Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band II
Balduin Möllhausen

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4.

Der Vertrag

Wer, weniger vertraut mit den westlich von den Rocky Mountains sich erstreckenden Territorien, erzählen hört von dem großen Salzsee, an welchem die Mormonen ihre neue Heimat gründeten und sich innerhalb weniger Jahre durch seltene Energie und Ausdauer in einen blühenden Wohlstand hineinarbeiteten, der schafft sich mit reger Phantasie in den meisten Fällen das Bild eines paradiesischen, mit allen die Kultur begünstigenden Eigenschaften gesegneten Landstriches.

Im Geiste sieht er den weiten, blauen und regungslosen Wasserspiegel, geschmückt mit malerisch emporstrebenden gebirgigen Inseln; er sieht die im heitersten Grün prangenden Ufer, welche wieder von schneegekrönten Felsenketten unterbrochen und begrenzt werden; er denkt an schattige Wälder und an das behagliche Murmeln und Sprudeln von Bächen und kleinen diamantklaren Bergströmen, und zwischen alles dieses hin zaubert er den Menschen mit seinen idyllisch gelegenen Wohnungen und den übrigen seinen Fleiß verratenden Werken und Schöpfungen.

Wie ganz anders erscheinen dagegen der große Salzsee und sein Gebiet in der Wirklichkeit!

Der schöne Wasserspiegel ist allerdings vorhanden und in demselben spiegelt sich den größten Teil des Jahres hindurch ein lieblich blauer Himmel. Doch die Inseln, welche die Oberfläche des Sees bis zu dreitausend Fuß hoch überragen, steigen als nackte, unwirtliche Gesteinsmassen aus den stillen Fluten empor und zeigen, außer den malerischen Konturen, nichts, was den allgemeinen Charakter trauriger Öde und Einsamkeit milderte. Die schattigen Wälder, von denen man in der Ferne vielleicht träumte, sinken zu unabsehbaren, mit übelriechenden Artemisiabüschen bedeckten Sandebenen herab. Wo am Strande lichtgrüne Streifen die Triebkraft des beständig feuchten Bodens verraten, da erblickt man zugleich den zarten weißen Schimmer der feinen Salzteilchen, die sich, wie Reif, an jeden einzelnen Hahn angeschmiegt haben und demselben einen bittern Beigeschmack verleihen. Aber auch ganz weiße Flächen erblickt man, auf welchen, nachdem das Wasser zurückgetreten, das von dem porösen Erdreich eingesogene Salz sich über der Oberfläche zu einer festen Kruste kristallisierte.

Dergleichen Gedanken erwachen, wenn man sich auf dem höchsten Gipfel der Antilopen-Insel befindet und die Blicke nach allen Richtungen hin in die Ferne schweifen läßt.

Die Insel selbst, eigentlich eine von Südosten nach Nordwesten laufende Bergkette, liegt in der südlichen Hälfte des Salzsees und ist mit ihrer südlichen Spitze durch eine Sandbank mit dem Ufer verbunden, welche gewöhnlich trocken und nur bei anhaltenden Nord- und Nordweststürmen mit einigen Zoll Wasser bedeckt wird. Benutzt man die Sandbank als Brücke, so beträgt die Entfernung der Inseln von der am Jordan gelegenen Salzseestadt eine kleine Tagesreise. Wählt man dagegen den Wasserweg, der indessen wegen der Untiefen in und vor der Mündung des Jordans nur unter den größten Schwierigkeiten und mit ganz flachen Booten überwunden werden kann, so ist die Entfernung wenigstens doppelt so groß.

Die Insel bietet übrigens nichts, was Leute veranlassen könnte, sie zu besuchen, es sei denn, daß Jäger auf derselben dem Wild nachstellen, oder Forscher, dem unbesiegbaren Drange nachgebend, sich von dort aus ein umfassendes Bild vom Tale des so merkwürdigen Salzsees zu verschaffen wünschen. Und wohl lohnt es sich der Mühe, einen der hervorragendsten Berge zu ersteigen, denn was man von dort erblickt, das läßt sich nicht mit Worten beschreiben, nicht würdig genug mit dem Pinsel darstellen.

Man übersieht den weiten umfangreichen See in seiner ganzen Ausdehnung; man übersieht die Bergjoche, welche demselben als Inseln entsteigen oder von fern her ihre Ausläufer bis dicht an denselben heransenden; man übersieht die dürren Sandflächen und die segenspendenden Flüßchen mit ihren schmalen, grünen Tälern, welche erstere wie Fäden in mancherlei Windungen durchkreuzen. An den Rauchsäulen und den regelmäßig ausgelegten viereckigen Feldern erkennt man die Stellen, auf welchen zivilisierte Menschen sich niederließen; über alles dieses hinaus aber treten immer neue Gebirgsketten in den Gesichtskreis, welche, bald schimmernd im weißen Schneekleide, bald gehüllt in blauen Dunst, wie ein undurchdringliches Chaos ineinander verschwimmen und, außer den stark beschwingten Adlern und den auf sicheren Füßen gleichsam schwebenden Bergschafen, allen übrigen Geschöpfen den Eintritt in diesen abgeschlossenen Erdenwinkel zu verwehren scheinen.

Nachdem Weatherton und Raft von ihren Freunden und Gefährten getrennt worden waren, hatten Falk, der Schwarze Biber und John die Antilopen-Insel zu ihrem Aufenthalt gewählt. Sie befanden sich dort weit aus dem Bereich der doppelten Postenketten der sich einander gegenüberstehenden Streitkräfte. Außerdem durften sie darauf rechnen, daß die Insel, ihrer Unzugänglichkeit wegen, ganz unbeachtet bleiben würde; zugleich vermochten sie aber auch leichter Weatherton im Auge zu behalten und sich Kenntnis von seinem Ergehen zu verschaffen.

Wenn nun die beiden Delawaren die Mormonen nicht zu scheuen brauchten, und Falk, als umherreisender deutscher Künstler, ohne Verdacht zu erregen, in der Salzseestadt hätte auftreten können, so hielten sich alle drei doch auf das sorgfältigste verborgen; denn wurde ihre Anwesenheit in der Nähe der Salzseestadt erst ruchbar, dann mußten sie darauf gefaßt sein, zum allerwenigsten beobachtet zu werden, und dem ersten Zeichen von ihnen, welches auf ihre Verbindung mit den Gefangenen gedeutet hätte, würde unbedingt eine Ausweisung aus dem Tale gefolgt sein.

Entdeckte man sie wirklich einmal, wenn sie ihre Nachforschungen bis in die Hauptstadt selbst oder bis nach Fort Utah ausdehnten, dann blieb ihnen ja noch immer der Ausweg, mit irgendeinem Verwande hervorzutreten und die Mormonen offen um Gastfreundschaft zu bitten.

Ein zufälliges Zusammentreffen mit Rynolds und Jansen mußte allerdings auf alle Fälle und um jeden Preis vermieden werden, weil ein Wiedererkennen Falk's zu befürchten stand und demnächst Verdacht gegen ihn und seine indianischen Gefährten wachgerufen worden wäre. –

Obwohl sich die beiden Abenteurer nur mit der größten Vorsicht bewegten, war es ihnen doch gelungen, Zuverlässiges über Weatherton's Lage zu erfahren. Ebenso hatten sie durch geschicktes Ausfragen von Kindern Kunde von dem Eintreffen der Karawane in Fort Utah erhalten. Über Hertha Jansen und ihre Begleitung wußten sie indessen nur sehr wenig, doch brachten sie den lebhafteren Verkehr zwischen Fort Utah und der Salzseestadt mit diesen sowohl, als mit Weatherton's Geschick in Verbindung, zumal der Verkehr vielfach und gewöhnlich durch dieselben Personen aufrecht erhalten wurde. Sie wendeten ihre Aufmerksamkeit daher vorzugsweise diesen vermittelnden Boten zu und scheuten keine Mühe, keine Anstrengung, wenn sie dadurch auch nur im entferntesten ihren Zwecken zu dienen glaubten.

Nicht weit von der Stelle, wo die Sandbank gewissermaßen die Überbrückung von der Insel nach dem Festlande bildete, saßen der Schwarze Biber und Falk in ernster Unterhaltung beieinander. Außer den Sätteln und ihren Waffen, die neben ihnen lagen, war keine Spur von einem Lager sichtbar. Dasselbe befand sich weiter oberhalb hart am Rande des Sees unter einem höhlenartig ausgespülten Felsen, wo eine süße Quelle spärlich dem geborstenen Gestein entrieselte. Aus dem Wesen der beiden Gefährten und aus der Aufmerksamkeit, mit welcher wenigstens immer einer von ihnen die ferne Mündung des Jordan im Auge behielt, ging hervor, daß ganz besondere Gründe sie veranlaßt hatten, gerade diesen Punkt zu ihrem zeitweiligen Aufenthalte zu wählen. Ihre Pferde und das des abwesenden John wateten in dem seichten Wasser umher und vergnügten sich damit, die äußersten Spitzen der Binsen abzubeißen, die, sehr dünn zerstreut, kaum eine Elle hoch, dafür aber umso zarter und saftreicher, über das Wasser emporgeschossen waren.

Sie mußten längere Zeit daselbst zugebracht haben, denn Falk begann schon deutliche Zeichen von Ungeduld von sich zu geben, und fast alle fünf Minuten blickte er zu der Sonne hinauf, die sich den westlichen Höhen zuneigte.

»Ich hoffe, John hat sich nicht getäuscht, als er gestern die beiden schwedischen Mormonen zu erkennen glaubte«, sagte er nach einem längeren Schweigen zum Schwarzen Biber, der mit stoischer Ruhe, indem er seinen Tomahawk, welcher durch eine sinnige Vorrichtung zugleich die Stelle einer Mordwaffe und einer Tabakspfeife vertrat, dichte Rauchwolken entlockte, nach der Mündung des Jordan hinüberschaute.

»John besitzt ein gutes Auge und Ihr habt eine kunstvolle Hand«, antwortete der Delaware nächlässig; »er hat die Männer beobachtet, als sie am Jordan übernachteten, und er hat ihre Gesichter auf Euerm Papier gesehen. Es gibt nicht zwei Menschen, die nur ein Gesicht haben«.

»Aber ich sah sie nur einmal und zwar flüchtig, es ist nicht anzunehmen, daß ich ihre Züge so genau getroffen habe«, wendete Falk zweifelnd ein.

»Wir wollen warten und sehen«, gab der Biber zur Antwort.

»Und was wird unsere nächste Aufgabe sein?« fragte Falk, und im Tone seiner Stimme bekundete sich Unruhe und Besorgnis. »Seit Wochen streifen wir umher wie gehetztes Wild, und alles, was wir gewonnen haben, sind eigentlich doch nur Mutmaßungen. Wir wissen nicht einmal genau, in welchem Hause sie Weatherton gefangen halten, noch weniger, was sie über ihn beschlossen haben«.

»Ihr seid sehr ungeduldig«, entgegnete der Schwarze Biber, die Achseln mitleidig zuckend. »Ihr wollt Euerm Freunde helfen, und wißt nicht, wie. Zeit genug für ihn und für uns; warten und sehen und keinen Schlag vergebens tun. Ehe aber ein Schlag geführt wird, alles wissen, was die Mormonen bezwecken«.

»Ihr habt recht, ich sehe es ein«, versetzte Falk trübselig, »doch begreife ich nicht, wie wir, ohne mit den Mormonen selbst offen zu verkehren, hinter ihre Geheimnisse kommen wollen«.

»Hören und sehen«, antwortete der Schwarze Biber mit einem verschmitzten Lächeln, »hören und sehen, und selbst nicht gehört und gesehen werden«.

»Dann vermögt Ihr mehr, als andere Menschen, zumal in einer Zeit, in welcher die Mormonen so wachsam sind«, bemerkte Falk mißmutig.

»Ich denke, ich kann«, bestätigte der Delaware, »und was die Wachsamkeit anbetrifft, so befinden sich ihre schärfsten Augen im Gebirge den Amerikanern gegenüber, während in der Stadt nicht schärfere Augen wachen, als der Maulwurf aufzuweisen hat«.

Hier schwiegen die beiden Männer wieder längere Zeit. Obschon der Delaware mit einer Zuversicht sprach, als gehöre ein Fehlschlagen seiner Pläne mit zu den Unmöglichkeiten, wurden Falk's Zweifel und Besorgnisse dadurch doch keineswegs verscheucht, und nach wie vor beobachtete er ungeduldig den Stand der Sonne, bis dieselbe endlich den äußersten Rand der Bergkette berührte.

»Da ist John«, sagte der Schwarze Biber plötzlich, indem er wie eine Feder emporschnellte. »Aber er mahnt zur Eile«, fuhr er lebhaft fort, mit der Hand auf die Mündung des Jordan deutend, wo zwei schmale Rauchsäulen in geringer Entfernung voneinander emporwirbelten.

»Zu Pferde denn«, versetzte Falk, und er war im Begriff, seinen Vorsatz auszuführen, als der Delaware ihn plötzlich daran verhinderte.

»Geduld«, sagte er ernst und entschieden, und zugleich wich der leidende, schläfrige Ausdruck aus seinen hellbraunen Zügen; »Geduld; wir müssen vor allen Dingen erfahren, wohin wir uns zu wenden haben«, und während er so sprach, spähte er schärfer nach der Richtung hinüber, in welcher die beiden Rauchsäulen auf einige Minuten sichtbar gewesen und dann wieder zusammengesunken waren.

Nach etwa zehn Minuten zeigte sich südlich von den ersten Rauchsignalen, also mehr in der Richtung nach der Salzseestadt, ein drittes, welches indessen noch schneller als die anderen verschwand und offenbar dadurch erzeugt worden war, daß jemand angefeuchtetes Pulver über einigen glühenden Kohlen verbrannt hatte.

»Also auf dem nächsten Wege nach der Stadt«, sagte Sikitomaker, behende nach den Pferden eilend, um sie herbeizuholen.

Falk antwortete nicht mehr, sondern folgte dem Beispiele des Delawaren. Bald darauf standen ihre Pferde und das John's gesattelt vor ihnen, und nachdem sie sodann die Waffen zweckmäßig auf ihren Körpern befestigt, schwangen sie sich in den Sattel, und dahin ging es im gestreckten Galopp über die Sandbank, und demnächst durch das hohe Artemisia-Gestrüpp auf die Salzseestadt zu. Der Delaware ritt voran und führte John's Pferd am Zügel, während Falk sich dicht hinter ihm in seiner Spur hielt und zeitweise das lose Pferd zur Eile antrieb.

Welche Aufgabe die beiden Delawaren sich nunmehr gestellt hatten, vermochte er nicht zu ergründen, und wunderbar erschien es ihm, daß der Schwarze Biber ein so großes Gewicht auf einen Besuch in der Mormonenstadt legte, während er doch wußte, daß Weatherton sich noch immer im Fort Utah befand. Es blieb ihm indessen keine Zeit, darüber nachzudenken und alle ihm bekannten Nebenumstände zu erwägen, denn sein Pferd und der wenig gangbare Boden, über welchen sie hingaloppierten, nahmen seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und keine Minute durften sie verlieren, wenn sie bald nach Einbruch der Nacht bei der hinter der Stadt über den Jordan führenden Brücke eintreffen wollten, wo sie von John erwartet wurden. –

Es war, als ob die Kälte nur den Einbruch der Nacht abgewartet habe, um sich zu senken und mit den Nebeln zu vereinigen, welche, den moorigen Niederungen milchweiß entsteigend, die Menschen mit bösartigen klimatischen Fiebern bedrohten.

Die beiden Delawaren und ihr Gefährte schienen indessen unempfindlich gegen die Kälte zu sein; denn während letzterer mit größter Spannung die Delawaren beobachtete, lauschten diese mit einer Aufmerksamkeit nach der Stadt hinüber, als wenn sie im Stande gewesen wären, in jedes Haus hineinzuhorchen und jedes einzelne der dort gesprochenen Worte zu vernehmen.

Da drang von der Mitte der Stadt her ein gedämpftes Murmeln vieler Männerstimmen durch die stille Atmosphäre zu ihnen herüber, und gleichzeitig erhob sich John, um sich zu entfernen.

»Das Haus dort drüben auf der äußersten Ecke behaltet im Auge«, sagte er leise, ehe er davonschritt, zu Sikitomaker und Falk; »jetzt sind nur die beiden Fenster auf der linken Seite der Haustür erleuchtet. Erhellen sich die Fenster auf der andern Seite, dann sind diejenigen zurückgekehrt, die am meisten bei der Gefangenhaltung der Salzwassermänner beteiligt zu sein scheinen. Es sind ihrer vier; gestern Abend waren es wenigstens vier Männer, die dort beratend beieinander saßen, bis lange nach Mitternacht. Ich verstand ihre Worte nicht; ein Wolfshund lag in der Nähe des Hause und knurrte grimmig, sobald ich mich näherte. Ich durfte ihn nicht töten, wollte ich nicht Verdacht erregen und unser heutiges Unternehmen unmöglich machen«, fügte er, wie sich entschuldigend, hinzu. Im nächsten Augenblick stand er auf dem Ufer des Flusses, und geräuschlos glitt er über die Brücke hinüber gerade auf die nächsten Häuser zu, wo er bald darauf in der Dunkelheit verschwand.

»Ein guter Junge«, sagte der Schwarze Biber zu Falk, indem er wohlgefällig mit der Hand hinter John herdeutete; »zwei Otterbälge würden ihm nicht mehr Freude machen, als dieses geheime Kundschaften. Ja, ja, 's geht nichts über etwas Abenteuer. Lebt man sonst zu Hause auf der Farm, ohne alle Aufregung, einen Tag wie den ändern. Die Negersklaven bestellen das Feld und unsereins schaut zu. Ja, es ist durchaus notwendig, hin und wieder eine kleine Jagdreise zu unternehmen; bringt zwar nicht mehr viel ein, aber zuweilen stößt man noch auf etwas Aufregung. Ein glücklicher Zufall war's, der mich mit Euch und Euren Gefährten zusammenführte.«

So sprach der halbzivilisierte Indianer behaglich vor sich hin. Er gedachte seiner sorgenfreien Heimat und der Sklaven, die er sich allmählich durch seine Dienstleistungen von den Amerikanern erworben hatte, wie eines notwendigen Übels. Je mehr aber seine Geisteskräfte in der gegenwärtigen Lage angespannt wurden, um so sichtbarer traten die Neigungen seiner kriegerischen Vorfahren in den Vordergrund, nur daß er, etwas gesprächiger als diese, seine Freude über die bevorstehende Aufregung in Worten an den Tag legte, während Falk fast Unwillen darüber empfand, daß er die Sache so leicht zu nehmen schien.

Das Geräusch, welches das Signal zu John's Aufbruch gewesen, rührte von einer großen Gesellschaft von Männern her, die, nach einer Beratung in der öffentlichen Halle, dieselbe eben verließ und sich in kleinere und größere Gruppen auflöste. Indem diese sich nun nach allen Richtungen hin den verschiedenen Stadtteilen zubewegten, verstummte allerdings der summende Lärm, dafür aber machten sich die einzelnen Gesellschaften wieder bemerklicher, indessen weniger durch lautes Sprechen, als daß ihre Fußtritte zwischen den weit auseinander stehenden Häuser wiederhallten, und hin und wieder von den Heimkehrenden eine Tür zugeschlagen wurde.

Auch in der Straße, welche gerade auf die Brücke zuführte, ließen sich Schritte vernehmen, die sich schnell näherten. Dieselben rührten von zwei Männern her, die in einer leisen, aber sehr ernsten Unterhaltung vertieft, offenbar unbeobachten bleiben wollten; denn trotzdem sie eifrig zueinander sprachen und ihre Schritte beschleunigten, versäumten sie doch nicht, von Zeit zu Zeit rückwärts zu schauen, als wenn sie befürchtet hätten, von unberufenen Zeugen eingeholt und belauscht zu werden.

Als sie am Ende der Straße auf das sich zwischen dem Fluß und der Stadt hinziehende und zum Teil in Gärten umgewandelte freie Feld gelangten, bogen sie gleich gegen Norden an den Häusern und den noch unbenutzten Bauplätzen hinunter. Wie Falk zu unterscheiden glaubte, lenkten sie gerade auf das abgesondert in einem eingefriedigten Garten stehende Haus zu, auf welches John, ehe er sich entfernte, hingewiesen hatte.

Kaum erriet der Schwarze Biber aber, daß diese zwei von den bezeichneten Persönlichkeiten seien, so schlich er, gefolgt von dem Maler, über die Brücke hinüber. Dann sich unter dem Schutz des Ufers im Bett des Flusses fortbewegend, gelangte er bald so weit, daß er sich dem seiner Wachsamkeit empfohlenen Hause gerade gegenüber befand, ihm also ein von John gegebenes Zeichen nicht entgehen konnte.

Von diesem hatten sie seit seiner Entfernung nichts mehr gesehen oder gehört. Wenn aber die beiden Mormonen, nachdem sie aus der Stadt herausgetreten waren, anstatt nur rückwärts zu schauen und zu lauschen, sich einige Schritte zurückbewegt und dicht an den Häusern hingespäht hätten, so würden sie wahrscheinlich zu ihrem Verdruß entdeckt haben, daß ihnen die Gestalt eines Mannes in ganz geringer Entfernung nachschlich und immer näher an sie heran zu kommen trachtete.

Es war dies der Delaware, der, obgleich er wußte, daß sein Leben von einer Entdeckung abhing, alles aufbot, aus den Worten der vor ihm her Schreitenden nähere Aufschlüsse über das Weatherton bestimmte Geschick zu erlangen.

Dieselben schienen sich indessen weniger um den gefangenen Offizier zu kümmern, denn auf der ganzen Strecke, auf welcher John sich in ihrer Nähe befand, hörte er nicht ein einziges Mal Weatherton's Namen nennen. Dagegen verhandelten sie eifrig über einen Knaben, von welchem John aber nichts wußte, und daher auch das Erlauschte in keine Beziehung mit Weatherton oder dessen Plänen zu bringen vermochte.

In dem Augenblick, in welchem sie um die Ecke bogen und den daselbst verborgenen Delawaren fast streiften, hatte der kleinere von beiden das Wort ergriffen.

»Ihr haltet es also für ratsam, den Knaben nach Fort Utah zu senden?« fragte er mit zweifelndem Ausdruck.

»Ganz gewiß«, antwortete der andere mit Entschiedenheit, »es ist notwendig, ebenso wohl des Mädchens wegen, als auch – nun, Ihr wißt ja, Weiber denken anders als Männer, und einer Mutter ist nicht zu verargen, wenn sie sich nach ihrem Kinde sehnt.«

»Bruder Elliot«, antwortete Holmsten, »habt Ihr bedacht, daß ein einziges unvorsichtiges Wort von Euch oder von Eurer Gattin unsere Pläne scheitern machen kann?«

»Es wäre möglich«, entgegnete Elliot, »aber daß es nicht geschehen wird, dafür stehe ich ein. In meinem Hause wissen nur die Mutter und ich um das Kind; selbst meine zweite Frau hat noch keine Ahnung davon, indem ich sie erst in mein Haus nahm, nachdem unser Vertrag schon seit Monaten bestanden hatte –«

»Aber die übrigen Bewohner des Forts?« unterbrach Holmsten seinen Gefährten.

»Die übrigen Bewohner des Forts?« fragte Elliot geringschätzig zurück, »o, die wissen, daß meine erste Frau die Mutter von Zwillingen wurde. Außerdem wissen sie aber auch, daß eins der beiden Kinder, noch kein volles Jahr alt, auf einer Reise, welche ich, nur begleitet von Weib und Kind, hierher unternahm, starb und auf dem Ufer des Jordans begraben wurde; ferner, daß meine Frau dann Euer Kind, welches von Indianern aus dem Sandsturm gerettet und Euch gerade zu jener Zeit zurückgebracht worden war, zu sich nahm, um es vorläufig zu pflegen und zu erziehen. Ein Jahr hatte der Knabe, ehe Ihr ihn wieder zu Euch nahmt, in meinem Hause verlebt und daselbst die liebevollste Pflege genossen, ist es daher auffällig, wenn er diejenigen Mutter und Vater nennt, die er so lange gewohnt war als solche zu betrachten? Man tadelte sogar allgemein, daß der arme Junge wieder zu Euch zurückgebracht wurde, weil man voraussetzte, er würde nur schwer, nachdem er uns so lange Eltern genannt, Zutrauen zu Euch und Eurer neuen Gattin fassen. Beruhigt Euch also, das Erscheinen des Kindes wird jetzt, nachdem die Schwester seiner Mutter in Fort Utah eingetroffen ist, von allen Seiten doppelt gut geheißen werden.«

»Wo ist der Hund?« fragte Holmsten, plötzlich an der Pforte des Vorgartens seines Hauses stehen bleibend. »Er pflegt mich immer an dieser Stelle zu erwarten; fort kann er nicht sein, denn als ich mich zur Ratsversammlung begab, begleitete er mich noch eine Strecke.«

»Er befindet sich vielleicht im Hause«, versetzte Elliot sich umschauend.

»Es ist seine Art sonst nicht«, entgegnete Holmsten noch immer befremdet. »Vielleicht hat meine Frau ihn hereingelockt, weil sie weiß, daß ich Besuch erwarte. Er fällt nämlich nach Einbruch der Dunkelheit jeden mit grimmigem Geheul an, der in den Garten einzudringen versucht. Ja ja, so wird es sein«, und über die Abwesenheit des Hundes beruhigt, öffnete er die Pforte, um Elliot den Vortritt zu lassen.

»Noch ein Wort«, sagte er dann, sobald er die Pforte hinter sich geschlossen, indem er wieder stehen blieb; »wie benahmt Ihr Euch dem jungen Mädchen gegenüber und welche Stellung behauptet sie Euch gegenüber. Ich sollte denken, im Verkehr mit Euern Frauen kann ihr nicht lange ein Geheimnis bleiben, was sich alle ihr offen mitzuteilen scheuen.«

»In Fort Utah ist die notwendige und zweckmäßige Täuschung noch immer weit eher durchzuführen, als hier oben in der Salzseestadt«, erwiderte Elliot mit einem leisen Anflug von Trauer im Tone seiner sonst fast ausdruckslos ernsten Stimme. »Außerdem drängt der Schmerz um ihre Schwester alle anderen Gefühle und Gedanken weit in den Hintergrund zurück; sie kommt indessen mit niemandem, als mit meiner Familie, in Berührung, und da ich den einzelnen Mitgliedern ihr zu beobachtendes Benehmen aufs strengste vorgeschrieben habe, so erblickt sie in denselben nur Verwandte von mir, deren Gatten zum Dienst in's Gebirge befohlen worden sind.«

»Aber der Knabe, er wird Euch in ihrer Gegenwart Vater nennen?«

»Kinder in diesem Alter plaudern, wie es ihnen der Zufall gerade eingibt, mag das brave, liebe Bürschchen daher immerhin Vater zu mir sagen. Ich räume aber ein, die Maskerade, welche wir zum Besten unserer Kirche und mit Rücksicht auf das Wachstum unserer Gemeinde aufzuführen gezwungen sind, kann nicht lange andauern. Eure Schwägerin muß mir angetraut werden, ehe sie zur ruhigen Überlegung gelangt, und bei ihrer Frömmigkeit und der sichtbaren Ergebenheit in den neuen Glauben wird sie sich gewiß recht bald über die ungewöhnlichen Satzungen unserer Religion beruhigen, zumal sie dann jeden Rücktritt abgeschnitten weiß.«

»Nicht, wenn sie den Charakter ihrer untergegangenen Schwester besitzt«, bemerkte Holmsten mit einem tiefen Seufzer.

»O, es gibt Mittel, unfehlbare Mittel«, antwortete Elliot, und seine Stimme bebte seltsam vor leidenschaftlicher Aufregung und innerem Grimm.

»Welche Mittel?« fragte Holmsten bestürzt.

Elliot biß sich auf die Lippen, im nächsten Augenblick hatte er seine Ruhe aber schon wieder gewonnen. Offenbar dachte er darüber nach, ob es ratsam sei, zu Holmsten von Herta's Verhältnis zu Weatherton zu sprechen, und der Hoffnungen zu erwähnen, welche sich zu seinem eigenen Vorteil an die Ausdeutung des Geheimnisses knüpften.

»Das erste Mittel«, hob er endlich nach kurzem Sinnen an, »bleibt, daß ich ihr das Kind ihrer Schwester zuführe. Sie wird sich nicht weigern, da Mutterstelle zu übernehmen, wo ich die Stelle des Vaters vertrete. Nein, sie wird sich nicht weigern, ich verspreche es Euch«, fügte er mit Unheil verkündender Ruhe hinzu; »innerhalb vier Wochen ist sie mir angetraut, und noch vor dieser Zeit wird Euch das Vermögen Eurer verstorbenen Frau, welches dadurch, daß deren Kind noch lebt, an Euch fällt, unverkürzt ausgehändigt werden.«

»Und Ihr gelangt, da deren Kind noch lebt, durch meine Vermittlung in den Besitz eines ebenso großen Vermögens und einer der schönsten Frauen am Salzsee«, versetzte Holmsten, jedes einzelne Wort besonders betonend.

»Schön ist sie«, bekräftigte Elliot nachdenkend, »warum aber deutet Ihr schon wieder auf einen zwischen uns beiden abgeschlossenen Vertrag hin?« fuhr er gleich darauf lebhafter fort. »Was zwischen uns verabredet wurde, ruht vergraben in unserer Brust, um nie wieder an's Tageslicht gezogen zu werden.«

»So sei es«, antwortete Holmsten finster, »Eure Vereinigung mit Herta Jansen findet statt, sobald alle Vorbedingungen erfüllt und auf ewige Zeiten unantastbar gemacht worden sind.«

»Und der Knabe bleibt fortan in meiner Familie«, fügte Elliot eben so finster hinzu, »und Ihr erhebt keine Einsprache, wenn ich später, auf Herta's Wunsch vielleicht, meinen Namen auf ihn übertrage, ohne indessen dadurch dem Drittel des Euch von Eurer Gattin zugefallenen Vermögens für ihn zu entsagen.«

Holmsten reichte Elliot zum Zeichen des Einverständnisses die Hand, und schweigend schritten sie dann durch das Gärtchen der Haustür zu.

Kaum waren sie eingetreten und die Tür hinter ihnen in's Schloß gefallen, da erhob sich dicht am Zaune, kaum zwei Schritte von der Pforte, wo sie so lange innerhalb der Einfriedigung gestanden hatten, John's schlanke Gestalt aus dem Grase, und gleichzeitig sandte er leise und gedämpft, als wäre es aus den Lüften gekommen, das Pfeifen des kleinen Regenvogels nach dem Jordan hinüber. Ein ähnliches Pfeifen antwortete, und John, dadurch zufriedengestellt, legte sich wieder hin, um die Ankunft der Gefährten abzuwarten.

Ehe er indessen ein weiteres Zeichen von ihnen vernahm, störten ihn plötzlich die Schritte eines einzelnen Wanderers, der mit großer Eile auf demselben Wege daher kam, auf welchem er selbst kurz vorher Elliot und Holmsten nachgefolgt war. Er mußte befürchten, daß derselbe gerade mit dem Schwarzen Biber und Falk zusammentreffen und von letzterem sogar für seine eigene Person gehalten und möglichenfalls angesprochen werden würde. Er stieß daher den verabredeten Warnungsruf der kleinen gekrönten Rebhühner aus. Derselbe wurde kaum dreißig Schritte weit von ihm sogleich wiederholt, der sicherste Beweis, daß der Schwarze Biber den Fußgänger rechtzeitig entdeckt hatte und daher auf der Hut war.

Der Wanderer näherte sich unterdessen schnell, und da er mit der Örtlichkeit nicht sehr vertraut war, die Pforte sich aber in der Dunkelheit gar nicht von der Einfriedigung auszeichnete, so begann er, nachdem er bei der Ecke des Gartens angekommen, sich langsam an dem Zaune hinzutasten, um auf diese Weise die Pforte und demnächst den hölzernen Riegel an derselben zu finden.

John sah ein, daß einer Entdeckung gar nicht mehr vorzubeugen sei, und der Fremde, wenn er ihm nicht ausweiche, über ihn hinstolpern müsse. Ohne zu zögern, sprang er daher geräuschlos empor, und als ob er den Dienst eines patrouillirenden Wachtpostens versehe, schritt er mit einem höflichen »Guten Abend« ihm entgegen und an ihm vorbei.

»In diesem Hause wohnt doch wohl Holmsten?« fragte Rynolds, sich nach dem Delawaren umwendend.

»Holmsten wohnt hier«, gab der Angeredete zur Antwort, und indem er einige Schritte zurücktrat, öffnete er Rynolds die Pforte, worauf er sich mit einem kalten »Gute Nacht« entfernte und hinter dem nächsten Hause verschwand.

Die Fenster auf der rechten Seite der Tür waren seit Holmsten's und Elliot's Eintritt in's Haus erleuchtet worden. Falk und die beiden Delawaren, die ebenso schnell an die Einfriedigung des Gartens gelangten, wie Rynolds das Haus erreichte, konnten daher deutlich sehen, daß dieser, ehe er seine Anwesenheit kund gab, nach den zuletzt erhellten Fenstern hinschlich und vorsichtig in das Innere des Gemaches spähte. Indem er sodann sein Ohr dem Rande der untersten Fensterscheibe näherte, versuchte er zu horchen, doch befürchtete er entweder eine Entdeckung von Innen, oder der gedämpfte Schall der Stimmen ging für ihn verloren, denn nachdem er noch einmal einen langen Blick in das Gemach geworfen, schlich er eine kurze Strecke weit auf dem Gartenwege zurück, worauf er sich schnell wieder, jetzt aber mit geräuschvollen Schritten, der Haustür näherte.

Auf sein Anklopfen wurde sogleich geöffnet. Als er auf den Flur trat, bemerkte er, wie Holmsten ebendaselbst einen kleinen blondlockigen Knaben von zwei bis drei Jahren von Elliot's Arm nahm, in die links liegende Tür hineinschob und zugleich eine ihm nicht sichtbare Frau bat, das Kind nicht wieder hinauszulassen, während Elliot ihm die Hand zum Gruß entgegenreichte und seine Verwunderung darüber aussprach, daß er allein komme.

»Der Apostel und Jansen werden bald nachfolgen, ich eilte voraus, um Euch vorher allein zu sprechen«, antwortete Rynolds, Holmsten's Bewegung nicht beachtend, aber innerlich noch triumphierend über das, was er durch das Fenster entdeckt hatte.

Er war nämlich gerade zur rechten Zeit eingetroffen, um zu gewahren, daß Elliot, der sich unbemerkt glaubte, das Kind auf seinen Knieen hielt und mit einem auffallend weichen Ausdruck in seinen Zügen herzte und küßte, Holmsten dagegen sich abgewendet hatte und nach dem Flur hinauslauschte, wie um einer zufälligen Störung durch seine Frau rechtzeitig vorbeugen zu können.

Indem er die beiden Männer nun vor sich stehen sah, flogen seine scharfen Blicke prüfend über ihre Gesichter hin. Dieselben waren wieder so undurchdringlich und verschlossen, wie nur je, und vergeblich strengte er sich an, aus ihren Augen etwas von der Gemütsstimmung herauszulesen, in welcher sie sich zur Zeit, als er sie durch das Fenster beobachtete, befunden hatten.

Wie jemand, der gewohnt ist, überall gastfreundlich aufgenommen zu werden, trat er auf Holmsten's einladende Handbewegung in das Gemach ein, welches zu des Hausherrn ausschließlichem Gebrauch bestimmt zu sein schien, und überrascht schaute er sich um, als er in der ganzen Einrichtung desselben eine gewisse Üppigkeit bemerkte.

Es war das erste Mal, daß er Holmsten besuchte, denn am vorhergehenden Abend war er durch anderweitige Verpflichtungen abgehalten worden, sich an der dort stattgehabten Beratung zu beteiligen. Unwillkürlich verglich er die Einfachheit, die er bisher fast durchgängig bei seinen Glaubensgenossen gefunden, mit dieser an Luxus gränzenden Ausstattung, und er irrte nicht, als er überall den Geschmack einer jungen Frau zu erkennen glaubte, welche einen großen Teil ihrer Zeit darauf verwendet hatte, ihre Häuslichkeit sinnig zu schmücken. Namentlich waren es Stickereien mancherlei Art, die einen freundlichen Schimmer über das Gemach verbreiteten, dessen Möbel allerdings einen Vergleich mit den Fabrikaten östlicher Städte nicht aushielten, aber doch so sauber und gediegen waren, wie sie nur immer am Salzsee hergestellt werden konnten.

Rynolds gedachte Holmsten's unglücklicher Gattin; er sah im Geiste das harmlose und freundliche Wesen vor sich, welches er als Kind in der Heimat fast täglich gesehen und beobachtet, und welches dann, beseelt von religiöser Schwärmerei, dem Manne seiner Wahl weit über den Ozean hin nachfolgte. Die den Lehren des Mormonentums geopferte junge Frau verkörperte sich gewissermaßen in seiner Phantasie, aber er blieb kalt und gefühllos. Nur der Gedanke: eine unumschränkte Gewalt über Elliot und Holmsten durch die Mitwissenschaft ihres tiefsten Geheimnisses errungen zu haben, erfüllte ihn, als er die teilweise ihm nicht fremden Gegenstände in seiner Umgebung betrachtete.

Holmsten war mit den Augen der Richtung seiner Blicke gefolgt. Er mochte Rynolds' Gedanken erraten, denn über seine nicht unschönen, aber durch religiösen Fanatismus und die aus demselben hervorgehenden sträflichen Leidenschaften gleichsam versteinerten Züge zuckte es wie ein tiefer, unheilbarer Schmerz, und fast vergaß er, seine Gäste zum Niedersitzen einzuladen.

»Ich komme etwas früher und allein«, hob Rynolds an, nachdem sie vor dem kleinen Feuer, welches in dem Kamin brannte, Platz genommen, und während er sprach, hielt er seine Blicke fest auf die blauen Flämmchen geheftet, die, wie um ihr Leben bettelnd, über den verkohlten Holzscheiten tanzten und flackerten; »ich komme allein, weil das, was ich mitzuteilen haben, nur einzig und allein für Eure Ohren bestimmt ist. Selbst der oberste Prophet darf nicht erfahren, was hier zwischen uns verhandelt wird.«

Hier schwieg er, scheinbar um sich zu sammeln, im Grunde aber, um die Spannung Elliot's und Holmsten's zu steigern und demnächst um so erfolgreicher auf sie einwirken zu können.

Diese dagegen blickten sich gegenseitig befremdet in die Augen. Rynolds' geheimnisvolles Wesen erfüllte sie mit bösen Ahnungen, und im Zweifel darüber, wie sie selbst sich zu benehmen haben würden, schwiegen sie, um vorerst auf weitere Eröffnungen zu harren.

»Ihr wißt, liebe Brüder, daß ich zum Vormunde über Herta Jansen und ihre unglückliche verstorbene Schwester, die nachherige Mrs. Holmsten gewählt wurde«, fuhr Rynolds endlich wieder mit erheuchelter Sanftmut fort; »ferner kann es Euch nicht fremd geblieben sein, daß unter meiner und Jansen's Verwaltung das ohnehin schon namhafte Vermögen der beiden Waisen noch um ein Beträchtliches vermehrt wurde, was nunmehr dem zukünftigen Gatten Herta's und den rechtmäßigen Erben von deren verstorbenen Schwester zu Gute kommt.«

Während Rynolds so sprach und noch immer mit einer feierlich ernsten Miene in das Feuer schaute, fühlten die Männer, die zu beiden Seiten von ihm saßen, eine seltsame Beklemmung. – Kaum wagten sie vor ängstlicher Spannung zu atmen, und noch weniger hätten sie sich getraut, die kurze Pause, welche Rynolds absichtlich wieder eintreten ließ, mit Worten zu unterbrechen.

»Nach dem, was ich vorausschickte, meine Brüder, wird es Euch nicht überraschen, mich von der wunderbaren Fügung des Schicksals tief ergriffen zu sehen«, sagte er leise vor sich hin. Dann aber sprang er, wie aus einem tiefen Traum erwachend, empor, und seine Hand auf Holmsten's Schulter legend, rief er aus: »Euer und Editha's Kind ist in der Tat aus dem Sandsturm, der seiner Mutter trauriges Ende herbeiführte, gerettet worden!«

Wäre ein Blitz vor den beiden Männern in den Boden gefahren, so hätte das nicht furchtbarer auf sie wirken können, als die von Rynolds in einer Art von Verzückung ausgestoßenen Worte.

»Wo ist der Knabe?« fragte Holmsten endlich, mit drohender Gebärde vor Rynolds hintretend; »antwortet mir, wo ist das Kind? ich will es zurückhaben, das Einzige, was mir von einer geträumten irdischen Glückseligkeit blieb«, und indem er so sprach, sank seine wild erregte Stimme zu einem ängstlichen Flüstern herab, während ein unbeschreiblich weicher Ausdruck seinen regelmäßigen Zügen auf Augenblicke den ursprünglichen Charakter männlicher Schönheit verlieh.

»Und Ihr fragt?« entgegnete Rynolds mit einem Seitenblick auf Elliot, der noch immer nach Fassung rang und seine heftige Gemütsbewegung vergeblich hinter einer Maske von Verschlossenheit zu verbergen trachtete. »Ihr fragt?« wiederholte er lauter, »und ich sah eben ein Kind an Eurer Hand, welches doch nur das gerettete gewesen sein kann.«

Bei diesen Worten sprangen Elliot und Holmsten, wie von einer giftigen Schlange gebissen, empor, und wenn sie bei der ersten Nachricht nur Schrecken und Entsetzen an den Tag gelegt hatten, so schien sich jetzt die furchtbarste Wut ihrer zu bemächtigen. War ihre Haltung doch so drohend, und sprühten ihre Augen doch ein solches Feuer des Hasses und Rachedurstes, daß Rynolds, hätten sie sich an einem andern Ort befunden, für sein Leben würde gefürchtet haben.

»Rynolds«, begannen nach einer kurzen Pause Holmsten mit tiefer, zitternder Stimme, sich gleich Elliot wieder auf seinen Stuhl niederlassend, »ich kannte Euch schon drüben in der alten Heimat, und zwar als jemanden, dem freundliche und aufrichtige Gefühle fremd waren, Ihr habt Euch in den Jahren, die zwischen dem damals und jetzt liegen, nicht geändert. Vergeßt nicht, daß Ihr Euch nunmehr am Salzsee befindet, wo Euch jederzeit die Rache für eine Beleidigung treffen kann. Sagt, was veranlaßt Euch dazu, Euer Spiel mit Männern zu treiben, die im Stande sind, Euch zu zermalmen, zu zertreten?«

»Ich will niemanden beleidigen, noch treibe ich Spiel mit Euch«, antwortete Rynolds kalt und ruhig, seine Blicke wieder auf die glimmenden und knisternden Kohlen heftend; »ich will mich nur in Einvernehmen mit Euch setzten, und zwar als Vormund von Herta Jansen und als gewissenhafter Verwalter ihres Vermögens und dem Teil des Vermögens, welcher noch an die Erben Eurer verstorbenen Frau ausgezahlt werden soll. Es war ja verhältnismäßig nur eine geringe Summe, welche Euch nach Eurer Verheiratung übergeben wurde.«

»Wollt Ihr nicht auch in die Rechte des obersten Propheten und in die Jansen's eingreifen, indem Ihr über die Hand des jungen Mädchens verfügt?« fragte Elliot spöttisch, denn daß Rynolds des Knabens nicht weiter erwähnte, hatte ihn wieder einigermaßen beruhigt.

»Das nicht, meine lieben Brüder«, erwiderte Rynolds eben so spöttisch, »aber ein Wort mitsprechen möchte ich, und namentlich bin ich entschlossen, nicht eher Rechnung abzulegen, als bis das geheimnisvolle Dunkel, welches den Knaben umschwebt, gewichen ist. Es sind Gerüchte in Umlauf, die, wenn sie sich bewahrheiten, Euch, Bruder Holmsten, die erwartete Erbschaft, und Euch, Bruder Elliot, das junge Mädchen samt der reichen Mitgift kosten dürften.«

»Gerüchte?« riefen Elliot und Holmsten gleichzeitig aus, von ihren Stühlen emporfahrend; »wer spricht von Gerüchten, und wer wagt es, Gerüchte über uns in Umlauf zu setzen!?«

»Vorläufig spreche nur ich allein davon«, antwortete Rynolds, dessen Kaltblütigkeit in demselben Grade wuchs, in welchem seine Gefährten ihre Selbstbeherrschung und ruhige Überlegung verloren. »Doch wozu diese Neckereien, meine geliebten Brüder«, fuhr er fort, ehe seine beiden Gegner Zeit gewannen, ihm irgend etwas zu erwidern; »sprechen wir offen miteinander und verständigen wir uns; mit einem Worte, ich wünsche in Eurem Bunde als Dritter aufgenommen zu werden, und wenigstens einen Teil von dem Vorteil zu beziehen, welchen das zwischen Euch verabredete Geschäft abwirft. Ich bin nicht unbescheiden«, erklärte er weiter, als er die Verwirrung und Ratlosigkeit seiner Gefährten bemerkte, welche die verhaltene Wut nicht wollten zum Durchbruch kommen lassen; »nein, gewiß nicht, ich bin nicht unbescheiden; da ich indessen mein Amt als Verwalter des Vermögens gewissenhaft erfüllte und kaum meine Auslagen berechnete, und da ferner sogar auch am Salzsee der Einfluß einer Stellung von den Mitteln abhängig ist, die man aufzuweisen hat, so ist es mein Wunsch und meine Bitte an Euch, mir wenigstens ein Viertel von der Gesamtsumme zuerkennen zu wollen.«

»Und auf welchen Grund hin?« fragte Elliot entrüstet, »es ist ja bekannt, daß Ihr bei Eurer gepriesenen Verwaltung der Kindergelder selbst immer wohlhabender wurdet, mithin nicht schlecht für Euch gesorgt haben müßt. Habt Ihr aber wirklich noch gerechte Ansprüche wegen Zurückerstattung von Auslagen zu erheben, oder wollt Ihr Eure verlorene Zeit bezahlt haben, so wendet Euch an Jansen, den Onkel und Mitvormund der Kinder, und nicht an uns. Wir vermögen das Gerechtfertigte Eurer mutmaßlichen Forderungen nicht zu beurteilen, noch weniger steht es in unserer Macht, dieselben zu befriedigen.«

»Ihr mißversteht mich«, versetzte Rynolds mit erheuchelter Gutmütigkeit; »Ihr, ja gerade Ihr seid die Personen, vor denen ich meine Ansprüche geltend zu machen habe, und die mir, wenn ich nicht irre, auch meine Forderungen gern bewilligen werden. Doch ich will deutlicher sein. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Editha Holmsten, als sie sich durch die Flucht der Gewalt ihres zu einer zweiten Ehe schreitenden Gatten entziehen wollte, samt ihrem Kinde während eines Sandsturms in der Wüste schrecklich zu Grunde ging. Wäre ihr Kind gerettet worden, so würde sich von selbst ergeben haben, wer der eigentliche und rechtmäßige Erbe der ihr zufallenden achtzigtausend Dollar gewesen.

»Es mußte also ein anderes Kind geschafft werden, und da in dem Alter von fünfviertel Jahren die Kinder einander sehr ähnlich sind, in dem nächsten halben Jahre aber eine bedeutende Veränderung in ihrem Äußern vorgehen kann, so wurde ein bindender Vertrag zwischen Euch geschlossen. Laut dessen sollte der Sohn Elliot's vom Utahsee auf kurze Zeit hierher, dann wieder zu seinen Eltern zurück, endlich wieder hierher gebracht werden und für den geretteten Sohn der verstorbenen Mrs. Holmsten gelten. Das Wechseln des Aufenthaltes, die Zeit, welche zwischen den verschiedenen Entschlüssen und Beschlüssen lag, und überhaupt das weise Benutzen von glücklichen Nebenumständen erleichterten den ganzen Plan. Das Märchen von den Indianern, welche das Kind gerettet haben sollten, wurde von keiner Seite in Zweifel gezogen, und ich glaube kaum, daß, weder in Fort Utah, noch hier am Salzsee jemand lebt, der nicht darauf schwört, der kleine blondlockige Knabe, welchen Elliot kurz vor meiner Ankunft herzte und küßte, wie nur ein Vater sein Kind zu herzen und zu küssen vermag, sei der wiedergefundene Sohn Holmsten's.«

»Und was bezweckt Ihr damit, daß Ihr hierher kommt und selbst ein phantastisches Märchen erzählt, welches nur in einem verbrannten Gehirn, oder in einem beabsichtigten Betruge seinen Ursprung haben kann?« fragte Elliot zähneknirschend, indem er sich mit drohender Gebärde Rynolds näherte.

»Ich denke, ich war deutlich genug«, antwortete dieser, nicht ohne Ängstlichkeit die kraftvolle Gestalt des ergrimmten Kommandanten messend, »ich bin der einzige, der um Euer Geheimnis weiß, weil Ihr selbst es mir vor wenigen Minuten erst in seinem ganzen Umfang verraten habt; und wie Ihr Euern Vorteil aus demselben zieht, so will auch ich nicht umsonst unverbrüchliches Stillschweigen bewahren.«

Elliot und Holmsten blickten sich gegenseitig betroffen an, als hätten sie fragen wollen, was unter solchen Umständen zu beginnen sei. Offenbar waren sie noch im Zweifel darüber, ob Rynolds schon früher den wahren Sachverhalt erraten habe, oder ob seine Mitwissenschaft nur auf Vermutungen beruhe, welche durch ihre eigenen unvorsichtigen Äußerungen Bekräftigung erhielten.

Da wendete Elliot sich plötzlich wieder an Rynolds, der mit einer gut gespielten Unbefangenheit das Feuer schürte und einige Holzscheite auf die Kohlen legte.

»Es lassen sich Märchen erfinden«, hob er an, und die Worte entrangen sich mit röchelndem Ton seiner trockenen Kehle, »Märchen, um jemandem zu schaden, indem man sich für irgendwelche Unbilde zu rächen wünscht. Ich weiß nicht, ob ich oder Holmsten Euch jemals Grund zu derartigen Verleumdungen gegeben haben; jedenfalls sind Eure feindlichen Gesinnungen nicht zu verkennen. Ich gehe daher auf Eure betrügerische Anklage ein und antworte Euch demgemäß: Wenn jemand einen andern eines Verbrechens zeiht, so ist er auch verpflichtet, seinen Aussagen Beweise beizufügen.«

»Beweise?« fragte Rynolds achselzuckend, »Beweise besitze ich nicht; es käme aber darauf an, die Sache vor einen Gerichtshof zu bringen und untersuchen zu lassen. Vielleicht, daß die wahre Mutter, eine dauernde Trennung von ihrem Kind befürchtend, sich zu bestimmten Aussagen und Zeugnissen verleiten ließe. Doch, warum noch mehr Worte verlieren? Ihr weist mich zurück, das Gericht wird es nicht tun; und ob Euch oder mich dabei der größte Verlust trifft, müßt Ihr selbst am besten beurteilen können. Ich betrachte die ganze Angelegenheit jetzt als eine Geschäftssache, glaube aber vollständig im Interesse meiner noch nicht volljährigen Mündel zu handeln, wenn ich sie frage, ob sie geneigt sei, die dritte Gattin des Kommandanten Elliot zu werden, desselben Elliot, der sein Kind an den Gatten ihrer verstorbenen Schwester verhandelte.«

»Schurke!« preßte Elliot zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor, und seine Faust hob sich, um Rynolds in das Gesicht zu treffen. Ehe sich dieselbe aber senkte, fühlte er sich von Holmsten gehalten, der bleich wie ein Toter dastand und, vor Entsetzen unfähig zu sprechen, mit der andern Hand auf das nach dem Vorgarten hinausliegende Fenster wies.

»Man kommt«, sagte Elliot, nach der angedeuteten Richtung hinüberlauschend, indem er den gehobenen Arm schlaff an seinem Körper herunterfallen ließ.

»Ja, man kommt«, wiederholte Rynolds mit einem tiefen Seufzer, in welchem sich aussprach, wie erleichtert er sich dadurch fühlte, die Stimmen von sich nähernden Personen zu vernehmen. »Wollen wir die begonnene Unterhaltung in Gegenwart von Zeugen fortsetzen, oder seht Ihr es lieber, wenn wir zur endgültigen Vereinbarung einen anderen Zeitpunkt wählen?« fragte er dann schadenfroh und mit innerlichem Triumpf den Seelenkampf der beiden Genossen beobachtend.

Diese schwiegen; sie fühlten, daß sie durch ihre Zustimmung das ihnen zur Last gelegte Verbrechen gleichsam bestätigten und auf Rynolds' Anerbieten eingingen. Auf der andern Seite aber bebten sie vor dem Gedanken zurück, durch die versuchte Verteidigung auch noch bei anderen Menschen Argwohn zu erwecken, der zu weiteren Nachforschungen führen konnte.

Da klopfte es laut an die Haustür. Elliot und Holmsten fuhren zusammen. »Es sei, wählen wir einen andern Zeitpunkt«, sagte letzterer endlich, indem er sich beeilte, die erwarteten Gäste einzulassen.

»Ja, es sei, wiederholte Elliot, die Hände auf dem Rücken zusammenlegend, worauf er, wie in tiefes Nachdenken versunken, mit langsamen Schritten das Gemach durchmaß. »Es sei«, sagte er abermals, als er wieder bei Rynolds angekommen war, »von zwei Übeln soll man immer das kleinste wählen; sprechen wir also zu gelegenerer Zeit weiter darüber; bis dahin aber Schweigen, tiefes, unverbrüchliches Schweigen.«

»Tiefes, unverbrüchliches Schweigen«, bekräftigte Rynolds, der kam noch sein Frohlocken zu unterdrücken vermochte. Was er etwa noch weiter sagen wollte, das hielt er zurück, weil in demselben Augenblick die Stubentür geöffnet wurde.


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