Koloman Mikszáth
Melchior Katánghy
Koloman Mikszáth

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»Ypsilon«, laß dich nicht unterkriegen!

Dem armen ungarischen Edelmann wird seine Nichtsnutzigkeit so oft unter die Nase gerieben, daß er in seiner Betrübnis hin und wieder einen Anlauf nimmt, mit ein, zwei Riesensprüngen denen nachzueilen (oder auch möglicherweise zuvorzukommen), die ihm auf dem Wege des Gedeihens voranschreiten.

Fallen dann im Laufe der Jahre den hochlöblichen Eltern doch einmal die Schuppen von den Augen, so fassen sie einen gewaltig großen Entschluß: »Was der Jude kann, können wir auch. Nur über unseren Herrenhof ist Gras gewachsen, über unseren Verstand nicht. Auch wir verstehen es, die Laufbahnen aufzusuchen, auf denen das Geld in Strömen fließt, und wir werden unsere Kinder auf diese Bahnen lenken.«

Und das Bübchen, das noch an seiner Mutter Rockzipfel hängt und mit bunten Bohnen spielt, hört, bis es heranwächst, wahrlich mehr als einmal: Ein Stuhlrichter ist heutzutage der reine Niemand. Selbst der Vizegespan ist kein großer Herr. Auch die Position eines Abgeordneten ist zusammengeschrumpft wie ein auf langsamem Feuer gebackener Pfannkuchen. Der Teufel hole den Reichstag, der schon viele gute adelige Güter verschluckt hat, wie einst der Drache in den geheimnisvollen Märchenländern die Jungfrauen verspeiste.

Es hat ja auch der ungarische Edelmann seine Augen vorn im Kopfe wie die anderen Menschen. Warum sollte just er nicht mit ihnen geradeaus schauen?

Und so war's auch. Es fanden sich wirklich einige sporadische Beispiele dafür, daß Gentrykinder eine einträgliche Laufbahn betraten. Das war recht komisch, besonders aber anfangs. Es war geradeso, als ob der Adler seine Jungen an den Sumpf führen würde: »Na, jetzt versucht ihr es auch mal, mit den Entlein um die Wette zu schwimmen!«

Gegen Ende der Sechzigerjahre fanden die Flurregelungsarbeiten auf den Feldern statt (in Oberungarn wenigstens wurden damals in den meisten Gemeinden die Fluren zusammengelegt); der Weizen der Ingenieure stand also in vollster Blüte: ein jeder von ihnen hatte Arbeit für dreißig- bis vierzigtausend Gulden.

Unsere guten adeligen Landsleute faßten daher Mut und trieben ihre Sprößlinge – selbst wenn das allergrößte und volltönendste »Ypsilon« am Ende ihres Namens hing – auf die Ingenieurlaufbahn, wo sie sich dann mit dem sinus-cosinus, den Logarithmen und dem Zirkel ganz gewaltig abplagen mußten.

Das ist wenigstens keine schmachvolle Laufbahn, dachten sie und suchten sich damit vor den in ihren Wappen befindlichen Tieren: den Greifen, Drachen, Störchen, Reihern usw. zu entschuldigen. Nicht ganz vornehm, das ist wohl wahr, aber doch auch nicht gerade erniedrigend. In dieser Laufbahn arbeitet der Junge auch mit Grund und Boden, und das Feld schüttet Geld über ihn aus, wenn auch nicht in Gestalt von Weizen.

So kam es, daß die Sprößlinge der damaligen Adelsfamilien fast ohne Ausnahme Ingenieure wurden; bis es ihnen aber gelang, ihr Diplom zu erwerben, waren wirklich alle Felder schon längst vermessen, und die »auf Spekulation studierten Mathematiker« sind seither infolgedessen verdammt, zum größten Teil als Diurnisten und Schreiber in verschiedentlichsten Kanzleien ihr Leben »durchzukritzeln«.

Mit einem Worte: sie kamen zu spät. Aber das macht nichts. Schließlich wird doch auch der Ungar durch eigenen Schaden klug (dieser Schaden behagt ihm sogar wohl – besonders dann, wenn er ihn schon vergessen hat). Sie hatten einfach »keinen guten Riecher gehabt«. Aber wie hätten sie den auch gleich das erstemal haben sollen? Und dabei war es doch offenbar, daß die Vermessungen ihr Ende finden mußten. Es ist eine Dummheit, Scherer für ein Lamm aufzuziehen (wenn auch sein Vlies von eitel Gold wäre), dem man schon das Fell abgezogen hat. Jetzt ist die Ingenieurlaufbahn nicht mehr die beste, sondern die der Advokaten. Man muß seine Söhne unbedingt zu Advokaten erziehen, denn so lange es in Ungarn Menschen geben wird, wird's auch Prozesse, Hader und Streit auf dieser Erde geben.

Die folgende Generation ward also zu Advokaten erzogen, während diese aber in den die Universität umgebenden Kaffeehäusern Billard spielten, hatte der Advokatenstand eine gründliche Umwälzung erfahren: aus der Ehrenstellung war ein Handwerk geworden. Es kamen andere Gesetze, andere Richter und andere Lebensverhältnisse. Bisher hatte sich der Advokat an eine Herrschaft angeklammert – oder oft an einen einzigen Prozeß – wie das Kalb an die Kuh, und saugte so lange daran, bis er sich fett gemästet hatte.

Jetzt war es aus mit den langen Prozessen; aber auch mit den faulen Richtern, die sowohl das eine Auge zudrücken, das die Gerechtigkeit gesehen hätte, als auch das andere, welches jetzt den Advokaten scharf auf die Finger guckt.

Alles hatte sich geändert; die Biene ist nicht mehr das Symbol des Fleißes und des Sammelns, sondern nur mehr das der Dummheit; die Biene fliegt von Blume zu Blume und saugt mit großer Mühe den süßen Stoff mit ihrem Rüssel auf, um ihn zu verarbeiten. Heute ist der Hamster der wahre Akquisitor, der zwei Backentaschen hat und zwei hin- und herrollende Augen, mit denen er die fertige Saat erschaut.

Also auch zur Advokatenlaufbahn kamen die adeligen jungen Herrchen zu spät. Diese Laufbahn ist heute auch nichts mehr wert. Wahrlich, mehr als einer von ihnen ward zum Kreisnotar herabgedrückt – wenn es manchem unter ihnen nicht noch schlechter erging.

In dieser schändlichen Übergangszeit war es, daß des Herrn Gutsbesitzers Johann v. Katánghy Sohn Melchior seine Reifeprüfung ablegte, was nur dadurch möglich war, daß Herr Johann den Professoren drohte, er werde sie zum Duell herausfordern, wenn sie seinen Sohn durchfallen ließen: »Weil Herr Johann v. Katánghy sich von keinem Menschen Böswilligkeit oder Sottisen gefallen lassen würde.«

Da Herr Johann v. Katánghy sich mit seinen beiden Söhnen: Karl, dem Ingenieur, und Paul, dem Advokaten, »verspätet« hatte, wie wir dies oben im allgemeinen skizzierten, so wollte er mit seinem dritten und letzten Sohne diesen Fehler gutmachen.

»Ich habe eben schlecht spekuliert,« sagte er zu sich selbst. »Man muß dem Glück entgegenschießen wie den Wildtauben. Man muß keine Laufbahn wählen, die jetzt gut ist, sondern eine, die erst mit der Zeit gut wird.«

Das ist wohl richtig, aber herzlich schwer zu tun, und so zerbrach sich Herr Johann darüber grübelnd den Kopf. Am liebsten hätte er den Jungen zum Bankbeamten gemacht, dies folgendermaßen begründend: »Auf der Weizentrift fühlt sich der Hahn am wohlsten.« Aber der königliche Rat Herr Georg v. Katánghy (Herrn Johanns Vetter), »der große Geist« der Familie, war anderer Meinung.

»Ein großes Wort das, das Bankfach, Johann. Dazu muß man direkt geboren werden. Das ist nur etwas für die Juden.«

»Mein Melcherl wird's schon lernen ... Er ist ein kluger Bengel und außerordentlich geschickt.«

Der königliche Rat senkte geringschätzig die Mundwinkel seiner fleischigen Lippen.

»Er wird's lernen? Vielleicht! Das ist aber nicht genug, Johann; du würdest vielleicht auch in deiner Jugend, wenn du dich beiläufig zehn Jahre lang darin geübt hättest, das Mäusefangen so gut erlernt haben, daß du da, wo du ohne Konkurrenz wärest, die Mäuse unbedingt fangen würdest; aber, befändest du dich unter den für diesen Beruf geborenen Katzen, so würde nicht eine einzige Maus auf deinen Teil entfallen, die Katzen würden dir alle vor der Nase wegfangen.«

Herr Johann v. Katánghy senkte traurig den Kopf.

»Hm,« sagte er nachdenklich, »etwas Wahres mag wohl daran sein.«

»Also laß dein Kind nicht Bankbeamter werden. Er taugt nicht für diesen Beruf.«

»Und dabei sieht der Schlingel doch so schlau aus, als ob er sich selbst auf einem Gletscher erhalten könnte.«

»Auf einem Gletscher, das kann schon sein, aber in der Bank nicht. Dazu ist ein Edelmann zu dumm.«

»Aber was soll ich denn aus ihm machen?«

»Einen Doktor, mein Freund, einen Doktor und nur einen Doktor. Dem Arzt gehört die Welt, denn sie kränkelt. Gibt's doch schon keinen gesunden Menschen mehr! Melcherl ist ein hübscher Junge, hat angenehme Manieren und versteht das Courschneiden aus dem ›ff‹. In dieser Laufbahn kann er es also weit bringen. Wie viele reiche Männer gibt es unter den Ärzten! Nur wer nicht will, kommt da nicht vorwärts.«

Die Worte des königlichen Rates fielen schwer ins Gewicht, und so ward denn Melchior als Hörer der Medizin eingeschrieben.

Auch Melchiors Mutter, die geborene Johanna v. Pribolßky, teilte diese Ansicht.

»Eine leichte Wissenschaft,«»sagte sie. »Kuriert der Arzt den Kranken, so ist ihm dieser dankbar dafür und lobt ihn; kuriert er ihn jedoch nicht, so verstummt der Kranke für immer und kann ihm keine Vorwürfe machen.«


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