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Zu dem alten Kämpen, den wir aus der Mondscheinschänke her kennen, Herrn Adauct von Zditz, trat, als er eben im Begriffe stand, sich in dem spärlich beleuchteten Raume des Schlosskellers auf Tirol zu seinem frugalen Abendimbiss niederzulassen, eiligen Aussehens ein Diener der Gräfin, mit der Botschaft, das er, Herr Adauct, unverzüglich einen Ritt nach Gargazon zu machen habe zu Überbringung gewichtiger Briefschaften.
»Hoho, nach Gargazon, in Nacht und Nebel? Warum nicht lieber gleich nach Trient?«
Der Bote zuckte lächelnd mit den Achseln.
»Wann ist sie denn gekommen von – wo war sie denn?«
»In Vilpian, wie es heißt!«
»Dann kam sie ja so durch Gargazon!«
Der Diener gab diese Wahrscheinlichkeit zu.
»Nun gehorchen muss man, wenn man dient!« brummte der Alte resolut und streckte dem Diener die breite Hand mit den Worten entgegen: »Gib her den Wisch, an wen ist er denn zu bestellen? – Der Brief mein ich!«
»Ihr sollt zur Frau Gräfin hinaufkommen, da mögt Ihr ihn wohl erhalten!« gab der Diener zur Auskunft und entfernte sich, froh, seines Auftrages an den alten böhmischen Bären, mit welchem Schmeichelnamen des Hofgesindes Herrn Adauct belegt hatte, ledig zu sein.
»Was ist denn das? Ich soll zu ihr?« fragte der Böhme sich nachdenklich. »Was kann sie wollen?« Und nachdem er sein Goller zurecht gezupft und sein Wehrgehänge überhangen, machte er sich kopfschüttelnd auf den Weg zu den Gemächern der Gräfin.
War er aber schon durch den absonderlichen Auftrag, der gerade ihn, den Hauptmann der Schlosswache traf, in hohem Grade erstaunt, so wurde er es noch mehr, als ihm in dem Vorgemache der Bescheid ward, ins Kloset der Gräfin zu kommen.
Der alte, offenherzige Krieger, der sein gut Teil von den verschiedenen, fabelhafte Avanturen gehört, die Frau Margarethe von ihrer zartesten Jugend an bestanden, glaubte durch ein Missverständnis oder das Ungeschick des Boten an der offenen Schwelle eines solchen zu stehen und als ehrlicher Mann gehalten zu sein, sich und den anderen Part vor unangenehmen Erklärungen zu wahren, und ließ sich daher herab, gegen die dienende Zofe mit dem Eingange, ›ich bin der alte Adauct von Zditz, hörst du Kind‹, einige Winke über eine mögliche Personenverwechslung fallen zu lassen, leider jedoch auf schändlich unfruchtbaren Boden, denn die schnippische Zofe erklärte, dass sie ihn gar wohl kenne und gehalten sei, eben diesen ›alten Herrn Adauct von Zditz‹ in das Kloset der gnädigen Frau Gräfin zu weisen.
»Nun, meinethalben!« brummte der Böhme achselzuckend, »ich habe meine Pflicht getan und wie wir im Kloster auf dem Wyssehrad sagten ›salvavi animam meam!‹« und unter sehr unverbindlichen Reflexionen über die Launigkeit, Treulosigkeit und Falschheit der Weiber schritt er, so leise als es ihm möglich war, durch die mit fürstlicher Pracht ausgestatteten Gemächer, bis er endlich vor dem Penetrale der Gräfin von Tirol stand.
Er zauderte nicht und trat ein.
Ein leises, vergnügliches Ach entfuhr seinen Lippen, als er die teppichbestochene, stumme Schwelle überschritt, der Anblick, der sich ihm bot, war ganz geeignet, seine phantastischen Befürchtungen aufs Determinierteste niederzuschlagen; denn statt einer sinnberückenden Fee fand er seine Herrin in halb männlicher, fast kriegerischer Kleidung neben einem Manne sitzen, der ihm dämmernd bekannt schien, es jedoch erst im Verlauf der Dinge zur Gänze wurde.
Vor Margarethe aber stand – Herr Adauct schrie fast auf vor maßlosem Erstaunen – vor der Gräfin stand sein alter, geschworener Feind, der ehemalige Probsteischreiber, wie er leibte und lebte!
»Gottes Blut!« brummte der Hauptmann der Schlosswache verdutzt, und seine Hand zuckte an den Schwergriff.
Der Küeppacher aber schien nur für die Person des bei der Gräfin sitzenden Ritters Augen und von der Nähe des Todfeindes keine Ahnung zu haben.
»Ich ließ Euch rufen, Herr Adauct, und zwar gerade Euch aus gewichtigen Gründen«, begann Margarethe mit dem, durch ihre Mundbildung so eigentümlichen, sonderbaren Lächeln, »damit Ihr mir eine Botschaft besorgt, so schnell und treu, wie ich es von Euch erwarten kann.« –
Der Böhme verbeugte sich geschmeichelt und horchte.
»Ihr mögt Euch zwei Eurer liebsten Knechte mitnehmen«, fuhr Margarethe fort, »und begebt Euch unverzüglich nach Gargazon, wo Ihr Eures Herrn, des Grafen, harrt, der vor Einbruch der Nacht dort um des Weges kommen dürfte – er jagt nächst Vilpian!«
Dies sprach sie mit befremdlich scharfem Nachdrucke und streckte die Hand gegen den Ritter an ihrer Seite aus: »Reicht mir das Schreiben, Engelmar! Dies ist Herr Adauct…«
Bei Nennung des Namens Engelmar schlug es wie ein Blitz in das Gedächtnis des Böhmen, er erkannte plötzlich den geächteten Ritter von Vilanders.
Margarethe bemerkte diesen Erinnerungsvorgang mit leichtem Lächeln und fuhr gelassen fort: »Dies, Herr Adauct, händigt Ihr Eurem Gebieter ein, wo Ihr ihn trefft zur Stelle…«
»So kommt der Graf nicht auf Tirol?« wagte Adauct zu fragen.
»Ich denke so!« war die kurze Antwort und ebenso kurz seine Verabschiedung: »Glück auf den Ritt, Herr Adauct!«
Er verneigte sich stumm und verblüfft und ging.
Tausend abenteuerliche Gedanken flogen durch sein Gehirn: Was soll dies alles, fragte er sich, der Vilanders in ihrem Kloset, der Schuft vom Mondenschein dabei? – Mein Kopf soll auf einem Kohlstrunk stehen, wenn da nicht Übles im Werke ist!
Doch Gedanken ändern nichts, das wusste der ergraute Krieger, und demgemäß schritt er sofort zur Tat.
Er ließ rasch satteln, zwei seiner Knechte aufsitzen, und bald donnerten die funkenschlagenden Hufe seines Hengstes über die dröhnende Fallbrücke und hinab zu Tale.
Der Graf war nicht in Gargazon!
Von hier nach Vilpian führt nur der eine Pass am Fuße des Gebirges; auf dessen Hügeln oder unten im Etschmoore geht weder Steig noch Weg, räsonierte der Böhme und ritt weiter, fast bis in die Nacht und nach Vilpian hinein, da sprengte ihm endlich ein einsamer Reiter entgegen – der Graf.
»Was gibt's, Du hier?«
»Mit einem Briefe!«
Der Graf las – sein Erstaunen ließ ihn dies laut tun: »Ich war in Vilpian!« – sonst enthielt das Schreiben nichts als das Insiegel Tirols.
Der Graf ließ die Hand mit dem Schreiben sinken und verlor sich in kurzem, düsterem Sinnen, dessen Ergebnis er dem vor Erstaunen starren Adauct mit den Worten kundgab: »Das ist ein Fehdebrief!«
Er ahnte den Zusammenhang, er kannte Margarethe und wusste, was es galt!
»Gewissheit!« rief er, sich kühn im Sattel aufrichtend, »mir nach, mein Alter!« – Und sein flinkes Jagdross flog durch die Nacht hin und an ihm schattenhaft schnell Ort um Ort vorüber; endlich stöhnte unter den heißen Hufen der Passerbrücke lockeres Gebälk – und bald darauf ragte vor ihnen Schloss Tirol.
Der Graf hatte es nicht Not, den steilen Berg hinan zu jagen. Das Unglück hatte bereits seinen flinken Boten die ›schwarze Sorge‹ ausgeschickt, mit leisem Sockentritt seiner Spur zu folgen – am Fuße des Schlossberges erwartete ihn ein wutheulendes, ergrimmtes Häuflein, die Böhmen der Besatzung Schloss Tirols – schmählich von dort vertrieben und waffenlos!
Der Graf atmete hoch und schwer auf bei dieser Kunde. Doch sprach er nichts als: »Wartet mein!« und sprengte seinen Rappen bergan, dem Schlosse zu. – Als er zu seinen in stummer Trauer zurückgebliebenen Getreuen zurückkehrte, sah er ernst, mehr als ernst, verzweifelt aus, und was er Adauct zuraunte, klang ebenso: »Führe die Leute nach Bozen heut' zur Nacht!« sagte er, »und morgen zieh' mit ihnen gen Rovereit, dort harret mein, dort triffst Du mich in drei Tagen, – oder hat die Etsch mein Gebein begraben!«
»Mein gnädiger Herr!« rief Adauct schmerzlich.
»Geh'!« herrschte ihm der Graf finster zu – und die Nacht legte ihre Dunkel auf die vereinsamten Kinder Böhmens in Tirol. –
»Wer klopft? Wer ist's?«
»Ich bin's, Genofeva, öffne!«
Die Türe des Herrnhofes nächst Vilpian tat sich auf diese Ankündigung rasch und gastlich auf, und der Schein der Lampe, die die holdselige Pförtnerin in Händen hielt, beleuchtete die schlanke, ach wie verfallene, gebeugte Gestalt des Grafen von Tirol, der, müde an sein Schwert gelehnt – er war zu Fuße und wohl weit übers Gebirge hergekommen – auf der Schwelle stand, die er vor Kurzem noch und sonst zu Hundertmalen stets mit freudig hüpfendem Herzen überschritten – über die ihn heute zu tragen sein bebender Fuß zauderte.
»Mein Gott, edler Herr! Wie seht Ihr aus?« rief Geneviéve entsetzt.
»Wie das Unglück aussieht und die Verlassenheit!« gab der Graf langsam und feierlich zur Antwort, »wie ein Bettler aussieht, der seit drei Tagen vergeblich, und ohne Erbarmen zu finden, von Türe zu Türe kriecht, wie die Verzweiflung aussieht, wenn sie den letzen Hilferuf ertönen lässt – den letzen…«
»Herr der Gnade, was ist geschehen?« kreischte Geneviéve erbleichend, und die Leuchte entfiel ihren bebenden Händen, die der Graf plötzlich mit krampfhaft, fast wahnwitziger Gewalt erfasste, an sein Herz zog und flüsternd sprach: »Frage nicht, was geschehen, Stern meines Lebens, frage nicht, ich wüsste es Dir nicht zu sagen, und wüsste ich's, Dein reines Herz würde es nicht fassen!« Er senkte sein Haupt auf ihre Schulter, zog sie näher an sich, und sein Herz pochte mit lauten, heißen Schlägen an das ihre – um Einlass.
»Sie haben mich alle verraten!« rief er, sich plötzlich aufrichtend, wieder aus und schlug sich mit der Faust vor die heiße Stirn: »O Enzo, Enzo! Du hattest recht! – Hörst Du, mein Engel! Alle haben sie mich verraten, und keiner will mehr zu dem Herrn stehen, dessen lässige Hände das Schwert der Macht fahren ließen! – Darum Genofeva, pocht' ich an Deine Tür – hörst Du, ich frage Dich – o höre mich – ich frage Dich, ob auch Du mich verlassen willst?«
Er bog seinen Nacken tief vor der erstarrten Frau und sank vor ihr in die Knie.
»Die Stunde schlägt, die Meinen harren!« rief er drängend und ihre kalten Hände an seine Lippen pressend: »Willst Du hier bleiben in dem falschen Lande, wo sie Dir alles nahmen, woran Dein Herz in Liebe gehangen – Genofeva! Willst Du mir folgen in mein sonniges freundliches Heimatland?«
Geneviéve stand zum Tode erschreckt und keines Lautes mächtig vor dem geliebten Dränger. Das Herz allein in ihrem erstarrten Körper schlug stürmisch seine heißen Wellen… Da traf ein schluchzender, tiefer Ton ihr Ohr, und eine leichte, bebende Hand legte sich auf ihre Schulter.
Sie wandte sich aufatmend um. Es war Vilpian, der mit erhobener Hand nach der Stubentüre wies. –
Dort kniete ein Mann in bitterlichem Weinen – Charlot.
Ein tiefes, entsetzlich banges Schweigen beengte einen Augenblick die Hausflur, dann beugte sich Geneviéve plötzlich zu dem Grafen herab, drückte einen heißen Kuss auf seine bleiche Stirne und mit den Worten: »Dort ist mein Platz!« riss sie sich aus seinen sie umschlingenden Armen los und stürzte an Charlots Seite. – »Genofeva!« rief der Graf mit herzzerreißender Stimme.
»Es ist verwunden, Herr! Gehabt Euch wohl!« tönte ihre zitternde Stimme zurück. –
In selber Nacht ritt Graf Johann in Trostburg ein und zu der Stunde des anderen Tages, in der er den Fuß in den Bügel setzte, um gen Aquileja zuzureiten, verließen drei trauernde, schweigsame Menschen den Herrenhof von Vilpian – sie zogen dem Süden zu.
*
Margarethe Maultasch ward nach einem Jahre die Ehefrau Ludwigs von Brandenburg. Sie trug den Jungfrauenschleier, als sie an den Traualtar trat – weil sie ihr Mann nie berührt, was sie eidlich erhärten wollte. –
Ihre Ehe mit dem Brandenburger war eine unglückliche – er liebte sie nicht.
Der treue Eckart hatte nicht vergebens gewarnt. –
Doch Margarethe war das Weib nicht, das sich ungerächt verschmähen ließ: die Geschichte sagt, Ludwig von Brandenburg sei an Gift gestorben. –
Ende