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IX.

28. Oktober

Ein Mensch beunruhigt mich: es ist Joseph. Sein Benehmen ist äußerst merkwürdig. Ich habe keine Ahnung, was in seiner verschlossenen Seele vorgeht, aber sicher etwas Außergewöhnliches. Manchmal ertrage ich kaum seine stechenden Augen, er sieht mich so durchdringend und unbeirrbar an, daß ich mich abwenden muß. Auch macht mir sein schwerer schleichender Gang Angst. Wenn man ihn so beobachtet, macht er den Eindruck, als schleppe er an seinem Knöchel eine schwere Eisenkugel nach oder vielleicht die Erinnerung an eine solche Fessel? Ich weiß es nicht! Vielleicht denkt er auch ans Kloster? Halb wirkt er wie ein Galeerensträfling, halb wie ein Mönch. Er hat entschieden von beiden etwas. Am meisten Angst macht mir sein Rücken. Sein breiter, muskulöser Nacken hat etwas von der Kraft eines wilden Tieres. Dort spannen sich die Sehnen wie Lederriemen. Wölfe und andere wilde Tiere haben das, wenn sie eine schwere Beute mit der Schnauze fortschleppen müssen.

Aber abgesehen von seinem Judenhaß, der bei ihm so blutrünstig zum Ausdruck kommt, ist er eher zurückhaltend und diszipliniert. Man kann sich unmöglich vorstellen, was in diesem Menschen vorgeht. Er ist nicht der Prototyp eines Domestiken. Ihm fehlt die professionelle Eitelkeit oder Kriecherei, beides verräterische Kennzeichen einer Bedientenseele. Joseph ist ein Einzelgänger. Niemals habe ich von ihm ein gehässiges Wort über die Herrschaft vernommen, er beklagt sich nie. Im Gegenteil. Er respektiert sie und dient ihr in unaufdringlicher Ergebenheit. Er meutert nicht über die schwerste Arbeit. Mit allem versteht er umzugehen, er kennt sich selbst in den ausgefallensten und schwierigsten Dingen aus, er ist intelligent, mehr als das, er hat direkt etwas Geniales. Er beobachtet gut, überwacht und verteidigt Prieuré, wachsam und eifersüchtig wie eine anhängliche Dogge. Wie ein Hund wittert er herannahende Bettler oder Vagabunden. Er hütet das Haus, als wäre es sein eigenes. Er ist der treue Diener von einst, ein Angestellter, wie es sie nur vor der Revolution gegeben hat. Im Dorf sagt man von ihm:

»So einen wie Joseph gibt es nicht noch einmal. Er ist eine wahre Perle!«

Ich weiß, daß man immer wieder versucht, ihn den Lanlaires abspenstig zu machen. Aus Louviers, Elbeuf und Rouen hat er schon die verlockendsten Angebote bekommen. Er hat sie alle ausgeschlagen und brüstet sich nicht einmal damit, Meiner Treu, er ist ein rares Exemplar. Seit fünfzehn Jahren ist er hier im Haus und betrachtet es als das seine. Er kann bleiben, solange er will. So mißtrauisch Madame auch ist, zu ihm hat sie blindes Vertrauen. Sie glaubt niemandem, aber von Josephs Treue und Ehrlichkeit ist sie restlos überzeugt.

»Eine Perle! Er würde für uns durchs Feuer gehen!« pflegt sie zu sagen. Obwohl sie ein ekelhafter Geizhals ist, benimmt sie sich ihm gegenüber großzügig und macht ihm oft kleine Geschenke.

Dennoch habe ich das Gefühl, ich soll mich vor diesem Mann in acht nehmen. Er beunruhigt mich, und gleichzeitig interessiere ich mich glühend für ihn. Manchmal habe ich erschreckende Dinge im dunklen, stehenden Wasser seiner Augen gesehen. Seit ich ihn eingehend beobachte, kommt er mir nicht so vor wie zuerst, als ich in dieses Haus kam, damals, als ich in ihm nur einen plumpen, dummen Bauern sah. Damals habe ich mich nur oberflächlich mit seiner Person abgegeben. Jetzt halte ich ihn für ungewöhnlich klug und gerissen, und klüger als klug. Ich weiß wirklich nicht, wie ich es nennen soll. Macht das die Gewohnheit? Sieht man die Menschen anders, je öfter man sie sieht? Die Gewohnheit wirkt mildernd, sie vernebelt die Dinge und die Menschen, und sie trübt das objektive Einschätzungsvermögen. Jedenfalls kommt mir Joseph jetzt nicht mehr so häßlich vor, wie zu Beginn meiner Dienstzeit in Prieuré. Diese Verschleierung verwischt nach und nach die ersten Eindrücke, sie mildert die Deformation des Buckligen, bis man eines Tages seinen Buckel nicht mehr sieht. Und Verstellungen und Verzerrungen löscht sie aus, und alles, was ich an Joseph jetzt entdecke, vor allem diese unergründliche Tiefe seines Wesens, die erschüttert mich. Die Schönheit eines Mannes besteht nicht in der Harmonie seiner Züge, auch nicht in der Reinheit seines Gesichtes. Was uns an einem Mann anzieht, hat mit Offensichtlichkeit oder Eindeutigkeit nichts zu tun. Ich glaube, es ist seine sexuelle Ausstrahlung, sei sie abstoßend oder faszinierend, sie bezaubert uns. Nun, er verbreitet eine solche Atmosphäre, er hat eine Ausstrahlung. Unlängst habe ich ihn bewundert, als er ein Weinfaß so spielend hochhob und in der Luft balancierte wie ein Kind seinen Gummiball. Seine verblüffende Kraft, seine unerhörte Beweglichkeit, die Stärke seiner Lenden und dazu die athletischen Schultern haben mich nachdenklich gemacht. In seiner Nähe verspüre ich eine ungesunde, brennende Neugierde, eine Mischung aus Angst und Entzücken, etwas Bestrickendes verdreht mir den Kopf, stiehlt mir mein Herz – ich bin wie behext. Welch seltsame Spannung zwischen der Verschlossenheit seines Wesens und seiner unheimlichen, animalischen Kraft! Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, zwischen Joseph und mir besteht ein geheimes Einverständnis, das uns einander auf magische Weise näherbringt.

Vom Fenster der Lingerie, wo ich meistens arbeite, kann ich ihn bei seiner Arbeit im Garten beobachten. Tief über seine Beete gebeugt, kauert er auf der Erde oder kniet er bei der Mauer, wo das Spalierobst wächst. Mit einemmal ist Joseph verschwunden. Hat er sich in Luft aufgelöst? Hat ihn der Erdboden verschlungen? Kann er durch Mauern gehen? Hie und da schickt mich Madame mit einer Anordnung in den Garten zu ihm. Wenn ich ihn dort nicht sehe, rufe ich:

»Joseph! Joseph! Wo sind Sie?«

Keine Antwort. Ich rufe wieder:

»Joseph! Joseph! Wo sind Sie?«

Mit einemmal wird Joseph lautlos hinter einem Baum oder hinter einer Gemüselatte sichtbar, er taucht auf wie ein Geist, mit strengem, verschlossenem Gesicht, straff an den Schädel gebürstetem Haar, das halb geöffnete Hemd läßt die behaarte Brust sehen. Woher kommt er plötzlich? Wo kam er heraus? Verfügt dieser Mensch über übernatürliche Kräfte?

»Ach, Joseph, wie haben Sie mich erschreckt!«

Auf seinen Lippen und seinen blanken Zähnen glänzt ein schreckliches Lächeln, oh, es hat etwas vom Blitzen einer Klinge. Manchmal halte ich diesen Mann für einen Teufel.

 

Der Lustmord an der kleinen Claire ist noch immer das Hauptgespräch der verstörten Bevölkerung. Man reißt sich aufgeregt um die Lokalblättchen, aber auch die Pariser Zeitungen bringen Artikel über das Verbrechen. Die Libre Parole beschuldigt kurzerhand die Juden dieses Mordes und verdächtigt sie eines Ritualverbrechens. Das Richtamt hat Detektive ausgesandt, und diese haben am Tatort Untersuchungen und Verhöre angestellt. Aber niemand weiß etwas.

Roses Verdacht, der inzwischen weiterverbreitet wurde, stieß überall auf Achselzucken und Unglauben. Gestern nahmen die Gendarmen einen armen Kolporteur fest, der aber konnte sofort nachweisen, daß er zur Zeit des Verbrechens überhaupt nicht in der Gegend gewesen war. Auch der Vater der kleinen Claire, den die verschiedenen Tratschereien belastet hatten, kommt als Täter nicht in Frage. Keiner kann dessen guten Leumund bestreiten. Dabei findet man weit und breit nicht die kleinste Spur, nicht das kleinste Indiz, was der Gerichtsbarkeit die Suche nach dem Schuldigen ermöglichen würde. Es scheint, als ob das Verbrechen in seiner Perfektion und der ungewöhnlichen Geschicklichkeit, mit der es durchgeführt wurde, den Kriminalbeamten förmlich Bewunderung herausgelockt hat. Man spricht davon, daß es nur von Pariser Professionellen begangen worden sein konnte. Auch spricht man davon, daß der Bevollmächtigte die Nachforschungen ziemlich oberflächlich und rein der Form wegen betreibt. Ein Mord an einem kleinen armen Mädchen – der bringt die Herren von der Obrigkeit nicht in Glut, so etwas läßt sie kalt. Darum hat es ganz und gar den Anschein, daß man den Täter nie finden, daß auch dieses abscheuliche Verbrechen wie viele unaufgeklärte Fälle in einem Aktenbündel zur Ruhe kommen wird.

Es würde mich nicht wundern, wenn Madame ihren eigenen Mann verdächtigte. Es wäre komisch, denn eigentlich sollte sie ihn besser kennen. Aber seit der Nachricht von dem Mord sieht sie ihn oft so seltsam an, und jedesmal, wenn während der Mahlzeiten am Tor geläutet wird, zuckt sie zusammen.

Heute nachmittag wollte Monsieur wie gewöhnlich ausgehen, sie aber hinderte ihn daran.

»Heute könntest du ausnahmsweise nach dem Essen wirklich zu Hause bleiben! Was hast du denn da draußen immer zu tun und herumzulaufen?«

Schön, er blieb, und damit er nicht heimlich doch das Weite suchte, ist sie über eine Stunde mit ihm im Garten spazierengegangen. Monsieur, dieser Tolpatsch, bemerkt ihr verändertes Benehmen nicht. Er läßt keinen Bissen Fleisch und keine Pfeife Tabak stehen. Ach, der dicke Tölpel!

Ich hätte gerne gewußt, was die beiden miteinander reden, wenn sie allein sind. Gestern abend habe ich mindestens zwanzig Minuten an der Salontür gehorcht. Ich hörte Monsieur, wie er mit der Zeitung raschelte, und Madame saß an ihrem Schreibtisch und schrieb ihre Abrechnung.

»Wieviel habe ich dir gestern gegeben?« fragte sie.

»Zwei Franc«, antwortete Monsieur.

»Bist du sicher?«

»Natürlich, Liebling.«

»Mir fehlen in der Kasse achtunddreißig Sou.«

»Ich habe sie nicht genommen.«

»Na schön – dann war es eben die Katze.«

Mehr hatten sie sich nicht zu sagen.

 

Joseph erlaubt nicht, daß wir in der Küche über die kleine Claire sprechen. Wenn Marianne und ich versuchen, die Unterhaltung auf diesen Fall zu bringen, lenkt er auf ein anderes Thema ab oder er bleibt stumm. Das Gespräch darüber irritiert ihn. Ich weiß nicht warum, aber ich habe nun einmal den Verdacht, daß Joseph der Täter ist. Natürlich habe ich keine Beweise, nur Vermutungen, auf keinen Fall andere als den Ausdruck seiner Augen und damals das leichte Zusammenzucken, als ich ihm in der Sattelkammer plötzlich den Namen der kleinen Claire nannte. Ich warf ihm diesen Namen wie eine Lockspeise hin, und er zuckte zusammen. Zuerst war mein Verdacht rein intuitiv, aber seither verdichtete er sich zur Gewißheit. Aber vielleicht täusche ich mich. Ich bemühe mich, mir einzureden, daß Joseph tatsächlich eine »Perle« ist. Ich sage mir immer wieder, daß meine sich überpurzelnde Phantasie inzwischen eine fast perverse Sucht zur Romantik entwickelt und mich aus ihren Krallen nicht mehr entläßt. Trotz aller Versuche, mich dieser fixen Idee zu entledigen, verfolgt sie mich Tag und Nacht, gaukelt mir die scheußlichsten Bilder vor, und mich überkommt eine irrsinnige Lust, Joseph zu fragen:

»Also, Joseph, geben Sie es doch zu, daß Sie es waren, der die kleine Claire im Wald vergewaltigt hat? Waren Sie es, oder waren Sie es nicht, Sie altes Schwein?«

Das Verbrechen wurde an einem Samstag begangen. Ich erinnere mich, daß Joseph ungefähr am gleichen Tag in den Wald von Raillon fuhr, um Erde vom Heideland zu holen. Er blieb den ganzen Tag fort und kam erst spät am Abend mit seiner Fuhre zurück. Dessen erinnere ich mich ganz genau. Und – welch seltsame Übereinstimmung – ich erinnere mich ungewöhnlich deutlich an sein aufgeregtes Wesen und seinen verstörten Blick. Es fiel mir gleich auf, als er in die Küche kam. Damals fiel es mir nicht besonders auf. Warum sollte ich auch darauf achten? Heute aber fallen mir die Details bestürzend und haarscharf wieder ein, und plötzlich weiß ich nicht mehr genau, ob es wirklich jener Samstag war und ob Joseph tatsächlich zu jener Zeit im Wald von Raillon gewesen war. Ich gebe mir Mühe, die Zusammenhänge zu präzisieren. Aber bilde ich mir seine leichte Verstörtheit und seine unsicheren Blicke nur ein, da es doch nahezu unmöglich scheint, daß Joseph – die vielgerühmte Perle – die Tat begangen haben könnte? Je mehr ich nachdenke, desto verwirrter werde ich, und meine Mühe, den Hergang des Verbrechens zu rekonstruieren, scheint vergeblich. Wenn die gerichtlichen Nachforschungen wenigstens die Spur von Rädern auf dem weichen Waldboden und auf den welken Blättern und im Heidekraut festgestellt hätten! Aber nichts dergleichen! Diese Untersuchung hat nicht mehr erbracht, als daß ein armes kleines Mädchen das Opfer einer Vergewaltigung und eines Mordes geworden war. Und das bringt mich so in Rage. Es regt mich auf, daß alle Welt von der großen Geschicklichkeit des Mörders spricht, von der teuflischen Perfektion, mit der dieses Verbrechen ausgeführt wurde, denn gerade deshalb glaube ich und spüre, daß Josephs Art, diese stille, unheimliche Anwesenheit des absonderlichen Menschen verdächtig ist. Ziemlich enerviert über den Gedanken, stelle ich nach einer längeren Pause die Frage:

»Joseph, an welchem Tag fuhren Sie in den Wald von Raillon, um dort Erde vom Heideland zu holen?«

Ohne Hast und ohne Überraschung läßt Joseph seine Zeitung sinken, in der er bisher gelesen hat. Seine Seele ist gegen alle Überfälle gewappnet.

»Warum fragen Sie mich das?« fragt er ruhig.

»Um es zu wissen ...«

Joseph sieht mich mit einem prüfenden Blick an. Dann stellt er sich an wie jemand, der in seinem Gedächtnis nach längst vergangenen Dingen sucht, und antwortet dann:

»Meiner Treu! Das weiß ich wirklich nicht mehr genau. Aber warten Sie, ich glaube, es war an einem Samstag.«

»Dann war es wohl der Samstag, an dem man die kleine Claire – vielmehr die Leiche der kleinen Claire – im Wald gefunden hat?« frage ich und merke sofort, ich tat es etwas zu schnell, und der Ton war zu aggressiv.

Joseph sieht mir noch immer in die Augen. Sein Blick ist starr, stechend und schrecklich, so schrecklich, daß ich trotz meiner angeborenen Frechheit meinen Kopf abwenden muß.

»Vielleicht ...«, sagt er, »ja, ich glaube fast, es war gerade an diesem Samstag.«

Und er fügt hinzu:

»Oh, ihr verfluchten Weiber! Ihr solltet lieber an andere Dinge denken. Wenn Sie die Zeitung lesen würden, Célestine, dann wüßten Sie, daß in Algier einige Juden umgebracht wurden. Das steht wenigstens noch dafür ...«

Er gibt sich gelassen, natürlich, beinahe freundlich. Nur sein Blick ist es nicht. Stimme und Bewegungen bleiben ruhig. Ich gebe es auf und sage nichts mehr. Joseph nimmt wieder seine Zeitung zur Hand, die er auf den Tisch gelegt hatte, und liest darin weiter, als wäre nichts geschehen.

Aber ich gebe nicht nach, ich grüble und grüble, man müßte doch etwas Besonderes an Joseph entdecken, das für seine Brutalität spricht. Da ist zum Beispiel sein Judenhaß, seine permanenten Drohungen, dieses vermaledeite Volk auszurotten, zu verbrennen, zu morden. Das kann natürlich Prahlerei sein – es gehört wohl zur Politik. Ich suche nach etwas anderem, nach etwas Bestimmterem, um seine kriminelle Anlage festzustellen. Ich spüre deutlich, daß es eine solche Möglichkeit gibt, aber zugleich fürchte ich mich vor dieser Entdeckung, obwohl ich sie herbeiwünsche. Merkwürdiger Zustand! Teils zittere ich davor, ihn als Mörder zu entlarven, teils gewährt es mir bereits eine heimliche Befriedigung. Aber was ist stärker? Meine Furcht oder mein Wunsch, er wäre ein Mörder?

Welches Gefühl ist stärker? Mein Gott, da fällt mir etwas ein. Etwas Entsetzliches. Eine untrügliche Tatsache. Da handelt es sich nicht um eine Vorspiegelung meiner Phantasie, ich brauche nicht zu übertreiben, mich nicht auf Hirngespinste zu verlegen:

Es gehört zu Josephs Aufgaben, die Hühner, Kaninchen und Enten für den Haushalt zu schlachten. Er hält sich da an einen alten normannischen Brauch und tötet die Enten, indem er ihnen eine lange Nadel in den Kopf bohrt. Er könnte sie schneller, schmerzloser umbringen, aber er liebt es, ihre Qual zu verlängern und wendet dabei eine scheußliche Folter an. Er hält das Tier fest und erlebt mit Wollust jede Phase seines Leidens, wenn er den Herzschlag der Todesangst zwischen seinen Händen spürt. Er genießt das Zittern der armen Kreatur, und ich war sogar dabei, als er so eine arme Ente umbrachte. Er klemmte sie zwischen seine Knie. Mit der einen Hand schnürte er ihr den Hals zu, mit der anderen versenkte er ihr die Nadel in den Kopf, und dann drehte er, drehte die Nadel im Tierkopf so ruhig, gelassen, als mahle er Kaffee. Und dabei sagte er mir mit wilder Freude:

»Das Tier muß leiden. Je mehr es leidet, desto leckerer schmeckt nachher das Blut ...«

Das Tier hatte seine Flügel aus Josephs Knie befreien können und schlug jetzt damit wild um sich. Der Vogelhals wand sich in Josephs brutalem Griff wie eine Spirale. Unter den gesträubten Federn zuckte der Leib. Da warf Joseph das Tier auf den Steinboden der Küche, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht in die Handflächen und beobachtete mit scheelen Blicken die verzweifelten Sprünge auf den Steinfliesen, die Zuckungen und das irre Scharren der gelben Vogelfüße auf dem Boden.

»Schluß damit, Joseph«, schrie ich empört. »Töten Sie das arme Tier sofort! Das ist ja eine scheußliche Quälerei!«

Und Joseph antwortete:

»Es macht mir Spaß. Ich habe das gern ...«

Ja, an diesen Vorgang erinnere ich mich genau, ich rufe mir alle abstoßenden Einzelheiten von Josephs Worten ins Gedächtnis zurück. Und einfach unbezähmbar steigt in mir die Gier auf, Joseph ins Gesicht zu schreien:

»Sie haben die kleine Claire im Wald vergewaltigt und umgebracht! Ja, ja, Sie waren es! Niemand anderer als Sie. Sie – Sie alter Schweinigel!«

Nun gab es keinen Zweifel mehr: Joseph muß eine abscheuliche Kanaille sein. Aber diese Meinung entfernt mich nicht von ihm, durchaus nicht, anstatt mich vor ihm zu ekeln, oder ihn zu hassen, beginne ich – ich will nicht behaupten, mich in ihn zu verlieben – mich immer stärker für ihn zu interessieren. Komisch, ich hatte immer eine Schwäche für Kanaillen. Sie haben so etwas Aufregendes, etwas unheimlich Anziehendes an sich. Eine sexuelle Ausstrahlung, die einem das Blut durch die Adern jagt. Und so infam diese Kerle auch sein mögen, sie werden darin von den sogenannten ehrbaren Leuten noch übertroffen. Was mich an Joseph etwas irritiert, das ist sein guter Ruf. Ich, offen gesagt, langweile mich mit Menschen von gutem Ruf. Aber nur wer seine Augen nicht kennt, könnte ihn für einen braven Mann halten. Mir wäre es lieber, wenn er sich frech und hochmütig als Kanaille gäbe. Aber dann wäre es natürlich um das Geheimnisvolle, das ihn in meinen Augen umgibt, geschehen, dann würde mich dieses alte Monstrum nicht so beschäftigen und fesseln.

Jetzt bin ich ein wenig ruhiger, denn nun wird mir niemand die Gewißheit rauben, daß er es war, der die kleine Claire im Wald vergewaltigt und umgebracht hat.

Seit einiger Zeit muß ich feststellen, daß ich auf Joseph einen beachtlichen Eindruck mache. Sein brummiger Empfang ist vergessen, seine Schweigsamkeit wirkt nicht mehr feindselig oder verächtlich, und in seinem Gebrumm klingt so etwas wie Zärtlichkeit mit. Seine Blicke richten sich nicht mehr mit Haß auf mich, selbst wenn er mich manchmal noch so forschend ansieht, dann geschieht dies nur, um mich besser kennenzulernen, oder um mich zu prüfen. Wie die Mehrzahl der Bauern, ist er außergewöhnlich mißtrauisch. Er vermeidet es ängstlich, sich auch nur eine geringfügige Blöße zu geben, im Glauben, der andere wolle ihn hereinlegen. Er muß eine Unmenge Geheimnisse mit sich herumtragen, aber er verbirgt sie eifersüchtig hinter seiner verschlossenen, brutalen und rätselhaften Maske, ähnlich wie ein anderer in einem Tresor und hinter Gittern und geheimnisvollen Schlössern seine Schätze verbirgt. Mir gegenüber läßt sein Mißtrauen jetzt etwas nach. Er ist manchmal in seiner Art sogar sehr charmant zu mir. Er unternimmt alles mögliche, um mir zu gefallen und mir seine Freundschaft zu beweisen. Was er mir nur abnehmen kann, nimmt er auf sich, schwere Arbeiten, die eigentlich in meinen Bereich fallen, und er tut es, ohne auf meine Dankbarkeit zu rechnen, ohne Hintergedanken, ohne Hoffnung auf Profit. Ich meinerseits trachte seine Sachen ein wenig in Ordnung zu bringen, ich stopfe seine Strümpfe, flicke seine Hemden und Hosen und verwende mehr Sorgfalt auf seinen Kasten als auf die Möbel von Madame. Und er sagt mir dann mit dankbaren Augen:

»Das gefällt mir, Célestine, Sie sind wirklich eine brave, anständige Frau. Wissen Sie, Ordnung ist unbezahlbar. Sie kann zu Reichtum führen. Und wenn man außerdem hübsch und sauber ist, ach, ich sage Ihnen, es gibt nichts Besseres für einen Mann ...«

Bis heute haben wir immer nur sehr kurz miteinander geplaudert. Die Abendunterhaltung in der Küche, wenn Marianne anwesend ist, bleibt immer ziemlich allgemein, intimere Gespräche können wir uns nicht erlauben. Und wenn ich allein mit ihm zusammentreffe, kann ich ihn kaum zum Reden bringen. Er verweigert hartnäckig ein längeres Gespräch, anscheinend fürchtet er, sich zu kompromittieren. Hie und da zwei Worte, liebenswürdig oder ein bißchen griesgrämig – das ist alles. Aber seine Augen sprechen dafür um so deutlicher. Sie schleichen mir nach, umstricken mich, steigen tief hinab zu meiner Seele und versuchen ihr auf den Grund zu kommen, um auch das Verborgenste zu erforschen.

Endlich haben wir uns zum erstenmal eingehender unterhalten, und zwar an einem Abend, als die Herrschaft schon zu Bett gegangen und Marianne früher als sonst in ihr Zimmer hinaufgegangen war. Ich hatte weder Lust zu lesen oder zu schreiben und langweilte mich. Immer noch in Gedanken mit der armen kleinen Claire beschäftigt, begab ich mich zu Joseph in die Sattelkammer. Dort saß er an einem kleinen Holztisch und verlas Korn im Lichte einer Stallaterne. Der Schein glänzte auf den Körnern und auf der hellen Holzplatte. Neben Joseph stand sein Freund, der Sakristan, der allerhand Broschüren, nach Farben gebündelt, unter seinen Armen hielt. Der Kerl hatte etwas von einer Kröte: die Augen standen vor und glotzten mich an, und seine bräunliche, körnige Haut spannte sich um seinen dicken Schädel. Unter dem Tisch schliefen die beiden Hunde, jeder zu einer Kugel zusammengerollt, den Schädel im Fell vergraben.

»Ach so, Sie sind es, Célestine«, sagte Joseph.

Der Kirchendiener versuchte die Broschüren zu verstecken, aber Joseph versicherte ihm:

»Vor Mademoiselle kann man ruhig reden. Sie ist ein ordentliches Mädchen.«

Und dann wiederholte er dem anderen seinen Auftrag:

»Nun, mein Alter, hast du mich richtig verstanden? Paß auf! Zuerst nach Bazoches, dann nach Courtain und Fleur-sur-Tille. Und das muß alles schon morgen im Laufe des Tages erledigt sein. Und bemühe dich, Abonnements zu bekommen! Und laß es dir nochmals gesagt sein: geh überall hin, geh in alle Häuser, auch zu den Republikanern. Vielleicht befördern sie dich hinaus, aber das macht nichts, du darfst nicht nachgeben. Wenn du eines von den dreckigen Schweinen überreden kannst, um so besser. Vergiß vor allem nicht: hundert Sou für jeden Republikaner.«

Der Kirchendiener wackelte zustimmend mit dem Kopf. Er schob die Broschüren in die Achselhöhlen und verduftete aus der Sattelkammer. Joseph begleitete ihn noch bis zum Gittertor. Als er zurückkam, bemerkte er natürlich meine neugierige Miene und meine fragenden Augen.

»Ja«. erklärte er so nebenbei, »einige Lieder, einige Bilder und Hetzmaterial gegen die Juden, denn ich habe mich mit den Priestern geeinigt und arbeite für sie. Warum nicht? Man wird ganz gut dafür bezahlt.«

Er begab sich wieder an den kleinen Tisch und verlas wieder Korn. Die beiden Hunde waren aufgewacht und trollten sich in einen entfernten Winkel.

»Ja, ja«, wiederholte er, »es wird wirklich nicht schlecht bezahlt. Oh, diese Herren Priester sind immer gut bei Kasse!«

Und als ob er Angst hätte, schon zuviel gesagt zu haben, fügte er hinzu:

»Ich sage Ihnen das, Célestine, weil Sie eine anständige Person sind. Ein ordentliches Mädel, zu dem ich Vertrauen habe. Aber das muß unter uns bleiben, verstanden?!«

Und nach einer Weile:

»Das war eine gute Idee, daß Sie heute abend hierhergekommen sind, wirklich lieb von Ihnen. Es schmeichelt mir ...«

Ich habe ihn noch nie so aufgeschlossen und liebenswürdig gesehen. Ich beugte mich über den Tisch, dicht neben ihm, und während ich einige Körner, die in einer Schüssel lagen, auflockerte und langsam aus meiner Hand gleiten ließ, sagte ich kokett:

»Sie waren ja so schnell nach dem Abendessen verschwunden, wir hatten gar keine Zeit zu einem kleinen Schwatz. Wollen Sie, daß ich Ihnen beim Kornklauben helfe?«

»Danke, Célestine, ich bin damit fertig.«

Dann kratzte er sich am Kopf.

»Eigentlich müßte ich noch in den Garten – zu den Mistbeeten. Die verfluchten Feldmäuse gehen mir immer über die Salatpflanzen. Ach was – heute gehe ich eben nicht. Ich muß nämlich dringend mit Ihnen reden, Célestine.«

Joseph stand auf, verschloß die Tür, die zur Hälfte offen geblieben war, und zog mich tiefer ins Innere der Sattelkammer. Einen Augenblick lang hatte ich Angst. Mit einemmal mußte ich an die kleine Claire denken, ich sah sie vor mir, bleich und blutig auf dem Waldboden im Heidekraut liegen. Aber Josephs Blicke waren nicht zudringlich, eher schüchtern. In dem düsteren Licht des Raumes konnte man sich beim Licht der niederbrennenden Laterne kaum sehen. Bis jetzt hatte Josephs Stimme vor Erregung gezittert, jetzt sprach er auf einmal ernst und entschlossen:

»Ich wollte es Ihnen schon vor ein paar Tagen sagen«, begann er, »ich muß Ihnen etwas anvertrauen, und zwar ich mag Sie, Célestine. Sie sind eine anständige, ordentliche Frau. Jetzt kenne ich Sie endlich!«

An dieser Stelle hielt ich ein freundliches, aber ein wenig spöttisches Lächeln für angebracht.

Ich antwortete ruhig:

»Dazu haben Sie aber hübsch lange gebraucht«, und mit einem plötzlichen Entschluß: »Warum waren Sie eigentlich am Anfang so gemein zu mir? Sie haben kaum mit mir gesprochen! Immer fanden Sie etwas an mir auszusetzen. Erinnern Sie sich noch an die Szenen, die Sie mir gemacht haben, wenn ich über die frisch geharkten Alleen gegangen bin? Sie alter Griesgram!«

Joseph lachte lautlos und hob die Achseln:

»Da haben Sie recht. Aber verdammt, wie soll man denn die Leute am ersten Blick erkennen? Vor allem die Weiber, sie sind durchtriebene Teufelinnen. Da soll sich einer auskennen! Jetzt weiß ich schon besser, wie ich mit Ihnen dran bin.«

»Da Sie mich so gut kennen, Joseph, dann sagen Sie mir doch, wie ich bin.«

Er sah mich durchdringend an, kniff die Lippen zusammen und erklärte:

»Wie Sie sind, Célestine? Nun, Sie sind wie ich.«

»Ich bin wie Sie? Ich?«

»Oh, natürlich nicht auf das Äußere angewendet. Aber Sie und ich sind im Grunde genommen eins. Seelisch sind wir vollkommen gleich geartet. Und ich weiß, was ich sage.«

Und wieder entstand zwischen uns tiefes Schweigen. Nachher fuhr er mit sicherer Stimme fort:

»Ich mag Sie, Célestine, ich empfinde Freundschaft für Sie. Und dann ...«

»Und dann?«

»Ich habe auch Geld – ein wenig Geld ...«

»Oh?«

»Ja, wie gesagt, ein wenig, verflixt, man hat doch nicht vierzig Jahre lang in ersten Häusern gedient, ohne ein bißchen etwas gespart zu haben, nicht wahr?«

»Gewiß.« Mehr und mehr von seinen Worten und seinem Benehmen überrascht, fragte ich neugierig: »Und haben Sie viel Geld zur Seite gelegt?«

»Viel? Ach Gott, es geht.«

»Wieviel? Lassen Sie es mich sehen!«

Joseph lächelte nachsichtig.

»Sie müßten eigentlich verstehen, daß ich es nicht hier bei mir habe. Es ist an einem sicheren Ort, wo es Junge bekommt.«

»Ja, aber wieviel – wieviel haben Sie denn?«

Er zögerte, und dann flüsterte er:

»Ungefähr fünfzehntausend Franc ... Vielleicht mehr …«

»Donnerwetter! Sie sind mir ja ein Schlauer!«

»Vielleicht ist es auch weniger – das weiß man nicht so auf Anhieb ...«

Plötzlich fuhren die beiden Hunde hoch, sprangen zur Tür und bellten wie verrückt. Ich erschrak.

»Es ist nichts ...« versicherte Joseph und gab den Tieren einen derben Tritt in die Seite. »Ein paar Leute gehen vorbei … Lassen Sie mich horchen ... Ja, das ist Rose, die nach Hause kommt, ich kenne ihren Schritt.«

Tatsächlich hörte ich einige Sekunden später auf dem Weg Roses schleppende Schritte und dann das Öffnen und Schließen eines Riegels. Die Hunde verstummten.

Ich hockte mich auf eine kleine Leiter in der Ecke. Joseph, beide Hände in den Taschen, spazierte im engen Raum auf und ab, streifte mit den Ellbogen an die Zügel, die an der Wandvertäfelung hingen. Wir schwiegen, ich sehr verlegen und verstimmt, zu ihm gekommen zu sein, Joseph dagegen schien tief beschäftigt mit dem, was er mir anvertrauen wollte. Nach einigen Minuten entschloß er sich zu sprechen:

»Noch etwas muß ich Ihnen bekennen, Célestine. Ich stamme nämlich aus Cherbourg. Und Cherbourg ist eine rauhe Stadt, um nicht zu sagen roh. Vollgestopft mit Matrosen und Soldaten. Harte Kerle, Draufgänger, eine wilde Horde, die nicht viel Umstände macht. Sie wollen sich amüsieren. Und damit läßt sich Geld verdienen. Ich hätte da eine phantastische Möglichkeit ... Es handelt sich um ein kleines Café – nahe dem Hafen, der Platz könnte nicht besser sein. Die Soldaten sind in dieser Zeit immer durstig. Alle Patrioten sind auf der Straße. Sie schreien, sie grölen, und davon kriegt man Durst. Jetzt müßte man zupacken. Man könnte ein tolles Geschäft machen – Gold machen. Darauf kommt es an. Sehen Sie, und dazu gehört eine Frau. Eine ordentliche reizende Frau – die couragiert ist und über einen derben Witz nicht das Näschen verzieht. Matrosen und Soldaten sind dieselbe Rasse, sie wollen sich amüsieren, ab und zu eine kleine Rauferei, diese Kerle besaufen sich wie nichts. Sie lieben das schöne Geschlecht, lassen dafür was springen – besonders für eine schöne Frau. Sex wird groß geschrieben, verstehen Sie, Célestine, dafür geben sie eine Menge aus. Was halten Sie davon, Célestine?«

»Ich?« fragte ich perplex.

»Ja, schließlich ist es ja nur ein Vorschlag. Würde er Ihnen gefallen?«

»Mir?«

Ich wußte nicht, worauf Joseph hinauswollte. Ich stürzte von einer Überraschung in die andere, und ich war im Augenblick nicht imstande, darauf zu antworten.

»Ihnen natürlich, wem sonst? Wen sollte ich sonst in das kleine Café setzen? Sie sind ein rechtschaffenes Mädchen – Sie sind in Ordnung. Sie sind keine von den Zierpuppen, die bei jeder Anzüglichkeit in Ohnmacht fallen, und vor allem sind Sie Patriotin. Und was für eine, Teufel nochmal! Und von oben bis unten sauber und adrett. Sie haben Augen, mit denen können Sie eine ganze Garnison verrückt machen, das wäre ein Schlag! Seit ich Sie kenne, seit ich mich ein wenig mit Ihnen beschäftigt habe, gehen mir diese Idee und dieser Plan nicht mehr aus dem Kopf.«

»Nun gut – und Sie?«

»Ich mache natürlich mit! Wir heiraten in aller Freundschaft …«

»Ach so!« rief ich plötzlich aufgebracht, »jetzt verstehe ich – ich soll Ihr Lockvögelchen werden – ich soll Ihnen die Kröten verdienen helfen ... Stimmt's?«

Joseph zuckte mit den Achseln und sagte ruhig:

»Selbstverständlich in allen Ehren, Célestine, das versteht sich doch von selbst.«

Plötzlich war er neben mir, packte meine Hände und preßte sie, daß ich vor Schmerzen hätte aufbrüllen können. Dann stammelte er:

»Ich träume von Ihnen, Célestine, von Ihnen in dem kleinen Café ... Sie machen mich närrisch, Célestine …«

Und da ich vor Entsetzen erstarrte, erschlagen über dieses Geständnis, fuhr er eindringlich fort:

»Und dann ... Ich weiß es ja nicht, aber vielleicht habe ich nicht nur fünfzehntausend, es können auch achtzehntausend sein – unsereiner weiß ja nie, was so ein Kapital für Junge wirft ... Und dann, Sie bekämen Sachen von mir – schöne Sachen, Schmuck selbstverständlich. Sie würden toll glücklich sein in dem kleinen Café Célestine ...«

Er faßte mich um die Taille, hielt mich mit seinen Armen wie in einem Schraubstock fest. Ich fühlte, wie sein Körper vor Verlangen nach mir zitterte, und wenn er gewollt hätte, hätte er mich nehmen können, hätte mich ersticken können, ohne daß ich mich im geringsten gewehrt hätte. Und er fuhr fort, mir seinen Traum zu schildern:

»Ein kleines, hübsches Café, schmuck und blitzblank … und vor einem ganz großen Spiegel hinter dem Büfett eine schöne Frau in Elsässer Tracht, mit einem prächtigen Mieder aus Seide und langen schwarzen Samtbändern. Was sagen Sie dazu, Célestine? Überlegen Sie es sich. Wir kommen nächstens wieder darauf zurück.«

Ich wußte nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Nein, ich wußte es nicht, absolut nicht! Ich war derartig überrascht von diesem Angebot, auch ein wenig geschmeichelt, und zugleich dachte ich daran, was das doch für ein seltsamer Mensch war, der mit demselben Mund, mit dem er jetzt zu mir sprach, die blutenden Wunden der kleinen Claire geküßt und mit den Händen und mit den starken Armen, die mich jetzt wie eine eiserne Klammer umschlossen, das arme Kind umarmt, erstickt und erwürgt hatte. An all das dachte ich jetzt und konnte ihn dennoch nicht hassen.

»Wir kommen darauf zurück. Ich bin alt und häßlich, das weiß ich, aber ich verstehe mich darauf, aus einer Frau etwas zu machen. Wie kein anderer. Ja, ich komme noch darauf zurück ...«

Er versteht aus einer Frau etwas zu machen! Das klingt ja unheimlich! Ist es eine Drohung? Oder ist es ein Versprechen?

Heute ist Joseph wieder seinen täglichen Pflichten nachgegangen. Man könnte meinen, daß gestern nichts zwischen uns gewesen wäre. Er kommt, er geht, er arbeitet, er ißt und liest seine Zeitung – wie alle Tage. Ich betrachte ihn nachdenklich und würde ihn gerne hassen. Ich wollte, ich könnte ihn noch viel häßlicher finden, als er tatsächlich ist, und daß ein schrecklicher Ekel mich für immer von ihm trennen würde. Aber es wird nichts daraus. Komisch! Dieser Mann macht mich oft frösteln, ein unerklärlicher Schauer läuft mir in seiner Gegenwart über den Rücken, aber dennoch ekelt er mich nicht an. Ist das nicht schrecklich? Schließlich hat er doch die arme Claire im Wald vergewaltigt und wie ein Tier umgebracht! Aber ich schaudere vor ihm nicht zurück! Wie kommt das?


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