeischlichen, auf eine leichte Berührung von ihnen zwei andere sich erhoben und in der Dunkelheit verschwanden, während die Zurückgekehrten sich auf deren warme Stellen legten. Er lauschte so gespannt, daß ihm nicht einmal Zeit blieb, dem Kummer seiner zärtlichen Eltern eine Thräne oder auch nur ein Wort der Theilnahme zu weihen und heimlich zu bereuen, ihnen so namenlos schweren Gram bereitet zu haben.
Redsteel aber erzählte weiter und weiter; scharf berechnet und wohlüberlegt waren seine Worte, die wie Gift von seinen Lippen tropften, wie Gift, sorgfältig eingekleidet in süße Hülle. Und als er geendigt und eine Art Betäubung, eine Folge der im Laufe des Tages erduldeten Qualen und der ununterbrochenen Gemüthsbewegungen, sich seines Schützlings bemächtigte, da fuhr der Morgenwind säuselnd durch die bereiften Kronen der Bäume und über die Lichtung. Die Heimchen zirpten noch immer unermüdlich; vom Waldessaum herüber erschallte das Kläffen eines Prairiewolfs. – –