Koloman Mikszáth
Melchior Katánghy
Koloman Mikszáth

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König Johann.

Blandis blieben. Der Flirt dauerte kaum eine Woche, und der Arzt hatte um Klaras Hand angehalten. Sie ward ihm zugesagt. Zwei Wochen darauf fand schon die Trauung in der kleinen Klosterkirche von Prixdorf statt, in deren schattigem Gärtchen die Franziskanermönche ihre Tarockpartie spielen.

Zur Hochzeit kamen die beiden Brüder Melchior v. Katánghys, der Ingenieur und der Advokat; von seiten der Blandis: Christoph Bodrogßegi, der Bruder der Braut, der als Ulanenleutnant in Innsbruck garnisonierte, und Johann Király (König), der Bruder der Frau Blandi – denn Frau Blandi war der Abstammung nach eine Széklerin, und man nannte sie in ihrer Glanzzeit nicht mit Unrecht »die schöne Königstochter« – sie war die jüngste Tochter des Stuhlrichters Aron König.

Johann Király war ein schöner, lebhafter alter Herr mit roten Wangen, weißem Haar und kleinen Augen: gemeinhin nannte man ihn nur »König Johann«, und er galt in ganz Siebenbürgen für einen außerordentlich verschmitzten Menschen.

Wenn er zum Fürsten geboren worden wäre, so hätte er wahrscheinlich ganz Europa in Aufruhr versetzt durch seine verschlagene Denkungsart, die Schlauheit seines ränkespinnenden Schädels und seine auf menschliche Schwächen aufgebauten pfiffigen Pläne; aber »König Johann« war gottlob nur der Bürgermeister von Szentandrás, einer Székler Stadt.

Er stand aber auch so fest auf seinen Füßen und hielt die Zügel straff wie Napoleon. Man liebte ihn nicht, doch fürchtete man ihn, weil er den Leuten imponierte. Er war unbarmherzig und ein rechter Tyrann in seinem kleinen Wirkungskreise.

Würden die Hennen von Szentandrás ein Tagebuch führen, so würden sie den Namen König Johann dem des Herodes gleich darin verzeichnen. Als der Minister des Innern einst in der Stadt übernachtete, ließ der Bürgermeister, wie Leutnant Christoph erzählte, am Nachmittag austrommeln: »Hiemit wird allen, die es angeht, kund und zu wissen getan, daß bis 8 Uhr abends alle Bewohner der Csapógasse sämtliche Hähne bei strenger Strafe geschlachtet haben müssen!«

Kurz, es wurden sämtliche Hähne ausgerottet, damit kein Hahnenschrei Se. Exzellenz im nächtlichen Schlummer störe.

Es ist kaum auszudenken, welche Verbitterung im Reiche der Hennen geherrscht haben mußte. Sogar bei der Belagerung von Weinsberg durfte jede Frau einen Mann mitnehmen. Hier blieb aber kein einziger Hahn am Leben.

Ja, König Johann war ein geborener König, nach dem Vorbild der alten Tyrannen! Was wäre erst aus ihm geworden, wenn er statt des Bürgermeisterstabes eine Guillotine in seine Gewalt bekommen und statt eines Heiducken in blauer Attila ein ganzes Heer seinen Befehlen gehorcht hätte.

Aber das »Wenn« bleibt immer nur ein Wenn. Die Wahrheit ist, daß er auch so stark und mächtig war. Seine mit allen Salben geschmierten Hände reichten weit über die Grenzen des Städtchens hinaus, und so weit das menschliche Auge durch ein Vergrößerungsglas von der Spitze eines Turmes blicken kann, regierte er auf sehr geschickte Weise; er leitete und beeinflußte die Menschen, gleichviel ob diese ihm folgen wollten oder nicht.

Er kam kurz vor der Hochzeit nach Prixdorf und reiste noch am Tage der Feier ab. Er wollte gerade nur der Trauung beiwohnen, da er unaufschiebbare Geschäfte in Budapest hatte, wie er sagte.

König Johann hatte durchaus nichts Königliches an sich, nur seine Stimme klang schnarrend, befehlshaberisch, und sein Schnurrbart kräuselte sich so in die Höhe, wie einst jener Stephan Báthorys.

Frau Blandi und ihre Tochter gingen zu seinem Empfange auf den Bahnhof hinaus und nahmen auch den Bräutigam mit. Frau Blandi ermahnte ihn: »Das ist ein bedeutender Mensch. Seien Sie liebenswürdig zu ihm.«

»Warum nennt man ihn König Johann?« fragte Katánghy.

»Man stellt seinen Namen um, weil er zu Hause ein sehr mächtiger Mann ist.«

Am Bahnhofe wurde ihm Melchior vorgestellt.

Er umarmte ihn so kordial, daß ihm fast die Knochen im Leibe krachten.

»So? Er ist also der Matador. Na, das ist brav!«

Er musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle, schien mit ihm zufrieden und versetzte ihm, lustig lachend, eins in den Rücken.

»Na, mein Junge, ich sage dir, du bist ein glücklicher Mensch, kriegst ein schönes Weib; aber wenn du der Herr im Hause sein willst, so nimm dich ordentlich zusammen.«

Darauf setzten sie sich in die beiden bestellten Wagen, die beiden Geschwister in den einen, die Verlobten in den anderen.

Sie hatten dann noch gerade Zeit genug, um sich zur Trauung umzukleiden, die um halb ein Uhr stattfand. Das Brautpaar war in Reisekleidern, obschon sie nicht die Absicht hatten, fortzureisen; sie wollten durch ihre Kleidung zeigen, daß sie eigentlich »unterwegs« heirateten, daß keiner von beiden zu Hause ist; der alte Herr legte trotz alledem seine ungarische Galakleidung an – da er sie nun einmal mitgebracht hatte; der Kalpak mit der Reiherfeder und der Krummsäbel erregten kolossales Aufsehen in den Reihen des gaffenden ausländischen Pöbels. (Kurgäste waren damals in Prixdorf nur noch in geringer Anzahl anwesend.)

»Der Schah von Persien!« flüsterten sie. (Wahrhaftig, er ähnelte ihm einigermaßen.)

Nach dem im Familienkreise eingenommenen Diner, das nach der Trauung in einem separaten Saale des »Goldenen Apfels« stattfand, reisten sämtliche Verwandte ab, darunter auch Frau Blandi selbst, die ihre Tochter dem Gatten überließ. Das gewöhnliche Hochzeitsprogramm – nur umgekehrt. Sonst verläßt das junge Ehepaar die ganze Hochzeitsgesellschaft und reist nach Venedig oder weiß Gott wohin; hier aber trollt sich die ganze Hochzeitsgesellschaft von dannen – um nicht lästig zu sein.

Rührselige Szenen spielten sich ab; es gab viel Weinen und Jammern, auch verdächtiges Flüstern, wie es bei solchen Anlässen zu sein pflegt. Der eine junge Katánghy, der Advokat, rief seinen Bruder Melchior beiseite und trat mit ihm in die Nische des Extrazimmers.

»Gibt's Moneten?« fragte er mit vielsagendem Augenblinzeln, das Zählen von Geld mit den Fingern markierend.

»Ich glaube schon, daß Geld da sein wird,« erwiderte Herr Melchior mit strahlendem Gesichte.

»Wir könnten dringend Hilfe brauchen,« sagte der Advokat leise, seinem Bruder die Hand drückend. »Du warst stets ein guter Bruder, Melchior.«

Vielleicht wollte genau in derselben Minute Leutnant Christoph mit sanftem Nachdruck Frau Blandi in dieser Richtung ausholen. Die Mama schlug ihm zornig auf den Mund.

»Still ... Du Rabe!«

Später schien sie ihm zuzuflüstern: »Ich weiß gar nichts, aber seine Klientel scheint riesig zu sein!«

Nach und nach verschwanden sie. Frau Blandi fuhr mit dem Sechs-Uhr-Zuge in der Richtung nach Klagenfurt fort, zusammen mit dem Ulanenleutnant; als sie ihre Tochter vor dem Wagen zum letzten Male umarmte, wurde sie ohnmächtig, man mußte sie »laben«. Die Brüder Katánghy machten erst einen Ausflug nach dem Salzkammergut, von dort beabsichtigten sie dann am Dienstag nach Hause zu reisen.

König Johann blieb am längsten; sein Zug ging erst um 7 Uhr ab. Inzwischen hatten er und Melchior an der mit Blumensträußen geschmückten Hochzeitstafel dem Weine zugesprochen und über alles mögliche geplaudert. König Johann fand an seinem neuen Verwandten großes Gefallen.

»Kannst du reden?« fragte er plötzlich ganz unvermittelt.

»Wie denn nicht?« erwiderte Melchior und erzählte die Geschichte, die ihm mit Michael Varga auf der Universität passiert war. »Gerade dazu habe ich Talent, lieber Onkel!«

»Na, dann gebe ich dir einen Landsitz, auf dem du bis ans Ende deiner Tage ruhig leben kannst.«

Gegen 7 Uhr begleiteten sie ihn zum Bahnhof. Überhaupt behandelte Melchior ihn mit ausgesuchter Aufmerksamkeit. Auf dem Bahnhofe zog der Alte einen Marien-Goldtaler aus der Tasche und druckte ihn Klara mit großer Wichtigtuerei in die Hand.

»Da hast du, mein Kätzchen! Du sollst nicht sagen, daß ich dir nichts gegeben hätte.«

König Johann war ein sehr origineller Mensch; seine schlauen, winzigen Augen lachten unausgesetzt, sein kurzer Hals aber bewegte sich immerfort hin und her, wie er auch mit der Hand fortwährend herumfuchtelte, als ob er jemandem Ohrfeigen geben wollte.

»Was aber dich anbetrifft,« sagte er zu Melchior gewendet, »so bleibt es dabei, du bekommst von mir eine Domäne.«

Melchior lächelte nur und verbeugte sich tief; er war ganz gerührt. Potztausend! Eine Domäne! Denkt er an eine echte und wirkliche Domäne?

Das zweite Läuten ertönte.

»Komm her, mein Kätzchen, laß mich dir noch einen Kuß aufschmatzen. So, so. Wie das schmeckt! (Dabei zwinkerte er Melchior schelmisch zu.) Hast du das schon verkostet, Freundchen? Wie, noch nicht? Ei, ei. Na, aber jetzt laßt mich diesen Dampfgaul besteigen, der mich nach Hause führt. Gott mit euch, Kinder! Was ich versprochen, werde ich halten. Hier meine Hand, ein Manneswort!«

Melchior drückte diese dankbar, ja er wollte sich sogar darüber neigen, um sie zu küssen; in diesem Augenblick versetzte ihm König Johann mit verwandtschaftlicher Bonhomie eine leichte Maulschelle: »Aber so geh doch, du Narr! Ich bin doch kein Bischof!«

Dann erkletterte er flink den Waggon und sprach durch das offene Fenster: »Wo werdet ihr im Winter wohnen?«

Die jungen Eheleute blickten einander verlegen an, als ob sie sich gegenseitig fragen wollten: ja wo werden wir denn eigentlich wohnen?

Mein Gott, alles war so schnell gegangen, daß sie wirklich daran noch gar nicht gedacht hatten.

»In Budapest,« entgegnete nach einer kleinen Pause Melchior, der seit einem halben Tage Ehemann war.

»Ich werde euch dort besuchen, und dann wollen wir ausführlicher über die Zukunft reden. Eines kann ich euch aber jetzt schon raten (er winkte die jungen Leute an sich heran, damit die Reisenden ihn nicht hörten), diese heutige Trauung setzet ja nicht in die Zeitung.«

»Warum nicht. Onkelchen?«

»Warum? Warum? Was verstehst du davon, mein Zuckerpüppchen. Mein Verstand blickt weit voraus. Es ist aber nicht nötig, etwas auszuplappern, was ohnehin vorbei ist. Wenn die Katze Rahm stehlen will, so steckt sie die Pfoten nicht erst in Nußschalen, um damit zu klappern. Folget eurem alten Onkel und damit Punktum.«

Der Dampfgaul pfiff und entführte König Johann zurück in sein Land – das junge Paar aber trat seine Honigstunden an. Bei Gott, ich kann sie nicht Honigwochen nennen.

Schon am nächsten Tage fiel ein winziges Krümchen Brot in den Honig. Und es gibt für den Honig nichts Ärgeres. Ein kleines Krümchen genügt, um ein ganzes Faß Honig sauer zu machen. Und dabei war doch nicht einmal ein ganzes Faß Honig vorhanden, sondern nur ein kleines Töpfchen.

Natürlich sprachen sie in ihrem traulichen tête-à-tête über die Ereignisse des gestrigen Tages als von ganz fern liegenden Dingen, deretwegen das neugebackene Weibchen durchaus nicht die Farbe wechseln und ihre schönen Augen verschämt niederschlagen mußte

»Nicht wahr, der alte Onkel Johann hat irgendeine Fabrik?« fragte Melchior.

»Aber nein. Er ist Bürgermeister von Szentandrás.«

»Ich weiß, aber außerdem.«

»Er besitzt keinerlei Fabrik.«

»Wenn ich mich genau erinnere, sagte die Mama so etwas Ähnliches.«

»Ah, was für ein Narr du bist!« lachte Klara laut und herzlich auf. »Die Mama pflegt damit zu scherzen, weil Onkel Johann in seiner Gegend die Abgeordneten fabriziert!«

Auf Melchiors Stirn trat eine kaum wahrnehmbare Falte. Ach so, also deshalb sagte Frau Blandi, seine Fabrikate seien zwanzigtausend Gulden wert ... Natürlich, natürlich!

Die Sache ärgerte ihn aber doch.

»Also ist der alte Herr so eine Art Hauptkortes?«

»Ja,« sagte das Frauchen einfach.

»Und die Domäne, die er mir versprach, ist also ein Wahlbezirk?«

»Natürlich. Ja, was dachtest du denn sonst?«

»Weiß der liebe Gott!« sagte Herr Melchior verstimmt. »Jedenfalls dachte ich an etwas anderes. Ich hielt ihn für einen reichen Mann. Ich weiß selbst nicht, wieso.«

»Und doch ist er arm. Es steht aber fest, daß er dir mit der Zeit sehr gut zu einem Bezirk verhelfen kann, wenn er will, denn er ist der schlauste Kortes im ganzen Lande.«

Melchiors Augen leuchteten bei dem Worte »Bezirk« auf. Sein Blut begann zu prickeln, dieses zu bösen Leidenschaften so leicht neigende Gentryblut. Es begann zu prickeln, wie das Blut des Wolfes, wenn er ein Lamm wittert. Dann aber senkte Melchior traurig den Kopf.

»Ich habe keinen derartigen Beruf,« seufzte er. »Ich bin weit entfernt von solchen Träumen.«

»Mit der Zeit! Wer weiß?«

»Hätte ich Geld für andere Zwecke« – (Melchior wollte seine Frau nach und nach auf seine Armut vorbereiten.)

Das Frauchen vertröstete ihn mit süßem Lächeln: »Ei, was nicht ist, wird Gott schon geben!«

»Wann?« fragte Melchior unruhig.

Klärchen zuckte die Achseln.

»Weiß ich das? Kümmert es mich? Ich bin ganz selbstlos deine Frau geworden.«

»Davon bin ich überzeugt,« sagte Melchior und legte seinen Arm um ihren Nacken.

Klara zog den Schlafrock fester über ihrem Busen zusammen und gab ihm einen Klaps auf die Hand.

»Weg die Hand, mein liebes Männchen, hörst du? Und dann, sprich nicht von dem abscheulichen Gelde.«

»Natürlich,« sagte der Ehemann lachend, »aber siehst du, mein Herzchen, das Geld ist der »nervus rerum gerendarum«: das Mittel zum Kriegführen.«

»Geh! Du willst doch nicht etwa gegen mich Krieg führen?!«

»Nein, nein, großes Kind. Aber auch zur Liebe braucht man es. Ja, liebes Frauchen, das Geld kann man nicht entbehren. Geld regiert die Welt! Wir bedürfen Seiner Majestät des Geldes unausgesetzt. Seine Majestät gebietet allem und jedem. Jetzt zum Beispiel wollen wir uns für den Winter irgendwo niederlassen, denn hier können wir über den Winter nicht bleiben; darum müssen wir Seine Majestät das Geld befragen: Sire! Wohin befehlen Sie uns zu gehen, und wie weit dürfen wir uns strecken?«

Klara schnitt ein so kindisches Gesicht wie ein kleines Mädchen, dem der Papa von einem ganz unbekannten Lande erzählt.

»Richtig, richtig,« nickte sie sehr ernsthaft mit dem Köpfchen.

»Na also, dann setze dich hierher auf meine Knie. So, na; und jetzt nimm die Allüren einer klugen Hausfrau an, dann werden wir Rat halten.«

»Eine kluge Hausfrau sitzt nicht auf den Knien ihres Mannes,« warf Klara schmollend ein.

»Sondern?«

»Der Ehemann setzt sich ihr zu Füßen«

»Gut denn, ich will so sitzen. Wo ist der kleine Schemel? Nun wollen wir beratschlagen.«

»Meinetwegen, fange an.«

»Nein, fang' du an.«

»Ich fange nicht an.«

»Also meinetwegen, so fange ich halt an,« sagte der Doktor. »Der Stärkere gibt nach – aber ich füge hinzu: nur wenn er will! Daraus darf, meine Gnädige, kein Präzedenzfall werden.«

»Was ist das, ein Präzedenzfall?«

»Das werde ich dir schon ein andermal erklären, vorerst lasse ich mich nicht von dem aufs Tapet gebrachten Gegenstand ablenken. Also, wo soll ich anfangen? Was wollte ich nur sagen?«

»Willst du nicht inzwischen um einen Kuß bitten?«

»Aber gewiß!«

Es folgten Küsse über Küsse. Vergebens hatte er versichert, daß er sich nicht vom Gegenstande ablenken lasse.

»Es ist schwer, auf diese Art zu beraten!« sprach er lachend. (Er war ein närrischer Mensch – ist es doch im Gegenteil nur angenehm, so zu beraten.)

Inzwischen meldete Michael Varga einen Kranken an, einen Schneider aus Pilsen, der sich verabschieden kam und sein bescheidenes Briefkuvert mit zwei Zehn-Gulden-Scheinen darin brachte. Inzwischen eilte das Frauchen ins andere Zimmer.

Mein letzter Patient, brummte Melchior vor sich hin, als der Schneider sich entfernt hatte. Jetzt könnten wir Prixdorf auch verlassen.

Dies spornte ihn noch mehr an, mit Klärchen ins reine zu kommen. Eine fieberische Ungeduld überkam ihn, der Boden brannte ihm unter den Sohlen, und eine unergründliche Bangigkeit preßte ihm das Herz zusammen – eine seltsame Erscheinung am Vormittag nach der Brautnacht, da er doch glücklich sein sollte.

Er rief ins Schlafzimmer hinein: »Klärchen, kannst du herauskommen?«

»Ich will mich erst ankleiden.«

»Tue das lieber nachher. Erst wollen wir noch ein wenig plaudern.«

»Ist dein Kranker fort?«

»Er kam, um sich zu verabschieden.«

»Hat er gezahlt?«

»Ja.«

»Viel?«

»Wenig!«

»Euch ist alles zu wenig, ihr häßlichen Doktoren! Und doch besteht eure ganze Weisheit darin: ›Strecken Sie die Zunge heraus, Fräulein!‹ Ist's nicht so?«

»Du bist ein Närrchen. Jetzt wollen wir in allem Ernste beratschlagen.«

»Was? Du willst dich mit einem Närrchen beraten?«

»Klärchen, ich werde böse, wenn du nicht ernst sein kannst.«

»Also, ich passe auf!«

»Nun, so sage mir: Wie groß soll die Wohnung sein, die wir in Pest mieten? Wieviel Zimmer meinst du, und wie sollen wir sie einrichten?«

»O, mein lieber Gott, ich begnüge mich auch mit einer Hütte, in der nur ein Tisch und zwei Stühle sind. Was gibt es da zu lachen?«

»Ich lache darüber, weil jede Frau am Tage nach der Trauung so spricht.«

»O bitte, ich habe wahrhaftig gar keine Ansprüche; bin ich doch unter so bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen.« (Auch Klärchen war bestrebt, ihren Mann allmählich auf die wirklichen Tatsachen vorzubereiten.)

Melchior war von dieser Bemerkung sichtlich betroffen.

»Jawohl, einfache Verhältnisse! Was verstehst du unter bescheiden?« fragte er mit spöttischem Lächeln. »Koch und Portier?«

Klärchen blickte ihn staunend an.

»Portier und Koch? Was glaubst du denn?«

»Also hält die Mama zu Hause keinen Koch?«

»Bewahre! Woher würde die Arme die Mittel dazu nehmen? Wer hat dir denn das gesagt?«

Melchior fühlte das Blut in seinen Adern erstarren.

»Die Baronin, die Mama,« stammelte er. »Erinnerst du dich denn nicht?«

»Die Mama hätte so etwas gesagt?«

»Ja, bei einer Gelegenheit, als sie das Essen tadelte, sagte sie wörtlich: ›Wenn ich im nächsten Jahre noch lebe, so bringe ich einen Koch mit!‹«

Klärchen brach in ein schallendes Gelächter aus, daß ihr die Tränen aus den Augen stürzten.

»O meine närrische Mama! Natürlich möchte sie gern einen Koch mitbringen. Wer täte das nicht gern? Wie kann man auch einen frommen Wunsch so mißdeuten? O meine närrische Mama! Hahaha!«

Melchior fand die Sache jedoch durchaus nicht so belustigend.

»Klara, ich will die volle Wahrheit wissen!« rief er erregt.

»In welcher Hinsicht, mein liebes Männchen?« entgegnete Klara noch immer in scherzendem Tone.

»Wie hoch beläuft sich deine Mitgift? Schließlich muß ich das ja doch wissen!«

»Meine Mitgift?« sagte sie gleichgültig, in gedehntem Tone. »Ich habe überhaupt keine Mitgift.«

Katánghy erbleichte.

»Deine Mutter ist doch eine reiche Frau,« stotterte er verwirrt. »Oder nicht?«

»Meine Mutter lebt von der Pension, die sie seit dem Tode ihres Mannes erhält. Und die ist sehr gering.«

»Unmöglich! ... Unmöglich! ...«

Mit verstörtem Gesicht ging et ratlos im Zimmer auf und nieder, seine Nasenflügel bebten, seine Augen waren blutunterlaufen, man sah ihm an, daß er sich zu beherrschen trachtete; der wohlerzogene Mensch kämpfte mit dem Tier in ihm.

Plötzlich blieb er vor seiner Frau stehen und zog sie in heiserem Tone zur Rechenschaft: »Warum gabt ihr mir damals 100 Napoleondor?«

Klärchen ward rot wie ein Krebs, dann trat sie auf ihn zu und legte mild und besänftigend ihre Hand auf seinen Arm.

»Das war mein ganzes väterliches Erbe. Ich gab es dir, weil ... weil ...«

»Weil du mich prellen wolltest!«

»Weil ich dich liebte ...«

Melchior stieß sie von sich und stürzte hinaus. Im Türrahmen drehte er sich um und rief, am ganzen Körper bebend: »Ich bin Schwindlern in die Hände gefallen! ...«


So verging der erste Vormittag. Ich jage sie davon, noch heute jage ich sie fort! wiederholte er draußen immer wieder, vor Rachesucht keuchend. Als die frische Luft seinen heißen Kopf ein wenig abgekühlt hatte, begann er ruhiger zu überlegen, daß aus dem Verjagen ein großer Skandal entstehen müßte, und die ganze Welt ihn verlachen würde, weil man ihn mit ein paar Napoleondor so leicht an der Nase herumgeführt hatte. Ein langer Spaziergang in der Richtung nach dem Wäldchen, auf dem ihm alle entgegenkommenden Bekannten zu seinem großen Glücke gratulierten (man kann sich denken, welcher Anstrengung es seinerseits bedurfte, um ein freundliches Lächeln zu markieren), brachte ihm die richtige Einsicht, es sei das beste, die bittere Pille, die ihm das böse Geschick gedreht hatte, resigniert zu schlucken. Ein kluger Dieb geht nicht zur Polizei, wenn man ihn bestohlen hat, während er sich in den Taschen anderer Leute zu schaffen machte. Leider ist der Diebstahl und das Herumsuchen in fremden Taschen nur akademisch zu verstehen. Denn was hatte ihm Klärchen eigentlich gestohlen? Leider gar nichts. (Die Ärmste ist doch selbst sehr schlecht angekommen.) Und er, in wessen Tasche hat er denn gesucht? Sprechen wir lieber nicht davon.

In einem seiner medizinischen Bücher befand sich ein Bild, auf dem der Kranke und die Krankheit als zwei verschiedene Personen nebeneinander in einem Bett lagen. Der Arzt schlägt mit einer großen Keule auf die Krankheit los, aber seine Hiebe treffen auch den Kranken. Eine ziemlich treffende Charakteristik der heutigen Heilmethode.

Wenn das aber auch auf diesem Gebiete angeht, ist es doch in anderen Situationen nicht zweckmäßig, jemanden zu schlagen, wenn wir dadurch selbst in Mitleidenschaft gezogen werden. Er durfte daher Klara nicht an den Pranger stellen; was geschehen, war des Allmächtigen Fügung, war Sein heiliger Wille (natürlich war Gott durch die hundert Napoleondor geblendet worden), man mußte sich also darein ergeben.

Kurz, das Resultat des Spazierganges war, daß Melchior sich schön ruhig nach Hause trollte, als sein Magen knurrte; die Stimmung leichtsinniger Menschen wechselt eben gar schnell.

Als er sein Frauchen weinend antraf, war er es, der einen friedlichen Ton anschlug: »Na, so weine doch nicht! Kleide dich lieber an und laß uns speisen gehen!«

Aber Klärchen weinte immerfort, als wollte ihr das Herz brechen.

»Na, so sei doch nicht so empfindlich, Närrchen. Nimm dir das doch nicht gar so sehr zu Herzen!«

»Du hast mich beleidigt,« schluchzte sie bitterlich. »Du hast mir gezeigt, daß du mich nicht liebst ...«

»Was, ich liebe dich nicht? Was sind denn das für Reden?«

»... Daß du mich nur des Geldes wegen geheiratet hast! O mein Gott! Mein Gott!«

Melchior setzte sich neben sie und streichelte ihren Kopf, wie man es mit gekränkten Kindern zu tun pflegt. »Verzeihe mir, Klara. Ich war sehr verbittert. Die Verzweiflung machte mich hart und rauh, ich gestehe es ein. Die öde Zukunft, das Elend fiel mir ein, das unser harrt. Ich hatte von einem bequemen Leben an deiner Seite geträumt, und stehe da, plötzlich stehen Armut und der Kampf um das Dasein vor uns!«

»Warum sollten wir nicht trotzdem glücklich sein?« sagte Klara sanft, mit tränenfeuchten Augen zu ihrem Manne aufblickend. »Brauchen zwei Menschen doch so wenig zum Leben!«

»Aber wenn selbst dieses Wenige nicht vorhanden ist?«

»Wieso? Deine große Klientel, deine riesige Praxis?«

»Ich habe keine Klientel.«

»Aber deine vielen Kranken?«

»Alles in allem waren ihrer im ganzen Sommer nur fünf. Mein Einkommen betrug außer deinem Honorar bare 70 Gulden; mein gesamtes irdisches Hab und Gut beträgt 400 Gulden.«

Jetzt war die Reihe zu erbleichen an Klara; sie löste sich ans seiner Umarmung und sprang auf wie ein gereizter Tiger; in ihren Augen standen keine Tränen mehr, zischende Blitze funkelten dort.

»Mein Herr, Sie sind ja ein Hochstapler!«

Melchior kreuzte mit zynischem Phlegma seine Arme über der Brust.

»Wir haben uns gefunden, liebe Frau. Geschieht uns beiden recht! Jetzt aber gehen wir zunächst speisen.«


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