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X.

Sicherlich bringt die Marquise von Parabole die ganze Gegend, nicht zum mindesten die Fremdenkolonien durch ihre Toiletten, den Glanz ihrer Schönheit in Aufruhr ... Ich habe sie einst gekannt, ich habe sie sogar intim gekannt – in unschuldigster Weise, in allen Ehren, wie Sie sich selbst überzeugen werden ... Ich hätte meine Bekanntschaft mit ihr vielleicht neu anknüpfen können ... Aber der Gedanke daran kam mir keinen Augenblick lang ... Wozu auch? ... Ich bin sogar recht zufrieden darüber, daß mein Gesicht – ich begegne ihr Morgens und Abends in der Trinkhalle, in den Alleen und dem Kasino – ihr nichts von unseren Vertraulichkeiten aus früherer Zeit ins Gedächtniß zurückgerufen hat ...

Nachdem sie sich von ihrem ersten Gatten scheiden ließ und des zweiten Witwe wurde, weiß ich nicht allzugenau, was sie gegenwärtig treibt, wovon sie lebt und weshalb sie sich Marquise von Parabole nennt ... Es liegt mir auch garnichts daran, darüber Aufschlüsse zu erhalten. Man bemüht sich hier um sie ... Sie feiert ohne Unterlaß Feste, veranstaltet Ausflüge und hat eine ganze Heerde von Anbetern, unter denen man Muster der gesammten menschlichen Thierwelt findet, im Gefolge.

Doch sehen Sie nur, wie sich die Dinge in Badeorten finden, die noch die einzigen Plätze auf der Welt sind, wo sich die Thatkraft der göttlichen Vorsehung, die anderweitig so sehr in Zweifel gezogen wird, enthüllt.

Seit einigen Tagen hatte ich als Zimmernachbar im Hotel einen Herrn von ziemlich traurigem, oder vielmehr höchst unscheinbarem Aussehen ... Obwohl seine Haare grau sind, grau wie sein Gesicht und wie sein Rock und – ohne Zweifel – wie seine Seele; obwohl sein Rücken sich krümmt und seine Beine zusammenknicken, fühlt man doch deutlich heraus, daß er noch nicht sehr alt ist ... Er scheint linkisch und mit Manien behaftet zu sein ... Ich bemerkte, daß er zu wiederholten Malen beim Diner im Hofe des Hotels und bei Spaziergängen mich mit hartnäckiger Neugierde beobachtete ... Das reizte mich, obwohl ich im Ausdruck seiner Augen, so oft er mich ansah, nichts persönlich Feindseliges bemerken konnte ... Ich bereitete mich nichtsdestoweniger darauf vor, diesen Stand der Dinge zum Abschluß zu bringen und zwar nöthigenfalls in heftiger Weise, als gestern dieser Herr urplötzlich in mein Zimmer hereinplatzte ...

– Entschuldigen Sie mich ... sagte er zu mir ... aber dieser Druck ist stärker als meine Willenskraft ... Ich muß mir endlich darüber klar werden ... Sie kennen die Marquise von Parabole sehr genau ... Ich habe Sie häufig mit ihr sogar im Theater ... im Restaurant getroffen ...

– Ich kannte sie in der That früher, entgegnete ich kühl.

Thörichterweise glaubte ich hinzufügen zu müssen:

– In der anständigsten Weise ... in allen Ehren ...

– Das weiß ich wohl, mein Herr.

Dann, nach einer kurzen Pause stellte er sich vor:

– Ich bin der erste Mann der Marquise von Parabole ...

Ich grüßte und nahm nach dem Gruße eine deutlich fragende Haltung an.

– Sehen Sie, mein Herr ... ich liebe die Marquise noch immer ... Ich folge ihr überall hin, wohin sie geht ... Ich wage aber weder mit ihr zu sprechen, noch ihr zu schreiben ... Da dachte ich denn ...

– Was dachten Sie, mein Herr?

Er schien plötzlich sehr verlegen ... er stöhnte:

– Ach, mein Herr! ... Mein Schicksal ist wirklich außergewöhnlich ... Wollen Sie mir zunächst gestatten, Ihnen die seltsame Geschichte meiner Heirath zu berichten? ...

Auf meine zustimmende Bewegung hin begann er:

– Als ich die Marquise heiratete, war sie ein rosiges, blondes, sehr eigenartiges, lebhaftes und reizvolles Frauchen, eine sehr eigenartige lebhafte und reizvolle kleine Bestie, die hin und herhüpfte gleich einem Reh im Kleefelde und gleich einem Vöglein im Walde plapperte. Zur Steuer der Wahrheit muß ich bekennen, daß sie nicht ganz und gar eine Frau, nicht ganz und gar eine kleine Bestie, auch nicht vollkommen ein Vöglein war. Sie war ein maschinenartiges Ding, das eigenartig durchgebildet schien, und durch sein Geräusch, seine Klugheit, sein etwas sinnloses Geschwätz, seine unstäte Laune und vor Allem durch die Art, meinem Geschmack, meinem Gefühl und meiner Liebe vollkommen fremd zu sein, aus allen diesen Bestandtheilen zusammengesetzt schien. Was aber das Eigenartigste an ihr war, schien unzweifelhaft ihre Seele, eine winzige Seele, ein Seelchen, eine neckische, kitzliche, schwirrende Fliegenseele, die ohne Unterlaß im Zickzack um mich herumflatterte und an alle Dinge mit ihren Rufen und ihrem Lachen anstieß, so daß man toll werden konnte.

Laure war meine sechste Gattin ... Ja, wahrhaftig, meine sechste! Zwei starben, ich weiß nicht weshalb; die anderen hatten mich eines schönen Abends verlassen ... Weshalb? Das weiß ich ebenso wenig. Was mir aber am unklarsten ist, das war zweifellos der geheime, unglückselige Grund, der mich mit gebieterischer Macht zu dieser Heirath hinzog; denn ich wußte im Voraus, was mich dabei erwartete.

Sehen Sie, mein Herr, wenn ich mich so ausdrücken darf, ist mein Leben ein Gewebe von Widersprüchen ... Ich habe das Gefühl, als ob ich das gefügigste Wesen von der Welt sei, dem Schmollen, Zänkereien und schlechte Launen so fern als möglich liegen. Meine ganze Willenskraft, meine ganze Energie ist darauf gerichtet, meiner Umgebung zu gefallen. Ich füge mich allen Launen, so sinnlos sie auch erscheinen mögen. Bei mir gibt es nie eine Klage, einen Streit, einen Wunsch, einen Befehl. Ich opfere mich auf – bis zum Grade vollständigster Selbstlosigkeit, bis zur Erstickung meiner Wünsche, meines Geschmackes – um Jemand, der mit mir lebt, glücklich zu machen. Nun schön, trotz dieser heldenhaften Standhaftigkeit in Bezug auf Selbstlosigkeit, ist es mir unmöglich, eine Frau länger als drei Monate an mich zu fesseln. Nach Verlauf von einem Vierteljahr langweilen sie sich, ob sie nun schwarz oder blond, klein oder groß, korpulent oder ätherisch sind, dermaßen, daß sie mich verabscheuen und ... Piff ... Paff! ... daß die Einen sterben und die Anderen mich grundlos verlassen. Ich schwöre Ihnen, grundlos, oder wenigstens ohne einen anderen Grund als den, daß sie Frauen sind und ich ein Mann, daß wir also zweifellos äußerst verschieden geartete Wesen sind.

Ja, ja, ich weiß, was man mir einwenden kann ... Offenbar wird man mir den Vorwurf machen, ich sei meines Unglücks Schmied ... Aber sehen Sie, ich kann nun einmal nicht die Einsamkeit ertragen. Wenn ich allein bin, halte ich mich für verloren, ich falle schmerzlichen und unerklärlichen Beängstigungen zur Beute, die mir noch peinigender als die Gesellschaft eines Weibes erscheinen. Ich brauche in meinem Leben ein vertrautes tägliches Geräusch. Es ist mir gleichgiltig, ob es Musik oder ein Kreischen sei, vorausgesetzt, daß es nur zur Stelle ist und die entsetzlichen Trugbilder des Schweigens verjagt.

Ich will Ihnen eine wenig schickliche Sache anvertrauen. Ich bitte Sie im Voraus um Verzeihung. Ich werde mich kurz fassen und mich wohl hüten, schamlose Bilder vorzuführen.

In meiner Brautnacht mit der Marquise geschah mir ein seltsames, fatales Abenteuer. Ich hatte mich mit meinem Weibe mit verzückter Gluth vereinigt, als Laure urplötzlich durch eine Zuckung mit den Hüften die Umarmung löste, mich zur Seite auf das Bett warf, indem ein Schrei von ihren Lippen kam:

– Mein Gott! bin ich aber vergeßlich, rief sie ... Mein Gott! mein Gott! Ich habe mein Gebet zum Heiligen Joseph unterlassen!

Ohne mein Erstaunen, ohne die unanständige, erregte Unordnung meines Leibes zu bemerken, kniete sie in dem Bette nieder. Ihr Haar war aufgelöst, ihr Busen nackt und während sie sich bekreuzte, betete sie:

– Oh heiliger Joseph, beschütze Papa, Mama und das Schwesterchen ... lasse sie glücklich sein und lange leben! Beschütze Plume und Kiki, meine geliebten Katzen und auch den armen Nicolas (Nicolas war ein Papagei), der schon so alt ist, daß er nicht mehr kreischt und den ich doch noch nicht sterben sehen möchte ... Dann beschütze auch mein Männchen, damit es mir keinen Kummer macht.

Sodann nahm sie eine mehr eheliche Stellung ein und sagte lächelnd zu mir:

– Na also ... Das wäre erledigt ... Jetzt können Sie fortfahren ...

Aber der Zauber war verflogen. Es schien mir unmöglich, die anbetungswürdige Minute wieder zu finden. Laure kam dies etwas ärgerlich vor, was, obwohl sie es mir verbergen wollte, noch lange in dieser Nacht an ihren Mundwinkeln zu sehen war.

Am nächsten Morgen machten wir nach dem Dejeuner einen Ausflug in's freie Land. Sie war reizend und lustig, sogar ein wenig toll, doch ohne Überschwänglichkeit. Sie wälzte sich im Grase hin und her und hielt den Blumen, den Vögeln, den Käfern lustige Reden, indem sie selbst nacheinander Blume, Vöglein und Insekt war ... Ihr Fliegenseelchen schwirrte mit leisem Geräusch im Sonnenlicht herum. Als wir uns allein in einem Kastanienwäldchen befanden, küßte ich sie ... Es war schon spät, als wir an die Rückkehr dachten. Sie schien ein wenig ermüdet, ging stumm einher und stützte sich auf meinen Arm. Ich baute schon wahre Paläste des Glücks in Gedanken ... auch ich war schweigsam; es herrschte dieses Schweigen, das so viel große Worte, so viel schwellende Musik, so viel betäubenden Donner enthält. Plötzlich ließ sie meinen Arm los und lief rasch, mit kleinen, zierlichen Schritten, wie eine Elster, die in feuchtem Grase herumhüpft, einen Fußweg entlang, der rechts von der Straße zum Thale herabführte. Ich rief ihr zu:

– Aber wohin wollen Sie denn gehen? ... Wohin gehen Sie denn da?

– Unser Haus liegt gegenüber an der anderen Seite des Hügels. Ich schlage den kürzesten Weg ein, rief sie.

Und sie hüpfte leicht und lustig auf dem Fußweg weiter. Ich holte sie ein.

– Dieser Weg führt nirgends hin, mein Herzchen ... Er geht direkt zum Flusse ...

Laure entgegnete:

– Schön, wenn er zum Flusse führt ... werden wir eben über die Brücke gehen.

– Aber es ist keine Brücke vorhanden ...

– Es ist keine Brücke vorhanden? Weshalb sagen Sie, daß keine Brücke vorhanden ist? Sie sind wirklich nicht nett. Weshalb wäre denn ein Weg, wenn keine Brücke vorhanden wäre? Dieser Weg wäre einfach lächerlich ...

Und plötzlich ernst werdend, sagte sie mit gebieterischem Munde:

– Ich will über die Brücke gehen, na also! Verstehen Sie mich? Sie können ja durch das Dorf gehen, wenn Ihnen das paßt ...

Ich versuchte ihr sanft Vernunft zu predigen, aber sie gebot mir in so kurzem, scharfem, schneidendem Ton Stillschweigen, daß ich nicht weiter in sie zu dringen wagte, und ihr auf dem Wege inmitten großer Steine, die uns an den Füßen weh thaten, inmitten Dornenhecken, die im Vorübereilen ihr Kleid zerrissen, folgte ...

Am Ende des Weges rollte der Fluß, breit und tief einher; am anderen Ufer durch einen dicken Vorhang von Weiden und Erlen abgeschlossen, die sich in schwärzlichem Grün auf ihm spiegelten, was wie ein Abgrund aussah.

– Nun sehen Sie wohl! sagte ich sanft und ohne Vorwurf zu ihr ... Es ist keine Brücke da ... Nun werden Sie sehr müde sein.

Sie verzog die Lippen verächtlich, antwortete nicht und sah nur einige Augenblicke lang das grünliche Wasser und die Weiden und Erlen am anderen Ufer an. Dann kehrten wir um und fühlten uns alle Beide durch irgend einen schwer lastenden Eindruck verlegen gemacht, alle Beide durch einen Schicksalsschlag niedergedrückt, welcher unseren Gang schwerfällig und schwankend machte, als ob wir einen Kreuzberg emporstiegen.

Da sich Laure, sehr ermüdet, kaum vorwärts schleppen konnte, bot ich ihr zu wiederholten Malen meinen Arm an. Sie lehnte ihn aber entschieden ab.

– Nein ... nein ... Ich will Ihren Arm nicht ... Ich will überhaupt nichts von Ihnen ... Sie sind ein schlechter Mensch.

Am Abende erschien meine Frau nicht bei Tisch und wollte mich auch nicht in ihrem Schlafzimmer empfangen, das sie verriegelt hatte.

– Gehen Sie fort ... rief sie mir hinter der Thüre zu ... Ich bin sehr krank ... Ich will Sie nicht mehr sehen ...

Vergebens beschwor ich sie ... vergebens bat ich sie mit erstaunlicher Beredsamkeit, mir zu verzeihen, wenn ich ihr gegen meinen Willen Kummer bereitet hätte ... Ich ging sogar so weit, mich zu entschuldigen.

– Nun also, ja! rief ich, indem ich die Thür bearbeitete ... Nun also, ja ... es war eine Brücke vorhanden ...

Sie blieb unbeugsam und wiederholte halsstarrig:

– Nein ... nein ... nun ist es zu Ende ... jetzt ist es zu spät! ... Ich will Sie nicht mehr sehen ... Gehen Sie fort ...

Ich zog mich zurück und verbrachte die Nacht in Thränen.

– Großer Gott! sagte ich mir, indem ich in meinem Zimmer auf und ab schritt, diese Frau entgeht mir auch noch ... und weshalb? ... Was geht in ihrem Inneren vor? ... Kann sie mir wirklich nicht vergeben, daß keine Brücke über den Fluß führt? Das ist schon möglich. Schon vordem hatte mich Clémence verlassen, weil es eines Abends, als wir von einem Balle kamen, regnete, und ihre Toilette verdorben war. Oder vielleicht stellte sie sich zur Stunde allen Ernstes vor, daß ich sie mit raffinirter Grausamkeit, mit der thörichten Gewalt eines Gatten, obwohl sie schon sehr müde war, boshafterweise gezwungen hatte, einen Pfad einzuschlagen und über eine Brücke zu gehen, von der ich im voraus wußte, daß sie gar nicht existirte? ... Ich wollte darüber Klarheit haben ... Vielleicht wußte sie selber nicht mehr, wie die Sache sich zugetragen hatte ...

– Habe ich nicht wirklich Pech?

Er verstummte.

– Nun also, fragte ich ihn, dann ließen Sie sich scheiden?

– Ja; ein halbes Jahr darauf, denn ich fühlte mich zu unglücklich ...

– Darauf verheirathete sie sich wieder?

– Ja, im folgenden Jahre wurde sie die Frau Joseph von Gardar's, eines prächtigen Jungen, welchen ich sehr gut kannte.

Nach einer Pause fügte er noch hinzu:

– Er ist daran gestorben ...

– So?

– Mein Gott, ja!

– Und wie das?

– Oh, mein Herr, in der denkbar komischesten Weise!

Er lachte leicht auf:

– Das ist der Hergang, sagte er. Acht Tage nach ihrer Hochzeit sagte Laure zu ihrem Gatten, als sie gerade ihr Diner beendet hatten und sich beide allein befanden:

– Mein Freund, ich möchte so gern haben, daß Du ein Bad nimmst.

Gardar's Augen nahmen einen entsetzten Ausdruck an.

– Ein Bad ... jetzt ... und weshalb?

– Weil ich es so gerne möchte, mein Freund.

– Bin ich denn schmutzig?

– Oh! nein ... Aber ich möchte so gern, daß Du sogleich ein Bad nimmst.

– Aber denke doch nur, das ist der reine Wahnsinn! ... Spät Abends, ja ... Aber jetzt gleich?

– Oh! ich möchte so sehr gern ... so gern ...

Sie faltete ihre kleinen Hände; ihre Stimme klang beschwörend.

– Mein Liebchen, das ist Wahnsinn, was Du von mir verlangst. Und ich versichere Dir, es ist auch gefährlich ...

– Oh! Thue mir doch diesen Gefallen. Ich möchte so gern, mein Liebling ...

Sie setzte sich auf seinen Schoß, küßte ihn zärtlich und flüsterte:

– Ich bitte Dich drum ... sogleich!

Sie gingen nach dem Badezimmer. Laure bereitete die Badewanne selbst vor und legte Seife, Paste, Bürste, Waschhandschuhe und Bimstein auf den Tisch ...

– Ich werde Dich abreiben ... Du wirst schon sehen, wie gut das ist.

Er wehrte sich noch immer, während er sich auszog und wiederholte:

– Was für eine komische Idee! ... Und dann ist es auch sehr gefährlich, so, so rasch ... nach dem Diner ... Weißt Du, es sind schon Leute daran gestorben ...

Sie aber stieß ein helles, klingendes Lachen aus.

– Oh ja! Leute ... Aber wenn man seinem Frauchen einen Gefallen thut, stirbt man zunächst niemals.

Er versteifte sich auf seine Weigerung.

– Und dann bin ich auch sehr sauber ... ich habe meine Douche heute Morgen genommen. Ich bin wirklich sehr sauber.

– Ach was! Ach was! Sei doch nicht so schlecht.

Höchst erstaunt stieg er in die Badewanne und ließ sich ins Wasser gleiten.

– Na also! rief Laure ... Ist das nicht lustig? Noch mehr, mein Liebling ... Na also! ... Noch mehr! ...

Nach Verlauf von wenigen Minuten fühlte Joseph von Gardar ein seltsames Unbehagen ... Obwohl das Wasser sehr warm war, schienen ihm die Füße plötzlich eiskalt zu werden. Gleichzeitig ging ihm der Athem aus und sein feuerroth gewordener Kopf schien zu brennen ... Es sauste ihm in den Ohren, als ob man in nächster Nähe Glocken läuten würde.

– Laure! ... schrie er, Laure! ... ich fühle mich unwohl ... sehr unwohl ...

Dann plötzlich verdrehten sich seine weitaufgerissenen Augen, die rothe Streifen erhielten. Er versuchte sich zu erheben, doch seine Hände glitten verkrampft in's Wasser zurück, aufplätschernd sank er in die Tiefe der Badewanne hinab.

Laure verzog den Mund und murmelte:

– Ah! mein Liebling, das ist gar nicht nett, was Du da machst ...

Und ärgerlich verließ sie das Badezimmer und ging zu Bett.

Am nächsten Morgen fand der Kammerdiener seinen Herrn in der Badewanne ... natürlich ertrunken.

Der Herr bemerkte noch, indem er mit dem Kopf nickte:

– Seitdem ... weiß der Teufel, was sie macht ... Und der Teufel bei alledem, das sind Sie, das bin ich, und die anderen ... Alle die anderen ...

Er verstummte von neuem. Auf seinen Lippen war eine Art von grinsender Grimasse zurückgeblieben und als er so bewegungslos sitzen blieb, fragte ich:

– Na also, mein Herr?

Er antwortete:

– Na also, das war es eben! ... Die Gefälligkeit, um die ich Sie bitten wollte, hat keinen Zweck mehr. Die Thatsache, daß ich von ihr sprach, hat mich von dem Verlangen nach ihr befreit. Es ist wirklich außerordentlich, wie gleichgiltig sie mir mit einem Male geworden ist. Entschuldigen Sie mich, mein Herr, und finden Sie meinen seltsamen Besuch nicht allzu lächerlich.

Er stand auf, ich begleitete ihn bis zur Thür, wobei er noch zahlreiche Entschuldigungen und Grüße äußerte.

Ich verbrachte den Rest des Tages mit Träumereien, mit Erinnerungen ... Das waren wahrhaftig komische Erinnerungen, traurige Träumereien! ...

Ich machte die Bekanntschaft der Marquise, als sie die Geliebte meines Freundes Lucien Pryant war, eines braven, reizenden Burschen, der heutzutage berühmt, reich und dekorirt worden ist und der eine so schöne, so rasche Laufbahn in militärischer Spionage gemacht hat.

Sie hatten mich alle Beide zugleich in das Vertrauen ihres Liebesverhältnisses gezogen, nicht in einer Regung der Freundschaft, wie Sie vielleicht annehmen könnten, sondern, weil sie jedenfalls davon überzeugt waren, daß ich ihnen von großem Nutzen sein könnte ... Dann habe ich wirklich eine hervorragende Begabung, um den Vertrauten einer ... Komödie ... zu spielen.

Lucien war arm zu jener Zeit, von der ich sprechen will, da er noch nicht die Gelegenheit gefunden hatte, den fremden Mächten die Geheimnisse – die berühmten Hanswurstgeheimnisse – unserer Befestigungen und unseren Unmobilmachungsplan zu überliefern. Übrigens besaß er nur ein elendes Zimmer in einem traurigen Hotel Garni der Rue des Martyrs, einem altmodischen Stadtviertel, das wenig geeignet für Liebeleien dieser Art ist.

– Verstehst Du, sagte Lucien zu mir, ich kann meine Freundin wahrhaftig nicht in meinem Zimmer empfangen ... Es ist zu schäbig bei mir. Ripsüberzüge auf den Möbeln, wackelige Sessel ... Wenn Du mein Bett sehen würdest ... und erst meinen Spiegelschrank ... Elegant, an jeden Luxus gewöhnt, wie sie ist, würde sie mir allzu rasch den Laufpaß geben ... Ich brauche einen hübschen Raum für unsere Liebe! ... Bedenke doch nur, mein Freund, ich habe nicht mal ein Klavier und die Kunstwerke, die die Wände meines Zimmers schmücken, sind scheußliche Buntdrucke: Die Rückkehr des Seemanns, die Ablieferung der Fahnen, ein Hase, der an einer Pforte aufgehängt ist, – das kann doch der eleganten, leidenschaftlichen Seele einer Frau nicht zusagen, die in ihrer eigenen Wohnung Bilder von Maurice Denis besitzt – denn sie ist sehr fromm – und die sich von Boldini porträtiren ließ – denn sie ist sehr ... selbstverständlich! ... Es ist zu dumm, daß ich kein fein möblirtes, behagliches, warmes Appartement mit schönen Vorhängen, rosigen Lampenschirmen ... und Teppichen, auf denen sich nackte Füßchen nicht beschmutzen, habe. Und wenn Du wüßtest, wieviel ausgezeichnete Gelegenheiten ich wegen dieses elenden Zimmers versäumt habe – wie viel herrliche Abenteuer mit verheiratheten Frauen! ...

– Aber, entgegnete ich, Deine Freundin ist Witwe und frei. Weshalb empfängt sie Dich nicht in ihrer Wohnung?

– Das kann sie nicht, altes Haus ... wegen der Dienstboten ... und dann nimmt sie auch eine sehr hohe Stellung in der katholischen Welt ein. Sie kennt de Mun und Mackau. Sie verkaufte in dem Charité-Bazar ...

Dann fügte er mit beschwörender Stimme hinzu:

– Deine Wohnung ist hübsch. Englischer Styl und auch à la Louis XVI., ganz wie bei ihr ... und so traulich ... so galant! Wie würden wir uns dort nicht lieben können! Denke Dir nur, ich bin auf dem Punkte, meiner armen Freundin zu erklären, daß ich sie unmöglich in meinem Zimmer empfangen kann, da mein Vater, meine Schwester, zwei alte, gelähmte Tanten in demselben Hause wohnen. Es ist fürchterlich! Soll ich denn noch diese prachtvolle Gelegenheit versäumen? ... Ach, wenn Du wolltest!

Durch seine Bitten erweicht, gab ich nach. Dreimal wöchentlich überlieferte ich meine Wohnung der freien Liebe Lucien's und seiner Maitresse. Ich benahm mich sogar sehr entgegenkommend: ich lieh Lucien meine Pantoffel, meine Nachthemden, meine Parfümfläschchen und den Schlüssel meiner geheimen Bibliothek. Ich war sogar so erfinderisch und geschmackvoll, daß ich an den Tagen der Stelldichein elegante, stärkende Mahlzeiten für sie bestellte: belegte Brödchen, Kuchen, Porto, Thee etc. So erfuhr ich alle ihre Freuden.

– Was für eine hübsche Wohnung Sie haben! ... sagte mir die Marquise eines Abends im Theaterrestaurant, denn, – trotz Herrn de Mun, Herrn de Mackau und des Charité-Bazars waren wir stets beisammen ... Sie haben wirklich Geschmack! Ihre Wohnung ist für die Liebe wie geschaffen!

– Wahrhaftig! ... Finden Sie? ... Sie sind sehr liebenswürdig ...

– Aber Ihr Toilettenzimmer, nein, wahrhaftig ...

– Gefällt es Ihnen nicht?

– Das will ich nicht sagen! ... Aber schämen Sie sich wirklich dieser allzu üppigen Bilder nicht? ...

– Und Sie? ...

– Das ist gerade so wie mit den Büchern ... Die sind ja fürchterlich! ...

– Lesen Sie sie denn? ...

– Kurz, Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack! ...

So verbrachten wir unsere Abende, indem wir uns ernste, tiefsinnige Dinge erzählten.

Das dauerte drei Monate lang. Eines Tages kam Lucien bleich, entstellt, mit Thränen in den Augen zu mir und erzählte mir, daß alles zu Ende sei. Sie hinterging ihn ... Es hatte eine furchtbar heftige Scene gegeben! ... Im Verlauf der Auseinandersetzung hatte er drei Spiegel und eine Anzahl theurer Nippsachen in meiner Wohnung zerbrechen müssen ... Dann gab er mir den Schlüssel des Appartements zurück und ging seiner Wege.

Ich sah ihn lange Jahre hindurch nicht wieder und verlor auch die Marquise von Parabole aus dem Gesicht.

Ich begegnete ihr eines Abends in einem befreundeten Hause, bei einer Österreicherin, welche äußerst seltsame Leute empfing und mit belegter Stimme Schumann sang. Das Köstlichste war, daß in diesem befreundeten Hause kein Mensch sich kannte; denn die Gäste erneuerten sich ohne Unterlaß, da sie hauptsächlich aus den Fremden-Kolonien und selbst aus den elegantesten Strafkolonien der Hauptstadt rekrutirt wurden.

Ich ging lebhaft auf Frau von Parabole zu ... Sie war noch immer jung, schön, toll, verführerisch, leidenschaftlich und ein wenig blonder als ehedem.

– Ach! Wie lange ist das Alles her, rief ich ... Was ist denn aus Ihnen geworden ... seit der Katastrophe? ...

Frau von Parabole sah mich starr an, auf ihrer Stirn bildete sich eine Runzel, da sie sich heftig anstrengte, um ihre Erinnerungen aufzufrischen.

– Welche Katastrophe? fragte sie.

– Sie sind doch wohl Frau von Parabole?

– Ja, gewiß; und Sie, mein Herr, wer sind Sie?

– Georges Vasseur ... erklärte ich mit einer Verbeugung ... Erinnern Sie sich nicht an mich? ...

– Nicht im geringsten! ...

– Und an Lucien Pryant?

– Lucien Pryant? ... Welcher Lucien Pryant? Warten Sie mal ... Ein hübscher blonder Junge von kleiner Statur?

– Nein, gnädige Frau, ein großer Schwarzer ...

– Ich erinnere mich absolut nicht an ihn!

– Ein großer Schwarzer, den Sie leidenschaftlich geliebt haben ... Drei Monate lang ... in meiner Wohnung ... in meinem Appartement ... in meinem reizenden Appartement ...

Frau von Parabole überlegte, ließ alle ihre Erinnerungen, alle ihre Liebhaber Revue passiren ... alle die Appartements ihrer Liebhaber. Dann erklärte sie mit schmerzlicher Aufrichtigkeit:

– Nein, wahrhaftig ... ein großer Schwarzer ... in Ihrem Appartement ... ich erinnere mich wahrhaftig nicht im Mindesten. Sie sind von Sinnen, mein Herr! ...

Acht Tage darauf fand ich sie wieder in einem anderen befreundeten Hause bei einer Chilierin, welche Schubert mit der Stimme und mit den Handschuhen der Yvette Guilbert sang ...

Frau von Parabole ging zuerst eifrig und lächelnd auf mich zu:

– Sie haben mich für toll halten müssen ... neulich Abend. Aber selbstverständlich erinnere ich mich jetzt ganz genau. Lucien Pryant! ... Nun natürlich! ... Gott, war der arme Junge dumm! ... und wie nett haben wir ihn alle beide hintergangen!

– Ich habe ihn hintergangen? ... fuhr ich auf ... Aber mit wem denn?

– Nun selbstverständlich mit mir ... Unsere Küsse ... unsere Bisse ... und mein Haar! Hast Du das schon vergessen? Du Undankbarer?

Jetzt war an mir die Reihe, erstaunt zu sein.

– Sie irren sich, gnädige Frau, Sie haben meinen Freund Lucien Pryant nicht mit mir betrogen ...

– Aber mit wem denn sonst? Denken Sie doch nur! ... Sie waren doch Lucien Pryant's Freund?

– Ja, gewiß!

– Und ich hätte ihn nicht mit Ihnen hintergangen?

Ihre Lippen verzogen sich zu einem reizenden Schmollen, ihre Augen zwinkerten ungläubig, während sie fortfuhr:

– Das wäre zum ersten Male so gewesen ... Sie setzen mich wirklich in Erstaunen ...

In diesem Augenblick lief eine leichte Unruhe durch den Salon. Es wurde angekündigt, daß die Hausfrau eine Romanze von Schubert singen würde. Frau von Parabole verließ mich.

Ich habe sie nicht wiedergesehen ...

Ich habe sie erst hier wiedergesehen ...

Vielleicht werde ich sie morgen sprechen ...

.


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