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Seit einigen Tagen spricht man viel vom Marquis von Portpierre. Die Badedirektion macht sich eine ernsthafte Reklame mit seinem Namen. Der Marquis gewinnt bedeutende Summen im Baccarat, im Poker, im Taubenschießen. Sein Automobil wird sehr bewundert, wenn er ausfährt. Kurz: er führt ein flottes und chikes Leben, welches hier große Sensation macht. Clara Fistule versichert mir, daß der Marquis im Hotel unentgeltlich wohnt und im Kasino für die Verköstigung nichts zu bezahlen hat.
– Bedenke, ein so vornehmer Name! ... erklärt er mir. Eine so hohe Stellung in der Politik und in der Gesellschaft! Und dabei ein guter Junge und gar nicht stolz.
Man erzählt sich, er wäre nach X. gekommen, um in der Nähe von Spanien zu sein, wo er häufige Zusammenkünfte mit dem Herzog von Orleans hat. Man spricht auch von der bevorstehenden Ankunft des Herrn Arthur Meyer, welcher der Freund des Marquis und einigermaßen auch der Veranstalter seiner Börsengeschäfte und seiner Vergnügungen ist.
Folgendes weiß ich über den Marquis von Portpierre:
An einem Sonntag Morgens kam ich mit einem Freunde nach Norfleur. Dies ist ein sehr malerisch gelegenes Städtchen in der Normandie, welches seinen alterthümlichen Charakter fast ganz und gar bewahrt hat. Sichelförmig in dem hübschen Trille-Thale gebaut, oberhalb von weit gedehnten, Fieber verbreitenden Wiesengründen, deren stets grünende Felder sich nach Westen erstrecken, wird das Städtchen im Osten und im Norden von sanft ansteigenden bewaldeten Höhen beherrscht. Man kann daselbst noch die Überreste einer sehr alten Abtei bewundern, eine ganze Reihe von gothischen Bögen, welche von Epheu umrankt, noch aufrecht stehen und eine sehr schöne, aus dem XIV. Jahrhundert stammende und vor Kurzem erst restaurirte Kirche.
Das Trille-Flüßchen mit seinen mit Pappeln bestandenen Ufern bildet einen Gürtel um das Städtchen; seine leicht gekräuselte Wasserfläche zeigt zarte Lichtreflexe. So habe ich dieses Städtchen vor zwanzig Jahren zum ersten Male gesehen und so sah ich es an jenem Morgen wieder, mit den nämlichen schmalen und sauber gehaltenen Gäßchen, mit den nämlichen schieferbedeckten Giebelhäusern, die seither nur etwas älter und baufälliger geworden sind; und wie ehedem schlummert auch jetzt noch die Bevölkerung in demselben Schmutz.
Norfleur hat dem Fortschritt, welcher allmälig alle Dörfer und Städte ringsumher umgewandelt hat, keine Opfer bringen wollen. Mit Ausnahme eines armseligen Sägewerkes, welches die Hälfte des Jahres stille steht, ist keinerlei Industrie gekommen, um die eintönige und stille Existenz dieser hartnäckigen, kleinen Landleute zu stören.
An jenem Morgen sah ich auf dem Platze vor der Mairie eine zahlreiche Menge von Bauern im Sonntagsstaat, welche gekommen waren, um die Messe zu hören und nachher sich über ihre kleinen Angelegenheiten zu unterhalten. Die Menge war lebhafter als sonst, denn man war mitten in der Wahlbewegung. Die Wahlen allein vermochten vermöge der Leidenschaften, welche sie aufregen und der Interessen, welche sie berühren, vorübergehend einiges Leben, einige Bewegung in das Städtchen zu bringen. Die Mauern waren mit vielfarbigen Anschlagzetteln bedeckt, da und dort sah man Gruppen von Bauern vor den Plakaten stehen, welche mit weit offenen Augen, die Hände hinter dem Rücken gekreuzt, stumm, ohne eine Bewegung, welche irgend eine Meinung hätte zum Ausdruck bringen können, dastanden und lasen. In einem Winkel des Platzes saßen vor ihren Geflügelkörben oder Gemüseständen einige Bäuerinnen und warteten auf die Käufer.
Der Freund, der mich begleitete, zeigte mir in der Mitte einer größeren Gruppe einen der Kandidaten, den Marquis von Portpierre, der laut und mit lebhaften Gestikulationen zu den Bauern sprach. Der Marquis, ein Großgrundbesitzer der Gegend, war in der ganzen Normandie bekannt durch seine prunkvolle Lebensweise und in Paris durch die vollkommene Korrektheit seiner Gespanne und seiner Livrée. Er war Mitglied des Jockeyklub, ein Liebhaber von Pferden, Hunden und Dirnen, ein geschätzter Taubenschütze, ein notorischer Antisemit und streitbarer Royalist, folglich gehörte er, wenn man den Zeitungen glauben durfte, zur besten französischen Gesellschaft.
Meine Überraschung war groß, als ich ihn mit einer langen, blauen Blouse und einer Hasenfellmütze bekleidet sah. Man erklärte mir, daß dies seine Wahluniform sei und daß diese Tracht ihn der Pflicht enthebe, ein Programm zu geben.
Im Übrigen glich er einem Pferdemakler. Nichts in seinem Gehaben verrieth, daß er nur zufällig diese Kleidung trug; nichts in seinem rothen, gemeinen aber verschmitzten Gesichte unterschied ihn von den übrigen Bauern, oder verrieth in ihm dasjenige, was die Anthropologen der Zeitungen die »Race« nennen.
Ich betrachtete den Mann mit lebhaftem Interesse.
Niemand vermochte besser und geschickter als er einen Handel führen, Niemand besser als er ein Pferd oder eine Kuh verkaufen. Niemand während des Feilschens mehr Liter Wein durch die Kehle laufen lassen, als er; Niemand war geschickter als er in allen Listen und Schlichen der Märkte. Als ich bei ihm vorüberkam, hörte ich ihn unter dem Gelächter der Bauern ausrufen:
– Ja, ja, die Regierung ist niederträchtig, wir werden sie verjagen, das verbürge ich Euch, meine Kinder.
Er fühlte sich in seiner Bauernblouse so recht behaglich, bekundete eine geräuschvolle Vertraulichkeit, eine Art gutmüthiger Heiterkeit, eine cynische Kameradschaft mit den Bauern. Er theilte Händedrücke aus, duzte alle, schlug den Bauern auf die Schultern und auf die Bäuche, trieb sich auf dem Markte und in den Kaffeehäusern herum, wo er mit den Bauern Liqueur-Gläschen leerte. Und er schwang einen schweren normandischen Knüttel, welchen nach der Landessitte ein kurzer Riemen an seiner Faust festhielt.
– Ha, alle Wetter, alle Wetter, Ihr sollt schon sehen! ...
Es muß bemerkt werden, daß der Marquis von Portpierre in Norfleur zuhause war; er betrachtete diesen Ort als sein Lehen, wo seine Verschlagenheit, sein Geschäftsgeist, seine Geschicklichkeit die Leute einzutunken, ihm eine ungeheuere Volksthümlichkeit verschafft hatten. Durch diese seine Eigenschaften hatte er die Bevölkerung der ganzen Umgebung dermaßen für sich gewonnen, daß Niemand darüber verwundert war, ihn zur Zeit der Wahlen in der Bauerntracht einhergehen zu sehen. Im Gegentheil: alle Welt war glücklich darüber, und man sagte von ihm:
– Oh, der Herr Marquis ist ein guter Mann, der kennt keinen Stolz, der liebt den Bauer!
Niemand war darüber erstaunt, daß er die Vorrechte und Ehren, welche die großen Herren seines Schlages sich beilegten, bewahrt hatte. Jeden Sonntag, wenn die Messe ihrem Ende nahte, nahm der Kirchendiener vor der Kapelle, welche »dem Schlosse vorbehalten« war, Aufstellung und wenn dann der Marquis, gefolgt von seiner Familie und seiner Dienerschaft, heraustrat, schritt der Kirchendiener, angethan mit seinem Federhute und seinem Wehrgehänge von rother Seide in gemessener Entfernung vor ihm her und begleitete ihn bis zur Kutsche, wobei er die Neugierigen unsanft bei Seite stieß und mit seinem Stocke auf die Fliesen schlagend, laut ausrief:
– Platz, Platz für den Herrn Marquis!
Und so war alle Welt zufrieden: der Marquis, der Kirchendiener und das Volk.
– Oh, man konnte weit suchen, bis man wieder einen solchen Marquis fand, sagten die Leute.
Man war auch mit seinem Schlosse zufrieden, dessen weiße Façade und dessen hohe Schieferdächer über das Eichengehölz hinweg, welches den Bergabhang bedeckte, die Stadt beherrschten; man war mit seinem Automobil zufrieden, das zuweilen auf den Straßen Hunde, Schafe, Kinder und Kälber niederfuhr; man war mit den Mauern zufrieden, die seinen Park umgaben und oben mit Glasscherben bestreut waren, um die Diebe abzuhalten; man war mit seinen Waldhegern zufrieden, welche wiederholt in seinen Wäldern Wilddiebe niedergeknallt hatten. Und ich glaube, man wäre noch mehr zufrieden gewesen, wenn der Marquis die Gnade gehabt hätte, alle schönen, aristokratischen Gebräuche von ehedem wieder aufleben zu lassen, z. B. die Prügelstrafe. Allein der Herr Marquis wollte nicht, er war zu modern, um Solches zu thun ... und dann, sagen wir es nur, er fürchtete die Richter, so sehr er auch Marquis war. Alles in Allem, der rechtschaffenste Mann der Welt, der seine Volksthümlichkeit redlich verdiente.
Die Bauern gelten gewöhnlich für schlau und die Abgeordneten-Kandidaten für dumm. Man hat darüber Romane, Komödien, sozialwissenschaftliche Abhandlungen und statistische Ausweise geschrieben, welche sämmtlich diese zwei Wahrheiten bestätigt haben. Nun, es kommt vor, daß die dummen Kandidaten die schlauen Bauern »hereinlegen.« Sie haben dazu ein unfehlbares Mittel, welches keine Klugheit erfordert, keine vorbereitenden Studien, keine persönlichen Vorzüge, nichts von Alledem, was man selbst von dem bescheidensten Beamten erwartet. Dieses Mittel liegt ganz und gar in dem Worte: versprechen. Um einen sicheren Erfolg zu haben, braucht der Kandidat nur die hartnäckigste, unausrottbare Manie der Menschen auszubeuten: die Hoffnung. Durch die Hoffnung wendet er sich an die Quellen des Lebens selbst: an das Interesse, an die Leidenschaften, an die Laster. Man kann im Allgemeinen folgendes Axiom als absolutes Prinzip aufstellen: »Gewählt wird nothwendigerweise jener Kandidat, welcher während einer Wahlperiode die meisten Dinge versprochen hat, welcher Art immer seine Meinung sei, welcher Partei immer er angehöre und wenngleich diese Meinung und diese Partei denjenigen der Wähler diametral entgegengesetzt wären. Diese Operation, welche die Zahnreißer tagtäglich auf öffentlichem Markte, allerdings mit weniger Aufsehen praktiziren, heißt für den Mandanten: »seinen Willen diktiren«, für den Mandatar: »die Wünsche des Volkes anhören.« In den Zeitungen hat diese Sache noch schönere Namen. Und der wunderbare Mechanismus der politischen Societäten ist dermaßen beschaffen, daß schon seit tausenden von Jahren die Wünsche des Volkes gehört, aber niemals erhört werden, und daß die Maschine sich noch immer dreht und dreht, ohne den geringsten Bruch in ihrem Räderwerk, ohne die geringste Störung in ihrem Gange. Alle Welt ist zufrieden und dies ist gut so, wie es ist. Was bei dem Funktioniren des allgemeinen Stimmrechtes wunderbar ist, liegt eben darin, daß, nachdem das Volk souverain ist und keinen Herrn über sich hat, man ihm Wohlthaten versprechen kann, die es niemals genießen wird, und man niemals Versprechungen zu halten braucht, welche übrigens kein Mensch zu erfüllen vermöchte. Es ist sogar besser, niemals ein Versprechen zu halten, aus dem in den Wählern und in den Menschen überhaupt gelegenen Grunde, daß man in solcher Weise am sichersten die Wähler fesselt, welche ihr ganzes Leben hindurch den Versprechungen nachlaufen, so wie die Spieler ihrem Gelde und die Verliebten ihrem Herzleid. So sind wir Alle, ob Wähler oder nicht. Befriedigte Wünsche bieten uns keine Freude mehr. Nichts ist uns so theuer als der Traum.
Die Hauptsache bei einer Wahl ist denn das Versprechen; man muß viel, unendlich viel versprechen. In jedem Falle mehr als die Anderen. Je weniger erfüllbar die Versprechungen sind, desto tiefere Wurzeln wird das Vertrauen der Wähler schlagen. Der Bauer ist bereit, seine Stimme, seine Freiheit, seine Ersparnisse in die Hände des erstbesten Tölpels oder Banditen zu legen, aber er verlangt dafür, daß die Versprechungen, die ihm gemacht werden, Dasjenige aufwiegen, was er gibt. Für sein ewiges Vertrauen fordert er betrogen zu werden.
– Was will der Bauer? sagte mir eines Tages ein Abgeordneter in einer Anwandlung von Freimuth. Er will Versprechungen, das ist Alles; er will ungeheure, unsinnige aber doch klare Versprechungen. Er verlangt nicht, daß man sie erfülle, seine wohlbekannte Gefräßigkeit geht nicht so weit. Er verlangt nur so viel, daß er sie begreife. Er ist glücklich, wenn diese Versprechungen seine Kuh, sein Feld, sein Haus betreffen. Und wenn er des Abends in der Spinnstube, oder am Sonntag vor der Kirche, oder im Wirthshause davon reden kann, wie von einer Sache, die kommen könnte, aber doch niemals kommen wird, so wähnt er sich zufrieden. Man kann ihn dann mit Steuern erdrücken, die Lasten verdoppeln, die er zu tragen hat. Er lächelt nur schlau und bei jeder neuen Auflage, bei jeder neuen Plackerei, welche die Verwaltung ihm auferlegt, sagt er sich: »Es ist gut, es ist gut, treibt es nur so. Wir haben einen Abgeordneten, der all' den Machenschaften bald ein Ende bereiten wird, er hat es versprochen.«
So ist neulich dem Marquis von Portpierre ein recht ergötzliches Wahlabenteuer widerfahren.
In seinem Wahlbezirke gab es eine vom Schlosse ziemlich entfernte Gegend, wo sein persönlicher Einfluß weniger unmittelbar und, wenn ich so sagen darf, weniger alltäglich war. Es muß sogar gesagt werden, daß sich dort eine ziemlich kräftige Opposition gegen ihn gebildet hatte, welche wohl seine politische Situation nicht bedrohte, ihm aber doch unbequem war. Diese Opposition hatte er dadurch besiegt, daß er in feierlicher Weise versprach, von der Regierung zu erlangen, daß man im Hauptorte der Gegend die seit langer Zeit begehrte Eisenbahn-Haltestelle bauen werde. Jahre vergingen, Gesetzgebungen vergingen und die Haltestelle wollte nicht kommen. Dies hinderte aber nicht, daß der Marquis immer von neuem gewählt wurde.
Als die Bauern sahen, daß ihr Abgeordneter nicht mehr von der Haltestelle sprach, entsandten sie eines Tages eine Abordnung an ihn, die sich in respektvoller Weise erkundigte, was es denn mit der Haltestelle sei, und hinzufügte, daß der Gegenkandidat gleichfalls eine Haltestelle versprochen habe.
– Was, die Haltestelle? rief der Marquis. Wie? Wißt Ihr denn nicht? ... Aber die Sache ist ja gemacht, meine wackeren Leute. Nächste Woche wird mit dem Bau begonnen. Ich habe viel Mühe gehabt mit dieser schmählichen Regierung, die für den Landwirth nichts thun will!
Die Bauern wandten ein, daß die Sache nicht natürlich scheine, daß man nicht tracirt, keinen Ingenieur in der ganzen Gegend gesehen habe. Allein durch so wenig ließ der Marquis sich nicht in Verlegenheit bringen.
– Eine Haltestelle, meine lieben Leute, ist ja keine so große Sache, daß sich dieserhalb die Ingenieure bemühen müßten. Sie haben ja ihre Pläne und machen ihre Tracirungen in den Bureaux; aber ich sage Euch, die Sache ist abgemacht, nächste Woche wird mit dem Bau begonnen.
In der That sahen fünf Tage später die Bauern bei Tagesanbruch einen großen Karren mit Steinen beladen, einen zweiten mit Sand beladen ankommen.
– Aha, das ist unsere Haltestelle, sagten sie, es ist nicht länger zu zweifeln, der Herr Marquis hatte doch Recht.
Und sie gingen zur Urne, um ihre Stimmen abzugeben.
Zwei Tage nach der Wahl sah man einen Kärrner die Steine und dann den Sand wieder aufladen. Und als er sich anschickte wegzufahren, schrien die Bauern:
– Aber das ist ja unsere Haltestelle; wo fahren Sie hin?
Der Kärrner hieb auf seine Pferde ein und sagte:
– Wie es scheint, hat man sich geirrt, die Haltestelle kommt in ein anderes Departement.
Bei der nächsten Wahl forderten die Wähler ihre Haltestelle noch lauter als früher. Da sagte der Marquis mit einer großartigen Handbewegung:
– Eine Haltestelle? Wer spricht heute mehr von einer Haltestelle? Was wollt Ihr von einer armseligen Haltestelle? Bah, die Haltestellen genügen nicht mehr den modernen Bedürfnissen. Einen Bahnhof müßt Ihr haben. Wollt Ihr einen Bahnhof? Sprecht! Einen großen Bahnhof, einen großen, schönen Bahnhof, mit einem Glasdach und mit elektrischen Glocken, mit Buffet und einer Bibliothek? Es lebe Frankreich! Und wollt Ihr auch eine Flügelbahn? Sagt es mir nur. Es lebe Frankreich!
Die Bauern erwiderten kleinlaut:
– Einen Bahnhof? Das wäre freilich besser.
Und sie gingen hin und wählten den Marquis.
An dem Morgen, von dem ich spreche, trat eben der Herr Marquis aus dem Café de l'Espérance, gefolgt von einer Gruppe von Bauern, welche sich noch mit dem Handrücken die von dem Rothwein feuchten Lippen abwischten, als eben sein Gegenkandidat vorüberging. Das war ein armer Teufel, sehr mager, sehr bleich, dem man seine Armuth von weitem ansah und welcher die sonderbare Idee gehabt hatte, als sozialistischer Kandidat gegen den Marquis aufzutreten. Ehemals Schullehrer in dem Departement und vom Unterrichtsminister Leygues abgesetzt, weil er, der arme Kerl, zu früh die Erklärung der Menschenrechte in seiner Klasse hatte anschlagen lassen, war er von dem Comité der revolutionären Action als der Kandidat aller Reformen, aller Proteste und aller Wiedervergeltung aufgestellt worden. Er war sehr intelligent, sehr überzeugt und der Idee sehr ergeben, aber er hatte ein unglückseliges Gesicht, welches den stolzen und heftigen Erklärungen seiner Maueranschläge keineswegs entsprach. Um seine Wähler zu ehren, hatte er seine schönsten Kleider angelegt. Einen schwarzen, verschossenen, zerdrückten Leibrock von veraltetem Schnitt, welcher einen unangenehmen Geruch von Naphthalin ausströmte, was nicht verhinderte, daß stellenweise ganze Kolonien von Motten daran fraßen. Ein Cylinderhut, fettig, glanzlos, gelblich, mit schmierigen Rändern krönte seine ärmliche Toilette. Er war allein, ganz allein. Und da er sich von Feindseligkeit umgeben sah, suchte er mit verlegenem, schüchternem Blick in der Menge seine Freunde, welche ohne Zweifel noch nicht angekommen waren.
Der Marquis zeigte ihn mit der Spitze seines Knüttels den Bauern, die ihn begleiteten und rief mit seiner spöttischen Miene:
– Schaut mir diesen Stutzer an! Und das nennt sich einen Sozialisten. Ach, der Unglückskerl!
Die Bauern lachten und einige murmelten:
– Ach, Der! Der!
Der Marquis machte eine viel bessere Figur mit seinen groben, eisenbeschlagenen Schuhen und seiner zurückgeschobenen Hasenfellmütze. Der Wind blähte seine Blouse, welche auf der Brust ausgeschnitten, die Spitzen eines rothen Foulardtuches sehen ließ. Er fuhr fort:
– Und das kommt hieher, um den Herrn zu spielen, den feinen Kavalier, seinen Luxus zu zeigen, mit seiner fürstlichen Kleidung das Volk zu beschimpfen ... Betrachtet nur einmal diesen Kerl! ... Ach, mein Gott, ist das nicht eine Schmach?
Zweihundert Blicke hüllten den armen Kandidaten in einen verächtlichen und spöttischen Haß ein. Ermuthigt und mit noch lauterer Stimme schrie der Marquis:
– Und wo hat er denn diesen Rock gestohlen und wer hat denn diesen Hut bezahlt? Darüber könnte Deutschland Einiges erzählen. Diese Schandkerle!
Das Gemurmel der Bauern wurde immer lauter und grimmiger. Ein Schmied, der die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrämpelt hatte, ein wahrer Riese unter seinem Lederschurz, schrie laut:
– Gewiß, das ist ein Verräther!
Und einige Stimmen brüllten:
– Nieder mit den Verräthern!
Der Marquis schlug mit der flachen Hand auf seine blaue Blouse, auf seine mit Nägeln beschlagenen Schuhe, zeigte seinen knotigen Stock, indem er ausrief:
– Kleiden sich die wahren Freunde des Volkes in solche Röcke, wie die Fremden, die Schwindler, die Juden? Habe ich einen schwarzen Rock, habe ich einen Cylinder auf dem Kopfe? Schaut nur, Ihr Leute!
– Es lebe der Herr Marquis!
– Ich trage die Blouse des Bauern, die Blouse des braven französischen Bauern, die Blouse der Ehrbarkeit und der Arbeit, die Blouse der französischen Sparsamkeit.
– Es lebe der Herr Marquis!
– Und ich halte mich dadurch nicht für entehrt. Nicht wahr, Ihr Leute?
– Es lebe, es lebe der Herr Marquis!
– Während dieser schmutzige Kerl, dieser Kosmopolit, dieser Sozialist ...
– ... es wagt, hierher zu kommen, um das Elend des Volkes zu verhöhnen.
– Ja, ja, das ist's.
– Die Noth des armen Bauern, welcher die Seele Frankreichs ist, welcher Frankreich selbst ist. Ha, alle Wetter!
– Nieder mit den Verräthern!
Der unglückliche Kandidat war stehen geblieben. Er begriff nichts von diesem Ausbruch des Hasses gegen ihn. Zuerst betrachtete er seinen Leibrock, um zu sehen, ob dieser wirklich eine Schmähung des Volkes sei. Dann wollte er sprechen, protestiren. Allein die Stimmen der Bauern deckten seine Stimme ...
– Nieder mit den Verräthern! schrie Einer.
– Kehre nach Deutschland zurück! sagte ein Anderer.
– Oder nach England! rief ein Dritter.
– Ja, ja, riefen Alle, nieder mit den Verräthern!
Und da mehrere Fäuste sich drohend gegen ihn erhoben, flüchtete er, verfolgt von dem Geschrei der ganzen Stadt.
Nun kehrte der Marquis triumphirend in das Café de l'Espérance zurück und inmitten der begeisterten Zurufe der Wähler bestellte er neue Weinflaschen, indem er mit seinem Knüttel auf die Marmortische schlug und laut schrie:
– Es ist ja wahr, so ein schmutziger Kosmopolit! ...
Dann hob er sein volles Glas hoch und rief:
– Ich trinke auf das Wohl der französischen Blouse, meine Freunde! Respekt für die französische Blouse!
Das Abenteuer des armen sozialistischen Kandidaten hatte in mir ein lebhaftes Verlangen erregt, den Marquis von Portpierre näher kennen zu lernen ... Ich erkundigte mich und erfuhr alsbald eine ganze Menge von sehr drolligen Dingen ... Man brauchte nur die Leute der Gegend sprechen zu lassen, sie waren unerschöpflich an Anekdoten ... Dieser vollkommene Gentleman selbst war unerschöpflich in Handlungen jeder Art, in welchen das Komische sich sehr angenehm mit dem Traurigen mischte, wie es sich im Leben ziemt. Und ich merkte, daß je weniger Skrupel er bekundete, desto mehr die Werthschätzung und die Liebe Aller sich ihm zuwandte. In der That wuchs seine Volksthümlichkeit in dem Maße, wie seine Schurkerei, welche wenigstens das echt französische Verdienst hatte, erfinderisch und jovial zu sein.
Der Marquis war sehr eifersüchtig auf seine Jagden, deren Überwachung er starken, brutalen, streitsüchtigen Menschen übertrug, welchen des Nachts zu begegnen nicht rathsam war. Er wählte sie mit Vorliebe unter den ausgedienten Unteroffizieren, in deren Augen das Leben eines Menschen nicht viel gilt. Er bezahlte sie übrigens gut und bewilligte ihnen reiche Prämien für jeden Fang, den sie machten. Auch sorgte er dafür, daß es in ihren Kellern niemals an Branntwein fehle.
– Man muß die Leute in einem Zustande guter alkoholischer Wärme erhalten, pflegte er zu sagen. In solcher Weise sind sie stramm bei der Arbeit und zögern nicht, bei Gelegenheit einen Menschen ebenso niederzustrecken wie einen Hasen.
Denn er meinte, daß gegen die Raubschützen Alles gestattet sei. Er huldigte dem Grundsatz, daß man sie hetzen und behandeln müsse, wie die Füchse, Wölfe und anderes stinkendes Gethier. Durch einige blutige Exekutionen, welche ihm in der Gegend noch einen Überschuß an Volksthümlichkeit und Liebe eingetragen hatten, hatte er es übrigens erreicht, daß die Wildschützen sich nicht mehr auf sein Gebiet wagten; sie wußten, was sie da erwartete.
– Es ist ja wahr, sagten sich die Bauern; es ist ja wahr, die Hasen, die Fasane, die Rehe und die Kaninchen gehören dem Herrn Marquis. Man lasse diese Thiere in Frieden. Umso schlimmer für die Wildschützen.
Doch nicht alle Streiche des Herrn Marquis waren von so düsterer Art. Er verstand es auch, einen guten Spaß zu machen.
Am Tage der Eröffnung der Jagd sandte er bei Tagesanbruch seine Wildheger nach dem Gemeinde-Jagdgebiet, welches an seine Felder stieß, um dort alles Wild aufzutreiben. Dieses flüchtete dann in das Gehege des Marquis, wo man es in Frieden ließ. Und die armen Jäger von Norfleur, nachdem sie den ganzen Tag sich abgemüht hatten, kehrten Abends mit leerer Jagdtasche heim und hängten ihre Flinte, die sie nicht abgeschossen hatten, seufzend an den Nagel, indem sie murmelten:
– Ein schlechtes Jahr heuer, es ist nichts.
Und wenn sie am nächsten Tage auf dem Markte sich über diesen kläglichen Stand der Dinge vor dem Marquis beklagten, rief dieser wüthend aus:
– Was wollt Ihr? Bei einer solch' schmählichen Regierung, bei dieser niederträchtigen Republik wundert mich gar nichts! ...
Einmal des Jahres lud der Marquis die vornehmsten Bürger von Norfleur, die sich darob sehr geehrt zeigten, zu einer großen Kaninchenjagd ... Aber am nämlichen Morgen sorgte er dafür, daß seine Wildheger alle Kaninchen einfingen, die man dann am nächsten Morgen wieder frei ließ.
Am Abend, bei dem Diner, welches dieses kleine Familienfest gewöhnlich abschloß, entschuldigte sich der Marquis bei seinen enttäuschten Gästen, indem er sagte:
– Ich bin wirklich trostlos und ich begreife nichts davon ... aber das Kaninchen ist ein gar kapriziöses Thier. An einem Tage sind ihrer so viele, daß man darauf herumtritt, und am nächsten Tage ist nichts mehr da. Ein schlaues Beest! ...
Und die Bürger vergaßen ihren Verdruß, indem sie Champagner tranken.
Ebenso unerbittlich war der Marquis auch in Betreff seiner Fischerei, obgleich er selbst niemals fischte, aber nur um die grundlegenden Rechte, die geheiligten Rechte der Autorität und des Eigenthums zu bekunden in einer Zeit, wo diese Rechte so sehr verkannt werden. Er besaß jenseits der Stadt drei große Wiesen, durch welche ein Bächlein floß. Dieses Bächlein mit seinem klaren, plätschernden Wasser, welches von keiner Fabrik vergiftet wurde, war berühmt durch seine vortrefflichen Krebse. Nun war ein strenges Verbot erlassen worden, daß Niemand sich diesem Bache nähern dürfe. Und damit dieses Verbot männiglich bekannt sei, war es auf zwei Tafeln an den beiden Enden der verbotenen Zone auch schriftlich angebracht. Eines Nachmittags, als der Marquis, von seiner Viehmastung kommend, eben heimkehrte, sah er am Ufer des Baches unter einer Weide den Vater Franchart eifrig dem Krebsenfang obliegen. Der Vater Franchart war ein sehr alter, sanfter Mann, mit weißen Haaren, dem vor mehr als 16 Jahren durch einen unglücklichen Zufall der linke Arm von einem Mühlrad zermalmt worden war. Da er fortan nicht mehr arbeiten konnte, lebte er schlecht und recht, wie er eben konnte, von der öffentlichen Mildthätigkeit und wohl auch vom Krebsenfang, wenn es nichts Anderes zu thun gab.
Der Marquis ging geraden Weges auf den Vater Franchart zu und redete ihn heiteren Tones an:
– Guten Tag, Vater Franchart. Immer stramm und rüstig! Geht es Ihnen gut?
– Nicht sehr, Herr Marquis, nicht sehr. Nein, wahrhaftig, erwiderte der alte Mann, indem er hastig den Hut lüftete.
– Aber Sie klagen ja immer, fuhr der Marquis fort. Und Sie sind aufrecht und stark wie eine Eiche.
Der Vater Franchart nickte mit seinem Kopfe.
– Ach ja, wie eine Eiche! Glauben Sie das nicht, Herr Marquis. Da fehlt viel davon.
Der Marquis spreizte die Beine auseinander, hieb mit seinem Stocke das Gras rings umher und schrie in gemüthlichem Tone:
– Dieser verflixte Vater Franchart! ...
Dann fügte er hinzu:
– Und wie ist es denn mit der Fischerei?
– Sie sind sehr gütig, Herr Marquis. Es geht so sachte. Ich bin heute nicht ganz unzufrieden.
– Ach, ach! umso bester, umso bester. Und haben Sie viele Krebse gefangen?
– Meine Treu! etwa zweihundert Stück, Herr Marquis, vielleicht auch mehr.
– Oh, Sie verflixter Vater Franchart! Und sind sie schön, die Krebse?
– Es gibt keine schöneren, Herr Marquis.
– Und was sind sie werth, Ihre Krebse?
– Solche Krebse, Herr Marquis, sind wohl hundert Sous das Hundert werth. Das würde denn zehn Francs ausmachen.
– Alle Wetter! da hatten Sie heute einen guten Tag, Vater Franchart, und Sie werden sich ein feines Mittagessen gönnen.
– Ach, mein Gott, Herr Marquis, es ist schon lange her, daß mir das nicht widerfahren ist.
Der Marquis berührte mit dem Ende seines Stockes die Schulter des Greises und sagte:
– Da Ihre Krebse so schön sind, habe ich Lust sie Ihnen abzunehmen.
– Zu Diensten, Herr Marquis.
– Zeigen Sie mir sie.
Da bemerkte er halb im Grase verborgen und an eine Weide gelehnt einen Sack von grauer Leinwand, welcher mit dünnen Ruthen zugebunden war. Der Vater Franchart holte den Sack und öffnete ihn weit. Und da wurden die Krebse sichtbar, Krebse von einer schimmernden Bronzefarbe, wie sie mitten unter frisch geschnittenen Nesselblättern lustig umherkrabbelten. Der Marquis rief:
– Dieser verflixte Vater Franchart ist doch ein geschickter Mensch. In der That, sie sind schön. Nun denn, abgemacht, ich nehme sie.
Er ergriff den Sack, hielt ihn über das Wasser, kehrte ihn um und ließ die Krebse nach einander in das Wasser fallen. Einige Sekunden schwammen sie an der Oberfläche, dann verschwanden sie in der Tiefe. Bald blieb nichts mehr in dem Sack, als ein wenig Gras.
– Dieser verflixte Vater Franchart, wiederholte der Marquis, indem er den leeren Sack ins Gras schleuderte.
Der Vater Franchart war stumm vor Entsetzen. Ohne einen Schrei, ohne eine Bewegung betrachtete er den Marquis, er betrachtete ihn mit seinen runden, weitgeöffneten Augen, in welchen plötzlich zwei Thränen erschienen, die dann über sein gelbes, pergamentartiges, altes Gesicht hinabrollten.
Sah der Marquis diese zwei Thränen fallen? Vielleicht. Indem er sich anschickte, seinen Weg fortzusetzen, sagte er in halb drohendem, halb scherzendem Tone:
– Sie sollen es wissen, Vater Franchart, wenn ich Sie noch einmal dabei betrete, wie Sie meine Krebse nehmen, soll es ein anderes Lied geben. Verflixter Franchart! Auf Wiedersehen! Gehaben Sie sich wohl!
Noch am selben Abend erzählte man sich die Geschichte in ganz Norfleur und man lachte viel darüber.
– Ist dieser Marquis doch ein spassiger Herr, und gutmüthig sondergleichen, sagten die Leute.
Vor einigen Jahren war ein wackerer Mann, Namens Chomassus nach Norfleur gekommen, und hatte dort ein kleines Anwesen in der Nachbarschaft des Marquis gekauft. Dieser Chomassus, Facteur in den Pariser Hallen, hatte sich eben von den Geschäften zurückgezogen und wollte seine Tage mit seiner Frau in der ländlichen Ruhe und Poesie beschließen. Er war ein starker, wohlgenährter Mann, mit einem Dickwanst, wenig eleganten Manieren, und ziemlich schüchtern. Da der Marquis sogleich witterte, daß es für ihn in der Nachbarschaft etwas zu holen gebe, setzte er sich unverzüglich mit dem vortrefflichen Chomassus in Berührung.
Eines Tages, als der ehemalige Hallenfacteur damit beschäftigt war, gewisse Ausbesserungsarbeiten an dem alten Wohnhause zu überwachen, erschien plötzlich der Marquis.
– Mein lieber Herr, begann er, entschuldigen Sie meinen Schritt, aber Sie werden mein Nachbar sein, vielleicht mein Freund. Mir macht dies viel Vergnügen. Und ich komme denn ohne Umstände, Sie in unserer Gegend willkommen zu heißen. Es ist eine schöne Gegend, das muß ich Ihnen sagen.
Chomassus war von diesem Entgegenkommen sehr geschmeichelt. Er dankte unterthänig in verlegenen, aber erkenntlichen Worten. Der Marquis preßte ihm die Hand zum Zermalmen, indem er hinzufügte:
– Und dann, wenn Sie etwas wünschen, zögern Sie nicht. Verfügen Sie über mich in allen Dingen, deren Sie bedürfen mögen.
Und da der ehemalige Hallenfacteur sich angesichts einer solchen geräuschvollen, aber offenmüthigen Freundlichkeit in Worten der Dankbarkeit erschöpfte, sagte der Marquis:
– Das ist doch ganz natürlich, mein Lieber, unter Edelleuten geht es doch nicht anders.
Da entgegnete der wackere Chomassus schüchtern, fast beschämt:
– Ich bin ... ich bin nämlich kein Edelmann, Herr Marquis, es fehlt viel davon.
Worauf der Marquis entgegnete:
– Was reden Sie da, mein Lieber? Wenn man Herz hat, ist man ein Edelmann. Und Sie haben gewiß Herz. Man sieht das sogleich.
Als der brave Mann Abends mit seiner Frau bei Tische saß, rief er entzückt:
– Es geht ja Alles gut, wir haben einen Marquis zum Nachbar, der gar nicht stolz ist, nein, ein gutmüthiger Herr. Es ist doch ein Vergnügen, daß es solche Marquis gibt.
So oft Chomassus kam, um sich von dem Fortgang der Arbeiten an seinem Hause zu überzeugen, war er sicher, den Besuch des Marquis zu empfangen, der ihn jedesmal mit Worten der Freundschaft überhäufte.
– Das ist ja sehr chic, was Sie da machen lassen, mein Lieber. Sie haben offenbar Geschmack. Ich muß Ihnen sagen, ich beneide Sie fast um Ihr Schloß. Es verdunkelt das meinige.
– Ach, mein Schloß! sagte Chomassus, sich entschuldigend.
– Aber ja, aber ja, wenn das noch kein Schloß ist, weiß ich nicht, was ein Schloß wäre.
Er gab ihm gute Rathschläge bezüglich der Anpflanzungen, nannte ihm die besten Lieferanten der Stadt, klärte ihn über die Gewohnheiten und Sitten der Gegend auf.
– Sie müssen wissen, daß im nächsten Jahre die Gemeindewahlen stattfinden. Ich rechne dabei absolut auf Sie. Sie werden in meiner Liste obenan stehen, und wir werden dieser schmählichen, verrätherischen Regierung drollige Dinge zeigen. Denn Sie gehören doch gewiß zur Partei der anständigen Leute, der wirklichen Franzosen, zur Partei des lieben Gottes. Der liebe Gott ist kein Kosmopolit, sondern ein Franzose.
Eines Tages wollte er ihn zum Frühstück nach dem Schlosse mitnehmen. Chomassus zögerte, doch der Marquis beharrte bei seinem Wunsche.
– Ohne Umstände, mein Lieber. Unter Edelleuten ist doch dies das Wenigste. Meine Gemahlin, die Marquise, der ich immer von Ihnen erzähle, wünscht durchaus Ihre Bekanntschaft zu machen.
Chomassus bekämpfte schließlich seine Schüchternheit und nahm an. Aber er war nicht ohne Angst, denn er hatte noch niemals bei einem Marquis gespeist. Wie wird er sich bei der Tafel benehmen? Wird er keine lächerliche Figur machen? Und dann die Marquise, und die langen Bedienten! Das Herz pochte ihm sehr stürmisch, als er in das mit alten Teppichen ausgestattete Vestibül trat.
Das Frühstück war vortrefflich und verlief in einer heiteren Stimmung, wie sie der wackere Mann noch nie erlebt hatte. Die Marquise war von einer schlichten, wohlwollenden Güte, so daß er sich allsogleich heimisch fühlte. Sie interessirte sich lebhaft für seine Frau, Madame Chomassus, für seine Familie und für die Freunde seiner Familie.
Alles, was er sah, nahm ihn gefangen: die Teppiche an den Wänden, das Silberzeug auf den Schränken, ein prächtiger Trumeauschrein, welcher mit Blumen und Früchten beladen war ... Dann die beiden Bedienten, welche nicht aufhörten, aus silbernen Krügen Wein einzuschänken. Er sagte im Stillen, ganz entzückt:
– Ach, ich habe wahrhaftig Glück, daß ich in diese Gegend gekommen bin ... Und es ist doch nicht so schwer, bei einem Marquis zu speisen ... Wahrhaftig, ich hätte niemals gedacht, als einfacher Hallenfacteur meine Tage in den Schlössern und in Freundschaft mit dem Hochadel zu beschließen.
Er träumte schon sehr stolz von ganz außerordentlichen Dingen, von wunderbaren Ehrungen und Vergnügungen.
Als man den Kaffee brachte, fragte der Marquis in nachlässigem Tone den Herrn Chomassus:
– Sie haben natürlich Kutschen?
– Nein, erwiderte Chomassus, ich habe keine Kutschen und will auch keine anschaffen.
Der Marquis fuhr ganz entrüstet auf.
– Wie? rief er; aber Sie müssen Kutschen haben!
Ein wenig beschämt und erröthend erklärte Chomassus:
– Nur ein Wägelchen mit einem Esel bespannt, um die Mundvorräthe einzukaufen. Das wird uns genügen.
– Unmöglich! erklärte der Marquis in gebieterischem Tone. Ich werde das nicht zugeben, Sie müssen eine Victoria und ein Coupé haben.
– Aber, ich bitte ...
– Hören Sie, mein Lieber, mit weniger können Sie sich unmöglich begnügen.
Chomassus murmelte, wankend gemacht:
– Sie glauben?
– Das ist unerläßlich, mein Lieber; und Sie gefallen mir dermaßen, ich bin so glücklich, Sie zum Nachbar zu haben, daß ich für Sie ein Opfer bringen will.
– Ach, Herr Marquis.
– Ein sehr großes Opfer. Ich habe ein Coupé und eine Victoria. Beide Wagen sind fast neu, von letztem Modell und wunderbarer Fabrikation. Nun denn, wenn die Marquise einwilligt, will ich Ihnen diese beide Wagen überlassen.
– Ach, Herr Marquis! ...
– Mein Gott, unter Edelleuten ... Diese beiden Wagen haben mir 5000 Francs gekostet und sie sind kaum benützt worden. Ich überlasse Ihnen dieselben um 2000 Francs per Stück, zusammen 4000 Francs. Das ist ein wahnsinnig geringer Preis. Aber das thut nichts. Wenn ich Sie mit Madame Chomassus darin ausfahren sehen werde, so werde ich mir einbilden können, daß sie noch immer mir gehören. Ich werde sie Ihnen sogleich zeigen. Kein Wagen! mein Lieber; was würde man von Ihnen in der Gegend halten? Nein, das geht nicht. Und ich habe auch zwei prächtige Kutschierpferde, die ich Ihnen um ein Spottgeld, fast umsonst überlassen will ...
Indem er ihm auf die Schulter schlug, fuhr der Marquis fort:
– Ein wunderbares Gespann, mein Lieber. Was wollen Sie? Das macht mir Vergnügen. Ich bin schon so. Man hat ja im Leben nicht gar so oft Gelegenheit, wackeren Leuten einen Dienst zu erweisen.
Und mit wonnestrahlendem Gesichte und Geberden höchster Freundschaft fügte er hinzu:
– Merken Sie sich Folgendes: Die Dinge, die man Freunden gibt, machen Einem hundertmal mehr Vergnügen, als jene, die man von ihnen empfängt ... Sehen Sie, so bin ich.
Chomassus konnte sich kaum fassen, er nickte mit dem Kopfe und sagte:
– Schließlich, Herr Marquis, wenn Sie glauben ...
– Parbleu, ob ich glaube! Noch ein Gläschen Cognac gefällig? Dann gehen wir nach den Remisen, mein Lieber, Sie werden paff sein, das verbürge ich Ihnen.
Doch plötzlich ward er nachdenklich und indem er zu seiner Gemahlin hinüberblickte, welche in einer Zeitung blätterte, sagte er:
– Vorausgesetzt, daß die Marquise sich dem nicht widersetzt, denn diese beiden wunderbaren Wagen hatte ich für ihren Dienst bestimmt ...
Die Marquise erwiderte lächelnd und in liebenswürdigem Tone:
– Einem Andern würde ich sie nicht überlassen, aber Herrn Chomassus kann ich nichts abschlagen.
Chomassus ward immer mehr verlegen. Gewiß, es verdroß ihn, sich zwei so kostbare Wagen aufzuladen. Das wird die Aufnahme eines Kutschers nöthig machen und die Fütterung von zwei Pferden ... Das war für ihn zu theuer und vielleicht auch zu luxuriös ... Aber wie sollte man eine in so zarter Form dargebotene Gelegenheit von sich weisen ... Er hätte der letzte der Tölpel sein müssen ...
– Fürwahr, Sie bringen mich in Verwirrung, Frau Marquise, stammelte Chomassus.
– Bah, unter Edelleuten ... sagte der Marquis.
Dann fügte er hinzu:
Und sie verließen Arm in Arm den Salon.
Der Marquis besaß ein altes Coupé und eine noch ältere Victoria, deren er seit zehn Jahren sich vergebens zu entledigen trachtete. Es waren Kutschen von altmodischer, lächerlicher Form. Sie waren auch nicht mehr brauchbar; die abgenützten und verkrümmten Federn vermochten die aus den Fugen gerathenen, halb morschen Kästen kaum mehr zu tragen. Bei der geringsten Bewegung der Räder begannen diese antiken Vehikel zu schwanken, wie alte Greise mit den Köpfen wackeln. Der Stoff, mit welchem die Sitze bekleidet waren, war einst blau, doch unter der Einwirkung des Alters und der Staubschichten, die darauf lagerten, hatte er eine Farbe angenommen, die ins Grünlich-gelbe spielte. Die Fenster und Vorhänge der Wagenthüren funktionirten nicht mehr. Kurz: die beiden Wagen waren selbst für provinzielle Eisenbahnfiaker zu schlecht.
Vergebens hatte der Marquis sie zu lächerlichen Preisen aller Welt zum Kauf angeboten. Mehrere Jahre hindurch hatten sie als ganz ausnahmsweise Gelegenheitskäufe in den kleinen Anzeigen der Zeitungen figurirt. Wenn sich dann und wann, durch die verführerischen Beschreibungen angelockt, ein Käufer im Schlosse einstellte, so ergriff er beim Anblick der beiden Wagen augenblicklich die Flucht. Doch der Marquis verzagte nicht. Er ließ die Wagen von Zeit zu Zeit durch den Schmied des Ortes in Stand setzen und durch den Anstreicher neu tünchen, dann ließ er die alten Hüllen über die beiden Kutschen breiten.
– Denn, sagte er sehr oft, es ergibt sich immer Gelegenheit, die Leute »hereinzulegen«, man muß nur Geduld haben.
Diese weise Sentenz hatte er sein Leben lang praktizirt und er hatte sich dabei wohl befunden. Bei der Begegnung mit dem vortrefflichen Chomassus hatte er mit seiner guten Witterung sogleich gespürt, daß dieser brave Mann die erwartete Gelegenheit sei.
Als die beiden Männer sich Arm in Arm nach den Remisen begaben, war der Marquis bemüht, durch heitere Worte, drollige Geschichten und kräftige Schläge auf die Schulter den ehemaligen Hallenfacteur zu betäuben, welcher durch das gute Diner, durch das verbindliche Lächeln der Marquise und das herzliche und gemüthliche Entgegenkommen des Marquis schon ganz weich gemacht worden war. Und unterwegs bewunderte Chomassus die großen Rasenplätze, die herrlichen Blumenbeete, die riesigen Baumdickichte des Parkes. Als sie bei einem Tennis-Spielplatz vorüberkamen, fragte der Marquis:
– Lieben Sie das Tennis-Spiel? ... Und Madame Chomassus liebt es ohne Zweifel ebenfalls. Ich mache Sie aufmerksam, daß meine Frau darin sehr stark ist. Sie werden sie nicht leicht besiegen.
Dann, als sie weiter gingen, fuhr er fort:
– Oh, mein Lieber, ich bin wirklich glücklich, daß Sie diese ausnahmsweise Gelegenheit benützen. Es freut mich sehr, daß Sie sie bekommen; so ein guter Nachbar! Was ist es nur, daß Sie mit mir Alles machen können, was Sie wollen? Sie verflixter Chomassus! Und mich rührt man sonst nicht leicht. Ich kenne mich aus in der Welt. Aber Sie! ... Sie haben mich sogleich entwaffnet.
Chomassus unterbrach ihn von Zeit zu Zeit, um ihm zu danken:
– Ach, Herr Marquis! Herr Marquis! wiederholte er stammelnd.
Und der Marquis replizirte:
– Ja, wahrhaftig. Sie haben es mir angethan. Ihnen kann man nichts abschlagen. Alle Welt in der Gegend wird Sie beneiden.
– Mich beneiden? stotterte der arme Mann.
– Jawohl, Sie beneiden ... Sie begreifen, diese wunderbaren Kutschen habe ich aller Welt für 5000 Francs verweigert und Ihnen überlasse ich sie für 2000 Francs pro Stück. Die Leute werden wüthend sein, aber was liegt daran? Wir kümmern uns nicht um sie. Und Sie müssen wissen, mein Freund, das sind historische Wagen ...
Der Mann riß die Augen auf.
– Historische Wagen? fragte er. Ach, gehen Sie! ...
– Aber gewiß, diese Wagen haben die Ehre gehabt – aber schwören Sie mir, Niemandem ein Wörtchen davon zu sagen –
– Ich schwöre!
– Nun denn: diese Wagen haben vor fünf Monaten die Ehre gehabt, den Herrn Herzog von Orleans von Havre abzuholen und dahin zurückzuführen. Ja, Sapristi, den Herrn Herzog von Orleans, welcher die Gnade hatte, in der größten Heimlichkeit mich zu besuchen und einige Tage bei mir zu verbringen.
Immer mehr erstaunt und vor Verwunderung schier erstickend, stammelte Chomassus:
– Ach, der Herzog von Orleans! Wirklich?
– Gewiß, mein Lieber, er selbst. Wenn er wiederkommt, werde ich Sie ihm vorstellen ... Aber sagen Sie Niemandem ein Wort davon!
– Ach, Herr Marquis!
– Und wissen Sie, was der Herr Herzog von Orleans mir gesagt hat? Er hat mir gesagt: »Ich bin mit Ihren herrlichen Kutschen dermaßen zufrieden, Herr Marquis, daß ich keine anderen benützen will, wenn ich zu meinem Volke zurückkehre ...« Und wissen Sie, was ich dem Herrn Herzog von Orleans geantwortet habe? Ich habe ihm geantwortet: »Monseigneur, das wird für meine Kutschen eine ewige Ehre sein, aber Sie können das nicht thun; nicht zu Wagen dürfen Sie unter Ihr Volk zurückkehren, sondern zu Pferde. Jawohl, Monseigneur, zu Pferde ...« Ist das nicht auch Ihre Meinung, Chomassus?
– Gewiß, gewiß, Herr Marquis, zu Pferde.
– Parbleu, ich war sicher, daß dies Ihre Meinung sei.
Er fuhr fort:
– Dann ergriff der Herr Herzog von Orleans meine Hand, drückte sie in seiner königlichen Hand und sagte mir mit von Bewegung zitternder Stimme: »Ja, ja, zu Pferde muß ich unter mein Volk zurückkehren. Sie haben Recht. Sie sind ein guter Diener!« Nun, was halten Sie davon? ... Da sind Ihre Kutschen ...
Sie näherten sich den Remisen, der Marquis blieb stehen, legte seine Hand auf die Schulter Chomassus' und sagte:
– Es sind fast königliche Kutschen. Sie sind ein Glückskind, mein alter Chomassus!
Der ehemalige Hallenfacteur glaubte zu träumen. Throne, Königreiche, Purpurmäntel, Scepter führten einen tollen Tanz in seinem Schädel auf. Und da der Marquis fortfuhr, ihn an der Schulter zu schütteln, hauchte er seufzend:
– Niemals, Herr Marquis, niemals werde ich es wagen, in diese Kutschen zu steigen ...
– Muth, Muth, mein Lieber! rief der Marquis. Sie werden darin prächtige Figur machen und Madame Chomassus wird sich darin großartig ausnehmen. Lassen Sie mich nur machen. Ich will, daß Sie durch Ihren Chic die ganze Gegend in Erstaunen versetzen ...
Jetzt erschien ein Stallknecht.
– Öffne die Remise, befahl der Marquis, die Remise der königlichen Kutschen des Herrn Herzogs von Orleans.
Chomassus war sehr bewegt, sein Herz pochte stürmisch. Er war bewegt und sein Herz pochte stürmisch bei dem Gedanken, endlich die herrlichen Kutschen zu sehen, welche einen Prätendenten, fast einen König geführt hatten. Er versuchte sich jene Kutschen vorzustellen, die fast ein Thron waren und die vielleicht eines Tages unter dem Jubel des Volkes von Boulogne bis Paris rollen werden. Sie mußten vergoldet und herrlich sein, ihre Seitenfelder mit königlichen Emblemen bemalt, ihre Sitze breit und hoch und mit Lilien bestickt, wie ein königliches Bett und hintenauf große, starke Heiduken, mit gepuderten Perrücken, mit Gold bedeckt, die Füße mit Seidenstrümpfen und Schnallenschuhen bekleidet. Und die ziselirten Lampen und die geschmeidigen, wiegenden Federn, die in Schwanenhälsen endigen. Und er, der sich bisher für einen guten Republikaner gehalten, entdeckte in sich plötzlich eine monarchistische Seele. Jawohl, das Heil Frankreichs, das Heil des französischen Handels hängen von der Wiederherstellung der Monarchie ab. Man muß zu den Traditionen, zu den Hoffesten, zu den glänzenden Uniformen, zu allem prunkvollen Luxus des Königthums oder des Kaiserreiches zurückkehren. In diesem Augenblicke fühlte er lebhafte Mißachtung für die bürgerliche Einfachheit der Republik. Als guter Pariser Patriot empfand er im Innersten die lächerliche Armseligkeit der Landauer des Herrn Loubet. Und er sagte sich in seiner Demuth: »Der Marquis ist sehr gütig zu mir. Um einen lächerlichen Preis überläßt er mir Kutschen von historischer Bedeutung, um welche einst alle großen Museen Europas streiten werden. Das ist eine große Ehre und es macht mich sehr stolz. Aber ich bin auch ein praktischer Mensch. Was werde ich mit diesen Kutschen anfangen? Niemals werde ich es wagen, mich ihrer zu bedienen. Und vollends meine Frau! ... Mit ihrem rothen Gesichte, mit ihrem großen Bauch und mit ihrer großen Brust wird Madame Chomassus niemals wagen, sich da hineinzusetzen ... Daran ist nicht zu denken ... Die Sache ärgert mich ... Ach, dieser gute Marquis, der mir so wohl will ... warum will er mir nicht lieber eine englische Charrette verkaufen, oder meinetwegen ein kleines Korbwägelchen, mit einem Pony, leicht zu lenken. Ich würde das vorziehen, es wäre doch eher meine Sache.
Als der Marquis seinen Nachbar so nachdenklich sah, drängte er ihn vorwärts und rief:
– Nun, woran denken Sie, Chomassus?
Chomassus erwiderte:
– Ich denke, Herr Marquis, ich denke, daß bei meiner Position ein Korbwägelchen mit einem kleinen Pony, leicht zu lenken ...
Doch der Marquis unterbrach ihn mit einem lauten Lachen. Und indem er ihn an der Schulter schüttelte, sagte er mit freundschaftlicher Rohheit:
– Verflixter Chomassus! Sie sind doch ein drolliger Kerl. Ein solcher Gelegenheitskauf! Ein einziger, ausnahmsweiser, nie wiederkehrender Gelegenheitskauf. Lassen Sie sich von mir leiten, ich weiß, was Sie benöthigen. Aufgepaßt! Das ist der Moment!
In der That, das war der Moment.
Ihrer Hüllen entledigt, standen die Kutschen endlich da, in ihrer ganzen historischen Majestät.
Anfänglich wollte Chomassus seinen Augen nicht trauen. Der Marquis täuscht sich sicherlich, sagte er sich. Diese alten, wackeligen Karren, diese vorsintfluthlichen Fiaker sollen die wunderbaren königlichen Kutschen des Herrn Herzogs von Orleans sein! Nein, das ist unmöglich.
Mit weit offenen Augen und zu einer Grimasse verzogenem Munde betrachtete er die Kutschen ... Dann lenkte er die erstaunten Blicke zum Marquis, wie um von diesem eine Protestation oder doch wenigstens eine Erklärung zu verlangen. Allein die Physiognomie des Marquis drückte nichts dergleichen aus. Fest auf seinen Beinen, die Fäuste auf die Hüften gestemmt, wiegte er sich behaglich, mit einer durchaus aristokratischen Behaglichkeit, und lächelte wie Einer, dem es Vergnügen macht, vor einer so schönen Sache zu stehen.
– Nun, mein alter Chomassus, fragte er endlich, was sagen Sie von meinen Kutschen? sind sie herrlich?
Und da der verblüffte Chomassus nicht mit der gebührenden Eile antwortete, fügte er hinzu:
– Finden Sie sie etwa nicht herrlich, Chomassus?
– Doch, doch, stammelte der arme Mann, sie sind herrlich.
– Letztes Modell, mein Lieber. Es gibt nicht zwanzig solche Wagen im Verkehr.
– Ach, Sie glauben?
– Aber natürlich, mein Lieber!
Chomassus ermannte sich so weit, daß er den Griff eines Wagenschlages faßte und den Wagen zu schütteln begann. Die Federn knirschten, der Kasten krachte in allen Fugen. Chomassus glaubte, die Kutsche müsse ihm jeden Augenblick auf die Brust stürzen.
– Hei, sind das Federn! rief der Marquis. Ein wunderbarer Stahl! Das ist so geschmeidig, wie frisch geölt. Man sitzt da drinnen wie in einem Bett.
– Ach, Sie glauben?
– Aber gewiß!
Dann, mit verändertem Tone fügte er hinzu:
– Aber was sollen die vielen Fragen, Chomassus? Schauen Sie mich ein wenig an! Gerade ins Gesicht! Sehe ich aus, wie ein Herr, der die Leute »hereinlegt?« Unter Edelleuten kommen solche Dinge nicht vor, mein Lieber.
Chomassus entschuldigte sich in demüthigem Tone und inzwischen gelang es ihm, den Schlag zu öffnen. Das Innere des Wagens schien ihm noch armseliger und verfallener als das Äußere. Und er murmelte:
– Die Polster scheinen mir ganz verschossen.
– Verschossen! rief der Marquis. Sie sind toll, mein Lieber. Das ist ganz neu, das ist grün, empire-grün, die letzte Mode.
– Ach! ...
Und indem Chomassus dieses »Ach« ausstieß, hob er den Teppich, der den Rücksitz bedeckte ... und dabei bemerkte er zwei kleine, kreuzförmig angebrachte Eisenstäbe von plumper Schmiedearbeit, welche die Bestimmung hatten, das vermorschte, aus den Fugen gerathene, in Staub zerfallende Holzgestell zusammenzuhalten.
– Aber schauen Sie doch, Herr Marquis! bat Chomassus, schauen Sie das an!
Der Marquis war keinen Augenblick verlegen.
– Das, sagte er, ist das Kreuz von Binder.
– Wie sagten Sie?
– Das Kreuz von Binder, Herr Chomassus. Kennen Sie nicht das Kreuz von Binder?
– Aber Herr Marquis, flehte der Hallenfacteur.
– Das ist die neueste Neuheit von Binder, das ist die eigentliche Marke, die Signatur.
Ach, der arme Chomassus, was hatte er noch zu lernen!
Und der Marquis warf den Schlag zu.
– Sie haben wahrhaftig Glück, das kann man sagen. Und erst mein Wappen am Wagenschlag! Sie können sich desselben bedienen. Ich gebe Ihnen die formelle Ermächtigung dazu. Verflixter Chomassus! Kommen Sie jetzt die Pferde besichtigen.
Chomassus sah die Pferde und kaufte sie. Er sah auch die Pferdegeschirre und kaufte sie gleichfalls. Und die Pferde brachen die Kniee bei der ersten Ausfahrt und die Geschirre, deren Leder verfault war, rissen in Stücke ... Was die Kutschen betrifft, so mußte er zuerst die Räder, dann die Achsen, dann die Kästen durch neue ersetzen. Die Geschichte kam ihm auf 9500 Francs zu stehen.
Und er sagte sich:
– Gleichviel: ein Korbwägelchen mit einem Pony davor wäre mir doch lieber gewesen.
Und er ward wieder gemäßigter Republikaner und hatte genug mit dem Marquis und dem königlichen Pomp, mit den Luxuskutschen und dem Kreuz von Binder. Und er sagte sich wüthend:
– Wenn die Monarchie den Handel in solcher Weise zur Blüthe bringen will, dann danke ich dafür.
Er mußte noch erleben, daß in Norfleur alle Welt ihn auslachte.
– Ist der aber spassig, unser Marquis, sagten die Leute.
Und diesen Ausruf höre ich auch hier wieder aus dem Munde von Clara Fistule, von Triceps, von aller Welt. Ich höre ihn im Hotel, welches den Marquis von Portpierre unentgeltlich beherbergt und im Kasino, welches seine kostspieligen Vergnügungen bestreitet. Und wenn ich ihn vorüberkommen sehe, schamlos in seiner Heiterkeit, in seiner Vertraulichkeit, in seinem Glücke, so denke ich an den armen, mageren, schüchternen sozialistischen Kandidaten, den dieser Edelmann mit dem Charakter eines Pferdemaklers unerbittlich aus dem Orte jagte, indem er die ganze Bevölkerung gegen ihn aufhetzte: »Nieder mit den Verräthern!«