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Sechstes Kapitel

Die Sonne ging zu Rüste und warf ihre rotgoldenen Strahlen nur noch auf die Spitzen der Talkrönung hinab, indes tief unten im Tale bereits die Moornebel ihre weiten, faltigen Mäntel zu schlagen begannen um Gesträuch und Gemäuer, als ein einzelner Reiter langsam gegen Schloss Maultasch Eigentlich Neuhaus, aber das Volk hieß das Schloss und heißt noch heute dessen Ruinen Maultasch. zuritt, dessen Wartturm, an einen vorspringenden Porphyrkegel angerankt, mit lustig wehender weiß und grüner Fahne gastlich ins Etschtal hinein und dem einsamen Wanderer entgegen blickte.

Obwohl es bereits dunkelte und hoch an der Zeit war, die gewöhnlicher guter Sitte gemäß fast satzlich feststand als die passendste zur Einsprache um Herberge, tat der Reiter, der dem Schlosse zureitend, weitum allein den Talweg belebte, doch nicht das Mindeste, um die geringe Strecke bis zum Luginsland der gräflichen Feste rascher zurückzulegen, ja er schien sogar nicht gewillt, daselbst einzusprechen zur Nacht; denn, trotz seines offenbar absichtlichen Zauderns dennoch fast an dem Außengraben des Schlosses angelangt, wandte er plötzlich sein Ross, das ungeduldig schnaubend und mit schaumbedeckten Zügeln nur widerstrebend parierte, wieder St. Margaretha zu, und ritt ebenso langsam, als er talauf geritten war, nun wieder taleinwärts.

Nichts ließ ahnen, dass der Reiter mit seinem absonderlichen Gebaren irgendeine Absicht verfolge, wenn nicht das häufige, rasche und ungeduldige Flüchten seines scharfen, braunen Auges nach immer einem und demselben Punkte, dem spitzen Turm des inneren Schlosses. –

Doch Schloss und Turm standen starr und ruhig wie das schweigende, dünstende Moorland zu ihren Füßen; das wehende Banner Tirols allein mahnte an Leben weit umher. –

Plötzlich hielt der Reiter sein Ross mit einem scharfen Rucke an, ein leiser Schrei entrang sich seinen Lippen, und sein großes Auge hing freudeleuchtend an den grauen Zacken des Schlossturmes, über denen jetzt eine wallende, weiß und rote Fahne sichtbar wurde, jedoch im nächsten Augenblicke wieder verschwand.

Das ganze Äußere des unscheinbaren Mannes, der bislang so trübselig im Sattel gehockt, war mit einem Schlage umgewandelt: ein kühner, tapferer Degen, ein gewandter feiner Reiter, ein schöner Mann! Dies waren die Eindrücke, die er nach Erscheinen jener Fahne machen musste, indem er, mit stolz gehobenem Haupte plötzlich vom Passgange in scharfen Galopp einsprengend, über die Straße und durch die darüber ziehenden Nebel des Moores dem Schlosse zuflog.

Im nächsten Augenblicke hielt er vor dem Turme.

Er zog das Hüfthorn, das ihm an grüner Schnur zur Seite hing, rasch an die Lippen und ließ es leise und in fein gedehntem Klange ertönen.

An der Luke der Turmstiege erschien das spähende Gesicht des Torwarts, und er rief: »Wer da? – Habt ihr das Wort?«

»Tutore!« erwiderte der Reiter und sprang, seiner Sache und sofortigen Einlasses gewiss, vom Rosse.

Im selben Augenblicke klirrten die Schlüssel im Schlosse, die Riegel fielen, und das Tor zur Brücke stand offen.

Mit der Miene eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist, wies der Reiter dem Torwart die Zügel seines Rosses zu und schritt klirrenden Ganges gegen die Brücke.

Er sah sich jetzt zu Fuße wieder viel unscheinbarer an als auf stolzem Fluge zu Pferde; dennoch leuchtete aus dem ganzen Wesen dieser eher kleinen als großen, eher schwächlichen als imposanten Gestalt, jenes gewisse Etwas hervor, das manchen Menschen so häufig im Leben auf unwiderstehliche Art und aus unnennbaren Gründen auszeichnet und über den Kreis erhebt, dem er ohne jenes rätselhafte Zutun zugezählt werden würde.

Er war nicht gewappnet, aber wohl bewehrt; sein braunlockiges, edelgeformtes Haupt deckte ein breitrandiger, schwarzer Filzhut ohne Federschmuck oder anderen Zierrat, als dass dessen Haltschnur von einer blitzenden Steinagraffe gehalten war; ein ähnlicher kostbarer Schmuck hielt die steife Halskrause genestelt, die unter seinem dunklen Vollbarte hervorstand. Seine Kleidung bestand in einem weiten, schlichten Rocke von dunklem Niederländer Tuchstoffe, der über seine Knie und bis zu den offenen Kappen seiner rohledernen Stiefel herab reichte.

Das Aussehen des Reiters, ebenso abstechend gegen jenes der geschniegelten Ritter, die sich hier am ›Minnehofe‹ der galanten Gräfin Margarethe herumtrieben, wie gegen das gewöhnlicher Ritters- und Reitersleute, wie sie der Torwart hier zu Lande zu Gesicht bekam, war demnach wohl geeignet, des guten Mannes Befremdung zu erregen, die notwendiger Weise durch die geheimnisvolle Art gesteigert werden musste, in der ihm die Ankunft hoher Fremder auf heute durch den Kanzellar der Gräfin, Friedrich von Greifenstein, notifiziert worden war, und noch mehr durch die getroffenen, umfassenden Empfangsanstalten, unter die der Torwart auch die abgeänderte Losung der Wachen begriff, die doch voraussichtlich etwas Besserem und Größerem gelten mussten als diesem simplen Reiter.

Diesen aber schien die Befremdung des Torwärtels wenig zu kümmern; er schritt raschen Ganges über die Zugbrücke, und erst unter dem zweiten Gattertore schier mit halb gewendetem Leibe zurück und fragte, mit der feinen Hand an den rostigen Haspen spielend: »Ist die Gräfin da?«

»Ja, Herr! Vor einer Weile noch sah ich sie mit dem Narren und Herrn von Greifenstein im Zwinger drüben!« war die Antwort.

Der Fremde schien noch etwas zu wollen, aber sein Blick fiel in diesem Augenblicke auf die Zacken des Schlossturmes; das weiß und rote Banner war hochflatternd wieder ausgesteckt. – Eine leichte Röte der Erregung brannte in selbem Momente auf seinen vollen Wangen auf, und mit einem leisen: »Jetzt ist es Zeit!« schritt er rasch unter dem Gatter hinweg und trat, über die dunklen Stufen des Turmflures gekommen, in den freien Schlossraum. –

»Ihr seid mir ein spaßiger Rat, Herr Friedrich, dafür aber ein gar trübseliger Gesellschafter! Wenn ich jenen zu Rate ziehen will, schweigt ihr und zuckt die Achseln, und wenn ich an diesen appelliere, zuckt Ihr die Achseln und schweigt! – Was soll denn das? Herr Fritz! Ich kenn Euch nicht mehr! Sagt, was ist Euch angeflogen und – wollt Ihre, dass ich sage, seit wann?« –

Die Dame, die dies zu ihrem Begleiter, einem hochgewachsenen, fein gekleideten Herrn in ritterlicher Tracht, mit seltsam klingendem, fast höhnischem Tone sprach, war in demselben Augenblicke, wo der von Bozen gekommene einsame Reiter in den inneren Schlossraum trat, auf der entgegengesetzten Seite, und zwar auf dem Wallzwinger kommend, in Begleitung des jüngeren Herrn von Greifenstein, ihres Rates, des alten Michele, ihres Narren, und einer Kammerzofe sichtbar geworden.

Der Fremde, der auf so geheimnisvolle Art in das Schloss Maultasch gekommen war, hatte nicht sobald die ihm gegenüber über dem Hofe erscheinende Gruppe bemerkt, und die fast unweiblich tiefe, aber dennoch wundersam klangvolle Stimme der Frau gehört, die an deren Spitze voranschritt, als er, nicht erschreckt, aber besonnen und entschieden, den zum Vorschreiten gehobenen Fuß plötzlich zurückzog und, in den Schatten des Torgewölbes tretend, Aug und Ohr der ihm gegenüber abspielenden Szene offen hielt.

Und er hörte und sah. –

Er sah, dass die Dame nach jenem halb scherzend, halb traurig gesprochenen Vorwurfe den Arm des Herrn von Greifenstein leicht berührte und mit der feinen Hand an dessen seidenen Puffen rasch niedergleitend, seine widerstrebende Hand ergriff und an ihr Herz zog. – Er sah, dass ihr Auge – ein dämonisch funkelndes, glühendes, dunkles Auge, von zartbraunem Hofe umgeben, sich, all' sein Feuer in einen heißen Blick konzentriert, auf den Ritter niedersenkte, der in trauriger Selbstvergessenheit neben ihr her schritt. – Er hörte darauf die Dame tief aufseufzen und hörte…: »Ihr fragt, meine Fürstin! – Habt Ihr vergessen, habt Ihr vergessen…!?«

Dies sprach Herr Friedrich. Er sah dabei nicht auf, aber seine Hand fuhr rasch und drückend über die Stellen seines Armes, welche die Dame gestreift, als ob ihre Berührung Brandflecken hinterlassen, die er lind verdrücken wollte.

»Wie meint Ihr das, Herr Fritz?« fragte die Dame, indem sie plötzlich stehen blieb und ihre üppige junonische Gestalt vor ihrem Begleiter hoch aufrichtete: »Wessen wollt ihr mich mit Eurer Frage zeihen, sprecht?«

Der Greifensteiner sah selbst bei dieser herausfordernden Frage nicht auf; aber sein erbleichendes Antlitz zeugte von der tiefen Erregung seines Gemütes, und mehr noch das krampfhafte Beben der Hand, die er abwehrend gegen die Gräfin erhob, als er sprach: »Was wollt Ihr, Frau Margarethe! – Ihr wart – im Paradeis!«

Die Gräfin warf einen stolzen, triumphierenden Blick auf den Ritter nieder, dessen Herz sich ihr mit diesem Worte plötzlich und überraschend offen gelegt mit seiner blutenden Wunde – der Eifersucht und nach einem kurzen, raschen Bedenken, während dem sich ihr zwar großer, aber immer schöner Mund plötzlich zu jener Grimasse – zusammengekniffen und einseitig nach aufwärts gezogen – verzog, der sie ihren Beinamen ›Maultasch‹ verdankte, fragte sie heiter: »Ihr wisst, dass ich dort war und – kamt nicht hin?« Dabei ließ sie ihren Blick flammend über den jungen, schönen Mann hingleiten, der mit gesenktem Haupte schweigend vor ihr dastand, offenbar in einem Kampfe befangen, gewaltig und vielleicht sogar entscheidend für ihn und seine Stellung zu seiner Herrin.

»Ich wusste es – nämlich, dass Ihr dort wart – begleitet von dem Herrn von Vilanders!« sagte Herr Friedrich langsam und die letzten Worte mit bedeutungsvollem Ausdrucke betonend.

Frau Margarethe zuckte leicht zusammen, als diese Worte sie trafen; aber ihr Blick – nur dieser schien eine Erwiderung auf die Beschuldigung des jungen Ritters zu geben – heftete sich nicht an diesen, sondern traf den Narren, der an ihrer Seite stand, und zwar scharf und mit unverkennbarem Grolle.

»Michele?« rief sie mit unbeschreiblichem Ausdrucke, teils Frage, teils Vorwurf.

Der Narr sah auf, indem er den sengenden Blick, der auf ihn fiel, gleichmütig auffing und aushielt: »Zu Befehl, lieb Fräule!« erwiderte er auf den Ruf seiner Gebieterin.

»Du hast geplaudert!« sprach sie mit ernstem und strafendem Tone.

»Ich? Oho! – ich nicht! Vergesst des Falken von Missian nicht, der auch allda gewesen!« raunte ihr Michele mit höhnischem und absichtlichem Nachdrucke zu.

»Der? – Nun er ist stumm!« murmelte Margarethe vor sich hin, und abermals fiel ihr Blick darauf vorwurfsvoll auf den Narren, der sich höhnisch kichernd hinter der Zofe hielt. – Inzwischen war die Dame mit ihrem kleinen Gefolge an der Schlosstreppe angelangt, von der bei ihrem Nahen ein Rudel schöner, weißgefleckter Windhunde herab gepoltert kam, das der Herrin mit bellendem Willkomm entgegen sprang; einer voran, ein wunderbar fein gebauter, schön gezeichneter Hund, der im Vertrauen auf seine Beliebtheit sich nicht mit den gewöhnlichen Ovationen der lauten Meute begnügte, sondern keck auf die Fürstin zusprang und sie mit zutäppischen Kapriolen umkreiste, die sie jedoch heute nicht mit gewohnter Huld entgegenzunehmen schien, denn sie wehrte seine Liebkosungen verdrießlich ab, und als er, sonst erlaubter Rechte eingedenk, es wagte, den schlanken Leib erhebend die Vordertatzen auf die Schulter seiner Herrin zu legen, ergriff sie ihn mit unwirscher Gebärde bei dem eisernen Ringhalsbande, warf ihn von sich und zu Boden, und, indem sie ihm einen heftigen Fußtritt versetzte, sprach sie mit bitterem Tone: »Da liege und merke, wie ich zudringliche Neigung abzuwehren pflege!«

Sie sah eine Weile nachdenklich auf den sich im Staube krümmenden Hund nieder, plötzlich aber rief sie mit der Zunge schnalzend: »Hoho, Endymion!«, und als der Hund auf ihren Zuruf lustig aufbellend aufsprang und vorsichtig abermals versuchte, sich der gestrengen, launischen Gebieterin zu nähern, wandte sie sich mit verächtlich verzogenen Lippen zu dem Junker von Greifenstein und sprach mit höhnischer Miene: »Meint Ihr nicht, Fritz, dass ich meinem ungebetenen wiederkehrenden Gemahl auch also tun dürfe, mit gleichem Erfolge nämlich?«

»Nein, Frau Gräfin, dies tätet Ihr nicht – Ihr dürftet auch nicht!« gab eine ernste, sonore Stimme darauf zur Antwort; nicht die des Junkers von Greifenstein, denn dieser kehrte sich ebenso rasch und verwundert wie die erlauchte Fragestellerin bei dem Klange der Antwort um. – Es war der Mann im braunen Tuchgewande, der eben angekommene Reiter, der sich bemüßigt geglaubt hatte, der übermütigen Gräfin statt des Herrn zu antworten, an den sie die Frage gerichtet, die, dem strengen Tone seiner Antwort nach, ihn tief verletzt haben musste.

»Wer spricht da?« rief die Gräfin, abermals nur zu Herrn Friedrich gekehrt: »Ihr sagtet – was?«

»Ich? Nicht ein Wort, bei meiner Seele!« sagte der Greifensteiner, den wie vom Himmel gefallenen, an seiner Seite empor getauchten Fremden eifrig anstarrend, der, unbeweglich auf derselben Stelle haltend, wo er plötzlich zwischen die vom Zwinger gekommene Gruppe getreten war, in dem früheren Tone für ihn die Antwort übernahm: »Ich sagte dass – dass Ihr logt, Gräfin!«

Dies Wort traf die Gräfin wie ein Blitzschlag; davon zeugte ihr krampfhaftes Erbeben, mehr aber noch der plötzliche, schluchzende Aufschrei, mit dem sie sich förmlich auf den Fremden hinwarf: »Was? – Wer? Wer seid Ihr?«

»Ein Mann!« gab der Fremde ruhig zur Antwort, und dabei reichte er, ohne seinen Blick von der Gräfin zu verwenden, dem Junker von Greifenstein seine Hand auf deine sonderbare Weise – nämlich verkehrt und offen, so dass ihre feine, rötliche Palme ganz sichtbar wurde, welche Gebärde einen auffallenden Erfolg hatte: der Junker zog nämlich plötzlich und mit stürmischer Hast sein Barett vom Kopfe, und sich tief bückend vor dem Fremden, rief er leise: »O mein gnädiger Herr!«

»Schweig!« flüsterte der Fremde kurz und gebieterisch und stellte sich vor die Gräfin, die von seiner lakonischen und kühnen Antwort verdutzt, und befremdet durch das ihr unerklärliche, aber offenbare Einverständnis des Fremden mit ihrem Rate, erstaunt zurückgetreten war.

»Hört Ihr, Frau Gräfin! Ein Mann bin ich!« rief der Fremde, mit kaltem Vorbedacht seine frühere Antwort wiederholend.

»So scheint es!« sagte Margarethe darauf, ihren scharfen, glühenden Blick rasch über seine Gestalt und von ihm auf den Greifensteiner gleiten lassend, wie um sich der Situation zu vergewissern, die ihr verdächtig erscheinen mochte.

»So ist es!« ließ sich der Fremde auf die spitze Rede der Gräfin vernehmen, indem er mit stolzer, zorniger Miene auf sie zutrat und sprach: »Und dass Ihr's wisst, Frau! Was für ein Mann es ist, der Euch gesagt, dass Ihr gelogen, als – kurzum: er ist der Tutor von Tirol, dieses Landes Herr, der Euch's gesagt, sonst zubenannt Karl von Luxemburg, Markgraf in Mähren von Gottes Gnaden und – durch Gottes Zorn Euer Schwäher!«

Was lag an der Zeit und Überlegung zwischen den beiden Momenten, in denen der fremde Mann sich der Gräfin als ein solcher erst, und dann als Fürst und Herr vorgeführt, dass es so gewaltig verändernd auf sie einzuwirken vermochte? –

Sie stand nicht mehr überrascht vor ihm, das Weib vor dem Manne: mit der Erklärung seines Ranges und seiner Mission waren plötzlich die Bande abgefallen, die ihren hoffärtigen Sinn befangen gehalten durch die Seltsamkeit und schroffe Eigentümlichkeit, mit der er ihr entgegengetreten: sie sah jetzt plötzlich nur mehr den durch des Königs Spruch und die Pflicht der Blutsbande ihr auf den Hals geschickten Schergen in ihm, und als solchem trat sie ihm jetzt entgegen, mit der Entschiedenheit und Kühnheit die sie als virago κατ εξοχην berüchtigt gemacht.

»Dieses Landes Herr! Sagt Ihr, Herr Tutor?« rief sie mit zornbebender Stimme und auf das letzte Wort einen höhnischen Nachdruck legend: »Wenn es Euch bei allen Edlen Tirols so leicht geworden, Treue und Gewissen einzuschläfern, wie bei diesem jungen Landmanne hier…«, dabei wies sie mit verächtlicher Gebärde auf den Greifensteiner, der sie mit schadenfrohem, gemeinem Lächeln nach der Seite ansah, »so mögt ihr wohl recht haben; mit solchen Räten muss man wohl übel beraten sein; hier aber bin ich Herr!« rief sie mit stolz tönender Stimme, indem sie zornig mit dem Fuße niederstampfte, »hier in Maultasch stehe ich auf meiner freieigenen Hufe, die ich verteidigen und halten will…«

Sie sprach nicht weiter, denn ihr Blick war unter diesen Worten der langsam erhobenen Hand des Tutors gefolgt, die ernst nach dem Wartturme hinwies, von dessen Zinnen jetzt an Stelle der Fahne Tirols auch die weiß und rote mit dem gewürfelten Adler Mährens niederflaggte.

Die Gräfin griff krampfhaft nach dem Herzen, als wollte sie dessen überwogende Zorneswellen zurückstauen, ihre Augen rollten wild, und ihre bleichen Lippen bebten in stummer Wut, die sich in einem kreischenden Aufschrei Luft machte, der gellend weithin über den Hofraum hallte, als der Narr leise an sie trat und ihr zuraunte: »Hast Du denn nicht gehört, Gevatterin! Was für ein Liedlein Dir mein verrückter Sohn sang, als Du vorüberrittest an seinem einsamen Siedlerbau unten am Wege! Merk auf, ich will es Dir singen, ich weiß es aufs Wort«, und er begann mit dumpfer, gröhlender Stimme nach einer alten Talweise zu singen:

 

»Das Glücksrad hat die Eigenschaft
Und ist gar ofte g'schechen,
Dass, der sich selbst zum Meister macht,
Letztlich demütigt g'sechen!«

 

Als hätte sie mit dem einen Schrei ihre ganze Widerstandskraft verbraucht, sah die Gräfin mit keinem Blicke mehr auf und regte weder Hand noch Zunge; ebenso stumm und still standen die beiden Herren an ihrer Seite.

Der Narr begann abermals: »Und weiter sang mein armer Sohn:

 

Die Lieb' wird bildet und ist blind,
Ist anfangs süß, wird aber gschwind
Verwendt in Gift und Gallen,
Stopf d' Ohren zue, gib ihr kein G'hör,
Es ist zuwider g'meiner Lehr…«

 

»Was soll mir Deines verrückten Sohnes Narretei?« brauste Margarethe plötzlich auf.

»Und als Du schon vorüber warst an seiner Höhle, sang er Dir nach«, fuhr der alte Narr gleichmütig fort:

 

»Dieweil Du hast im G'heimen g'liebt
Hat sich Dein Glücksstern arg vertrübt;
Schau auf: in Deinem Neste
Es hausen schlimme Gäste
Das letze Reis von Weineggstamm
Und Deine Feinde allzusamm!«

 

Während Michele dies sang, hatte sich der Schlosshofraum mit Waffengetös gefüllt, und in den Torwegen und den Säulengängen wogte und drängte sich Schar auf Schar hervor.

Als Michele sang: ›Schau auf…‹ erst, obwohl sie den Klang des ersten beerzten Trittes auf den hallenden Steinplatten mit erbebendem, von banger Ahnung krampfhaft zusammengezogenem Herzen vernommen hatte, erhob sie den Blick, rasch, stolz und mit kühnem, trotzigem Ausdrucke; doch ebenso rasch ließ sie ihn wieder sinken nach kurzer Umschau: er hatte genügt, um sie, ihr gegenüber und um den alten Enzo von Weinegg geschart, die bittersten Feinde ihres Hauses erkennen zu lassen: den reichen Landmann Heinrich von Razüns, den kriegerischen Probst von Gries, Heinrich IV., die Ritter Altun von Schönna, Eppa von Tisens, Volkmar von Kemenath und Ullrich, den älteren Bruder Friedrichs von Greifenstein, der den Blick errötend und schamvoll zu Boden schlug, als jener der verratenen Gräfin sich starr und glühend auf ihn richtete und sie mit vorwurfsvollem, traurigem Tone sprach: »Und dieser Mann hätte mich geliebt…?«

»Vergesst nicht, dass der Bruder Eures Gemahls vor Euch steht!« fiel ihr der Markgraf streng in die Rede.

Margarethe sah ihn trotzig an und rief mit der rückhaltlosen Unbesonnenheit der Verzweiflung: »Und Ihr vergesst nicht, dass es ein Weib ist, das vor Euch steht, ein betrogenes, verratenes Weib, dessen Händen das Schwert der Macht entfallen, darum es nun zur armseligen Wehr seines schwachen Geschlechtes greift, zur Klage und zur Träne!«

Und wirklich standen ihre großen, braunen Augen in diesem Augenblicke voll heißer Zähren.

Wer konnte behaupten, ob sie im Schmerze über ihr so fabelhaft schnell versunkenes Herrschertum flossen oder in dem ungleich heißer brennenden über ihr Verlassenstehen und den Verrat ihrer feigen, treulosen Günstlinge?

Wo waren die Aufensteine, die ihre Fürstenhuld mit Gütern und Ehren überschüttet, wo der Mann, um dessentwillen sie aufs Tiefste gefallen und wo jener Fürstensohn, für dessen Hand sie den Kampf eingegangen um den Preis des letzten Gutes, das ihr geblieben, des Namens eines Weibes? –

Keiner war zur Stelle, als sie sich hilflos und dem Gerichte anheimgefallen sah – keiner! –

Ob sie in diesem Momente voll Qual und ohnmächtiger Wut nicht der Nemesis gedachte, der langsamen, aber unerbittlich gewissen Nachhut aller Sünde, die diesmal an ihr Vergessen durch Vergessen, Aufgeben durch Aufgeben und Verrat durch Verrat gestraft?

Sie weinte, doch ihre Tränen rührten den Markgrafen nicht. Er sah der gefallenen und gestürzten Frau streng in das wild erregte, blasse Antlitz und sprach laut und feierlich: »Kraft meines Amtes und Rechtes, als Tutor des Landes erkläre ich, Karl von Luxemburg, anmit im Beisein der Landmänner der Täler an der Eisak und der Etsch, des Non-, Passeier- und Sarntales, des hochwürdigen Repräsentanten der Bistümer Brixen und Trident sowie jener der Städte und freien Kommunen dieser Lande, dass Ihr, Margarethe von Tirol das Landesstatut böslich und unnötig verletzt durch das Verlassen Schloss Tirols, des Landeshorts, dass Ihr Margarethe von Tirol, angetraute Ehefrau des Grafen Johann Heinrich von Luxemburg, Euch vergangen habt in niederen, unheiligen Gelüsten, und zwar vergangen bis zu offenem Ehebruch…«

Da loderte hellrote Zornesglut in dem blassen Antlitz Margarethens auf, die bislang stumm und an den bleichen Lippen nagend mit gesenktem Haupte dagestanden: »Beweise, Beweise!« rief sie kreischend.

»Die sollt Ihr haben!« versetzte Karl in bestimmtem Tone, »und die vollgültigsten.« Dann fuhr er wieder fort: »Dass Ihr willkürlich und unrechtmäßig an Euch gerissen des Landes Regiment, es hart missbraucht auf unterschiedene Art, und erkläre demnach, dass Ihr fortan entkleidet seid der Fürstenmacht, Euch unterwerfen sollt in Demut und zu treuem Ehedienst Eurem fürstlichen Gemahle, und demnach die Feste verlassen und ihm folgen auf Schloss Tirol, wo er Hof hält nach altem, ehrwürdigem Landesbrauch!«

Als der Tutor des Landes der Gräfin sein Urteil verkündet, wandte er sich, ohne sie mehr eines Blickes zu würdigen, an Ullrich von Greifenstein, mit der Bitte, die Gräfin und ihr Hofgesinde noch vor Nacht gen Tirol zu geleiten, und rief dann den versammelten Herren zu: »Folgt mir, meine Freunde, und helft mir, die gewichtigen Klagen, die über das unheilvolle, willkürliche Weiber- und Schranzen-Regiment bereits zu mir gedrungen, zu sichten, zu erledigen und gut zu machen nach Rechten und Kräften, was blinder Parteihass Unrecht getan und der noch schlimmere – weiblicher Verblendung!«

Sichtlich tief ergriffen von dem leidigen Akte der öffentlichen Prostitution seiner Schwäherin wandte sich er Markgraf, von Fritz von Greifenstein geleitet, der Saaltreppe zu und stieg selbe langsam hinan.

Die Ritter und Herren Tirols folgten ihm in dumpfem Schweigen, und bald war der Hofraum bis auf einige bewaffnete Knechte, die zu Ullrichs Fähnlein gehörten und ihn mit der Gräfin nach Schloss Tirol geleiten sollten, leer.

Margarethe stand in bitterem, gedankenvollem Brüten verloren, lange schweigend da, ehe sie das erregte, bleiche Antlitz erhob; dann strich sie mit der Hand über die heiße Stirne und sprach gefasst und gleichgültig:

»Last meine Frauen kommen und uns aufbrechen, Herr Ullrich! Ich bin bereit! – Michele kann mit den Dienern zu Wagen nachkommen auf Tirol!«

»Könnt' so nicht mit, muss ja mein armes Söhnlein erst versorgen!« sagte der Narr.

Die Gräfin nickte stumm mit dem Kopfe und schritt einige Male gedankenvoll den Schlosshofraum ab, während dem sich ihr Abzug von Maultasch geräuschvoll vorbereitete.

Pferde und Maultiere wurden aus den Ställen gezogen, Frauen und Diener rannten lärmend durcheinander; endlich lichtete sich das Chaos zu einem geordneten Zuge, die Gräfin voran auf stattlichem Zelter, ihr zur Seite Ullrich von Greifenstein.

Still und traurig wie nie ritt Margarethe von Tirol aus den Toren von Schloss Maultasch. –


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