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Zweites Kapitel

Zur selben Nacht, in der die Terlaner gegen die Hütte des Mesel auszogen, saß in der durch eine einzige Ampel düster beleuchteten Schenkstube im »Mondenschein« zu Bozen ein alter, bärtiger Kriegsknecht allein und verdrießlich in der Ofenecke.

Es schien, als ob ihm der rote Bozener nicht munden wolle, der in einem hohen Zinnkruge vor ihm stand, oder als ob er davon des Guten schon zu viel getan hätte; denn er rührte ihn schon eine geraume Weile nicht an, und sein Blick fiel, sooft er sich aus dem halben Schlafe, in dem er da lehnte, herausriss, immer ungeduldiger durch die offenen Fenster hinaus in die mählig tiefer sinkende Nacht.

Dass er jemanden erwarte und nicht willens sei, hier Nachtlager zu halten, schien nicht nur dies, an einem dienstfreien Kriegsmanne in einer Schänke absonderliche Gebaren, sondern auch der Umstand zu bezeugen, dass er weder Stahlhaube noch Panzer, weder Dolch noch Flammenberg abgelegt hatte; bloß seine Schienen-Handschuhe hatte er abgezogen und zu dem neben ihm an der Bank lehnenden Schild gelegt.

Dass der Mann weder zu den Dienstleuten der Gräfin Margarethe von Tirol noch zu dem Banne eines der Herren des Landes gehöre, zeigte der erste Blick; denn während Rüstung und Gewaffen der damaligen Tiroler Sold- und Herrenknechte jenen der um diese Zeit durch die kühnen italienischen Condottieri eingeführten ganz ähnlich waren, trug der Kriegsmann in der Mondscheinschänke vom Scheitel bis zur Sohle das ungeschlachte, schwere Eisen- und Büffellederzeug der norddeutschen oder fränkischen Reisigen auf seinem knochigen, derben Leibe, und da er weder eine Feldbinde noch sein platter Schild ein Wappen oder Abzeichen trugen, so mochte man mit Fug und Recht annehmen, seine Klinge sei durch irgendein Ungefähr vakant und er hierher verschlagen worden, wie das in den damaligen kriegerischen Zeitläuften eben nichts Seltenes war.

Und ungeschlacht wie die Rüstung war aus das Gesicht des Mannes: ein breites, bärtiges, altes Gesicht, zwischen dessen zusammenlaufenden schwarzen Brauen der eigentümliche, treuherzig verschlagene Zug saß, den man vorzugsweise in den unteren Schichten der Bevölkerung einzelner Gaue anzutreffen pflegt, die von der Natur mit sprichwörtlicher Laune und Klugheit begabt worden sind.

Dem Manne schien nachgerade das Warten zuwider zu werden, denn er streckte sich, einen dumpfen Fluch brummend, endlich auf die Bank hin; jedoch selbst jetzt noch legte er weder die Stahlhaube noch sonst eines seiner unbequemen Rüstungsstücke ab, bloß seinen Flammberg zog er von der linken Seite über den Leib hin zur rechten Hand.

Es sollte ihm jedoch nicht wohl werden auf seinem harten Lager; denn kaum hatte er seine riesigen Glieder zurechtgerückt, ging die Türe auf und ließ die runde, feiste Gestalt des Leutgeb zum Mondschein ein, der sich mit verlegener Miene, und das flache Barett zwischen den Fingern drehend, dem Kriegsknecht näherte und ihn scheu also anredete: »Nichts für ungut, Herr! Wirt ist Wirt, und ich muss Euch noch einmal bedeuten, dass ich Euch nicht Herberge geben kann, wie ich Euch bereits vorgestellt, und demnach bitten, mein Haus in Frieden zu verlassen!«

Wenn Schweigen eine Antwort ist, so bekam sie der Leutgeb im befriedigenden Maße; denn der Kriegsmann rührte und regte auf diese gastliche Anrede weder Glied noch Zunge, obwohl er nicht schlief, da sein Auge mit sonderbarem Ausdrucke auf dem weinroten Gesichte des Schänken haftete.

»Es mag anderswo draußen im Reich anders gehalten werden«, fuhr der Wirt nach langem, vergeblichem Harren im gereizten Tone fort, »das gebe ich zu: aber Ihr müsst wissen, dass wir hier in Bozen unsere eigenen Gerechtsame haben…«

»So!« tönte es vollkommen ruhig von der Bank her.

»Und dass in unserem Stadtrechte der Artikel befindlich«, sprach der Wirt weiter: »›Kein Fremder, wie er immer genannt sei, soll in Stadthäusern Herberge finden, ohne dass er sich dem Richter und Stadtrate zeige und schwöre, alle Stadtordnung und trefflichen Frieden zu halten‹ – was Ihr nicht getan!«

»Wie meint Ihr dies ›was Ihr nicht getan!‹« fragte der Soldat, sich langsam aufrichtend.

»Nun – vorgestellt habt Ihr Euch nicht!« sagte der Schänk, vor dem drohenden Ausdrucke in dem Gesichte seines Gastes etwas zurückweichend.

»Ah so, und was weiter«, fragte der Soldat gleichmütig.

»Was weiter? – dass ein anderer Artikel unseres Bozener Stadtrechtes besagt: ›Alle Fremde, umschweifende Knechte, Landstreicher sollen nie Waffen tragen, das gebührt nur dem Freien und dem Biedermanne!‹« antwortete der Bozener Bürger, tief empört über das Phlegma, mit dem der vagierende Soldat die Suren seines bürgerlichen Korans hingenommen.

Diesen brachte jedoch auch dieser persönliche Angriff nicht aus der Fassung, und er begnügte sich dem Wirte statt einer Antwort die bescheidene Frage zu bieten: »Wollet Ihr mir wohl sagen, Herr Schänk zum Mondschein, warum Ihr weder geneigt seid, mich für einen ›Freien‹ noch für einen ›Biedermann‹ zu halten?«

Wenn schon die ganze äußere Erscheinung des Soldaten ihn als einen Fremden im Lande erkenne ließ, so tat dies noch mehr diese Frage, die wohl im Zusammenhange und gutem Deutsch, aber mit scharf ausgeprägtem, fremdländischem Akzente vorgebracht wurde.

Der Wirt schickte sich eben an, auf die ihm gestellte Gewissensfrage Antwort zu geben, als vor dem Hause schwere, gleichmäßige Tritte, begleitet von dem lauten Tone der Schnarre erklangen.

»Nun, da habt Ihr's, die Fronboten!« rief der Schänk, an das Fenster springend, »die Fronboten im Mondschein! Fronboten in meinem unbescholtenen Hause!« Und der Mann lief händeringend und um den Verlust seines guten Leumundes klagend durch die Stube, indes der Soldat kaltblütig Schild und Handschuhe auf den Tisch vor sich legte und, an das vordere Ende der Bank rutschend, die Ankunft der Fronboten schweigend erwartete.

Sie traten ein: voran ein schmächtiger Mann in schwarzer Richteramtskleidung, einen weißen Stab in der Hand, hinter ihm vier Stadtknechte mit kurzen Hellebarden, und in Weiß und Rot, die Farben der Stadt, gekleidet.

Der Ratsmann ließ beim Eintreten seinen Blick majestätisch durch die Stube schweifen, und dann eine gute, durch die lautlose Stille imposante Weile auf dem Kriegsknechte ruhen, der ihn mit unempfindlichem Gleichmute und, trotz dem Ernste des Augenblickes, sogar mit wohlwollendem Lächeln entgegennahm und aushielt.

Doch ihm galt vorerst der Besuch des Ratsmannes nicht; dieser wandte sich nämlich mit einer langsamen Schwenkung dem an der Türe stehenden Wirte zu und sprach mit ernstem Nachdrucke: »Meister Schänk, Ihr seid in der Pön'! – Vier Stunden nach ›Husaus‹ »Nach der Weinglocke, die läutet ›Hausaus‹ (Hosaus, Husaus) darf kein Mensch mehr Wein schänken. Wenn es Nacht geworden, hört alles Trinken vor dem Wirtshause auf, und im Hause sind nach der Dämmrung nur mehr zwei Trünkel erlaubt.« Bozener Stadtrecht., und Ihr beherbergt noch!«

Der Wirt nahte dem Manne des Gesetzes mit tiefen Bücklingen und sprach demütig: »Verzeiht Gestrengen! Soeben bat ich, und zum anderten Male schon, den fremden Gesellen, mein Haus zu verlassen; darüber seid Ihr gekommen, sonst hätt' ich selbst die Fronboten gerufen, um ihn daraus zu bringen, so er gutwillig nicht wollt'!«

»Ist dem so, Gesell?« fragte der Ratsherr, sich mit strengem Tone zu dem Soldaten wendend.

»O ja!« war die trockene Antwort.

»Nun, und warum seid Ihr noch da?« fragte der Ratsmann, an den Tisch tretend, und legte den weißen Stab, das Zeichen seiner Würde und Gewalt, zwischen sich und den Soldaten, indem er eindringlich fortfuhr: »Warum seid Ihr nicht gegangen, als der Schänk Euch aufforderte hierzu mit gutem Recht und nach Bürgerpflicht, denn also spricht gemeines Stadtrecht: ›Leutgeb und Wirte schwören beim Antritte ihres Gewerbes anzuzeigen jeden frevelhaften Schwörer bei Gottes Namen, alle Lästermäuler bei Wein und Nachttrunk, damit sie gezahlt werden können für ihre ruchlose Zunge, welche des Herzens Narreteien ausplaudert. Kein Spiel ist…‹«

So weit hatte der Kriegsknecht den Ratsmann geduldig angehört und sprechen lassen, jetzt aber erhob er sich von der Bank, richtete sich in seiner vollen Größe vor dem Verdutzten auf, legte ihm die breite Hand vor den geschwätzigen Mund und sprach unmutig: »Lasst mich in Ruh' mit Eurem Gesalber, Herr! Meint Ihr, ich sei gekommen, um mir alle Gesätzel Eures Stadtrechtes vorzitieren zu lassen? Euer Land, Eure Berge, Euren Wein in Ehren, meinethalben auch Euer Stadtrecht in Ehren: aber mich will's bedünken, als ob es sich gezieme, auch Gastrecht in Ehren zu halten: bei mir daheim wenigstens hab' ich gesehen, dass es ganz gut neben anderen ›verbrieften Rechten‹ bestehen könne. – Was wollt Ihr vor mir? Ich kam hier an, ein müder, friedlicher Wanderer, begehrt' und bezahlte Trunk und Imbiss – nebenbei gesagt, ich erwarte hier einen Kameraden, der mir, wie es schein, in üble Hände geraten ist – und deshalb streckte ich mich auf die Bank da hin: da kommt der dicke Gauch und schwatzt mir, dieweil es Nacht geworden – ein Langes und Breites vor dem Weitergehen! – In Nacht und Nebel, nicht? Und dann kommt Ihr mit Spießen und Stangen, wie sie schon zu Pilatus Zeiten auszogen, um den Gerechten zu fangen: Ihr sagt mir abermals, dass ich weiter solle – Teufel! Ins Dorf hinaus oder auf die Straße? Weil in gemeinem Stadtrecht rührend zu lesen, dass in Bozen nur Bozener Bürger schlafen mögen! Wahrlich, habt Ihr solch heidnisch Recht bei Euch, so lasst mich Euch bedauern und nebenbei erklären, dass, wer's erdacht – und wer's befolgt – ein Hundsfott ist! – Nichts für Ungut, Ihr Herren! Soldat ist Soldat! Auf die Art mein' ich, habt Ihr die Zwiesprach mit mir angefangen, Meister Leutgeb!«

Wenn schon der unerhörte Frevel, den der fremde Kriegsknecht beging, als er Hand legte an den Ratsherrn, diesen selbst, seine Begleitung und den Wirt in sprachlosem Entsetzen erstarren machte, so ließ sie der Inhalt seiner lästerlichen Rede alle Gnade gerechten Schauders bis zu dessen Gipfelpunkte durchgehen, der sich durch ein allgemeines ›Ha!‹ unverhohlen und deutlich äußerte.

Der Ratsherr langte mit zornbebender Hand nach seinem Stabe, schwang ihn wie ein Zauberer um das Haupt des Soldaten und rief: »Ihr seid mein Gefangener nach gemeinem Stadtrecht!«

»Lasst mich in Ruh' mit Eurem Stadtrecht«, erwiderte der Bedrohte ruhig, »und hört ein vernünftiges Wort!«

»Packt ihn!« gebot der Ratsmann, ohne sich an ihn zu kehren, seinen Schergen.

Da legte der Soldat die Hand an das Schwert und rief mit hallender Stimme: »Wahrt Eure Bratspieße, Ihr Tiroler Hänse und kommt mir nicht zu nah'! – Habt Ihr schon einmal einen gefangen, der aussah wie ich! – Euch aber, Herr, bitt' ich noch einmal, hört ein vernünftig Wort!«

Der Ratsherr bedachte sich kurz und fragte mürrisch: »Was wollt Ihr?«

»So Herr! In Güte kommt man immer fort!« fragte der Soldat mit ironischem Lächeln, »so lasst Euch denn vor allem sagen, dass ich nicht gewillt bin, Euren Gesetzen Widerstand entgegen zu setzten, wenn Ihr mir vorher erlaubt, dem Schänken da, der mir ein heilloser Schuft zu sein scheint, in Eurer Gegenwart einige Fragen vorzulegen!«

»Das mögt Ihr tun, aber kurz!« sprach der Ratsmann kalt.

»Gut. Also erstlich…«, begann der Soldat, zu dem Wirte tretend, »erstlich sagt mir, wer der Mann war, der lange, hagere, der sich meinem Kameraden so bereitwillig zum Führer anbot, als er im Dämmern nach dem Vintler Hause ging?«

Der Wirt antwortete lange nicht und erst, als es ihm der Ratsherr hieß, mit auffallendem Missmute: »Es war der Hörtmair, der Bader am alten Wangertore!«

»Schön!« sagte der Soldat leichthin; »und wer war denn der andere, der sich mitzugehen erbot – der im schwarzen Koller, mit der hohen, steifen Halskrause?«

»Das war der entlassene Probsteischreiber von Gries, Hans Kueppacher!« antwortete der Schänk stockend und widerstrebend.

»So, wir sind fertig; das andere machen wir selbander aus, bis ich wiederkomme«, sagte der Soldat mit versteckter Drohung. Dann kehrte er sich wieder dem Ratsherrn zu und sprach lächelnd: »Was Eure gütige Einladung betrifft, Herr Richter oder was Ihr seid, so nehm ich sie anitzt an – obwohl ich nicht müsste; glaubt Ihr das? Aber ich nehme sie an, und zwar als Mittel zum Zweck. Ich werde Euch nämlich bitten, eine von Euren Boten zu dem Herrn Hans Vintler zu senden, mit dem Auftrage, Herr Hans möge unverzüglich zu mir in – wohin werdet Ihr mich führe? In den Koter? – Also in den Ratskoter kommen, aber…«

»Der reiche Vintler, zu Euch?« rief der Ratsmann voll Erstaunen.

»Ja wohl! Euch nimmt das Wunder? Was wisst Ihr denn, wer ich bin? Habt Ihr mich darum befragt?« sagte der Soldat mit lustigem Lachen und fuhr fort: »Übrigens mögt Ihr es immerhin erfahren, denn ich denke, es dürfte mit unserem Geheimnisse übel genug stehen, so meine Ahnung mich nicht trügt und mein Kamerad irgendwo hinter guten Sect geraten: ich bin ein Böhme, zum Hofstaate des Markgrafen von Mähren gehörig, und in meines Herrn Auftrage auf dem Wege nach Aquileja. So – jetzt aber schickt mir nach dem Vintler, dass er kommen, aber unverzüglich; und um dies zu sichern, braucht der Bote nur ein einzig Wörtlein zu merken und zu sagen: Tutore!«

»Tutore!« sprach der Ratsmann langsam und nachdenkliche nach, indem er den Soldaten aufmerksamer als bisher betrachtete, was jedoch kein besonderes Resultat lieferte: denn der Soldat sah eben aus wie ein Soldat, und zwar ein echter, kühner und tapferer.

»Wollt Ihr das tun, Herr?« fragte dieser.

»Es soll geschehen!« war die etwas verlegene Antwort.

»Nun, so bin ich es erst zufrieden, dass es so gekommen ist«, rief der Kriegsmann freudig aus, »und wenn die Ordnung hier zu Bozen so streng gehandhabt wird, wie Ihr sagt, so hab' ich alle Hoffnung, den, so ich hier mit Schmerzen erwartet, gewisslich dort zu finden, wohin Ihr mich logieren wollt; denn dass der sich um Euer ›Husaus‹ und Stadtrecht den Teufel schert und sich gewisslich irgendwo beim Humpen verspätet hat, das kann ich blind vereiden. – So kommt denn und lasst mich schauen, wie der einzige gastliche Ort in Bozen aussieht, der liebe, liebe Koter! – Und vergesst nicht: Tutore heißt das Stichwirt für den Vintler!«

Damit nahm der Soldat Schild und Handschuhe auf und schritt der Türe zu, an der der Schänk mit verwundertem Gesichte lehnte.

Den schlug er freundlich auf die Schulter und sagte: »Gut' Nacht, Schänk zum Mondschein! So Gott will, komm' ich morgen wieder, um Dich redlich niederzuschlagen für Deine Finten, die ich heute ahne, morgen aber kennen werde. Gut' Nacht!« und er schritt klirrend der Treppe zu, als wäre er der Anführer der Fronboten, die ihm verdutzt und schweigend folgten. –

Die Scharwache war kaum in der Gasse, und der Schänk hatte kaum den hölzernen Riegel vor die Haustüre gelegt, als es im Hinterraume der Hausflur lebendig wurde und hinter den dort herumstehenden leeren Fässern zwei Männer hervorkrochen, deren Gestalt und Anzug sie leichtlich als diejenigen erkennen ließ, die der Kriegsmann als die aufgedrungenen Begleiter seines Kameraden bezeichnet und um deren Namen er den Leutgeb befragt hatte.

»Sind sie fort, und ist es sicher, Meister?« fragten sie im Hervorkommen flüsternd.

Der Schänk blies seine Ampel aus und sagte ebenso leise. »Sicher! Nur still! Folgt mir ins Hinterstübchen, denn vorne muss ich die Leuchte löschen!«

Und er tappte, gefolgt von den beiden Männern, langsam die Treppe hinan und über den Gang in ein auf den Hof gelegenes Zimmerchen, das halb beleuchtet und in so gastlichem Zustande war, als man es von der in Betreff des ›Husaus‹ so makellosen Schänke ›Zum Mondschein‹ kaum erwartet hätte.

Der Leutgeb schien auch diesen Gästen gegenüber sehr geneigt, die drakonischen Satzungen ›gemeinen Stadtrechts‹ vorderhand zu ignorieren: wenigstens schob er, nachdem er die Türe verriegelt, sofort zwei ledergepolsterte, hohe Sessel an den wohlbesetzten Tisch und zog für seinen eigenen feisten Leichnam ein niederes Bänkchen hinzu, indem er neugierig fragte: »Nun, habt Ihr was ergattert, Hörtmair?«

Der lange Bader vom alten Wangertore nickte vergnügt lächelnd mit dem Kopfe und wies dabei auf seinen Gefährten, den Schreiber, ein sehr geckenhaft gekleidetes, gespreiztes Männlein, dem Verschlagenheit und List aus dem spitzen, mageren Gesichte leuchteten, und flüsterte dabei: »Den fragt!«

Der Schänk unterließ es, die Frage am rechten Orte zu wiederholen, denn er sah den Probsteischreiber eifrigst in der Ergründung der Maßhaltigkeit des Weinpokales befangen, und erst, als dieser hohl, also leer auf der Tischplatte erklang, frug er abermals: »Nun, ist's dafür gestanden, Meister?«

»Uff; das war ein Durst!« ließ sich der Schreiber hören und schnalzte vergnüglich mit der Zunge, »es hat aber auch ein erklecklich' Gerede und Gezerre gekostet, eh' der böhmische Dickschädel ins Netz ging! Aber Viktoria! – Du fragst, ob's dafür gestanden mit dem Burschen. Schänk, wenn ich das, was unterm Wamse steckt, richtig und geschickt benütze, so frag ich Dich morgen, was der ›Mondschein‹ kostet, glaubst Du das?«

Der Leutgeb starrte mit weit aufgerissenen Augen dem Schreiber in das verschmitzte Gesicht und stammelte: »Ho, wo so?«

»Wo so, da schau her!« mit diesen Worten zog der Schreiber unter dem Burstlatz seines Wamses ein dickes, mit rotem Wachs versiegeltes Paket hervor und legte es mit triumphierender Gebärde auf den Tisch.

»Und was ist das, dass Ihr damit den Mondschein kaufen wollt?« frug der Wirt weiter, das Paket von allen Seiten nachdenklich betrachtend.

»Wenn ich wüsste, was darin ist, Freund, so verriete ich Dir's gewiss zu allerletzt«, versetzte der Schreiber etwas gereizt durch den ungläubigen Ton, der durch die Frage des Schänks klang, »so aber weiß ich bloß, was darauf, und hierdurch, was daran ist, horch auf!« Mit dieser dialektischen Phrase ergriff er das Paket, drehte es feierlich um und las: ›Reverendissimo ac admodum respectabili, nobilitate stirpis insigni viro Enconi ab Weinegg, domino et equiti torolensi!‹ Nun, was sagst Du dazu, Freund Schänk!«

»Bei meiner Seele, gar nichts! Sintemalen ich von dem Zeug da nicht ein Sterbenswort verstehe!« antwortete der Wirt, dem begreiflicher Weise Latein ein völliges Geheimnis war.

»So, nun so will ich Dir für Dein Teil Mithilfe die Sache kurz und bündig auseinanderlegen«, erklärte der Schreiber, steckte das Paket wieder in den Brustlatz und begann: »Dass mir die zwei fremden Burschen, die um die Dämmerung hier einsprachen, gleich beim Eintreten auffielen, hab' ich Euch beiden mitgeteilt; erstlich, weil ein müßiger Kriegsknecht nicht zu uns heraufkommt, wo es nichts zu tun gibt für ihn, außer er hat wirklich hier zu tun – Ihr versteht mich – und zum anderen, weil meine Ahnung, dass die Burschen Böhmen seien, bald durch ihr halblautes Gespräch in ihrer barbarischen Sprache bestätigt wurde und ich Euch sonach brauchte. – Vorsicht tut immer gut, und was zwei Hände nicht brechen, zerprasselt in vieren. – Gut, als der eine nach dem Vintler fragte, schlug es wie der Blitz in mich. – Halloh, Küeppacher, da setzt es was, dacht' ich mir, denn der Vintler hat von jeher zu dem flaumbärtigen Luxemburger gehalten. Deshalb bat ich Dich, dem ehrlichen Bozener in den Krügen der Soldaten ein wenig neuen Traminer beizumischen und mir zur Seite zu sein für alle Fälle als Salva guardia. – Nun, Du Herr Schänk und Dein Wein, ihr tatet mir nach Willen, und wenn auch der alte, bärtige Griesgram nicht recht in den Apfel biss, so tat dies der andere um desto eifriger. Er taumelte, als wir in die Gasse kamen, und da warst Du, Meister Bader, mir gar sehr zu frommen, ich allein hätte den Mann kaum über die Gosse gebracht. – Nun, Schänk, was denkst Du, was wir mit dem Burschen angaben?«

»Ihr führet ihn zum Vintlerhause?«

»Ei, warum meinst Du also, geistreichster aller Leutgeber an dem Eisak und der Etsch?« rief der Schreiber mit höhnischem Lachen.

»Weil der Bursche doch hin wollte!« –

»Aber nicht hin sollte! – Merkst Du noch nichts? Er hatte eine Botschaft an den Vintler, das war mir genug, um alles dran zu wagen, deren Wortlaut oder Inhalt zu erfahren und diesen pflichtgemäß dem treuen Rate unserer Gräfin mitzuteilen. So was wird mit blankem Golde aufgewogen, mein guter Schänk, denn dem alten, blinden Böhmenkönig, der sich heut' in Frankreich und morgen in Polen herumschlägt, dem ist der Ritt von der Moldau an die Etsch ein purer Spaß; ein schlechter wär' es aber für die Gräfin, seine liebe Schnur, die sein Söhnlein so ohne alle Umstände aus dem Bett geschmissen und mit Schimpf und Schande zum Lande hinaus gejagt, verstehst Du's nun? Deshalb schleppten wir den Burschen nach kurzer Deliberation auf den Obstmarkt und – ins gemeine Frauenhaus Es existierte noch zur Reformationszeit in Bozen., wo ihn das schwarze Bärbele – eine alte Kundschaft des Baders – na werdet nicht unnütz rot, ich meine ja vorkommender Gebreste halber – nach dessen Informationen empfing als – hahaha, als Vintlerin!«

Der Wirt schien das Vergnügen des Erzählers nicht ganz zu teilen und ließ einige bedenklich klingende ›hm‹ hören, ehe er den Schreiber bat, weiter zu erzählen.

»Nun – jetzt ist's bald auserzählt: wir beide zogen uns mit tiefen Bücklingen vor der ›Edelfrau‹ zurück und harrten des Erfolges vor dem Hause. Nicht lange, so klang ein Fenster und das Bärbele rief und warf dabei dies Paket herab: ›Da habt Ihr die Briefschaft für mein wertes Ehegemahl und den Burschen verhalte ich schon bis zur Früh!‹ – Nun ist das nicht meisterhaft ausgeführt? So rede doch, Schänk«, rief der Schreiber, in heiterer Laune einen Schlag nach dem dicken Kopfe des Wirtes führend.

Diesem schien es aber wenig um Spaß zu tun, und er warf nachdenklich ein: »Aber der Brief war ja gar nicht an den Vintler?«

»Er ist an den Weinegger«, sagte der Schreiber leichthin, »das ist aber alleins: die den Boten sandten, mochten schwerlich wissen, wo der Enco anzutreffen sei, der ruhelos im Lande herumlungert, seit ihm der eiserne Graf, der zweite Meinhard, das Schloss in Trümmer warf. Drum ist er auch der Margarethe nicht grün und hält es mit den Lützelburgern, denen auch der Vintler von jeher die Stange hielt.«

»Ja, was wird's denn aber morgen, wenn der Bote doch zu dem Vintler kommt?« fragte der Wirt, in dem schon während der Erzählung des Schreibers gar ängstliche Gedanken aufgestiegen waren.

»Was es wird?« sagte der Küeppacher gleichgültig, »das ist des Boten Sach' und nicht die unsere!«

»Ich meine eben, wenn der Bursche aussagt, wer mit ihm gegangen und wohin?« sagte der Schänk.

Der Schreiber schlug eine laute Lache auf und rief: »Du scheinst mich im Verdacht zu haben, ich wolle mich morgen zeitlich früh dem Böhmen vorstellen zu freundlicher Nachfrage, wie er geschlafen diese Nacht, nicht? – Was kann er aussagen, der mich nicht kennt, nie sah und will's Gott, aus so bald nicht wieder zu sehen kriegen soll?«

»Er nicht, aber der andere!« versetzte der Schänk scheu darauf.

Der Schreiber sah ihn verwundert an und fragte: »Der andere, was für ein anderer?«

»Nun, der andere Böhme, der Alte, der hier geblieben ist, bis die Fronboten kamen; er ging mir ja nicht von dannen, bis ich ihm Eure Namen angab; er mochte Unrat gewittert haben!« antwortete der Wirt kleinlaut.

Der Schreiber sprang zornrot auf und schrie: »Hund von einem Schänken! Du verrietest meinen Namen?«

»Musst' ich denn nicht? Der Ratsmann gebot es mir ja selber!« jammerte der Wirt.

Der Schreiber sah eine Weile sinnend vor sich nieder, dann fragte er rasch: »Hat er sich der Wache widersetzt?«

»Das gerade nicht, obgleich er den Ratsmann gar ungebührlich traktierte!« war die Antwort.

»So? – dann halten Sie ihn schon eine Zeitlang im Koter!« murmelte der Küeppacher nachdenklich und kombinierend.

»Ich denke nicht!« glaubte der Wirt einwenden zu müssen, »denn der Ratsmann musste ihm versprechen, noch heute Nacht um den Vintler zu schicken!«

»Um den Vintler? Wozu?«

»Dass er zu ihm in den Koter komme, da er ihm Dringendes zu sagen habe; und wenn der hinkommt und sich für den Knecht verbürgt…«

Der Schreiber war bei diesen Worten leichenblass geworden und stierte dem Schänk in das verlegene Gesicht: »Du meinst…«, stammelte er.

Der Wirt zuckte besorglich die Achseln.

»Dann heißt es, rasch, und mehr als das, klug handeln!« murmelte der Schreiber mit plötzlicher Resignation, zog das Briefpaket noch einmal hervor, zerriss mit hastbebenden Händen dessen Siegel und Umschläge, entfaltete das Pergament und las – las und wurde immer blasser, bis er, an das Ende des Schreibens gekommen, entsetzt ausrief: »Um Gott, das ist arg! Ihr Männer auf! Hannibal ante portas! Der Feind ist im Lande!«

»Der Feind!?« scholl es ihm erschreckt entgegen.

»Die Böhmen! Graf Johann und sein Bruder, der Markgraf Karl, den der König zum Tutor von Tirol…«

»Tutore! – Jetzt versteh' ich das Stichwort für den Vintler!« unterbrach der Schänk den Schreiber, der, nach der flachen Kappe greifend, rief: »Auf, Brüder! Im Namen der Gräfin und des Heils Tirols! Ihr Bader, rennt zum Vintlerhause und erspäht, ob und was darinnen vorgeht; Du Meister Schänk, begibst Dich flugs zum Koter und wartest, ob der Vintler den Böhmen befreit – diese beiden Nachrichten bringt Ihr mir ins Haus des Aufensteiners nach, das unterm Hurlach auf die Talfer zu liegt. – Frisch auf und macht die Sachen gut!« damit schoss er zur Türe hinaus, die Treppe hinab, und einen Augenblick darauf hörten die beiden Zurückgebliebenen den schweren Eichenriegel des Haustores polternd zu Boden fallen und die hastigen Tritte des Schreibers die Gasse hinan und gegen den Obstmarkt zu verhallen.

Nach kurzem Laufe lenkte er bei dem Edelsitze Hurlach links in ein enges Gässchen ab und hielt keuchend vor einem hohen Gebäude, dessen Portal eine riesige, in Stein gehauene Nachteule (in der Volkssprache »Auf« genannt, das Schildzeichen der Herrn von Aufenstein) mit gehobenen Flügeln zu hüten schien.

Nach einem raschen Blicke über die lange Fensterreihe, hinter der Licht und Leben längst in Nacht erstorben waren, ergriff er den, nach damaliger Sitte an dem Türschlosse befestigten Hammer und ließ ihn dröhnend und mit raschen Schlägen auf die eherne Schlossplatte fallen, bis schlurfende Tritte auf dem Flure und endlich eine verschlafene Stimme an dem Tore hörbar wurde, die den späten, ungestümen Gast um sein Begehr fragte.

»Den Herren! Den Herren weckt mir und ohne Säumnis oder Rücksicht auf Ruhe und Schlaf! Zuerst aber tut mir das Tor auf!« rief der Schreiber, und aus seiner Stimme klang so viel Ernst und drängende Angst, dass der Diener das Haus unverzüglich entriegelte und den Schreiber einließ.

»Aber wecken…«, meinte er, sich hinter dem Ohre krauend, »wecken mögt Ihr den Herrn Konrad selbst; bei solcher Gelegenheit steh' ich nicht gern vorne!«

»So zeigt mir den Weg!« herrschte ihm der Schreiber barsch zu und schritt, das verhängnisvolle Paket abermals hervorziehend, dem voranleuchtenden Diener rasch nach. Dieser war kaum auf der Hälfte des Rückweges, als abermals der Hammer an die Türe hallte, und eben hatte der zweite nächtliche Besuch, der Bader, den Weg nach dem Herrenzimmer angetreten, als zum dritten Male der dröhnende Weckruf an dem Tore erscholl.

»Geht denn das die Nacht durch so fort?« meinte der schläfrige Diener, als er den Mondscheinschänk einließ… Das war der Fall nicht, denn geklopft wurde nimmer: aber aus dem Gemache des gräflichen Rates weckte jetzt Herrn Konrads tiefe Stimme mit dem Rufe nach flinken Rossen da schlummernde Haus von den vorderen Gelassen bis zu den Ställen, und bald darauf kam der Herr von Aufenstein selbst, gefolgt von seinen nächtlichen Besuchern, mit klirrenden, hastigen Schritten die Treppe herab.

»Kannst Du reiten, Freund?« fragte er, indem er einen besorgt lächelnden Blick von dem hohen, schnaubenden Streitrosse, das neben dem seinen stand, auf die kleine, feine Gestalt des geschniegelten Schreibers schweifen ließ.

»Etwas, gnädiger Herr!« stammelte der Befragte leise.

»Wenn Du unter ›etwas‹ langsam verstehst«, sagte der Ritter mit einem für den Schreiber sehr bedrohlich klingenden Tone, »so rate ich Dir zu bleiben, denn der Ritt dürfte ein heißer werden!« und sprang in den Sattel.

Der ehrgeizige Küeppacher, der sich um keine Welt des ›Finderlohns‹ für seine wichtige Nachricht begeben hätte, antwortete mit einem tiefen Seufzer auf die Invektive des Ritters, empfahl seine arme Seele Gott und allen Heiligen, und kroch behutsam auf den Rücken des ungeduldig scharrenden Tieres – das Tor flog auf, die beiden Reiter hinaus in die mondhelle Nacht, hinauf der Talfenbrücke zu und gen Terlan zu Tale.

Zur selben Stunde, es war nahe an Mitternacht, verließ ein zweiter, aber weit stärkerer Reiterzug im eilfertigen Trabe die Stadt, jedoch nach ganz entgegengesetzter Richtung hin, und wenn der fahle Mondschein nicht trog, ritt auch an der Seite des Führers dieser Schar und in eifrigem Gespräche mit demselben eine uns bekannte Gestalt, die des Kriegsknechtes aus der Schänke zum Mondschein.

Dieser Zug ritt von dem Vintlerhause ab, an dem Wangerzolle vorüber und dem Eisaktale zu.


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