Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band II
Balduin Möllhausen

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Die Gefangene

1.

Der Schwarze Biber

Hertha Jansen, welcher sich Demoiselle Corbillon, noch immer zitternd vor Angst, wieder zugesellte, hatte vom Innern der Hütte aus alle Vorgänge, die draußen stattfanden, mit regster Teilnahme verfolgt.

Es war ihr nicht entgangen, daß mit Elliot's Erscheinen das Vertrauen der ganzen Karawane sich wieder befestigte, und sprach sein Äußeres sie auch wenig an, so konnte sie doch nicht umhin, einen hohen Grad von Achtung vor ihm zu empfinden, für die verständige und menschenfreundliche Art, in welcher er die Indianer behandelte und das drohende Ungewitter verscheuchte.

Ihr zweiter Gedanke war, daß der Abgesandte, dessen Namen sie nicht einmal kannte, geraden Weges vom Salzsee komme, und ihr also Nachrichten von ihrer Schwester überbringe. Eine bange und zugleich freudige Hoffnung beseelte sie infolgedessen, und natürlicherweise spiegelten sich derartige Gefühle auf ihrem vor innerer Aufregung geröteten Antlitz, als sie dem sie begrüßenden Elliot entgegentrat und ihm mit ihrem holdesten Lächeln die kleine Hand reichte.

Mochte Elliot, dieser finstere Fanatiker, alle Gebräuche und Sitten, welche der Mormonismus Vorschrieb, nur als Mittel und Wege zur ewigen Seligkeit betrachten, welche, ob nun mit Freude, oder mit Abneigung, pünktlich zu beobachten seien; mochte er seinen Ehrgeiz auch dahin deuten, daß ein Erreichen höherer kirchlicher Ämter ebenfalls zu erhöhter Heiligkeit im Jenseits berechtige; als er Hertha Jansen, dieses reine, unschuldvolle Wesen, in ihrer ganzen Anmut vor sich sah, da waren vergessen die Lehren, denen er mit unerbittlicher Strenge huldigte, vergessen der durch seine Vereinigung mit Hertha ihm zufallende Reichtum, welcher ihm behilflich sein konnte, allmählich zu den höchsten politischen und kirchlichen Ehren eines Mormonenpropheten emporzusteigen.

Alles vergaß er Angesichts der lieblichen Erscheinung, und indem er bedachte, daß sie sein Eigen werden solle, drohte sein wild erregtes Blut ihm die Schläfen zu sprengen, während eine sonst nie gekannte Befangenheit seine Zunge lähmte.

»Ich bringe Euch Gruß und Segen des Propheten, des Nachfolgers unseres heiligen Märtyrers Joseph Smith, meine geliebte Schwester«, preßte er endlich heraus.

»Von ganzem Herzen danke ich Euch für den Segen und den freundlichen Empfang«, antwortete Hertha, ihr kindliches Antlitz wieder voll auf Elliot richtend, wobei ihr entging, daß ihr Onkel sie fortwährend mit einem seltsamen, sinnenden Ausdruck beobachtete. »Ihr kommt direkt vom Salzsee«, fuhr sie gleich darauf fort, und in dem Ton ihrer Stimme verriet sich ihre ängstliche Spannung, »Ihr werdet mir daher Näheres über meine Schwester, die Mrs. Holmsten, mitteilen können.«

»Nicht direkt vom Salzsee«, antwortete Elliot, der allmählich seine ruhige Überlegung wiedergewonnen hatte; »ich komme von Fort Utah, meiner derzeitigen Heimat.«

»So habe ich also wieder vergeblich auf Nachricht von meiner Schwester gehofft?« unterbrach Hertha mit klagender Stimme Elliot, und die Tränen traten ihr in die Augen.

»Und dennoch bringe ich Nachrichten, wenn auch keine ganz neuen«, versetzte Elliot, der sich bei dem ausbrechenden Schmerze des jungen Mädchens unfähig fühlte, ihr sogleich den vollen Umfang ihres Verlustes einzugestehen. »Sie selbst habe ich seit langer Zeit nicht gesehen, komme ich doch so selten nach dem Salzsee hinauf, aber ihr Kind sah ich, einen lieben, prächtigen Knaben; von ihm kann ich Euch erzählen, denn ihn traf ich ja erst vor kurzer Zeit in Fort Utah in Holmsten's Gesellschaft. O, er ist ein lieber, herziger Junge, und ich bin überzeugt, er wird seiner Tante ein Herz voll kindlicher Liebe entgegentragen.«

Während Elliot so sprach, schienen die weicheren Gefühle wieder die Oberhand über den starren Mann zu gewinnen, denn indem er sinnend vor sich niederschaute, klang seine Stimme immer milder, ja fast zärtlich.

Jansen und Rynolds aber wechselten, sobald das Kind erwähnt wurde, erstaunte Blicke. Sie wußten nicht, sprach Elliot die Wahrheit, oder stand er, um Hertha den Kummer vorläufig noch zu ersparen, im Begriff, das junge Mädchen zu täuschen.

Ihr Erstaunen und ihre Verwirrung wuchsen aber, als sie aus der fortgesetzten Unterhaltung entnahmen, daß es sich hier um Tatsachen handle, und das Kind, welches sie, gemäß der durch Abraham erhaltenen Aufschlüsse, für mit der Mutter zugrunde gegangen halten mußten, dennoch auf irgend eine geheimnisvolle Art gerettet worden sei. Mit doppelter Spannung achteten sie daher auf das Gespräch, welches zwischen Elliot und Hertha geführt wurde.

»Der Knabe soll ein Engel und das Ebenbild seiner Mutter sein; meine Schwester schrieb mir wenigstens in jedem Briefe davon«, sagte Hertha, und etwas wie Stolz leuchtete aus ihren noch von Tränen umflorten Augen.

»Ein Engel ist er, das läßt sich nicht leugnen«, versetzte Elliot mit dem Gepräge aufrichtigster Wahrheit, »dagegen bezweifle ich, daß Ihr eine Ähnlichkeit zwischen ihm und Eurer Schwester zu entdecken vermöchtet. Mütter sind zu sehr geneigt, sich in ihren Kindern verjüngt zu sehen; sie erblicken in denselben gern ihr Ebenbild. Allerdings besitzt der Knabe große blaue Augen und blonde Haare, die nur wenig dunkler als die Eurigen sind.«

»Aber meine Schwester, meine Schwester? wißt Ihr denn gar nichts von ihr?« fragte Hertha besorgt, denn während der Unterhaltung über das Kind waren ihre Gedanken von der Mutter abgelenkt worden.

»Ich sagte Euch schon, daß ich in neuerer Zeit nichts von ihr hörte«, entgegnete Elliot wieder ausweichend; »gar keine Nachricht ist dagegen oft die beste Nachricht. Doch sollen wir Menschen uns nie zu festen Hoffnungen hinreißen lassen, ohne dabei auch der trüben Möglichkeiten zu gedenken –«

»Meiner Schwester ist ein Unglück widerfahren!« rief Hertha erbleichend aus, indem sie beide Hände auf ihr Herz preßte.

»Mißversteht mich nicht, geliebte Schwester«, versetzte Elliot ernst, und in seinem Wesen bekundete sich wieder der fanatische Marmone, »ich wollte nur im Allgemeinen andeuten, wie es sich für die Gläubigen geziemt, sich im Glück auf das Unglück vorzubereiten, um das Kreuz, welches der Herr uns zu unserer Läuterung zu tragen auferlegt, williger und freudiger auf uns zu nehmen.

Hertha, durch ihre Erziehung empfänglich geworden für religiöse Schwärmereien, hatte Elliot so andächtig zugehört, als wenn sie sich in einer Kirche befunden hätte. Sie ahnte nicht, daß der gewiegte Mormone, nur um ihr nicht direkt ihre Frage zu beantworten, dagegen ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, sich in allgemeinen Betrachtungen erging, welche sie dann im Guten oder Bösen auf ihre eigene Lage anwenden konnte. Seine Absicht gelang indessen nur teilweise, denn so lange er sprach, leuchteten Hertha's sanfte blauen Augen wohl in enthusiastischem Feuer, als er aber geendigt, da ging auch ihre Spannung verloren, und ihr Haupt traurig auf die Brust neigend, schritt sie langsam nach dem Fenster hinüber, wo sie sich auf eine alte Bank niederließ.

Es war das erste Mal, seit sie ihrer alten, angestammten Heimat Lebewohl gesagt, daß ihr Herz von Besorgnissen und bangen Ahnungen beschlichen wurde, und ganz in sich versunken, achtete sie nicht darauf, daß Elliot, sobald er die Gouvernante mit einigen salbungsreichen Worten begrüßt hatte, sich mit Vorbedacht entfernte.

Gefolgt von Jansen und Holmsten, begab er sich hinaus, um die verschiedenen Wachposten zu besuchen und die nächste Umgebung des Lagers genau kennen zu lernen. Auch Demoiselle Corbillon verließ, nach mehreren vergeblichen Versuchen, ein Gespräch mit Hertha anzuknüpfen, die Hütte. Die Nähe der vor der Tür kauernden Mohaves, denen sich auch noch der schweigsame La Bataille zugesellte, mochte ihr unheimliche Gefühle erwecken; sie schritt daher in weitem Bogen um die kriegerischen Gestalten herum und eilte nach einem der entferntesten Wagen hinüber, in dessen Schatten sich die zu demselben gehörende und ihr befreundete Familie behaglich auf Decken und Büffelpelzen gelagert hatte.

Hertha befand sich also ganz allein in dem Gemach, und fast unbeweglich saß sie noch immer auf derselben Stelle, auf welcher sie nach ihrer Unterredung mit Elliot Platz genommen.

Mit tiefer Wehmut und Besorgnis gedachte sie ihrer Schwester. Schien es doch, als habe das Schicksal sich gegen sie verschworen, sie im Ungewissen über deren Ergehen zu lassen.

Hertha fuhr erschreckt empor; ein Schatten war über das Fenster hingeglitten, an welchem sie saß, und zugleich hatte sich eine Hand mit leiser Berührung auf ihre Schulter gelegt.

Ein Schrei schwebte auf ihren Lippen, als sie den riesenhaften Mohavehäuptling erkannte, der von außen an das Fenster herangetreten war. Sie drängte den Ausbruch des Schreckens aber beschämt zurück, sobald sie einen Blick auf Kairuk's freundlich ernstes Gesicht geworfen und in demselben eine an Verwirrung grenzende Verlegenheit entdeckte.

»Achotka, Kairuk achotka – viel gut Mohave, viel gut«, sagte der Häuptling leise, indem er wiederholt mit seinen Fingerspitzen über Hertha's Schulter strich.

Es war nämlich seinem Scharfblick nicht entgangen, daß sein plötzliches Erscheinen ihr Furcht eingeflößt hatte; er wollte sie daher beruhigen, und um sie nicht auch durch seine Stimme zu erschrecken, dämpfte er dieselbe so sehr, daß die Worte sich als tiefes Murmeln seiner Brust entwanden.

Hertha verkannte seine Absicht nicht; sie reichte ihm daher die Hand, indem sie ihm versicherte, durchaus keine Besorgnis vor ihm zu hegen.

Kairuk lächelte und schaute ratlos um sich. Er hatte das junge Mädchen nicht verstanden und überlegte offenbar, wie er das, was er mitzuteilen wünschte, am besten erklären könne.

»Viel Mohaves, viel, viel Mohaves«, sagte er endlich, indem er seine ausgestreckte Hand im Halbkreise nach dem Colorado zu bewegte. »Mohaves gut, viel gut, nicht töten Amerikaner, nicht töten Mormonen; Mohaves viel gut, Mormonentaube nicht Angst.«

Ohne Zweifel hatte der Häuptling schon längere Zeit von dem Feuer aus Hertha beobachtet und die Tränen, die ihren Augen entquollen, für eine Äußerung der Furcht vor seinen Stammesgenossen gehalten. Dieselbe zu verscheuchen, war seine nächste Absicht, und er führte dieselbe in einer Weise aus, wie sie ihm eben zu Gebote stand, und da er Hertha nicht anders zu benennen wußte, so deutete er mit der Hand auf sie, indem er mit Nachdruck das Wort »Mormonentaube« wiederholte.

»Keine Angst vor den Mohaves«, entgegnete Hertha, die Hand auf ihre Brust legend; denn indem die Unterhaltung mit dem redlichen, noch nicht durch die Einflüsse der Zivilisation berührten und verdorbenen Urwilden sie zu ergötzen begann, suchte sie sich dadurch verständlich zu machen, daß sie des Häuptlings eigene Worte stets nachsprach und, je nach der beabsichtigten Antwort, entweder bejahend nickte oder verneinend den Kopf schüttelte.

»Kairuk, Häuptling, Mohave-Häuptling, gut«, fuhr der Krieger fort, Hertha seinen langen Bogen und ein Bündel Rohrpfeile, deren zierlich geschlagene Obsidian-Spitzen im Sonnenschein funkelten, durch das Fenster darreichend, ein sicherer Beweis, daß er alles aufbiete, seine und seines Stammes friedlichen Absichten an den Tag zu legen.

Hertha schüttelte ihr schönes Haupt und wies die Waffen zurück, doch nicht eher nahm Kairuk dieselben wieder an sich, als bis Hertha sie einen Augenblick in ihren Händen gehalten hatte und sie ihm dann gewissermaßen wiederschenkte.

Hiernach schien das beiderseitige Vertrauen sich gefestigt zu haben, denn Kairuk benahm sich freier und zutraulicher, während Hertha, deren Phantasie ein ganz anderes Bild von den amerikanischen Ureinwohnern vorgeschwebt hatte, erstaunt war über die gutmütige Einfalt des wilden Kriegers, der, je länger er mit ihr verkehrte, um so schneller und leichter ihre Gedanken erriet und ihr selbst das Verstehen seiner Mitteilungen in nicht geringerem Grade erleichterte.

Eine Viertelstunde mochte der Häuptling in dieser Weise bei ihr am Fenster gestanden haben, bald fragend nach der englischen Bezeichnung der sie umgebenden Gegenstände, bald die Mohavenamen dafür zurückgebend, da lehnte er sich plötzlich mit beiden Armen auf das Fensterbrett, und seinen Mund ihrem Ohr nähernd sagte er mit ausdrucksvoller Gebärde:

»Mormonen nicht gut, Mormonentaube nicht dahin gehen, Mormonentaube gehen dorthin«, und um seine Worte zu verdeutlichen, wies er zuerst gegen Norden und dann gegen Südwesten.

»Also sogar bis unter die unbekanntesten Eingeborenen ist der Haß gegen die neue Lehre und ihre Anhänger verbreitet worden?« fragte Hertha, mit einer eigentümlichen Erregtheit zu Kairuk aufschauend.

»Achotka, Achotka«, beruhigte dieser freundlich, denn Hertha's Blicke schienen ihm zu sagen, daß ein bitterer Vorwurf in ihren Worten gelegen habe.

Ihre Verstimmung wich indessen schnell wieder, als sie in des Häuptlings Antlitz weder einen Ausdruck von Haß, noch von Hinterlist, sondern einen fast kindlichen Zug von Offenherzigkeit und natürlicher Unbefangenheit entdeckte, wie ihn nur eben solche Menschen zur Schau tragen können, die noch nicht viel Ungerechtigkeiten von ihren Mitmenschen zu erdulden gehabt haben.

»Armer Häuptling«, sagte sie sinnend, ohne zu bedenken, daß er sie nicht verstand, »Deine Einfalt und Leichtgläubigkeit sind nur von böswilligen Leuten mißbraucht worden. Man hat die Mormonen bei Dir verleumdet, um Dich in einen Ausrottungskrieg gegen sie zu verwickeln; denn Du hast nicht das Aussehen eines Menschen, in dessen Herzen Falschheit wohnt.«

Kairuk spähte wieder verlegen um sich. Er hätte so gern gewußt, was Hertha gesprochen; hätte ihr so gern mitgeteilt, daß er unter den Mormonen, die zeitweise am Rio Virgin rasteten und in neuerer Zeit das Tal des Colorado besuchten, auch schlechte Menschen kennengelernt habe, welche unter den Mohaves Lügen verbreiteten, um sie zum Blutvergießen zu veranlassen; das alles hätte er ihr erzählen mögen, und so gern abgeraten, dahin zu ziehen, wo in nächster Zeit der Krieg entbrennen mußte, allein ihm standen keine Worte zu Gebote. Einen Augenblick betrachtete er nachdenkend die kriegerische Gestalt La Vataille's, als ob er seine Dienste als Dolmetscher hätte in Anspruch nehmen mögen. Doch nur einen Augenblick, denn im nächsten hatte er diesen Plan schon wieder aufgegeben, und indem er sich abwendete, bekundete ein Zug von Hohn und Verachtung, der über seine dunkle Physiognomie glitt, die große Abneigung, welche er gegen den Schlangen-Indianer hegte.

Endlich kehrte er sich wieder Hertha zu, und mit einer Mischung von Bewunderung und Scheu ließ er seine großen schwarzen Augen auf der lieblichen Gestalt haften. Er war traurig und niedergeschlagen, weil er nicht die Macht besaß, sich dankbar gegen sie zu erweisen; denn blieben ihre Worte ihm auch unverständlich, so hatte ein instinktartiges Gefühl ihn bei seinem ersten Eintritt in die Hütte doch darüber belehrt, daß sie sich ihrem Onkel gegenüber zu Gunsten der Mohaves ausgesprochen. Seine Dankbarkeit aber wollte er an den Tag legen, indem er ihr riet umzukehren; und als Hertha auf seine Warnung nicht achtete, da hatte er alle seine Mittel erschöpft.

Noch einmal legte er seine Hand leise auf ihre Schulter. »Mormonentaube dahin ziehen, Kairuk dahin auch ziehen«, sagte er, mit einer unbeschreiblichen natürlichen Würde gegen Norden deutend, und ohne eine Antwort des jungen Mädchens abzuwarten, begab er sich an das Feuer, wo er sich neben seinem Freunde Jreteba niederließ.

Elliot, Jansen und Rynolds hatten um diese Zeit schon die Runde fast um das ganze Tal herum gemacht, doch galt ihre Wanderung weniger den verschiedenen Schildwachen und der Prüfung der Sicherheitsmaßregeln, als dem Wunsch, sich ungestört zu unterhalten.

Namentlich hofften die beiden letzteren von Elliot nähere Aufschlüsse zu erhalten; denn durch die Erwähnung des Kindes, welches sie für tot gehalten hatten, war ihre Neugierde bis aufs äußerste gesteigert worden, und ungeduldig harrten sie darauf, ohne Zeugen miteinander sprechen zu können.

»Der Knabe ist also dennoch gerettet worden?« fragte Jansen, sobald sie sich außerhalb der Hörweite der bei den Wagen verkehrenden Leute befanden.

»Allerdings ist er gerettet worden«, antwortete Elliot zögernd, »ich kenne zwar die näheren Umstände nicht genau, allein ich glaube, vorüberziehende Indianer nahmen ihn mit sich und verkauften ihn später an Holmsten. Ich selbst habe den Knaben längere Zeit bei mir im Hause gehabt. Es war für Holmsten drückend, diejenige, wegen der seine erste Gattin ihn verließ, von dem Kinde ›Mutter‹ genannt zu hören. Er hat sich indessen allmählich damit ausgesöhnt und vor wenigen Wochen das Kind wieder zu sich genommen. Ungern gaben wir den blühenden Knaben fort; wir hatten ihn sehr lieb gewonnen, denn er gleicht auf ein Haar einem verstorbenen Zwillingskinde meiner ersten Frau. Doch auch das Kind soll noch immer nach seinen vermeintlichen Geschwistern und denjenigen fragen, die so lange Elternstelle bei ihm vertraten.«

»Von der Mutter ist also nie wieder eine Spur entdeckt worden?« fragte Jansen, und seine Stimme klang ungewöhnlich mitleidig.

»Keine Spur«, erwiderte Elliot; ihre Gebeine liegen im Wüstensand begraben, und kein äußeres Zeichen gibt Kunde von ihrer letzten Ruhestätte.«

»So jung und so schön; o, wohin hat ihre Störrigkeit sie geführt!« versetzte Jansen, wie zu sich selbst sprechend. »Elliot, hört mich«, fuhr er gleich darauf mit diesem Ernst fort, »geht zart mit der Euch bestimmten Tochter meines verstorbenen Bruders um; sie ist, außer ihrem Schwesterkinde, die letzte ihres Stammes. Sie muß erhalten bleiben.«

»Und sie wird es auch«, versicherte Elliot mit Eifer, »es sind alle Fälle vorgesehen, und namentlich ist auf ihre Jugend Rücksicht genommen worden. Unbewußt und Schritt für Schritt soll sie auf der Bahn des wahren Glaubens weitergeführt werden. Im engeren Verkehr mit solchen Schwestern und Brüdern, die schon hinlänglich im Glauben erstarkten, wird sie sich allmählich an das gewöhnen, was ihr heute noch als verwerflich erscheinen würde. Ich bin sogar fest überzeugt, die Zeit ist nicht fern, in welcher sie die patriarchalischen Einrichtungen unserer Kirche in so hohem Grade segnet, wie sie dieselben heute ohne Zweifel noch verdammen würde.«

»Meine Nichte ist also unwiderruflich und nach reiflicher Überlegung, wie ja auch aus dem Briefe des Propheten hervorgeht, für Euch bestimmt worden«, bemerkte Jansen nach einer Pause, während welcher er schweigend zwischen Elliot und Rynolds hingeschritten war: »Ihr besitzt aber schon Familie; fürchtet Ihr nicht, sie unvorbereitet in Euer Haus einzuführen?«

»Es ist durchaus kein Grund zu Besorgnissen vorhanden«, entgegnete Elliot mit überzeugender Ruhe; »Ihr sowohl, wie sie und ihre Gouvernante, werdet allerdings vorläufig in meinem Hause wohnen; doch sind die Mitglieder meiner Familie so instruiert, daß wohl kaum ein unüberlegtes Wort über deren Lippen kommen dürfte, obgleich ich diese Vorsicht, einem Charakter, wie dem Eurer Nichte gegenüber, für vollständig überflüssig halte. Ob ich für meine Person auf kurze Zeit allein nach der Salzseestadt übersiedeln und erst nach geschlossener Verbindung und nachdem Eure Nichte sich über den Tod ihrer Schwester einigermaßen getröstet hat, meine Familie nachkommen lasse, um für immer dort zu bleiben, hängt eben davon ab, wie bald wir sie mit Satzungen, betreffs der geistigen Ehe, vertraut machen dürfen, und wie leicht sie selbst sich mit denselben aussöhnt. Jedenfalls wird die Nähe des Sohnes ihrer Schwester einen segensreichen Einfluß auf das noch nicht erprobte Gemüt ausüben, allein schon deshalb ist meine vollständige Übersiedelung nach der Salzseestadt wünschenswert.«

»Gewiß wird der Anblick des Knaben sie trösten und aufrichten«, pflichtete Rynolds bei, der so lange geschwiegen, aber um desto aufmerksamer auf die Worte seiner Gefährten gelauscht hatte. »Ich betrachte es aber auch von einem andern Standpunkte aus als ein großes Glück, daß der Knabe noch lebt; hätte er das traurige Los seiner Mutter geteilt, so hätte das letzte Band, welches unsere Schutzbefohlene an den neuen Glauben fesselt, trotz ihrer großen Hingebung und Frömmigkeit, sehr gelockert, wer weiß, vielleicht durch eine einzige heftige Gemütsbewegung ganz zerrissen werden können. Aber sieht das Kind wirklich seiner Mutter nicht ähnlich?« fragte er dann, scheinbar gleichgültig, aber mit den Blicken eines Luchses Elliot von der Seite beobachtend.

»Nicht daß ich wüßte«, antwortete dieser, sich abwendend, um einen Anflug von Verlegenheit zu verbergen.

Dem listigen Rynolds entging diese Bewegung nicht, und wer nur genau und aufmerksam sein Mienenspiel beobachtet hätte, der würde einen hellen Triumph entdeckt haben, der schnell, wie der Blitz, in seinen Augen aufleuchtete, aber ebenso schnell wieder spurlos verschwand.

Jansen hatte von dem allem nichts bemerkt; Elliot's Mitteilungen schienen ihn zu tiefen Grübeln veranlaßt zu haben. Ob aber freundliche oder ernste Gedanken seinen Geist erfüllten, das war aus den eisernen, verschlossenen Zügen nicht zu entziffern.

»Sind die Leute so vorbereitet, daß wir schon morgen aufbrechen können?« fragte Elliot, nicht ohne Absicht das Gespräch auf einen ändern Gegenstand lenkend, »denn nachdem das Coloradodampfboot für uns verloren, hat unser längeres Verweilen am Rio Virgin keinen Zweck mehr.«

»Ich denke, wenn Ihr jetzt den Befehl zum Rüsten erteilt, so kann der Aufbruch ohne Schwierigkeit morgen in den ersten Frühstunden erfolgen«, antwortete Jansen, aus seinem Brüten emporfahrend.

»Gut, dann bleibt es dabei, wir verlassen morgen dieses Tal, um in Gewaltmärschen durch die Wüste dem Utahsee zuzueilen. Nur eine kleine Gesellschaft unserer entschlossensten Männer wird die Bewachung der Hütten übernehmen, um zugleich die vom Colorado zurückkehrenden Späher und die von der kalifornischen Küste eintreffenden Karawanen zu erwarten.«

»Die Geschütze gehen natürlich mit?« fragte Jansen eifrig, denn nachdem er die in ihm wach gerufenen trüben Gedanken gleichsam abgeschüttelt, war er wieder mit Leib und Seele zum fanatischen Mormonen geworden.

»Wer kommandiert dieselben?« fragte Elliot zurück, indem er seine Blicke mechanisch nach den Munitionswagen und den beiden Haubitzen hinübersandte.

»Zwei Leute, die im Auslande Offizierstellen bekleideten.«

»Keine gute Wahl«, versetzte Elliot mißbilligend, »ein paar ausländische Corporale wären geeigneter gewesen. Ich lege keinen großen Wert auf Leute, die aus irgend einem geheimnisvollen Grunde den trägen Dienst in der Heimat aufgaben, um hier dem flüchtigen Glücke nachzujagen. Gewöhnlich bilden sie sich ein, in der Fremde, wie einst in der Heimat, dominieren zu dürfen.«

»Diese nicht; Abraham hat dafür Sorge getragen, daß ihnen der Strick beständig um den Hals liegt«, bemerkte Rynolds, die Achseln zuckend; »aus den albernen Stutzern, die einst zum Ergötzen verständigerer Leute mit ihrem widerwärtigen, gedrechselten Benehmen die Straßen der Städte verunzierten, sind jetzt ein paar diensteifrige Sklaven geworden, die man zu allem verwenden kann, zu welchem man wirkliche Mormonen für zu gut hält.«

»Sie sind also noch nicht getauft?«

»Nein, und ich glaube kaum, daß sie jemals getauft werden. Überleben sie den Krieg und wir bedürfen ihrer Dienste nicht weiter, dann braucht man sie nur zu verabschieden«, nahm Jansen wieder das Wort.

Die drei Männer waren jetzt wieder bei einer Schildwache angelangt, von deren Standpunkt aus sie ihre Blicke ziemlich weit um sich, namentlich aber über das sich dem Colorado zu senkende zerklüftete Terrain zu werfen vermochten. Sie brachen daher fast unwillkürlich ihre Unterhaltung ab, und ebenso unwillkürlich versenkten sie sich in das Anschauen der furchtbar wilden, wüstenähnlichen Landschaft, die sich nach allen Richtungen hin, bald mehr, bald minder weit, je nachdem die aufstrebenen Felsenhügel die Aussicht beschränkten, vor ihnen ausdehnte.

Mit ihrer Ankunft im Lager schien indessen plötzlich ein ganz anderes Leben unter den Leuten zu erwachen, denn kaum war durch eine einberufene Versammlung der Ältesten die Nachricht von dem bevorstehenden Aufbruch vorbereitet worden, so begab sich auch alles mit größter Geschäftigkeit an's Packen und Rüsten. Als dann zur späten Nachmittagsstunde die scheidende Sonne ihre letzten Strahlen, indem sie sich hinter der westlichen Bergreihe verbarg, aus dem kleinen Tale an sich zog, da waren alle Vorbereitungen so getroffen, daß am nächsten Morgen dem Befehl zur Weiterreise ohne Säumen Folge geleistet werden konnte.

Gruppenweise lagen und saßen die Familien zum letzten Mal in der gastlichen Niederung umher; zum letzten Mal sollten sie die nächtliche Ruhe suchen an einer Stelle, wo sie sich seit vierzehn Tagen einer erquickenden Rast hingegeben hatten. Müde und erschöpft waren sie dort angekommen, mit einem an Wonne grenzenden Gefühl hatten sie die kleinen Wiesenflächen begrüßt, doch erfüllte jetzt freudige Hoffnung ihre Brust, weil sie die Oase wieder verlassen sollten.

Umsichtiger hatte man die Maßregeln zur allgemeinen Sicherheit getroffen, und früher als gewöhnlich wurde es still in dem Mormonenlager. Auch die Mohaves waren, um sich der nächtlichen Kälte zu erwehren, dichter um ihr Feuer zusammengerückt. La Bataille, der Schlangen-Indianer, befand sich nicht bei ihnen. Mochte er nun den Mohaves nicht trauen, oder hielt er sich zu vornehm, ihr Lager mit ihnen zu teilen, genug abgesondert von allen übrigen Menschen hatte er einen alten verfallenen Ziegenstall zu seinem Obdach gewählt und sein Pferd dicht vor der Tür desselben angebunden.

Die Phantasie des Schlangen-Indianers blieb vom fernen Rauschen des Stromes unberührt. Er war ja ein Sohn der Wüste, in welcher das Wasser nur in Quellen und kleinen Bächlein dem Erdreich entsprudelte. Um so aufmerksamer lauschte er dafür auf jedes Geräusch im Lager und auf die Fußtritte der Wachen, die sich von Zeit zu Zeit näherten und wieder entfernten. –

Es mochte noch eine Stunde bis Mitternacht sein, da gab La Bataille's Pferd, welches dicht vor dem Ziegenstall seinen Platz gefunden hatte, Zeichen der Unruhe von sich. Indessen beruhigte es sich schnell wieder, als es seinen Herrn erkannte, der zwischen seinen Vorderfüßen hindurch aus der schmalen Türöffnung des Stalles kroch und sich dann an ihm emporrichtete, und zutraulich beschnupperte es ihn, während er ihm mit den Händen kreuzweise über Stirn und Augen strich und ihm demnächst einige Maiskolben darreichte.

Kaum zermalmte aber das erfreute Tier, ein lautes, krachendes Geräusch erzeugend, mit scharfen Zähnen den harten Leckerbissen, da zog La Bataille seine Decke dichter um seinen Oberkörper zusammen, und nachdem er noch einmal scharf lauschend um sich geschaut, schlich er behutsam nach dem nördlichen Ende des Tales hinüber, wobei er sorgfältig vermied, mit einer der umherstreifenden Patrouillen zusammenzutreffen.

Unbemerkt erreichte er die äußerste Grenze der Niederung, und einen kleinen Umweg um die mitten auf der alten Emigrantenstraße aufgestellten Schildwache beschreibend, gelangte er gegen zweihundert Ellen weit vor derselben an den eben bezeichneten Weg, wo ihn also das schärfste Auge von der Talgrenze aus nicht mehr zu unterscheiden vermochte.

Eine kurze Strecke noch behielt er seinen vorsichtigen Schritt bei, dann aber verfiel er in eine langsam trabende Bewegung, die ihn indessen sehr schnell vorwärts brachte.

Nach Verlauf einer halben Stunde, während welcher Zeit er ungefähr zwei englische Meilen zurückgelegt hatte, mäßigte er seine Eile, jedoch nicht, weil er vielleicht ermüdet gewesen wäre, sondern um schärfer um sich zu spähen, und namentlich die schwarzen Schluchten, die vielfach die unwegsame Straße durchschnitten, einer genauen Prüfung zu unterwerfen.

Wie sicher und entschieden auch seine Bewegungen waren, und wie wenig die Dunkelheit seine scharfen Augen hindern mochte, so schien sein Spähen doch längere Zeit hindurch vergeblich bleiben zu sollen; denn immer langsamer wurden seine Schritte, und durchdringender waren die Blicke, welche er in die Schluchtöffnungen sandte.

Plötzlich stand er still. Er hatte weit abwärts in einer Vertiefung den Schimmer eines Feuers entdeckt, welches das zunächst liegende Gestein rot färbte, ohne daß er aber imstande gewesen wäre, einen Blick auf das Feuer selbst oder die Personen, welche dasselbe schürten, zu erhaschen.

Zweifelnd blieb er stehen, dann aber hob er die Hände an den Mund, und indem er dieselben in Form einer Muschel zusammendrückte, sandte er ein so natürliches jauchzendes Kläffen in die Schlucht hinein, daß der erfahrenste Präriewolf dadurch hätte getäuscht werden können.

Bei dem Feuer regte sich nichts; offenbar waren die Töne für die dort hausenden Geschöpfe etwas zu Gewöhnliches, um sich dadurch aus ihrer Ruhe stören zu lassen.

»Wallpais«, murmelte La Bataille, und um sich von der Richtigkeit seiner Mutmaßung zu überzeugen, nahm er einen Stein, den er klappernd auf die nächste Geröllanhäufung warf, worauf er das behagliche Wiehern eines frei umherstreichenden Pferdes nachahmte.

Die Wirkung dieses Verfahrens war fast augenblicklich; denn La Bataille hatte die Hände noch nicht von seinem Munde zurückgezogen, da glitten, wie eine Rotte ungestaltener Berggeister, ein halbes Dutzend schwarzer Gestalten in den Feuerschein, um demnächst sogleich wieder in dem finsteren Schatten zu verschwinden. Augenscheinlich glaubten dieselben das Wiehern eines in der Dunkelheit heimlich davongegangenen Mormonenpferdes vernommen zu haben, denn wie ein Rudel hungriger Wölfe stürzten sie nach der Richtung hin, wo sie die leicht zu gewinnende Beute zu finden erwarteten.

»Wallpais«, wiederholte La Bataille, verächtlich die Achseln zuckend, und indem er den Tomahawk aus seinen Gürtel zog und in die rechte Hand nahm, setzte er, nunmehr aber wieder trabend, seinen Weg auf der unebenen Landstraße fort, unbekümmert darum, daß hinter ihm die Wallpais, ähnlich Bluthunden, welche die Spur des verfolgten Wildes verloren, nach dem vermeintlichen Pferde umherspähten.

Da wurde er plötzlich in seinem Laufe durch das Rasseln einer Klapperschlange aufgehalten, welches aus einer Vertiefung neben dem Wege zu ihm heraufschallte, jedoch zu laut war, um wirklich von dem giftigen Reptil herzurühren, also nur ein Signal für ihn sein konnte.

»Sikitomaker«, rief La Bataille leise aus, indem er den Griff seines Kriegsbeils fester umklammerte.

»La Bataille«, lautete die ebenso geheimnisvoll gesprochene Antwort, und gleichzeitig erhob sich eine Gestalt von der Erde, deren äußere Umrisse sich in der Umhüllung einer großen Decke verloren, die sich aber, neben den Schlangen-Indianer hintretend, noch etwas kleiner als dieser auswies.

Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, schritt Sikitomaker, wie der Fremde von La Bataille angeredet worden war, über den Weg hinüber in eine zwischen den Kieshügeln ausgewaschene Regenschlucht hinein, wohin letzterer ihm ebenso schweigend nachfolgte.

Nachdem sie sich ungefähr fünfhundert Ellen weit von der Straße entfernt hatten, bogen sie kurz um einen durch Regengüsse unterwühlten Kieshügel herum, und gleich darauf befanden sie sich vor einem kleinen, nur durch übelriechende dürre Artemisiastauden genährten Feuer.

Vor dem Feuer war nur eine Person sichtbar. Dieselbe, ebenfalls in eine dunkelfarbige Decke gehüllt, hatte so lange geruht, bis die sich nähernden Fußtritte sie veranlaßten, sich zu erheben und die Waffen zu ergreifen.

»Die aufgehende Sonne findet Schwarzen Biber und seinen Gefährten weit von hier«, sagte La Bataille, sobald er in den Schein der flackernden Flammen getreten war, sich als Mittel zur Verständigung der englischen Sprache in ziemlich geläufiger Weise bedienend.

Sikitomaker, der Schwarze Biber, einer der wenigen Delawaren, welche von dem einst so mächtigen und kriegerischen Stamme übrig geblieben, und John, sein jüngerer Jagdgefährte, nickten, zum Zeichen, daß sie La Bataille verstanden, und dieser fuhr fort:

»Sonnenaufgang Alle verlassen den Rio Virgin. Mormonen bald in Fort Utah und am Salzsee sein.«

»Ist das bleiche Mädchen eingetroffen?« fragte der Schwarze Biber, einen klugen Blick unter seinen schläfrig niederhängenden Augenlidern hervor auf La Bataille werfend.

»Bleiches Mädchen und alle, die zu bleiches Mädchen gehören«, antwortete dieser.

»Hat der berühmte Häuptling der Schlangen-Indianer sonst nichts mitzuteilen?« fragte der Schwarze Biber weiter, und der kaum bemerkbare höhnische Zug, der um seine schmalen Lippen spielte, bekundete, wie erhaben er sich über alle indianischen Eitelkeiten fühlte, und daß er La Bataille nur schmeichelte, um ihn gesprächiger zu machen.

Die prunkvolle Anrede, die gewissermaßen ein Kompliment des unter fast allen Indianerstämmen bekannten und gefürchteten Delawaren enthielt, verfehlte in der Tat nicht ihre Wirkung auf La Bataille, denn indem er sich zu seiner ganzen Höhe aufrichtete, so daß er den Schwarzen Biber fast um eine Handbreit überragte, zog er die rote Decke in malerische Falten um seine Schultern zusammen.

»La Bataille's Augen und Ohren offen, wenn scheint zu schlafen«, hob er an, das schlaue Lächeln auf des Delawaren etwas krankhaften und leidenden Zügen zu seinen Gunsten deutend; »La Bataille viel hören, viel sehen, was Freunden des großen Delawarenkriegers sagen, damit sie ihre Hände öffnen und bereitwillig spenden, was erfreut das Herz eines Schlangen-Kriegers.«

»Mein Bruder ist ein tapferer Krieger, aber er ist auch weise«, versetzte der Schwarze Biber listig; »er kann seiner Zunge freien Lauf lassen, meine Ohren sind offen, meine Zunge ist bereit, seine Worte wiederzugeben, und meine Freunde spenden mit vollen Händen für die ihnen geleisteten Dienste.«

»Gut«, sagte La Bataille mit Nachdruck, »ich traue großem Delawaren; seine Zunge nicht gespalten. Sagen Euern Freunden, bleiches Mormonenmädchen da sein, sagen, der Kommandant von Fort Utah bleiches Mädchen für sein Wigwam bestimmt, Mutter seiner Kinder werden. Aber auch sagen, bleiches Mädchen haben Furcht, und La Bataille gesehen Tautropfen in bleiches Mädchen Augen.«

»Sonst nichts?« fragte der Schwarze Biber.

»Sonst nichts«, antwortete La Bataille, »wollen mehr wissen, nach dreimal sieben Tagen kommen nach Fort Utah und selbst sehen.«

»Will mein Bruder essen? Dort ist gedörrtes Fleisch«, sagte jetzt der Delaware, auf ein Bündel deutend, welches neben zwei aufrecht stehenden Sätteln in der Nähe des Feuers lag; »mein Bruder hat einen weiten Weg zurückgelegt, er muß hungrig sein; und ein weiter Weg liegt vor ihm, wenn er nach dem Rio Virgin zurückkehrt.«

»Der Weg ist weit, La Bataille auf seinem Lager erwachen, wenn Pferde auf die Weide getrieben werden«, entgegnete dieser, die Einladung ablehnend, und indem er sich dichter in seine Dekke hüllte, glitt er um die scharfe Hügelecke herum.

Die beiden Delawaren lauschten ihm so lange nach, bis sie seine leichten Fußtritte und das Knirschen des Kieses unter seinen Mocassins nicht mehr vernahmen. Dann aber legten sie neue Reiser auf die niedergebrannte Glut, um sich das Zusammenpacken ihrer wenigen Habseligkeiten und das Satteln der Pferde durch die Vermehrung der Helle zu erleichtern.

Sie hatten die Decken nunmehr abgeworfen, und da die Flammen zwischen den leicht brennbaren Stauden hoch aufschlugen, so traten auch ihre Figuren und Gesichtszüge ziemlich scharf und deutlich hervor.

Der Schwarze Biber war der ältere, wie auch schon sein hageres Gesicht besagte. Wenn man aber den leidenden Ausdruck in seinen fast weiblichen, keineswegs häßlichen Zügen betrachtete, so erschien es fast unglaublich, daß man einen der verschlagensten und listigsten Indianer des amerikanischen Kontinents vor sich habe. Noch weniger traute man ihm zu, daß er sich eben so sehr durch seinen Scharfsinn, wie durch Mut und ungewöhnliche Sprachkenntnis auszeichne und der Vereinigte Staaten-Regierung als Führer, Dolmetscher und Jäger im Kriege, wie im Frieden schon so vielfach gedient habe.

John, sein Gefährte, mochte um zwölf Jahre jünger als er selbst sein, konnte also das dreißigste Jahr noch nicht erreicht haben. Auch dieser war nur schlank und leicht gebaut; allein die viel gerühmten Eigenschaften seiner Vorfahren hatten sich auf ihn ebenfalls teilweise vererbt, und man brauchte nur auf sein kluges, noch jugendfrisches Gesicht zu schauen, um eine solche Annahme vollkommen gerechtfertigt zu finden.

Diese beiden kühnen Jäger waren also zuerst dem Apostel und La Bataille vom Salzsee aus nach Fort Utah, und demnächst Elliot von letzterem Ort aus beständig in der Entfernung einer halben Tagesreise heimlich und unbeachtet nachgefolgt. Unterwegs hatten sie mehrfach Gelegenheit gefunden, während der Nacht mit dem verräterischen und von ihnen bestochenen Schlangen-Indianer zu verkehren. Ihre angeborene Sucht nach Abenteuern ließ sie die ihnen gewordenen Aufträge pünktlich und gewissenhaft ausführen, und nicht die geringste Spur von Ungeduld verrieten sie, als La Bataille bei ihnen eintraf und sie zur schleunigen Umkehr aufforderte.

Es schien sogar, als seien sie auf eine derartige Nachricht vorbereitet gewesen, denn noch keine zehn Minuten waren nach der Entfernung des Schlangen-Indianers verstrichen, da holten sie schon ihre bei einer nahen verborgenen Quelle gepflöckten Pferde herbei, und vorsichtig begannen sie dieselben zu satteln und danach ihre ganzen Habseligkeiten, die nur aus ihren Waffen, Decken und etwas gedörrtem Fleisch bestanden, auf denselben zu befestigen.

Nachdem sie sich durch einen letzten Blick überzeugt, daß sie vor dem niederglimmenden Feuer nichts vergessen hatten, schritten sie ihren Pferden voran in die Regenschlucht hinein, welche nach der Emigrantenstraße führte. Kaum aber fühlten sie gangbareren Boden unter ihren Füßen, da schwangen sie sich in ihre Sättel, und die Pferde zu einem langen Paßgang zwingend, zogen sie schweigend in nördlicher Richtung durch die Nacht dahin. –


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