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IX.

Clara Fistule suchte mich heute Morgens auf. Nebst anderen Geschichten erzählte er mir auch, daß der Oberst Baron von Présalé hier Tag und Nacht am Baccarattisch verbringt ... Die Verwaltung des Kasinos duldet, daß der tapfere Oberst von Zeit zu Zeit ein wenig mogelt ... Bei jedem Streich spendet sie ihm einen Louisdor, den sie sodann den Bankhaltern ersetzt ...

– Was soll man thun? erklärte mir Clara Fistule. Zunächst kommt doch die Achtung vor der Armee und dann ist es doch keine bedeutende Geschichte. Das zählt unter die Generalspesen ...

Als gestern seine Seite gewann, warf der unerschütterliche Oberst lebhaft eine Hundertfrancs-Note auf das grüne Tuch und erklärte, als die Reihe ausbezahlt zu werden an ihn kam:

– Ich habe die Banknote gesetzt ...

Der Croupier zauderte, er wußte nicht, was er thun sollte ...

– Aber, Herr Oberst? stammelte er.

– Nun was denn? ... Was denn? ... Wissen Sie vielleicht nicht, was eine Hundertfrancs-Note ist ... Himmelsakrament? ...

Da beugte sich der Spieldirektor, der gerade hinter dem heldenhaften Soldaten gestanden hatte, über ihn, klopfte ihn discret auf die Schulter und äußerte leise:

– Achtung, Herr Oberst ... Sie überschreiten die Grenze ... Sie überschreiten die Grenze ...

– Meinen Sie? antwortete der Oberst. Ah! Donnerwetter!

Dann wandte er sich an den Croupier:

– Nur ein Louis gilt von der Banknote, Sie Schreihals ...

Wie man sieht, ist er der richtige Typus eines Soldaten ...

Zuweilen besuchte mich der Oberst am Vormittag, als die Affaire Dreyfus im vollsten Gange war ... Hustend, spuckend und fluchend betrat er mein Zimmer ... Unsere Unterhaltung nahm gewöhnlich folgenden Verlauf:

– Na also, Herr Oberst?

– Na also, so geht's! ... Ich athme wieder ein bischen auf, wie Sie sehen ... Aber ich habe eine tolle Zeit durchzumachen gehabt ... Ah! Himmeldonnerwetter!

– Ihr Patriotismus ...

– Es handelt sich nicht um meinen Patriotismus ... es handelt sich um meinen Grad ...

– Das kommt doch auf das Gleiche heraus ...

– Selbstverständlich kommt das auf das Gleiche heraus ...

– Na also?

– Na also, schön ... Ich glaubte vierzehn Tage lang, daß diese Kerle mir meinen Grad entziehen würden ... auf Ehre! ...

– Na kurz, heute geht es Ihnen aber besser? ... Nun sind Sie beruhigter?

– Beruhigter ... beruhigter? ... Na ja, kurz ... man kann ein bischen aufathmen, weiter nichts ... Ja, aber man muß Acht geben, Himmelsakrament! ...

In diesem Augenblick wurde der Oberst nachdenklich; sein Blick schien unter den unruhig zwinkernden Borsten der Augenbrauen die Zukunft zu durchdringen ... Ich fragte ihn unvermittelt:

– Werden Sie wiederum in Ihren Tagesbefehlen die Civilisten als gemeine Schweinigel bezeichnen und erklären, daß Sie Ihren tapferen Degen in den Bauch der Kosmopoliten rennen würden?

– Ei verflucht! Machen Sie keine schlechten Witze! Man muß doch zunächst den Hammel pissen sehen. Wenn es da gut geht, das heißt, wenn die Regierung nur ein Spiel treibt ... Ah! dann stehe ich Ihnen dafür ein, daß ich diesen Kosmopoliten gepfefferte Tagesbefehle in die Schnauze hauen werde ...

– Und wenn der Hammel verstopft ist, Herr Oberst?

– Was meinen Sie damit?

– Ich meine, wenn die Regierung in ihrer festen Haltung beharrt, wenn sie ernste Abwehrmaßregeln gegen militärische Aufreizungen trifft?

– Dann ist es natürlich eine ganz andere Geschichte ... dann wird Kehrt gemacht, mein Sohn. Oder ich erkläre ihnen, daß ich vor dieser Sau von Gesetzgebung Hochachtung habe; daß ich dieser Schneppe von Republik gehorchen werde ... Bin ich Soldat, ja oder nein? Also nicht gemuckst in den Reihen: Vorwärts marsch, links! ...

Melancholisch fügte er noch hinzu:

– Ach ja! In dem Kriegerhandwerk ist man auch nicht immer auf Rosen gebettet. Man muß seinen Säbel verschlucken, Himmelsakrament! ... und zwar häufiger, als Einem lieb ist. Aber was kann man thun! Man kann sich eben nicht anders helfen. Der Patriotismus ...

– Der Oberstengrad ...

– Das kommt ja auf's Gleiche heraus.

Der tapfere Oberst ging im Zimmer auf und ab und zerkaute seine Zigarre, aus der er nur noch schwache Rauchwolken zog. Zwischen jedem Zuge wiederholte er:

– Frankreich ist aufgeschmissen, Himmelsakrament. Frankreich befindet sich in den Klauen der Kosmopoliten.

– Sie haben immer das Wort »Kosmopoliten« im Munde. Wäre es indiskret, wenn ich Sie einmal fragte, was Sie eigentlich genau darunter verstehen?

– Unter den Kosmopoliten?

– Ja, ich bitte Sie darum, Herr Oberst ...

– Ja, was weiß ich? Gemeines Gesindel ... verfluchte Schweinigel, Verräther und vaterlandslose Hallunken.

– Sehr richtig ... aber was sonst noch?

– Bestochenes Gesindel. Freimaurer. Aasfliegen ..., kurz Civilisten!

– Drücken Sie sich deutlicher aus, Herr Oberst.

– Na also: Mistbuben! Himmelsakrament.

Der Oberst zündete seine Zigarre wieder an, die vollständig unter der wüthenden Fluth dieser sprachforscherischen Erklärungen ausgegangen war. Dann fuhr er fort:

– Und wissen Sie schon, was man allgemein erzählt? Galliffet will die Uniformen in der Armee abschaffen ... Wußten Sie das schon?

– Nein, wahrhaftig nicht!

– Es heißt, er will zuerst mit den Hosen anfangen, die bei der Parade am 14. Juli ad libitum getragen werden dürften. Weiße Hosen, blaue Hosen, karrirte Hosen, Sammthosen, Radfahrhosen. Und für die Offiziere ist der Cylinder vorgeschrieben. Keine weißen Federn mehr ... Kein Helmbusch. Ein ausgezeichneter Witz. Da kann ja lieber gleich die ganze Armee abgeschafft werden. Denn was ist eigentlich die ganze Armee? Der Helmbusch, Himmelsakrament! Wie sollte man denn künftig einen Civilisten von einem Soldaten unterscheiden können?

– Es gibt doch noch andere Dinge, Herr Oberst, durch die sich Civilisten von Soldaten unterscheiden?

– Und was erzählen die Zeitungen noch für ein Zeug? Daß Dreyfus nach Frankreich zurückgekehrt sei?

– Ja, sicher, Herr Oberst.

– Na also, diese Geschichte ist stark! Das ist zu toll! Das übersteigt alle Grenzen!

– Aber da er doch unschuldig ist?

– Unschuldig? Ein Jude ... ein dreckiger Mauschel? Machen Sie mir doch keine Geschichten vor! Und wenn das der Fall wäre, was kümmert mich das? Was kümmert uns das? Unschuldig! ... Na und wenn auch? ... Das ist doch kein Grund?

– Aber, aber, Herr Oberst!

– Es gibt kein Aber ... Ist Dreyfus verurtheilt worden? Ja ... Von einem Kriegsgericht? Ja ... Ist er Jude? Ja ... Na also, dann soll er uns ungeschoren lassen ... Ach, wenn wir statt einer kosmopolitischen Regierung eine Regierung von wirklichen Patrioten hätten, würde man diesen Viechskerl rasch nach seiner Insel zurückbefördern! ... Vorwärts marsch! Eins, zwei! ... Unschuldig! ... Zunächst ist ein Lümmel, der sich unschuldig zu sein erlaubt, ohne den ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten zu haben, ein Viechskerl, verstehen Sie ... ein gemeines Individuum, ein miserabler Soldat ... Und was für ein Gesicht macht eigentlich dieser elende Verräther?

– Zuerst erzählte man, er sei sehr verändert und höchst niedergeschlagen ...

– Possen! Ist ein Unschuldiger jemals niedergeschlagen? Bin ich zum Beispiel niedergeschlagen? Ach was! ... Wenn man von seiner Unschuld überzeugt ist, so bekennt man sie, man schreit sie in die Welt hinaus, Himmelsakrament! Zum Teufel, man fürchtet sich doch nicht! Man trägt den Kopf hoch ... nach Soldatenbrauch.

– So hält es Dreyfus auch ganz genau, Herr Oberst. Denn die ersten Nachrichten waren falsch. In Wirklichkeit zeigt sich Dreyfus voll ruhiger Sicherheit und kampfbereit ...

– Ein Trotzkopf also? Ein Rebell? ... Ei verflucht, das sagte ich ja gerade ... Wenn man unschuldig ist, benimmt man sich nicht unverschämt und will nicht mit dem Kopf durch die Wand. Man wartet traurig gefaßt, läßt den Kopf hängen, rührt sich nicht in den Reihen und hält die Schnauze. Und dann, da liegt überhaupt der Hund begraben ... Ob er unschuldig oder schuldig ist, jedenfalls muß er niedergemacht werden ... Dagegen läßt sich nicht streiten, sonst ist Frankreich gänzlich aufgeschmissen ... Sehen Sie zum Beispiel, was mir zugestoßen ist. Freunde von mir, die einen Rennstall haben, arrangirten eines Tages ein Match ... ein bedeutendes Match, Himmelsakrament! ... Sie hatten mich wegen meiner wohlbekannten Unparteilichkeit zum Schiedsrichter erwählt ... Wir fuhren also nach Maisons-Laffitte. Die Gäule starten ... Was nun geschehen ist, weiß ich nicht. Vielleicht flirrte mir etwas vor den Augen? Das ist schon möglich ... Jedenfalls bezeichnete ich das zuletzt angelangte Pferd als Sieger ... Meine Freunde reklamirten, tobten und spielten sich wie Verrückte auf ...

– Nun und, Herr Oberst?

– Nun und, mein Sohn, ich habe mein Urtheil unentwegt aufrecht erhalten ... Ich habe sie zum Teufel gejagt, indem ich sie anschnauzte: »Ich habe mich getäuscht, das stimmt ... ich muß falsch gesehen haben ... das will ich zugeben ... aber scheren Sie sich zum Henker und lassen Sie mich ungehobelt! ... Wenn ich ein Civilist, ein dreckiger Kosmopolit wäre, würde ich den Sieg dem Gaul, welcher wirklich gewonnen hat, zuerkennen, oder ich würde das Rennen ungiltig erklären ... Aber ich bin ein Soldat ... und ich urtheile nach Soldatenart ... Disciplin und Unfehlbarkeit! Die Geschichte bleibt wie sie ist ... Abtreten!« ... Und sie traten wirklich ab.

– Allein, Herr Oberst ... die Gerechtigkeit ...

Der tapfere Oberst zuckte die Achseln, dann kreuzte er die Arme über der mit Orden und Auszeichnungen bedeckten Brust und erklärte:

– Die Gerechtigkeit? ... Sehen Sie mich doch nur ein bischen an ... Nehme ich mich wie ein dreckiger Civilist aus? ... Himmelsakrament! ... Bin ich Soldat oder nicht?

– Ach, Herr Oberst! entgegnete ich ... ich fürchte, Sie sind Ihrem Grade sogar überlegen.

– Das macht nichts ... schrie der tapfere Krieger, der wieder im Zimmer auf und ab zu gehen begann, indem er auf die Möbel losschlug und die Stühle mit Fußtritten bedachte ... wobei er aus voller Kehle heulte:

– Tod den Juden! ... Tod den Juden! ...

Heute Abend führte der Oberst Baron von Présalé den Vorsitz bei einem Banket, das von den Badegästen aus den Kolonien und den Patrioten, die eine Kur in X. durchmachten, zu Ehren des Generals Archinard, »unseres berühmten Gastes«, wie sich das Fremdenblatt ausdrückt, gegeben wurde. Dieses Ereigniß fand im Restaurant des Kasinos statt. Das Banket verlief glänzend. Unzählige glutherfüllte Toaste begleiteten es. Der Oberst war wie immer beredt und kurz.

Vive la France, Himmelsakrament! rief er, indem er sein Glas erhob ...

Wenn wir nicht auf einen Hieb Ägypten erobert, die Engländer aus Faschoda, die Deutschen aus Elsaß-Lothringen und die Ausländer aus allen Orten vertrieben haben ... so war das nicht die Schuld der Banket-Theilnehmer ...

Einige Jahre vorher ließ der General Archinard, von dem Wunsche beseelt, seinem Ruhme als Soldat auch ein wenig schriftstellerischen Ruhm hinzuzufügen, in der » Gazette Européenne« eine Reihe von Artikeln erscheinen, in denen er seine Kolonisationspläne auseinandersetzte. Diese Pläne waren einfach, doch großartig. Ich will ihnen nur die folgenden Erklärungen entnehmen:

»Je mehr man Schuldige oder Unschuldige trifft, desto beliebter macht man sich.«

Und an einer anderen Stelle:

»Der Säbel und der Knüppel sind mehr werth als alle Verträge in der Welt.«

Und noch anderweitig:

»… indem man erbarmungslos massenhaft niedermetzelt.«

Da ich diese Gedanken, wenn nicht neu, so doch wenigstens an sich interessant fand, begab ich mich zu dem tapferen Soldaten, erfüllt von dem patriotischen Wunsche, ihn zu interviewen. Es ist kein leichtes Ding, bis zu diesem berühmten Eroberer vorzudringen, ich mußte lange Zeit parlamentiren. Glücklicherweise hatte ich mir »an hoher Stelle« Briefe und Empfehlungen verschafft, vor denen selbst ein Held von seinem Schrot und Korn sich beugen mußte. Der General zeigte dann nur der Form halber einen übrigens recht schwächlichen Widerstand und ließ mich schließlich vor ... Gott weiß, wie heftig mir das Herz klopfte, als ich in sein Arbeitszimmer geführt wurde.

Ich muß bemerken, er nahm mich mit all dieser reizvollen Rauheit auf, die man bei den Herren Soldaten Herzlichkeit nennen kann. Es ist eine vertrauliche, ungenirte Herzlichkeit, die dem Geiste jedes Franzosen, der die Werke des Herrn Georges d'Esparbès gelesen hat, gefällig erscheint. In einen rothen Burnus gekleidet, saß er auf einem Tigerfell und rauchte nach arabischer Sitte eine riesige Wasserpfeife. Auf seine Einladung, Platz zu nehmen, die kurz wie ein Kommandowort, ein Vorwärts marsch ... eins ... zwei! ... klang, setzte ich mich auf ein einfaches Schaffell, ihm gegenüber, und konnte mir nicht verkneifen, beim Befolgen seiner Befehle tiefe Bewegung zu fühlen; denn in meinem Inneren zog ich aus dem hierarchischen Unterschiede dieses Pelzwerks großartige philosophische Schlüsse, aber auch wenig tröstliche Vergleiche.

– Civilist? Soldat? Was denn? Was sind Sie eigentlich? ...

So lauteten die rasch aufeinanderfolgenden Fragen, mit denen mich der General bestürmte.

– Landwehrmann! antwortete ich versöhnlich.

– Ein: Peuh! das vielleicht auch ein: Pfui! war, kam von seinen Lippen mit verächtlichem Schnalzen und sicherlich hätte ich allein infolge dieses ungeschminkten zweifelhaften Eingeständnisses eine sogenannte ärgerliche Viertelstunde durchzumachen gehabt, wenn nicht eine Art von kleinem, malerisch kostümirtem Negerbengel in diesem Augenblick mit einem Tablett, auf dem sich zahlreiche Flaschen und Gläser befanden, eingetreten wäre. Die ruhige Stunde, da die Helden zur Tränke gehen, war gekommen.

Ich fühlte große Freude im Herzen, daß ich zu dieser Vorsehungsstunde des Absinths eingetroffen sei.

– Syrup? Curaçao? Was denn? fragte mich in seinem gewohnten abgekürzten Verfahren der glorreiche Soldat.

– Reinen Absinth, Herr General.

Und ich sah an dem zustimmenden Lächeln, mit dem diese martialische Erklärung aufgenommen wurde, daß ich mir das Wohlwollen und vielleicht die Achtung des großen sudanesischen Civilisators erobert hatte.

Während der General gemäß peinlich genau befolgter Vorschriften die appetitverschaffenden Getränke zubereitete, prüfte ich das Zimmer rings um mich herum. Es war sehr dunkel. Orientalische Stoffe schmückten die Fenster und die Thüren in etwas altmodischer Art, was ein wenig zu sehr den türkischen Bazaren der Ausstellung glich, wenigstens für meinen Geschmack. An der Wand glänzte eine Waffendekoration von schrecklichen Mordinstrumenten ... Auf dem Kaminsims erhob sich zwischen zwei Vasen, in denen sich an Stelle der Blumen menschliche Skalphäute befanden, ein präparirter Jaguarkopf, der zwischen seinen reißenden Zähnen eine Glaskugel hielt, in deren Mitte eine winzige Uhr die Stunden zeigte.

Was aber am meisten meine Aufmerksamkeit auf sich zog, waren die Wände selbst. In ihrer ganzen Breite waren sie mit einem Leder ausgeschlagen, einem eigenartigen, fein gegerbten Leder, das sehr dünn erschien und dessen grünliches, stellenweise goldig glänzendes Gewebe mir, ich weiß nicht weshalb, einen gewaltigen Eindruck machte, einen so eigenartigen Eindruck, daß mir fast unwohl zu Muthe wurde. Von diesem Leder ging ein seltsamer Geruch aus, der gleichzeitig heftig und fad erschien und über den ich mir nicht ganz klar werden konnte. Es war ein Duft sui generis, wie sich die Chemiker ausdrücken.

– Aha! Sie sehen mein Leder an? rief der General Archinard, dessen Gesicht plötzlich strahlte, während seine Nüstern, weit geöffnet, mit sichtlichem Genuß das Duftgemisch, das von dem Leder und dem Absinth ausging, einsog.

– Jawohl, Herr General ...

– Dieses Leder befremdet Sie, wie?

– In der That, Herr General.

– Nun ja, selbstverständlich. Es ist ja auch Negerfell, mein Sohn.

– Ne…

– ...gerfell ... selbstverständlich ... Schneidige Idee, was?

Ich fühlte förmlich, wie ich bleich wurde. Der Magen krampfte sich mir in plötzlichem Ekel zusammen, was mir fast einen Brechreiz verursachte. Aber ich verbarg so gut ich nur konnte diese vorübergehende Schwäche. Übrigens stellte ein Schluck Absinth rasch wieder das Gleichgewicht meiner Organe her.

– Eine schneidige Idee, in der That ... stimmte ich zu.

Der General Archinard docirte:

– Wenn die Neger in dieser Weise verwendet werden, würden sie kein unnützer Stoff mehr sein und unsere Kolonien würden wenigstens zu etwas dienen ... Ich rede mich in diesem Sinne halb todt ... Sehen Sie das einmal an, junger Mann, fühlen Sie das einmal an ... Es ist ein Leder erster Güte ... Wie? Die Kerle in Cordova können sich mit ihrem Leder ausstopfen lassen ...

Wir verließen unsere Sitze aus Pelzwerk und machten einen Rundgang durch das Zimmer, indem wir mit peinlicher Genauigkeit die Lederstreifen prüften, welche eng aneinander gefügt, die Mauern bedeckten. Alle Augenblicke wiederholte der General:

– Schneidige Idee, was? Fühlen Sie das nur an ... Es ist hübsch, solid, unverwüstlich, widerstandsfähig ... Kurz, eine wahre Goldgrube für das Budget.

Ich that so, als ob ich mich über die Vorzüge dieses neuartigen Gerbereiproduktes instruiren wollte, und stellte ihm einige technische Fragen:

– Herr General, wieviel Negerfelle braucht man wohl, um ein Zimmer wie dieses hier zu tapezieren?

– Etwas über hundert, so im Allgemeinen, na, beiläufig die Bevölkerung eines kleineren Fleckens. Aber der ganze Stoff ist natürlich nicht dazu verwendet worden, wie Sie sich wohl denken können ... Es gibt bei diesen Fellen, hauptsächlich bei der Haut von Weibern, feinere, leichtere Stellen, mit denen man künstlerische Lederarbeiten, Luxusgegenstände, Geldtäschchen zum Beispiel ... kleine Koffer und Reise-Necessaires herstellen kann ... Ja, sogar Handschuhe, Trauerhandschuhe! Ha, ha, ha!

Ich glaubte gleichfalls lachen zu müssen, obwohl meine zusammengeschnürte Kehle gegen diese Art menschenfresserischer Heiterkeit Widerstand leistete.

Nach unserer genauen Inspektion nahmen wir wieder auf unseren respektiven Pelzwerken Platz, und der General, der durch mich zu genaueren Erklärungen angeregt war, sprach folgendermaßen:

– Obwohl ich gerade nicht die Zeitungen liebe, nein, die erstens nicht, und dann auch nicht die Zeitungsschreiber, ist es mir doch lieb, daß Sie mich aufgesucht haben ... weil Sie meinem Kolonisationssystem ansehnliche Verbreitung verschaffen werden ... Hören Sie, das ist in wenigen Worten mein Plan ... Sie wissen, ich mache kein langes Gerede und nehme kein Blatt vor den Mund ... Ich gehe geradenwegs auf mein Ziel los. Also, Achtung! Ich kenne nur ein Mittel, um die Leute zu civilisiren, das heißt, man muß sie todtschlagen ... Unter welcher Form man auch unterworfene Völker regiert, ob dies nun ein Protektorat, eine Annexion oder sonst etwas ist ... man hat stets Ärger mit diesen Lümmeln, die sich nie ruhig verhalten wollen ... Wenn man sie auf einen Hieb massakrirt, das ist mein System, beugt man späteren Schwierigkeiten vor. Das ist doch ganz klar! Nur sehen Sie ... soviel Leichname sind lästig und ungesund, direkt schädlich ... Es können Seuchen dadurch zum Ausbruch kommen ... Nun gut! Ich gerbe das Negerfell ... ich mache Leder daraus ... Sie haben sich selbst davon überzeugt, was für Leder man durch die Neger erzielt. Es ist wundervoll! Also mit einem Worte: Auf der einen Seite Abschaffung des Aufruhrs ... auf der anderen Seite Begründung eines großartigen Industriezweiges ... Das ist mein System. Es ist durchaus einträglich. Was sagen Sie dazu, wie, was?

– Im Prinzipe, wandte ich ein, stimme ich wohl mit Ihnen überein, was die Haut betrifft ... aber das Fleisch, Herr General! Was fangen Sie mit dem Fleisch an? ... Verzehren Sie es vielleicht?

Der General dachte einige Minuten lang nach, dann erwiderte er:

– Das Fleisch? ... Unglücklicherweise ist der Neger nicht genießbar; es gibt sogar Rassen, die direkt giftig sind. Nur glaube ich, daß man, wenn man dieses Fleisch nach einer gewissen Methode zubereitete, daraus ausgezeichnete Konserven für das Heer herstellen könnte. Das käme auf den Versuch an. Ich will der Regierung eine Vorlage in diesem Sinne unterbreiten. Aber leider ist die Regierung schrecklich gefühlsduselig ...

An dieser Stelle wurde der General womöglich noch vertraulicher:

– Was uns zu Grunde richtet, begreifen Sie das wohl, junger Mann ... das ist eben die Gefühlsduselei ... Wir sind ein Volk von Angstmicheln und Jammerfritzen ... Wir verstehen es nicht mehr, energische Entschlüsse zu fassen ... Was die Neger betrifft, mein Gott! ... das geht ja noch an ... Wenn man die massakrirt, so wird nicht viel davon hergemacht ... eben weil die Neger nach Ansicht des Publikums keine Menschen, sondern fast Thiere sind ... Wenn wir aber nur ein Haar eines Weißen unglücklicherweise krümmten ... Oh weh! Oh weh! ... dann würde man uns wieder nette Geschichten hermachen ... Und nun frage ich Sie auf Ehre und Gewissen: Was sollen wir zum Beispiel mit den Gefangenen und den Sträflingen anstellen? Sie kosten uns die Augen aus dem Kopfe; sie sind uns zur Last und bringen uns nicht den geringsten Nutzen ... Oder können Sie mir vielleicht einen Nutzen nennen? Glauben Sie nicht auch, daß die Strafhäuser, die Zuchthäuser, kurz alle Gefängnisse ausgezeichnet als prachtvolle Kasernen zu verwenden wären? Und was für Leder könnte man aus der Haut ihrer Insassen gerben! Verbrecherleder ist einzig in seiner Art, das werden Ihnen alle Anthropologen bestätigen ... Ja, Essig! ... Rühren Sie doch nur einen Weißen an! ...

– Herr General, unterbrach ich ihn, ich habe eine Idee. Sie ist etwas unehrlich, dafür aber genial.

– Nur immer los! ...

– Man könnte vielleicht die Weißen als Neger anstreichen, um die nationale Gefühlsduselei zu schonen.

– Ja ... und dann? ...

– Und dann würde man sie todtschlagen ... und dann würde man sie gerben!

Der General wurde ernst und nachdenklich.

– Nein! rief er, keine Schwindeleien. Dieses Leder wäre nicht loyal. Ich bin Soldat, ich bin ein loyaler Soldat ... Jetzt können Sie abtreten ... ich habe zu arbeiten.

Ich leerte mein Glas, auf dessen Grunde noch einige Absinthtropfen blieben und ging meiner Wege.

Es macht mir immerhin Vergnügen und erfüllt mich mit Stolz, wenn ich von Zeit zu Zeit solche Helden wiedersehe ... in denen sich die Seele des Vaterlandes verkörpert.

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