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Nicht nur unser Herr Kapiczány hat Glogowa gesehen, auch der Schreiber dieser Zeilen hat es mit leibhaftigen Augen geschaut. Dürftig und öde ist die Landschaft, im engen Thale drückt sich das Dörfchen an die kahlen Berge an.
In der ganzen weiten Runde giebt es dort keine einzige brauchbare Landstraße, geschweige denn eine Eisenbahn. Seit neuester Zeit verkehrt so eine Art Kaffeemaschine zwischen Neusohl und Schemnitz, aber auch die berührt Glogowa nicht. Fünfhundert Jahre wird Glogowa brauchen, um das Niveau der innerhalb der Civilisationslinie liegenden Dörfer zu erreichen.
Die Erde dort ist lehmig, unfruchtbar und widerspenstig. Sie versteift sich darauf, nur gewisse Pflanzen ernähren zu wollen, wie z. B. Hafer und Erdäpfel, von anderen will sie nichts wissen – und selbst die beiden muß man noch beinahe mit Gewalt der Muttererde entreißen.
Diese Erde ist aber auch gar keine Mutter, viel eher eine Schwiegermutter. Ihr Schoß ist voller Steine, und häßliche Risse und Gräben durchziehen sie, an deren Rändern ein wenig Marienflachs vegetiert, gleichwie einzelne Härchen am Kinn eines greisen Mütterchens. Ist die Erde hier vielleicht schon zu alt? Aber sie kann ja doch nicht älter sein als anderswo. Nur schneller ausgelebt hat sie sich. Unten, die goldährige Ebene hat jahrtausendelang nur Gräser hervorgebracht, hier oben im Felsenlande wachsen Rieseneichen und Tannen aus dem Mutterschoß hervor. Kein Wunder, daß sie schneller müde geworden.
Armut und Elend herrschen hier, und doch ist ein unbeschreiblicher Reiz, eine süße Poesie über die öde Gegend gebreitet.
Die elenden Hütten werden von den mächtigen Felsen, die auf sie niederschauen, verschönt.
Diese schönen Felsen durch zierliche Schlösser zu verunstalten, deren Türme sie verdecken würden, wäre wahrlich schade. Die Luft ist von Wacholder- und Fliederduft erfüllt. Andere Blumen giebt es hier nicht.
Höchstens sieht man aus dem einen oder andern Gärtchen eine Malve weiß oder rot hervorschimmern. Bloßfüßige, flachshaarige junge Slowakinnen begießen sie aus ihren Steinkrügen.
Heute noch sehe ich das kleine slowakische Dorf vor mir, so deutlich wie im Jahre 1873, zu welcher Zeit ich dort war, ich sehe die kleinen Häuschen, die Gärten, in denen Klee gesäet und Kukuruz gepflanzt ist, und dazwischen einige Zwetschkenbäume, mit Stangen gestützt; denn die Obstbäume thun ihr Möglichstes, als hätten sie sich besprochen: »Ernähren wir unsere armen Slowaken.«
Es war gerade der Pfarrer gestorben, und ich war mit dem Stuhlrichter zur Aufnahme des Nachlasses gekommen. Sie gab uns nicht viel Arbeit, nur einige schäbige Möbel und abgetragene Soutanen waren zurückgeblieben.
Die Dorfbewohner beweinten den alten Pfarrer.
»Er ist ein guter Mensch gewesen,« sagten sie, »aber er hat nicht verstanden zu wirtschaften. Freilich war auch nicht viel da zum wirtschaften.«
»Warum bezahlt ihr denn euren Pfarrer nicht besser?« warf ihnen mein Prinzipal vor.
Ein Slowak mit einem großen Zopf antwortete ihm und schob sich dabei den Lendengurt wie herausfordernd ein wenig höher über den Bauch.
»Der Pfarrer ist nicht unser Knecht, sondern der Diener Gottes. Jeder mag seinen eigenen Knecht bezahlen.«
Nach der Aufnahme der Hinterlassenschaft gingen wir, bis die Pferde angespannt waren, einige Augenblicke die Schule besichtigen, denn mein Stuhlrichter spielte sich mit Vorliebe auf den Pädagogen auf.
Ein niederes, baufälliges Häuschen war die Schule, natürlich nur mit Stroh gedeckt – denn bis zu Schindeln hatte es in Glogowa nur unser Herrgott gebracht; aber auch sein Haus war bescheiden, nicht einmal einen Turm hatte es, sondern bloß unten einen Glockenstuhl.
Der Schulmeister erwartete uns im Hofe. Wenn ich mich gut erinnere, hieß er Georg Majzik. Er war ein robuster, starker Mann, im besten Mannesalter, mit einem klugen, verständigen Gesicht und von einfacher, gerader Redeweise.
Er erweckte auf den ersten Blick Sympathie.
Er führte uns zu den Kindern, die Schulmädchen saßen links, die Buben rechts, alle glatt gekämmt. Sie erhoben sich geräuschvoll und riefen mit singender Stimme: »Vitajtye, panyi, vitajtye!« (»Seid willkommen, Herren!«)
Der Stuhlrichter stellte einige Fragen an die hübschen, pausbäckigen Kinder, die uns mit ihren weit aufgerissenen, nußfarbigen Augen verwundert anstarrten. Alle hatten nußfarbene Augen.
Die Fragen waren natürlich nicht schwer: ob Gott einzig ist, wie dieses Land heißt und dergleichen mehr: den Kindern verursachten sie nichtsdestoweniger einiges Nachdenken und Kopfzerbrechen.
Aber mein Prinzipal war kein strenger Mann, er klopfte dem Schulmeister freundlich auf die Achsel: »Ich bin zufrieden, amice.«
Der Lehrer verbeugte sich und geleitete uns barhaupt auf den Hof.
»Hübsche Kinder,« bemerkte draußen der Stuhlrichter launig, »aber wie kommt es denn, domine frater, daß sie alle ein und dasselbe Gesicht haben?«
Der Schulmeister von Glogowa kam ein wenig in Verlegenheit, aber dann verbreitete sich eine aufrichtige Gemütlichkeit über sein gesundes, rotes Gesicht.
»Das kommt daher, Euer Wohlgeboren, weil im Sommer alle Männer von Glogowa hinunter in die Tiefebene gehen zur Feldarbeit, und dann bleibe ich bis zum Herbste der einzige Mann hier im Dorfe.« (Ein schelmisches Lächeln umspielte seine Lippen.) »Belieben zu verstehen?«
»Und wie lange sind Sie schon hier?« fragte hierauf der Stuhlrichter lebhaft.
»Vierzehn Jahre, bitte ergebenst. Ich bemerke aus der Frage, daß Sie zu verstehen beliebt haben.«
Dieser kleine Dialog ist mir bis zum heutigen Tage im Gedächtnis geblieben, als Charakteristik für Glogowa.
Wir wiederholten ihn öfters im Wagen und lachten immer herzlich darüber. Der Stuhlrichter gab es zu Hause noch lange in den Gesellschaften zum besten, als famosen Leckerbissen.
Zwei Wochen später kam die Nachricht, daß die Glogowaer einen jungen Kaplan, Namens Johannes Belyi als Pfarrer bekommen hatten. Ich erinnere mich, daß der Stuhlrichter bemerkte: »Wenigstens wird der Schulmeister im Sommer nicht mehr allein bleiben.«