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Der Gott

Kaméhaméa erzählt, daß vor achtzehn
Generationen weiße Männer,
die aus dem Meere hervorgestiegen
seien, einen Gott gebracht hätten. –

Beim ersten Schimmer des jungen Tages schon umkreisten Möven das Schiff. Ein weißer Duft erfüllte die Luft; es roch nach Vanille, nach Gewürzen, nach dem belebenden Hauch grünender Wiesen und einer üppigen Vegetation. Als dann endlich die Sonne unterging, tauchten am Horizonte Berge auf, die so hoch waren, daß selbst unter diesem Breitengrade ihre Spitzen mit Schnee bedeckt waren. Dann verriet das Senkblei, daß der Boden unter den Wogen sich höbe, und als die Nacht ganz herabgesunken war, sah man in der Ferne große Feuer leuchten. Das Land war nahe, sehr nahe, ein Land, auf dem es Menschen gab. Von edlem und reinem Stolze erfüllt, ließ Felix Hector de Beaussier-Larieuse die Anker auswerfen.

Die Gewißheit, ein bisher unbekanntes Land entdeckt zu haben, der berauschend süße, über die Fluten her zu ihm dringende Duft, vielleicht auch die ansteckend geräuschvolle Heiterkeit der auf dem Deck versammelten Matrosen, die das ersehnte Land mit jubelnder Freude begrüßten, all dies machte seine Brust schwellen und sein Herz schneller klopfen. Wie einst Bougainville, hatte auch er davon geträumt, ein neues Land zu entdecken und für seinen König in Besitz zu nehmen. In seiner jugendlichen Begeisterung und seiner vertrauensselig optimistischen Weltanschauung glaubte er in den wilden Völkerstämmen seinesgleichen, vielleicht sogar ihm überlegene Menschen zu finden, deren einfache Natur noch nicht durch die Kultur verdorben und übertüncht worden; am Ende seiner langen Fahrt angelangt, hoffte er ein Volk zu finden, das ihm das Geheimnis des Glücks offenbaren würde.

Man hatte einen Archipel erreicht, dessen grüne und runde Inseln sich nur wenig über die Wogen des Meeres erhoben. In der Tat schienen die ersten kleinen Eilande, die das Schiff erreicht, nachdem es die Vorgebirge von Patagonien umsegelt, wie große Lotusblumen auf einem unermeßlich großen Teiche zu liegen. Aber sie waren vollständig öde und offenbar nicht von Menschen bewohnt. Nur Seekühe, deren Köpfe einen beinahe menschlichen Ausdruck hatten, hielten sich an dem Ufer auf und die Gehölze waren ausschließlich mit Vögeln bevölkert, auf die der Anblick von Menschen durchaus keinen erschreckenden Eindruck machte und die sich von den erstaunten Matrosen ruhig ergreifen ließen. Selbst als diese den armen Tierchen die hübschen Schwanzfedern ausrissen, rührten sie sich nicht, da sie absolut nicht zu wissen und zu begreifen schienen, wer ihnen den Schmerz zufügte, den sie empfanden.

Man drang weiter vor und war nun davon überzeugt, das Ziel erreicht zu haben. In der Tat schien der junge Tag Wunder zu enthüllen. Soweit das Auge reichte, schweifte der Blick über ein Inselmeer, in dem ein grünendes, Duft spendendes Eiland neben dem andern den Fluten entstieg. Dann plötzlich bevölkerte sich das Meer; über dreitausend Pirogen, die mit wenigstens fünfzehntausend Eingeborenen besetzt waren, ruderten heran; es waren schlanke, gut aussehende Menschen, von ziemlich heller Hautfarbe, die große Bananenblätter in den Händen trugen, mit denen sie den Neuankömmlingen entgegenwinkten, um sie von ihrer guten Gesinnung zu überzeugen.

Viele Frauen, die keinen Platz mehr in den Pirogen gefunden, hatten sich ohne weiteres in das Meer gestürzt. Vorzügliche Schwimmerinnen, ließen sie sich von den Wellen tragen, deren durchsichtige Klarheit ihre graziösen, behenden Glieder, die Schönheit ihres von der Sonne leicht angebräunten Körpers völlig enthüllte. Manchmal tauchten sie bis zur Taille aus der Flut auf und dann fielen leuchtende Tropfen aus ihrem Haar auf die Knospen ihrer jungen Brüste. Als ein Freund der Aufklärung und der Philosophie, der Verständnis für alle Regungen des menschlichen Herzens hatte, befahl Felix Hector sofort, die jungen Weiber auf das Schiff zu nehmen. Mit Blumen bekränzt, warfen sie sich huldigend zu seinen Füßen nieder. Die Matrosen aber hoben sie auf und zogen sie mit sich hinab in ihre Kojen. Ohne irgend welchen Widerstand zu leisten, vielmehr mit freudiger Unterwerfung gaben sie sich den brutalen Umarmungen der erregten Seeleute hin – ja, es schien sogar ihre Eitelkeit zu befriedigen, von ihnen begehrt und genommen zu werden. Als die Matrosen ihnen dann kleine Spiegel und andern Tand anboten, machten sie ihnen durch Zeichen begreiflich, daß sie einige eiserne Nägel jedem andern Geschenke vorziehen würden, und da sie vollständig nackt waren, bewahrten sie die erhaltenen Nägel im Munde.

Indessen stießen bald andere Pirogen von dem jenseitigen Ufer ab. Sie waren sehr groß, schön geschnitzt, mit lebhaften roten Farben bemalt und mit einem Steuer versehen. In dem ersten Fahrzeuge befanden sich die Könige. Sie trugen eine Art von Helm, der reich mit Perlmutter und Federn geziert war, dazu einen roten Mantel und von ihrem Gürtel hingen mehrere glatt polierte steinerne Messer; auf lange Spieße von gehärtetem Holze gestützt, mit ernstem feierlichem Gesichtsausdruck verharrten sie in unbeweglicher Stellung.

Die zweite Piroge war die der Götter. Es waren phantastisch aussehende gigantische Götzenbilder, die ungeschickt über dem Meere schwankten, deren Torso aus einem Weidengeflecht hergestellt und mit weißen und gelben Mähnen behangen war. Die Stelle der Augen vertraten Perlmuttermuscheln, in deren Mitte man eine schwarze runde Nuß eingelassen hatte. Ihre Priester lagen davor auf den Knien und sangen Hymnen. Der ganze Anblick war ein schrecklicher.

Das Volk rief: »Lono! Lono! Lono!«

Als das die Götzen tragende Fahrzeug näherkam, verneigten die Könige sich tief. Und von ihren Priestern geschüttelt, grüßten die Götter in wilder und grotesker Weise.

Ein sehr alter, beinahe blinder Greis, der früher der Führer der Krieger gewesen und jetzt Oberpriester war, trat mit gesenkten Augen und mit ehrfurchtsvoller Miene auf Felix Hector zu. Dann nahm er seinen Mantel, seine Halsbänder und Fetische ab und warf sie über die Schultern des Kapitäns, und unter fortwährendem Gesang stürzte er sich vollständig nackt auf den Boden nieder und blieb unbeweglich, wie eine Leiche eine Zeitlang zu Felix Hectors Füßen liegen; darauf bedeutete er diesem, in die Piroge der Götter zu steigen.

Von einer unbeweglichen Volksmenge umgeben, die an dem Rande des Weges platt auf dem Bauche lag, führte man ihn dann zum Tempel. Es war dies ein aus viereckigen Steinen errichtetes solides Gebäude, dessen plattes Dach mit einer Ballustrade von Menschenschädeln geschmückt war. Es war das Pantheon der Insel. Um einen Opfertisch gereiht, saßen dort zwölf Gottheiten im Halbkreis umher. Die wilden, roh hergestellten Gesichter dieser Götzenbilder waren von einem spöttisch grausamen Lächeln verzerrt. Auf dem Tische aber lagen die vom Volke dargebrachten Opfergaben: geschlachtete Tiere, erdrosselte kleine Knaben und auch Früchte des Feldes. Und der große Hohepriester wies Felix Hector seinen Platz auf einem reich geschnitzten Piedestal inmitten dieser Götzenbilder an, er bedeutete ihn, seinen rechten Arm weit vom Körper auszustrecken, und er selbst unterstützte ihn in respektvollster Weise, diese Stellung festzuhalten, während einer seiner Gehilfen, ein sehr großer Mann mit langem weißen Barte, dessen Haut beinahe so weiß wie die eines Europäers war, seinen linken Arm ausstreckte und hochhielt. Und so stand nun Felix Hector de Beaussier-Larieuse auf dem Dache des Tempels, der das Meer, die Wälder, Felder und Hügel weithin beherrschte mit weitausgebreiteten Armen da, vor einem Volke, das ihn anbetete. Rund um den Tempel stiegen Flammen zum Himmel auf. Man brachte ihm Schweine zum Opfer.

Als er dann die Augen senkte, sah er, daß der Oberpriester ihm kniend einen sehr alten, verwitterten Gegenstand darbot. Er erkannte die Gestalt eines Menschen, der mit weit ausgestreckten Armen an einem Kreuzesstamme hing, während die Füße auf einer Art von Tafel ruhten, und auf dieser Tafel las er die Worte:

 

»Christus Vincit«

und darunter in viel kleineren Buchstaben:

»Carolus Quintus«.

 

Und nun erst begriff Felix Hector die ganze Wahrheit. Zwei Menschenalter vor ihm waren die alten Eroberer Carl des Fünften von Spanien, diese unermüdlichen Seefahrer und Entdecker fremder Länder und Welten in das Reich dieser Inseln gedrungen. Sie hatten hier ihre Tonnen mit frischem Wasser gefüllt, Holz gehauen, vor allem aber nach Gold gesucht. Da sie aber keins gefunden, hatten sie sich sehr bald ziemlich enttäuscht wieder eingeschifft, aber wie das von jeher ihre Gewohnheit war, es unterlassen, diese Inseln in ihre Karten einzuzeichnen, aus Furcht, daß irgendeine andere Nation doch Vorteil aus ihrer Entdeckung ziehen könne. Ehe sie jedoch das Inselreich verließen, hatten sie das Kreuz aufgerichtet und, ohne nur die Sprache der Eingeborenen zu verstehen, ihnen das Christentum gepredigt. Sie hatten ihren Bekehrungsbemühungen zweifellos durch die Macht ihrer Geschütze Eindruck zu verleihen gewußt. Und als dann endlich ihre Schiffe wie geflügelte Walfische davongeeilt waren, hatte sich in der Seele der Eingeborenen die Erinnerung an einen weißen Gott eingeprägt, eines Gottes, der Herr des Himmels und der Erde, der allmächtig und schrecklich ist, und die persönliche Ankunft dieses Gottes hatte man zwei Menschenalter hindurch erwartet.

Ja, so war es! In dem Geiste des Volkes hatte diese Tradition sich dann mit Lono, dem Namen eines berühmten Häuptlings gemischt. Die Legende erzählte von diesem, daß er – ein Narr der Liebe und der Eifersucht – seine Geliebte getötet habe und dann verzweifelnd in einem Kanoe über das unendliche Meer geflohen sei, nachdem er die Verheißung gegeben, daß künftige Generationen ihn wiedersehen, daß er unbesiegbar, unsterblich und als Gott auf seine Heimatinsel zurückkehren würde. Den Priestern war diese Verheißung wohlbekannt und sie wußten noch mehr. Sie waren im Besitze des kupfernen Kruzifixes, ein Symbol und sichtbares Zeichen der Wiederkehr des zu einem Gott erhobenen Lonos. Sie kannten Pelé, die Göttin der unterirdischen, in der Erde glühenden Feuer, und Kéna Képa, der Regengott, sowie Kaili, den mörderischen Kriegsgott. Aber der Gott des Himmels und des Lichtes, er, der über alles wacht und der Sonnenschein über die Erde ergießt, den kannten sie nicht und sie hatten sich kein Bild von ihm zu machen gewußt. Der Ankömmling war ganz gewiß der ersehnte Gott des Himmels. Seine Majestät, die Schönheit seiner jugendlichen Erscheinung, die ihn umgebende Pracht, die Größe und Zahl seiner Fahrzeuge waren ein sicherer Beweis dafür. Ihre Theologen waren dessen ganz sicher.

Es handelte sich hier nicht um blinden Glauben: ein jeder sah und überzeugte sich davon, daß wirklich ein Gott, ein lebendiger Gott unter ihnen sei, sie berührten ihn, dienten ihm, nahmen teil an seinem Ruhme, fanden Schutz in seiner Macht. Eine unbeschreibliche Freude, eine heilige Begeisterung erfüllte die Seele des Volkes.

Und Felix Hector de Beaussier-Larieuse selbst wurde von dem ihn umgebenden Freudenrausche hingerissen und verlor die Herrschaft über seine Vernunft. Man glaubte, daß er ein Gott sei. Nun wohl! da man es glaubte, würde er diesen Eingeborenen, denen er in jeder Weise überlegen war, ein Gott sein. Er würde dem Volke eine neue gerechte Gesetzgebung schaffen, er würde diese Naturkinder, deren absoluter Gehorsam ihm verbürgt erschien, nach seinem Willen lenken, ohne es nötig zu haben, ihnen Zwang anzuerlegen. Er gratulierte sich selbst dazu, daß er seinen Leuten auf das strengte untersagt hatte, im Bereiche dieser Inseln auch nur einen Pistolenschuß abzugeben.

Da erschienen plötzlich vor dem Opfertische vierundzwanzig Unglückliche; ihre nackten Schultern waren mit blutunterlaufenen, von Geißelhieben herrührenden Striemen bedeckt, angstvoll preßten sie die Hände vor das Gesicht, und dann fielen gleichzeitig ebensoviel Henker über sie her, erschlugen sie mit ihrer scharfen Streitaxt und öffneten mit einem Messer von Beilstein ihre Brust. Die Priester aber ergriffen die vierundzwanzig zuckenden Herzen, und, nachdem sie ihre Brust, ihre Wangen und ihre Stirn damit berührt hatten, brachten sie sie dem neuen Gotte als Opfer dar. Denn die Götter, die unsterblich und immer glücklich sind, kennen selbst die Empfindung des Schmerzes nicht und sie freuen sich daher über die Schmerzen der Menschen. Sie lernen dadurch den Wert ihrer eigenen Ueberlegenheit noch höher schätzen.

Felix Hector war starr vor Entsetzen über dieses grauenvolle Schauspiel, er stieß einen Schreckensschrei aus, wollte wegstürzen, strauchelte und fiel über die Ballustrade des Tempels. Man hörte ihn seufzen, man sah, daß er blutete! Und der Hohepriester rief mit rauher Stimme:

»Wir haben uns geirrt! Er leidet, er schreit, sein Blut ist rot! Er ist kein Gott!«

Das Volk wiederholte:

»Sein Blut ist rot! Er leidet! Er ist kein Gott. Er hat das Allerheiligste entweiht!«

Da schleuderte einer aus dem Volke einen schweren Stein auf ihn und zerschmetterte seinen Kopf damit. Ein andrer stürzte sich auf ihn, schlitzte ihm mit einem Messer den Bauch auf, riß einen blutigen Fetzen Fleisch heraus, schwang ihn in der Luft umher und ohrfeigte die Leiche damit. Man riß endlich die arme zerstümmelte Leiche in tausend Fetzen, die zertreten und vernichtet wurden. Man verfolgte die eilends fliehenden Matrosen und ermordete viele von ihnen. Aber die, denen es gelang, an Bord zurückzugelangen, rächten ihren Herrn. Plötzlich donnerten von dem Schiffe, diesem seltsam großen geflügelten Fahrzeuge, die Kanonen: die schönen, am Ufer stehenden Kokospalmen sanken hin wie das Gras vor der Sichel des Mähers. Mitten in das Volk hinein schleuderten unausgesetzt die Feuerschlünde ihre Geschosse und tödlich getroffen sanken die Menschen zu hunderten dahin; vielen wurden Arm und Beine oder der Kopf abgerissen, selbst die, welche nicht verwundet waren, sanken vor Schrecken um und wälzten sich heulend auf dem blutbefleckten Ufer. Nur der Hohepriester, der weise, fast erblindete Greis, stand ungebeugt und hocherhobenen Hauptes da. Er glaubte, daß sie wirklich den Gott der Weißen getötet hätten, da sein Donner ihn rächte. Tieftraurig, wütend und unbezähmbar nahm er diesen ungleichen Kampf auf, obwohl er sich im voraus besiegt wußte, wollte er wenigstens als Krieger sterben, nachdem er als Priester eine nicht mehr gut zu machende Gotteslästerung begangen hatte. Er ließ sich einen Köcher und einen Bogen geben und mit seinen altersschwachen Händen schleuderte er all seine Pfeile himmelwärts.


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