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Während so thörichte Kleinigkeiten das Weibervolk beschäftigten, und während Herr Klempa mit niedergesiegeltem Bart den Schlaf des Gerechten schlief (niemand kann schöner träumen als ein schlummernder Kiebitz), wachte Georg Wibra, in Gedanken versunken. Er entkleidete sich, legte sich nieder, konnte jedoch nicht einschlafen. Sein Entkleiden (bitte nicht zu erschrecken) wird nicht umständlich beschrieben werden, denn das ist nach den Begriffen der gebildeten Gesellschaftskreise eine Anstoß erregende Scene. Weshalb? Weiß ich es denn? Es ist unschön, infolgedessen nicht zu beschreiben. Im Entkleiden des Weibes steckt Poesie. Wenn es gut geschildert ist, fühlt der Leser anstatt Druckerschwärze den feinen, verwirrenden Duft des Frauenleibes aus den Buchstaben heraus, doch das Entkleiden eines Mannes, pfui, nicht einmal es zu erwähnen, getraue ich mich. Auf einen Frauenrock darf man sogar Oden, Dithyramben schreiben, doch schon der Name der Hose ist »unaussprechlich.« Und weshalb? Nun, Gott weiß es. Und was beweist es? Vielleicht, daß der Mann ein unästhetischeres Geschöpf ist als das Weib? Wahrscheinlich nur, daß derjenige, welcher schicklich und unschicklich erfunden hat, ein großer Esel war.
Doch schließlich war es eine ärgere Sache, daß unser Held nicht schlief. Nicht sein Magen war überfüllt von den Speisen der Frau Mravucsán, sondern seine Seele, sein Gehirn war voll von dem großen Ereignis des Tages. Die vielerlei Eindrücke verwirrten sich in seinem Kopfe zu einem formlosen Chaos, als ob er in einigen Stunden einige Jahre durchlebt hätte. Heiliger Gott, wie lange, lange ist es her, daß er auf dem Boden der Frau Münz den Regenschirm gesucht hat! Nun endlich war er gefunden! Die Vorsehung hat ihn geführt. Gott hat einen Engel damit betraut.
Hier schweiften seine Gedanken vom Regenschirm zu dem »Engel« hinüber. Ein hübsches, kleines Ding, das muß man zugeben, durchaus nicht unangenehm, während die anderen jungen Damen, wenn sie in den Backfischjahren sind, steif und gezwungen zu sein pflegen und nichts Natürliches an ihnen ist. Veronika ist eine Ausnahme. Veronika ist ein netter kleiner Backfisch, er fühlte entschieden etwas Sympathie für sie.
Er rief sich jedes ihrer Worte, jede ihrer Bewegungen, welche ihm günstig waren, in das Gedächtnis zurück und genoß sie wieder und wieder (nur daß jetzt zum dritten- und viertenmal noch mehr Honig darin enthalten war). Doch als er am bunten Faden der Erinnerung immer weiter zurückging, und Lächeln, fallengelassene Worte, weiche Stimme, selbstvergessene Blicke, instinktive Gebärden zusammentrug (welch' eine süße Sammlung das war!) fand er darunter auch Gleichgültigkeit und Kälte und warf sich verzagt, mit Gewalt über die Planke der Schwärmerei in die goldige Wirklichkeit – zum Regenschirm hinüber.
Er kann sich wahrlich glücklich fühlen und hat nicht nötig, die unreifen Gedanken von Gelbschnäbeln zu erraten. Mit dem heutigen Tage ist er ein Herr, ein Nabob geworden. Wie ein Fürst will er seine Tage verleben, den Winter in Budapest oder an der Riviera, den Sommer in Ostende oder Monaco zubringen, mit einem Wort, er wird ein großer Herr sein, der gewisse Pfarrersschwesterchen gar nicht beachtet. (Ei, ei, seine Gedanken kehren doch stets zu dem Springinsfeld Veronika zurück.)
Kein Schlaf kam in seine Augen, wie hätte er auch jetzt schlafen können? Immer schönere Lebenspläne schwirrten vor ihm, wie die Schmetterlinge im Glogowaer Walde. Er haschte nach ihnen, haschte immerfort nach ihnen ... Ei, wenn es nur schon tagen wollte, daß er weitergehen, sich bewegen könnte!
Seine Taschenuhr tickte lustig auf dem neben dem Kopfende sich befindenden Tischchen, er blickte darauf, sie zeigte gerade Mitternacht. Unmöglich, sollte es nicht später sein! Geht sie vielleicht nicht richtig? Irgendwo im dritten Hofe krähte ein Hahn, als ob er sagen wollte: »Ihre Uhr geht richtig, Herr Wibra!« Aus dem »Erfrorenen Schaf« klang die Musik undeutlich herüber. Ein Hirte sang trübselig das berühmte slowakische Schäferlied, dessen Anfang in freier Übersetzung folgendermaßen heißt:
Kein Hirte ist, der geschlachtetes Fleisch gern sieht;
Nicht dem gehört das Schäfchen, der es auferzieht.
Georg zündete seine Cigarre an, und dieses närrische Lied drehte beim Aufsteigen der krausen Rauchwolken den schönen roten Stoff seiner Gedanken auf die verkehrte Seite.
Wahrhaftig, gar oft gehört das Schaf nicht dem Hüter. Schau, schau, wo auch dieser Regenschirm zum Vorschein gekommen ist (das heißt, er ist ja noch gar nicht zum Vorschein gekommen), er ist noch immer nicht in seiner Hand. Er ist ihm sogar, wenn wir es streng nehmen, nicht einmal viel naher gerückt. Bisher hatte er befürchtet, daß der Regenschirm als wertloser Plunder irgendwo auf den Mist geworfen wurde, wo er verfault ist, und deshalb war seine Hoffnung, ihn zu erreichen, gering. Was war nun geschehen? Die Sache hatte sich gewendet. Jetzt besteht das Übel darin, daß der Regenschirm ein förmliches Kleinod, eine kirchliche Reliquie ist. Sehen wir 'mal, was geschehen wird. Was wird er morgen dem Pfarrer von Glogowa sagen? Vielleicht »ich bin wegen meines Regenschirmes gekommen?« Der Pfarrer wird ihn sicher auslachen, denn entweder ist er ein bigotter Schwärmer, und dann glaubt er heilig, Sankt Petrus habe den Schirm seiner Schwester gebracht, oder ein Betrüger, ein Pharisäer, und dann wird er nicht so verrückt sein, sich demaskieren zu lassen.
Draußen tobte der Wind und heulte mit zornigem Tosen durch das schlechte Fenster und die schlechte Thür in die Kammer hinein, wo ihn Frau Mravucsán für die Nacht einquartiert hatte. Auch die Möbel bewegten sich und krachten. Das ferne Brausen des Liskowinawaldes war deutlich zu vernehmen. Der gehängte Mann, den Mravucsán erwähnt hatte, arbeitete gar arg darin herum. Georg löschte wieder die Kerze aus, mit welcher der Wind sein unangenehmes Spiel trieb, kroch unter das Federbett zurück und drückte die Augen zu. Seine Phantasie wuchs im Dunkeln; er meinte den gehängten Mann zu sehen, wie er sich am Baume hin- und herneigte und grinsend nickte: »Herr Widra, Sie werden sicher ausgelacht auf der Pfarre zu Glogowa.«
»Heillose Wirren!« murmelte er, sich unruhig in den schneeigen Kissen herumwerfend, denen der unbestimmbare Duft des Frühlingssonnenscheins entströmte. (Sie waren nicht umsonst heute über den Zaun gebreitet.) Gleichviel spann er seine Gedanken weiter: »Der Regenschirm ist doch mein. Ich kann es ja im ärgsten Falle auch vor Gericht beweisen. Zeugen dafür sind Sztolarik, Frau Münz, ihre Söhne, die ganze Stadt Neusohl.«
Doch hierauf lachte er plötzlich bitter auf.
»Das heißt, wie könnte es bewiesen werden? Wo denke ich hin. Gehört doch der Regenschirm nicht mir, sondern der Familie Münz. Der alte Münz hat ihn bei einer regelrechten Auktion aus dem Gregorics-Nachlasse unter den unbrauchbaren Gegenständen angekauft. Der Regenschirm ist folglich Eigentum der Familie Münz, mir gebührt nur, was im Innern steckt. Doch kann ich das vorbringen? Kann ich dem Geistlichen sagen: ›Hochwürdiger Herr, in dem Stocke des Regenschirmes befindet sich eine Bankanweisung auf zwei- bis dreimalhunderttausend Gulden, bitte, sie gefälligst herzugeben, denn mir kommt sie zu.‹«
Georg begann nun, der Reihe nach zu analysieren, was hierauf der Pfarrer thun könnte.
Entweder glaubt er an die heilige Legende und spricht: »Geh' zum Teufel! Sankt Petrus wird nicht so verrückt sein, dir vom Himmel eine Bankanweisung zu bringen.« Wenn er jedoch wirklich in Versuchung gerät, nachzuschauen, und sie in dem Stocke findet, dann wird er sagen: »Wenn er sie doch gebracht hat, so hat er sie sicher mir gebracht,« nimmt die Bankanweisung heraus und verwertet sie selbst. Weshalb sollte er sie auch Georg geben? Womit könnte dieser beweisen, daß sie sein Eigentum ist?
Bald klügelte unser Held auf folgende Art weiter: »Soll ich ihn vielleicht in meine Lebensgeschichte einweihen? Soll ich ihm von Anfang bis zu Ende alles erzählen, von meiner Mutter, von meinem Vater, von den Umständen seines Todes? Nehmen wir an, er glaubt alles, von Alpha bis Omega. Was nutzt das? Leuchtet aus all dem hervor, daß der Schatz mir gehört? Keineswegs. Und wenn er auch einsehen sollte, daß er mein ist, würde er ihn auch hergeben? Auch der Geistliche ist nur ein Mensch. Soll ich ihn vielleicht verklagen, wenn er ihn nicht hergiebt? Lächerlich! Er nimmt die Anweisung schön heraus, und welchen Beweis soll ich dann liefern, daß sie im Regenschirmstocke drin war?«
Der Schweiß rann von Georgs Stirne, er biß vor Wut in sein Kissen. So nahe seiner Erbschaft zu sein, und doch so unermeßlich weit von ihr entfernt! ... Finstere Nacht, gieb Rat!
Und es lohnt sich, zu der Nacht seine Zuflucht zu nehmen. Georg that wohl daran, von ihr Rat zu erbitten. Sie ist die beste Freundin der Grübler und Denker.
Unter die goldenen Sprüche sollte man schreiben: Überlege jede wichtige Angelegenheit bei Nacht, auch falls du schon bei Tage darüber verfügt hast. Denn der Mensch besitzt einen nächtlichen Verstand und einen Tagesverstand. Welcher der bessere ist, weiß ich nicht.
Daß keiner von beiden vollkommen ist, ahne ich wohl. Bei Tage webt das Sonnenlicht wie ein Weber seine bunten Farben in unsere Gedanken ein, und auch die Nacht läßt aus ihren schwarzen Fittichen je eine Feder dazwischen fallen. Sie malen, pantschen, vergrößern, verkleinern, falsifizieren folglich beide. Die Nacht läßt die Gestalt deines Liebchens schöner erscheinen als sie in Wirklichkeit ist, deinen Feind mächtiger, deinen Kummer größer, deine Freude geringer. Dies ist kein schönes Verfahren von ihr, doch die Nacht ist souverän und ist niemandem Rechenschaft schuldig.
Nimm sie so, wie sie ist, doch umgehe ihren Rat nicht, frommer Grübler, wenn du die Wahrheit suchst. Das heißt, du suchst ja nicht die Wahrheit – selbst wenn sie dir entgegenträte – würdest du ihr ausweichen. Ich habe mich schlecht ausgedrückt – umgehe die Nacht nicht, wenn du einen Ausweg suchst.
Sie ist nur scheinbar stumm. Sie flüstert dir so zu, daß du es nicht bemerkst. Wenn es nicht anders möglich ist, bringt sie schon still auf den Fußspitzen den Traum herbei und webt mit unerschöpflicher Erfindungsgabe ihre Ratschläge hinein.
Plötzlich legte sich der Wind, die Musik im »Erfrorenen Schafe« erstarb, Georg hörte nichts mehr als ein leises, rhythmisches Summen. Dann schien es ihm, als ob er sich in einer andern Gegend befände, als ob er im Walde von Glogowa mit Veronika Schmetterlinge jagte.
Wie sie so im Gebüsche weiterschritten, kam ihnen am Wege ein alter Mann entgegen, den gewundenen Goldstab in der Hand, Glorienschein über dem Haupte.
»Sie sind Herr Wibra?« fragte der Greis.
»Ja, und Sie?«
»Ich bin der heilige Petrus.«
»Was wünschen Sie?«
»Ich will eine Erklärung zu Ihren Gunsten unterschreiben.«
»Zu meinen Gunsten?«
»Ich habe erfahren, daß Sie nicht zu Ihrem Regenschirm kommen können. Mein Freund Gregorics hat mich ersucht, Ihnen auszuhelfen. Ich unterschreibe daher mit Vergnügen eine Erklärung, daß nicht ich es war, der den Regenschirm dem Fräulein schenkte.«
»Schön von Ihnen, doch hier habe ich weder Papier noch Tinte bei mir. Kehren wir in das Dorf zurück.«
»Das geht nicht, so viel Zeit habe ich nicht. Sie wissen ja, daß ich beim Thor Wache stehe, ich muß gehen.«
»Doch was soll ich dann beginnen? Wie komme ich zu meinem Regenschirm?«
Sankt Petrus zuckte die Achseln und schien sich entfernen zu wollen. Bei einem alten, hohen Eichenbaume blieb er jedoch stehen und winkte Georg, näherzutreten.
Georg folgte ihm.
»Wissen Sie was, geehrter Freund, grübeln Sie nicht lange nach, nehmen Sie die Veronika zum Weibe, und mit ihr zu gleicher Zeit gelangt auch der Regenschirm in Ihren Besitz.«
»Kommen Sie!« sprach Georg und faßte den Mantel des heiligen Petrus fest an. »Halten Sie in meinem Namen um sie an!«
Georg zerrte und zerrte ihn, doch in diesem Momente war es ihm, als ob irgend eine gewaltsame Hand ihn von rückwärts erfaßt und mit fürchterlicher Kraft mit sich gerissen hätte – er erwachte.
Ein Klopfen ertönte an der Thüre.
»Herein,« murmelte er mechanisch mit benebeltem Kopfe.
Die Dienstmagd der Mravucsáns trat gähnend mit arg zerzaustem Haare ein, um seine Schuhe zu holen.
Georg rieb sich den Schlaf aus den Augen. Es war Morgen. Durch die Fenster lachte die Sonne hinein.
Sein Gedächtnis überflog rasch die Einzelheiten des schwindenden Traumes. Er glaubte in dem sich zerteilenden Nebel noch die blassen Umrisse der Einzelheiten zu sehen. Alles stand noch lebendig vor ihm. Das trockene Laubwerk krachte noch sozusagen unter den Sohlen des Sankt Petrus, und feierlich klang seine gütige Stimme: »Mein Freund, nehmen Sie Veronika zum Weibe, dann wird der Regenschirm in Ihren Besitz gelangen.«
»Ein eigentümliches Traumgesicht,« sprach Georg sinnend, »und wie viel Logik darin steckt. Das hätte mir wirklich auch einfallen können.«
Ei, als ob ihm das nicht selbst eingefallen wäre! Die Nacht befahl nur: Komm hervor, Traum, und baue ihm ein zusammenhängendes Märchen aus dem Stoffe auf, der in ihm gärt.
Als sich Georg angekleidet hatte, war es nicht mehr sehr früh. Das ganze Mravucsán-Haus war in Bewegung, wie ein bevölkerter Bienenkorb. Eine Dienstmagd trug einen Milchkrug, die andere ein Sieb (alle beschäftigten sich mit der frischgemolkenen Milch), Georgs Kutscher rauchte seine Pfeife bei dem Thore, welches der nächtliche Wind aus seinen Angeln gerissen hatte, und verwunderte sich mit den anderen über die Kraft des Windes; als er seinen Herrn bemerkte, lüftete er seinen mit einer Straußenfeder geschmückten Hut.
»Soll ich einspannen?«
»Ich weiß es noch nicht. Hallo, kleines Mädchen! Sind die Damen schon aufgestanden?«
»Sie frühstücken schon im Garten,« antwortete eine Frauensperson, die eine Pfanne mit aufgekochter Milch trug.
»Bitte hierher.«
»So, dann kannst du einspannen, Johann.«
Georg traf sie allesamt unter dem Nußbaum um einen großen runden Steintisch sitzen. Sie hatten ihr Frühmahl schon beendet, nur Madame knusperte noch an dem gerösteten Brote.
Georg wurde mit großem Gelächter empfangen. Veronika rief mutwillig aus: »Da kommt der Frühaufsteher!«
»Der Titel gebührt mir,« erwiderte Mravucsán, »denn ich habe mich gar nicht niedergelegt, wir haben bis zum Morgen Karten gespielt. Der arme Klempa schläft noch immer auf seine zwei Ellbogen gestützt, mit seinem an den Tisch gesiegelten Bart.«
»Das schickt sich gar nicht, solche Dinge zu thun!« ermahnte ihn Frau Mravucsán.
»Guten Morgen! Guten Morgen!«
Sie reichten alle Georg die Hand, auch Veronika erhob sich und verbeugte sich zu wiederholten Malen mutwillig vor ihm.
»Guten Morgen, Sie Frühaufsteher! Guten Morgen. Nun weshalb betrachten Sie mich gar so sehr?«
»Ich schaue,« sagte Georg verwirrt, indem er seine Augen von der Schönheit des Mädchens nicht abwenden konnte, »wie ... sehr ... Sie gewachsen sind!«
»In einer Nacht?«
»Gestern waren Sie noch ein Kind.«
»Ihre Augen waren geblendet.«
»Die sind auch heute geblendet.«
»Weil Sie noch verschlafen sind. So spät steht man auf?«
Der scherzhafte, tändelnde Ton elektrisierte Georg wie eine süße Berührung, und er begann redselig zu werden, verteidigte sich scherzend, in übermütiger Laune.
»Ich habe es ein wenig verschlafen, ja, würde sogar jetzt noch schlafen, wenn die Dienstmagd nicht an die Thür geklopft hätte. Ach, wäre sie nur wenigstens fünf Minuten später eingetreten.«
»Wie,« sprach Frau Mravucsán, »so süß haben Sie geträumt? Was wünschen Sie? Kaffee oder kalten Braten?«
»Ich bitte Kaffee.«
»Wollen Sie Ihren Traum nicht erzählen?«
»Ich habe im Traum geheiratet. Das heißt, die Angelegenheit ist nur bis zur Werbung gekommen.«
»Wie? Also Sie haben einen Korb erhalten?« fragte Veronika, ihr neugieriges Köpfchen vorbeugend, welches heute durch die aufgebaute reiche Haarkrone noch schöner war. Die Haarkrone wieder wurde noch durch eine aufgesteckte Pfingstnelke verschönt.
»Es ist fraglich, was weiter geschehen wäre. Die Dienstmagd hat mich eben im entscheidenden Momente aufgeweckt.«
»So? Ich hätte beinahe geglaubt, Ihre Person habe der Person nicht gefallen,« sprach Veronika in den Märchenstil verfallend. »Wie schade, daß wir es nun nicht mehr erfahren werden.«
»Ich versichere Sie, daß Sie es erfahren werden.«
»Wieso?«
»So, daß ich es Ihnen sagen werde.«
»Ach, reden Sie nicht! Die Träume gehen doch nicht von einer Nacht zur andern in Fortsetzungen über wie die Zeitungsromane.«
Georg trank seinen Kaffee aus, zündete seine Cigarre an und sprach aus einer großen Rauchwolke heraus, indem er mit geheimnisvoller Miene die Augen scherzend zum Himmel erhob: »Es giebt solche Träume, Sie werden schon sehen. Doch wie haben Sie geruht?«
Frau Mravucsán wartete nur auf diese Bemerkung, um die Geschichte mit der Katze, wegen welcher Veronika am Abend sich nicht zu entkleiden traute, breit vorzutragen.
Georg stellte sich die reizende Scene vor und genoß sie in seinen Gedanken, Veronika wechselte wiederholt die Farbe, Mravucsán lachte, während Frau Mravucsán einige belehrende Worte daran knüpfte, wie es sich für eine ältere, erfahrene Frau schickt.
»Auch vom Guten ist ein Übermaß nicht gut, mein Täubchen. Auch die Züchtigkeit schadet, wenn sie das genügende Maß überschreitet. Daran muß man sich gewöhnen. Wenn Sie nun erst einen Mann haben werden, Herzchen! Der schleicht sich wirklich ins Schlafgemach ein und schnürt selbst die Taille seines Frauchens auf. Darüber muß man hinwegkommen!«
»Ach, Tantchen, Tantchen! Was reden Sie, Tantchen!«
Sie hielt sich die Ohren zu, sprang auf und lief auf die Johannisbeersträucher zu. Ein winziger Zweig verwickelte sich in den Saum ihres Rockes, den sie so heftig zurückzog, daß sie ihn aus den Falten riß.
Das war eine schöne Bescherung! Rasch eine Nadel, Zwirn! Die Verwirrung wurde noch erhöht durch das Vorfahren von Wibras Wagen. Zwei Rappen mit silberbeschlagenem Geschirr! Hei, der Advokatenstand ist doch ein gutes Handwerk! (So jung hat er sich schon ein solches Gespann zusammengelogen.)
Frau Mravucsán sowie jedes lebende Wesen im Hause hatte alle Hände voll zu thun.
»Anka, binde schnell den Schinken, den ich für die Reise gekocht habe, in eine Serviette ein. Und du, Suschen, bringe den Kuchen. Doch Sie haben vielleicht kein Messer? Bringt rasch ein Messer mit Hirschhorngriff herbei! Soll ich nicht noch etwas Dörrobst in den Wagenkasten legen? Es ist gut, wenn man unterwegs etwas zu knabbern hat, meine Liebe, besonders für die fremde Dame. Soll ich nicht noch ein Töpfchen mit Marmelade dazuthun? Jedenfalls werde ich Ihnen etwas davon mitgeben.«
»Aber, liebe Tante,« wehrte Veronika ab, »wir sind ja zu Mittag daheim!«
»Und wenn sich etwas zuträgt? Wer kann das wissen?«
Die gute Tante Mravucsán kam und ging, bald lief sie davon, bald erschien sie wieder wie ein rollender Reifen, während Mravucsán seine Gäste um jeden Preis überreden wollte, doch zu Mittag zu bleiben, oder wenn schon nicht so lange, doch wenigstens noch eine Stunde. Zuletzt flehte er nur um eine halbe Stunde, indem er sie versicherte, daß Klempa bis dahin unbedingt aufwachen werde, und das würde ein Schauspiel werden, wie es nicht einmal der König zu sehen bekäme.
Doch es half nichts, sie blieben fest bei ihrem Vorsatze und setzten sich auf das hübsche kleine Gefährt; die Damen auf dem Rücksitz, Georg auf dem Kutschersitz nach innen gewendet, so daß seine Kniee jetzt schon Veronikas Kniee berührten ... Wie wird das bis Glogowa werden!
»Wir fahren nach Glogowa!« befahl Georg dem Kutscher.
Johann schwang seine Peitsche, die Pferde setzten sich in Bewegung, doch kaum war der Wagen über die Thorbrücke hinausgerollt, als ihnen Frau Mravucsán atemlos nachkam, aus vollem Halse schreiend: »Ho, hallo! Stehenbleiben!«
Der Wagen blieb stehen, die Damen sahen sich erschrocken um, was geschehen sein könnte. Doch es war nichts geschehen. Frau Mravucsán hatte noch einige tadellose Äpfel irgendwo in der Speisekammer entdeckt; diese gehüteten Schätze brachte sie in ihrer Schürze herbei und steckte sie, da die Damen keine Taschen in ihren Kleidern hatten, in Georgs Rock mit der Bedingung, daß Veronika diesen schönen roten, echten Scherzeker essen sollte.
Hierauf fuhren sie endlich im Ernste ab unter großem Tücher- und Hüteschwenken, bis an einer Biegung des Weges der freundliche Mravucsán-Hof mit seinen sämtlichen Bewohnern, seinem großen Nußbaume, seinem rauchenden Schornsteine vor ihren Augen verschwand. Immer neue und neue Bilder aus dem Gassenleben des rasch vorbeifliegenden Bábaszék entfalteten sich nun vor ihnen. Vor dem Laden stand Frau Münz in ihrer krausen, schneeweißen Haube und nickte freundlich mit ihrem ehrsamen, grauen Haupte, welches die blinkenden Augengläser in gerader Linie in zwei gleiche Teile teilten. Vor der Schmiede wurde tapfer auf den zerbrochenen Wagen des Glogowaer Pastors losgehämmert. Die mit Wasser begossenen glühenden Eisen zischten wie Schlangen. Etwas weiter legten die Handwerker ihre unverkauften Waren in große, dreieckige Kisten zurück. Langsam blieben die Häuschen mit dem tulpengeschmückten Thor und den im Kranze aufgeschriebenen Anfangsbuchstaben ihres Eigentümers nach der Reihe zurück. Bei dem letzten, dessen Fenster auf den zukünftigen jüdischen Friedhof schauten, wurden die Pferde neben dem Zaun von zwei Pistolenschüssen erschreckt.
Die Glogowaer Reisenden blickten hin: dort stand Herr Mokry in seinem funkelnagelneuen, blauen Gewande, welches der berühmte Neusohler Schneider Klener genäht hatte, in einer Hand seinen Hut zum Abschiede schwenkend, in der andern die zu ihren Ehren abgefeuerte Pistole hochhaltend. Auf der andern Seite warf der schreckende Flügel der gefährlichen Windmühle seinen finstern Schatten auf das lächelnde, rote, blumige Kleefeld. Zum Glück war er jetzt bewegungslos, wie eine aufgespießte Riesenfliege. Nicht der leiseste Windhauch rührte sich. Das Getreide wiegte seine kleinen, verkümmerten Ähren nicht, sondern sie standen still von den sengenden Sonnenstrahlen übergossen, unbeweglich, gerade wie die Grenadiere. Tiefe Ruhe lag auf dem Felde ringsumher. Nur die Hufe der Pferde schlugen an die Steine, und der Liskowinawald, der immer näher und näher an sie herankam, mit seinem trägen, endlosen grünen Leib schien leise zu atmen.