Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band II
Balduin Möllhausen

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10.

Die Taufe

Obgleich die Rüstungen der Mormonen ihren ununterbrochenen Fortgang nahmen und jeder nach seinen besten Kräften dazu beitrug, den Heiligen der letzten Tage den Sieg erringen und sichern zu helfen, so wurde doch nichts verabsäumt, was die Glaubensstarken hätte erbauen, die Zaghaften und Wankelmütigen dagegen zuversichtlicher und hingebender machen können.

Es fehlte nicht an Predigten und öffentlichen Ermahnungen, vor allen Dingen aber sorgte man auch für die gelegentliche Wiederholung der mehr in die Augen fallenden Zeremonie des Taufens, die ganz darauf berechnet war, ebensowohl auf die Gemüter der eigenen Gemeinde, als auch auf die wilden eingeborenen Stämme, welche man als Verbündete mit in den Krieg hineinzuziehen wünschte, einen bleibenden Eindruck auszuüben.

So war denn auch der Tag herangekommen, an welchem die Mohaves in den Fluten des Jordan die heilige Taufe empfangen sollten. Man hatte den Jordan gewählt, einesteils, um der feierlichen Handlung einen gewissen Nimbus zu verleihen, dann aber auch, weil der bestimmte Punkt sich nahe der Fort Utah mit der Salzsee-Stadt verbindenden Landstraße befand, mithin, wenn auch nicht genau in der Mitte zwischen diesen beiden Orten liegend, doch von ersterem aus in einem halben Tage, von der Hauptstadt dagegen in einem starken Tagesmarsche erreicht werden konnte.

Während nun diejenigen Bewohner der Salzsee-Stadt, welche sich bei der Feierlichkeit zu beteiligen wünschten, schon am vorhergehenden Tage aufgebrochen waren, hatten die Bewohner von Fort Utah und den umliegenden Ansiedlungen sich erst in der Frühe desselben Tages in einer großen Karawane zu Roß und Wagen auf den Weg begeben. Da es sich indessen nicht allein um die Taufe handelte, welche in den Nachmittagstunden stattfinden sollte, sondern auch um den gesellschaftlichen Verkehr mit weit hergekommenen Verwandten und Freunden, so war die Heimkehr erst auf den folgenden Abend festgesetzt worden.

Fort Utah schien daher, im Vergleich mit den vorhergehenden Tagen förmlich ausgestorben zu sein. Alles, was nicht durch Krankheit, Altersschwäche, oder durch die allernotwendigsten häuslichen Pflichten zurückgehalten wurde, hatte es möglich zu machen gesucht, sich an einem Feste zu beteiligen, auf welchem den fanatischen Gemütern so reiche geistige Speise geboten wurde, welches aber auch als eine willkommene Unterbrechung und Aufmunterung in den trüben und bedrohlichen Zeiten betrachtet werden durfte.

Fort Utah war also still und leer. Nur in der zur Wachstube bestimmten Hütte am Eingang in den Hof erblickte man mehrere Männer, die zum Schutz zurückgelassen worden waren, und unter diesen die etwas gedrückten Gestalten des Grafen Absalon und des Barons Gabriel, wie sich letzterer umgetauft hatte. Auf dem Hofe selbst dagegen erschien hin und wieder an den Türen eine junge Frau, oder eine Greisin, den eigenen oder den anvertrauten Säugling tragend, während vereinzelte alte Männer sich im Schatten gelagert hatten und dort, mit irgendeinem frommen Buche oder mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, auf die behagliche Weise die Zeit verrinnen ließen.

Der Posten, dem die Bewachung der Gefangenen übertragen worden war, hatte sich ebenfalls aus den glühenden Sonnenstrahlen des beginnenden Sommers zurückgezogen. Er saß auf einem Holzblock in der vor dem eigentlichen Gefängnis befindlichen kleinen Vorhalle, und ihm gegenüber kauerte, mit unerschütterlicher Gemütsruhe seine steinere Pfeife rauchend, La Bataille, der verräterische Schlangenindianer.

Beide waren auffallend schweigsam; wenn sie indes einige Worte wechselten, dann ließ sich erraten, daß nicht der Zufall sie zusammengeführt hatte, sondern ein geheimer Zweck, welchem sie offenbar eine große Wichtigkeit beimaßen.

Von Zeit zu Zeit schlichen sie auch wohl an die Tür des innern Gemachs, um die Gefangenen zu belauschen; doch kehrten sich dann immer wieder nach kurzer Frist zurück, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß Weatherton und Raft noch schweigsamer als sie selbst waren, und nur der auf und ab wandelnde Bootsmann zuweilen vor Ungeduld eine Verwünschung ausstieß, wenn sein grübelnder Gefährte durchaus nicht dazu zu bewegen war, auf irgend eine die Zeit verkürzende Unterhaltung einzugehen.

Da erschien plötzlich eine noch rüstige Matrone in der Tür vor dem Mormonen und La Bataille. »Alles bereit,« sagte sie kurz, worauf sie sich wieder entfernte.

Der Mormone nickte, stand auf und folgte der Matrone nach, kehrte aber schon nach Verlauf von wenigen Minuten wieder zurück, in der einen Hand einen dampfenden Kessel, in der anderen Teller, Löffel und Gabeln tragend.

Nachdem er La Bataille angewiesen hatte, dafür zu sorgen, daß er nicht gestört werde, begab er sich zu den Gefangenen hinein, worauf er die Tür hinter sich abschloß.

Weatherton und Raft beachteten ihn kaum, als er die Speisen auf den Tisch stellte, und erst als er sich nicht in gewohnter Weise sogleich wieder entfernte, wendete Weatherton sich ihm mit fragender Miene zu.

»Ich denke, Ihr müßt Langeweile empfinden,« sagte der Mormone mit schlecht verhehlter Schadenfreude, halb zu Weatherton, halb zu Raft gewendet; »möchtet gewiß gern die frische Luft mit dieser dumpfen alten Baracke vertauschen.«

Weatherton, in dieser Frage eine Verhöhnung vermutend, kehrte dem Mormonen, ohne ihn einer Antwort zu würdigen, den Rücken zu, Raft dagegen ging auf die Unterhaltung ein, indem er dem Schließer mit einem herzhaften Fluch versicherte, daß dieses vielleicht die einzige Wahrheit sei, die jemals in seinem Leben über seine Lippen gekommen.

Wie Weatherton den Mormonen nicht beachtet hatte, so beachtete dieser wieder nicht des Bootsmanns wenig schmeichelhafte Bemerkung; dafür aber trat er einen Schritt näher an den Offizier heran, und, einen Brief aus der Tasche ziehend, sagte er mit eigentümlichem Nachdruck:

»Ihr habt Freunde hier unter den Mormonen, Freunde, die nicht zugeben wollen, daß Ihr für die Missetaten anderer leidet.«

Raft war bei dieser Nachricht sprachlos vor Erstaunen; auch Weatherton glaubte nicht recht gehört zu haben, denn er wendete sich mit einer heftigen Bewegung dem Mormonen zu, und den Brief in dessen Hand gewahrend, fragte er hastig, ob derselbe für ihn bestimmt sei.

»Unter gewissen Umständen ist der Brief für Euch bestimmt,« antwortete der Mormone kalt.

»Warum nicht auf alle Fälle?« fragte Weatherton, die Stirn runzelnd.

»Weil es Fälle gibt, in welchen der Brief vollständig nutzlos für Euch wäre, und dann nur der Person, von welcher er herrührt, Unannehmlichkeiten bereiten könnte.«

Weatherton sann eine Weile nach. »So nennt mir die Bedingungen, unter welchen Ihr mir das Schreiben auszuhändigen angewiesen seid.«

»Wollt Ihr frei sein?« fragte der Mormone kurz.

»Ich dächte, Ihr könntet Euch diese Frage wohl selbst beantworten,« entgegnete Weatherton, während Raft sein bezeichnendes »originell« dazwischenschallen ließ.

»Es handelt sich aber darum, ob Ihr Euch durch die Flucht der Gefangenschaft entziehen wollt?«

»Ich soll fliehen, als ob ich wirklich ein Verbrechen begangen hätte? Das kann Euer Ernst nicht sein. Ich habe keinen Grund ein Verhör zu scheuen, und meine Flucht würde nicht nur den Verdacht feindseliger Handlungen noch mehr gegen mich lenken, sondern denselben auch in den Augen Eurer Glaubensgenossen rechtfertigen.«

»Dickie, Dickie«, ermahnte der von Besorgnis ergriffene Bootsmann, »bedenke die frische, freie Luft. Löse den Anker und frage den Teufel danach, ob's Tau gekappt oder um's Gangspill gedreht wurde!«

»Euer Bescheid ist vorhergesehen«, versetzte der Mormone, der in dem ungeduldigen Bootsmann einen willkommenen Beistand erblickte; »ich bin zwar nicht aufgefordert worden, Euch zu dem Schritt zu überreden, aber ich soll Euch daran erinnern, daß es für Eure fernere Sicherheit ratsam sei, die Dienste eines wohlwollenden Freundes nicht zurückzuweisen. Auch von jener Seite des Gebirges aus könnt Ihr den schweren Verdacht des Spionierens und der mittelbaren Beteiligung an dem Morde von Euch wälzen. Seid Ihr entflohen, so sind unsere Behörden der widerwärtigen Notwendigkeit enthoben, über Euch zu Gericht zu sitzen und voraussichtlich ein hartes Urteil sprechen zu müssen. Entscheidet Euch daher; es dürfte eine Zeit kommen, in welcher Ihr gern entfliehen möchtet, wenn es nicht zu spät wäre, und in welcher Euer Freund nicht mehr imstande ist, auch nur einen Finger zu Eurer Rettung zu erheben.«

»Dickie, denke an den Leoparden, an Deine Mutter, und dann denke auch an diejenige, der Du von dieser verdammten Kombüse aus am wenigsten helfen kannst«, murmelte Raft, indem er seinen Mund Weatherton's Ohr näherte.

»Willst Du allein fliehen und ihnen erzählen, wo ich geblieben bin?« fragte der Offizier, indem er sich dem Bootsmann freundlich zuwendete.

»Bei Gott, Leutnant,« rief Raft bei dieser Zumutung aus, indem er sich in seiner ganzen Länge aufrichtete und eine halb dienstlich straffe Haltung annahm, »habe ich es verdient, daß Ihr mich wie überflüssigen Ballast über Bord werft? Ja, ja, Jim Raft wird alt und ist zu nichts mehr nütze«, krächzte er vor innerer Bewegung, wobei seine Narbe wie Stahl im Feuer dunkelblau anlief, »ja, zu nichts mehr nütze, als den Kehricht vor dem Invalidenhause fortzuräumen –«

»Still, Jim, still,« unterbrach Weatherton seinen alten Lehrmeister, ihm gerührt die Hand drückend; »Du bleibst, wo ich bleibe, wo Du bleibst, aber nun laß mich ungestört überlegen. Es ist ja nicht die Freiheit, was Zweifel in mir erweckt, sondern die Art, auf welche ich sie erlange.« So sprechend, wendete er sich um, und in tiefes Sinnen versunken schritt er einigemal in dem Gemach auf und ab.

Als der Mormone ihm mitteilte, daß er einen Freund auf dem Fort habe, gedachte er zuerst Hertha's und des Versprechens, welches sie ihm gegeben. Im nächsten Augenblick hielt er aber für wahrscheinlicher, daß Jansen selber hier seine Hand mit im Spiele habe. Außerdem war ja auch anzunehmen, daß eines jungen Mädchens Einfluß unter einer Gemeinde fanatischer Männer nicht weit genug reiche, um ohne Furcht vor Entdeckung seine Flucht aus dem Gefängnis mit Aussicht auf Erfolg einzuleiten. Ging aber die geheimnisvolle Aufforderung wirklich von Jansen aus, dann durfte er darauf bauen, daß er, der ihn genauer, als irgend ein anderer im Fort Utah, kennen gelernt hatte, dieselbe als streng geboten betrachte, zugleich aber auch die Überzeugung hege, daß er, ohne sich zu kompromittieren, von dem Anerbieten Gebrauch machen könne.

Im nächsten Augenblick dachte er wieder an Hertha. Er sollte entfliehen, ohne sie auch nur ein einziges Mal wiederzusehen, ohne ihr die Aufschlüsse zu seinen Warnungen erteilt zu haben, wegen deren er ursprünglich die Reise unternahm. Was war ihr Los? Wie beurteilte sie seine Flucht, und wo oder wann durfte er hoffen, wieder mit ihr zusammenzutreffen und ihr sein rätselhaftes Verschwinden zu erklären? Und dennoch, wenn der Plan von ihrem Onkel ausging, dann mußte auch sie darum wissen, oder – da fiel ihm der Brief ein und die Möglichkeit, daß Hertha denselben vielleicht geschrieben habe, und hastig trat er auf den Mormonen zu, die Hand nach dem sorgfältig versiegelten Schreiben ausstreckend.

»Ihr habt Euch also dafür entschieden, die Dienste Eures Freundes in Anspruch zu nehmen?« fragte der Mormone, indem er den Brief zögernd darreichte.

Weatherton sann etwa eine Minute nach. Plötzlich bemerkte er die zierlichen aber festen Züge der Aufschrift. Dieselbe erinnerte ihn an den Brief, welchen er einst in New York erhielt.

»Das Schreiben rührt von Jansen her?« fragte er dann wieder zweifelnd.

»Ich weiß es nicht,« gab der Mormone zur Antwort; »ich weiß nur, daß Jansen schon heute in aller Frühe mit seiner Nichte nach der Salzsee-Stadt aufbrach; im übrigen handle ich nach ausdrücklichen Befehlen, die mir erteilt worden sind.«

»Fort von hier?« fragte Weatherton mit freudigem Erstaunen, und schon im nächsten Augenblick hielt er den geöffneten Brief in seinen Händen.

»Im Laufe dieser Nacht werden die Pforten Eures Gefängnisses geöffnet werden,« las er mit wachsender Spannung; »handelt genau so, wie die bei Euch eintretende Person Euch anweisen wird. Weicht aber keinen Schritt rechts oder links vom Wege ab, auf welchem man Euch führt. In einiger Entfernung vom Fort wird ein Schlangen-Indianer Eurer harren und Euch und Eurem Gefährten Waffen aushändigen. Derselbe ist beauftragt, Euch auf verborgenen Pfaden bis an die Postenkette der Amerikaner zu begleiten. Fragt nicht, wer ich bin? Vielleicht sehen wir uns bei den äußersten Feldwachen der Mormonen noch wieder. Verbrennt dieses Papier in Gegenwart des Überbringers, denn auch ich habe Ursache, auf meiner Hut zu sein.«

Weatherton las den Brief zum zweiten und dritten Male, doch vergeblich strengte er sich an, von den Schriftzügen einen annähernd richtigen Schluß auf den Schreiber und dessen verborgene Absichten zu ziehen. Es waren wohl Jansen's Gedanken, aber eben so wenig seine Art, sich auszudrücken, wie die feinen Schriftzüge von einer männlichen Hand herrührten. Wäre der Brief aber von Hertha geschrieben worden, so würde sie doch, ganz gewiß eine andere Form wie diese gewählt haben, die ja so ganz im Widerspruch zu ihrem sanften, freundlichen Wesen stand.

»Kennt Ihr den Inhalt dieses Briefes?« fragte er dann den Mormonen.

»Ich kenne ihn nicht und habe nur die mir erteilten Befehle zu befolgen, vor allen Dingen die Vernichtung des in Euren Händen befindlichen Papier's zu überwachen.«

»Seid Ihr die Person, welche ich zu erwarten habe?«

»Ich weiß es nicht, denke aber, daß ich es sein werde, oder man hätte Euch nicht Gelegenheit gegeben, eine so unvorsichtige Frage an mich zu richten.«

»Einer unsichern Person würde man kaum diesen Brief anvertraut haben.«

»Ihr mögt nicht ganz unrecht haben!« Mit diesen Worten zündete der Schließer die auf dem Tische stehende Lampe an, und nachdem Weatherton den Brief noch einmal durchgelesen, hielt er ihn über die Flamme, worauf er ihn brennend in den Kamin warf.

Der Mormone blieb so lang ruhig stehen, bis das letzte Schnitzelchen vollständig verkohlt war, und sich dann der Tür zuwendend, sagte er mit einem bedeutungsvollen Blick zu Weatherton:

»Ihr werdet Euch also bereit halten?«

»Ich werde dem Rate meines unbekannten Freundes folgen«, antwortete dieser nunmehr fest und bestimmt.

»Dann merkt Euch die Mitternachtsstunde,« versetzte der Mormone, und im nächsten Augenblick schlug er die Tür hinter sich zu.

Kaum hatte er wieder auf seinem Holzblock Platz genommen, so flüsterte er La Bataille einige Worte zu. In den schlaffen Zügen des Indianers leuchtete bei der heimlichen Mitteilung eine helle Schadenfreude auf. Er müßte dieselbe aber schon erwartet haben, denn er nickte mehrere Male zustimmend, worauf er leise aus der Haustür schlich und sich geraden Weges nach der als Wachstube dienenden Blockhütte begab.

Er blickte hinein; die wenigen Leute, die sich in derselben befanden, lagen auf ihren Decken und schliefen. Rufen wollte er nicht, um nicht alle zu wecken. Er trat daher ein, erschien aber sehr bald wieder, gefolgt von dem Grafen Absalon, im Freien.

Nach einigen kurzen Erörterungen machten sie, immer nebeneinander hinschreitend, einen Spaziergang ganz um das Fort herum; La Bataille hin und wieder erklärend, der Graf aufmerkend. In der Nähe des Gefängnisses blieben sie längere Zeit stehen, und der Indianer lenkte die Aufmerksamkeit seines Gefährten bald auf die Palisaden, bald auf das tief gelegene Bett des nahen Flüßchens, welches teilweise mit Schilf und Binsen dicht bewachsen war.

Nach Verlauf einer Stunde kehrten sie wieder nach dem Eingang des Forts zurück, wo sie sich voneinander trennten; der Graf, um sich seinen Kameraden zuzugesellen, der Indianer, um den Rest des Tages auf dem Vorflur des Gefängnisses, in Gesellschaft der sich dort ablösenden Mormonen in süßem Nichtstun hinzubringen.

Wo nun Menschen, welche eine hohe Stufe der Zivilisation erreicht haben, religiöse Gemeinden bilden, und es fehlen ihnen noch die Gotteshäuser, in welchen sie zum gemeinschaftlichen Gebete zusammentreten können, da wählen auch sie solch Punkte aus, die ihnen bei der Schöpfung bevorzugt zu sein scheinen. Es ist dieses eben die einfachste Art, vielleicht auch die edelste, auf welche sie vorläufig ihre Verehrung eines höheren Wesens an den Tag zu legen vermögen.

Derartige Gründe mochten also wohl mit dazu beigetragen haben, daß die Mormonen zur Vollziehung der heiligen Taufhandlung einen Punkt an den Ufern des Jordans gewählt hatten, von welchem aus ihnen zugleich eine Aussicht auf den prächtig eingerahmten Utahsee, und diesem gegenüber auf das nördlich gelegene Felsentor, durch welches der Jordan sich hindurchdrängt, geboten wurde.

Die nähere Umgebung entbehrte allerdings vieles, was das Auge freundlich berührt und das Gemüt zur Andacht hingerissen hätte; um so erhabener schimmerten dafür von allen Seiten die mächtigen Gebirgszüge herüber, und wohl war die feierliche Stille, welche auf dem glatten Wasserspiegel und auf den langgestreckten, allmählich in die Ebene übergehenden Abhängen ruhte, dazu angetan, den fühlenden Menschen zu ernstem Nachdenken zu mahnen.

Der Eindruck, welchen die Einsamkeit der Wildnis, die hohen nackten Bergjoche, der blaue See und die eilenden Fluten des kristallklaren Jordan hervorriefen, wurde indessen verdrängt, als die Mormonen dort in großer Anzahl eintrafen und die an den Fluß stoßende Wiese zahlreich und seltsam belebten.

Luftige Zelte und leichte Wagen standen hier dicht gedrängt nebeneinander, dort wieder durch größere Zwischenräume voneinander getrennt; Pferde und Maultiere weideten in kleinen Herden oder einzeln an langen Leinen gepflöckt. Nach allen Richtungen hin stieg der Rauch von Lagerfeuern in den klaren sonnigen Äther empor, und zwischen allem diesem bewegten sich hunderte von Männern, Weibern und Kindern in buntestem Gemisch durcheinander.

Bei allem Gewirre entdeckte man indessen leicht, daß der größte Teil der Anwesenden, namentlich die Männer, nach dem Ufer des Stromes zu drängten, wo der aus der Salzsee-Stadt herbeigekommene Apostel sich zu der bevorstehenden feierlichen Handlung vorbereitete.

Er hatte eine kleine Abflachung des Ufers zur Ausübung seines Amtes gewählt, und zwar eine Stelle, wo der Strom dicht vor seinen Füßen sich tief in das Erdreich hineingewühlt hatte. In seiner Nähe kauerten die Mohaves auf dem Boden. Dieselben schauten fröhlich und guten Mutes um sich und wechselten mit dem glücklichsten Ausdruck der Welt Worte und bezeichnende Blicke miteinander. Man sah ihnen an, wie wenig sie den Sinn der mit ihnen vorzunehmenden Zeremonie verstanden, und daß es sie im höchsten Grade ergötzte, sich als Mittelpunkt und die Hauptpersonen einer so zahlreichen Versammlung von weißen Menschen betrachten zu dürfen.

DerApostel hatte seine Taufrede beendigt; dieselbe war den Mohaves immer stückweise von einem ihrer Sprache kundigen Utah-Indianer verdolmetscht worden, und es sollte nunmehr zu der heiligen Handlung selbst geschritten werden.

Auf ein Zeichen des Apostels stiegen die Mohaves in den Strom und stellten sich so auf, daß er seine Hände bequem auf ihre Häupter legen konnte, ohne selbst in das Wasser treten zu müssen. Die Fluten reichten den Täuflingen bis über die Hüften, während ihre Köpfe sich in gleicher Höhe mit den Knieen des Apostels befanden, es hätte also kein günstigerer Punkt zu solchem Zweck gefunden werden können.

Während diese Vorbereitungen getroffen wurden, entstand ringsum eine lautlose Stille; nur von dem äußersten Rande des Lagers her drang, wie das Summen in einem wohlgefüllten Bienenkorbe, das Geräusch der sprechenden Frauen und der spielenden Kinder herüber.

»Der Herr ist Euch gnädig gewesen!« begann der Apostel endlich, nachdem er einige verzückte Blicke zuerst auf die verlegen lachenden Mohaves und anschließend im Halbkreise auf die Versammlung geworfen und dadurch die Spannung noch gesteigert hatte; »er war Euch gnädig, indem er Euch zusammenführte mit seinen Auserwählten, mit den Heiligen der letzten Tage, die dazu berufen sind, das neue Zion auf Erden zu gründen.

»Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen spräche«, fuhr er, seine Hände über die Indianer ausbreitend, fort, »so würde ich dennoch zu schwach sein, Euch würdig genug zum Dank gegen den Erlöser zu ermahnen, daß er Euch gerade jetzt zu Euern Mormonenbrüdern führte. Krieg und Not bedrohen, unser Volk; Krieg und Not werden Eure Stämme bedrohen, sobald es ruchbar geworden, daß Ihr, schon lange vorher, ehe die große Republik gegründet wurde, lange vorher, ehe die goldenen Tafeln durch Joseph Smith wieder an das Tageslicht gezogen wurden, Mormonen ward und daher, ehe Ihr uns und ehe wir Euch gesehen, mit uns verbrüdert gewesen seid!

»Eure Haut ist braun und die unsrige ist weiß; doch was ist die Farbe vor dem Herrn der Welten? Ihr seid unsere Brüder, und als solche fühlen wir uns verpflichtet, Euch mit Gut und Blut, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, im Falle die Amerikaner es wagen sollten, wie sie es schon vielfach bei anderen Stämmen getan, sich an Eurem Grund und Boden zu vergreifen.«

Wiederum ließ der Apostel eine Pause eintreten und auf seinen ausdrücklichen Wunsch übersetzte der Dolmetscher das zuletzt Gesagte.

Die Mohaves schauten nach diesen freundschaftlichen Eröffnungen verwundert zu dem Apostel empor; ihre behaglichen Mienen drückten aber doch seine Zweifel aus, als wenn sie nicht so ganz davon überzeugt wären, daß die Mormonen ihre Brüderlichkeit wirklich bis zu einem tätigen Beistande in den Zeiten der Gefahr ausdehnen würden. Sie gaben indessen ihre Zufriedenheit durch mehrfaches »Achotka« zu erkennen, und der Apostel fuhr fort:

»So tretet denn näher, meine wiedergefundenen Brüder,« begann der Apostel endlich wieder, indem er die Mohaves, um ihrem Verständnis zu Hilfe zu kommen, mit der Hand zu sich heranwinkte.

Die Indianer leisteten der an sie ergangenen Aufforderung Folge, und der Apostel bückte sich zuerst zu dem an dem einen Flügel stehenden Häuptling nieder.

Bedächtig legte er sodann seine Hände auf des Kriegers Haupt, und einen verklärten Blick gen Himmel sendend, rief er aus: »Mein Bruder, ich taufe Dich und nehme Dich auf in die Gemeinschaft der Heiligen der letzten Tage! Ich taufe Dich mit dem Wasser des Jordan, welches alle Sünden von Dir abwaschen möge; ich taufe Dich im Namen des Vaters, des allmächtigen Schöpfers des Himmels und der Erde! Amen!« »Amen!« wiederholte die ganze Versammlung. Kairuk aber schnellte wie ein Blitz nach dem Ufer hinauf, wo er sich halb lachend, halb zornig wie ein Hund schüttelte, denn der Apostel hatte ihn bei den letzten Worten dreimal hintereinander mit dem Kopfe untergetaucht, was ihm in seiner erhöhten Stellung natürlich ohne großen Kraftaufwand gelang.

Die übrigen noch im Wasser befindlichen Mohaves scheuten sich nicht, ihr Ergötzen durch lautes Lachen an den Tag zu legen, in welches Kairuk, nachdem er sich überzeugt, daß die Frisur seiner langen, in dicke Strähnen zusammengeklebten Haare nicht sonderlich gelitten hatte, aus vollem Herzen mit einstimmte. Als er aber bemerkte, daß seine Gefährten, trotz des Zurückhaltens des Apostels, Miene machten, dem Bade zu entschlüpfen, um ihren Stolz, nämlich ihren wunderbar starken und sorgfältig bepflegten Haarschmuck nicht benetzen zu lassen, da erhob er erneut Einspruch. Offenbar wollte er nicht der einzige bleiben, der von seinen Stammesgenossen verlacht wurde, und da er zugleich auf die, nach ihren Begriffen reichen Geschenke deutete, deren sie im Weigerungsfalle für verlustig erklärt werden würden, so verstanden sich dieselben endlich zu dem ganzen Verfahren, nur daß sie vorher ihre dicken Haarsträhnen wie einen Turban um ihr Haupt schlangen.

Die Taufe wurde darauf ohne weitere störende Zwischenfälle vollzogen. Die Mormonen sprachen jedesmal ihr andächtiges »Amen«, die Indianer begrüßten jedes neue Untertauchen mit schallendem Gelächter, was indessen von keiner Seite übel aufgenommen wurde, und als dann endlich der letzte der neu bekehrten Krieger nach dem Ufer hinaufsprang und die ihm dargereichten Geschenke in Empfang nahm, da löste sich die erbaute Versammlung auf, um in geselligem Kreise die Zeit bis zum Abend zu verbringen und sich gewissermaßen auf die religiösen und politischen Vorträge vorzubereiten, welche, namentlich mit Rücksicht auf die gegenwärtige Lage des Mormonentums, von einigen namhaften Rednern gehalten werden sollten.

Die Mohaves packten unterdessen ihre Geschenke in Bündel zusammen, und nachdem sie sich durch einige Worte und Zeichen untereinander verständigt, mischten sie sich unter die verschiedenen Gesellschaften, um mit jedem, der sich ihnen näherte und sie mit teilnehmenden oder neugierigen Blicken betrachtete, Händedrücke und einzelne, auf ewige Brüderschaft bezügliche Worte auszutauschen.

Wenn nun die fünf Mohaves, so lange sie zusammenblieben, eine hervorragende Gruppe bildeten, so verloren sie sich einzeln fast in dem lebhaften Gewühl, und da man sich überall sehr bald in ernste Gespräche vertiefte, hier sich in Äußerungen der Freude über ein endliches Wiedersehen nach langer Trennung erging, dort Befürchtungen über den Ausgang des Krieges laut werden ließ, so waren die Täuflinge bald vergessen, und diesen gelang es, sich einzeln und ohne Aufsehen zu erregen aus der Versammlung zu entfernen.

Nach einer kurzen Besprechung, welche augenscheinlich die Richtung ihres Weges und den Stand der Sonne betraf, stellte Kairuk sich an die Spitze; Jreteba trat sogleich hinter ihn, und an diesen schlossen sich dann die anderen drei Krieger in bestimmten Zwischenräumen an.

Eine kurze Strecke legten sie noch mit langen Schritten zurück, dann aber verfielen sie in einenn kurzen Trab, der indessen immer schneller und schneller wurde, und zwar mehr dadurch, daß sie größere Sätze nahmen, als daß sie den Takt, in welchem die harten Sandalen klappernd auf den festen und steinigen Boden fielen, beschleunigt hätten. Zuletzt bewegten sie sich so schnell von der Stelle, daß ein trabendes Pferd Mühe gehabt hätte, gleichen Schritt mit ihnen zu halten, ungeachtet der sich vielfach wiederholenden breiten Regenfurchen und der aus Gestrüpp und scharfem Gestein bestehenden Hindernisse, über welche sie, um die nackten Glieder nicht zu verletzen, mit der Gewandtheit und Sicherheit von verfolgten Hirschen hinwegsprangen.

Ja, das waren Menschen; sie kannten nicht den Nutzen der Pferde und Lasttiere, aber die Gelegenheit, Ausdauer und Kraft von solchen hatte die Natur ihnen verliehen. Und so ging es denn fort und fort; ihre Knie bogen sich, als hätten sich stählerne Adern statt der Sehnen in denselben befunden, und leicht und elastisch fielen die durch dickes Leder geschützten Füße auf den Erdboden. Die Wölfe, die bei Einbruch der Nacht ihre Schlupfwinkel verließen und beutegierig das Tal durchstreiften, brachen mitten in ihrem unheimlichen Geheul ab, wenn sie die fünf drohenden Gestalten erblickten, und weit abwärts sprengten die Antilopen, aus Furcht, im wilden Wettlauf um's Leben eingeholt zu werden.

Die Mohaves dagegen kümmerten sich weder um die Wölfe, noch um die Antilopen; sie schauten nur auf den Weg vor sich und nach der Richtung hinüber, in welcher sie ihr Ziel, Fort Utah, wußten. –

Fast ebenso schnell wie die Mohaves, allein mehr nach den Abhängen der Berge hin, näherte sich ganz zu derselben Zeit noch eine andere Gesellschaft dem Fort. Dieselbe bestand aus drei Reitern und zwei losen Pferden. In ihren Bewegungen waren diese geheimnisvollen Reisenden äußerst vorsichtig, und selbst als die Dunkelheit eingetreten, machten sie große Umwege, wenn sie an einem schwachen Lichtschimmer die Nähe einer einsamen Farm oder größeren Ansiedlung erkannten.

Diese drei Reiter waren Falk und die beiden Delawaren. Und während die Mohaves getreu ihrem Versprechen gegenüber Hertha Jansen nach Fort Utah eilten, um Leutnant Weatherton zu beschützen, so ritten jene dorthin mit dem Vorsatz, ihn und das Mormonenmädchen endgültig zu befreien ...


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