Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band II
Balduin Möllhausen

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7.

Onkel und Nichte

Die Zusammenkunft, welche zwischen Hertha und Weatherton verabredet worden war, fand am folgenden Abend nicht statt. Elliot und Jansen waren, wider allen Erwartens, während der Nacht zurückgekehrt, und wie ein Lauffeuer verbreitete sich unter den Bewohnern des Forts die Kunde von Rynolds' Ermordung.

Nur Weatherton und Jim Raft erfuhren nicht die Bedeutung, als sie von ihrem Gefängnis aus hin und wieder Gruppen von Männern und Frauen bemerkten, die mit ernsten, geheimnisvollen Mienen zueinander sprachen und dem Anschein nach eine sehr wichtige, offenbar in alle Verhältnisse eingreifende Begebenheit besprachen.

Anfänglich glaubte Weatherton, es sei zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Armeen gekommen; doch bezweifelte er dies wieder, als er nirgends bewaffnete Männer gewahrte, die sich vielleicht zum Abmarsch nach irgendeinem bedrohten Punkte gerüstet hätten, oder daß vielleicht Vorbereitungen zu einer energischen Verteidigung des Platzes selbst getroffen worden wären.

So erging er sich in Vermutungen mancher Art, und obgleich er die Überzeugung hegte, daß Elliot's und Jansen's Heimkehr eine Änderung in seiner Lage, vielleicht gar, auf Hertha's Verwendung, seine Befreiung zur Folge haben würde, so empfand er auf der andern Seite wieder Trauer darüber, seine verabredete Zusammenkunft mit Hertha durch das unerwartete Erscheinen ihres Onkels hintertrieben zu wissen. Mit Besorgnis gedachte er der Möglichkeit, sogleich auf freien Fuß gesetzt und ebensoschnell aus dem Tale der Mormonen zu den Vereinigten-Staaten-Truppen hinüber verwiesen zu werden. Er wäre in solchem Falle vollständig und unabänderlich von Hertha getrennt gewesen, und gelang es ihm später auch wirklich, sie wieder aufzufinden, dann war ihr Geschick voraussichtlich schon besiegelt, und ihm blieb weiter nichts mehr, als die Erinnerung an einen entschwundenen Jugendtraum, an eine süße, aber getäuschte Hoffnung. –

Der Tag war träge und eintönig dahingegangen, und weithin erstreckten sich die Schatten von Berg und Hügel über den stillen Utahsee und die denselben einfassende Landschaft.

Jansen hatte sich kaum vor seiner Nichte blicken lassen. Nachdem er ihr den gewaltsamen Tod Rynold's mit dürren, seinem ernsten Charakter entsprechenden Worten mitgeteilt, hatte er sich in ein Nebengemach zurückgezogen und dort, in Elliot's Gegenwart, alles, was von Rynolds hinterlassen worden war, geöffnet und durchsucht, namentlich aber sich eine genaue Übersicht derjenigen Dokumente und Papiere verschafft, welche, laut des in seinen eigenen Händen befindlichen Registers, das Vermögen von Hertha und deren Schwester bildeten.

Sie fanden alles genau so, wie sie erwartet hatten. Es fehlte an dem Vermögen nichts. Auch die Art und Weise, in welcher dasselbe von New York aus, wenn die Gefahren des Krieges beseitigt sein würden, nach dem Salzsee befördert werden solle, ob nun bar, als Viehherden oder als in der Salzseestadt aufzustellende Dampfmaschinen, war pünktlich, hier als Rat, dort als feste Bestimmung, angegeben worden. Genug, in allen Anordnungen ließ sich ein berechnender und gediegener Sachwalter gar nicht verkennen; dagegen stellte sich ganz wider Erwarten heraus, daß Rynolds selbst im Besitz eines größeren Vermögens gewesen, als er jemals zugestanden, oder als andere ihm zugetraut hatten.

Aus einer Anzahl von Briefen, die von Abraham in New York an ihn gerichtet worden waren und die sorgfältig geordnet zwischen den Dokumenten lagen, ging übrigens hervor, daß er in der Wahl seiner Mittel, seine Schätze zu vermehren, gerade nicht sehr schwierig gewesen. Namentlich hatte er durch gewagte Spekulationen mit den ihm anvertrauten Geldern den Grund zu seinem eigenen Reichtum gelegt, ohne seinen Schutzbefohlenen mehr als die allerniedrigsten Zinsen zu berechnen.

Jansen, dessen strenge Rechtlichkeit ebenso unerschütterlich war, wie sein eiserner Wille, wenn es sich um die Ausübung religiöser Vorschriften handelte, trennte mit der größten Sorgfalt alles, was seinen Bruderkindern und deren Erben gebührte, von dem, was auch nur annähernd als Rynolds' Eigentum betrachtet werden konnte. Nachdem er sodann genaue Verzeichnisse über alles angefertigt, versiegelte er Rynolds' Eigentum doppelt, mit seinem eigenen und mit Elliot's Petschaft, um es gelegentlich in die Hände der obersten Behörde niederzulegen und dieser die weitere Verfügung zu überlassen.

»Mag er ein treuloser Vormund gewesen sein«, sagte er zu Elliot, indem er das Paket wieder verschloß, »mag er das Vermögen seiner Mündel leichtsinnig zu seinen eigenen Zwecken benutzt haben, was er für das Seinige erklärt hat, das sollen weder meine, noch Hertha's, noch deren Schwestersohnes Hände besudeln. Das Glück war ihm günstig, und ich bin zufrieden, daß die Kapitalien noch vollständig vorhanden sind.«

»Wenn er nun die ihm anvertrauten Gelder bei seinen gewissenlosen Spekulationen eingebüßt hätte?« fragte Elliot, der, weniger rechtlich, als Jansen, und bekannter mit Rynolds' betrügerischem Charakter, sich nicht gescheut haben würde, die mit den Kindergeldern gewonnenen Summen den Kapitalien wieder beizufügen.

»Hätte er sie verloren, so wäre das ein Unglück gewesen«, antwortete Jansen, seine Stirn in düstere Falten legend, »jedenfalls berechtigt uns eine solche Annahme nicht, auch nur einen Cent von seinem Eigentum zu berühren.«

Elliot schwieg; er mochte sich erinnern, daß er im Begriff stand, gemeinschaftlich mit Holmsten einen noch viel größeren Betrug auszuführen, und wenn auch seit Rynolds' Tode eine große Furcht von seiner Seele genommen war, so befand er sich doch noch immer unter dem Einfluß jener Stimmung, die bei seinem letzten Zusammensein mit dem Ermordeten von diesem durch die ernsthaftesten Drohungen hervorgerufen worden war. Mit einer fast krankhaften Spannung beobachtete er daher Jansen, als dieser den übrigen Teil der vor ihm liegenden Papiere, welche die Summe von hundertundsechzigtausend Dollar enthielten, abermals in zwei Teile voneinander absonderte und dabei immer eine neben ihm liegende Liste zu Rate zog, wodurch der eine Teil erheblich größer als der andere wurde.

Als er damit zu Ende gekommen, siegelte er auch diese in besondere Pakete ein, worauf er auf das eine den Namen »Hertha Jansen« und auf das andere »Editha Holmsten und deren gesetzliche Erben« schrieb.

»Besaß Rynolds eine überwiegende Neigung zur Unredlichkeit«, sagte er dann, die beiden Pakete nachdenklich betrachtend, »so läßt sich nicht leugnen, daß er, was Geldangelegenheiten betrifft, wenigstens sehr ordnungsliebend gewesen sein muß, es würde mir sonst schwerlich gelungen sein, mich so leicht und schnell zwischen allen diesen Papieren hindurchzufinden. Dieses hier«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, indem er auf das größere Paket deutete, »ist das Eurige, sobald Ihr meine Nichte Hertha die Eurige nennt, und das andere soll an demselben Tage, an welchem Euch das Mädchen angetraut wird, zur Verwaltung in Holmstens's Hände niedergelegt werden, vorbehaltlich, daß er uns die Vormundschaft über den Knaben zugesteht und ihn in Eurer Familie erziehen läßt; wir sind Hertha diese Rücksicht schuldig.«

Elliot nickte zustimmend; seine Blicke hafteten an dem Gelde, welches das seinige werden sollte, seine Lippen bebten, und ein eigentümliches Feuer sprühte aus seinen, von den buschigen Brauen fast verdeckten Augen. Doch wäre es schwer zu entscheiden gewesen, ob seine Phantasie sich in diesem Augenblicke mehr mit den ihm zugesagten Schätzen beschäftigte, als mit dem jungen, anmutigen Mädchen, welches innerhalb kurzer Zeit ihm als Gattin in seine Häuslichkeit zu folgen bestimmt war.

»Habt Ihr schon den Tag festgesetzt, an welchem die Zeremonie vollzogen werden soll?« fragte er, ohne aufzublicken, offenbar, um Jansen nicht die innere Aufregung aus seinen Zügen herauslesen zu lassen.

»Den Tag habe ich nicht bestimmt«, antwortete dieser mit unerschütterlicher Ruhe, »allein mein Wunsch ist, das Mädchen, welches ich liebe, als wäre es meine eigene Tochter, sobald als möglich der Fürsorge eines braven Gatten anzuvertrauen. Wer vermag in die Zukunft zu blicken, wer das Ende des Krieges vorher zu bestimmen? Die Verhältnisse mögen mir eine Trennung von Hertha gebieten, und beruhigt ziehe ich hin, wohin es auch immer sei, wenn ich ihr Los nicht nur auf Erden, sondern auch im künftigen Leben gesichert weiß. Außerdem ist auch von einer andern Seite Eile geboten, denn lange wird sie, trotz ihrer Kindlichkeit, nicht in der jetzigen Umgebung weilen können, ohne das zu erfahren, was wir uns bis jetzt immer bestrebten geheim vor ihr zu halten. Ihrer selbst wegen wünsche ich daher, daß ihr die nicht zu vermeidenden Eröffnungen erst dann gemacht werden, wenn sie mit unauflöslichen Banden an Euch gefesselt ist. Sie wird das, was sie augenblicklich vielleicht noch mit zu entschuldigendem Entsetzen erfüllt, bei dem vorgeschlagenen Verfahren leichter überwinden und sich mit doppelter Hingebung der Religion in die Arme werfen. O, sie ist und war immer ein gutes Kind; möget Ihr das nie vergessen und ihr in Eurem Hausstande eine Stellung einräumen, in welcher ihr Kränkungen und Kummer, die leider sogar in der Mormonengemeinde nicht selten ihren Weg bis in das innerste Familienleben finden, erspart bleiben.«

»Beruhigt Euch«, entgegnete Elliot, indem er sich bemühte, seinem harten, leidenschaftlich erregten Gesicht einen müderen Ausdruck zu verleihen; »ich habe Hertha auf der Reise vom Rio Virgin hierher schätzen- und verehren gelernt, und lieber verlöre ich meine rechte Hand, ehe ich ihr freundliches Gesicht durch Kummer entstellt, oder ihren frischen Jugendmut gebrochen sehen möchte. Übrigens darf ich mit Recht behaupten, daß mich das Glück schon in anderer Beziehung begünstigte; denn Ihr werdet Euch gewiß längst überzeugt haben, daß die beiden Gattinnen, die ich mir bereits wählte, gutherzige, treue Seelen sind, die nicht nur für Hertha eine ihrem lebhaften Charakter entsprechende Gesellschaft bilden, sondern ihr auch als treue, opferwillige Freundinnen stets mit Rat und Tat zur Seite stehen werden.«

»Ihr habt noch nichts über unseren Plan vor ihr verlauten lassen?« fragte Jansen plötzlich.

»Nein, es war ja Euer Wille, vorläufig noch alles geheim zu halten, um ihr später selbst die erforderlichen Aufschlüsse zu erteilen.«

»Ja, es ist besser so; sie wird von mir gern und ruhig anhören, was ihr aus Euerm Munde vielleicht unangemessen klingt. Rynolds riet mir vor einigen Tagen erst, noch zwei oder drei Wochen zu warten, um den Widerstand, auf welchen wir voraussichtlich stoßen würden, leichter abschwächen zu können. Sein plötzlicher Tod erscheint mir indessen als ein genügender Grund, alle übrigen Rücksichten zur Seite zu stellen und heute noch frei und offen mit Hertha zu reden. Ich habe das Gefühl, als wenn es mir dem frommen und folgsamen Kinde gegenüber erspart bleiben würde, zu herberen Mitteln meine Zuflucht zu nehmen. Denn wäre ich dazu gezwungen, so würde sie meine treue Fürsorge, vorläufig gewiß, zu meinem größten Schmerz verkennen. Ihr werdet dafür Sorge tragen, daß ich während meiner Unterredung mit ihr nicht gestört werde. Haltet jeden fern von uns, namentlich beschäftigt die Französin, die in ihrem gläubigen Eifer für das Mormonentum oft die nötige Klugheit vergißt und, erfüllt vom Geiste des Herrn, sich zu unzeitigen Erklärungen und Ermahnungen hinreißen läßt.«

Elliot war im Begriff, sich zu entfernen, um den ihm gewordenen Aufträgen nachzukommen, als er plötzlich wieder stehen blieb und sich Jansen zuwendete.

»Ist über die Französin ein endgültiger Beschluß gefaßt worden?« fragte er mit einer gewissen Besorgnis im Ton seiner Stimme.

»Demoiselle Corbillon hat sich durch Hertha's Erziehung große Verdienste erworben; es muß daher nicht allein ihr Seelenheil, sondern auch schon ihre irdische Wohlfahrt berücksichtigt werden«, antwortete Jansen so eisig kalt und mit so beängstigendem Ernst, als wenn es sich um den Verkauf von toten Gegenständen gehandelt hätte. Es trat dies um so mehr hervor, weil er, so lange er über seine Nichte sprach, ein aufrichtiges Wohlwollen hatte durchblicken lassen. »Der Plan, sie durch eine Verheiratung mit Euch auch fernerhin in Hertha's nächste Nähe zu fesseln, hat man auf meinen Antrag fallen lassen«, fuhr er wieder mit mehr Teilnahme fort. »Bei der Verschiedenartigkeit der Charaktere wäre es doch nie ein gutes Verhältnis zwischen ihnen geworden, und ich liebe die Tochter meines früh verstorbenen Bruders zu sehr, als daß ich sie den Launen einer nicht immer liebenswürdigen Person unterworfen oder vielmehr vollständig preisgegeben wissen möchte. Der Prophet hat meine Gründe der Beachtung wert gehalten und sich dafür entschieden, sie Holmsten, dessen Vermögensverhältnisse durch die reiche Erbschaft einen so bedeutenden Aufschwung erhalten, anzusiegeln.«

»Haltet Ihr es für geraten, zu ihr darüber zu sprechen?« fragte Elliot, und eine helle Schadenfreude blitzte ganz verstohlen aus seinen unheimlich düsteren Augen.

»Ihr besitzt in manchen Dingen eine klarere Einsicht als ich, mein Bruder«, gab Jansen zur Antwort, indem er die beiden versiegelten Pakete mitten auf den Tisch legte, so daß die Blicke eines Eintretenden sogleich auf dieselben fallen mußten; »handelt nach eigenem Ermessen; ich selbst würde ihr gegenüber einräumen, daß auf ihren Wunsch und Antrag voraussichtlich zu ihrer Zufriedenheit verfügt worden sei, doch würde ich noch mit dem Namen zurückhalten. Sendet mir also baldmöglichst meine Nichte, der Abend sinkt, und eh' die Nacht weit vorgeschritten ist, muß ich die drückende Last von meiner Brust gewälzt haben.«

Elliot blieb noch eine Weile stehen, wie um sich, nachdem er während seiner Unterhaltung mit Jansen hin und wieder seine Leidenschaften hatte durchblicken lassen, mit einem feierlichen, undurchdringlichen Ernst zu umgeben, und dann entfernte er sich schweigend.

Mehrere Minuten waren verstrichen, da öffnete sich leise die nach den zuletzt erwähnten Gemächern führende Tür, und behutsam, als ob sie zu stören befürchtet hätte, trat Hertha durch dieselbe ein.

Als sie ihren Onkel so ganz in sich versunken auf und ab schreiten sah, glitt ein Zug inniger Teilnahme über ihr, trotz des in demselben vorherrschenden wehmütigen Ernstes, überaus liebliches Antlitz, und fast eine Minute zögerte sie, eh' sie es über sich gewann, ihn in seinen Betrachtungen zu unterbrechen.

»Du hast mich rufen lassen, lieber Onkel«, begann sie endlich mit schüchterner Freundlichkeit, indem sie, als Jansen, vor ihr angekommen, eben wieder umkehren wollte, ihre beiden Hände auf seine verschränkten Arme legte.

Der Angeredete stand still und heftete einen langen, tiefen Blick auf Hertha's große unschuldvolle Augen, wie um durch dieselben in ihrem Herzen zu lesen.

»Ich habe Dich rufen lassen, mein Kind«, sagte er dann, seine Hand leise auf ihr schönes Haupt legend; »ich habe viel und über wichtige Dinge mit Dir zu reden, denn seit Rynolds ein so unglückliches Ende genommen, ruht die ganze Verantwortlichkeit für Dein Wohl und Wehe auf meinen Schultern. Auch ich kann plötzlich einmal abgerufen werden; notwendig ist es daher, Dich mit Deiner ganzen Lage bekannt und vertraut zu machen, um Dich zu befähigen, schlimmstenfalls selbständig handeln und Deine Bestimmungen treffen zu können.«

»Sprich nicht so, lieber Onkel«, antwortete Hertha, ihre Arme zärtlich um Jansen's Hals schlingend; »sprich nicht so; mein Wohl und Wehe ruht in Deinen Händen besser und sicherer, als in den meinigen, und wenn der arme Rynolds von einem schrecklichen und so furchtbaren Geschick ereilt wurde, so ist damit doch nicht gesagt, daß auch über Deinem Haupte eine unbekannte Gefahr schweben muß. O, mein teuerster Onkel, beschwöre doch nicht mehr böse Ahnungen und Besorgnisse herauf, als mich jetzt schon quälen!«

»Komm, sei verständig«, entgegnete Jansen, indem er Hertha an den Tisch führte, wo beide einander gegenüber auf niedrigen Bretterstühlen Platz nahmen; »der Krieg ist vor der Tür, jeden Augenblick können wir Kunde von dem ersten Blutvergießen erhalten. Ist es doch kaum zu bezweifeln, daß Rynolds von umherstreifenden feindlichen Spionen hinterlistig erschlagen wurde, warum sollte daher nicht auch ich in der Verteidigung unserer heiligen Lehre, zur Ehre des Erlösers und zum Frommen unserer Gemeinde, mein Leben auf den Altar des Herrn niederlegen müssen? Bedenke das, mein Kind, und Du wirst gerechtfertigt finden, daß ich mich auf alle nur möglichen Fälle vorbereite und in erster Reihe mich der Pflichten gegen Dich als Onkel und Vormund entledige.«

Bei diesen Worten blickte Hertha mit ängstlicher Spannung, aber ergeben zu Jansen empor. Sie wußte, daß, wenn ihr Onkel sich in dieser Weise äußerte, jeder weitere Widerspruch vergeblich sei. Ein von ihm gefaßter Entschluß machte ihn unbeugsam bis zur Härte, ja bis zur Grausamkeit. Sie kannte seinen eisernen Charakter, der durch religiöse Grübeleien gleichsam gestählt worden war, und eine seltsame Beklemmung bemächtigte sich ihrer, als sie deutlicher, als jemals, aus seinem feierlichen Wesen herauslas, daß er betreffs ihrer wirklich zu irgend einer geheimen, aber endgültigen Entscheidung gelangt sei.

»Hier ist das Erbe Deiner verstorbenen Eltern«, fuhr Jansen nach kurzem Sinnen mit kaum wahrnehmbarer wehmütiger Erregung fort, indem er auf die beiden Pakete wies, »der eine Teil gehört Dir, der andere Deiner Schwester, oder vielmehr deren hinterlassenem Sohne –«

»O, warum hast Du ihn nicht mit hierhergebracht«, wagte Hertha ihren Onkel mit klagender Stimme zu unterbrechen, »ich sehne mich so nach dem Kinde, Du weißt es, und dennoch –«

»Du wirst den Knaben sehen, Du wirst ihn längere Zeit, vielleicht sogar ganz bei Dir behalten«, fiel Jansen ihr schnell in die Rede, »ich hätte ihn Dir auch schon jetzt zugeführt, wäre das entsetzliche Unglück wahrscheinlich nicht vorgefallen. Ich eilte hierher, in anderthalb Tagen die ganze Strecke zurücklegend; das wäre kein Ritt für ein dreijähriges Kind gewesen. – Ich sprach also von dem Dir zufallenden Erbteil, welches Dir seinerzeit vorgelegt und berechnet werden wird. Doch die Güter dieser Welt sind vergänglich, sie sind nicht imstande, die Zukunft eines Menschen, weder auf Erden, noch in der Ewigkeit, zu sichern. Die Stützen des irdischen Glücks und des ewigen Seelenheils sind edler und fester, sie beruhen mit auf den patriarchalischen, auf den von Gott selbst eingesetzten Bestimmungen, laut deren der Mensch nicht allein bleiben soll, Es ist der heilige Stand der Ehe, in welchem dem Sterblichen vorzugsweise Gelegenheit geboten wird, treue Pflichterfüllung zu üben und ein Gott geweihtes Leben zu führen. Abgesehen davon, daß Du jemandes bedarfst zur Verwaltung Deines Vermögens, und der alle irdischen Sorgen mit Dir teilt, muß ich jemanden haben, dessen Händen ich Dich mit ruhigem Gewissen anvertrauen darf und von dem ich überzeugt bin, daß er Dich auf dem Wege des Heils leitet und lenkt bis an das Ende Deiner Tage. Hertha, Tochter meines zu früh dahingeschiedenen, einzigen Bruders, Du sollst Dich verheiraten. Das Glaubensbekenntnis des Mormonentums schreibt es vor, und daher ist es auch mein Wunsch und mein Wille.«

Während Jansen so sprach, hatte Hertha kaum zu atmen gewagt. Bleich und regungslos wie eine Bildsäule saß sie da, und erst lange, nachdem ihr Onkel geendigt, schien sie mit einem tiefen Seufzer zu dem plötzlichen Bewußtsein ihrer Lage zu erwachen.

»Onkel, ich soll heiraten?« fragte sie flüsternd, als habe der Schrecken ihr die Sprache geraubt.

»Ja, mein gutes Kind, bereite Dich vor, Du wirst heiraten innerhalb kurzer Zeit, und zwar hast Du den Kommandanten dieses Platzes, den ehrenwerten und würdigen Bruder Elliot fortan als denjenigen zu betrachten, dessen Lebensglück eng und unauflöslich mit dem Deinen verflochten werden wird.«

»Elliot? Unmöglich!« rief Hertha emporspringend mit dem Ausdruck des größten Entsetzens aus.

»Beruhige Dich, Hertha, und lerne die Dinge um Dich her mit Überlegung betrachten«, versetzte Jansen, der angesichts des sich ihm entgegenstellenden Widerstandes immer ruhiger und entschlossener wurde. »Der Herr hat durch seinen auserwählten Propheten seinen Willen kund getan, und Du wirst Dich den göttlichen Anordnungen fügen, vor welchen Dein eigener Wille ohnmächtig in Staub zusammensinkt.«

»Onkel, guter, teurer Onkel«, sagte Hertha jetzt mit rührender Zärtlichkeit, indem sie den harten Mann kindlich umschlang und ihr Haupt auf seine Schulter legte; »meine Eltern sind lange tot, meine einzige Schwester ist ihnen nachgefolgt, deren Sohn wird mir vorenthalten, willst nun auch Du Dich von mir trennen, mich verstoßen, mich fremden Menschen, die ich fürchte und verabscheue, in die Arme schleudern? Nein, Onkel, Du kannst es nicht«, antwortete sie auf ihre eigene Frage, jetzt nicht mehr länger im Stande, die hervorquellenden Tränen zurückzuhalten, »sage, daß Du mich hast strafen wollen, sage, daß Du Scherz mit mir getrieben, aber nimm zurück den grausamen Ausspruch, der nicht aus Deinem Herzen gekommen sein kann!«

»Der Ausspruch kam aus meinem Herzen, er kam aus meinem Kopfe«, antwortete Jansen, auf den Hertha's Schmerz nicht ganz ohne Wirkung geblieben war; »Du betrachtest jetzt allerdings die getroffene Bestimmung als ein böses Verhängnis, allein die Zeit wird kommen, in welcher Du meinen Beschluß segnest und vielleicht mitleidig lächelst beim Rückblick auf Deine jetzigen leeren Befürchtungen. Ich, dem die Wohlfahrt meiner Brudertochter am meisten am Herzen liegen muß, ich wiederhole Dir nochmals ernst und wohlmeinend: Du wirst Elliot die Hand zum Bunde fürs Leben reichen, und ihn lieben und ihm Untertan sein.«

»Nie, niemals!« rief das geängstigte Mädchen aus, von Jansen zurückprallend, als wenn seine Berührung es verwundet hätte, »lieber den Tod, den zehnfachen Tod, als eine Verbindung eingehen, bei welcher das Herz nicht mitspricht. O, Onkel, es ist nicht möglich, Du kannst es nicht verlangen, daß ich unglücklich, namenlos elend werden soll! Ich habe keinen andern Wunsch gehegt, als immer bei Dir zu bleiben, und nun stößt Du mich unbarmherzig zurück, um mich jenem schrecklichen Elliot anheimfallen zu lassen, den ich über alles fürchte und verabscheue! Ja, ich wiederhole es, ich verabscheue ihn, weil ich endlich weiß, was er mit seinen Aufmerksamkeiten, mit seiner erheuchelten Teilnahme während der Reise bezweckte. Sein Sinn steht nach meinem Gelde, dort liegt es; Du selbst hast mir freigestellt, darüber zu verfügen; wohlan denn, Onkel, gib ihm alles, über das zu bestimmen ich ein Recht habe, aber ihm als Gattin folgen? Nein, ich wiederhole es nochmals, lieber den Tod in seiner schrecklichsten Gestalt!«

Nach diesem wilden Ausbruch ihrer Gefühle schienen Hertha's körperliche wie geistige Kräfte gebrochen zu sein. Sie warf sich wieder auf ihren Stuhl, und das Antlitz zwischen ihren auf dem Tische ruhenden Händen verbergend, schluchzte sie so heftig, als sei sie von Krämpfen befallen worden.

Jansen beobachtete sie während der ganzen Zeit mit ernster Aufmerksamkeit, ohne daß auch nur ein Muskel in seinem wettergebräunten Gesicht gezuckt hätte; seine Augenwinkel dagegen erglänzten feucht, als wenn er eine Träne in denselben zerdrückt hätte. Hertha's Verzweiflung hatte sein Herz berührt, er betrachtete dieselbe aber, wie der Arzt eine bittere Arznei, welche, wenn auch in ihrer ersten Wirkung unangenehm, schließlich doch Heilung herbeiführt.

»Höre mich ruhig an, mein Kind«, sagte er endlich, sobald das krampfhafte Schluchzen etwas milder geworden war, »ich habe noch viel mit Dir zu reden, denn es ist meine Absicht, ja mein fester Wille, Dich zu überzeugen, daß ich es in der Tat nur gut und aufrichtig mit Dir meine. Glaube mir, teures Kind, indem ich unerschütterlich auf meinen eben geäußerten Vorschlägen beharre, leitet mich nicht weniger die bange Sorge um Dein irdisches Wohlergehen, als auch um Dein Seelenheil,

»Du hast vielleicht schon die Gefangenen gesehen, welche auf der andern Seite des Hofes in strenger Haft gehalten werden?« fragte er dann, plötzlich abspringend.

Hertha richtete sich mit einer raschen Bewegung empor, und Jansen ihr von einer dunkeln Glut übergossenes Antlitz zuwendend, rief sie aus:

»Den Leutnant Weatherton? Ich habe ihn gesehen und gesprochen, und eine Schmach ist es, daß er, dem wir zu so hohem Danke verpflichtet sind, statt die ungebundenste Gastfreundschaft zu genießen, wie ein Verbrecher im Kerker schmachten muß. Ich habe ihm meine Verwendung zugesagt, ohne daß er mich darum gebeten oder auch nur eine Klage ausgesprochen hätte, und ich erfülle eine heilige Pflicht, indem ich Dich jetzt bitte, Deinen,ganzen Einfluß zu seiner Befreiung aufzubieten. Ja, Onkel, ich bitte Dich darum. Er hat edel an uns gehandelt; wende Dich nicht von ihm ab. Siehe, ich bürge dafür, der Verdacht, auf welchen hin man ihm seine Freiheit vorenthält, ist vollständig unbegründet, und nicht im entferntesten verdient er das Mißtrauen, welches Du, seit unserer ersten Bekanntschaft mit ihm, stets so offenkundig an den Tag gelegt hast. Und wenn Du Deine Abneigung gegen ihn nicht hinlänglich zu überwinden vermagst, um ihm Deinen Beistand angedeihen zu lassen, dann tue es wenigstens meinetwegen; ich flehe ja so inständig darum.«

Während Hertha so sprach, hatte sie sich ihrem Onkel wieder genähert, und als ob sie alles Vorhergegangene vergessen hätte, legte sie mit holdseligem Erröten und schwankend zwischen Hoffnung und Besorgnis ihren Arm um seine Schulter.

Jansen, von dem man mit Recht behaupten durfte, daß er niemals ein Wort sprach, ohne vorher überlegt zu haben, schaute noch eine Weile düster vor sich nieder, nicht beachtend die wachsende Spannung, mit welcher Hertha's Blicke an seinem Munde hingen. Endlich ergriff er ihre auf seiner Schulter ruhende Hand, und sie sanft zurückdrängend, zwang er sie gewissermaßen zum Niedersitzen.

»Also gesehen und gesprochen hast Du ihn«, sagte er, beifällig nickend; »und Deinetwegen soll ich ihm zur Freiheit verhelfen. Es muß eine feste Freundschaft sein, die auf dem Schiffe zwischen Euch geschlossen wurde, eine Freundschaft, stark genug, um ihn bis hierher Dir nachzutreiben, Dich aber zu seiner warmen Fürsprecherin zu machen.«

»Und meinst Du, es sei tadelnswert, wenn Menschen sich gegenseitig Beweise von Achtung und freundschaftlichen Gesinnungen erteilen?« fragte Hertha, indem sie ihre großen blauen Augen mit einem wahren Ausdruck kindlicher Unschuld auf Jansen richtete. Sie ahnete ja nicht, daß ihr fanatischer, überlegender Onkel sie nur ausfragen und einen Blick in ihr Herz tun wollte, um sie demnächst desto leichter und sicherer seinem Willen unterwerfen zu können.

»Du würdest Dich vielleicht nicht sträuben zu heiraten, wenn Mr. Weatherton anstatt Elliot Kommandant von Fort Utah wäre?« fragte er dann scheinbar harmlos, aber seine forschenden Blicke durchdringend auf das geängstigte Mädchen heftend.

»Onkel!« rief Hertha betroffen aus, und in diesem einzigen Ausruf offenbarte sich die ganze jungfräuliche Scham und die Verwirrung, die sie über eine Frage empfand, an welche sie selbst nie gedacht haben würde.

»Gut, gut, beruhige Dich, mein Kind, und lege einer harmlosen Frage keine zu große Wichtigkeit bei«, fuhr Jansen in seiner ernsten, gemessenen Weise fort; aber indem er dies sagte, hatte er schon die Gewißheit gewonnen, daß Weatherton's Bild tiefer in dem Herzen seiner Nichte eingegraben sei, wie er selbst jemals geglaubt hatte.

»Du verwendest Dich übrigens so warm für ihn«, begann er nach kurzem Nachdenken wieder. »Weißt Du auch, für wen Du Dich verwendest, und was ihm zur Last gelegt wird?«

»Ich weiß es«, antwortete Hertha, erschreckt über diese Frage, die eine unbestimmte Drohung zu enthalten schien; »man will sich an ihm rächen für den Durchsuchungsbefehl, welchen er sich in New York ausstellen ließ. Aber ich habe ihn selbst darüber befragt; es waren nur edle, unselbstsüchtige Beweggründe, welche ihn zu solchem Verfahren veranlaßten. Ja, es ist wahr«, bekräftigte sie eifrig ihre Worte, als sie ein ungläubiges Lächeln ihres Onkels gewahrte, »er ist durchaus schuldlos; er hegt nichts weniger als feindliche Absichten gegen unsere Gemeinde; er selbst hat es mir versichert, und er ist nicht der Mann, der es vermöchte, eine Unwahrheit zu sprechen. Ich verbürge mich für ihn, Onkel, ich bürge für seine Rechtlichkeit mit meinem Leben!«

»Du mußt ihn sehr genau kennen, um in solcher Weise für ihn aufzutreten«, versetzte Jansen, mit innerer Bewunderung das erregte junge Mädchen betrachtend, aus dessen schwärmerischen Blicken eine unbeschreibliche Kühnheit und Entschlossenheit hervorleuchtete. »So schwer es mir auch fällt, Dir Kummer zu bereiten, so bin ich doch gezwungen, Dich aus Deinem Irrtum zu reißen. Höre mir aufmerksam zu, mein liebes Kind, und unterbrich mich nicht, und sollte die freundliche Teilnahme, welche Du für den Fremdling hegst, Dir Tränen entlocken, so laß denselben freien Lauf; ich zürne Dir darum nicht. Ich hege die größte Achtung vor Deinem edlen Herzen und vor jedem Schmerz, welchen Die Vorsehung Dir aufzuerlegen für gut befindet. Schenke aber auch Du dafür mir offenes Vertrauen und setz mir keinen nutzlosen Widerstand entgegen, wenn ich Dich auf den Weg des Heils zurückzuführen suche.«

»Was ist es, Onkel? Deine Worte deuten auf ein großes Unglück; o sage, was ist es!« rief Hertha, von namenloser Angst ergriffen, indem sie die Hände faltete und ihre Blicke starr auf Jansen richtete.

»Zuerst, mein Kind«, begann dieser zögernd, ein zusammengefaltetes Papier aus der Tasche ziehend und es geöffnet vor Hertha auf den Tisch legend, »ist hier die wirkliche Ordre, laut deren der Leutnant Weatherton beauftragt war, auf den von New York abfahrenden Dampfbooten nach Widerstandskämpfern der Mormonen zu forschen. Dieser Leutnant Weatherton nun ist einige Monate später unter sehr verdächtigen Umständen im Mormonengebiete gefunden und verhaftet worden. Es läßt sich daher nicht bezweifeln, daß er mit zu den erbittersten Feinden unseres Volkes gehört, der nach den schon jetzt in Kraft tretenden Kriegsgesetzen den Tod durch die Kugel verdient hat.«

Hier schwieg er, um zu beobachten, welchen Eindruck die unerwartete Nachricht auf seine Nichte ausüben würde. Diese aber verharrte regungslos in ihrer alten Stellung; nur wich die letzte Spur von Farbe aus ihren Wangen, während ihre gefalteten Hände sich krampfhaft ineinander rangen.

»Sein Leben steht also, außer in Gottes Hand, auch in den Händen des zeitigen Kommandanten von Fort Utah«, fuhr Jansen von neuem fort, »Elliot ist der Mann, der es in seiner Gewalt hat, schon morgen das Urteil an ihm zu vollstrecken, oder ihn sicher über die Grenze unserer Vorpostenkette hinausgeleiten zu lassen. Hier ist der Beweis, daß ich die Wahrheit spreche und nicht zu leeren Worten meine Zuflucht nehme, um Dich in Deinen Entschlüssen zu bestimmen«, fügte er hinzu, das von dem Propheten unterschriebene Todesurteil Weatherton's, auf welchem nur noch Tag und Stunde ausgefüllt zu werden brauchte, vor seine halb ohnmächtige Nichte ausbreitend. »Auf das Versprechen, es ihm umgehend wieder auszuhändigen, überwand Elliot sich dazu, mir dasselbe auf eine Stunde anzuvertrauen.«

»Ein solches Urteil mag Dir hart und ungerecht erscheinen«, begann er wieder, als er bemerkte, daß das erschütterte Mädchen kaum noch die Kraft besaß, einen Blick auf das bezeichnete Papier zu werfen, »allein im Kampfe um unsere Existenz sind wir gezwungen, zu den äußersten Mitteln zu greifen.«

»Meinetwegen ist er hier, meinetwegen geht er in den Tod«, flüsterten die bleichen Lippen kaum vernehmbar, und fester klammerten sich die zarten Finger ineinander.

»Es ist indessen nicht hart, nicht ungerecht«, erklärte Jansen weiter, ohne Hertha's Verzweiflung sichtbar zu beobachten, »nein, nicht ungerecht, wenn man in Betracht zieht, daß seine Helfershelfer in unserm Tal umherschleichen, und Rynolds bereits als erstes Opfer ihrer Hinterlist und Rachsucht gefallen ist. Leutnant Weatherton ist also mittelbar an einer im Herzen unseres Gebietes von seinen Gefährten ausgeübten Mordtat beteiligt.«

»Es ist nicht wahr! es ist eine schmachvolle Lüge, die man ersonnen hat, um ihn zu verderben!« rief Hertha aus, indem sie emporsprang und unter Aufbietung aller Kräfte mit herausfordernder Miene ihrem Onkel gegenübertrat; »mag die schreckliche Tat verübt haben, wer will, Weatherton hat keine Ahnung davon; er ist unschuldig, die Freunde aber, welche ihn bis hierher begleiteten, sind nicht fähig, ein solches Verbrechen zu begehen, oder er hätte sie nie zu seinen Freunden gewählt! Nein, Onkel, er ist unschuldig, so wahr mir Gott helfe! Die Hand, die sich gegen sein Leben erhebt, gibt mir zugleich das Zeichen, den Salzsee zu verlassen und aller Welt zu verkünden, wie in der Gemeinde der Heiligen der letzten Tage ein Unschuldiger kaltblütig gemordet wurde!«

»Würdest Du dadurch das entflohene Leben zurückrufen?« fragte Jansen mit eisiger Kälte, denn die ausgesprochene Drohung ließ ihm schon jetzt Hertha als eine Abtrünnige erscheinen, gegen die er sich mit der äußersten Strenge und Unerbittlichkeit zu benehmen habe; »würdest Du über die Grenzen unseres Gebietes hinausgelangen, wenn Du auszögest, um Verrat an denjenigen zu üben, mit welchen Du Dich in der heiligsten und geläutertsten Religion verbunden? in der Religion, der Du mit Leib und Seele angehörst? Hertha, Deine Eltern waren keine Mormonen, aber ihr Zorn, ihr Fluch würde sich noch heute gegen Dich kehren, wüßten sie, daß ihr jüngstes, ihr Lieblingskind im Begriff stehe, das Verbrechen des Meineides, der Pflichtvergessenheit auf sich zu laden. Hertha, gedenke Deiner Schwester, folge deren edlem Beispiele und sei getreu bis in den Tod. Aber fasse Dich, mein Kind, der Weg, der in's Himmelreich führt, ist dornenvoll; Dir wird ebenfalls die irdische Laufbahn dornenvoll erscheinen, bis Du plötzlich entdeckst, daß himmlische Ruhe und Zufriedenheit in Dein Gemüte ingezogen sind!«

»Du magst recht haben, Onkel«, flehte Hertha mit herzzerreißendem Ausdruck, »und habe ich in Worten gesündigt, so wird Gott mir vergeben um des Kummers willen, den ich zu tragen bestimmt bin. Doch wenn ich mich auch dadurch versündige!« rief sie, ihren ganzen Mut zusammenfassend, aus. »Ich wiederhole es und werde es wiederholen, so lange der Atem mir vergönnt ist, Weatherton ist unschuldig, unschuldig an allem und jedem Verbrechen, welches man ihm zur Last legt, dagegen begehen die Machthaber dieses Tales ein Verbrechen, indem sie ihn auch nur noch eine Stunde länger im Gefängnis schmachten lassen!«

»Unschuldig, sagst Du?« entgegnete Jansen ohne Zorn oder Haß, aber so kalt und ausdruckslos, daß es in Hertha's Ohren wie der gräßlichste Hohn klang; »unschuldig, und dennoch räumst Du ein, daß sich noch Freunde von ihm in diesem Tale befinden? Es geht daraus hervor, daß er Dir die betreffenden Mitteilungen bereits machte, und Dich dadurch zu seiner Mitschuldigen an Rynolds' Tode stempelte. Sei dem nun, wie ihm wolle«, fuhr er fort, ohne darauf zu achten, daß Hertha, der die Füße den Dienst versagten, sich wieder auf ihren Stuhl warf und sprachlos vor Entsetzen und Seelenqual zu ihm hinüberschaute und ihn ruhig weitersprechen ließ. »In einer ernsten Zeit, wie die jetzige, namentlich wenn so unwiderlegliche Beweise vorliegen, wäre es töricht, ja, geradezu unrecht gehandelt, wollten wir auch nur eine Stunde mit Voruntersuchungen verlieren. Das Geschick des unklugen Menschen und seines vielleicht weniger schuldigen Gefährten ist besiegelt, sein Blut komme über ihn selbst. Niemand hat ihn geheißen, sich in den Rachen des Löwen zu wagen, nachdem er denselben nicht nur verraten, sondern ihm auch an Leib und Leben geschadet hat.«

»Verloren, rettungslos verloren«, lispelte Hertha mit bleichen Lippen, »verloren, weil er den Regungen seines edlen Herzens folgte. O, Onkel, habe Erbarmen mit mir! Siehe, ich halte nicht vor Dir geheim; er kam nicht in verräterischer Absicht, nicht mit feindlichen Gefühlen gegen unser Volk. Er gestand es mir damals in New York, und hat es mir hier wiederholt: er wähnte mich von unbekannten Gefahren umringt und bedroht, und sein Wunsch, mich zu warnen und zu beschützen, bewog ihn dazu, den unseligen Schritt zu unternehmen. Sollte ihm dies als Fehler angerechnet werden, dann hat er durch seine Gefangenschaft schon mehr als zu viel dafür gebüßt, und selbst der schrecklichste Krieg könnte ein – ein blutiges Urteil nicht rechtfertigen. O Gott! hätte ich mein friedliches Heimatland doch nie verlassen!« Sie legte bei diesen mit rührender, sanfter Stimme gesprochenen Worten das Haupt auf ihre gefalteten Hände und weinte bitterlich.

Jansen blickte sie eine Weile ernst und sinnend an, seine Brust hob und senkte sich, als ob ein Kampf in seinem Innern tobte. Doch wie um die milderen Gefühle hinter seine starren, religiösen Ansichten zurückzudrängen, strich er leicht mit der Hand über sein Gesicht, worauf er versuchte, durch eine leise Berührung Hertha's Kopf wieder emporzurichten.

»Ich weiß, Du bist keiner Falschheit fähig«, hob er an; Du sprichst aus reiner Überzeugung, wenn Du behauptest, der junge Tor sei nur gekommen, um Dich zu beschützen und über Dich zu wachen. Du behauptest das, was er Dir, im Vertrauen auf Dein edles, nur zu weiches Herz, vorspiegelte. Doch was ist das Wort jemandes, der schon offenkundig als Feind und Verräter auftrat? Seine Versicherungen zerfallen den gegen ihn vorliegenden Anklagen und Beweisen gegenüber in nichts; sie werden nicht berücksichtigt werden.«

Hier hielt Jansen eine Weile inne. Hertha dagegen, als habe sie seine Worte nicht vernommen, verharrte in ihrer, die Außenwelt gleichsam von sich ausschließenden Stellung, nur daß zuweilen heftiges Schluchzen ihre gebeugte Gestalt erschütterte.

»Und dennoch könnte er gerettet werden«, begann er dann wieder in demselben Tone.

Hertha fuhr empor. »Gerettet?« rief sie aus, und ihre ganze Lebenskraft schien sich in dem einzigen Blick ihrer großen, tränenverschleierten Augen zusammengedrängt zu haben.

»Gerettet, und zwar durch Dich«, wiederholte Jansen.

»Durch mich? o, sage, Onkel, wie ich es zu beginnen habe!« flehte Hertha mit innigem und zugleich herzzerreißendem Ausdruck.

»Elliot ist Kommandant dieses Platzes«, fuhr Jansen, jedes einzelne Wort besonders betonend, fort, »in seiner Hand allein liegt es, in diesem Falle über Tod und Leben zu entscheiden. Das heißt, über das Leben nicht auf gesetzlichem Wege; allein er kann ihn entfliehen und sogar heimlich bis in das Lager unserer Feinde hinüberbegleiten lassen. Doch der Preis, um welchen Elliot sich zu einer so großen Pflichtverletzung verleiten lassen wird, ist ein hoher, und ich weiß, er geht von demselben nicht ab. Hertha, mein Kind, weise ihn nicht zurück, werde seine Gattin, füge Dich mit frommer Ergebung in die göttlichen Bestimmungen, wenn sie Dir auch gegen alles Bisherige, was Du kennen lerntest, zu verstoßen scheinen. Tue mit freudigem Herzen, was zu tun Du zur Ehre des Erlösers dennoch gezwungen werden würdest; reiche Elliot die Hand zum ewigen Bunde, und ich verspreche Dir, der Fremdling, der sich mit keckem Mute, das Geschick herausfordernd, in Deinen Weg drängte, er soll gerettet, seiner Heimat und den Seinigen wiedergegeben werden.«

»Elliot soll ich zum Bunde für's ganze Leben die Hand reichen«, wiederholte Hertha mechanisch, und die Hoffnung, die beim Beginn von Jansen's Erklärung aus ihren Zügen geleuchtet hatte, verwandelte sich schnell wieder in den Ausdruck der bittersten Täuschung und Verzweiflung; »und dennoch kann er gerettet werden, um wohlbehalten zu den Seinigen zurückzukehren«, sagte sie in derselben Weise, sinnend vor sich niederschauend.

»Gewiß, mnein gutes Kind, gewiß«, versetzte Jansen nach diesen weniger gesprochenen, als laut gedachten Worten.

»Warum geschieht es denn nicht?« fragte Hertha, so traurig und klagend, als wenn ihr das Herz hätte brechen wollen; »warum soll ich denn einem Manne geopfert werden, den ich fürchte und seiner schmachvollen Absichten wegen verabscheue? Er will nur mein Geld, ich weiß es, ich fühle es. Dort liegt es, gib es ihm als Lohn für Weatherton's Befreiung, und ich will mich glücklich schätzen, mit meinem Erbteil, welches mich elend zu machen droht, wenigstens etwas Gutes gestiftet zu haben. Onkel, hilf mir, hilf mir!« rief Hertha jetzt plötzlich aus, indem sie vor Jansen hinstürzte und tief erschüttert seine Kniee umschlang. »Du selbst sagtst, seine Rettung ist möglich; so laß ihn denn gerettet werden, ohne mich dem geldgierigen Manne vor die Füße zu werfen, der mich um schnöden Gewinn und um den Preis des Lebens eines Unschuldigen erkaufen will! Rette ihn, Onkel, rette ihn, und wenn das Geld, welches ich besitze, nicht hinreicht, Elliot's Gier zu befriedigen, so will ich ja die Seine werden; aber Onkel, ich schwöre Dir auf meinen Knieen, Du verkaufst nicht nur das Lebensglück Deiner Brudertochter, Du verkaufst auch ihr Leben!

Ja, Onkel, ich will die Seine werden, um vor seinen harten Blicken zu sterben! O, meine armen Eltern, hätten sie ahnen können, daß ihr Kind nur geboren sei, um namenlos elend zu werden! Aber sei es, hier liege ich vor Dir, bereit, den Todesstoß zu empfangen; mache mit mir, was Du willst, aber gib, mir die heilige Versicherung, daß er, er und sein treuer Gefährte gerettet werden!«

Immer leiser und leiser sprechend senkte Hertha zuletzt ihr Haupt auf Jansen's Kniee, und sich fest an ihn schmiegend, suchte sie gleichsam den Schreckbildern zu entfliehen, die unaufhörlich ihren Geist bestürmten.

Jansen schaute eine Weile auf die gebrochene Gestalt des sonst so lebensfrischen, glücklichen Wesens nieder, und wiederum begann seine hohe breite Brust mächtig zu arbeiten.

»Stehe auf, mein liebes Kind«, sagte er endlich, gewaltsam ein leises Zittern seiner Stimme unterdrückend.

Hertha gab keine Antwort, aber fester drückte sie ihr Antlitz auf seine Kniee.

Sanft und behutsam, als ob sie ein kleines Kind gewesen wäre, befreite er sich sodann von ihrem krampfhaften Griff, und nachdem er sie emporgehoben, führte er sie an sein Lager, auf welches er sie vorsichtig niederdrückte.

Hertha ließ alles ruhig mit sich geschehen, und als der heftigste Ausbruch ihres Schmerzes sich erst gelegt hatte, weinte sie still und ergeben vor sich hin.

Jansen durchmaß unterdessen mit langsamen, schweren Schritten das Gemach; die Arme hatte er verschränkt, das Kinn mit dem buschigen Bart ruhte wieder auf seiner Brust, und starr, als hätten sie die Sehkraft verloren, waren seine Augen auf den Fußboden gerichtet. Nach seiner Nichte, die, überwältigt von der Last ihres Kummers, auf die Seite gesunken war, blickte er kein einziges Mal hinüber. Wenn aber zeitweise heftigeres Schluchzen zu seinen Ohren drang, dann seufzte er wohl tief auf, und wie um sich der weicheren Gefühle zu erwehren, ging er einige Schritte im schnelleren Takt.

Minuten verrannen; der Schimmer der Abendröte erhielt eine tiefere Schattierung, und dunkler wurde es in den Ecken und Winkeln. Da blieb Jansen plötzlich vor Hertha stehen. »Eine Frage beantworte mir, mein Kind«, sagte er so freundlich und milde, wie es ihm bei seinem, durch langjährige Gewohnheit zur andern Natur gewordenen Ernst nur möglich war.

Hertha richtete sich auf und harrte, ergeben in ihr Geschick, schweigend der Worte, die ihr Onkel ihr zu sagen haben würde.

»Der fremde Offizier hat mit Dir gesprochen, wie es sonst nur zwischen den vertrautesten Freunden gebräuchlich, und was ein Gentile eigentlich nicht zu einem Mormonenmädchen sprechen sollte. Besinne Dich genau, mein Kind, was für Gründe gab er an, die ihn veranlaßt hätten, damals in New-York von der beabsichtigten Durchsuchung des Dampfbootes abzusehen?«

Hertha sann etwa eine Minute lang nach. »Unübersteigliche Hindernisse hätten ihn abgehalten, unter dem Vorwand einer gesetzlichen Durchsuchung nach mir auf dem Dampfboote zu forschen; das sind seine eigenen Worte«, entgegnete sie dann, da es ihrem Gefühl widersprach, noch irgend etwas zu verschweigen oder vor ihrem Onkel geheim zu halten.

Jansen nickte beifällig und schritt noch einmal in der Stube auf und ab, worauf er wieder vor seine Nichte hintrat. »Ist das alles? Hat er nicht erwähnt, welcher Art die Hindernisse gewesen? Hat er nicht von Abraham, Rynolds oder von mir gesprochen?«

»Weder von dem einen, noch von dem andern«, gab Hertha zur Antwort, »er ließ mich aber erraten, daß er glaube, man habe ihn absichtlich von mir fern gehalten, und daß es ihm sehr – leid getan, mich nicht vor meiner Abreise gesehen und gesprochen zu haben.«

»Sonst sagte er nichts?«

»Wenigstens nichts, auf das Deine Frage Bezug haben könnte.«

»Hat er nicht geschmäht auf Rynolds, auf mich oder irgend jemand, der Dir nahesteht?«

»Geschmäht hat er überhaupt nicht, nur auf eine Gefahr wies er hin, die mir aus dem Mormonentum selbst erwachsen könne; aber auch davon schwieg er, sobald ich ihn bat, nicht die Religion zum Gegenstand der Erörterungen zwischen uns zu wählen.«

Hertha sagte dieses ohne alle äußere Erregung, aber in dem leisen, klagenden Ton ihrer Stimme lag eine ganze Welt voll Schmerz und Entsagung.

Jansen blickte schweigend auf sie nieder. Es war schon zu dunkel geworden, um sein Gesicht, welches der durch das Fenster eindringenden schwachen Beleuchtung abgewendet war, noch genau zu betrachten. Hertha würde sonst wohl kaum übersehen haben, daß ein ungewöhnlich milder, feierlicher Ausdruck das eherne, männliche Gesicht förmlich verschönte. Der Umstand, daß er seit mehreren Tagen dem leitenden Einfluß Rynolds' entzogen gewesen, machte sich schon jetzt geltend bei ihm.

Die Stille des Gemachs unterbrachen nur die tiefen, regelmäßigen Atemzüge Jansen's und das letzte krampfhafte Aufschluchzen des jungen Mädchens, wie es wohl bei Kindern geschieht, wenn sie sich in den Schlaf geweint haben.

»Hertha, bleibe ruhig hier«, sagte Jansen dann, nachdem er endlich zu einem festen Entschluß gelangt war. »Niemand soll Dich stören. Hoffe und vertraue auf die Allmacht des Erlösers. Sei stark, um jedem drohenden Mißgeschick mit ruhiger Überlegung zu begegnen, und die Bürden, welche Dir zu tragen von dem Herrn zuerkannt werden, fromm und ohne Murren auf Dich zu nehmen. Erwarte auf dieser Stelle meine Rückkehr, und möge Gott Dich segnen, meine liebe Tochter, Du heiliges Vermächtnis meines ehrenwerten Bruders und seiner braven, engelgleichen Gattin.«

Bei diesen Worten neigte er sich zu Hertha nieder, die bei der Erinnerung an ihre Eltern wieder heftiger zu schluchzen begonnen hatte, und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.

Leise schlich er nach der Tür hin, welche zu Hertha's und der Demoiselle Corbillon Wohngemach führte. Sorgfältig verriegelte er dieselbe, und dann entfernte er sich ebenso leise durch die unmittelbar auf den Hof führende kleine Pforte. Auch diese verschloß er, um jeden Eindringling von dem jungen Mädchen fern zu halten; und nachdem er den Schlüssel ausgezogen und oben unter das niedrige Dach zwischen zwei Balken geschoben, begab er sich langsam und gesenkten Hauptes über den nunmehr schon ganz dunkeln Hof nach dem Gefängnis hinüber.

»Ich will zu den Gefangenen hinein«, sagte er zu dem Wächter, der vor der Haustür saß und ein kurzes Tonpfeifchen rauchte.

Dieser, ein wortkarger Mann, nickte stumm mit dem Haupte, stand aber sogleich auf und schritt Jansen voran in den Hauptflur hinein.

Nach einigen Minuten kehrte der Schließer wieder zurück, aber nicht allein, sondern Raft begleitete ihn.

Nachbarlich setzten sich beide sodann auf den Holzblock nebeneinander nieder; der Bootsmann zündete ebenfalls sein Pfeifchen an, allein es dauerte lange, ehe sie die gegenseitige Abneigung so weit überwanden, daß sie zuerst, einzelne Worte wechselten und sich endlich in eine oberflächliche, mit sarkastischen Bemerkungen durchflochtene Unterhaltung vertieften. –


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